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Schrieb's, machte den Strich darunter, las es durch, sahe an, daß es außerordentlich gut war, setzte die Überschrift über das zweite Kapitel, warf einen großen Blick ins Weite, Blaue oder Graue, und schickte mich an, die Geschichte im vollen Fluß und Zuge des Gelingens fortzusetzen.
Als ich aber dazu schreiten wollte, das »unerwartete« Ereignis, das ich angekündigt hatte, zu Papier zu bringen, so mußte ich entdecken, daß ich nicht sowohl der Verfasser meines Romans, als vielmehr der erste Leser desselben war, und daß ich als solcher mich jetzt in der gleichen Lage befand, die ich so manchmal kennen gelernt hatte, wenn ich, um einen über die Felsen hinabgestürzten Helden aus dem Abgrunde oder eine von einem Wüterich entführte Heldin aus dem Verließe ziehen zu helfen, die Türe des Bücherverleihers gestürmt hatte und auf das Donnerwort, daß der rettende nächste Band vorerst noch ausgeliehen sei, in wissenschaftlicher Verzweiflung abgezogen war.
Keine Ahnung hatte ich, worin der Vorgang bestehen könnte, durch welchen die blitzenden Flamberge meiner beiden Ritter so unerwartet aufgehalten werden sollten.
In diesem Drang und Verwirrung bot ich, wie ich mir bezeugen darf, meinen ganzen Scharfsinn zur Untersuchung einer Frage auf, deren entscheidende Bedeutung mir erst in diesem Augenblicke klar vor die Seele trat. Wenn nur dieser Punkt einmal ausgemittelt war, so mußte sich zugleich ein Weg eröffnen, um dem einen oder dem anderen der Kämpfer, die getrennt werden sollten, oder auch beiden zusammen die zu ihrem Fortkommen unentbehrlichen bewegenden Kräfte zuzuführen. Aber da begegneten mir unüberwindliche Schwierigkeiten.
Was nun zwar der Raspe am oder im Schwabenmeere zu suchen haben sollte, das konnte man zur Not vermuten. Dort hatte er ja den Südwind aus ziemlich unmittelbarer Hand: wenn er irgendwo eine günstige Gegend zu einer vermummten Zusammenkunft mit einem verkappten römischen Sendling und zur Einholung geheimer Instruktionen für seine deutsche Politik finden konnte, so war es dort, im sichern Bann der Konstanzer Fischgerechtsame. Nur hatte ich vor übergroßem Eifer vergessen, auf der Höhe des Sees oder in einem nahen Hafen ein Inkognito von Hofhaltung, Gefolge oder auch nur einen einzelnen Reisigen zu stationieren, damit die pfaffenkönigliche Seeverschwörungskonferenz, falls es nötig würde die Klingel zu ziehen, wenigstens über etwas Dienstpersonal verfügen könnte.
Noch lud zwar den bereits gerühmten Scharfsinn ein und das andere Mittel zur Ergreifung ein. Dem Wellenschlage, den ich mit so schönem Erfolg in Szene gesetzt, war ein Ruderschlag zu benachbart, als daß er mir hätte entgehen können. An diesen einige Hände hinzuschaffen und die Schöpfung zu einem oder zweien bemannten Nachen zu erweitern, auch das überstieg meine Kräfte nicht. Wer aber konnten die Rudernden sein, als etwa Schiffer aus Konstanz, Meersburg oder Buchhorn, wackere, doch unbekannte Deutsche aus der römischen Reichsuneinigkeit germanischer Nation? Meine ganze Insel voll lauter unberechenbarer Charaktere, bedroht mit Verwicklungen, deren Folgen nicht abzusehen waren!
Bei solchen Aussichten zog ich vor, die guten Schiffer zu Hause zu lassen und meine beiden Ritter, die ja doch ohnehin in irgend einer Weise beritten sein mußten, nachträglich jeden mit einem am Ufer liegenden Kahne zu versehen, den er freilich allein zu regieren hatte, so gut es eben ging. Dabei wagte ich vielleicht nicht einmal zu viel, wenn ich die landgräfliche Majestät mit jener republikanischen Einfachheit großer Konsuln oder Präsidenten ausstattete, die sich selbst rasieren und eigenhändig ihre Stiefeln putzen. Auf der anderen Seite war meinem jungen Degen in der Fouquéschen Reitschule der Grundsatz eingeprägt worden, daß ein rechter Rittersmann sein Roß nicht anders als in Person besorgt und verpflegt. Ließ ich nun etwa noch einen unvermuteten Strahl vom Himmel fallen und einen furchtbaren Donnerschlag über die Insel hinrollen, so konnte, wenn nur der Raspe zuerst in seinen Nachen sprang, auch mein junges Heldenblut mit Ehren auf den Abzug denken.
Beseitigt schienen auch die stärksten Hindernisse, und schon wog ich die Feder in der Faust, um den unvorhergesehenen Schlag zu führen, als ein noch viel unerwarteterer Blitz mich selbst erleuchtete und mir zeigte, daß ich die allergrößte Klemme, in der ich mich befand, bis daher völlig übersehen hatte. Jetzt erst erkannte ich sie in ihrer ganzen Hoffnungslosigkeit. Was hatte denn meinen jungen Gutedel auf diese Insel hergebracht? Keine Folter der Welt hätte mir einen Aufschluß über diese Frage entreißen können, und doch dachte ich billig genug, um mir zu sagen, daß der Leser höchst gerechten Anspruch auf ihre Lösung habe. Wohl war mir nicht gänzlich unbewußt, daß meine Landsleute in Stadt und Nachbarschaft häufig über den See in Handelsangelegenheiten schifften; aber ein Motiv dieser Art blieb einem Edeln aus der Sippe derer von Degerschlacht oder Bronnweiler fremd. Auch hätte die Geschichte zur Not einen Vertrag zwischen den schwäbisch-rheinischen Reichsstädten und der helvetischen Eidgenossenschaft dargeboten, einen gar nachdenklichen Vertrag, der die Städter verpflichtete, den Schweizern in deren Händeln gegen reelle Verköstigung zuzuziehen, während die Eidgenossen im umgekehrten Fall »bi Huuse« bleiben durften; allein derselbe war mir ein Geheimnis, weil ich damals den Tschudi noch nicht gelesen hatte; und da dieser Vertrag erst 1385, drei Jahre vor Döffingen und eins vor Sempach, geschlossen worden ist, so hätte er 1247 für einen Schwaben in Wirklichkeit so wenig wie für einen Schweizer praktischen Wert gehabt. Daß endlich gar eine Reisebeschreibung die Phantasie des jungen Ritters, wie zuweilen die meinige, entzündet haben könnte, ließ sich in einem so dunklen Jahrhundert vollends nicht vermuten, und doch war diese Vermutung die letzte Frage, die ich an das Schicksal stellen konnte.
Lassen wir denn an diesem verhängnisschweren Wendepunkte meinen historischen Roman mit einem großen Schritt ans Ziel gelangen. Zween volle Bände, ehe der Raspe mit Fug und Recht von meiner Vaterstadt abziehen durfte, zog ich die Hand von ihm selbst, seinem Sturmbock und seinem Gegner ab, und meine beiden Ritter blieben verdammt, ihren Holmgang auf der Insel im Bodensee miteinander fortzusetzen bis auf glücklichere Zeiten oder aber bis zum jüngsten Tag.
Um mich, wenn es möglich wäre, von dieser schweren Schuld zu reinigen, habe ich hernachmals eine Wallfahrt durch ganz Oberschwaben gemacht, nicht auf gekochten Erbsen, wie unser alter katholischer Simplizissimus, da er mit seinem Herzbruder wallen ging, aber doch zu Fuße, und auch nicht ohne Mühsal und manche Fährlichkeit. Um ein Haar wäre ich angesichts der gastlich rauchenden Schornsteine von Buchau spurlos im Moor versunken, weil die biederen Landleute der Umgegend auf meine noch so deutlichen Erkundigungen unterlassen hatten, mir zu sagen, daß ein Spaziergang am Federsee auch für den nüchternsten Magen unverdaulich sei. Buchstäbliche Wahrheit, und doch zugleich sinnige Allegorie! Indessen wusch mir die Spuren dieses Mittagabenteuers ein endloser nächtlicher Regen im Argentale wieder ab, und was etwa noch an meiner Fußbekleidung haften mochte, das blieb unter den entschlossenen Händen des grimmsten aller altdeutschen Hausknechte am Brunnen einer freundlichen Herberge unter Montforts Trümmern im Wassertroge zurück. Meergeuse zu Lande schon geworden, befuhr ich nun auch den Bodensee, und überzeugte mich, daß mir die Uferstaaten in der Tat eine dritte Insel zu danken haben, über welche sie sich gütlich vergleichen mögen; denn weder in der schönen Mainau noch in ihrer berühmten Schwester habe ich meine eigene Schöpfung wieder finden können. Auf der Reichenau aber habe ich, am Grabe eines dicken Mannes, meine Buße verrichtet. Dort in der Kirche ruht ja von seinen Sünden und ihren Folgen der letzte Karolinger aus, der seitdem in einer vertraulichen Stunde, im tiefsten Inkognito und unter dem nachdenklichsten Prügelregen auf seinen gleichfalls inkognito anwesenden verantwortlichen Minister, am Busen eines jovial-sentimentalen Mönchs und humoristischen Zeitbuchführers von St. Gallen sein murrendes Herz ausgeschüttet hat. Mir blieb er bei jenem meinem Besuche stumm; aber was hätte er mir auch in der Hauptsache Neues sagen können? Daß und wie man ein Römisches Reich zugrunde zu richten vermag, das hatte ich nicht bloß an seinem Beispiel gelernt, sondern noch an einer Reihe anderer, die sich streng genommen wohl auf ein halbes Dutzend oder mehr berechnen lassen mögen: was ich aber ihm zu erzählen hatte, das war ihm ohne Zweifel noch fremd, nämlich, daß man ganz nach denselben Kunstgesetzen auch ein romantisches Opus fertig machen kann.
Hätte ich sie noch, jene denkwürdigen Blätter, so würde ich ihnen jede Ehre erweisen, die ein seltenes Bruchstück irgend in Anspruch nehmen darf. Den besten und teuersten Buchbinder wollte ich nicht scheuen, um ihr Äußeres zu einem Prachtwerke von monumentalem Charakter zu erheben, weil sie, wo nicht für diese schnöde Welt, so doch für mich eines ewigen Gedächtnisses würdig sind. Und auf den reichverzierten Vorderdeckel mühte er mir mit goldenen Lettern die stolze Inschrift setzen:
Tantae molis erat, Romanum condere –!
Warum jedoch in dieser Weise fortfahren, erbarmungslos gegen die eigenen Eingeweide wütend? Ist es gerecht, wegen eines mißglückten Versuchs aus der Zeit der Knabenspiele sich selbst die Schellenkappe aufzusetzen? Haben wir nicht jenen Fehler in reiferen Jahren vielfältig gut zu machen uns bestrebt, und verdienen diese unsere Bestrebungen nicht, in einem höheren, ja ernsthaften Ton besprochen zu werden? Denn ist es uns jemals wieder begegnet, im ersten Kapitel stecken zu bleiben? Haben wir uns nicht den Kunstmechanismus unserer Tage bis zu einem Maße eigen gemacht, um aufrecht über Berg und Tal zu schreiten? Brauchen wir nicht den Finger bloß aufzuheben, um die entlegensten Gestalten einer Zeit, die wir schildern wollen, durch unseren wohlbestellten Diener, den Zufall, um einen Mittelpunkt zu sammeln, »Volk, Fürsten und Dryander?« Verstehen wir nicht die unerwartetsten Begebnisse sicher vorzubereiten, die schwierigsten Verwicklungen einfach zu lösen?
Und wem anders verdanken wir dies, als dem gemeinnützigen Wetteifer unserer Mitstrebenden, von welchen wir täglich lernen, sowohl die richtige Wahl des Stoffes, als die göttliche Freiheit, mit welcher der Geist den Stoff beherrschen soll, und die sich dann am schönsten manifestiert, wenn Helden, die in der ersten Publikation den Schluß mit ihrem bitteren Tode krönten, in der zweiten zur süßen freundlichen Gewohnheit des Daseins und Wirkens zurückkehren, in der dritten zwar nochmals sterben, in der vierten aber wiederum, und für immer vielleicht, von den Toten auferstehen! Haben wir nicht an diesen Vorbildern abgesehen, daß man gleich zu Anfang mit ganz besonderer Voraussicht und Zurückhaltung zu Werke gehen muß, um das Heft bis zu Ende und durch alle künftigen Auflagen (oder »Ausgaben«) in der Hand zu behalten? daß der Anfang, der, wie die »Ratt' im Kellernest« ihr Gift, seinen Schluß bereits im Leibe hat, zwar keineswegs allezeit der schlechteste, aber ein dem Verhängnis unwiederbringlich verschriebener Tyrann seines Urhebers ist? daß man aber selbst den schwersten Prüfungen des Lebens, das uns oft so unerwartet in diesen verwünschten Erfindungen über den Kopf wächst, durch ein nie trügliches Kunstmittel trotzen oder ausweichen kann, nämlich – wie auch Goethe bei einer gewissen Gelegenheit sich ausdrückte – durch ein »vernünftiges Räsonement«.
Freilich, der Dialog, gestehen wir's nur, ist noch immer unsere stärkste Seite. Im übrigen sind wir etwas zurückgeblieben, und vorzüglich im beschreibenden Fache, wir dürfen's nicht leugnen, geht uns unsere Insel mit ihrem bißchen Saftgrün und Wasserblau immer noch ein wenig nach. Wir haben daher bei unserem ersten größeren Gesellenstücke einen sehr weislichen Einfall gehabt, indem wir dasselbe einem damals namhaften Literaten mit der freundnachbarlichen Bitte zuzusenden gedachten, er möchte uns das mehr innerlich als äußerlich zustande gebrachte Werk etwas weniges tapezieren und möblieren; und nur das Bedenken, daß wir in einer Welt der Mißverständnisse und Mißdeutungen leben, hielt uns von der Ausführung dieses löblichen Vorsatzes zurück. Um jedoch dem klar erkannten Mangel abzuhelfen, haben wir von Stund an jedweder Art von Kunstschreinerei in ihre Mysterien zu blicken gesucht, und seit einer unserer Leser uns geklagt hat, wir haben ihm einen Stuhl am Wirtstische so täuschend hingemalt, daß er in seiner Illusion und Zerstreuung, nicht ohne Schaden seines Leibes, auf ermeldetes Möbel niedergesessen sei, seit jenem feierlichen Augenblicke, sagen wir, ist, bei vollem Bewußtsein zwar noch nicht völlig überwundener Unvollkommenheiten, eine erhabene Ruhe bei uns eingekehrt. Wozu also, fragen wir wiederholt, wozu dem armen guten Jungen, der wir in unseren vielleicht besseren Tagen waren, seine fehlgeschnitzte Weidenpfeife mit der Kunstwichtigkeit eines Stadtzinkenisten um den Kopf zu schlagen?
Darum erhebe dich, o Herz, von der Armseligkeit damaliger Versuche und auch von dem bescheidenen Wohlstande damaliger Vorbilder, von ihrer Dürftigkeit, darfst du wohl sagen, besonders wenn du an so manche Gegenstände der Szenerie, Drapierung und Utensiliengruppierung denkst, erhebe dich zu dem fürstlichen Glanz und Reichtum unserer heute aufschießenden und aufgeschossenen Romantik, der du so viel verdankst! Betrachte aber nicht allein den niederschlagenden Abstand, sondern auch dem aufrichtenden, ja hinreißenden Fortschritt und Aufschwung weihe einige deiner Empfindungen.
Beugen wir uns denn an dieser Stelle vor ihr, die den Orbis pictus des seligen Amos Comenius aus dem Staube gezogen, nein, mehr, die ein Polytechnikum aufgetan hat, wiederum nein, eine enzyklopädische Hochschule aller und jeder Wissenswürdigkeiten dieses und des zukünftigen Lebens!
Denn was ist es, was sie, die realistische Muse, nicht zu lehren und, süßkräftig, sauerstofflich, bittersalzig, doch immer mit unendlichem Geist und Geschick, einzugeben wüßte? Nenne mir Astronomie, Börsenlehre, Kabbala, oder, um nicht geistlos im Abc fortzufahren, Juristerei, Strategie, Politik und Medizin in gegenseitigem Durchdringen, Philosophie in viererlei Tracht, im zerrissenen Mantel des Zweifels oder im geschonten Glaubens- und Kirchenrock, im psychologischen Paletot oder im moralischen Talar, Naturgeschichte der entdeckten und unentdeckten Reiche, von der Zeder bis zum Ysop, vom Diluvium bis zum Totliegenden und so fort, vom Urliteraten Pterodaktylus und Urkritiker Mammut bis herab zum kleinsten mikroskopischen Tropfen unserer Tage mit seiner Fusions- und Infusionswelt, Naturwissenschaft jeder Art, Länder- und Völkerkunde von »Humboldts des Sohnes« Leben bis zur vollendeten Eskimographie hinauf, Historie und ganz insonderheitlich Kulturhistorie in Vor-, Mit- und Nachwelt, vor allem aber in den modern-romantischbengalisch-gegensätzlich-brennenden Arbeits- und Genußlebensaktienfragen der Jetztzeit, und zwar wo oder wie nur Gegensätze genossen und verarbeitet werden können, in Soll und Haben, Taler und Gulden, Heller und Pfennig, Handel und Wandel, Kommerz und Industrie, Produktion und Konsumtion, Realitätenbesitz und Proletariat, in unseren Strafanstalten wie sie sind und wie sie sein sollten, in männlichen und weiblichen Rettungshäusern für behaltene oder entlassene Verbrecher, in barmherzigen Schwestern und unbarmherzigen Brüdern, geistreichen Jünglingen und herzarmen Jungfrauen, Europa- und Amerikamüdigkeit, Roman und Drama, Theater und Parlament, Galerie und Tribüne, kurz, in Kraft und Stoff, Dorf und Stadt, Sansara und Sahara, Sonnen- und Mondwirtschaft, zwischen Himmel und Erde, in Moni und Brost, Hans und Grete, »Müller und Schulze«, »Schiller« und »Goethe« – – –
zähle mir alles und jegliches auf, tue dieses und noch anderes mehr hinzu, und wenn dir der Atem darüber ausgeht, so hast du erst noch gar nichts gesagt!
Mit Lachen denke ich jetzt der Zeit, wo mein Kopf ein »Allotrion« aus Frau Benediktens Küche nur äußerlich in »Ruck und Eck« genießen durfte, weil er über seinem Berufe, mir als Mauerbrecher den Weg in eine Fakultät zu bahnen, keine Zeit für Allotria übrig haben sollte. Wie anders jetzt, seit die Allotrien zu Wissenschaften geworden sind und die Wissenschaften sich auf die Poesie geworfen haben! Dieses vormalige Mädchen aus der Fremde, das einst, wie die Sage geht, mit kleinen Gaben nur ins Tal zu armen Hirten kam, jetzt steht sie mitten auf dem weiten breiten Forum, wo die große Welt sich um sie drängt, von allen Fakultäten bewundert und umworben: allerseits regnet es Geschenke, Prunksachen und Prachtstücke auf sie herab; und siehe da, selbst unsere höchste Reichszentralfakultät, die volkswirtschaftsschulrätliche, die tugendheftige, die strenge und etwas genaue Hausmutter, reicht Stück um Stück ihr aus dem mächtigen Kasten dar, würdig-mild, wie es der gebildeten Hausfrau zukommt, die da denkt, daß Geben nicht bloß seliger denn Nehmen sei, sondern auch »honoriger«, zumal gegen ein Mädchen oder Weib aus den niederen Schichten.
Aber unsere kluge Fremde hat unvermerkt, die kleine Hexe, ihren Wohltätern und Wohltäterinnen das Fell über die Ohren gezogen. Antiquiert sind alle Fakultäten, absorbiert alle Fachstudien nunmehr. Zu ihr mußt du gehen, Knabe, zu ihr, der Muse, die ich meine. Was auch dein jetziges oder späteres Fach sein möge – acht Tage nur in ihrer Schule – eine mehr als billige Frist für drei bis vier, auch neun bis zwölf Leihbände – und du weißt alles, ja nicht bloß was du brauchst, sondern auch womit du glänzen kannst. »Mit welcher Freude, welchem Nutzen, wirst du den Kursum durchschmarutzen!«
Nur glänze mir nicht zu stark mit den davongetragenen Lichtern, denn ganz vollkommen in dieser Welt der Mängel kann auch sie nicht sein. Besonders ihren Gestirnen, so populär-astronomisch sie über Gerechte und Ungerechte scheinen, vertraue du nicht allzu blind, dieweil sie, dieser Gestirne Lenkerin, mit Fräulein Gerda,Vertreterin der Naturphilosophie im »Zauberring«. das heißt mit der alten Zauberlaune, westöstliche Himmelswirren anzustiften, noch nicht radikal gebrochen hat. Mit Umsicht betritt ihre Gewächshäuser, in welchen es ihr manchmal wie großen Herren geht, die ihren eigenen Kopf haben und nicht auf den Gärtner hören wollen; und auch in ihrer freien Natur möchte ich dir, falls du dort dein Futter suchen müßtest, nicht jedes Gräschen und jedes Hälmchen unbedingt empfehlen. Ruhig aber magst du dich in ihrem zoologischen Garten niederlassen, selbst wenn der Zeiger dort auf Mittag weist; denn diese wählerischen Tiere fressen wunderselten, was ihnen Gott beschieden hat, vielmehr können sie Geschmackseigenheiten blicken lassen, um deren Befriedigung sie ein Römergaumen des bas empire beneidet haben würde. Im Technischen und Technologischen wirst du mit ihr nicht schlechter fahren als in mancher Fabrik und auf mancher Eisenbahn; sei daher stets auf Allfälligkeiten gefaßt, und bedenke namentlich, daß es ihr plötzlich in den Sinn kommen kann, launisch wie Nero, nur großartiger noch als er, ihre ganze Schöpfung, das Werk ihrer eigenen Hand, eine Errungenschaft also von Millionen und Milliarden, zu guter Letzt am Ziele aller ihrer Anstrengungen in Rauch und Dampf aufgehen zu lassen.
Trachte jedoch vor allem häuslich zu werden in ihren Salons und Geschäftslokalen, wo du gründlich lernen wirst, mein Kind, wie wichtig es in dieser besten aller Welten und Gesellschaften ist, Monde und Demimonde, ehrliche Leute, die ihr Glück zu schmieden wissen, und ungeschickte Spitzbuben, die das Nachsehen haben, gedämpften Altersgang und geriebenen Jugendschwung, kurz, Idealismus und Realismus, oder richtiger, vielleicht auch ebenso richtig gesagt, Realismus und Idealismus, will sagen altfränkisch-behäbige und neumodisch-imposante Spekulation, voneinander unterscheiden zu können, und das zu allermeist in jenen lichterloh brennenden Fragen von Kopfes-, Herzens- und Geldeswert, in welchen dir »unserer Brust geheime tiefe Wunder« sich öffnen werden, die Seelenwunder unserer Gegenwart meine ich, die so wunderreich ist an moralisch-psychologisch-poetischer Ökonomie, ökonomisch-poetisch-moralischer Psychologie, poetisch-ökonomisch-psychologischer Moral, mit einem Wort also, an psychologisch-moralisch-ökonomischer Poesie, und die eben darum, wie selbst französische Kritiker uns zuschwören, sich so ganz ausschließlich für die Romantik eignet.
Die wahre Heimat aber und den ganzen Frieden, o Sohn dieser Kulturwildnis, findest du doch erst dann, auch bei ihr erst dann, wenn du an ihrer ebenso leutselig als gebieterisch anklopfenden Hand in die Gemütswelt jener edeldenkenden, weichgeschaffenen, zart- ja zärtlichfühlenden Dorfbewohner herniedersteigst, die bei der ersten Regung auf ihren Wink die langvergrabenen Kapitalien, auch Haus und Hof, wo nicht gar das Hemd vom Leib herschenken, in eine Welt, worin die schöne alte Sitte der Heiraten zwischen Prinzen und Gänsemägden, Prinzessinnen und Pferdeknechten, diese höchste soziale Hinterlassenschaft eines unvordenklichen Altertums, so alt vielleicht wie das verlorene Paradies, zum ewigen Heil der Menschheit wieder in Schwang gekommen ist. Unabsehbare Wirkungen werden und müssen aus dieser Revolution hervorgehen, so wie sie nur einmal in dem harten zähen Holze unserer zwar christlich-germanisch gewordenen, dabei aber etwas sehr alt- und uralemannisch gebliebenen Bauern zu leben, zu arbeiten und umzulaufen begonnen haben wird. Man kann über das alles frei mit ihnen reden, wofern sie nämlich zum Hören oder Lesen zu bringen sind. Aber nur um so größer ist ja eben deshalb das Verdienst, so tief-rural-moralische Ideale hingestellt, so wahrhaft-national-romantische Stoffe aufgeschlossen zu haben. Darum öffne ihnen, Volksfreund, öffne ihnen weit die Gasse in das Dorf, und schilt den trägen Staat, daß er noch nicht daran gedacht hat, auch nur vorerst die Steuerwilligkeit der Landgemeinden, oder, weil für diese Tugend auf anderem Wege schon gesorgt ist, zunächst wenigstens den Silbertrab ihrer Witwen-, Waisen- und Armenvereinstaler durch landsittenlehrmeisterliche Prämien aus mehrbelobtem Prägstock aufzumuntern.
Habe ich nun aber der Gerechtigkeit den schuldigen Zoll entrichtet, so mag die Freiheit, die im Reich der Geister herrschen soll, meine Fürsprecherin sein, wenn ich jetzt unumwunden beizufügen mich erkühne, daß es der didaktischen Ruralmoralromantik, bei aller Meisterschaft, nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten immer noch an etwas fehlt. Kunst ist es nicht, was ich an ihr vermisse, o nein, sie gebietet über einen Kunstmechanismus, vor dem ich, klassisch zu reden, omnem respectum habeo, das heißt, allen Respekt habe, beides nämlich, buchstäblich und auch ein wenig figürlich. Der Herr Obermeister dieser unserer großen und ehrsamen Zunft versteht schon, wie ich's meine, denn es ist ihm von alter Zeit her bekannt, wie ich zu reden pflege, bald laut, bald leise, wie es kommt und so stark oder so schwach ich's eben geben kann. Wir sind ja in unseren Gesellenjahren gut Freund gewesen, und er hat viel Liebes und Gutes an mir getan, besonders indem er mich gleichfalls zur Meisterschaft erziehen wollte. Das eigentliche Kunstgeheimnis hat er mir zwar trotz vielen Bittens beharrlich vorenthalten; allein dem Menschen ist, wie jeder von sich selber weiß, das Hemde näher als der Rock, und ich müßte nicht bei Troste sein, wenn ich ihm darum grollen wollte. Was kann er dafür, daß seine Erziehung keine besseren Früchte getragen und daß die Zunft jetzt ihn zu ihrem Sprecher erkoren hat?
Aber amicus Socrates, amicus Plato, sed magis amica veritas. Damit will ich sagen, daß ich, bei allem Respekt vor der Kunst, der Wahrheit die Ehre geben und mir eine Bemerkung erlauben muß, in den bekannten »zwei Worten«, die ich dem Inhalt nach an die ganze Zunft, mich selbstverständlich mit eingerechnet, der Form nach aber und der Sitte gemäß, die in gebildeten Zunftversammlungen herrscht, an unseren hochgeehrten Vorstand zu richten mir die Ehre gebe. Seit wieder einmal eine längst ersehnte Meisterhand das Zunftszepter so kräftig als gedeihlich schwingt, haben sich alsbald die unausbleiblichen Folgen jeder persönlichen Regierung – qui règne et qui gouverne – fühlbar hervorgetan, sofern alles um den unveränderlichen Gedanken sich sammelte und sammelt, der an leitender Stelle herrscht. Hierin liegen Keime freudigsten Wachstums, aber auch Keime von Gefahren und Verkümmerungen, und nach Kräften diese zu wenden, jene zu fördern, dazu eben habe ich das Wort ergriffen.
Sei es mir denn nunmehr gestattet, offen auszusprechen, was mir an dieser unserer mehr und mehr und immer erfreulicher fortschreitenden Poesie des Volksunterrichts noch zu gebrechen scheint. Den Hauptnerv vermisse ich, nämlich eben den didaktischen selbst. Nicht daß er ihr gänzlich fehle, sage ich; das wäre eine schreiende Ungerechtigkeit; aber ich finde ihn nicht stark genug von ihr in Mitleidenschaft gezogen. Sie ist unterrichtend, ja! sie ist viel- und mehrseitig, gewiß! aber sie ist nicht didaktisch, nicht enzyklopädisch genug – mit einem Wort, sie ist nicht universell. Das muß anders werden. Man hat mit Glück begonnen, das Volk durch die Steuergesetzgebung zu einer wirtschaftlicheren Betriebsamkeit zu erziehen: sollte man nicht mit gleichem und noch besserem Erfolge durch Sonntagsschulromantik seine beschränkte Bildung nachbessern und neben Veredelung des Herzens auch seinen Geist auf diejenige universelle Höhe, die ja von allen Seiten gewünscht und erstrebt wird, emporheben können? O ja gewiß und freilich, wir arbeiten ja alle daran, und ich selbst habe soeben erst den Vorschlag – einer Erzielung des postulierten, in der angeregten Form jedoch noch einseitigen Reformzweckes auf dem Wege der Prämienausteilung – gemacht. Hieran reiht sich denn nun eine zweite Proposition, die ich sofort stelle, nämlich diese Prämien selbst zuvor noch durch größere Erweiterung nach der lehrhaften Seite hin ins unendliche zu vervollkommnen. Mein Antrag lautet daher wie folgt:
Die Dorf-Kalender-Familien- oder Volksgeschichte muß eine Akademie werden, aber auch dieses nur als Vorschule zu weiteren Fortschritten – mit einem Wort: ihre Gasse muß sich nach dem Universum öffnen!
Mit wenigen Strichen nur wage ich anzudeuten, was in dieser Richtung seit den letzten fünfzehn Jahren von uns allen verabsäumt worden ist, was fortan geschehen soll und muß. Der Entwurf, den ich hier vorlege, mag statt meiner sprechen. Wenn ich denselben aber nach der doktrinellen Seite hin im tiefbegründeten Hoch- und Vollgenuß eines in den Turmknopf der Unfehlbarkeit eingemauerten Selbstgefühls betone, so muß ich doch zugleich in vorurteilsfreister Bescheidenheit nach der anderen Seite wahrnehmen und bekennen, wie nachdrücklich Poesie und Kunst in diesem meinem Nachtstück nur durch ihre nahezu vollkommene Abwesenheit an sich erinnern. Indessen sollte es, denke ich, mir zum Vorstand gereichen, wenn ich befürwortend den Aufschluß folgen lasse, daß ich hier nicht schöngeistigen Belangen nachgestrebt, sondern meine Stoffe als rohgesägte Naturbretter zum Gestelle der gesuchten Volksbibliothek buchstäblich dem Leben entnommen habe, wie sie auf alemannischem Boden, einige Tagmärsche südlich vom Rayon der »Schwarzwälder Dorfgeschichten«, gewachsen sind. Von dieser Seite gebe ich sie als bloße Materialien der unbeschränktesten Erschließung, Entfaltung und Benützung durch Meisterhände preis, mit ausdrücklichem Beifügen jedoch, daß ich mein Verdienst, das nicht von mir entdeckte Gebiet durch allseitig kulturfahnenschwenkende Erweiterung zu einem gedanklichen Kalifornien aufgeriegelt zu haben, als unveräußerlichen Bisamknopf im Schatzkästlein meines geistigen Eigentums verwahrt haben will.
Dieser kurzen aber unerläßlichen Vorbemerkung schreite denn nun der angemeldete Entwurf auf den Fersen nach. Seine gedrängte Stammhaftigkeit legt sich in fünfundzwanzig Zweigen, Bretterabschnitten oder Kapiteln auseinander, die ich der Raumersparnis halber mit unseren volkstümlichen arabischen Ziffern bezeichnen will:
1. Ein alter Feudalbauer, seine Söhne Nazi und Peter, nebst der Base Frenz, sind mit Honigauslassen beschäftigt. Idyll im Daphnis- und Chloe-Geschmack der von Theokrit, Longus, Geßner u. a. aufgeschlossenen nationalen Stoffe. Eine städtische Doktors- und Professorsfamilie erscheint zu Besuch und vertilgt einen fabelhaften Vorrat von Wabenhonig, worauf sie sich ohne Umstände wieder empfiehlt. Die geretteten Waben werden nach ausgelassenem Honig noch besonders ausgesotten und das Wasser davon abgegossen, um im Zustande der Gärung getrunken zu werden. Hiebei führt sich der Schulmeister ein, erhält gleichfalls ein Glas, und beginnt durch einen einleitenden Vortrag über gärende Getränke, Brennereien im allgemeinen, große und kleine Brenner, Branntweinsteuer, Branntweintyphus, amerikanische Temperenzbewegungen und verwandte Gegenstände, sein Dasein zu rechtfertigen.
2. Frenz lenkt den Schulmeister durch ein zweites Glas auf den zunächst zu verarbeitenden Stoff zurück. Er verbreitet sich über das Staatsleben der Bienen und macht Exkurse in das Gebiet der höheren Politik. Die politischen Meinungen in der Gesellschaft schattieren sich: der Alte ist seiner Stellung gemäß Absolutist, Nazi als Majoratserbe konservativ, Frenz als gutes Ding und armes Mädchen liberal, Peter als jüngerer Sohn ultraradikal mit »Nix Pardon«. Der Schulmeister nimmt eine nach allen Seiten vermittelnde Stellung ein.
3. Der gärende Trank beginnt zu wirken. Peters Schattierung nimmt zu, die anderen Farben beginnen sich der seinigen gegenüber zu verschmelzen. Der Alte tut seinen Leibfluch. Über das Fluchen einerseits vom moralisch-sozialen, andererseits vom sprachlichen und mundartlichen Standpunkte. Peter scheidet unfreiwillig aus der Gesellschaft. Über Tumulte im allgemeinen, insbesondere aber mit Beziehung auf die idyllische Poesie. Woran es dem deutschen Tumult im allgemeinen und besonderen fehlt.
4. Nachdem sich die Gegensätze in der Exposition ausgesprochen haben, werden die Charaktere, vornehmlich die des Alten und seines zweiten Sohnes, entwicklungsmäßig dargelegt. Jener hat diesem einmal in früheren Jahren eine unvorsichtige Ohrfeige »hingeschlagen«, wodurch der Junge etwas »hintersinnig« geworden ist. Der Gedanke an diese Tat furcht dem Vater das Gesicht und nagt ihm am Herzen, so daß er vor heimlichem stillen Jammer seinen Peter nicht mehr »schmecken« kann.
5. Feudaler Volksfamilienrat über den Peter, zu welcher Beratung der Schulmeister beigezogen wird. Votum des Alten: Peter, ein Taugenichts. Votum des Nazi: dem des Alten konform, mit unbewußter Hinneigung zu feudal-brüderlich-fruchtlosen Franz von Moorschen Milderungsgründen. Votum der Frenz: unklar angedeutetes geheimes Leid abseiten Peters, worüber sie sich als »dumme Gans«, wie sie sagt, ohne hierin bei den anderen einen Widerspruch zu finden, nicht näher auslassen will. Votum des Schulmeisters: ein in der Entwicklung gestörtes peterliches Exanthem, und zwar höchstwahrscheinlich zurückgetretene Krätze.
6. Peter trinkt einen Rausch. Geschichte des deutschen Wirtshauslebens älterer Zeit, teilweise noch in abgelegeneren Kreisen der Gegenwart lokalisiert. Das deutsche Wirtshaus des Erasmus von Rotterdam, in welchem auch Sir Walter Scott auf der Reise zu Herzog Karl dem Kühnen von Burgund sein Einlager gehalten, mit der notwendigen Berichtigung jedoch, daß keine bessere Herberge des echten süddeutschen Mittelalters ein heimliches Femgericht mit Versenkung besessen hat.
7. Eine Katze stiehlt einen Schinken und entflieht mit ihm unter das Dach. Peter, Frenz und Nazi verfolgen sie. Kunstgrifflich-tendenziöse Beschreibung eines Bauernhauses, dessen Bauart so eingerichtet ist, daß der Rauch, ob nach neuerer Konstruktion mit oder nach älterer ohne Schornstein, alle oberen Räume durchziehen kann. Das konservative Prinzip in der Architektur. Peter geht ab, Nazi und Frenz fangen in der Vogelperspektive des Feudalhofes eine Liebschaft an.
8. Peter trinkt einen Rausch. Über die Weinerzeugung in den deutschen Bundesstaaten und über das Ungeld. Der Zollverein, seine Gegenwart und – nach Österreichs Beitritt – seine Zukunft.
9. Peters Unzufriedenheit mit dem Bestehenden führt zu einer Wirtshausprügelei. Er wird auf einige Zeit zur Haus- und Feldarbeit untüchtig. Über die Zustände der Landchirurgie.
10. Peter wird vom Amt eingesperrt. Über die Amtsgewalt und ihre Grenzen.
11. Häusliche Folgen dieser Einsperrung. Der Schulmeister bemüht sich, der Familie das fehlende Mitglied durch Vorträge über Landwirtschaft, nationalökonomische Raubsysteme und landwirtschaftliche Wandervereine zu ersetzen.
12. Von der Arbeit überhaupt. Feierabende.
13. Peter wird aus dem Gefängnis entlassen. Aufnahme zu Hause. Die Gegensätze steigern sich. Er verlangt eine Ausstattung, um nach Algier zu gehen. Abgelehnt.
14. Peter trinkt einen Rausch und fällt von der Leiter. Über das Turnwesen. Die Turnfeste und die deutschen Regierungen im Vor- und Nachmärz. Fortschritt Zur schwedischen Heilgymnastik.
15. Weinlese. Peter bekommt einen Weinwagen zu führen. Das Frachtfuhrwesen und die Eisenbahnen, oder Weile mit Eile und Eile mit Weile. Der südwestdeutschen Regierungen und des ozeanischen Telegraphenkabels Anschlüsse und Isolierungen. 16. Peter trinkt keinen Rausch, wirft aber seinen Weinwagen um. Der Alte schießt nach ihm, trifft ihn aber nicht. Peter verschwindet aus der Dorfgeschichte.
17. Die Liebschaft zwischen Nazi und Frenz nimmt ein Ende mit einer vorsichtigen Ohrfeige, von seiten des alten Feudalbauern, welche die Köpfe ganz läßt und nur die Herzen bricht. Über das Kiltgehen. Über Natur und Sitte. Über die Volkslieder. Über Liederkränze und Liederfeste.
18. Nazi heiratet zur Zufriedenheit des Alten eine Erbin. Idyllische Beschreibung der Hochzeit, wobei Frenz Brautjungfer ist.
19. Vorträge des Schulmeisters über Ehe und Liebe in den verschiedenen Perioden der Menschheit. Gemischte Ehe. Zivilehe. Staat und Kirche. Konkordat.
20. Winterabende. Vermutungen über die Richtung von Peters Verschwinden. Alle vereinigen sich dahin, daß der verlorene Sohn in Algier sei. Dazwischen häuslich-idyllische Szenen, Schinken und Räucherungsapparate im großen, welche teleologisch-technisch in Bewegung gesetzt werden, um die Aufmerksamkeit des Lesers wiederholt auf die Bauart des Hauses hinzulenken.
21. Der Schulmeister gibt unterhaltende Belehrungen über Abd-El-Kader in seinen Heimatjahren, in Frankreich und Brussa, über Bugeauds Militärkolonialsystem und über die seitherigen Freuden und Leiden der algerischen Kolonie bis zu den Reformplanen des Prinzen Napoleon v. B. Geschichte anderer neuerer Kolonien. Kolonisation oberschwäbischer Lehenshöfe durch schwarzwäldische Teilgemeinden. Kolonialwesen im Altertum und Mittelalter. Zugewandte Orte. Die Reichskolonie Stuttgart unter der Regierung der Reichsstadt Eßlingen, romantische Ulrichshöhle von Anno 1312, bei dem Geschichtschreiber Sattler in den Beilagen. Geschichte Möhringens auf den Fildern, von Konrektor Dr. Karl Pfaff, – eine Dorfgeschichte im wahren Sinn des Worts, nämlich historische Denkwürdigkeiten einer alten, vormals leibeigenen Dorfschaft, von einem anerkannten Geschichtsschreiber bearbeitet, und zwar auf den Wunsch der Gemeinde selbst, die Sinn für ihre Geschichte hat.
22. Der in die Weltgeschichte dahingeschwundene Peter lebt fort in der frenzlichen Seelenwelt. Der Nachtseite dieser Welt entsteigt ein Baum eigensten Gewächses, Grundes und Bodens, daran ein vergoldeter Apfel hängt. Frenz pflückt ihn und findet in seinem Innern unzählige andere hölzerne Äpfel, immer einen im anderen, im Innersten aber einen Brief, darin geschrieben steht, der Peter sei Kaiser von Marokko geworden. Ein Mondregenbogen spannt sich über ihre nächtliche Seelenlandschaft aus. In seiner Beleuchtung erblickt man zu Füßen des Baumes einen einsamen selbstbeschaulichen Grashalm mit zahllosen Seiten voll naturphilosophischer Gefühle und Betrachtungen, und nicht weit davon das Leben eines Ameisenfamilienvolks, ein Stillleben, welches durch das Vorüberschweben eines verklärten Hirschkäfers, weiland Hornschröters, nicht sowohl unterbrochen, als vielmehr nur sanft bewegt und leise gehoben wird.
23. Frenz erzählt ihren Traum. Der Schulmeister gibt belehrende Unterhaltungen über das Kaiserreich Marokko, von statistischtopographischem, maritimem und nasologischem Standpunkt, nicht ohne auf letzterem mit dem Behagen eines Aristoteles zu verweilen, der von seinem Alexander mindestens einen Zentner Schnupftabak erwartet. Der orientalische Krieg bricht ausMan verzeihe den kleinen poetischen Zeitfehler mit Rücksicht auf die anerkennenswerte Tendenz, den Strom der Belehrung ununterbrochen fließen zu lassen. und setzt die Familie, wie das übrige Europa, in morgen- und abendstündliche Konfusion, am meisten jedoch das christliche Herz der Frenz und die nordostmächtliche Nase des Schulmeisters, welche beide nicht mit Marokko brechen können.
24. Ein Doktor und ein Professor bewegen sich, auf einer Frühlingsreise begriffen, vom nächsten Bahnhof nach dem Schauplatz der Erzählung hin, in lebhaftem Gespräche über das Verhältnis zwischen Kartoffelkrankheit und Volksschriftenliteratur. Der alte Lehnsbauer muß ihnen einen Tisch und zween Stühle nebst den erforderlichen Erfrischungen in die schöne Natur stellen lassen. Fortsetzung des Gesprächs, vielfach durch Hammerschläge vom Dache, welches repariert wird, gestört. Ein rheinländischer Hausfreund gesellt sich zu ihnen, der die Unterredung von neuem belebt. Urkalender von 1811. Hof- und Staatskalender bis 1840. Volkskalender, durch Holzschnitte verstärkt, fortschreitend bis 1848. Familienkalender auf 1858, Volkskalender auf 1859, durch Illustrationen gemäßigt. Librationen dieses Kalenders.
25. Das Gespräch wird plötzlich durch einen Verwunderungsruf des Zimmermanns vom Dache, durch ein starkes Gepolter im Hause und ein gellendes Weibergeschrei aus der Küche abgeschnitten. Die beiden Freunde lassen den Hausfreund zurück und eilen hinein. Der Knoten löst sich. Der Zimmermann hat unter dem Dach in der mehrfach vorausmotivierten Finsternis einen Strick, woran ein schwerer Gegenstand, entdeckt und durchhauen, worauf der Gegenstand unversehens inmitten des Küchenpersonals am häuslichen Herd erschienen ist und sich als Peter aus der Fremde, der jedoch den ganzen Winter dem Rauche seines Heimwesens nahe war, zu erkennen gegeben hat.Streng historisch! Furchtbare Folgen dieser Katastrophe. Frenz will in Ohnmacht fallen, wirft sich aber wahnwitzig lachend in die Arme eines eben eintretenden Franziskanermönchs, der aus Schrecken hierüber zur Barfüßernonne wird. Der Alte will sich bekehren und begehrt nach einem Spinozistenkloster. Nazi »hintersinnet« sich gleichfalls, hält nicht nur seine Frau, sondern auch sich selbst für eine Kuh, und will dem Doktor Impfgift zur Heilung des Toten aufdringen. Doktor und Professor salvieren sich aus dem verrückt gewordenen Hause und nehmen den geräucherten Peter mit, geraten aber unterwegs in einen heftigen Tendenzstreit über die Frage, was mit der Mumie zu beginnen sei. Der Doktor will sie mit Gewalt sezieren, der Professor entreißt sie ihm. Rasende Verfolgung und Flucht. Der Professor entkommt, stürzt aber unaufhaltsam durch die Lande fort und fort, von Landschaftsbildern zu See- und Flußgemälden weiter, endlich durch Kaktusgehege, Kautschukbaumalleen, Bambusstauden, staubigen Palmenwald, blühenden Reps, frischgrünes Weizenfeld, das der schneeweiße Ibis bevölkert, durch Überschwemmungslachen zuletzt und tiefen Wüstensand, unter einem ewig wolkenlosen Himmel, an dem schon der Kanopus leuchtet, gerade auf die Pyramiden los,Vgl. Geschichte der Kunst in ihrem Entwicklungsgang durch alle Völker der alten Welt hindurch, auf dem Boden der Ortskunde nachgewiesen von Julius Braun, 1. Band, S. 1, 13, 14ff. lehnt oder knüpft vielmehr an die höchste von ihnen seine Reisegenossin, die Mumie an, studiert eine Weile die älteste, einfachste und vollständigste Dorfgeschichte, die ägyptische, bestehend aus photographisch treu gemalten Abbildungen nationaler Stoffe und Verrichtungen in Haus und Feld, klettert hierauf an der Pyramide empor, berundschaut sich die dunkle Geschichte der frühesten Kolonisation des Delta, läßt ein Blatt, worauf eine urkulturhistorische Novelle, niedersäuseln, und schwingt sich endschließlich von der Zeituhr, die ihm nur noch leise und unbestimmt nachschlägt, in die Urzeit auf. Geheimnisse der Entstehung von Stadt und Land, Land und Meer, Flut und Ebbe, Tag und Nacht, Tier und Pflanze, Baum und Blatt, Mein und Dein, Kind und Kegel. Blick ins All.