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Meine Vorlesungen in Heidelberg.

Meine erste Vorlesung hielt ich über Arzneimittellehre. Als ich sie zu Ende Juli im Lektions-Katalog für das Wintersemester 1856/57 hatte ankündigen wollen, war er bereits abgeschlossen, und ich mußte mich auf eine Anzeige am schwarzen Brett beschränken. Darum war ich sehr angenehm überrascht, als ich gleich in der ersten Stunde beim Beginn der Vorlesung volle Bänke fand. Aus diesem guten Anfang zog ich den Schluß, daß meine Disputation den Studenten besser gefallen hatte, als den Häuptern der Fakultät. Ich hielt die Vorlesung im Hause des Chemikers Dr. Borntraeger, eines gewesenen Assistenten von Woehler und Leopold Gmelin; er hatte ein gut eingerichtetes Laboratorium, worin ich einige Semester arbeitete; auch konnte ich es zu den physiologischen und toxikologischen Versuchen benützen, womit ich meine Vorträge erläuterte.

In den folgenden Semestern las ich außer der Heilmittellehre noch Toxikologie, Psychiatrie, gerichtliche Medizin für Mediziner und Juristen, sowie Anthropologie, auch ein gut besuchtes Publikum über die Hauptfragen der Biologie, ungefähr in der Art von Bichats: »Recherches physiologiques sur la vie et la mort«, habe es auch mit ähnlichen Worten, wie diese, angekündigt.

Der freie Vortrag ist mir nicht leicht geworden; ich brauchte viele Mühe, Zeit und Uebung, bis ich mir eine gewisse Redefertigkeit, wie sie ein Dozent besitzen muß, erwarb. Ich verstehe darunter nicht die Zungenfertigkeit, worüber zuweilen ganz alberne Menschen erstaunlich verfügen, während sie sehr gescheiten und unterrichteten abgeht; diese Fertigkeit ist angeboren und deckt sich nicht mit der Redefertigkeit, welche erworben wird und hoch über ihr steht. Auch bei geringer rednerischer Anlage und widerstrebender Zunge läßt sich die Kunst frei zu reden erlernen.

Anfangs arbeitete ich meine Vorträge, ehe ich sie hielt, sorgfältig auf dem Papier aus, bis ich erkannte, daß ein wissenschaftlicher Aufsatz und ein wissenschaftlicher Vortrag recht verschiedene Dinge sind.

Aufsatz und Vortrag haben zwar den gleichen Zweck, zu belehren, aber das Tempo des Lesens ist in das Belieben des Lesers gestellt, das des Hörens nicht in das Belieben des Hörers. Der Leser mag sich nach Lust Zeit zum Verständnis eines Aufsatzes nehmen, das Lesen unterbrechen und wieder aufnehmen, Gelesenes vergleichend nochmals lesen, um ganz in seinen Sinn einzudringen, es ist ihm volle Freiheit gegeben, dem Hörer nicht. Der Vortrag verwehrt diesem jede Zerstreuung, und zwingt ihn, auf Wort für Wort genau aufzumerken und den Gedankengang mitzugehen, er bedarf einer Sprache, die den Hörer fesselt durch Lebhaftigkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks und sicheres Denken. Lange, wenn auch kunstvolle Perioden, die den Leser vielleicht entzücken, ebenso ein allzu gleichmäßiger, wenn auch wohlgesetzter Gang der Darlegung, der den Leser anspricht, aber den Hörer einschläfert, taugen für den Vortrag nicht. So begreift man auch, da der Vortrag fortgesetzte Aufmerksamkeit verlangt, warum kleine üble Gewohnheiten des Lehrers, die den Hörer zerstreuen, ihn schädigen, so z.&nbsp;B. das Zupfen am Barte, das Räuspern, das Einlegen sinnloser Flickworte u. dgl. mehr.

Um meinen Zweck zu erreichen, beschränkte ich mich deshalb bald darauf, mein Thema auf dem Papier nur zu ordnen und arbeitete auf dieser Grundlage den Vortrag darüber im Kopfe aus. Ich sagte mir ihn, auf- und abgehend, solange ganz oder halb laut vor, bis er sich glatt wie ein Faden von der Spule abwickelte.

Ganz erwünscht war mir der nützliche Rat einiger befreundeten älteren Dozenten, die ungerufen einzig in der Absicht bei mir hospitierten, mich auf etwaige Fehler im Vortrage aufmerksam zu machen. So schärfte mir der geistvolle Jurist Ludwig Knapp zwei goldene Regeln ein. Erstlich solle ich meinen Zuhörern ab und zu eine Ruhepause gönnen, am besten nach jedem natürlichen Abschnitte des gerade gegebenen Themas, um sie vor Ermüdung zu schützen und frisch zu erhalten. Ferner solle ich mich von Anfang gewöhnen, meine Zuhörer im Auge zu behalten; aus ihren Mienen lasse sich am besten entnehmen, ob sie dem Vortrage mit Verständnis folgten. – Gerade die feurigsten Redner laufen Gefahr, sich gegen die erste dieser Regeln zu verfehlen. Der Geschichtsforscher von Treitschke, ein Meister der Rede, wie wenige Zeitgenossen, stürmte in den öffentlichen Vorträgen, die er in den sechziger Jahren als Professor in Freiburg hielt, wie ein Roß ohne Zügel und Bügel ungestüm so darauf los, daß man zuletzt in Sorge geriet, es müsse ihm Atem und Rede ausgehen, und diese peinliche Empfindung schwächte den Eindruck seiner mächtigen Worte.

Für manches schwierige Kapitel meines biologischen Publikums das mir besondere Mühe machte, brauchte ich, nur um des Vortrags Meister zu werden, mehrere Tage lang einige Stunden Vorbereitung. Kurz vor dem Vortrage durfte ich mich jedoch nicht mit Memorieren und Aufsagen quälen, sonst liefen die Sprachräder so holperig, als wäre ihnen das Oel ausgegangen. Auch durfte ich nicht vorher stundenlang in der dumpfen Stube sitzen, am besten geriet der Vortrag, wenn ich mich vorher ein Stündchen im Freien erging.

Man sieht, ich habe mir redliche Mühe gegeben; doch habe ich es nicht, wie andre glücklicher angelegte Kollegen, zum Improvisator auf dem Katheder gebracht. So lange ich lehrte, fast 42 Jahre, mußte ich mich auf jede Vorlesung vorbereiten; der klinische Unterricht allein ließ eine Vorbereitung nur teilweise zu. Aber jederzeit hat mir das Dozieren viel Freude gemacht und heute noch, nachdem ich längst aus dem Lehramte geschieden bin, träume ich am angenehmsten, wenn ich vor aufmerksamen Zuhörern vortrage oder Kranke demonstriere. In meinen schlimmsten Träumen aber sitze ich wieder auf der Schulbank und schwitze im vergeblichen Bemühen, griechische Verba zu konjugieren. Nie aber, auch in meinen besten Zeiten nicht, ging meine Lust zu dozieren so weit, wie bei dem Erlanger Pandektisten an der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert, von dem die Legende berichtet, er habe sich für die Ferien einen armen Studenten gemietet, dem er täglich eine Stunde lang römisches Recht vortrug.

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