de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hunderteinundvierzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil..

Was ist denn los, meine schöne Freundin, daß ich gar keine Antwort von Ihnen bekomme? Mein letzter Brief schien mir doch eine zu verdienen; und seit drei Tagen, die ich sie schon haben müßte, warte ich noch darauf! Ich bin etwas ärgerlich darüber, und werde Ihnen darum auch gar nichts von meinen großen Angelegenheiten erzählen.

Daß unsere Versöhnung ein voller Erfolg war; daß sie statt Mißtrauen und Vorwürfe nur neue Zärtlichkeiten hervorrief; daß jetzt ich es bin, der die Entschuldigungen und das Wiedergutmachen entgegennimmt, die meiner bezweifelten Unschuld gebühren – davon erfahren Sie mehr kein Wort, und wäre nicht das unvorhergesehene Ereignis der letzten Nacht, würde ich Ihnen überhaupt nicht schreiben. Aber da das Ihr Mündel angeht, und sie wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird, selber zu schreiben, wenigstens nicht auf einige Zeit hinaus, so übernehme ich es.

Aus Gründen, die Sie erraten oder die Sie nicht erraten, beschäftigte mich Frau von Tourvel seit einigen Tagen nicht mehr; und da diese Gründe bei der kleinen Volanges nicht in Betracht kamen, war ich bei ihr um so eifriger. Dank dem gefälligen Türhüter hatte ich keine Hindernisse mehr zu überwinden, und Ihr Mündel und ich wir führten ein bequemes, geregeltes Leben. Aber die Gewohnheit macht nachlässig. Die ersten Tage konnten wir nie genug für unsere Sicherheit tun; wir zitterten noch hinter Riegeln. Gestern nun hat eine unglaubliche Zerstreutheit das Unglück verursacht, von dem ich Ihnen zu berichten habe; und wenn ich für meinen Teil mit dem Schrecken davongekommen bin, kostet er dem kleinen Mädchen um so mehr.

Wir schliefen nicht, lagen aber in schöner Ruhe und Ermüdung, die auf die Lust folgen, als wir auf einmal die Tür aufgehen hörten. Sogleich springe ich zu meinem Degen, ebensowohl zu meiner Verteidigung als zu der unseres Mündels. Ich trete vor und sehe niemand; aber die Tür stand offen. Da wir Licht hatten, ging ich auf die Suche, fand aber keine lebendige Seele. Dann erinnerte ich mich, daß wir unsere gewöhnlichen Verhaltungsmaßregeln vergessen hatten. Zweifellos war die nur angelehnte oder schlecht geschlossene Tür von selbst wieder aufgegangen.

Wie ich nun meine furchtsame Gefährtin wieder aufsuchte, um sie zu beruhigen, fand ich sie nicht mehr im Bett. Sie war zwischen Bett und Wand gefallen oder hatte sich dahin geflüchtet, kurz, sie lag da ohne Bewußtsein und mit heftigen Zuckungen. Stellen Sie sich meine Verlegenheit vor! Es gelang mir aber, sie wieder ins Bett und sogar wieder zu sich zu bringen. Aber sie hatte sich beim Sturz verletzt, und es dauerte nicht lange, als auch die Folgen davon eintraten.

Unterleibschmerzen, heftige Koliken und andere noch deutlichere Symptome klärten mich bald über ihren Zustand auf. Um ihr aber das auseinanderzusetzen, mußte ich ihr erst den Zustand erklären, in dem sie sich vorher befand; denn sie ahnte ihn nicht. Vielleicht hat niemals eine sich so viel Unschuld bewahrt – und daher so gut alles gemacht, was nötig ist, um sie loszuwerden! O, die Kleine verliert keine Zeit mit Nachdenken!

Aber viel Zeit verlor sie mit Jammern, und ich mußte zu einem Entschluß kommen. Ich stellte ihr also vor, ich wollte sofort zu dem Hausarzt und zum Chirurgen gehen, sie darauf vorbereiten, daß man sie holen würde, um ihnen dabei unter dem Siegel der Verschwiegenheit alles anvertrauen. Sie solle ihrerseits ihrer Kammerfrau läuten, ihr alles sagen oder auch nicht, ganz wie sie wollte, aber nach Hilfe schicken und vor allem verbieten, daß man Frau von Volanges wecke; zarte und natürliche Aufmerksamkeit einer Tochter, die befürchtet, ihre Mutter zu beunruhigen.

Ich machte meine zwei Gänge und meine zwei Berichte so rasch ich nur konnte, und ging von da nach Hause, und bin seither nicht wieder ausgegangen. Der Chirurg, den ich schon früher anderweitig kannte, ist mittags gekommen, und hat mir Bericht über den Zustand der Kranken gebracht. Ich hatte mich nicht geirrt; aber er hofft, wenn kein Zufall dazu kommt, wird man im Hause nichts merken. Die Kammerfrau ist mit im Geheimnis; der Arzt hat der Krankheit einen Namen gegeben, und die Geschichte wird arrangiert werden wie tausend andere, falls es uns nicht einmal nützen kann, daß davon gesprochen wird.

Gibt es aber denn noch so etwas wie ein gemeinsames Interesse zwischen Ihnen und mir? Ihr Schweigen läßt es mich bezweifeln; ich würde es überhaupt nicht mehr glauben, wenn der Wunsch nicht da wäre und ich mir darum nicht mit allen Mitteln die Hoffnung erhalten möchte.

Adieu, meine schöne Freundin, ich umarme Sie unter Vorbehalt meines Ärgers.

Paris, den 21, November 17..


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