de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundsechsundfünfzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an den Chevalier Danceny.

Schon zweimal war ich bei Ihnen, lieber Chevalier, aber seitdem Sie die Rolle des Liebenden mit der des Weiberhelden vertauscht haben, sind Sie, wie begreiflich, unauffindbar geworden. Ihr Kammerdiener hat mir jedoch versichert, daß Sie diesen Abend nach Hause kommen würden und daß er Befehl habe, auf Sie zu warten. Ich aber, der ich von Ihren Plänen unterrichtet bin, habe sehr wohl verstanden, daß Sie nur auf einen Augenblick nach Hause kommen würden, um sich für die bewußte Gelegenheit umzuziehen und alsbald wieder Ihren Siegeslauf aufzunehmen. Sie haben meinen Beifall. Aber vielleicht werden Sie für heute abend versucht sein, die Richtung besagten Laufes zu ändern. Sie kennen erst die Hälfte Ihrer Geschäfte, – ich muß Sie über die andere Hälfte aufklären, dann können Sie entscheiden. Nehmen Sie sich deshalb die Zeit, meinen Brief zu lesen. Womit Sie von Ihren Vergnügungen nicht abgezogen werden sollen, da dieser Brief im Gegenteil ja keinen andern Zweck hat, als Ihnen zwischen mehreren Vergnügungen die Wahl zu lassen.

Wenn ich Ihr volles Vertrauen besessen und von Ihnen den Teil Ihrer Geheimnisse erfahren hätte, den Sie mir zu erraten überlassen haben, wäre ich zur rechten Zeit unterrichtet worden, und mein Eifer würde nicht so ungeschickt wie heute Sie nicht in Ihrem Vorgehen hindern. Aber gehen wir von da aus, wo wir stehen. Wofür, immer Sie sich auch entscheiden, Ihr schlimmster Entscheid würde für andere noch immer das Glück sein.

Sie haben für diese Nacht ein Stelldichein, nicht wahr? Mit einer charmanten Frau, die Sie anbeten? Denn wo ist in Ihrem Alter die Frau, die man nicht anbetet, wenigstens die ersten acht Tage! Der Ort der Handlung soll Ihre Vergnügen noch erhöhen. Ein entzückendes kleines Haus, das man »nur für Sie angeschafft hat«, soll die Lust verschönen mit dem Reize der Freiheit und dem des Geheimnisses. Alles ist abgemacht, man erwartet Sie, und Sie brennen darauf, hinzugehen. Das ist es, was wir alle beide wissen, obschon Sie mir nichts davon gesagt haben. Jetzt kommt das, was Sie nicht wissen, und was ich Ihnen sagen muß.

Seitdem ich wieder in Paris bin, sann ich auf Mittel, Sie Fräulein von Volanges näher zu bringen: ich hatte es Ihnen versprochen; und noch das letztemal, als ich Ihnen davon sprach, konnte ich aus Ihren Antworten, ich möchte sagen aus Ihrer Leidenschaft schließen, daß ich mich mit Ihrem Glücke beschäftigte. Ich konnte dieses schwierige Unternehmen nicht allein zu gutem Ende bringen; ich überließ, nachdem ich die Wege gebahnt hatte, das übrige dem Eifer Ihrer jungen Geliebten. Sie hat in ihrer Liebe Hilfe gefunden, die meiner Erfahrung fehlten; und ihr Unglück will, daß es ihr gelang. Seit zwei Tagen, hat sie mir heute abend gesagt, sind alle Hindernisse überwunden, und Ihr Glück hängt nur noch von Ihnen ab.

Seit zwei Tagen schmeichelte sie sich, Ihnen diese Neuigkeit selbst mitzuteilen, und trotz der Abwesenheit der Mama wären Sie empfangen worden. Aber Sie haben sich überhaupt nicht gezeigt! Und, um Ihnen alles zu sagen, sei es nun Laune oder Vernunft, das kleine Fräulein schien mir etwas geärgert über diesen Mangel an Eifer Ihrerseits. Endlich hat sie es dann möglich gemacht, daß auch ich zu ihr kommen konnte, und hat mir das Versprechen abgenommen, Ihnen sobald wie möglich beiliegenden Brief zu übergeben. Aus ihrer Dringlichkeit dabei ist anzunehmen, und möchte ich wetten, daß es sich um ein Stelldichein für heute abend handelt. Wie dem auch sei, ich habe auf Ehre und Freundschaft versprochen, daß Sie das zärtliche Schreiben noch im Laufe des Tages haben sollten, und ich kann und will mein Wort nicht brechen.

Was, junger Mann, wollen Sie nun tun? Sie sind zwischen Eitelkeit und Liebe gestellt, zwischen Vergnügen und Glück – wo wird Ihre Wahl liegen? Spräche ich zu dem Danceny von vor drei Monaten, oder auch nur zu dem von vor acht Tagen, dann wäre ich seines Herzens und so auch seines Entschlusses sicher. Wird aber der Danceny von heute, um den die Frauen sich reißen, der auf Abenteuer geht und wie es der Brauch ist, etwas ruchlos geworden ist, – wird dieser Danceny ein junges, schüchternes Mädchen, das nur seine Schönheit, seine Unschuld und seine Liebe für sich hat, den Annehmlichkeiten einer vollkommen »erfahrenen« Frau vorziehen?

Lieber Freund, mir scheint es, daß selbst bei Ihren neuen Grundsätzen, zu denen ich mich ja immerhin auch ein wenig bekenne, die Umstände mich die junge Geliebte wählen ließen. Einmal ist es eine mehr, und dann das Neue und auch die Angst, die Sie haben müssen, die Frucht Ihrer Mühen zu verlieren, wenn Sie versäumen, sie zu pflücken. Denn schließlich hätten Sie, von dieser Seite gewonnen, wirklich eine Gelegenheit versäumt, und die kehrt nicht immer wieder, besonders wenn es wie hier eine erste Schwäche ist. Oft braucht es in einem solchen Falle nur einen Augenblick Verstimmung, einen eifersüchtigen Verdacht, ja weniger noch, um den schönsten Sieg zu verhindern. Die ertrinkende Tugend klammert sich manchmal an einen Strohhalm; einmal aber erst so davongekommen, sieht sie sich vor und läßt sich nicht leicht wieder beikommen.

Und was riskieren Sie drüben? Nicht einmal den Bruch; einen kleinen Zank höchstens, wobei man mit einigen Nettigkeiten das Vergnügen einer Aussöhnung sich erkauft. Was bleibt denn einer Frau, die sich schon ergeben hat, anderes übrig als die Nachsicht? Was gewänne sie mit der Strenge? Den Verlust ihres Vergnügens, ohne Gewinn für ihren Ruhm.

Wenn Sie, wie ich vermute, sich für die Liebe entscheiden, die mir auch die Vernunft für sich zu haben scheint, so gebietet, glaube ich, die Klugheit, daß Sie sich bei dem versäumten Stelldichein nicht entschuldigen. Lassen Sie ganz einfach auf sich warten; wenn Sie mit einem Grund daher kommen, wird man vielleicht versucht sein, ihn zu prüfen. Die Frauen sind neugierig und hartnäckig; alles kann herauskommen. Ich bin, wie Sie sehen, ein Beispiel dafür, eben jetzt. Aber wenn Sie die Hoffnung bestehen lassen, die ja von der Eitelkeit unterstützt wird, so wird man sie erst lange nach der zu Erkundigungen geeigneten Stunde aufgeben; dann können Sie morgen das unüberwindliche Hindernis suchen, das Sie abgehalten hat. Sie sind krank gewesen, tot, wenn es sein muß, oder irgend sonst was, worüber Sie verzweifelt sind, und alles kommt wieder in Ordnung.

Wozu Sie sich übrigens entscheiden, ich bitte Sie nur, mich davon zu unterrichten; und da ich nicht dabei interessiert bin, werde ich alles recht finden, was Sie tun. Adieu, lieber Freund.

Was ich noch beifügen wollte ist, daß ich Frau von Tourvel sehr bedauere. Die Trennung von ihr bringt mich in Verzweiflung. Ich möchte die Hälfte meines Lebens für das Glück hergeben, ihr die andere weihen zu dürfen. Ach, glauben Sie mir, glücklich ist man nur in der Liebe.

Paris, den 5. Dezember 17..


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