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Erster Teil

Pracht und Galanterie sind nie mit mehr Glanz in Frankreich hervorgetreten als in den letzten Jahren der Herrschaft Heinrichs II. Dieser König war liebenswürdig, schön und verliebt. Wiewohl seine Neigung zu Diana von Poitiers, der Herzogin von Valentinois, schon länger als zehn Jahre bestehen mochte, war sie nichtsdestoweniger leidenschaftlich, und er bezeugte sie ihr durch auffallende Beweise.

Da er in allen Übungen des Körpers mit bewundernswerten Erfolgen gekrönt war, machte er sie zu einer seiner Hauptbeschäftigungen. Jeden Tag gab es Reit- und Ballspiele, Tanzfeste, Ringstechen oder ähnliche Belustigungen, überall ließen sich Madame de Valentinois' Farben und Namenszüge sehen, und sie selber erschien mit der reich geschmückten Mademoiselle de la Marck, ihrer Enkelin, die gerade mannbar geworden war.

Der Königin Gegenwart ließ auch die ihrige zu. Diese Fürstin war schön, wennschon die erste Jugend hinter ihr lag, und liebte Pracht und Vergnügungen. Der König hatte sie geheiratet, als er noch Herzog von Orleans war und sein ältester Bruder, der Dauphin, noch lebte, welcher zu Tournon starb, ein Fürst, den Geburt und hohe Gaben würdig machten, den Platz seines Vaters, des Königs Franz' I., auszufüllen.

Ihr ehrgeiziges Gemüt ließ die Königin die Herrschaft als eine Wohltat empfinden; es schien, daß sie ohne Kummer des Königs Liebe zu der Herzogin von Valentinois duldete, auch bezeigte sie keine Eifersucht darüber; doch konnte sie sich so gut verstellen, daß es schwer war, ihre Gefühle zu beurteilen; die Klugheit aber verpflichtete sie, die Herzogin an sich zu fesseln, um damit auch den König für sich zu haben.

Der König liebte die Gesellschaft der Frauen, sogar auch derjenigen, in die er nicht verliebt war. Er weilte alle Tage zur Stunde des Empfangs bei der Königin, wo alles, was es am Hofe an Adel und Schönheit des einen wie des andern Geschlechts gab, sich einzufinden nicht verfehlte.

Niemals sah der Hof so viele schöne Frauen und so vollendet wohlgestaltete Männer; es schien, als ob sich die Natur ein Vergnügen daraus gemacht habe, das zu schaffen, was sie den erlauchtesten Fürstinnen und den erhabensten Fürsten an Schönheit gab. Elisabeth von Frankreich, welche später Spaniens Königin wurde, begann einen überraschenden Geist und jene unvergleichliche Schönheit sehen zu lassen, die ihr so verderblich wurde. Maria Stuart, Schottlands Königin, welche gerade Monsieur le Dauphin geheiratet hatte, und die man Madame la Dauphine nannte, war ein vollkommenes Wesen, was Geist und Körper anging. Sie war am französischen Hofe erzogen worden, hatte sich all seine Höfischkeit zu eigen gemacht, und war mit vielen Neigungen für alles Schöne geboren, welches sie trotz ihrer Jugend liebte und besser als irgendein anderer kannte. Die Königin, ihre Schwiegermutter, und Madame, des Königs Schwester, liebten ebenfalls die Dichtungen, die Komödie und die Musik: Die Freude, welche König Franz I. an der Dichtung und den Wissenschaften gehabt hatte, lebte noch in Frankreich; der König, sein Sohn, aber liebte die körperlichen Übungen, und all diese Unterhaltungen fanden ihre Pflege am Hofe. Was jedoch diesen Hof schön und erhaben machte, war die unzählige Menge Fürsten und großer Herren von außerordentlichem Verdienste. Die ich aufzählen will, waren, jeder in seiner Weise, die Zierde und die Bewunderung ihres Jahrhunderts.

Der König von Navarra lenkte die Ehrfurcht der ganzen Welt dank der Höhe seines Ranges und durch das auf sich, was durch seine Person hervortrat. Er zeichnete sich im Kriege aus, und der Herzog von Guise veranlaßte ihn zu einem Wetteifer, welcher ihn zu mehreren Malen bestimmte, eine Generalsstellung aufzugeben, um unter ihm als einfacher Soldat an den gefährlichsten Stellen zu kämpfen. Wahrlich hatte dieser Herzog Beweise einer so bewundernswerten Tapferkeit gegeben und hatte so glückliche Erfolge errungen, daß es überhaupt keinen großen Feldherrn gab, der ihn nicht mit Neid betrachten mußte.

Seine Tapferkeit ward durch alle anderen großen Eigenschaften unterstützt; er hatte einen tiefen und umfassenden Verstand, eine edle und erhabene Seele und eine gleiche Befähigung für den Krieg wie für Staatsgeschäfte. Sein Bruder, der Kardinal von Lothringen, war mit einem maßlosen Ehrgeiz, mit einem lebhaften Geist und einer bewundernswerten Beredsamkeit geboren und hatte sich ein reiches Wissen angeeignet. Dessen bediente er sich, um sich hervorzutun, indem er die katholische Religion verteidigte, welche angegriffen zu werden begann. Der Chevalier de Guise, den man später den großen Prior nannte, war ein Fürst, welchen jedermann lieb hatte, wohlgebaut, voll Geist, voll List und von einer Tapferkeit, die in ganz Europa berühmt war. Der Prinz von Condé war durch einen kleinen Körperbau wenig von der Natur begünstigt, hatte aber eine edle und große Seele und einen Witz, welcher ihn in den Augen selbst der schönsten Frauen liebenswert machte. Der Herzog von Nevers, dessen Leben durch den Krieg und die großen Taten, die er vollführt hatte, ruhmreich war, bildete, obschon er in einem vorgerückteren Alter stand, die Wonne des Hofes. Er hatte drei vollkommen wohlgestaltete Söhne, deren zweiter, welchen man den Prinzen von Cleve nannte, würdig war, den Ruhm seines Namens zu behaupten; dieser war tapfer und prachtliebend und besaß eine Klugheit, wie man sie sonst nicht bei der Jugend findet. Der Vizedom von Chartres, abstammend von dem alten Hause von Vendôme, dessen Namen Prinzen von Geblüt nicht zu tragen verschmähten, tat sich ebenfalls im Kriege und in der Galanterie hervor. Er war schön, von edlem Wuchse, kräftig, kühn, höfisch: Alle diese guten Eigenschaften umstrahlten ihn; schließlich war er allein nur würdig, mit dem Herzog von Nemours verglichen zu werden, wenn jemand mit ihm hätte verglichen werden können. Doch dieser Fürst war ein Meisterwerk der Natur: Was ihn weniger bewundernswert machte, war, daß er der schönste und wohlgebauteste Mann der Welt war, was ihn über die anderen stellte, war eine unvergleichliche Stärke und eine Anmut des Geistes, der Gesichtszüge und seiner Handlungen, wie man sie an niemandem wie nur an ihm gesehen hat. Er war von einer Fröhlichkeit, welche Männern wie Frauen gleich gut gefiel, er besaß eine außergewöhnliche Gewandtheit in allen Übungen, eine Art, sich zu kleiden, die stets von jedermann nachgeahmt wurde, ohne daß man sie erreichen konnte, und endlich ein gewisses Etwas an seiner Person, welches bewirkte, daß er an allen Orten, wo er erschien, immer sofort auffiel. Es gab keine Dame am ganzen Hofe, deren Ruhm es nicht geschmeichelt hätte, ihn an sich gefesselt zu sehen; ihrer wenige, denen er sich genähert hatte, konnten sich rühmen, ihm widerstanden zu haben, und selbst manche, denen er keine Neigung bezeugt hatte, hatten es nicht unterlassen können, sich für ihn zu entflammen. Er besaß so viel Herzlichkeit und so viele Anlage zur Galanterie, daß er denen, die ihm zu gefallen trachteten, keine Aufmerksamkeiten versagen konnte. Daher hatte er mehrere Geliebte; doch ließ es sich schwer sagen, welche er wahrhaft liebte. Er ging oft zu Madame la Dauphine; dieser Fürstin Schönheit und Liebreiz, die Sorgfalt, die sie anwendete, jedermann zu gefallen, und die besondere Wertschätzung, die sie dem Prinzen beimaß, gaben oft Grund zu der Vermutung, daß er die Augen bis zu ihr erhob. Die Herzöge von Guise, deren Nichte sie war, hatten ihr Ansehen und ihren Einfluß besonders durch deren Heirat sehr vermehrt; ihr Ehrgeiz ließ sie danach streben, den Prinzen von königlichem Geblüte gleichzukommen und die Macht des Konnetabel von Montmorency zu teilen. Ihm überließ nämlich der König den größeren Teil der Verwaltung der Staatsgeschäfte; der Herzog von Guise und der Marschall von Saint André aber waren seine Günstlinge. Wer jedoch durch Gunst oder Geschäfte dem Könige nahekam, der konnte nur bestehen, wenn er sich der Herzogin von Valentinois unterworfen hatte; und wiewohl sie nunmehr weder jung noch schön war, beherrschte sie ihn doch mit so unumschränkter Macht, daß man sie die Herrin seiner Person und des Reiches nennen konnte.

Der Konnetabel hatte dem Könige stets nahegestanden; und sobald er zu herrschen begann, rief er ihn aus der Verbannung zurück, in welche ihn König Franz I. geschickt hatte. Der Hof schlug sich zu dem Herzog von Guise und dem Konnetabel, welcher zu den Prinzen königlichen Geblütes gezählt wurde. Die eine wie die andere Partei war stets darauf bedacht, die Herzogin von Valentinois für sich zu gewinnen. Der Herzog von Aumale, des Herzogs von Guise Bruder, hatte ihrer Töchter eine geheiratet, der Konnetabel strebte nach einer gleichen Verbindung. Er begnügte sich nicht, seinen ältesten Sohn mit Madame Diana verheiratet zu haben, der Tochter des Königs und einer Dame aus Piemont, welche sogleich, nachdem sie geboren hatte, in ein Kloster gegangen war. Dieser Heirat hatten sich viele Hindernisse entgegengestellt infolge des Eheversprechens, welches Monsieur de Montmorency Mademoiselle de Piennes, einer Ehrendame der Königin, gegeben hatte. Und obwohl ihn der König mit einer außerordentlichen Geduld und Güte behandelte, fühlte sich der Konnetabel nicht eher ganz beruhigt, bis er sich der Herzogin von Valentinois versichert und sie mit den Messieurs de Guise aneinandergebracht hatte, deren Macht der Herzogin bereits Ursache zur Unruhe gab. Sie hatte des Dauphins Heirat mit der Königin von Schottland, solange sie es vermochte, hintertrieben. Die Schönheit und der umfassende und fortschrittliche Geist dieser jungen Königin, und die Erhöhung, welche diese Heirat den Messieurs de Guise einbrachte, waren ihr unerträglich. Vor allem haßte sie den Kardinal von Lothringen; er hatte von ihr mit Bitterkeit, ja sogar mit Verachtung gesprochen; sie sah, daß er Verbindungen mit der Königin anknüpfte. So fand sie denn der Konnetabel bereit, sich mit ihm durch die Heirat Mademoiselle de la Mareks mit Monsieur d'Anville zu verbinden; dieser war sein zweiter Sohn, welcher ihm unter der Herrschaft Karls IX. in seiner Würde folgte. Der Konnetabel glaubte in Monsieur d'Anvilles Gemüt keine Hindernisse für eine Heirat zu finden, wie sie sich im Gemüte Monsieur de Montmorencys eingestellt hatten. Doch obwohl ihm die Gründe hierfür verborgen geblieben waren, die Schwierigkeiten waren hier nicht sehr viel geringer. Monsieur d'Anville war heftig in Madame la Dauphine verliebt, und wie wenige Hoffnungen diese Leidenschaft für ihn auch zuließ, er konnte sich nicht entschließen, eine Verbindung einzugehen, welche seine Aufmerksamkeiten teilen würde. Der Marschall von Saint André war der einzige am Hofe, welcher keiner Partei angehörte. Er war einer der Günstlinge, und seine Gunst hing nur von persönlichen Gründen ab. Der König liebte ihn schon als Dauphin und hatte ihn später in einem Alter zum Marschall von Frankreich ernannt, in dem man wahrlich gewöhnlich noch nicht an die geringste Würde denkt. Seine Gunst gab ihm ein Ansehen, welches er durch seine Verdienste, durch seine persönliche Anmut, durch die Auserlesenheit seines Tisches und seines Hausrates und durch die größte Pracht behauptete, die man jemals bei einem Privatmanne sah. Die Freigebigkeit des Königs gestattete diesen Aufwand; der Fürst verschwendete beinahe für die, welche er lieb hatte. Nicht aller großen Eigenschaften war er teilhaftig, doch besaß er ihrer mehrere, und vor allem die, den Krieg zu lieben und ihn von Grund auf zu verstehen. Auch hatte er glückliche Erfolge in ihm errungen, und wenn man von der Schlacht bei Saint Quentin absieht, ist seine Herrschaft eine lange Folge von Siegen gewesen. Er eigens hatte die Schlacht bei Renty gewonnen; Piemont war erobert, die Engländer aus Frankreich vertrieben, und Kaiser Karl V. hatte sein großes Glück vor der Stadt Metz dahinschwinden sehen, welche er vergebens mit allen Heeren des Kaiserreichs und Spaniens belagert hatte. Obschon das Unglück von Saint Quentin unsere Hoffnung auf Eroberungen verringerte und sich das Glück zwischen beiden Königen hielt, so fanden sie sich allmählich doch zum Frieden gestimmt.

Zur Zeit der Heirat Monsieur le Dauphins hatte die Herzoginwitwe von Lothringen begonnen, einige diesbezügliche Vorschläge zu machen, und es fanden immer einige geheime Verhandlungen seit diesen Tagen statt; endlich wurde Cercan, im Lande Artois, als Ort erwählt, wo man zusammenkommen sollte. Der Kardinal von Lothringen, der Konnetabel von Montmorency und der Marschall von Saint André stellten sich dort für den König ein. Der Herzog von Alba und der Fürst von Oranien für Philipp II; der Herzog und die Herzogin von Lothringen aber spielten die Vermittler. Die wichtigsten Punkte bildeten die Heirat Madame Elisabeths von Frankreich mit Don Carlos, dem Infanten von Spanien, und die Madames, der Schwester des Königs, mit dem Herrn von Savoyen.

Der König weilte indessen an der Grenze und empfing daselbst die Nachricht vom Tode der Königin Maria von England. Er sandte daher den Grafen von Randan an Elisabeth, um sie zu ihrer Thronbesteigung zu beglückwünschen; sie aber empfing ihn mit Freuden, denn um ihre Rechte war es so schlecht bestellt, daß es vorteilhaft für sie war, sich vom Könige anerkannt zu wissen. Der Graf fand sie wohlunterrichtet von den Angelegenheiten des französischen Hofes und dem Verdienste derer, die ihn bildeten; vor allem aber fand er sie erfüllt von dem Rufe des Herzogs von Nemours. Sie hatte zu often Malen von ihm gesprochen, daher sagte denn auch Monsieur de Randan, als er zurückgekommen war und dem Könige über seine Reise Bericht ablegte, daß er bestimmt glaube, sie sei willens, ihn zu heiraten. Der König sprach noch selbigen Abends mit dem Herzog darüber, ließ ihm von Monsieur de Randan alle seine Unterredungen mit der Königin Elisabeth erzählen und riet ihm, dies große Glück auszunutzen. Monsieur de Nemours glaubte anfänglich, der König spräche nicht im Ernst zu ihm; als er jedoch das Gegenteil merkte, sagte er dawider: »Zum mindesten, Sire, bitte ich, wenn ich mich auf Rat und zu Diensten Eurer Majestät zu solch einem trügerischen Unternehmen einschiffe, dies als Geheimnis ansehen zu wollen, bis mich der Erfolg vor der Öffentlichkeit rechtfertigt und mich nicht voll einer so maßlosen Eitelkeit erscheinen läßt, zu glauben, daß mich eine Königin, die mich niemals gesehen, aus Liebe heiraten will!« Der König versprach ihm, nur mit dem Konnetabel über dies Vorhaben zu sprechen, und hielt selbst die Geheimhaltung um des Erfolges willen für notwendig. Monsieur de Randan riet dem Herzoge von Nemours, unter dem einfachen Vorwande einer Reise nach England zu gehen, doch der Fürst konnte sich nicht dazu entschließen und sandte Lignerolle nach dort, welcher sein junger und geistreicher Günstling war, um die Gefühle der Königin zu erforschen und sich zu bemühen, Beziehungen anzuknüpfen. Den Ausgang dieser Reise abwartend, besuchte er den Herzog von Savoyen, welcher damals mit dem spanischen Könige in Brüssel weilte. Maria von Englands Tod stellte dem Frieden große Hindernisse in den Weg; Ende November löste sich die Versammlung auf, und der König kehrte nach Paris zurück.

*

Es erschien damals eine Schöne am Hofe, welche aller Augen auf sich zog, und man muß annehmen, daß sie eine vollendete Schönheit war, zumal sie an einem Orte, wo man schöne Frauen zu sehen gewohnt war, alles zur Bewunderung hinriß.

Sie entstammte derselben Familie, welcher der Vizedom von Chartres entsprossen war, und war eine der angesehensten Erbinnen Frankreichs. Ihr Vater war jung gestorben und hatte sie unter Madame de Chartres', seines Weibes, Obhut zurückgelassen, deren Tugend, Güte und Wert außergewöhnlich waren. Nachdem sie ihren Gatten verloren, ließ sie mehrere Jahre verstreichen, ohne an den Hof zu kommen. Während dieses Fernseins hatte sie alle ihre Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter verwendet; doch arbeitete sie nicht allein an der Pflege ihres Geistes und ihrer Schönheit, sie war auch darauf bedacht, ihr Tugend einzuprägen und sie liebenswert zu machen. Die meisten Mütter meinen, wenn sie niemals vor jungen Mädchen von Liebesabenteuern sprächen, so genüge das, um sie von ihnen fernzuhalten. Madame de Chartres war gegenteiliger Ansicht, sie sprach zu ihrer Tochter oft von der Liebe und zeigte ihr, was ihren Reiz ausmacht, um sie viel leichter von dem zu überzeugen, was sie für gefährlich an ihr hielt. Sie erzählte ihr denn von der geringen Aufrichtigkeit der Männer, ihren Täuschungen, ihrer Untreue, von dem häuslichen Unglück, wenn sie sich in Liebesverhältnisse einließen, und ließ sie andererseits wissen, welche Ruhe das Leben einem ehrenhaften Weibe gönne, wieviel Glanz und Ruhm die Tugend einem Menschenkinde gewähre, welches schön und hochgeboren sei. Auch ließ sie sie erkennen, wie schwer es war, diese Tugend durch ein äußerstes Mißtrauen gegen sich selbst zu bewahren, und durch eine lebhafte Sorge, dem nachzustreben, welches einzig das Glück eines Weibes ausmacht: nämlich seinen Mann zu lieben und von ihm wiedergeliebt zu werden.

Diese Erbin war damals eine der angesehensten und heiratsfähigen Frauen, die es in Frankreich gab; und wiewohl sie noch sehr jung war, hatte man ihr schon mehrere Heiraten vorgeschlagen. Madame de Chartres freilich, die außerordentlich stolz war, fand beinahe niemanden, den sie ihrer Tochter würdig hielt, und als sie sie sechzehn Jahre alt sah, wollte sie sie an den Hof bringen. Wie sie dort angelangt war, suchte sie der Vizedom auf. Er war aufs äußerste überrascht über Mademoiselle de Chartres' außergewöhnliche Schönheit und hatte allen Grund, überrascht zu sein. Die Zartheit ihrer Hautfarbe und ihre blonden Haare gewährten ihr einen Reiz, wie man ihn nur an ihr sah; alle ihre Gesichtszüge waren regelmäßig, und ihr Antlitz und ihre Gestalt strahlten von Anmut und Holdseligkeit.

Am Morgen nach ihrer Ankunft ging sie aus, um sich Geschmeide bei einem Italiener auszusuchen, der für jedermann einen Handel damit trieb. Dieser Mann war mit der Königin aus Florenz gekommen und hatte sich dermaßen an seinem Handel bereichert, daß sein Haus eher dem eines Edelmannes als dem eines Kaufmannes glich. Als sie da nun weilte, kam der Prinz von Cleve dorthin und ward derart von ihrer Schönheit hingerissen, daß er seine Überraschung nicht zu bergen vermochte. Mademoiselle de Chartres konnte ein Rotwerden nicht meistern, wie sie die Bewunderung sah, zu der sie ihn hingerissen hatte. Nichtsdestoweniger bezeigte sie den Handlungen des Prinzen dem Anscheine nach keine andere Aufmerksamkeit, als es ihr die Höflichkeit einem vornehmen Manne gegenüber, wie er einer zu sein schien, erlaubte. Monsieur de Cleve betrachtete sie voll Entzücken und konnte es nicht fassen, daß er dies schöne Mädchen nicht kannte. Er sah an ihrer Haltung und an ihrer Gefolgschaft nur zu gut, daß sie von hohem Stande sein mußte. Ihre Jugend aber ließ ihn glauben, daß sie noch Mädchen sei, doch sah er ihre Mutter nicht bei ihr, und der Italiener, welcher sie nicht kannte, redete sie Madame an. Er wußte nicht, was er davon zu halten hatte, und betrachtete sie immer voll Erstaunen. Und bemerkte, daß seine Blicke sie gegen die Gewohnheit junger Frauenzimmer, die stets mit Freude den Eindruck ihrer Schönheit bemerken, verwirrten. Es schien ihm gar, als ob er die Ursache sei, daß sie ungeduldig wurde fortzugehen, und in der Tat, sie ging ziemlich schnell fort. Monsieur de Cleve tröstete sich, als er sie aus dem Auge verlor, mit der Hoffnung, ihren Namen zu erfahren, aber er war ganz überrascht, wie er hörte, daß man sie nicht kannte, und war so betroffen von ihrer Schönheit und der bescheidenen Haltung, die er in allen ihren Handlungen bemerkt hatte, daß man sagen kann, er fühlte von dem Augenblick an eine außergewöhnliche Leidenschaft und Verehrung für sie. Er ging selbigen Abends zu Madame, des Königs Schwester. Diese Fürstin stand um des Einflusses willen, den sie auf den König, ihren Bruder, ausübte, in hohem Ansehen, und ihr Einfluß war so groß, daß der König beim Friedensschlüsse einwilligte, Piemont zurückzugeben, um sie mit dem Herzog von Savoyen zu vermählen. Obwohl sie sich all ihre Lebtage zu verheiraten gewünscht hatte, wollte sie sich doch nur einem Herrscher vermählen und hatte aus diesem Grunde den König von Navarra ausgeschlagen, als er noch Herzog von Vendôme war. Sie hatte sich stets den Herrn von Savoyen gewünscht, zu dem sie eine Zuneigung gefaßt, als sie ihn bei der Zusammenkunft Königs Franz' I. mit Papst Paul III. in Nizza gesehen. Da sie sehr viel Geist und ein treffendes Urteil über schöne Dinge besaß, fesselte sie alle ehrenwerten Menschen an sich, und zu bestimmten Stunden war der ganze Hof bei ihr versammelt.

Monsieur de Cleve kam wie gewöhnlich zu ihr; er war so erfüllt von Mademoiselle de Chartres' Anmut und Schönheit, daß er von nichts anderem sprechen konnte. Er erzählte sein Erlebnis ganz laut und konnte nicht müde werden, das Mädchen, welches er gesehen hatte und doch nicht kannte, mit Lob zu überschütten. Madame sagte zu ihm, daß es kein solches Wesen, wie er es schildere, gäbe, denn wenn es es gäbe, würde es jedermann kennen. Madame de Dampierre, welche ihre Edeldame und Madame de Chartres' Freundin war, hörte diese Unterhaltung mit an, näherte sich der Fürstin und sagte ganz leise zu ihr, daß Monsieur de Cleve zweifelsohne Mademoiselle de Chartres gesehen habe. Madame wandte sich nun wieder zu ihm und sagte, wenn er sie morgigen Tags wieder besuchen wollte, würde er die Schönheit, welche ihn so gerührt hätte, bei ihr sehen. Mademoiselle de Chartres erschien tatsächlich anderen Tages dort; sie wurde von den Königinnen mit aller Liebenswürdigkeit, die man sich nur denken kann, und mit solcher Bewunderung seitens aller Welt aufgenommen, daß man um sie herum nur Lobeserhebungen hörte. Sie aber nahm diese mit einer so edlen Bescheidenheit auf, als vernähme sie sie nicht, oder vielmehr, als rührten sie sie nicht. Danach ging sie zu Madame, des Königs Schwester. Nachdem die Fürstin ihre Schönheit gepriesen hatte, erzählte sie ihr von dem Entzücken, das sie in Monsieur de Cleve hervorgerufen. Einen Augenblick später trat der Prinz ein. »Kommen Sie«, rief sie ihm zu, »sehen Sie, ob ich Ihnen nicht mein Wort halte und ob ich, Sie Mademoiselle de Chartres vorstellend, Ihnen nicht die gesuchte Schöne zeige; danken Sie mir vor allem, ihr die Bewunderung, zu der sie Sie schon hingerissen hat, kundgetan zu haben!«

Es bereitete Monsieur de Cleve große Freude, das Mädchen, welches er so liebenswert gefunden hatte, von einem ihrer Schönheit so angemessen hohen Adel zu sehen. Er trat auf sie zu und bat sie, sich zu erinnern, daß er sie als erster bewundert und, ohne sie zu kennen, alle die Gefühle der Ehrerbietung und Schätzung für sie gezeigt habe, welche ihr gebührten.

Der Herzog von Guise und er, die Freunde waren, gingen zusammen von Madame fort. Anfangs priesen sie Mademoiselle de Chartres, ohne sich Zwang aufzulegen. Endlich fanden sie, daß sie sie allzusehr herausstrichen, und hielten einer nach dem andern inne, ihre Gedanken zu äußern; doch sahen sie sich genötigt, alle folgenden Tage, wo sie sich nur begegneten, von ihr zu sprechen. Die neue Schönheit bildete lange den Inhalt aller Gespräche. Die Königin überschüttete sie mit Lobpreisungen und brachte ihr eine außergewöhnliche Zuneigung entgegen. Madame la Dauphine machte sie zu ihrer Vertrauten und bat Madame de Chartres, sie oft zu ihr zu bringen. Die königlichen Töchter ließen sie zu allen ihren Unterhaltungen herbeiholen. Sie ward schließlich vom ganzen Hofe außer der Herzogin von Valentinois geliebt und bewundert. Nicht etwa, weil sie die Schöne in Schatten stellte, liebte sie diese nicht – eine allzulange Erfahrung hatte sie gelehrt, daß sie seitens des Königs nichts zu befürchten hatte –, sondern weil sie einen so lebhaften Groll gegen den Vizedom von Chartres hegte, den sie durch eine Heirat mit einer ihrer Töchter an sich zu fesseln gewünscht, der sich aber mit der Königin verbündet hatte, daß sie ein Wesen, welches seinen Namen trug und für das er eine große Zuneigung zu haben schien, nicht liebevoll betrachten konnte.

Der Prinz von Cleve verliebte sich hitzig in Mademoiselle de Chartres und wünschte sehnlichst, sie zu heiraten, doch fürchtete er, es würde Madame de Chartres' Stolz verletzen, ihre Tochter einem Manne zuzugesellen, welcher nicht der älteste Sohn seines Hauses war. Indessen war dies Haus so groß – hatte sich doch der Graf von Eu, der als Erstgeborener seinen Namen erbte, gerade mit einer Frau, die dem königlichen Hause sehr nahestand, vermählt –, daß es mehr die Zaghaftigkeit, welche die Liebe mit sich bringt, als wahrhafte Gründe waren, die Monsieur de Cleves Bedenken hervorriefen.

Die Zahl seiner Nebenbuhler war groß; der gefährlichste schien ihm seiner Geburt und seinem Verdienste und dem Glanze zufolge, welchen die Gunst über sein Haus breitete, der Herzog von Guise zu sein. Dieser Fürst hatte sich am ersten Tage, wo er Mademoiselle de Chartres gesehen, in sie verliebt und hatte um die Neigung Monsieurs de Cleves gemerkt, wie Monsieur de Cleve seine wahrgenommen. Wiewohl sie Freunde waren, hatte ihnen die Entfremdung, welche die gleichen Ansprüche in ihnen erzeugte, nicht erlaubt, sich miteinander auszusprechen, und ihre Freundschaft war erkaltet, ohne daß sie sich die Mühe gegeben hatten, sich gegenseitig aufzuklären. Der Zufall, der sich Monsieur de Cleve geboten, Mademoiselle de Chartres als erster gesehen zu haben, schien ihm von guter Vorbedeutung zu sein und ihm einigen Vorteil vor seinen Nebenbuhlern zu geben, doch sah er einen lebhaften Widerstand von Seiten seines Vaters, des Herzogs von Nevers, voraus. Dieser war ziemlich eng mit der Herzogin von Valentinois verbunden; sie war des Vizedoms Feindin, und dieser Umstand genügte, den Herzog von Nevers an der Einwilligung zu hindern, daß sein Sohn an dessen Nichte dachte.

Madame de Chartres, welche soviel des Fleißes verwendet hatte, um ihrem Kinde Tugend einzuflößen, ließ nicht ab, dieselbe Sorgfalt an einem Orte obwalten zu lassen, wo sie so gut angebracht war und wo es so viele gefährliche Vorbilder gab. Ehrgeiz und Liebesabenteuer beherrschten den Hof und beschäftigten in gleicher Weise Männer wie Frauen. Es gab da so viel Eigennutz und so viele Kabalen, und die Frauen nahmen so sehr daran teil, daß mit jedem Handel Liebe und mit jeder Liebe irgendein Handel verknüpft war. Niemand war ruhig, niemand war gleichgültig; man sann darauf, hochzusteigen, zu gefallen, zu dienen oder zu schaden; man kannte keine Langeweile, keinen Müßiggang und dachte immer an Belustigungen oder an Ränke. Die Damen hingen entweder mit Leidenschaft der Königin, oder Madame la Dauphine, oder der Königin von Navarra, oder Madame, des Königs Schwester, oder der Herzogin von Valentinois an. Zuneigung, wohlüberlegte Gründe oder übereinstimmende Gemütsart bildeten diese verschiedenen Parteien. Die, welche die erste Jugend hinter sich hatten und sich ein Geschäft daraus machten, sehr tugendhaft zu sein, hielten zu der Königin; die ganz jungen, welche Freude und Liebeständeleien suchten, machten Madame la Dauphine den Hof. Die Königin von Navarra hatte ihre Vertrauten, sie war jung und beherrschte den König, ihren Gemahl; er wieder war mit dem Konnetabel verbunden und erhielt dadurch sehr viel Einfluß. Madame, des Königs Schwester, hatte sich ihre Schönheit noch erhalten und fesselte viele Damen an sich. Die Herzogin von Valentinois verfügte über alle, die sie zu beachten geruhte; aber wenige Frauen waren ihr angenehm, und nur einige wenige besaßen ihre Zuneigung, ihr Vertrauen und hatten die Gemütsart, welche ihrer entsprach. Sie empfing nur an Tagen bei sich, wo sie ein Vergnügen daran fand, einen Hof wie die Königin zu haben.

Alle diese verschiedenen Kabalen entstanden des Wetteifers und Neides halber, den man aufeinander hatte. Die Damen, welche in sie verstrickt, waren auch wieder entweder um der Gunst oder der Liebhaber willen aufeinander eifersüchtig. Den großen und ehrenvollen Vorteilen standen oft kleinliche gegenüber, die aber nicht minder empfindlich waren. Also gab es jede Art von Aufregung, ohne inneren Unfrieden am Hofe, welche ihn sehr anziehend, aber auch sehr gefahrvoll für ein junges Menschenkind machte. Madame de Chartres sah diese Gefahr und sann auf Wege, ihre Tochter davor zu bewahren. Sie bat sie als Freundin, nicht als Mutter, ihr alle Liebenswürdigkeiten anzuvertrauen, die man ihr sagte, und versprach ihr behilflich zu sein, auf daß sie sich in allen Dingen, welche einem oft, zumal, wenn man jung ist, Ängste bereiten, zurechtfinden möchte.

Der Chevalier de Guise ließ seine Gefühle und seine Absichten, die er auf Mademoiselle de Chartres hatte, so augenscheinlich durchblicken, daß sie jedermann kannte. Trotz alledem sah er nur zu gut, welch große Hindernisse sich seinem Begehren entgegenstellten; er wußte wohl, daß er zufolge seines wenigen Vermögens, welches nicht ausreichte, standesgemäß zu leben, nicht der Mann war, der sich für Mademoiselle de Chartres geziemte. Auch war er sich bewußt, daß seine Brüder eine Heirat seinerseits nicht billigen würden, da sie die Erniedrigungen, welche die Heiraten jüngerer Söhne gewöhnlich den vornehmen Häusern einbringen, fürchteten. Der Kardinal von Lothringen ließ ihn nur allzubald verstehen, daß er sich nicht täuschte; dieser verurteilte die Anhänglichkeit, welche er Mademoiselle de Chartres bewies, mit lebhafter Hitze, doch verschwieg er ihm seine wahren Gründe. Der Kardinal haßte den Vizedom von ganzem Herzen, was damals noch nicht bekannt war, sich aber später zeigte. Er hätte seinen Bruder lieber jede andere Verbindung eingehen sehen als die mit dem Vizedom; und er erklärte sich so öffentlich gegen diese Heirat, daß Madame de Chartres dadurch empfindlich beleidigt wurde. Sie bemühte sich, dem Kardinal auf das deutlichste zu zeigen, daß er nichts zu fürchten habe, da sie nicht an diese Heirat dächte. Der Vizedom tat desselbigengleichen und war noch tiefer verletzt als Madame de Chartres über des Kardinals von Lothringen Benehmen, sintemal er die Ursache nur allzugut kannte.

Nicht weniger deutliche Zeichen, als der Chevalier de Guise von seiner Zuneigung hatte durchblicken lassen, gab der Prinz von Cleve. Voll Verdruß sah der Herzog von Nevers diesen Eifer. Trotz alledem glaubte er nur mit seinem Sohne sprechen zu müssen, um Wandel in seiner Aufführung zu schaffen; aber er war sehr erstaunt, ihn fest entschlossen zu sehen, Mademoiselle de Chartres zu heiraten. Er tadelte dies Vorhaben und ließ sich hinreißen, seinen Zorn so wenig zu verbergen, daß dessen Ursache sich bald am ganzen Hofe herumsprach und bis zu Madame de Chartres gelangte. Diese hatte keinen Augenblick daran gezweifelt, daß der Herzog von Nevers die Heirat mit ihrer Tochter als ein Glück für seinen Sohn ansähe, und war sehr erstaunt, daß die Häuser von Cleve und Guise die Vereinigung mit ihrem verschmähten, statt sie zu wünschen. Der Unwille, den sie darüber empfand, ließ sie daran denken, für ihre Tochter einen Mann zu suchen, der sie über die, welche über ihr zu stehen glaubten, erhob. Als sie alle, die in Frage kamen, vor ihrem Auge hatte vorüberziehen lassen, blieb nur der Prinz-Thronfolger, der Sohn des Herzogs von Montpensier, übrig. Er war damals der vornehmste unverheiratete Mann, der am Hofe weilte. Da Madame de Chartres klug genug war, sich von dem Vizedom, der in so hohem Ansehen stand, behilflich sein zu lassen, und da ihre Tochter eine glänzende Partie war, handelte sie mit solcher Geschicklichkeit und so erfolgreich, daß der Herzog von Montpensier diese Heirat zu wünschen schien und es so aussah, als wären keine Schwierigkeiten mehr zu überwinden.

Dennoch glaubte der Vizedom, der um Monsieur d'Anvilles Neigung zu Madame la Dauphine wußte, den Einfluß der Fürstin auf diesen ausnutzen zu müssen, um ihn zu veranlassen, Mademoiselle de Chartres beim Könige und dem Fürsten von Montpensier, dessen bester Freund er war, zu nützen. Er sprach mit Madame la Dauphine darüber, und sie ließ sich mit Freuden in einen Handel ein, bei dem es sich um die Erhöhung eines Menschenkindes handelte, welches sie sehr lieb hatte. Und äußerte das dem Vizedom gegenüber und versicherte ihm, wennschon sie nur allzugut wisse, daß diese Angelegenheit ihrem Oheim, dem Kardinal von Lothringen, sehr unangenehm sein würde, wolle sie doch mit Freuden keine Rücksicht nehmen, zumal sie Ursache habe, unzufrieden mit ihm zu sein, da er tagtäglich in der Königin Angelegenheit gegen ihre eigenen Partei ergreife.

Verliebte Leute sind immer froh, wenn ihnen ein Vorwand Gelegenheit gibt, mit denen, welche sie lieben, zu sprechen. Sobald der Vizedom Madame la Dauphine verlassen hatte, befahl sie Chastelart, der Monsieur d'Anvilles Günstling war und um seine Leidenschaft für sie wußte, zu ihm zu gehen und ihm von ihrer Seite zu sagen, er solle sich am Abend bei der Königin finden lassen. Chastelart empfing diesen Auftrag mit sehr viel Freude und Ehrerbietung. Es stammte dieser Edelmann aus einem guten Hause der Dauphine, doch Verdienst und Verstand stellten ihn noch über seine Geburt. Er wurde von allen Großen, die es am Hofe gab, empfangen und artig behandelt, und die Gunst des Hauses von Montmorency hatte ihn besonders herzlich mit Monsieur d'Anville verbunden. Er war wohlgebaut und in allen Arten von Übungen gewandt, und sang schön, machte Verse und hatte einen liebenswürdigen und leidenschaftlichen Geist, welcher Monsieur d'Anville so gut gefiel, daß er ihm seine Liebe zu Madame la Dauphine anvertraute. Dies Vertrauen brachte ihn der Fürstin näher, und dadurch, daß er sie allzuoft sah, entstand jene unselige Neigung, die ihm die Vernunft raubte und ihn schließlich das Leben kostete.

Monsieur d'Anville versäumte es nicht, am Abend vor der Königin zu erscheinen; er war glücklich, daß ihn Madame la Dauphine erwählte, um einen ihrer Wünsche zu betreiben, und versprach ihr, ihrem Befehle auf das genaueste Gehorsam zu leisten. Doch die Herzogin von Valentinois war von diesem Heiratsplan unterrichtet und hatte ihn mit soviel Sorgfalt durchkreuzt und den König so voreingenommen, daß er Monsieur d'Anville, als dieser ihm davon sprach, verstehen ließ, er würde ihn nicht billigen, und ihm selber befahl, dies dem Herzoge von Montpensier zu sagen. Man kann sich denken, was Madame de Chartres fühlte, als sie sah, wie ihr lebhafter Wunsch zunichte ward; der schlechte Ausgang dieses Plans aber gab ihren Feinden einen großen Vorteil und schadete ihrer Tochter sehr.

Auf sehr freundschaftliche Weise bezeugte Madame la Dauphine Mademoiselle de Chartres ihr Bedauern, daß sie ihr nicht hatte behilflich sein können. »Sie sehen«, sagte sie, »ich habe nur einen mäßigen Einfluß. Die Königin und die Herzogin von Valentinois hassen mich so sehr, daß meine Wünsche nur zu leicht durch sie oder durch die, welche ihnen untergeben sind, durchkreuzt werden. Und doch«, fuhr sie fort, »war ich stets bestrebt, ihnen zu gefallen, sie hassen mich aber um der Königin, meiner Mutter, willen, die ihnen ehedem Grund zur Unruhe und Eifersucht gab. Der König war in sie verliebt gewesen, ehe er es in die Herzogin von Valentinois ward; und in den ersten Jahren seiner Ehe, als er noch keine Kinder hatte, schien er, wiewohl er die Herzogin liebte, fast entschlossen zu sein, sich scheiden zu lassen, um die Königin, meine Mutter, zu heiraten. Madame de Valentinois fürchtete ein Weib, das er schon geliebt hatte und dessen Schönheit und Geist ihre Gunst verringern konnte, und verband sich mit dem Konnetabel, welcher ebenfalls nicht wünschte, daß der König eine Schwester der Herzöge von Guise heiratete. Sie unterbreitete dem verstorbenen Könige ihre Gefühle, und wiewohl dieser die Herzogin von Valentinois tödlich haßte und meine Mutter liebte, bemühte er sich mit ihnen, den König an seiner Ehescheidung zu hindern. Um ihn aber gänzlich von dem Gedanken an eine Ehe mit der Königin, meiner Mutter, abzubringen, betrieben sie ihre Heirat mit dem Könige der Schotten, welcher von Madame Magdalene, des Königs Schwester, verwitwet war. Und sie taten es, weil er nur allzu bereit dazu war, und brachen die angeknüpften Verhandlungen mit dem Könige von England, welcher sie heftig begehrte, schnell ab. Es konnte natürlich nicht fehlen, daß dieses Vorgehen einen Bruch zwischen den beiden Königen nach sich zog. Heinrich VIII. konnte es nicht verwinden, meine Mutter nicht erhalten zu haben; und welche andere französische Prinzessin man ihm auch antrug, er sagte stets, sie würde ihm die nicht ersetzen, welche man ihm verweigert hätte. Wahr ist freilich, daß die Königin, meine Mutter, eine vollkommene Schönheit war, und es ist merkwürdig, daß drei Könige die Witwe eines Herzogs von Longueville zu heiraten wünschten. Ihr Unstern gab sie dem geringsten und sandte sie in ein Königreich, wo sie nur Mühen findet. Man sagt, ich ähnele ihr; ich fürchte, ihr wahrlich auch in ihrem unglücklichen Schicksale zu ähneln; welches Glück sich auch für mich vorzubereiten scheint, ich komme nicht dazu, mich seiner zu erfreuen!«

Mademoiselle de Chartres entgegnete der Madame la Dauphine, diese traurigen Vorahnungen seien so schlecht begründet, daß sie ihrer nicht lange gedenken würde, auch müsse sie nicht zweifeln, daß ihr Glück dem Scheine entsprechen würde.

Niemand wagte mehr an Mademoiselle de Chartres zu denken, weil man dem Könige zu mißfallen fürchtete oder glaubte, bei einem Wesen, welches sein Augenmerk auf einen Prinzen königlichen Geblütes gerichtet habe, keinen Erfolg zu erzielen. Monsieur de Cleve ward durch keine dieser Erwägungen zurückgehalten: Der Tod des Herzogs von Nevers, seines Vaters, der damals eintrat, gab ihm volle Freiheit, seiner Neigung nachzugehen; und sobald die Zeit, welche der Trauer wegen schicklich war, verstrichen, sann er nur auf Mittel, Mademoiselle de Chartres zu heiraten. Und war so glücklich, ihr seine Vorschläge zu einer Zeit machen zu können, wo die vorhergegangenen Vorfälle alle anderen Nebenbuhler entfernt hatten, und wo er beinahe sichergehen konnte, daß man sie ihm nicht verweigerte. Was seine Freude trübte, war die Furcht, ihr nicht angenehm zu sein, und er hätte das Glück, ihr zu gefallen, der Gewißheit, sie zu heiraten, ohne von ihr geliebt zu werden, vorgezogen.

Der Chevalier de Guise hatte ihm einige Ursache zur Eifersucht gegeben; da diese sich aber mehr auf die Verdienste des Fürsten als auf ein Entgegenkommen Mademoiselle de Chartres' stützte, so sann er nur darauf, es sich angelegen sein zu lassen zu erfahren, ob er glücklich genug wäre, daß man seine Absichten auf sie billigte. Er sah sie nur bei den Königinnen oder in Gesellschaften, und es war schwierig, ein geheimes Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Dessenungeachtet fand er die Mittel und enthüllte ihr mit aller erdenklichen Ehrerbietung seine Absichten und seine Neigung und bestürmte sie, ihre Gesinnung gegen ihn kundzutun, und sagte, seine Gefühle für sie seien solcher Art, daß er ewig unglücklich werden würde, wenn sie nur aus Pflichtbewußtsein den Wünschen ihrer Frau Mutter gehorchte.

Da Mademoiselle de Chartres ein sehr edles und mildtätiges Herz hatte, war sie wahrhaftig vor Dankbarkeit über des Prinzen von Cleve Benehmen gerührt. Diese Dankbarkeit gab ihrer Erwiderung und ihren Worten eine gewisse Herzlichkeit, welche in einem so rasend verliebten Manne wie dem Prinzen hinreichende Hoffnungen erweckte, daß ein Teil seiner Wünsche in Erfüllung ginge.

Sie legte ihrer Mutter von dieser Unterredung Bericht ab, und Madame de Chartres sagte ihr, Monsieur de Cleve habe so viele edle und gute Eigenschaften und zeige für sein Alter so große Klugheit, daß sie mit Freuden darein willigen würde, wenn ihre Neigung bis zur Heirat gediehe. Mademoiselle de Chartres entgegnete, sie erblicke an ihm ebensolche Eigenschaften und würde ihn gar mit weniger Widerwillen als einen anderen heiraten, empfinde jedoch keine besondere Zuneigung für seine Person.

Noch am selben Morgen ließ der Fürst mit Madame de Chartres verhandeln; sie nahm den Antrag, welchen man machte, an, und trug kein Bedenken, indem sie ihrer Tochter den Prinzen von Cleve gab, sie einem Gatten zu vermählen, den sie nicht lieben konnte. Die Heiratsverträge wurden aufgesetzt, man sprach mit dem Könige, und jedermann wußte um diese Heirat.

Monsieur de Cleve war glücklich, ohne immerhin ganz zufrieden zu sein. Er sah mit großem Kummer, daß Mademoiselle de Chartres' Gefühle über die der Achtung und Dankbarkeit nicht hinausgingen; und er konnte sich nicht schmeicheln, sie verberge mehr Zuneigung, da ihr ja ihr jetziger Stand erlaubte, sie offen zu zeigen, ohne ihre äußerste Sittsamkeit zu verletzen. Und er ließ keinen Tag verstreichen, ohne sich darüber bei ihr zu beklagen. »Ist es denn möglich«, hob er an, »daß ich nicht glücklich werden kann, wenn ich Sie heirate? Jetzt bin ich es wahrlich nicht. Sie zeigen mir eine gewisse Güte, die mir nimmer genügen kann; Sie haben weder Ungeduld noch Unruhe, noch Kummer und sind nicht mehr von meiner Neigung gerührt, als Sie es von einer Anhänglichkeit sein würden, welche sich nur auf die Vorteile ihrer Glücksgüter und nicht auf die Reize Ihrer Person gründet!« – »Sie tun unrecht, sich zu beklagen«, antwortete sie, »ich weiß nicht, was Sie über das hinaus, was ich tue, wünschen können, es scheint mir, daß es die Wohlanständigkeit nicht erlaubt, noch mehr zu tun!« – »Es ist wahr«, sagte er dawider, »Sie geben mir gewisse Anzeichen, mit denen ich zufrieden sein würde, wenn sie noch mehr versprächen, doch statt, daß die Wohlanständigkeit Sie zurückhält, ist sie es einzig, die Sie tun läßt, was Sie tun. Ich gewinne weder Ihre Zuneigung noch Ihr Herz, und meine Gegenwart bereitet Ihnen nicht Freude, nicht Aufregung.«

»Sie dürfen nicht daran zweifeln«, entgegnete sie, »daß es mir Freude macht, Sie zu sehen; und ich erröte, so oft ich Sie erblicke, daß Sie wahrlich nicht daran zweifeln dürfen, daß mich Ihr Anblick in Verwirrung setzt!« – »Ich täusche mich nicht über Ihr Erröten«, sagte er, »es ist ein Gefühl der Sittsamkeit und keine Bewegung Ihres Herzens, und ich ziehe daraus nur den Vorteil, den ich daraus ziehen darf!«

Mademoiselle de Chartres war um eine Antwort verlegen; diese Unterscheidungen überstiegen ihre Erfahrungen. Monsieur de Cleve sah nur zu gut, wie weit sie davon entfernt war, Gefühle für ihn zu empfinden, welche ihm genügen konnten, zumal es ihm gar so vorkam, als ob sie sie nicht hätte.

Der Chevalier de Guise kam wenige Tage vor der Hochzeit von einer Reise zurück. Er hatte so viele unüberwindliche Hindernisse seinem Plane gegenüber, Mademoiselle de Chartres zu heiraten, gesehen, daß er sich nicht hatte bereden können, ihn erfolgreich durchzusetzen; nichtsdestoweniger ward er empfindlich betrübt, sie das Weib eines anderen werden zu sehen. Dieser Schmerz erstickte seine Neigung nicht, und er blieb nicht weniger verliebt. Mademoiselle de Chartres hatte nicht vergessen, welche Gefühle der Fürst für sie gehegt. Nach seiner Rückkehr ließ er sie wissen, daß sie die Ursache der äußersten Traurigkeit wäre, die auf seinem Antlitze geschrieben stand; und er war so verdienstvoll und blendend, daß es schwierig war, ihn unglücklich zu wissen, ohne Mitleid mit ihm zu haben. Auch sie konnte sich nicht dagegen wehren, etwas Mitleid zu haben, doch rief es keine anderen Gefühle in ihr wach. Sie erzählte ihrer Mutter die Not, welche ihr die Neigung des Fürsten schuf.

Madame de Chartres bewunderte die Aufrichtigkeit ihrer Tochter und bewunderte sie mit Recht, denn niemals hat ein Wesen eine natürlichere und größere besessen; aber sie wunderte sich nicht weniger, daß dies ihr Herz nicht rührte, um so viel mehr, als sie erkannte, daß der Prinz von Cleve es nicht mehr als die anderen hatte rühren können. Dies war die Ursache, daß sie sich eifrig bemühte, sie an ihren Gatten zu fesseln und ihr klarzumachen, was sie der Neigung, die er für sie hegte, bevor er sie kannte, und der Leidenschaft schuldig war, welche er ihr bewiesen, indem er sie allen anderen Parteien zu einer Zeit vorgezogen hatte, wo niemand an sie zu denken wagte.

Die Hochzeit kam heran, die Feierlichkeit fand im Louvre statt, und am Abend aßen der König und die Königinnen samt ihrem ganzen Hofstaat bei Madame de Chartres, wo sie mit einem bewundernswerten Prunk aufgenommen wurden. Der Chevalier de Guise wagte nicht, sich bei anderen auszusprechen und dieser Feierlichkeit fernzubleiben, aber er war bei dem Feste so wenig Herr seiner Traurigkeit, daß sie ihm leicht anzusehen war.

Monsieur de Cleve fand nicht, daß Mademoiselle de Chartres sich in ihrem Gefühl änderte, als sie ihren Namen gewechselt hatte. Seine Eigenschaft als Gatte gab ihm große Vorrechte, doch erwirkte sie ihm keinen anderen Platz im Herzen seiner Frau. Dies sorgte denn dafür, daß er, um ihr Gatte zu sein, nicht abließ, ihr Geliebter zu sein, zumal er immer etwas über den Stand der Verhältnisse hinaus zu wünschen hatte; und obwohl er außerordentlich gut mit ihr lebte, war er doch nicht völlig glücklich. Er behielt eine heftige Leidenschaft und Unruhe für sie, welche seine Freude störte. Eifersucht hatte keinen Teil an dieser Aufregung; niemals hatte ein Mann weniger Ursache, eifersüchtig zu werden, denn niemals gab ein Weib weniger Anlaß dazu.

Dessenungeachtet lebte sie inmitten des Hofes; sie ging jeden Tag zu den Königinnen und zu Madame. Alles, was es an jungen und heißblütigen Leuten gab, sah sie bei dieser und bei ihrem Schwager, dem Herzoge von Nevers, dessen Haus aller Welt offenstand. Aber sie hatte einen Gesichtsausdruck, der eine so große Ehrfurcht einflößte, und dem Galanterie so fremd zu sein schien, daß der Marschall von Saint André, obwohl er keck war, von der Gnade des Königs unterstützt wurde und ihre Schönheit ihn gefesselt hatte, es nicht wagte, dies ihr anders als durch Aufmerksamkeiten und Verehrung zu zeigen. Mehrere andere waren im gleichen Zustande; doch Madame de Chartres wies ihrer klugen Tochter ein so genaues Benehmen in allen Schicklichkeitsfragen, daß sie ein Wesen aus ihr machte, welches unantastbar dastand.

Als die Herzogin von Lothringen für den Frieden wirkte, hatte sie auch für die Heirat ihres Sohnes gewirkt. Er war mit der zweiten Tochter des Königs, Madame Claude von Frankreich, versprochen. Ihre Hochzeit wurde für den Monat Februar anberaumt.

Währenddem hatte sich der Herzog von Nemours, ganz beschäftigt und erfüllt mit seinen Absichten auf England, in Brüssel aufgehalten. Er empfing oder schickte beständig Boten ab; seine Hoffnungen vermehrten sich mit jedem Tage, und endlich meldete Lignerolle, es sei an der Zeit, daß seine Gegenwart vollende, was so wohl eingefädelt. Er empfing diese Nachricht mit aller Freude, die ein junger, ehrgeiziger Mann haben kann, welcher sich einzig durch seinen Ruf auf einen Thron erhoben sieht. Sein Gemüt hatte sich unmerklich an die Größe dieses Glücks gewöhnt; und wie er es anfangs als etwas Unerreichbares verworfen hatte, so hatten sich nun die Schwierigkeiten in seiner Einbildung ausgelöscht, und er sah keine Hinderung mehr. Und schickte eilends nach Paris und gab alle nötigen Befehle für die Ausrüstung einer kostbaren Ausstattung, auf daß er in England in einem Glänze erscheine, der mit dem Plane, welcher ihn nach dort führte, im gleichen Verhältnis stand. Und beeilte sich, selber an den Hof zu kommen, um der Hochzeit des Herzogs von Lothringen beizuwohnen.

Er kam am Abend vor der Eheversprechung an; und selbigen Abends noch legte er dem Könige genauen Bericht über den Stand seiner Angelegenheiten ab und empfing seine Befehle und Aufträge für das, was zu tun übrigblieb. Alsdann ging er zu den Königinnen. Madame de Cleve war dort nicht zugegen, so daß sie ihn nicht sah; ja sie wußte nicht einmal, daß er angekommen war. Sie hatte alle Welt von dem Prinzen als einer der vollkommensten und angenehmsten Erscheinungen des Hofes reden hören, und Madame la Dauphine hatte ihn ihr derartig geschildert und so viele Male von ihm gesprochen, daß sie neugierig und gar ungeduldig geworden war, ihn zu sehen.

Sie blieb am Tage der Eheversprechung zu Hause, um sich für den Ball und den königlichen Schmaus, der am Abend im Louvre stattfand und zu dem sie sich einfinden mußte, zu schmücken. Als sie ankam, bewunderte man ihre Schönheit und ihren Putz; der Ball begann, und wie sie mit Monsieur de Guise tanzte, entstand ein ziemlich lautes Geräusch an der Saaltür, wie von jemandem, der eintritt und dem Platz gemacht wird. Madame de Cleve hörte zu tanzen auf, und während sie jemanden suchte, mit dem sie tanzen wollte, rief ihr der König zu, sie solle mit dem Ankommenden tanzen. Sie wandte sich um und sah einen Mann, von dem sie von Anfang an glaubte, daß er nur Monsieur de Nemours sein könnte; dieser stieg gerade über einige Sessel, um dahin zu gelangen, wo man tanzte. Der Fürst sah derartig gut aus, daß es wahrlich schwer war, nicht überrascht zu werden, ihn zu sehen, zumal, wenn man ihn noch niemals gesehen hatte, besonders an diesem Abend, wo die Sorge, welche er angewendet, sich zu schmücken, noch den Glanz vermehrte, welcher seine Person umstrahlte. Doch war es auch schwer, die Prinzessin von Cleve zum ersten Male zu sehen, ohne nicht in lebhafte Bewunderung zu geraten.

Monsieur de Nemours ward so betroffen von ihrer Schönheit, daß er es nicht unterlassen konnte, ihr ein Zeichen seiner Bewunderung zu geben, als er sich ihr näherte und sie ihm eine Verbeugung machte. Wie sie zu tanzen begannen, erhob sich im Saal ein Gemurmel des Beifalls. Der König und die Königinnen erinnerten sich, daß beide sich noch nie gesehen hatten, und fanden es sehr merkwürdig, sie miteinander tanzen zu sehen, ohne daß sie sich kannten. Sie riefen sie zu sich, als sie damit aufgehört hatten, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, mit jemandem zu sprechen, und fragten sie, ob sie keine Lust verspürten zu erfahren, wer sie seien, und ob sie es sich nicht denken könnten. »Ich für mein Teil, Madame«, sagte Monsieur de Nemours, »bin keinen Augenblick im Zweifel; doch da Madame de Cleve nicht die gleichen Gründe hat zu erraten, wer ich bin, wie die, welche ich habe, sie zu erkennen, so wäre es mir lieb, wenn Eure Majestät die Gnade haben würden, ihr meinen Namen zu nennen!« – »Ich glaube«, sagte Madame la Dauphine, »daß sie ihn ebensogut kennt wie Sie den ihrigen!« – »Ich versichere Ihnen«, hob Madame de Cleve an, die ein wenig erregt zu sein schien, »daß ich nicht so gut raten kann, wie Sie annehmen!« – »Sie erraten sehr gut«, fuhr Madame la Dauphine fort, »und es ist ein Kompliment für Monsieur de Nemours, daß Sie nicht eingestehen wollen, ihn zu kennen, ohne ihn gesehen zu haben!« Die Königin unterbrach sie, damit der Ball seinen Fortgang nahm. Monsieur de Nemours forderte Madame la Dauphine auf. Die Fürstin war eine vollkommene Schönheit und war es auch in Monsieur de Nemours' Augen gewesen, ehe er nach Flandern ging, doch den ganzen Abend über bewunderte er nur Madame de Cleve.

Der Chevalier de Guise, der sie immer noch anbetete, folgte ihren Schritten; und es bereitete ihm der Vorgang, den er eben sich hatte abspielen sehen, einen fühlbaren Schmerz. Er nahm ihn für ein Anzeichen, daß das Glück Monsieur de Nemours bestimmte, sich in Madame de Cleve zu verlieben. Und sei es, daß er tatsächlich einige Verwirrung auf ihrem Antlitz gelesen hatte, sei es, daß die Eifersucht Monsieur de Guise hellsehend machte, er glaubte, sie sei bei dem Anblick des Fürsten befangen worden; und konnte es sich nicht versagen, ihr zu verstehen zu geben, daß Monsieur de Nemours gar glücklich begonnen habe, mit ihr durch ein Abenteuer bekannt zu werden, welches sehr liebenswürdig und außergewöhnlich gewesen war.

Madame de Cleve kehrte, das Gemüt so erfüllt von dem, was auf dem Balle vorgefallen war, nach Hause zurück, daß sie, obwohl es schon zu später Stunde war, in das Gemach ihrer Mutter ging, um ihr Bericht zu erstatten; und sie lobte Monsieur de Nemours ihr gegenüber in einer gewissen Art, welche Madame de Chartres in gleicher Weise wie Monsieur de Guise zu denken gab.

Folgenden Tags ging die Hochzeitsfeierlichkeit vor sich. Madame de Cleve sah den Herzog von Nemours mit einer so bewundernswürdigen Miene und Anmut an ihr teilnehmen, daß sie sie nochmals überraschten.

Die nächsten Tage sah sie ihn bei Madame la Dauphine; sie sah ihn mit dem Könige Ball spielen, sie sah ihn ringelreiten, sie hörte ihn sprechen; doch sah sie ihn alle anderen so weit überragen und sich als derartigen Beherrscher der Unterhaltung durch seine persönliche Art und die Anmut seines Geistes an allen Orten, wo er weilte, zeigen, daß er in kurzer Zeit eine große Zuneigung in ihrem Herzen erweckte. In Wahrheit fühlte auch Monsieur de Nemours eine leidenschaftliche Liebe zu ihr, die ihm die Süße und die Fröhlichkeit gab, welche der erste Wunsch zu gefallen bewirkt. Er war noch liebenswerter, als er es gewöhnlich war. Also sich beide immer sehend und bemerkend, daß es nichts Vollkommeneres als den anderen am Hofe gab, konnte es leicht geschehen, daß sie sich überaus gefielen.

Die Herzogin von Valentinois nahm an allen Lustbarkeiten teil; und der König hegte für sie dieselbe Leidenschaft und dieselben Aufmerksamkeiten wie zu Anbeginn seiner Neigung. Madame de Cleve stand in einem Alter, in welchem man nicht glaubt, daß eine Frau noch geliebt werden kann, wenn sie das fünfundvierzigste Lebensjahr überschritten hat, und beobachtete mit lebhafter Verwunderung die Liebe, die der König für die Herzogin fühlte, welche Großmutter war und im Begriffe stand, ihre Enkelin zu verheiraten. Und sprach oft mit Madame de Chartres darüber: »Ist es möglich, Madame«, hob sie an, »daß so lange Zeit verstrichen ist, seit sich der König in sie verliebte? Wie hat er sich an eine Frau hängen können, welche sehr viel älter als er ist, die schon die Geliebte seines Vaters und noch vieler anderer war, wie ich habe erzählen hören?« – »Es ist wahr«, sagte die dawider, »daß weder Madame de Valentinois' Verdienst noch Treue die heftige Leidenschaft des Königs erweckten und sie ihr erhielten, auch liegt gar kein Anlaß vor, sie zu entschuldigen. Wenn aber diese Frau Jugend und Schönheit in Verein mit ihrer Geburt, wenn sie das Verdienst gehabt hätte, niemanden je geliebt zu haben, wenn sie den König mit unverbrüchlicher Treue, wenn sie ihn einzig und allein um seiner selbst willen geliebt hätte, ohne an die Größe noch an ihren Vorteil zu denken, und ohne sich seiner Macht außer für ehrenwerte oder dem Könige selber genehme Angelegenheiten zu bedienen, dann, das muß ich gestehen, würde man nicht umhin können, den Fürsten um seiner großen Zuneigung willen, die er für sie hegt, zu loben. Wenn ich nicht fürchtete«, fuhr Madame de Chartres fort, »daß Sie von mir sagen würden, was man von allen Frauen meines Alters sagt, daß sie nämlich die Geschichten ihrer Zeit zu erzählen lieben, möchte ich Ihnen das Entstehen der Leidenschaft des Königs für die Herzogin und gar manche Dinge vom Hofe des verstorbenen Königs berichten, welche sehr viel Ähnlichkeit mit denen haben, die noch gegenwärtig vor sich gehen!« – »Weit entfernt, Sie anzuklagen«, fuhr Madame de Cleve fort, »vergangene Geschichten zu erzählen, beklage ich mich, Madame, daß Sie mich nicht von der gegenwärtigen unterrichtet und mir nichts von den verschiedenen Interessen und den verschiedenen Liebschaften des Hofes erzählt haben. Ich kenne sie so wenig, daß, glaube ich, erst wenige Tage verstrichen sind, seit ich weiß, daß der Konnetabel mit der Königin auf gutem Fuße steht.« – »Sie haben da eine der Wahrheit ganz entgegengesetzte Meinung«, erwiderte Madame de Chartres, »die Königin haßt den Konnetabel, und wenn sie jemals eine Machtstellung erlangt, wird man es nur allzubald gewahr werden. Sie weiß, daß er mehrere Male zum König gesagt hat, von allen Kindern, die er mit ihr gezeugt habe, ähnele ihm keines!« »Niemals hätte ich diesen Haß geargwöhnt«, unterbrach sie Madame de Cleve, »nachdem ich den Eifer gesehen, mit welchem die Königin an den Konnetabel während seiner Gefangenschaft schrieb, und die Freude, die sie bei seiner Rückkehr bezeigte, und wie sie ihn auch, gleich dem Könige, ›mein Gevatter‹ nennt!« »Wenn Sie an diesem Orte hier dem Scheine nach urteilen«, entgegnete Madame de Chartres, »werden Sie sich oft täuschen; der Anschein trügt fast immer.

Sie wissen doch, um auf Madame de Valentinois zurückzukommen, daß sie Diana von Poitiers heißt. Ihre Familie ist hochberühmt und stammt von den alten Herzögen von Aquitanien ab; ihr Ahnherr ist ein natürlicher Sohn Ludwigs XI.; mit einem Wort, sie ist von bestem Adel. Ihr Vater, Saint Valier, sah sich in die Angelegenheiten des Konnetabels von Burgund verwickelt, von denen Sie haben reden hören. Er wurde verurteilt, seinen Kopf zu verlieren, und ward auf das Schafott geschleppt. Seiner Tochter Schönheit war bewundernswürdig und hatte schon auf den verstorbenen König Eindruck gemacht. Sie brachte es dahin (durch welche Mittel, weiß ich nicht), daß er ihr das Leben ihres Vaters schenkte. Man verkündete ihm diese Gnade, als er nichts anderes als den Todeshieb erwartete; doch die Angst hatte ihn so gepackt, daß er besinnungslos war, und er starb wenige Tage hernach. Seine Tochter erschien als des Königs Geliebte am Hofe. Die Reise nach Italien, die Gefangenschaft des Königs unterbrachen dieses Verhältnis; als er aus Spanien zurückkehrte und die Regentin ihm bis Bayonne entgegenzog, brachte sie alle ihre Edeldamen mit; unter ihnen war auch Mademoiselle de Pisseleu, welche später Herzogin von Estampes wurde.

In die verliebte sich der König; sie stand Madame de Valentinois an Rang, an Geist und Schönheit nach und hatte ihr nur die größere Jugend voraus. Ich habe mehrere Male sagen hören, sie sei an dem Tage geboren, an welchem Diana von Poitiers sich verheiratet hätte. Aber der Haß sagte ihr das nach, und es ist nicht wahr; denn ich müßte mich sehr täuschen, wenn die Herzogin von Valentinois sich nicht in derselben Zeit, in der sich der König in Madame d'Estampes verliebte, mit Monsieur de Bresé, den Großseneschall der Normandie, verheiratet hat. Niemals bestand ein größerer Haß wie zwischen diesen beiden Frauen. Die Herzogin von Valentinois konnte es Madame d'Estampes nimmer verzeihen, daß sie ihr den Rang der Geliebten des Königs geraubt hatte. Madame d'Estampes war rasend eifersüchtig auf Madame de Valentinois, weil der König seinen Handel mit ihr fortsetzte. Der Fürst nahm es seinen Geliebten gegenüber mit der Treue nicht sehr genau; er hatte immer eine, die den Titel und die Ehren hatte; doch die Damen, welche man ›die kleine Schar‹ nannte, teilten ihn abwechselnd. Der Verlust des Dauphins, seines Sohnes, welcher zu Tournon starb und den man für vergiftet hielt, bereitete ihm einen empfindlichen Kummer. Er fühlte weder die gleiche Zärtlichkeit noch die gleiche Vorliebe für seinen zweiten Sohn, welcher gegenwärtig regiert; er fand ihn nicht kühn, nicht feurig genug. Und beklagte sich eines Tages bei Madame de Valentinois darüber, und sie sagte zu ihm, sie wolle ihn in sich verliebt machen, auf daß er angenehmer und gefälliger würde. Sie hatte damit, wie Sie sehen, viel Erfolg; zwanzig Jahre schon dauert diese Neigung, ohne daß sie durch Zeit oder Hindernisse getrübt ist. Der verstorbene König widersetzte sich anfangs, und sei es, daß er noch verliebt genug in Madame de Valentinois war, um eifersüchtig zu sein, sei es, daß er von der Herzogin von Estampes aufgereizt wurde, welche verzweifelt war, den Dauphin von ihrer Nebenbuhlerin gefesselt zu sehen, es ist sicher, daß er diese Liebe nur mit einem Zorn und einem Schmerz duldete, von welchem er alle Tage Beweise lieferte. Sein Sohn aber fürchtete sich weder vor seinem Haß noch vor seinem Zorn, und nichts konnte ihn veranlassen, seine Verbindung zu lösen oder zu verheimlichen; der König mußte sich darin finden und sie dulden. Diese Widersetzlichkeit gegen dessen Willen entfremdete ihn aber noch mehr mit dem Vater und brachte diesem seinen dritten Sohn, den Herzog von Orleans, näher. Der war ein wohlgestalteter Fürst, schön, voll Feuer und Ehrgeiz, und von einer aufbrausenden Jugend, welche der Mäßigung bedurfte.

Der Rang des Älteren, den der Dauphin einnahm, und des Königs Gunst, die der Herzog von Orleans besaß, verursachte eine gewisse Eifersucht unter ihnen, die schließlich in Haß ausartete. Diese Eifersucht hatte in früher Kindheit begonnen und war immer wach geblieben. Als der Kaiser in Frankreich weilte, gab er dem Herzog von Orleans einen besonderen Vorzug vor Monsieur le Dauphin, der dies so bitter empfand, daß er, als der Kaiser in Chantilly war, den Konnetabel verpflichten wollte, ihn festzunehmen, ohne den Befehl des Königs abzuwarten. Der Konnetabel wollte es nicht; der König tadelte ihn später, den Rat seines Sohnes nicht befolgt zu haben; und wenn er ihn vom Hofe verbannte, so hat dies viel dazu beigetragen. Dieser Zwist zwischen den beiden Brüdern gab der Herzogin von Estampes zu denken, und sie beschloß, den Herzog von Orleans zu unterstützen, um sich gegen Madame de Valentinois behaupten zu können; und hatte Erfolg damit, denn der Fürst ergriff, ohne in sie verliebt zu sein, nicht minder eifrig ihre Partei wie der Dauphin die der Herzogin von Valentinois. Dies zettelte zwei Verschwörungen am Hofe an, wie Sie sich wohl denken können, doch beschränkten sich diese Ränke nicht nur auf den Hader der Frauen. Der Kaiser hatte zu dem Herzog von Orleans eine Zuneigung gefaßt und ihm mehrere Male angeboten, für ihn das Herzogtum Mailand wiederherzustellen. Bei den Friedensvorschlägen, die seitdem schwebten, ließ er ihn hoffen, ihm die siebzehn Provinzen geben und ihn zum Manne seiner Tochter machen zu wollen. Monsieur le Dauphin wünschte weder Frieden noch Heirat. Er bediente sich des Konnetabels, welcher ihm stets nahe gestanden hatte, um dem Könige darzulegen, wie wichtig es sei, seinem Nachfolger keinen so mächtigen Bruder zu geben, wie es der Herzog von Orleans als Schwiegersohn des Kaisers und Herr der siebzehn Provinzen sein würde. Der Konnetabel trat um so lieber für die Meinung des Dauphins ein, weil sie der der Madame d'Estampes, seiner erklärten Feindin, entgegengesetzt war, welche die Erhöhung des Herzogs von Orleans sehnlichst wünschte.

Monsieur le Dauphin befehligte damals das Heer des Königs in der Champagne und hatte das des Kaisers in eine solch verzweifelte Lage gebracht, daß es gänzlich verloren gewesen wäre, wenn nicht die Herzogin von Estampes aus Besorgnis, allzugroße Vorteile könnten für den Frieden und den Bund des Kaisers mit dem Herzoge von Orleans gefährlich werden, die Feinde heimlich aufgefordert hätte, Epernay und Chateau Thierry, welche voll der Lebensmittel waren, zu überrumpeln. Sie taten es und retteten durch dieses Mittel das ganze Heer.

Nicht lange freute sich die Herzogin dieses Verrats. Kurz darauf starb der Herzog von Orleans zu Tarmontiers an einer gewissen ansteckenden Krankheit. Er hatte eine der schönsten Frauen des Hofes geliebt und ward von ihr wieder geliebt. Ich will sie nicht mit Namen nennen, weil sie seitdem so ehrbar gelebt, und sie selbst mit soviel Sorgfalt die Liebe, welche sie mit dem Fürsten verband, verheimlich hat, daß sie es verdient, wenn man ihren Ruf schont. Der Zufall wollte es, daß sie die Nachricht vom Tode ihres Gatten am gleichen Tage wie die des Herzogs von Orleans erhielt, so daß sie einen Vorwand hatte, ihre wahre Neigung zu verbergen, ohne die Mühe zu haben, sich Zwang auflegen zu müssen.

Der König überlebte den Prinzen, seinen Sohn, nicht lange und starb zwei Jahre später. Er legte es Monsieur le Dauphin nahe, sich des Kardinals von Tournon und des Admirals von Annébault zu bedienen, ohne von dem Konnetabel zu sprechen, welcher damals aus Chantilly verbannt war. Dessenungeachtet war es des Königs, seines Sohnes, erste Tat, ihn zurückzurufen und ihm die Leitung der Staatsgeschäfte zu übertragen.

Madame d'Estampes wurde des Landes verwiesen und ward aller schlechten Behandlung ausgesetzt, der sie sich von einer so mächtigen Feindin gewärtig sein konnte. Die Herzogin von Valentinois rächte sich vollständig an der Herzogin und an allen, die ihr Mißfallen erregt hatten. Ihr Einfluß auf des Königs Gemüt schien noch unumschränkter zu sein, als er es scheinbar während der Dauphinzeit gewesen war. Seit zwölf Jahren herrscht der Fürst, sie ist absolute Gebieterin über alle Dinge, sie entscheidet über Ämter und Angelegenheiten; sie ließ den Kardinal von Tournon, den Kanzler Olivier und Villeroy verbannen. Die, welche den König über ihre Aufführung aufklären wollten, sind bei diesem Unterfangen umgekommen.

Der Graf von Taix, ein Großmeister der Artillerie, welcher sie nicht liebte, konnte sich nicht enthalten, über ihre Liebesabenteuer zu reden, vor allem über das mit dem Grafen von Brissac, auf den der König schon sehr eifersüchtig war. Nichtsdestoweniger sorgte sie dafür, daß der Graf von Taix in Ungnade fiel und seines Amtes entsetzt wurde, ließ es, was beinahe unglaublich ist, dem Grafen von Brissac zuerteilen und machte ihn später auch zum Marschall von Frankreich. Des Königs Eifersucht wuchs infolgedessen in solchem Maße, daß er des Marschalls Aufenthalt am Hofe nicht ertragen konnte; aber die Eifersucht, welche alle anderen Menschen bitter und heftig macht, machte ihn der hohen Ehrfurcht zufolge, die er vor seiner Geliebten hat, sanft und maßvoll; daher entfernte er seinen Nebenbuhler nur unter einem Vorwande, indem er ihm die Verwaltung von Piemont übertrug. Dort hat er mehrere Jahre zugebracht; letzten Winter kam er unter dem Vorgeben zurück, neue Truppen und andere nötige Dinge für das Heer, welches er befehligt, zu erbitten. Das Verlangen, Madame de Valentinois wiederzusehen, und die Sorge, von ihr vergessen zu sein, haben ihn vielleicht sehr viel mehr zu dieser Reise bewogen. Der König empfing ihn mit eisiger Kälte. Die Messieurs de Guise, welche ihn nicht lieben, es ihm aber um der Herzogin von Valentinois willen nicht zu zeigen wagen, benutzten den Vizedom von Chartres, der sein erklärter Feind ist, um zu verhindern, daß er irgend etwas von dem erhielt, worum er zu bitten gekommen war. Es war nicht schwer, ihm zu schaden; der König haßte ihn, und seine Anwesenheit verursachte ihm Unruhe. Daher ward er zur Rückkehr gezwungen, ohne daß seine Reise mehr gefruchtet hat, als vielleicht im Herzen der Madame de Valentinois wieder Gefühle aufflammen zu lassen, welche die Abwesenheit auszulöschen begann. Der König hatte wohl noch andere Nebenbuhler zu fürchten, doch entweder kannte er sie nicht, oder er wagte es nicht, sich über sie zu beklagen.

»Ich weiß nicht, meine Tochter«, fügte Madame de Chartres hinzu, »ob Sie nicht finden, ich habe Ihnen mehr erzählt, als Sie zu hören wünschten!« – »Ich bin weit davon entfernt, mich zu beklagen«, sagte die Prinzessin von Cleve dawider, »und trüge ich nicht Sorge, Ihnen lästig zu fallen, würde ich Sie noch nach anderen Dingen, die ich nicht kenne, fragen!«

Monsieur de Nemours' Liebe zu Madame de Cleve wurde schließlich so heftig, daß sie ihm die Zuneigung und sogar die Gedanken an alle die Frauen nahm, welche er geliebt, und mit denen er während seiner Abwesenheit in Verbindung gestanden hatte. Er gab sich nicht einmal Mühe, Gründe zum Bruch mit ihnen zu suchen, und konnte es nicht über sich bringen, ihre Klagen geduldig anzuhören und auf ihre Vorwürfe zu antworten. Madame la Dauphine, für die er sehr lebhaft geflammt hatte, konnte in seinem Herzen nicht stand gegen Madame de Cleve halten. Selbst seine Ungeduld auf die Reise nach England begann sich zu verringern, und er betrieb die Herstellung der Ausrüstung, welcher er für seine Reise bedurfte, nicht mehr mit großem Eifer. Er ging oft zu Madame la Dauphine, weil Madame de Cleve oft zu ihr kam, und er war nicht ärgerlich, daß man von seinen angeblichen Gefühlen für die Königin redete. Madame de Cleve schien ihm ein so köstlicher Preis, daß er sich vornahm, lieber darauf zu verzichten, ihr ein Zeichen seiner Leidenschaft zu geben, als es zu wagen, sie öffentlich sehen zu lassen. Er sprach nicht einmal mit dem Vizedom darüber, der sein nächster Freund war und vor dem er nie etwas verborgen hatte, und führte sich so klug auf und beobachtete so viel Sorgfalt, daß niemand außer Monsieur de Guise argwöhnte, daß er in Madame de Cleve verliebt war. Und sie selber würde Mühe gehabt haben, darum zu merken, wenn nicht ihre Neigung zu ihm sie zu besonderer Aufmerksamkeit seinen Handlungen gegenüber verpflichtet hätte, welche ihr keinen Zweifel daran erlaubten.

Sie befand sich nicht in derselben Stimmung, mit ihrer Mutter darüber zu reden, was sie von den Gefühlen dieses Prinzen hielt, in der sie früher mit ihr über ihre anderen Liebhaber zu reden pflegte; ohne jedoch zu beabsichtigen, ihr dieses zu verbergen, sprach sie nicht mit ihr darüber. Doch Madame de Chartres merkte nur zu gut darum, ebensogut auch um die Neigung, welche ihre Tochter zu ihm fühlte. Diese Erkenntnis verursachte ihr einen fühlbaren Schmerz; sie wußte sehr wohl, in welcher Gefahr das junge Wesen schwebte, wenn sie von einem so schönen Manne wie Monsieur de Nemours geliebt wurde, den sie selber liebte. Völlig dieses Argwohns, der ihr dieser Neigung wegen entstanden war, versichert wurde sie durch einen Vorfall, welcher sich einige Tage später abspielte.

Der Marschall von Saint André, der jede Gelegenheit ergriff, seine Prunksucht glänzen zu lassen, bat den König, unter dem Vorgeben, ihm sein Haus, welches gerade vollendet worden war, zu zeigen, ihm die Ehre erweisen zu wollen, mit den Königinnen bei ihm zu Abend zu speisen. Der Marschall war sehr froh, auch vor Madame de Cleves Augen diesen glänzenden Aufwand, der fast an Verschwendung grenzte, zeigen zu können.

Einige Tage vor dem zur Festlichkeit ausersehenen befand sich Monsieur le Dauphin, dessen Gesundheitszustand ziemlich zu wünschen übrig ließ, sehr schlecht und empfing niemanden. Die Dauphine, seine Gemahlin, hatte den ganzen Tag bei ihm zugebracht. Als er sich am Abend etwas wohler fühlte, ließ er alle Leute von Stand, die in seinem Vorzimmer waren, zu sich hereinkommen. Madame la Dauphine ging in ihre Gemächer und fand dort Madame de Cleve und einige andere Damen vor, die zu ihren Vertrauten gehörten. Da es schon ziemlich spät und sie nicht angekleidet war, ging sie nicht zu der Königin und ließ ihr sagen, daß sie nicht erscheinen würde. Und befahl, daß man ihre Geschmeide brächte, um einige für den Ball des Marschalls Saint André auszusuchen und gleichfalls Madame de Cleve einige zu geben, die sie ihr versprochen hatte. Wie sie damit beschäftigt waren, trat der Prinz von Condé ein; sein Rang gewährte ihm überall freien Zutritt. Madame la Dauphine sagte zu ihm, er käme zweifelsohne vom Könige, ihrem Gemahl, und fragte ihn, was man dort triebe. »Man streitet sich mit Monsieur de Nemours, Madame«, antwortete er, »und er verteidigt die Sache, welche er vertritt, mit soviel Hitze, als ob sie die seinige wäre. Ich glaube, er hat eine Geliebte, die ihm Unruhe bereitet, wenn sie zu Ball geht, denn er findet, es sei eine ärgerliche Sache für einen Liebhaber, das geliebte Wesen dort zu wissen!«

»Wie«, sagte Madame la Dauphine dawider, »Monsieur de Nemours wünscht nicht, daß seine Geliebte auf den Ball geht? Ich habe wohl angenommen, Ehemänner könnten es gern sehen, daß ihre Frauen nicht daran teilnähmen, aber ich habe nimmer geglaubt, daß Liebhaber solcher Ansicht sein würden!« – »Monsieur de Nemours findet«, entgegnete der Prinz von Condé, »ein Ball sei das Unglücklichste für Liebhaber, sei es, daß sie geliebt oder nicht geliebt würden. Er sagt, wenn sie geliebt würden, hätten sie den Kummer, mehrere Tage über weniger zu gelten, da es keine Frau gäbe, welche die Sorge um ihren Putz nicht hindere, an ihren Geliebten zu denken, ja sie kümmerten sich lediglich um diesen; und diese Sorgfalt, sich zu schmücken, würde ebenso gut für ihren Geliebten wie für alle Welt angewendet. Und wenn sie auf einem Balle wären, wollten sie allen, die sie anblickten, gefallen; wenn sie aber mit ihrer Schönheit zufrieden seien, hätten sie eine Freude darüber, an welcher ihr Geliebter nicht sonderlich beteiligt sei. Er sagt auch, wenn man nicht geliebt würde, litte man noch mehr darunter, seine Herrin auf einem Balle zu sehen, denn je mehr sie öffentlich bewundert würde, desto unglücklicher fühlte man sich, nicht von ihr geliebt zu werden, da man immer fürchten müsse, ihre Schönheit möchte eine glücklichere Liebe als die seinige erwirken. Endlich findet er, daß es kein größeres Leiden gäbe, als seine Geliebte auf einem Ball zu wissen, auf dem man selber nicht sein könne.

Madame de Cleve tat, als ob sie die Worte des Prinzen von Condé nicht höre, aber sie hörte sie aufmerksamen Ohres an. Sie dachte voll Freude daran, welchen Anteil sie an dieser Meinung hatte, welche Monsieur de Nemours vertrat, und vor allem auch daran, was er von dem Kummer sagte, nicht auf dem Balle sein zu können, wo seine Geliebte wäre, weil er nicht an dem des Marschalls von Saint André teilnehmen konnte, da ihn der König dem Herzoge von Ferrara entgegensandte.

Madame la Dauphine lachte mit dem Prinzen von Condé und billigte Monsieur de Nemours' Meinung nicht. »Nur eine Gelegenheit gibt es, Madame«, fuhr der Prinz fort, »wo Monsieur de Nemours einwilligt, daß seine Geliebte zum Ball geht, nämlich wenn er ihn veranstaltet. Und er sagte, als er im vorigen Jahre Eurer Majestät einen gegeben, habe ihm seiner Ansicht nach seine Geliebte mit ihrer Teilnahme eine Gunst gewährt, wiewohl sie scheinbar nur Ihnen dorthin gefolgt sei. Für einen Liebhaber bedeute es stets eine Gnade, wenn sie an einem Vergnügen, das er veranstalte, teilnähme; auch sei es sehr angenehm, wenn seine Geliebte ihn als Herrn eines Ortes, wo sich der ganze Hof aufhalte, sich gut aufführen und den Wirt spielen sähe!« – »Monsieur de Nemours täte besser daran«, fuhr Madame la Dauphine mit einem Lächeln fort, »es zu loben, wenn seine Geliebte am Ball teilnimmt!« Es gab damals eine so große Anzahl von Frauen, denen dieser Titel zukam, daß es dort wenig Leute gegeben hätte, wenn sie ausgeblieben wären.

Sobald der Prinz von Condé begonnen hatte, Monsieur de Nemours' Ansichten über Bälle zu erzählen, verspürte Madame de Cleve große Lust, an dem des Marschalls von Saint André nicht teilzunehmen. Freudig griff sie die Meinung auf, man dürfe zu keinem Manne gehen, von dem man geliebt würde, und war sehr froh, einen Grund zur Strenge zu haben, um etwas zu tun, was für Monsieur de Nemours eine Gunst bedeutete. Dessenungeachtet nahm sie doch den Schmuck mit, welchen ihr Madame la Dauphine gegeben hatte. Doch als sie ihn abends ihrer Mutter zeigte, sagte sie, daß sie ihn nicht anzulegen beabsichtige; der Marschall von Saint André zeige allzu deutlich, was er für sie fühle, und würde es sie zweifelsohne wissen lassen, wenn sie an dem Feste teilnähme, welches er dem Könige gäbe. Auch würde er ihr unter dem Vorwande, den Wirt bei sich zu spielen, eifrig den Hof machen, worüber sie vermutlich in Verlegenheit geraten müsse.

Madame de Chartres bekämpfte einige Zeit die Meinung ihrer Tochter, da sie sie merkwürdig fand; doch als sie sah, daß sie in ihr verharrte, gab sie nach und sagte, sie müsse sich dann krank stellen, um einen Vorwand für das Nichtkommen zu haben, denn ihre Gründe, die sie daran hinderten, würden nicht gebilligt werden; auch müsse man es zu verhüten suchen, daß man sie argwöhne. Madame de Cleve willigte gerne darein, einige Tage zu Hause zu bleiben, um nicht an einen Ort gehen zu müssen, wo Monsieur de Nemours nicht sein konnte. Der aber reiste ab, ohne das Vergnügen zu haben, darum zu wissen, daß sie nicht auf den Ball ging.

Er kam am Tage nach dem Balle zurück und hörte, daß sie nicht dagewesen war. Doch da er nicht wußte, daß man in ihrer Gegenwart die Unterhaltung beim Dauphin wiedergegeben hatte, dachte er nicht im entferntesten daran, er sei der Glückliche gewesen, der sie daran gehindert habe, zum Ball zu gehen.

Als er folgenden Tages bei der Königin war und mit Madame la Dauphine sprach, traten Madame de Chartres und Madame de Cleve ein und näherten sich der Fürstin. Madame de Cleve war ein wenig nachlässiger gekleidet, wie ein Wesen, das sich elend gefühlt hatte; doch ihr Aussehen entsprach ihrer Kleidung nicht. »Sie sehen so schön aus«, sagte Madame la Dauphine, »daß ich nicht an Ihre Krankheit glauben kann. Ich denke, indem Ihnen der Prinz von Condé Monsieur de Nemours' Meinung über Bälle sagte, überzeugte er Sie, daß Sie dem Marschall von Saint André eine Gunst gewähren würden, wenn Sie zu ihm gingen; und das verhinderte Sie an Ihrem Erscheinen dort!« Madame de Cleve errötete darüber, daß Madame la Dauphine richtig riet, und auch darüber, daß sie vor Monsieur de Nemours sagte, was sie erraten hatte.

Madame de Chartres merkte in diesem Augenblick, warum ihre Tochter den Ball nicht hatte besuchen wollen; und um zu verhindern, daß es Monsieur de Nemours ebenso gut wie sie erriet, ergriff sie das Wort mit einer Miene, die sich auf Wahrheit zu berufen schien. »Ich versichere Ihnen, Madame«, sagte sie zu Madame la Dauphine, »Eure Majestät tun meiner Tochter mehr Ehre an, als sie sie verdient. Sie war wirklich krank; aber ich glaube, wenn ich sie nicht gehindert hätte, würde sie sich nicht haben abhalten lassen, Ihnen zu folgen, und so verändert, wie sie war, gekommen sein, um das Vergnügen zu haben, all das Außergewöhnliche zu sehen, was es dort beim Feste gestern abend gab!« Madame la Dauphine glaubte, was Madame de Chartres sagte; Monsieur de Nemours wurde sehr betrübt, dies zu hören; nichtsdestoweniger ließ ihn Madame de Cleves Erröten argwöhnen, Madame la Dauphines Aussage entferne sich nicht allzusehr von der Wahrheit.

Madame de Cleve war anfangs verdrossen, daß Monsieur de Nemours Grund gehabt hatte zu glauben, sie sei auf seine Veranlassung hin nicht zum Marschall von Saint André gegangen. Doch schließlich fühlte sie einigen Kummer, daß ihre Mutter ihm jeden Glauben daran genommen.

*

Obwohl die Versammlung von Cercamp sich aufgelöst hatte, waren die Friedensverhandlungen doch immer fortgesetzt worden; und die Dinge entwickelten sich solcher Art, daß man sich Ende Februar in Chateau Cambresis versammelte. Die gleichen Abgeordneten kehrten dorthin zurück; die Abwesenheit des Marschalls von Saint André aber befreite Monsieur de Nemours von einem Nebenbuhler, der ihm durch seine Achtsamkeit auf die, welche sich Madame de Cleve näherten, gefährlicher war als durch die Fortschritte, die seine Neigung bei ihr erwirken konnten.

Madame de Chartres hatte ihre Tochter nicht merken lassen wollen, daß sie um ihre Gefühle für den Prinzen wußte, denn sie fürchtete sich, ihr durch die Dinge, die sie ihr zu sagen beabsichtigte, verdächtig zu machen. Sie schickte sich eines Tages an, von ihm zu sprechen, indem sie ihr viel Gutes über ihn und viele vergiftete Lobeserhebungen über seine Klugheit sagte, sich niemals wahrhaft, sondern nur um seines Vergnügens willen zu verlieben. »Und dies nur«, fügte sie hinzu, »weil man vermutet, daß er eine leidenschaftliche Liebe zu Madame la Dauphine hegt; ich sehe selbst, daß er sehr oft bei ihr weilt, und ich rate Ihnen, es nach Möglichkeit zu vermeiden, viel und besonders allein mit ihm zu sprechen, weil man sonst bald sagen würde, daß Sie Madame la Dauphines Vertraute seien, zumal man sieht, wie sie Sie behandelt; und Sie wissen doch, wie unangenehm es ist, in solchem Lichte dazustehen. Wenn dieses Gerücht von Dauer ist, sollten Sie, meine ich, weniger oft zu Madame la Dauphine gehen, damit Sie sich nicht in galante Abenteuer verwickelt sehen!«

Madame de Cleve hatte nimmer von Monsieur de Nemours und Madame la Dauphine reden hören: Sie wurde bestürzt ob der natürlichen Rede, und war so fest überzeugt, sich in allem getäuscht zu haben, was sie von des Prinzen Gefühlen gedacht hatte, daß sich ihr Gesicht veränderte. Madame de Chartres merkte darum; es kamen Leute im Augenblick, Madame de Cleve ging in ihre Zimmer und schloß sich in ihr Schlafgemach ein. Man kann nicht ermessen, welchen Schmerz sie verspürte, an den Worten ihrer Mutter zu erkennen, welchen Anteil sie an Monsieur de Nemours nahm; noch niemals hatte sie gewagt, es sich selber einzugestehen. Sie sah nun, daß die ihm entgegengebrachten Gefühle die waren, um welche sie Monsieur de Cleve so innig gebeten hatte; sie sah ein, wie schändlich es war, sie für einen anderen wie für einen Gatten zu hegen, der sie verdiente. Sie fühlte sich verwundet und von Furcht erregt, daß Monsieur de Nemours sich ihrer bedienen wollte, um bei Madame la Dauphine in Vorteil zu kommen; und dieser Gedanke bestimmte sie, Madame de Chartres alles zu erzählen, was sie ihr noch nicht gesagt hatte.

Folgenden Morgen ging sie in deren Gemach, um ihre Absicht zu vollenden; doch sie fand, daß Madame de Chartres ein wenig fieberte, und wollte deshalb nicht mit ihr sprechen. Dennoch kam Madame de Cleve das Übel so belanglos vor, daß sie nachmittags nicht Abstand davon nahm, zu Madame la Dauphine zu gehen. Diese war mit zwei oder drei Damen, welche ihrem vertrauten Kreise angehörten, in ihrem Schlafgemach. »Wir sprechen eben von Monsieur de Nemours«, rief die Königin ihr zu, als sie ihrer ansichtig wurde, »und wundern uns, wie sehr er sich seit seiner Rückkehr aus Brüssel verändert hat; bevor er reiste, hatte er eine Unzahl von Geliebten, und es war dies gar sein Fehler, denn er hielt sich mit denen, die es wert waren, und mit denen, welche es nicht verdienten. Seit seiner Rückkehr kennt er weder die einen noch die anderen; niemals sah ich einen solchen Wechsel in der Lebensführung, und ich finde sogar, daß sich auch sein Gemüt geändert hat, denn er ist weniger fröhlich als ehedem!«

Madame de Cleve erwiderte nichts darauf und dachte mit Scham daran, daß sie alle Veränderungen, die man an dem Prinzen bemerkte, als Zeichen seiner Liebe zu ihr gedeutet hätte, wenn sie nicht von ihrem Wahne befreit worden wäre. Und fühlte einige Bitterkeit gegen Madame la Dauphine, weil sie nach Ursachen suchte und sich über etwas wunderte, dessen Grund sie wahrscheinlich besser als jedermann wußte. Sie konnte es sich nicht versagen, ihr etwas darüber zu äußern; und als sich die anderen Damen entfernten, näherte sie sich ihr und sprach ganz leise zu ihr: »Gilt auch mir, was Sie soeben sagten, Madame, und wollen Sie auch mir verbergen, daß Sie diejenige sind, welche den Wechsel in Monsieur de Nemours' Aufführung hervorgerufen hat?« – »Sie tun mir unrecht«, erwiderte Madame la Dauphine, »denn Sie wissen, daß ich nichts vor Ihnen verheimliche. Wahr ist, daß Monsieur de Nemours, glaube ich, beabsichtigte, ehe er nach Brüssel ging, mich wissen zu lassen, daß er mich nicht haßte; doch seitdem er zurückgekehrt ist, sieht es mir nicht einmal so aus, als ob er sich seiner Handlungen erinnerte; und ich gestehe, daß ich ziemlich neugierig bin zu erfahren, wer diesen Wandel hervorgerufen hat. – Es wird mir ein leichtes sein, dies zu enthüllen«, fuhr sie fort, »denn der Vizedom von Chartres, sein bester Freund, liebt eine Dame, auf die ich einigen Einfluß ausübe, und durch sie werde ich erfahren, wer diesen Wechsel verschuldet hat!« Madame la Dauphine sprach mit einer Miene, die Madame de Cleve überzeugte; die aber fühlte sich wider Willen in einem ruhigeren und freudigeren Zustande als vorher.

Wie sie zu ihrer Mutter heimkehrte, vernahm sie, daß es sehr viel schlimmer um sie stünde als bei ihrem Fortgehen. Das Fieber hatte sich verdoppelt, und die folgenden Tage steigerte es sich derartig, daß es in eine gefährliche Krankheit auszuarten schien. Madame de Cleve war aufs äußerste betrübt und verließ das Gemach ihrer Mutter nicht. Auch Monsieur de Cleve verbrachte dort fast alle Tage aus Teilnahme, die er Madame de Chartres' Befinden zollte, und weil er verhindern wollte, daß sich seine Frau der Traurigkeit überließe. Auch wollte er die Freude haben, sie zu sehen, denn seine Leidenschaft hatte sich nicht verringert.

Monsieur de Nemours, der stets viel Freundschaft für ihn übrig gehabt hatte, ließ nicht ab, sie ihm nach seiner Rückkehr aus Brüssel zu bezeugen. Während Madame de Chartres' Krankheit fand der Prinz mehrere Male Gelegenheit, Madame de Cleve zu sehen, als er scheinbar ihren Gatten suchte oder ihn zu einem Spaziergang abzuholen kam. Und besuchte ihn gar zu Stunden, wo er genau wußte, daß er abwesend war; und unter dem Vorgeben, ihn erwarten zu wollen, hielt er sich in Madame de Chartres' Vorzimmer auf, wo sich täglich Leute von Stand einfanden. Madame de Cleve kam oft dorthin und schien Monsieur de Nemours in ihrer Traurigkeit nicht minder schön zu sein. Er ließ sie sehen, welchen Anteil er an ihrer Betrübnis nahm, und sprach ihr davon mit einer ehrerbietigen und liebreichen Miene, die sie leicht überzeugte, daß seine Liebe nicht Madame la Dauphine galt.

Sie konnte eine Verwirrung bei seinem Anblick nicht unterdrücken und hatte doch Freude, ihn zu sehen; aber wenn sie ihn nicht mehr sah und daran dachte, das Entzücken, welches sie bei seinem Anblick überkam, sei der Beginn der Zuneigung, dann fehlte wenig daran, daß sie ihn um des Schmerzes willen, den ihr dieser Gedanke verursachte, zu hassen glaubte.

Madame de Chartres' Befinden verschlimmerte sich dergestalt, daß man an ihrem Leben zu verzweifeln begann; sie nahm alles, was ihr die Ärzte von der Gefahr sagten, in der sie schwebte, mit einem Mute auf, der ihrer Tugend und Frömmigkeit entsprach. Nachdem die Ärzte fortgegangen waren, hieß sie jedermann sich entfernen und ließ ihre Tochter rufen.

»Wir müssen voneinander scheiden, meine Tochter«, sagte sie, indem sie sie bei der Hand hielt; »die Gefahr, in der ich Sie schweben sehe, vermehrt meinen Kummer, Sie zu verlassen, und Sie gerade jetzt verlassen zu müssen, wo Sie meiner bedürfen. Sie haben eine Neigung zu Monsieur de Nemours; ich bitte Sie, leugnen Sie sie nicht ab. Ich befinde mich in einem Zustande, wo ich Ihrer Offenheit bedarf, um Sie zu leiten. Ich habe diese Liebe seit langem bemerkt, doch wollte ich anfangs nicht mit Ihnen darüber sprechen, weil ich fürchtete, Sie selbst möchten sie erst dadurch gewahr werden. Sie kennen sie jetzt nur zu gut. Sie stehen am Rande eines Abgrundes; es bedarf großer Anstrengung und Selbstüberwindung, um Sie vor dem Sturze zu bewahren. Denken Sie daran, was Sie Ihrem Gatten schuldig sind; denken Sie daran, was Sie sich selber schuldig sind, und denken Sie daran, daß Sie im Begriffe stehn, den guten Ruf zu verlieren, den zu gewinnen ich Ihnen behilflich war. Haben Sie Kraft und Mut, meine Tochter, ziehen Sie sich vom Hofe zurück; verpflichten Sie Ihren Gatten, Sie fortzuführen. Scheuen Sie sich nicht, zu harte und grausame Entschlüsse zu fassen: Welche Pein sie Ihnen auch anfangs bereiten, sie werden in der Folgezeit wohltuender sein als die Wirkungen einer schlimmen Liebschaft. Wenn Sie andere Gründe wie die der Tugend und Ihrer Pflicht zu dem, was ich wünsche, nötigen könnten – will ich Ihnen offen sagen –, wäre irgend etwas fähig, mir das Glück, welches ich beim Scheiden aus dieser Welt erhoffe, zu trüben, so würde es das sein, Sie wie andere Frauen sinken zu sehen; wenn Sie aber dieses Unglück überkommen muß, erwarte ich, um nicht dessen Zeuge zu sein, freudig den Tod.« Madame de Cleve zerfloß über der Hand ihrer Mutter, welche sie mit den ihrigen drückte, in Tränen; auch Madame de Chartres war sichtlich gerührt. »Leben Sie wohl, meine Tochter«, fuhr sie fort, »lassen Sie uns ein Gespräch beendigen, das uns, eine wie die andere, weich macht; und erinnern Sie sich, wenn Sie es können, alles dessen, was ich Ihnen eben sagte!«

Als sie diese Worte gesprochen hatte, legte sie sich auf die andere Seite und befahl ihrer Tochter, ohne sie anhören oder noch mehr sprechen zu wollen, ihre Frauen zu rufen. Madame de Cleve ging in einem Zustande aus dem Gemach ihrer Mutter, den man sich ausmalen kann; Madame de Chartres aber dachte nur noch daran, sich auf den Tod vorzubereiten. Sie lebte noch zwei Tage, während welcher sie ihre Tochter, die das einzige Wesen war, an das sie sich gebunden fühlte, nicht mehr wiedersehen wollte.

Madame de Cleve war in äußerster Betrübnis; ihr Gatte verließ sie nicht, und sobald Madame de Chartres bestattet war, führte er sie auf das Land, um sie von dem Orte fern zu halten, der ihren Schmerz nur vergrößern konnte. Man sah nimmer einen lebhafteren, da Zärtlichkeit und Dankbarkeit ihn in erster Hinsicht verursachten. Das Gefühl, wie notwendig sie ihrer Mutter bedurfte, um sich Monsieur de Nemours' zu erwehren, ließ nicht zu, daß er geringer wurde. Sie war unglücklich, zu einer Zeit auf sich selber angewiesen zu sein, wo sie so wenig Herrin ihrer Gefühle war und wo sie sich so sehnlichst gewünscht hätte, jemand zu haben, bei dem sie sich beklagen und der ihr Mut zusprechen konnte. Monsieur de Cleves Benehmen ihr gegenüber ließ sie stärker als je empfinden, daß sie nichts an dem, was sie ihm schuldete, fehlen lassen dürfte. Sie bezeugte ihm denn auch mehr Freundschaft und Zärtlichkeit, als sie es je getan hätte, und wollte nicht, daß er sie verließe; war es ihr doch, als ob sie dadurch, daß sie ihn an sich fesselte, sich besser Monsieur de Nemours' erwehren könnte.

Der Prinz kam auf das Land, um Monsieur de Cleve zu sehen; er bot alles auf, um auch Madame de Cleve einen Besuch abstatten zu dürfen, jedoch sie wollte ihn nicht empfangen. Da sie genau fühlte, daß sie nicht umhin könnte, ihn liebenswert zu finden, hatte sie den festen Entschluß gefaßt, ein Wiedersehn und alle Gelegenheiten dazu, die von ihr abhängig waren, zu vermeiden.

Monsieur de Cleve ging nach Paris zurück, um bei Hofe seinen Dienst zu tun, und versprach seiner Frau folgenden Morgen zurückzukommen; trotzdem kam er erst einen Tag später wieder. »Ich habe Sie gestern den ganzen Tag über zurückerwartet«, sagte Madame de Cleve zu ihm, als er eintraf, »und muß Ihnen Vorwürfe machen, nicht zur versprochenen Zeit zurückgekommen zu sein. Sie wissen, könnte ich neuen Schmerz in meiner jetzigen Trübsal empfinden, so würde ihn Madame de Tournons Tod verursacht haben, welchen ich heute morgen erfuhr. Ich wäre auch traurig darüber, wenn ich sie nicht gekannt hätte; ist es doch sehr betrübend, daß eine junge und schöne Frau, wie sie es war, in zwei Tagen stirbt; und mehr noch, sie war eine der Frauen von Rang, die mir sehr gut gefiel und ebensoviel Klugheit wie Wert zu haben schien.«

»Es betrübt mich sehr, nicht gestern zurückgekehrt zu sein«, entgegnete Monsieur de Cleve, »aber ich mußte notwendig einen Unglücklichen trösten, den ich unmöglich verlassen konnte. Um Madame de Tournon rate ich Ihnen, nicht traurig zu sein, wenn Sie sie als eine kluge und Ihrer Schätzung würdige Frau bedauern!« »Sie setzen mich in Erstaunen«, sagte Madame de Cleve dawider, »denn ich habe Sie mehrere Male sagen hören, daß Sie keine Frau am Hofe höher achteten als sie!« – »Das ist wahr«, entgegnete der Prinz, »aber Frauen sind unbegreiflich; und wenn ich alle betrachte, dann fühle ich mich so glücklich, Sie zu besitzen, daß ich mein Heil nicht genug preisen kann!« – »Sie schätzen mich mehr, als ich es verdiene«, antwortete Madame de Cleve mit einem Seufzer, »es ist noch nicht an der Zeit, mich Ihrer wert zu finden. Erzählen Sie mir, ich bitte Sie herzlich, worin Sie Madame de Tournon enttäuscht hat!« – »Ich kenne sie seit langem«, entgegnete er, »und weiß, daß sie den Grafen von Sancerre liebte, dem sie Hoffnungen auf eine Heirat machte.« – »Ich kann nicht glauben«, unterbrach Madame de Cleve, »daß Madame de Tournon nach der so außergewöhnlichen Abneigung, die sie, seitdem sie Witwe wurde, der Ehe bezeigte, und nach den Erklärungen, die sie öffentlich ablegte, sich niemals wieder zu verheiraten, in Monsieur de Sancerre Hoffnungen erweckt hat!« – »Wenn sie sie nur in ihm hervorgerufen hätte«, fiel Monsieur de Cleve ein, »würde man sich nicht wundern, doch was das Überraschende ist, sie hat sie zur gleichen Zeit auch in Estouteville erregt. Aber ich will Ihnen die ganze Geschichte erzählen ...«


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