Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wie sehr mich indessen auch diese Verbindung mit der Königin ausfüllte und beschäftigte, ich hing dennoch mit einer natürlichen Neigung, die nichts überwinden konnte, an Madame de Themines. Es schien mir, als ob sie aufhöre, mich zu lieben, und statt so klug zu sein, mich dieses Wechsels, den sie mich merken ließ, zu bedienen, um mich von ihr loszumachen, verdoppelte sich meine Liebe zu ihr, und ich betrug mich so schlecht, daß die Königin einige Kenntnis von diesem Handel bekam. Eifersucht ist Frauen ihres Volkes angeboren, und vielleicht hegte die Fürstin lebhaftere Gefühle für mich, als sie selber vermutete. Denn schließlich bereitete ihr das Gerücht von meinem Verliebtsein solch große Unruhe und so großen Kummer, daß ich mich tausendmal durch sie verloren wähnte. Endlich beruhigte ich sie durch Diensterweisungen, Ergebenheit und falsche Schwüre wieder, aber, ich würde sie nicht mehr lange haben täuschen können, wenn mich Madame de Themines nicht wider meinen Willen durch ihren Gefühlswechsel freigemacht hätte. Sie ließ mich merken, daß sie mich nicht mehr liebe, und ich war so überzeugt davon, daß ich mich veranlaßt sah, nicht weiter in sie zu drängen und sie in Ruhe zu lassen. Einige Zeit danach schrieb sie mir den verlorengegangenen Brief. Ich erfuhr durch ihn, daß sie um den Handel gewußt, den ich mit jener anderen Frau gehabt hatte, von dem ich Ihnen erzählte, und daß dies die Ursache ihrer Veränderung war. Als ich dann durch nichts mehr abgezogen wurde, war die Königin ziemlich zufrieden mit mir; doch da meine Gefühle für sie nicht derartig sind, mich jeder anderen Empfindung unfähig zu machen, und da man nicht nach seinem Willen verliebt sein kann, ward ich es in Madame de Martigues, für die ich schon eine sehr starke Leidenschaft hegte, als sie noch Villemontais hieß und Madame de Dauphines Ehrendame war. Ich hatte allen Grund, mich nicht gehaßt zu glauben: Die Verschwiegenheit, welche ich ihr bewies, und deren Gründe sie nicht völlig kannte, war ihr angenehm. Die Königin schöpfte keinen Verdacht gegen ihre Person, aber sie tat es gegen eine andere, was nicht minder ärgerlich ist. Weil Madame de Martigues jeden Tag bei Madame la Dauphine ist, gehe ich auch öfters, als es schicklich ist, zu ihr. Die Königin meint nun, ich sei in Madame la Dauphine verliebt. Madame la Dauphines Rang, welcher ihrem gleichkommt, ihre Schönheit und Jugend, die sie über sie stellen, verursachen ihr eine Eifersucht, die beinahe an Raserei grenzt, und einen Haß gegen ihre Schwiegertochter, welchen sie nicht mehr zu verbergen weiß. Der Kardinal von Lothringen, der mir seit langem schon nach der Königin Gunst zu trachten scheint und mich einen Platz einnehmen sieht, welchen er ausfüllen möchte, hat sich unter dem Vorwande, Madame la Dauphine mit ihr auszusöhnen, in die Zwistigkeiten gemischt, welche sie miteinander haben. Und ich zweifle nicht, daß er die wahre Ursache des Hasses der Königin entdeckt hat, und glaubte, er wird mir jeden schlechten Dienst leisten, ohne die Königin merken zu lassen, daß er ihn mir zu leisten willens ist. Also stehen die Dinge zu dieser Stunde, wo ich mit Ihnen spreche. Urteilen Sie, welche Wirkung der von mir verlorene Brief hervorrufen kann, den mich mein Unglück in die Tasche stecken ließ, um ihn Madame de Themines zurückzugeben. Wenn die Königin diesen Brief sieht, wird sie merken, daß ich sie hintergangen habe und daß ich fast zu der Zeit, wo ich sie um Madame de Themines willen, Madame de Themines einer anderen halber täuschte. Sagen Sie sich selber, was sie nun von mir denken muß und ob sie meinen Worten jemals wieder trauen kann. Was soll ich ihr sagen, wenn sie diesen Brief jemals sieht? Sie weiß, daß man ihn in Madame la Dauphines Händen gelassen hat, und wird glauben, Chastelart habe seiner Fürstin Handschrift wiedererkann, und der Brief stamme von ihr. Sie wird mutmaßen, daß diese etwa die Frau ist, der man Eifersucht bezeigt; was wird sie nicht alles denken, und was werde ich von all diesen Gedanken zu befürchten haben? Dazu kommt noch, daß ich lebhaft in Madame de Martigues verliebt bin, der Madame la Dauphine sicherlich den Brief, den sie vor kurzem geschrieben wähnt, zeigen wird, also werde ich mich in gleicher Weise mit der Frau, die ich am tiefsten auf der Welt liebe, und mich mit der, die ich am meisten auf der Welt fürchten muß, überwerfen. Bedenken Sie also, ob ich nicht allen Grund habe, Sie zu beschwören, den Brief als den Ihrigen auszugeben, und Sie freundschaftlichst zu bitten, ihn sogleich aus Madame la Dauphines Händen zurückzuverlangen!
»Ich sehe ein«, erwiderte Monsieur de Nemours, »daß man in keiner größeren Aufregung sein kann, doch ich muß gestehen, Sie verdienen sie. Man hat mir vorgeworfen, kein treuer Liebhaber zu sein und mehrere Liebschaften auf einmal zu haben, doch Sie übertreffen mich bei weitem. Ich würde alles, was Sie unternahmen, nicht einmal auszudenken wagen. Konnten Sie erwarten, sich Madame de Themines zu erhalten, als Sie sich mit der Königin verbanden, und konnten Sie hoffen, sich mit der Königin zu verbinden und sie zugleich zu täuschen? Sie ist Italienerin und Königin und infolgedessen des Argwohns, der Eifersucht und des Stolzes voll. Als Sie mehr Ihr gutes Geschick als Ihre Aufführung von Verpflichtungen, die Sie eingegangen waren, befreite, haben Sie neue angeknüpft und sich eingebildet, inmitten des Hofes Madame de Martigues lieben zu können, ohne daß die Königin etwas davon erführe. Sie konnten nicht zart genug sein, um sie des beschämenden Gefühls, den ersten Schritt getan zu haben, zu entheben. Sie hegt eine starke Leidenschaft für Sie, Ihr Zartgefühl hindert Sie, es mir einzugestehen, und meines, Sie danach zu fragen; doch schließlich liebt sie Sie, sie mißtraut, und die Wahrheit zeugt wider Sie!« »Dürfen Sie mir Vorwürfe machen«, unterbrach ihn der Vizedom, »und muß nicht Ihre Erfahrung meinen Fehlern gegenüber Nachsicht walten lassen? Dennoch gebe ich gern zu, daß ich unrecht tat, aber denken Sie daran, ich beschwöre Sie, mich von dem Abgrund, an dem ich stehe, fortzuziehen. Nach meinem Dafürhalten müssen Sie Madame la Dauphine aufsuchen, sobald sie erwacht ist, und wie wenn Sie der Verlierer wären, den Brief von ihr zurückverlangen!« »Ich habe Ihnen bereits gesagt«, erwiderte Monsieur de Nemours, »daß das Ansinnen, welches Sie an mich stellen, etwas befremdend ist und daß mir mein eigener Vorteil dabei in die Quere kommt; doch mehr noch, wenn man diesen Brief aus Ihrer Tasche fallen sah, wird man meines Erachtens die Leute schwer überzeugen, daß er aus der meinigen gefallen sei.« – »Ich glaubte Ihnen gesagt zu haben«, erwiderte der Vizedom, »daß der Königin berichtet ist, er sei Ihrer Tasche entfallen!« – »Wie«, fuhr Monsieur de Nemours heftig auf, welcher in diesem Augenblick an die schlimmen Folgen dachte, die ihm dieser Irrtum bei Madame de Cleve erwirken konnte, »man hat Madame la Dauphine berichtet, ich habe diesen Brief verloren?« – »Ja«, versetzte der Vizedom, »man sagte es ihr. Und dieser Irrtum entstand so: Es waren mehrere Edelleute der Königinnen in einem der Ballspielsäle, wo unsere Kleider lagen, als Ihre und meine Leute sie holten. Zur selben Zeit fiel der Brief nieder, die Edelleute hoben ihn auf und lasen ihn ganz laut. Die einen glaubten, er gehöre Ihnen, die anderen mir. Chastelart nahm ihn an sich, und als ich ihn eben ihm abverlangen ließ, erklärte er, ihn Madame la Dauphine als einen Brief, der Ihnen gehöre, eingehändigt zu haben; die aber, welche der Königin davon erzählten, sagten unglücklicherweise, er gehöre mir. So können Sie meine Bitte leicht erfüllen und mich aus meiner schwierigen Lage befreien!«
Monsieur de Nemours hatte dem Vizedom von Chartres stets große Freundschaft bezeigt, und seine Liebe zu Madame de Cleve machte ihn ihm noch teurer. Dennoch konnte er sich nicht entschließen, die Gefahr auf sich zu nehmen, daß sie von diesem Briefe als einer Angelegenheit, die ihn anginge, reden hörte. Er begann tief nachzudenken, der Vizedom aber vermutete, daß sich dieses Grübeln kaum mit ihm beschäftigte, und sprach zu ihm: »Ich sehe, Sie fürchten sich mit Ihrer Geliebten zu entzweien, und Sie selber würden mir Grund zu der Vermutung geben, daß es sich um Madame la Dauphine handele, wenn mir nicht Ihre geringe Eifersucht auf Monsieur d'Anville diesen Gedanken nähme; doch wie dem auch sei, es ist billig, daß ich Ihre Ruhe nicht der meinigen opfere. Und ich will Ihnen Mittel geben, Ihrer Geliebten zu beweisen, daß sich der Brief an mich und nicht an Sie richtet: Hier ist ein Schreiben Madame d'Amboises, die eine Freundin von Madame de Themines ist, der sie alle Gefühle anvertraute, die sie mir entgegenbrachte. In diesem Brief erbittet sie sich das verlorengegangene Schreiben ihrer Freundin zurück. Mein Name steht auf dem Billett, und aus seinem Inhalte geht deutlich hervor, daß der zurückverlangte Brief derselbe ist, den man gefunden hat. Ich lege dieses Schreiben in Ihre Hände und willige ein, daß Sie es Ihrer Geliebten zu Ihrer Rechtfertigung zeigen. Ich beschwöre Sie, keinen Augenblick zu verlieren und noch heute morgen zu Madame la Dauphine zu gehen!« Monsieur de Nemours versprach es dem Vizedom von Chartres und nahm Madame d'Amboises Brief an sich; trotzdem hatte er nicht die Absicht, Madame la Dauphine aufzusuchen. Er fand, daß er etwas viel Wichtigeres zu tun hätte. Er zweifelte nicht, daß sie bereits mit Madame de Cleve über dieses Schreiben gesprochen hatte, und konnte es nicht ertragen, daß ein Wesen, welches er so innig liebte, etwa mit einigem Rechte annehmen möchte, er schmachte in anderen zarten Banden.
Und ging zu einer Stunde zu ihr, wo sie nach seinem Ermessen aufgewacht sein konnte, und ließ ihr sagen, er würde nicht um die Ehre gebeten haben, sie zu solch ungewöhnlicher Stunde sehen zu dürfen, wenn ihn nicht eine wichtige Angelegenheit dazu zwänge. Madame de Cleve lag noch mit bekümmertem und von traurigen Gedanken gequältem Gemüte zu Bette und hatte so die ganze Nacht über gewacht. Sie war außerordentlich überrascht, als man ihr Monsieur de Nemours' Begehren mitteilte; in ihrer Bitterkeit erklärte sie ohne jedes weitere Bedenken, daß sie krank sei und ihn nicht sprechen könne.
Den Prinzen verletzte diese Weigerung nicht, einige Kälte in einem Augenblick, wo sie eifersüchtig sein konnte, war kein übles Anzeichen. Er trat in Monsieur de Cleves Gemach ein und sagte zu ihm, er käme von dem seiner Frau Gemahlin und sei sehr betrübt, nicht bei ihr eintreten zu dürfen, weil er mit ihr über eine für den Vizedom von Chartres sehr wichtige Angelegenheit zu sprechen habe. Er setzte Monsieur de Cleve in wenigen Worten die Folgen dieser Angelegenheit auseinander, und Monsieur de Cleve führte ihn zu selbiger Stunde in das Gemach seiner Frau. Wenn es nicht dunkel gewesen wäre, hätte sie ihre Verwirrung und ihr Erstaunen kaum verbergen können, als sie Monsieur de Nemours an der Seite ihres Gatten eintreten sah. Monsieur de Cleve sagte ihr, es handle sich um einen Brief, bei dem man im Interesse des Vizedoms ihrer Hilfe bedürfte, sie möchte mit Monsieur de Nemours beraten, was zu tun sei, er ginge zum König, der ihn habe rufen lassen.
Monsieur de Nemours blieb, wie er es sich wohl wünschen mochte, mit Madame de Cleve allein. »Ich komme, um Sie zu fragen, Madame«, redete er sie an, »ob Ihnen Madame la Dauphine nichts von einem Briefe erzählte, den ihr Chastelart gestern eingehändigt hat!« – »Sie erzählte mir einiges davon«, antwortete Madame de Cleve, »doch sehe ich nicht recht, was dieser Brief mit dem Wohle meines Oheims zu tun hat; ich kann Ihnen versichern, daß er nicht in ihm erwähnt wird!« – »Er ist wahrlich nicht in ihm genannt«, fiel Monsieur de Nemours ein, »aber trotzdem ist er an ihn gerichtet, und es liegt ihm viel daran, daß Sie ihn Madame la Dauphines Händen entreißen!« – »Ich verstehe nicht«, entgegnete Madame de Cleve, »wie es ihm schaden kann, wenn man diesen Brief liest, und warum man ihn in seinem Namen zurückfordern muß!« – »Wenn Sie die Güte haben wollen, mir zuzuhören«, erwiderte Monsieur de Nemours, »will ich Ihnen alsobald die Wahrheit eröffnen, und Sie werden so wichtige Dinge für den Vizedom hören, daß ich sie selbst Monsieur de Cleve nicht anvertraut haben würde, wäre ich seiner Hilfe nicht bedürftig gewesen, um die Ehre zu haben, Sie zu sehen!« – »Ich glaube, daß alles, was Sie sich mir zu sagen bemühen wollen, nutzlos sein wird«, entgegnete Madame de Cleve mit ziemlich kühler Miene, »und Sie suchen besser Madame la Dauphine auf und gestehen ihr ohne Umschweife Ihr Interesse an diesem Briefe ein, zumal man ihr gesagt hat, daß er von Ihnen stammt!«
Die Bitterkeit, welche Monsieur de Nemours an Madame de Cleve auffiel, bereitete ihm das empfindsamste Vergnügen, das er jemals genossen hatte, und machte ihn ungeduldig, sich zu rechtfertigen. »Ich weiß nicht, Madame«, hob er wieder an, »was man Madame la Dauphine gesagt haben mag, ich aber habe kein Interesse an diesem Briefe, er ist an Monsieur de Chartres gerichtet.« »Ich glaube es«, entgegnete Madame de Cleve, »aber man sagte Madame la Dauphine das Gegenteil, und es wird ihr nicht sehr wahrscheinlich vorkommen, daß Monsieur de Chartres Briefe Ihrer Tasche entfallen! Deshalb rate ich Ihnen – wofern Sie nicht einen mir unbekannten Grund haben, Madame la Dauphine die Wahrheit zu verbergen –, sie ihr einzugestehen!« – »Ich habe ihr nichts zu gestehen«, fuhr er fort, »der Brief wendet sich nicht an mich, und wenn ich irgend jemanden davon zu überzeugen wünschte, so ist es nicht Madame la Dauphine. Da es sich aber in diesem Falle um Monsieur de Chartres Wohl handelt, heißen Sie es bitte gut, Madame, daß ich Sie Dinge wissen lasse, die sogar Ihre Neugier verdienen!« Madame de Cleve bezeigte durch ihr Schweigen, daß sie ihn anzuhören bereit war, und Monsieur de Nemours erzählte ihr so knapp wie irgend möglich alles, was er soeben vom Vizedom gehört hatte. Wiewohl diese Dinge Erstaunen hervorrufen und mit Aufmerksamkeit angehört werden mußten, hörte Madame de Cleve sie doch mit solcher Gelassenheit an, daß es Monsieur de Nemours schien, als ob sie sie nicht glaube oder als ob sie ihr gleichgültig seien. Sie verharrte in dieser Gelassenheit, bis ihr Monsieur de Nemours von Madame d'Amboises Schreiben sprach, welches sich an den Vizedom wendete. Der Gedanke daran nahm ihr plötzlich und wider ihr Wollen die Kälte, die sie bislang gezeigt hatte. Nachdem ihr der Prinz das Schreiben, welches ihn rechtfertigte, vorgelesen, reichte er es ihr zum Lesen und sagte, daß sie die Handschrift prüfen möchte; sie konnte es nicht unterlassen, es hinzunehmen, um aus der Aufschrift zu erfahren, ob es sich an den Vizedom von Chartres richtete, und es ganz zu lesen, um beurteilen zu können, ob der zurückverlangte Brief derselbe war, den sie in ihren Händen hatte. Monsieur de Nemours sagte ihr noch alles, was ihm geeignet schien, um sie zu überzeugen. Und da man sich leicht von einer angenehmen Wahrheit überzeugen läßt, so bewies er Madame de Cleve, daß dieser Brief ihn nichts anginge.
Sie begann dann mit ihm über die Aufregung und Gefahr zu sprechen, in welcher der Vizedom schwebte, auch ihn seiner unhöfischen Ausführung wegen zu tadeln und nach Mitteln zu suchen, um ihm behilflich zu sein. Sie wunderte sich über das Benehmen der Königin, gestand auch Monsieur de Nemours ein, daß sie den Brief hätte, und ging endlich, sobald sie ihn unschuldig wußte, mit klarem Verstand und ruhig auf dieselben Dinge ein, welchen sie anfangs scheinbar nicht zuzuhören geruhte. Sie kamen überein, man dürfe Madame la Dauphine den Brief auf keinen Fall zurückgeben, da man befürchten mußte, daß sie ihn Madame de Martigues zeigte, welche Madame de Themines Schriftzüge kannte, und dem Anteil zufolge, den sie am Vizedom nahm, leicht erraten könnte, daß er an ihn gerichtet war. Auch fanden sie, Madame la Dauphine dürfe man nicht alles eingestehen, was die Königin, ihre Schwiegermutter, anginge. Unter dem Vorgeben, den Angelegenheiten ihres Oheims dienlich sein zu wollen, erklärte sich Madame de Cleve mit Freuden bereit, alle ihr von Monsieur de Nemours anvertrauten Geheimnisse wahren zu wollen.
Nicht immer würde der Prinz von des Vizedom von Chartres Sachen gesprochen haben, und die Gelegenheit, sich ohne Zeugen mit ihr zu unterhalten, würde ihn zu einer Kühnheit ermutigt haben, die er sich noch nicht herauszunehmen gewagt, wenn man Madame de Cleve nicht gerade mitgeteilt hätte, daß Madame la Dauphine sie zu sich entbiete. Monsieur de Nemours sah sich zum Aufbruch genötigt, er ging zum Vizedom zurück, um ihm zu sagen, daß er es nach ihrer Trennung für besser gehalten habe, sich an Madame de Cleve zu wenden, die seine Nichte wäre, als geradenwegs an Madame la Dauphine heranzugehen. Und ließ es wahrlich nicht an Gründen fehlen, um sein Tun und seine Hoffnung auf einen guten Erfolg zu rechtfertigen.
Währenddem kleidete sich Madame de Cleve schnell an, um zu Madame la Dauphine zu gehen; kaum erschien sie in deren Gemach, als die Fürstin sie sich ihr nähern hieß und dann ganz leise zu ihr sagte: »Schon seit zwei Stunden erwarte ich Sie und bin nimmer so begierig gewesen, die Wahrheit zu erfahren, wie an diesem Morgen. Die Königin hat von dem Briefe, den ich Ihnen gestern gab, reden hören, und glaubt, der Vizedom habe ihn verloren. Sie wissen, welchen Anteil sie an ihm nimmt: Sie ließ den Brief suchen, ließ ihn Chastelart abverlangen. Der aber erklärte, daß er ihn mir gegeben habe. Man ist zu mir gekommen und hat ihn mir unter dem Vorwande abgefordert, daß es ein hübscher Brief wäre, welcher die Königin neugierig gemacht habe. Ich wagte nicht zu sagen, daß Sie ihn hätten, denn sie würde, glaube ich, vermuten, ich hätte ihn um des Vizedoms, Ihres Oheims willen, Ihnen gegeben, und es bestände zwischen ihm und mir ein geheimes Einverständnis. Schien es mir doch bereits, als duldete sie nur notgedrungen seine häufigen Besuche bei mir; darum erklärte ich, der Brief stecke in den Gewändern, die ich gestern getragen, und diejenigen, welche sie in ihrer Obhut hätten, seien ausgegangen. »Geben Sie mir bitte gleich das Schreiben«, fuhr sie fort, »auf daß ich es ihr sende und es lese, bevor ich es an sie schicke, damit ich sehe, ob ich wenigstens die Handschrift erkenne!«
Madame de Cleve war noch verwirrter, als sie gedacht hatte. »Ich weiß nicht, Madame, wie Sie es aufnehmen werden«, entgegnete sie, »denn Monsieur de Cleve, dem ich es zum Lesen überließ, hat es Monsieur de Nemours zurückgegeben, der schon heute in aller Frühe kam, um es durch ihn von Ihnen zurückzuerbitten. Monsieur de Cleve beging die Unvorsichtigkeit zu sagen, daß er es habe, und war so schwach, Monsieur de Nemours' Bitte um seine Rückgabe nachzugeben!« – »Sie bringen mich wahrlich in die allergrößte Verlegenheit«, entgegnete Madame la Dauphine, »Sie taten unrecht, dieses Billett Monsieur de Nemours wiederzugeben; da ich es Ihnen gab, durften Sie es ihm nicht ohne meine Erlaubnis wieder einhändigen. Was meinen Sie, das ich der Königin sagen soll, und was wird sie denken? Sie wird glauben, und das mit Recht, daß mich der Brief angeht und daß ein Einverständnis zwischen mir und dem Vizedom besteht. Nimmer werde ich sie überzeugen, daß der Brief an Monsieur de Nemours gerichtet ist!« – »Ich bin um der Unruhe willen, die ich Ihnen verursache, sehr betrübt«, erwiderte Madame de Cleve, »und fühle sie in ihrer ganzen Größe, aber Monsieur de Cleve und nicht ich verschuldete sie.« – »Ihr Fehler ist's«, fiel Madame la Dauphine ein, »ihm den Brief gegeben zu haben, keine Frau auf der Welt, außer Ihnen, vertraut ihrem Gatten alles, was sie weiß, an!« – »Ich sehe mein Unrecht ein, Madame«, entgegnete Madame de Cleve, »doch denken Sie nach, meinen Fehl ungeschehen zu machen.« – »Erinnern Sie sich wenigstens des Inhalts dieser Zeilen?« fragte Madame la Dauphine darauf. »Ja, Madame«, entgegnete sie, »ich erinnere mich seiner, da ich ihn mehr als einmal las!« – »Wenn das der Fall ist, so müssen Sie sie zu dieser Stunde von einer unbekannten Hand nachschreiben lassen, ich werde sie dann der Königin schicken; sie wird sie denen, die sie gesehen haben, nicht zeigen; sollte es aber doch geschehen, will ich stets dabei bleiben, daß es der mir von Chastelart eingehändigte Brief sei, und er wird das Gegenteil nicht zu behaupten wagen.«
Madame de Cleve ließ sich um so lieber zu diesem Auswege herbei, als sie Monsieur de Nemours holen zu lassen gedachte, um denselben Brief wiederzusehen, damit sie ihn Wort für Wort und beinahe mit der gleichen Handschrift nachschreiben lassen könnte, und sie glaubte, daß die Königin unfehlbar dadurch getäuscht würde. Sobald sie zu Hause war, erzählte sie ihrem Gatten von Madame la Dauphines Aufregung und bat ihn, Monsieur de Nemours holen zu lassen. Man ließ ihn rufen, er kam eilends. Madame de Cleve sagte ihm alles, was sie bereits ihrem Gatten mitgeteilt hatte, und bat ihn um den Brief; Monsieur von Nemours erklärte jedoch, ihn dem Vizedom von Chartres schon zurückgegeben zu haben, der hocherfreut gewesen sei, ihn wiederzubekommen und sich außer der Gefahr zu wissen, in die er geraten sein würde, und er habe ihn zur selbigen Stunde Madame de Themines Freundin zugestellt. Madame de Cleve befand sich in neuer Aufregung, doch nachdem sie alles wohl erwogen hatten, kamen sie überein, den Brief nach dem Gedächtnis zu schreiben. Und schlossen sich ein, um daran zu arbeiten; man gab vor der Türe Bescheid, niemanden einzulassen, und schickte alle Leute Monsieur de Nemours' fort. Dies geheimnisvolle und vertrauliche Gehabe war für den Prinzen und auch für Madame de Cleve von nicht geringem Reiz. Die Anwesenheit ihres Gatten und das Wohl des Vizedoms von Chartres setzten sie leicht über ihre Bedenken hinweg, sie fühlte nur das Vergnügen, Monsieur de Nemours zu sehen, und hatte eine so restlose Freude darüber, wie sie sie noch niemals spürte. Diese Freude gewährte ihr eine Unbefangenheit und Heiterkeit, wie sie Monsieur de Nemours noch niemals an ihr gesehen hatte und die seine Liebe verdoppelte. Da er noch nie so selige Augenblicke erlebt hatte, wuchs dadurch auch seine Lebhaftigkeit; und als Madame de Cleve beginnen wollte, sich den Brief ins Gedächtnis zurückzurufen, tat der Prinz, statt ihr zu helfen, nichts weiter, als sie zu unterbrechen und ihr heitere Dinge zu erzählen. Madame de Cleve überkam dieselbe Fröhlichkeit, so daß sie dort schon lange eingeschlossen saßen und man bereits zweimal im Auftrage Madame la Dauphines gekommen war, um Madame de Cleve zur Eile aufzufordern, als sie noch nicht die Hälfte des Briefes aufgesetzt hatten.
Monsieur de Nemours war es wohl zufrieden, eine Zeit, die ihm so angenehm verstrich, auszudehnen, und er vergaß darüber seines Freundes Angelegenheiten. Auch Madame de Cleve langweilte sich nicht und vergaß ihres Oheims Angelegenheiten. Endlich, fast um vier Uhr, war der Brief beendigt und war so schlecht und die Handschrift, welche man hatte nachschreiben sollen, glich so wenig der, die man nachzuahmen Ursache hatte, daß es der Königin nicht schwerfiel, um den Betrug zu merken; auch ließ sie sich nicht täuschen. Welche Sorgfalt man auch anwendete, sie zu überzeugen, daß der Brief an Monsieur de Nemours gerichtet war, sie blieb nicht allein dabei, er sei an den Vizedom von Chartres geschrieben, sondern glaubte auch, daß Madame la Dauphine daran beteiligt wäre und daß zwischen beiden ein geheimes Einverständnis obwaltete. Dieser Gedanke vergrößerte ihren Haß auf ihre Schwiegertochter derartig, daß sie ihr niemals verzieh und in ihm verharrte, bis diese Frankreich verließ.
Was den Vizedom von Chartres anging, so geriet er bei ihr in Ungnade; sei es, daß sich der Kardinal von Lothringen schon zum Herrn ihres Gemüts gemacht hatte, oder sei es, daß diese Briefangelegenheit, die ihr offenkundig bewies, daß sie hintergangen war, sie so hellsehend machte, auch die anderen Täuschungen des Vizedoms zu durchschauen, sicher ist es, daß er sich niemals wieder aufrichtig mit ihr versöhnen konnte. Ihr Verhältnis hatte einen Bruch bekommen und fand mit der Verschwörung von Amboise, an welcher er beteiligt war, ein Ende.
Nachdem man den Brief an Madame la Dauphine gesandt hatte, gingen Monsieur de Nemours und Monsieur de Cleve fort, Madame de Cleve blieb allein; und sobald sie nicht mehr von der Freude beseelt wurde, die eines Geliebten Anwesenheit bewirkt, kam sie wie aus einem Traume wieder zu sich und sah nun mit Bedauern die merkwürdige Verschiedenheit ihres gestrigen und heutigen Zustandes. Die Bitterkeit und Kälte standen wieder vor ihren Augen, welche sie Monsieur de Nemours bezeigt hatte, solange sie im Glauben war, Madame de Themines Brief sei an ihn gerichtet. Welche Ruhe und welche Freude war dieser Bitterkeit gefolgt, sobald sie sich davon überzeugt hatte, daß ihn dieser Brief nichts anginge! Wenn sie daran dachte, daß sie es sich am Vortage wie ein Verbrechen vorgeworfen hatte, ihm eine Empfindung, die nur die Liebe allein hervorrufen kann, gezeigt zu haben, und daß sie ihn infolge ihrer Bitterkeit Eifersuchtsanwandlungen, welche wahre Beweise der Liebe sind, hatte sehen lassen, so kannte sie sich selber nicht mehr. Wenn sie noch bedachte, daß Monsieur de Nemours genau sah, wie sie um seine Liebe wußte, und auch deutlich fühlte, daß sie ihn trotz dieser Gewißheit, selbst in Gegenwart ihres Gatten, nicht schlecht behandelt, im Gegenteil, ihn niemals gewogener betrachtet hatte, daß sie die Veranlassung war, wenn Monsieur de Cleve ihn holen ließ, und daß sie soeben einen Teil des Nachmittags unter vier Augen zusammen verbracht hatten, so fand sie, daß sie mit Monsieur de Nemours im Einverständnis stände, daß sie den Ehemann betrüge, der am wenigsten auf der Welt betrogen zu werden verdiene, und schämte sich, selbst in ihres Geliebten Augen so wenig achtenswert zu sein. Die Erinnerungen an den Zustand aber, in dem sie die Nacht verbracht hatte, und die peinigenden Schmerzen, die ihr der Gedanke verursachte, daß Monsieur de Nemours eine andere liebe und sie betrüge, konnte sie weniger leicht als alles übrige verwinden.
Bislang hatte sie die tödlichen Qualen des Mißtrauens und der Eifersucht nicht gekannt, sie hatte nur daran gedacht, sich der Liebe zu Monsieur de Nemours zu erwehren, und hatte noch nicht zu fürchten begonnen, daß er eine andere lieben könne. Wiewohl der durch diesen Brief hervorgerufene Argwohn vernichtet war, hatte er ihr doch die Augen geöffnet, daß sie zufällig getäuscht werden könne, und sie mißtrauisch und eifersüchtig gemacht, was sie nimmer gewesen war. Sie war selber erstaunt, noch niemals daran gedacht zu haben, wie wenig wahrscheinlich es war, daß ein Mann wie Monsieur de Nemours, der Frauen gegenüber stets so leichtfertig gewesen, einer ernsten und standhaften Liebe fähig sei. Sie hielt es beinahe für unmöglich, daß sie jemals seiner Liebe froh werden würde. »Doch wenn ich es sein könnte«, rief sie, »wie soll ich mich dann verhalten? Will ich sie dulden, will ich sie erwidern? Will ich mich in eine Liebschaft einlassen, will ich Monsieur de Cleve, will ich mich selber aufgeben? Und will ich mich endlich der grausamen Reue und den tödlichen Schmerzen hingeben, welche die Liebe erwirkt? Von einer Liebe, die mich wider Willen überkam, bin ich besiegt und überwunden worden; alle meine Entschlüsse sind nichtig; ich dachte gestern genau so, wie ich heute denke, und tue heute das Gegenteil von dem, was ich mir gestern vornahm. Ich muß mich Monsieur de Nemours' Blicken entziehen, muß aufs Land gehen, wie wunderlich meine Reise auch erscheinen mag; und wenn Monsieur de Cleve sich ihr hartnäckig widersetzt oder etwa Gründe wissen will, tue ich ihm oder mir vielleicht das Unrecht an, sie ihm einzugestehen. Sie beharrte in diesem Entschlusse und blieb den ganzen Abend für sich, ohne sich bei Madame la Dauphine zu erkundigen, was sich mit des Vizedoms falschem Briefe zugetragen hatte.
Als Monsieur de Cleve heimkehrte, erklärte sie ihm, aufs Land gehen zu wollen, da sie sich elend fühle und der frischen Luft bedürfe. Monsieur de Cleve fand sie so blühend und schön aussehend, daß sie ihn nicht von einem heftigen Unwohlsein überzeugen konnte, und spottete anfänglich über die beabsichtigte Reise und antwortete ihr, sie vergäße, daß die Hochzeiten der Fürstinnen und das Turnier bevorständen, und daß sie nicht allzuviel Zeit zur Vorbereitung habe, um dabei in demselben Prunk wie die übrigen Damen zu erscheinen. Ihres Gatten Einwände brachten sie nicht von ihrem Vorhaben ab: sie bat ihn, es gutzuheißen, daß sie, während er mit dem Könige nach Compiègne ginge, nach Colomiers reise, wie eine reizende Besitzung, eine Tagesreise vor Paris, hieß, welche sie mit Sorgfalt hatte erbauen lassen. Monsieur de Cleve willigte darein; sie ging mit dem Gedanken dorthin, nicht so schnell wieder zurückzukommen, und der König reiste nach Compiègne, wo er nur wenige Tage verweilen wollte.
Monsieur de Nemours war es schmerzlich, Madame de Cleve seit dem so angenehm mit ihr verbrachten Nachmittage, an dem seine Hoffnungen gewachsen waren, nicht wiedergesehen zu haben. Und er wartete mit so rastloser Ungeduld auf ein Wiedersehen, daß er nach des Königs Rückkehr nach Paris zu seiner Schwester, der Herzogin von Mercœur, zu reisen beschloß, die auf dem Lande, ziemlich nahe bei Colomiers, wohnte. Und er schlug dem Vizedom vor, mit dorthin zu kommen; der aber nahm den Vorschlag freudig an, welchen ihm Monsieur de Nemours nur in der Hoffnung machte, Madame de Cleve zu sehen und mit dem Vizedom zu ihr zu gehen.
Madame de Mercœur empfing sie hochentzückt und dachte nur daran, sie zu unterhalten und ihnen alle Freuden des Landlebens zuteil werden zu lassen. Als sie auf der Hirschjagd waren, verirrte sich Monsieur de Nemours im Walde. Wie er den Weg suchte, welchen er zu seiner Rückkehr einschlagen mußte, fiel ihm ein, daß er nahe bei Colomiers war; bei dem Worte Colomiers jagte er spornstreichs nach der Seite, wo man es ihm wies, ohne sich im geringsten zu überlegen, was er eigentlich vorhatte. Er kam in den Wald und ging aufs Geratewohl den sorgfältig hergerichteten Wegen nach, welche, wie er gut erriet, nach dem Schlosse führten. Und fand am Ende dieser Wege ein Lusthäuschen, dessen Erdgeschoß aus einem großen Saale bestand, welchem sich zwei Arbeitsräume angliederten, deren einer sich nach einem Blumengarten hin öffnete, der nur durch einen Zaun vom Walde getrennt war; der zweite aber blickte auf eine große Allee des Parks. Er trat in das Arbeitszimmer und überließ sich der Betrachtung seiner Schönheit, ohne Monsieur und Madame de Cleve in Gefolgschaft einer großen Anzahl Diener durch den Park kommen zu sehen. Da er sich nicht hatte träumen lassen, Monsieur de Cleve hier zu finden, den er beim Könige gelassen hatte, riet ihm sein erster Gedanke, sich zu verstecken; er trat in das Arbeitszimmer, welches auf den Blumengarten blickte, in dem Gedanken, durch eine nach dem Walde hin offene Türe hinauszugehen. Doch wie er sah, daß Madame de Cleve und ihr Gatte vor dem Pavillon Platz nahmen, daß ihre Dienerschaft im Park weilte und nicht zu ihm gelangen konnte, ohne an der Stelle vorbeizugehen, wo Monsieur und Madame de Cleve saßen, vermochte er sich weder des Vergnügens zu entschlagen, die Prinzessin zu sehen, noch der Neugierde zu widerstehen, ihre Unterhaltung mit einem Ehemanne anzuhören, der ihm mehr Eifersucht als seiner Nebenbuhler einer bereitete. Und hörte, wie Monsieur de Cleve zu seiner Frau sagte: »Aber warum wollen Sie nicht nach Paris zurückkehren? Was kann Sie auf dem Lande zurückhalten? Sie haben seit einiger Zeit einen Hang für Einsamkeit, der mich in Erstaunen setzt und betrübt, da er uns trennt. Ich sehe Sie sehr viel trauriger als gewöhnlich und fürchte, Sie haben einen Grund, weswegen Sie bekümmert sind!« – »Ich habe kein trauriges Gemüt«, erwiderte sie mit verwirrter Miene, »aber der Lärm am Hofe ist so groß, und es sind stets so viele Menschen bei Ihnen, daß wahrlich Körper und Geist müde werden und man sich nach Ruhe sehnt!« – »Ruhe«, entgegnete er, »taugt wenig für eine Frau Ihres Alters, Sie leben zu Hause und am Hofe so, daß Sie keine Müdigkeit überkommen kann, ich fürchte eher, Sie möchten gern von mir getrennt sein!« – »Mit solchen Gedanken tun Sie mir bitter Unrecht«, sagte sie mit einer Verwirrung dawider, die sich beständig vergrößerte, »ich bitte Sie nochmals, mich hier zu lassen. Wenn auch Sie hier bleiben könnten, würde ich sehr froh sein, vorausgesetzt, daß Sie allein hier bleiben, ohne diese zahllose Menge Menschen um sich haben zu wollen, die Sie fast nie verläßt!« – »Ach, Madame«, rief Monsieur de Cleve aus, »Ihre Worte und Ihre Miene lassen mich darauf schließen, daß Ihr Wunsch nach Einsamkeit einen mir unbekannten Grund hat, ich beschwöre Sie, sagen Sie ihn mir!« Er drang lange Zeit in sie, ohne sie zu einem Geständnis zu bewegen; und nachdem sie sich in einer Weise verteidigt hatte, welche die Neugierde ihres Gatten vermehrte, verharrte sie mit niedergeschlagenen Augen in einem tiefen Schweigen; dann sah sie ihn plötzlich an und ergriff das Wort. »Zwingen Sie mich nicht«, begann sie, »Ihnen etwas zu gestehen, welches Ihnen anzuvertrauen mir die Kraft gebricht. Denken Sie einzig daran, daß es unklug ist, eine Frau meines Alters und Herrin ihres Benehmens dem Hofleben auszusetzen!« – »Was zwingen Sie mich ins Auge zu fassen, Madame«, rief Monsieur de Cleve aus, »ich wage es Ihnen nicht zu sagen, weil ich Sie zu verletzen fürchte!« Madame de Cleve antwortete nicht, und ihr Schweigen sorgte dafür, ihren Gatten seiner Gedanken zu versichern. »Sie sagen mir nichts«, entgegnete er, »und das verkündet mir, daß ich mich nicht täusche!« – »Nun wohl, Monsieur«, antwortete sie, indem sie sich ihm zu Füßen warf, »ich will Ihnen ein Geständnis ablegen, wie man es noch niemals einem Gatten gemacht hat, doch meine makellose Aufführung und Gesinnung ermutigen mich dazu! Ich will mich wahrlich nicht grundlos vom Hofe fernhalten, ich will die Gefahren meiden, denen oft Frauen meines Alters unterliegen. Nimmer habe ich irgendein Zeichen meiner Schwäche geäußert, und ich würde nicht fürchten, sie irgendwie sehen zu lassen, wenn Sie mir die Freiheit ließen, mich vom Hofe zurückzuziehen, oder wenn Madame de Chartres noch lebte, die mir Halt zu haben half. Wie gefährlich auch mein gefaßtes Entschluß ist, ich fasse ihn mit Freuden, um Ihrer wert zu bleiben. Und bitte Sie tausendmal um Verzeihung, wenn ich Gefühle hege, die Ihnen mißfallen; in meinen Handlungen wenigstens werde ich Ihnen niemals mißfallen. Denken Sie daran, daß man, um so zu handeln, wie ich handelte, mehr Freundschaft und mehr Achtung vor einem Gatten haben muß, als irgend jemand hatte. Leiten Sie mich, haben Sie Mitleid mit mir und lieben Sie mich noch, wenn Sie es können!«
Monsieur de Cleve saß während dieser ganzen Rede, den Kopf in seine Hände gestützt, wie außer sich da und hatte nicht daran gedacht, seine Frau aufzuheben. Als sie zu reden aufgehört, sah er sie mit tränenüberströmtem Gesichte und in so bewundernswerter Schönheit zu seinen Füßen liegen, daß er vor Schmerz zu sterben vermeinte, und umarmte sie, indem er sie aufhob. »Haben Sie selber Mitleid mit mir, Madame«, redete er sie an, »ich bin seiner wert; und verzeihen Sie, wenn ich Ihnen in den ersten Augenblicken so wilden, heftigen Schmerzes nicht antwortete, wie ich es auf ein Vorgehen wie das Ihrige mußte. Sie verdienen meiner Ansicht nach mehr Schätzung und Bewunderung als alle Frauen der Welt, die ich gesehen, und ich halte mich für den unseligsten Mann, der je gelebt hat. Sie haben mir schon im ersten Augenblick unseres Sehens Liebe eingeflößt, Ihre Kälte und Ihr Besitz haben Sie nicht auslöschen können, sie besteht noch; ich aber habe niemals Liebe in Ihnen erwecken können und sehe, daß Sie einen anderen zu lieben fürchten. Doch wer, Madame, ist der glückliche Mann, der diese Furcht in Ihnen erzeugte? Seit wann gefällt er Ihnen? Was tat er, um Ihnen zu gefallen? Welchen Weg schlug er ein, um zu Ihrem Herzen zu gelangen? Ich hatte mich einigermaßen getröstet, es nicht gerührt zu haben, mit dem Gedanken, es sei unfähig, Liebe zu fühlen. Indessen erreicht ein anderer, was ich nicht erreichen konnte, ich fühle alles in eins: eines Gatten und eines Geliebten Eifersucht; aber nach einem Benehmen wie dem Ihrigen kann man unmöglich die eines Gatten fühlen. Es ist zu edel, um mir nicht eine Sicherheit zu geben; es tröstet mich selbst, wie Ihren Geliebten. Ihr Vertrauen und Ihre Offenheit mir gegenüber sind von unendlichem Werte: Sie schätzen mich hoch genug, um zu glauben, daß ich dies Geständnis nicht mißbrauchen würde. Sie haben recht, Madame, ich werde es nicht mißbrauchen und Sie deswegen nicht weniger lieben. Durch die höchste Treue, die jemals eine Frau ihrem Manne bewies, machen Sie mich unglücklich! Doch vollenden Sie, Madame, und nennen Sie mir den Namen dessen, den Sie zu meiden wünschen!« – »Ich flehe Sie an, mich nicht danach fragen zu wollen«, antwortete sie, »ich glaube, die Klugheit will es nicht, daß ich ihn Ihnen nenne!« – »Fürchten Sie nichts, Madame«, fuhr Monsieur de Cleve fort, »ich kenne die Welt zu genau, um nicht zu wissen, daß eines Gatten Ansehen niemanden hindert, in dessen Frau verliebt zu sein. Man darf diese Männer hassen, doch sich nicht über sie beschweren; ich beschwöre Sie noch einmal, Madame, sagen Sie mir, was ich gern hören möchte!« – »Sie werden vergebens deswegen in mich drängen«, antwortete sie, »denn ich habe Kraft zu verschweigen, was ich nicht sagen zu müssen glaube. Das Geständnis, welches ich Ihnen ablegte, geschah nicht aus Schwäche, es bedurfte mehr des Mutes, die Wahrheit einzugestehen, als sie zu verbergen suchen!«
Monsieur de Nemours verlor kein Wort dieser Unterhaltung; Madame de Cleves Reden verursachten ihm nicht weniger Eifersuchtsqualen als ihrem Gatten. Er war so heiß in sie verliebt, daß er glaubte, jedermann hege dieselben Gefühle. In Wahrheit hatte er auch mehrere Nebenbuhler, aber er wähnte ihre Zahl noch größer, und seine Gedanken schweiften umher, um den ausfindig zu machen, von dem Madame de Cleve gesprochen. Es war ihm des öfteren so vorgekommen, er sei ihr nicht unangenehm, und war dieser Ansicht auf Vermutungen hin geworden, die ihm in diesem Augenblicke so wichtig erschienen, daß er sich nicht einbilden konnte, eine Leidenschaft erzeugt zu haben, die sehr heftig sein mußte, um zu einem so außergewöhnlichen Heilmittel Zuflucht zu nehmen. Er war so aufgeregt, daß er beinahe nicht wußte, was er sah, und konnte es Monsieur de Cleve nicht verzeihen, daß er seine Frau nicht so hart bedrängte, bis sie ihm den ihm verheimlichten Namen sagte.
Dessenungeachtet gab sich Monsieur de Cleve alle Mühe, ihn zu erfahren, doch nachdem er seine Frau vergeblich bedrängt hatte, sagte sie: »Sie müssen sich, dünkt mich, mit meiner Offenheit begnügen, fragen Sie mich nicht weiter und geben Sie mir keine Ursache, mein Tun zu bereuen. Geben Sie sich mit der Versicherung zufrieden, die ich Ihnen ferner mache, daß keine meiner Handlungen meine Gefühle offenbart, und daß man mir niemals etwas gesagt hat, das mich hätte beleidigen müssen.« – »Ach, Madame«, erwiderte Monsieur de Cleve plötzlich, »ich kann es Ihnen nicht glauben. Ich erinnere mich der Verwirrung, in der ich Sie an dem Tage sah, wo Ihr Bild verlorenging. Ihm haben Sie es gegeben, Madame, ihm haben Sie dies Bild gegeben, das mir so teuer war und mir rechtmäßig gehörte. Sie haben Ihre Gefühle nicht verbergen können, Sie lieben, man weiß es; Ihre Tugend hat Sie bisher vor dem Letzten bewahrt!« – »Ist es denn möglich«, schrie die Prinzessin auf, »daß Sie mein Geständnis, welches ich Ihnen freiwillig und ohne Zwang ablegte, für ein Lügengebilde halten können? Trauen Sie meinen Worten; um einen teuren Preis kaufe ich das Vertrauen, um das ich Sie bitte! Glauben Sie mir, ich schwöre es Ihnen, ich habe niemandem mein Bild gegeben; wahrlich sah ich es, wie es entwendet wurde, doch wollte ich mir nicht merken lassen, daß ich es sah, weil ich besorgte, mich Worten und Dingen auszusetzen, die man mir wahrlich noch nicht zu sagen gewagt hatte!« – »Wodurch ließ man Sie denn merken, daß man Sie liebte«, fragte Monsieur de Cleve, »und welche Beweise hat man Ihnen gegeben?« – »Ersparen Sie mir den Schmerz«, entgegnete sie, »Ihnen Einzelheiten wiederzusagen, die bemerkt zu haben mir selber Scham bereitete und welche mich nur zu sehr von meiner Schwäche überzeugten!« – »Ich tue wahrlich unrecht, Madame«, entgegnete er, »weigern Sie sich jedesmal, wenn ich Sie um ähnliche Dinge bitten werde; aber seien Sie dennoch nicht beleidigt, wenn ich Sie darum bitte!«
In diesem Augenblick kamen mehrere Leute, welche in den Laubengängen verweilt hatten, und benachrichtigten Monsieur de Cleve, daß ihn ein Edelmann des Königs suche, um ihm den Befehl zu übermitteln, sich abends in Paris einzufinden. Monsieur de Cleve sah sich genötigt aufzubrechen und konnte seiner Frau nur noch sagen, daß er sie inständigst bäte, folgenden Tags nachzukommen, und daß er ihr schwöre, wie betrübt er auch sei, er liebe und schätze sie so hoch, daß sie es zufrieden sein müßte.
Als der Prinz abgereist war und Madame de Cleve allein blieb und über ihr Tun nachdachte, erschrak sie so sehr darüber, daß sie sich kaum denken konnte, es sei in Wahrheit geschehen. Und fand, daß sie sich selber das Herz und die Achtung ihres Gatten verscherzt habe, und daß sie in einen Abgrund gestürzt sei, aus dem sie niemals herauskommen werde. Sie fragte sich, warum sie ein solches Wagnis unternommen habe, und sah ein, daß sie es beinahe, ohne einen eigentlichen Grund dazu zu haben, ausgeführt hatte. Die Absonderlichkeit eines solchen Unterfangens, für das sie kein Beispiel wußte, ließ sie jede Fährnis darin ahnen.
Doch als sie schließlich bedachte, daß sie dieses Heilmittel, so gewaltsam es auch war, allein vor Monsieur de Nemours schützen konnte, glaubte sie, daß sie es nicht bereuen dürfe und daß sie nicht zuviel gewagt habe. Voller Ungewißheit, voller Aufregung und Furcht verbrachte sie die ganze Nacht, doch endlich kehrte die Ruhe in ihr Gemüt zurück; und sie fand es sogar süß, diesen Treuebeweis einem Gatten gegeben zu haben, der ihn wohl verdiente, der sie heiß liebte, sie hochschätze und es ihr eben noch durch die Art, wie er ihr Geständnis aufgenommen, bewiesen hatte.
Währenddem hatte Monsieur de Nemours den Ort verlassen, von dem aus er eine Unterhaltung angehört, die ihn merklich gerührt hatte, und war in den tiefen Wald zurückgegangen. Was Madame de Cleve betreff ihres Bildes sagte, hatte ihm das Leben wiedergegeben, sintemal er dadurch erfuhr, daß er es war, den sie nicht haßte. Anfangs gab er sich der Freude darüber hin; doch sie währte nicht lange, denn er sah ein, daß dasselbe, was er eben erfahren hatte, nämlich Madame de Cleves Herz gewonnen zu haben, ihn auch überzeugen mußte, daß er niemals einen Beweis davon erhalten würde und daß er unmöglich eine Frau an sich zu fesseln vermöchte, welche ihre Zuflucht zu einem so außergewöhnlichen Heilmittel nahm. Dennoch fühlte er eine merkliche Freude, sie bis zu diesem Äußersten gebracht zu haben; und fand es ruhmvoll, eine Frau in sich verliebt gemacht zu haben, die so verschieden von ihren Geschlechtsgenossinnen war. Schließlich überkam ihn ein hundertfältiges Glücks- und Unglücksgefühl zugleich. Die Nacht überraschte ihn im Walde, und er fand nur mit Mühe den Weg zu Madame de Mercœur zurück. Er traf mit Tagesende bei ihr ein und war ziemlich verlegen, Rechenschaft darüber abzulegen, was ihn zurückgehalten; suchte dies nach bestem Können zu umgehen und kehrte noch selbigen Tags mit dem Vizedom nach Paris zurück. Der Prinz war so von seiner Leidenschaft erfüllt und so überrascht von dem, was er vernommen hatte, daß er eine ziemlich alltägliche Unklugheit beging: Er redete nämlich im allgemeinen über seine eigenen Gefühle und erzählte seine eigenen Erlebnisse unter angenommenem Namen. Auf dem Heimwege lenkte er das Gespräch auf die Liebe und übertrieb die Wonne, in eine liebenswerte Frau verliebt zu sein. Und sprach über die merkwürdigen Folgen dieser Leidenschaft; und schließlich konnte er die Überraschung, in die ihn Madame de Cleves Tat versetzt hatte, nicht für sich behalten, er erzählte sie dem Vizedom, ohne ihm die Frau mit Namen zu nennen und ohne ihm zu sagen, daß er dabei im Spiel stünde. Doch berichtete er sie mit soviel Wärme und Bewunderung, daß der Vizedom leicht erriet, diese Geschichte gehe den Prinzen selber an. Er setzte ihm auf das lebhafteste zu, es ihm einzugestehen. Und sagte ihm, er wisse seit langem, daß er heftig verliebt sei, und er tue unrecht, sich einem Manne nicht zu entdecken, der ihm das größte Geheimnis seines Lebens anvertraut habe. Monsieur de Nemours war zu verliebt, um seine Liebe offenbaren zu können. Und hatte sie auch vor dem Vizedom verborgen, wiewohl es die ihm am nächsten stehende Persönlichkeit des Hofes war. Er antwortete ihm, seiner Freunde einer habe ihm diese Geschichte erzählt und sich versprechen lassen, nicht darüber zu reden; und auch er beschwöre ihn, das Geheimnis zu wahren. Der Vizedom versicherte ihm, nicht davon sprechen zu wollen; aber dennoch hatte es Monsieur de Nemours zu bereuen, ihm soviel anvertraut zu haben.
Indessen suchte Monsieur de Cleve, das Herz tödlichen Schmerzes voll, den König auf. Niemals hegte ein Ehemann eine leidenschaftlichere Liebe zu seiner Frau und schätzte sie höher als er. Was er soeben von ihr erfahren, verminderte diese Schätzung nicht, doch nahm sie andere Formen wie ehedem an. Das Verlangen, den zu entdecken, welcher ihr zu gefallen gewußt hatte, beschäftigte ihn am eingehendsten. Zuerst dachte er an Monsieur de Nemours, zumal er der liebenswürdigste Mann des Hofes war, dann an den Chevalier de Guise und den Marschall von Saint André, zwei Männer, die ihr zu gefallen gehofft hatten, und die ihm noch immer Sorge bereiteten; er verharrte daher in dem Glauben, es könne nur einer der drei sein. Er langte im Louvre an, und der König führte ihn in sein Arbeitszimmer, um ihm die Mitteilung zu machen, daß er ihn ausersehen habe, Madame Elisabeth nach Spanien zu bringen, da sich seinem Ermessen nach niemand besser als er zu diesem Auftrag eigne und auch keine Frau Frankreichs ehrenhafter als Madame de Cleve sei. Monsieur de Cleve nahm diese ehrenvolle Wahl mit Dankbarkeit an und sah selber in ihr einen Anlaß, welcher seine Frau vom Hof entfernte, ohne daß man einen Wechsel in ihrer Aufführung bemerkte. Dennoch lag die Zeit der Abreise noch zu fern, um ein Heilmittel für die Wirrnis, die auf ihm lastete, zu werden. Er schrieb zu selbiger Stunde an Madame de Cleve, um sie wissen zu lassen, was ihm der König eben gesagt hatte, und teilte ihr noch mit, es sei sein unumstößlicher Wille, daß sie nach Paris zurückkehre. Wie er befohlen hatte, kam sie dorthin zurück, und als sie sich sahen, lag auf ihnen beiden eine außergewöhnliche Traurigkeit. Monsieur de Cleve sprach wie der ehrenwerteste und würdigste Mann der Welt mit ihr über ihr Tun. »Ich hege keine Sorge um Ihre Aufführung«, sprach er zu ihr, »Sie besitzen mehr Kraft und mehr Tugend, als Sie ahnen. Auch ist es nicht die Furcht vor dem Kommenden, die mich bedrückt, ich bin nur bekümmert, Sie für einen anderen Empfindungen hegen zu sehen, die ich nicht in Ihnen zu erwecken vermochte!« – »Ich weiß nicht, was ich Ihnen entgegnen soll«, sprach sie dawider, »ich sterbe vor Scham, wenn Sie darüber reden, und beschwöre Sie, ersparen Sie mir solch grausame Unterhaltungen; bestimmen Sie, wie ich mich benehmen soll, und sorgen Sie dafür, daß ich niemanden sehe; das ist alles, worum ich Sie bitte. Doch befinden Sie es für gut, daß ich nicht mehr mit Ihnen über Dinge rede, welche mir Ihrer so wenig würdig zu sein scheinen und die ich meiner so unwürdig finde!« – »Sie haben recht, Madame«, entgegnete er, »ich mißbrauche Ihre Zartheit und Ihr Vertrauen; doch haben Sie auch etwas Mitleid mit dem Zustand, in den Sie mich versetzt haben, und denken Sie daran, daß Sie, obwohl Sie mir alles gesagt haben, doch einen Namen verbergen, der mir eine Neugierde bereitet, mit der ich nicht zu leben weiß. Trotzdem aber bitte ich Sie nicht, mir Genüge zu leisten, aber ich kann nicht umhin, Ihnen zu sagen, daß der, den ich beneiden muß, meiner Ansicht nach der Marschall von Saint André, der Herzog von Nemours oder der Chevalier de Guise ist!« – »Ich will Ihnen nichts antworten«, entgegnete sie, indem sie errötete, »denn ich mag Ihnen mit meinen Antworten keinen Anlaß geben, Ihren Verdacht zu stärken oder zu mindern, doch wenn Sie fortfahren, ihn erhellen zu wollen, indem Sie mich beobachten, bringen Sie mich in eine Verwirrung, die jedermann kenntlich sein wird. Im Namen Gottes«, fuhr sie fort, »stimmen Sie mir bei, daß ich unter dem Vorwande irgendwelcher Krankheit keinen Menschen sehe!« »Nein, Madame«, entgegnete er, »man würde bald erraten, daß diese nur vorgeschützt ist; und ferner will ich mich auf Sie selbst verlassen, das ist der Weg, den einzuschlagen mein Herz mir rät und den mir auch die Vernunft gebietet. Wenn ich Ihnen Ihre Freiheit lasse, wird Ihnen Ihre jetzige Stimmung wahrlich strengere Grenzen ziehen, als ich sie Ihnen vorschreiben könnte!«
Monsieur de Cleve täuschte sich hierin nicht; das Vertrauen, welches er seiner Frau entgegenbrachte, schützte sie mehr vor Monsieur de Nemours und ließ sie strengere Entschlüsse fassen, als ein Zwang hätte erwirken können. Sie ging daher wie gewöhnlich zu Madame la Dauphine in den Louvre, doch sie vermied Monsieur de Nemours' Gegenwart und Augen mit so viel Sorgfalt, daß sie ihm beinahe alle seine Freude, sich von ihr geliebt zu wissen, nahm. Jede ihrer Handlungen überzeugten ihn vom Gegenteil. Er glaubte fast, alles Gehörte sei nur ein Traum gewesen, so unwahrscheinlich kam es ihm jetzt vor. Was ihn einzig versicherte, sich nicht getäuscht zu haben, war die äußerste Traurigkeit, welche Madame de Cleve durchblicken ließ, obwohl sie sich alle Mühe gab, sie zu verbergen. Blicke und liebenswürdige Worte hätten möglicherweise Monsieur de Nemours' Liebe nicht so sehr wachsen lassen, wie es dieses herbe Benehmen tat.
Als Monsieur und Madame de Cleve eines Abends bei der Königin waren, sagte jemand, es liefe das Gerücht, der König wolle noch einen vornehmen Herrn des Hofes hinzuziehen, um Madame Elisabeth nach Spanien zu geleiten. Monsieur de Cleve heftete seine Augen in dem Augenblick auf seine Frau, als man hinzufügte, es würde allem Anschein nach der Chevalier de Guise oder der Marschall von Saint André sein. Er bemerkte, daß sie weder diese beiden Namen noch die Aussicht, mit ihnen gemeinsam zu reisen, irgendwie erregte. Dies erweckte den Glauben in ihm, daß sie die Anwesenheit keines der beiden fürchtete. Und da er sich über den Argwohn Gewißheit verschaffen wollte, trat er in das Arbeitszimmer der Königin, wo der König war. Nachdem er dort einige Zeit zugebracht, kam er zu seiner Frau zurück und sagte ihr ganz leise, er habe soeben erfahren, daß Monsieur de Nemours mit ihnen nach Spanien gehen würde.
Monsieur de Nemours' Name und der Gedanke, ihn während einer langen Reise in Anwesenheit ihres Gatten täglich zu sehen gezwungen zu sein, verursachte Madame de Cleve solche Verwirrung, daß sie sie nicht verbergen konnte. Da sie ihr aber eine andere Ursache geben wollte, sagte sie: »Es ist eine sehr unangenehme Wahl für Sie, daß es der Prinz ist. Er wird an allen Ehrenbezeigungen teilnehmen, und ich halte es für besser, wenn Sie es dahin bringen, daß jemand anders gewählt wird!« – »Nicht um der Ehre willen wünschen Sie, Madame, daß Monsieur de Nemours nicht mit mir kommt«, entgegnete Monsieur de Cleve, »der Kummer, den Sie deswegen zeigen, hat einen anderen Grund. Dieser Kummer lehrt mich, was ich bei einer anderen Frau durch die Freude, die sie darüber geäußert, erfahren hätte. Doch fürchten Sie nichts; was ich Ihnen eben sagte, ist nicht wahrscheinlich, ich habe es erfunden, um mich einer Sache zu vergewissern, an die ich schon allzufest glaubte!« Nach solchen Worten entfernte er sich, um durch seine Anwesenheit nicht die äußerste Verwirrung zu vermehren, in der er seine Frau sah.
Monsieur de Nemours trat in diesem Augenblick ein und sah sogleich Madame de Cleves Zustand. Er näherte sich ihr und sagte ganz leise zu ihr, er wage sie aus Ehrerbietung nicht zu fragen, was sie denn nachdenksamer als gewöhnlich mache. Monsieur de Nemours' Stimme brachte sie wieder zu sich, und sie sah ihn an, ohne gehört zu haben, was er eben äußerte; aber von ihren eigenen Gedanken und der Furcht ganz durchdrungen, ihr Mann könne ihn bei ihr sehen, flüsterte sie ihm zu: »Im Namen des Allmächtigen, lassen Sie mich in Frieden!« – »Ach, Madame«, entgegnete er, »ich lasse Sie nur allzusehr in Ruhe; worüber können Sie sich beklagen? Ich wage nicht mit Ihnen zu sprechen, ich wage Sie nicht einmal anzublicken, ich nähere mich Ihnen nur mit Zittern, womit habe ich Ihre Worte verdient, und warum lassen Sie mich merken, daß ich an Ihrem Kummer mitschuldig bin?« Madame de Cleve war sehr ärgerlich, Monsieur de Nemours Grund gegeben zu haben, sich deutlicher auszudrücken, als er es all seine Lebtage getan hatte. Sie ließ ihn, ohne ihm Rede zu stehen, und kehrte mit einem Gemüt, das erregter war als je, nach Hause zurück. Ihr Gatte merkte leicht um die Vergrößerung ihrer Unruhe, er sah, wie sie fürchtete, er möchte mit ihr über den Vorfall reden, und folgte ihr in ein Gemach, welches sie betreten hatte. »Sie entgehen mir nicht, Madame«, hob er an, »ich will Ihnen nichts sagen, was Ihnen mißfallen könnte, und bitte Sie um der großen Unruhe willen, der ich Sie vorhin aussetzte, um Verzeihung. Ich bin durch die Erfahrung, die ich machte, genug bestraft. Monsieur de Nemours fürchtete ich von allen Männern am meisten. Ich sehe die Gefahr, in der Sie schweben, haben Sie sich, um der Liebe zu sich selbst willen, und wenn es Ihnen möglich ist, auch aus Liebe zu mir in der Gewalt. Ich bitte Sie nicht als ein Gatte, sondern als ein Mann, dessen ganzes Glück Sie sind und der zu Ihnen eine innigere und heißere Liebe als der fühlt, den Ihr Herz ihm vorzieht!« Monsieur de Cleve wurde weich, als er diese letzten Worte hervorstieß, und konnte sie nur mit Mühe vollenden. Seine Frau ward so bestürzt darüber, daß sie in Tränen ausbrach und ihn mit einer Zärtlichkeit und in einem Schmerze umarmte, der sie beinahe in den gleichen Zustand wie ihn versetzte. Sie verharrten einige Zeit über so, ohne sich ein Wort zu sagen, und trennten sich, ohne die Kraft zu haben, miteinander zu sprechen.
Die Vorbereitungen zu Madames Hochzeit waren beendet. Der Herzog von Alba traf ein, um sie zu heiraten. Er ward mit allem erdenklichen Pomp und mit allen Feierlichkeiten empfangen, die sich bei einer solchen Gelegenheit ergeben. Der König sandte ihm den Prinzen von Condé, die Kardinäle von Lothringen und Guise, die Herzöge von Lothringen, Ferrara, Aumale, Bouillon und Nemours entgegen. Die aber hatten verschiedene Edelleute um sich und eine große Zahl Pagen, welche in ihren Farben gekleidet waren. Der König selbst erwartete den Herzog von Alba an dem ersten Tore seines Louvre mit zweihundert dienenden Edelleuten und dem Connétable an ihrer Spitze. Als der Herzog vor dem Könige stand, wollte er seine Knie umfangen, doch der König hinderte ihn daran und ließ ihn an seiner Seite gehen bis zu den Königinnen und zu Madame Elisabeth, welcher der Herzog von Alba ein köstliches Geschenk von Seiten seines Gebieters überreichte. Er ging dann zu Madame Margarete, des Königs Schwester, um ihr die Empfehlungen des Gebieters von Savoyen zu übermitteln und um ihr zu versichern, daß er in wenigen Tagen eintreffen würde. Man veranstaltete große Festlichkeiten im Louvre, um dem Herzog von Alba und dem Prinzen von Oranien, welcher ihn begleitete, die Schönheiten des Hofes zu zeigen.
Madame de Cleve wagte nicht, sich davon fernzuhalten, welche Lust sie auch dazu verspürte, da sie ihrem Gatten zu mißfallen fürchtete, der auf ihrer Gegenwart ausdrücklich bestanden hatte. Was sie ferner noch hinzukommen veranlaßte, war die Abwesenheit Monsieur de Nemours'. Er war dem Herzoge von Savoyen entgegengeeilt; und als der Fürst angekommen war, sah er sich genötigt, beinahe täglich bei ihm zu verweilen, um ihm bei allen Angelegenheiten, welche die Feierlichkeit seiner Hochzeit erforderte, behilflich zu sein. So geschah es denn, daß Madame de Cleve dem Prinzen nicht so oft begegnete, wie es sonst der Fall zu sein pflegte, und sie überkam deshalb eine gewisse Ruhe.
Der Vizedom von Chartres hatte seine Unterhaltung mit Monsieur de Nemours nicht vergessen. Sie war ihm im Gedächtnis haftengeblieben, wie wenn des Prinzen Abenteuer sein eigenes gewesen wäre; und er beobachtete ihn mit solcher Sorgfalt, daß er vielleicht die Wahrheit erfahren haben würde, hätte nicht die Ankunft des Herzogs von Alba und des Gebieters von Savoyen eine Umwandlung und Beschäftigung am Hofe verursacht, die ihn zu sehen hinderte, was sich ihm vielleicht offenbart hätte. Die Lust, sich Klarheit zu verschaffen, oder vielmehr die natürliche Neigung, alles, was man weiß, der Geliebten mitzuteilen, bewirkte, daß er Madame de Martigues die außergewöhnliche Tat der Frau erzählte, die ihrem Gatten ihre Liebe zu einem anderen eingestanden hatte. Und er versicherte ihr, daß Monsieur de Nemours eine solch leidenschaftliche Liebe erweckt habe, und beschwor sie, ihm bei der Überwachung des Prinzen behilflich zu sein. Madame de Martigues war sehr froh über des Vizedoms Mitteilung, und die ihr bekannte Neugierde der Madame la Dauphine auf Monsieur de Nemours' Angelegenheiten vergrößerte ihre Lust noch, jenes Abenteuer zu ergründen. Wenige Tage vor dem für die Hochzeit ausersehenen veranstaltete Madame la Dauphine zu Ehren des Königs, ihres Schwiegervaters und der Herzogin von Valentinois ein Mahl. Madame de Cleve hatte sich beim Anputz verzögert und kam später, als es ihre Gewohnheit war, in den Louvre. Unterwegs stieß sie auf einen Edelmann, der sie in Madame la Dauphines Auftrag abholen wollte. Als sie eintrat, rief ihr die Fürstin von ihrem Bette aus, in dem sie lag, entgegen, daß sie sie mit großer Ungeduld erwarte. »Ich glaube nicht«, entgegnete Madame de Cleve, »daß ich Ihnen für diese Ungeduld zu danken habe, Madame; sie hat sicherlich eine andere Ursache wie die Begier, mich zu sehen!« – »Sie haben recht«, entgegnete Madame la Dauphine, »nichtsdestoweniger werden Sie mir sehr dafür verbunden sein, denn ich will Ihnen ein Abenteuer erzählen, das Sie, des bin ich zuversichtlich, gern hören werden!«
Madame de Cleve ließ sich vor ihrem Bette auf die Knie nieder, und glücklicherweise fiel ihr das Tageslicht nicht auf das Antlitz. »Sie wissen doch«, fuhr Madame la Dauphine fort, »wie sehr wir darauf brannten zu erfahren, wer den Wechsel in Monsieur de Nemours' Gesinnung heraufbeschwor. Ich glaube es zu wissen, und zwar wird Sie die Sache überraschen. Er ist hitzig verliebt und wird von einer der schönsten Frauen des Hofes wiedergeliebt!« Da Madame de Cleve diese Worte nicht auf sich beziehen konnte, zumal sie genau wußte, daß niemand eine Liebe des Prinzen zu ihr vermute, verursachten sie ihr einen Schmerz, den man wohl ermessen kann. »Ich sehe darin nichts«, entgegnete sie, »was bei einem Manne von Monsieur de Nemours' Alter und Aussehen überraschen dürfte!« – »Das setzt uns ja auch nicht in Erstaunen«, fuhr Madame la Dauphine fort, »sondern weil wir wissen, daß die Dame, welche Monsieur de Nemours liebt, ihm niemals ein Zeichen ihrer Liebe gab, und daß ihre Angst, nicht immer Herrin ihrer Leidenschaft zu sein, sie ihrem Gatten alles gestehen ließ, damit er sie vom Hofe fernhalte. Monsieur de Nemours aber hat alles, was ich Ihnen sagte, selber erzählt!«
Wenn Madame de Cleve anfangs der Gedanke, keinen Anteil an diesem Abenteuer zu haben, Schmerz bereitete, so brachten sie Madame la Dauphines letzte Worte durch die Gewißheit zur Verzweiflung, daß sie nur allzusehr daran beteiligt war. Sie vermochte nichts zu erwidern und verharrte, den Kopf über das Bett gebeugt; die Dauphine aber fuhr fort zu spreche, und alles, was sie sagte, beschäftigte sie so sehr, daß sie nicht acht auf diese Verwirrung gab. Als Madame de Cleve sich gefaßt hatte, antwortete sie: »Diese Geschichte klingt mir doch ziemlich unwahrscheinlich, Madame, und ich möchte wohl gern wissen, wer sie Ihnen erzählt hat!« »Madame de Martigues hat sie von dem Vizedom von Chartres erfahren«, entgegnete Madame la Dauphine, »Sie wissen, daß er in sie verliebt ist; und er vertraute sie ihr als ein Geheimnis an, welches er von Monsieur de Nemours selbst erfuhr. Monsieur de Nemours hat ihm wahrlich den Namen der Dame nicht angegeben und ihm auch nicht anvertraut, daß er selber in sie verliebt sei; der Vizedom von Chartres zweifelt aber nicht daran!« Als Madame la Dauphine diese Worte beendet hatte, näherte sich jemand dem Bette. Madame de Cleve hatte sich nach einer Seite gekehrt, die sie den Herantretenden zu sehen hinderte; doch dachte sie sich nichts dabei, bis Madame la Dauphine mit freudiger und überraschter Miene ausrief: »Er ist es selber, ich will ihn fragen, was wahr daran ist!« Madame de Cleve aber ahnte, ohne sich nach ihm hinzuwenden, daß es Monsieur de Nemours sei; und er war es tatsächlich. Ohne sich von ihrem Platze zu wenden, beugte sie sich voller Hast zu Madame la Dauphine und sagte ihr, sie solle sich in acht nehmen und nicht von diesem Abenteuer sprechen, welches er dem Vizedom von Chartres anvertraut habe, da sie dadurch beide leicht miteinander entzweien könnte. Madame la Dauphine erklärte ihr lachend, sie sei ihr viel zu klug, und wendete sich gegen Monsieur de Nemours. Er war für die Abendgesellschaft angezogen; und mit jener ihm so natürlichen Anmut das Wort ergreifend, sagte er: »Ich glaube, Madame, ohne keck zu sein, vermuten zu dürfen, daß bei meinem Eintreten von mir die Rede war und daß Sie mich nach etwas fragen wollten, wogegen Madame de Cleve Einspruch erhob!« – »Wahrlich«, entgegnete Madame la Dauphine, »doch ich werde ihr nicht den Gefallen tun und nachgeben. Ich will von Ihnen wissen, ob die mir erzählte Geschichte wahr ist, daß Sie in eine Dame des Hofes verliebt sind und von ihr wiedergeliebt werden, die Ihnen ihre Neigung sorgsam verhüllt, sie aber ihrem Gatten eingestanden hat!«
Madame de Cleves Verwirrung und Aufregung waren grenzenlos; und wenn der Tod vor sie hingetreten wäre, um sie diesem Zustande zu entreißen, hätte sie ihn freudig willkommen geheißen. Aber Monsieur de Nemours war, falls es möglich, noch verwirrter. Was Madame la Dauphine, von der er annehmen durfte, daß er ihr nicht ganz gleichgültig war, in Madame de Cleves Gegenwart erzählte, der sie von allen Damen des Hofes das größte Vertrauen schenkte und die auch ihr am meisten vertraute, brachte solch ein ungereimtes Durcheinander von Gedanken über ihn, daß er sein Gesicht unmöglich zu beherrschen vermochte. Die Unruhe, in der er Madame de Cleve um seines Fehls willen sah, und der Gedanke, daß er ihr einen triftigen Grund gab, zornig auf ihn zu sein, verursachten ihm eine sehr heftige Gemütsbewegung, welche ihn am Reden hinderte. Als Madame la Dauphine sah, bis zu welchem Grade er betreten war, rief sie Madame de Cleve zu: »Sehen Sie ihn an, sehen Sie ihn an, und sagen Sie mir dann, ob dies Abenteuer nicht das seinige ist!«
Indessen erholte sich Monsieur de Nemours von seiner Bestürzung; und da er einsah, wie wichtig es war, sich aus solch einer gefährlichen Lage zu befreien, so gebot er jählings über seine Gefühle und sein Antlitz. »Ich gestehe, Madame«, hob er an, »daß man kaum überraschter und betrübter als ich über die Treulosigkeit sein kann, die der Vizedom von Chartres mir gegenüber beging, indem er die Angelegenheit eines meiner Freunde, welche ich ihm anvertraute, weitererzählte. Ich könnte mich an ihm rächen«, fuhr er lächelnd mit einer ruhigen Miene fort, die Madame la Dauphine beinahe allen soeben in ihr aufkeimenden Argwohn raubte, »er hat mir Dinge von nicht geringer Wichtigkeit anvertraut. Doch weiß ich nicht, Madame, warum Sie mir die Ehre antun, mich in diese Angelegenheit zu verwickeln. Der Vizedom kann unmöglich gesagt haben, daß sie mich angeht, da ich ihm das Gegenteil erzählte. Daß ich verliebt bin, könnte zutreffen, aber meines Erachtens können Sie nicht behaupten, Madame, daß ich geliebt bin!«
Es freute den Prinzen, Madame la Dauphine einiges sagen zu können, was Bezug auf die Geständnisse nahm, die er ihr in früheren Zeiten gemacht hatte, um sie von Gedanken abzubringen, welche sie beschäftigen konnten. Sie schien seine Worte auch gut zu verstehen; doch ohne darauf einzugehen, fuhr sie fort, ihn seiner Verlegenheit wegen zu befehden. »Madame«, antwortete er ihr, »ich war im Interesse meines Freundes und in Anbetracht der gerechten Vorwürfe verwirrt, die er mir machen kann, weil ich Dinge, die ihm teurer als sein Leben sind, weitergesagt habe. Doch erzählte er mir die Geschichte nur halb und nannte mir den Namen seiner Geliebten nicht. Ich weiß nur, daß er der verliebteste und beklagenswerteste Mann auf der Welt ist!« – »Sie finden ihn beklagenswert«, entgegnete Madame la Dauphine, »wo er geliebt ist?« »Glauben Sie, daß er es ist, Madame?« versetzte er. »Und daß ein Weib, welches eine wahre Leidenschaft empfindet, sie ihrem Gatten eingestehen kann? Dies Wesen kennt zweifelsohne die Liebe nicht und hat eine flüchtige Dankbarkeit für die ihr bezeigte Anhänglichkeit für Liebe gehalten. Mein Freund kann sich mit keiner Hoffnung schmeicheln; aber so unglücklich er auch ist, hält er sich doch für glücklich, weil er wenigstens die Furcht zu lieben erweckt hat, und er wird sein Los niemals mit dem des glücklichsten Geliebten auf der Welt tauschen wollen!« – »Ihr Freund fühlt eine leicht zu befriedigende Liebe«, entgegnete Madame la Dauphine, »und ich glaube allmählich, daß Sie nicht von sich sprechen. Trotzdem brauche ich nicht«, fuhr sie fort, »Madame de Cleves Ansicht zu sein, welche dies Abenteuer für ganz unwahrscheinlich hält!« – »Ich glaube tatsächlich nicht an seine Wahrheit«, sagte Madame de Cleve, die noch nicht gesprochen hatte, »denn wie und durch wen nur könnte er das alles erfahren haben? Es ist doch höchst unwahrscheinlich, daß eine zu solch ungewöhnlichem Tun fähige Frau die Schwäche besitzt, es weiterzuerzählen, und sicherlich hat es ihr Gatte noch viel weniger getan, oder er wäre ein Mann, der des ihm erwiesenen Vertrauens unwürdig ist!« Monsieur de Nemours merkte um Madame de Cleves Verdacht auf ihren Gatten, und es war ihm ein leichtes, sie in ihm zu bestärken. Er wußte, daß er der wichtigste Nebenbuhler war, den es zu vernichten galt. »Die Eifersucht«, entgegnete Monsieur de Nemours, »und die Neugierde, vielleicht mehr noch darüber zu erfahren, als man ihm gesagt hat, können einen Gatten leichtlich zu solcher Unklugheit verleiten!«
Madame de Cleves Mut und Kraft gingen zur Neige, sie konnte die Unterhaltung nicht mehr ertragen, wollte schon sagen, daß sie sich elend fühle, als zu ihrem Glücke die Herzogin von Valentinois eintrat und Madame la Dauphine das Erscheinen des Königs meldete. Die aber zog sich in ihr Gemach zurück, um sich anzuziehen. Monsieur de Nemours näherte sich Madame de Cleve, welche ihr folgen wollte. »Ich würde mein Leben darum geben, Madame«, sprach er zu ihr, »dürfte ich Sie einen Augenblick sprechen; doch von allem, was ich Ihnen zu sagen habe, deucht mir am wichtigsten, Sie inständigst zu bitten, mir glauben zu wollen, daß, wenn ich etwas sagte, was Madame la Dauphine auf sich beziehen könnte, ich es aus Gründen tat, die sie nicht kennt!« Madame de Cleve hörte scheinbar Monsieur de Nemours nicht zu und schickte sich an, dem Könige zu folgen, der soeben eintrat. Als genügend Menschen anwesend waren, verwickelte sie sich in ihrem Kleide und tat einen Fehltritt; sie benutzte dies als Vorwand, um einen Ort zu verlassen, an dem zu bleiben sie nicht die Kraft hatte; gab vor, sich nicht aufrecht halten zu können, und ging nach Hause.
Monsieur de Cleve kam in den Louvre und war sehr erstaunt, seine Frau hier nicht vorzufinden; man erzählte ihm den Unfall, welcher sie betroffen hatte. Zur selbigen Stunde kehrte er nach Hause zurück, um sich nach ihrem Ergehen zu erkundigen, er fand sie im Bette vor und sah, daß ihr Unwohlsein unbeträchtlich war. Als er einige Zeit bei ihr verweilt hatte, merkte er eine so übermäßige Traurigkeit an ihr, daß er bestürzt darüber ward. »Was fehlt Ihnen, Madame«, redete er sie an, »Sie fühlen, glaube ich, andere Schmerzen als die, über welche Sie klagen.« – »Ich trage den grausamsten Kummer, den ich jemals erleiden konnte«, erwiderte sie; »welchen Gebrauch haben Sie von dem außergewöhnlichen, oder besser gesagt, närrischen Geständnis, das ich Ihnen ablegte, gemacht? Verdiente ich Ihre Verschwiegenheit nicht? Oder verpflichtete Sie, wenn ich sie nicht verdiente, nicht Ihr eigener Nutzen zum Schweigen? Durfte Sie die Neugier, einen Namen zu erfahren, den ich Ihnen nicht sagen konnte, veranlassen, sich jemandem anzuvertrauen und zu suchen, das Geheimnis zu lösen? Einzig nur die Neugier konnte Sie eine so grausame Unklugheit begehen lassen; ihre Folgen sind so entsetzlich, wie sie es nur sein können. Die Sache ist bekannt, man erzählte sie mir soeben, ohne zu ahnen, daß sie mich am meisten angeht!«– »Was sagen Sie, Madame?« entgegnete Monsieur de Cleve. »Sie zeihen mich, den Vorfall zwischen Ihnen und mir weitererzählt zu haben, und erklären mir, daß er bekannt sei? Ich rechtfertige mich nicht, ihn nicht weitergesagt zu haben, Sie würden es nicht glauben; Sie müssen zweifelsohne etwas auf sich bezogen haben, was von einer anderen erzählt wurde!« – »Ach, Monsieur«, entgegnete sie, »kein anderes Abenteuer gibt es auf der Welt, das meinem gleicht, kein anderes Weib ist des gleichen Geständnisses fähig. Der Zufall kann es nicht erfunden haben, nimmer hat man es ersonnen und nimmer keimte solch ein Vorhaben in einem anderen Gemüte als dem meinigen. Madame la Dauphine erzählte mir soeben das ganze Erlebnis; sie weiß es von dem Vizedom von Chartres, der es von Monsieur de Nemours hat.« – »Von Monsieur de Nemours?« rief Monsieur de Cleve mit einer Heftigkeit aus, die Schmerz und Verzweiflung kündete, »wie, Monsieur de Nemours weiß, daß Sie ihn lieben und daß ich darum weiß?« – »Sie haben stets größeren Argwohn auf Monsieur de Nemours als auf einen anderen«, entgegnete sie, »ich habe Ihnen gesagt, daß ich auf Ihren Verdacht niemals antworten würde. Ich ahne nicht, ob Monsieur de Nemours weiß, welchen Anteil ich und welchen Sie an diesem Abenteuer haben, aber er hat es dem Vizedom von Chartres erzählt und ihm gesagt, daß er es von seiner Freunde einem wüßte, der ihm den Namen der Dame nicht genannt hätte. Dieser Freund des Monsieur de Nemours muß auch der Ihrige sein, und Sie haben sich dem anvertraut, um sich schneller aufzuklären!« – »Besitzt man denn nur einen Freund auf dem Erdboden, dem man solch ein Geständnis macht?« entgegnete Monsieur de Cleve. »Und würde man in seinem Argwohn, um den Preis klar zu sehen, jemandem etwas eingestehen, das man wahrlich am liebsten vor sich selber verbergen möchte? Denken Sie vielmehr nach, Madame, mit wem Sie darüber gesprochen haben. Es ist augenscheinlicher, daß dies Geheimnis durch Sie als durch mich offenbar wurde. Sie haben Ihre augenblickliche Erregung vielleicht nicht allein tragen können und sich dadurch zu erleichtern gesucht, daß Sie sich mit Ihrer Vertrauten aussprachen, die Sie verraten hat!« – »Fahren Sie nicht fort, mich niederzuschmettern«, rief sie aus, »und seien Sie nicht so grausam, mich eines Fehls zu zeihen, den Sie selber begangen haben. Können Sie mich deshalb in Verdacht haben, bin ich denn, weil ich fähig gewesen, mit Ihnen zu sprechen, auch fähig, mit einem anderen zu sprechen?«
Das Geständnis, welches Madame de Cleve ihrem Gatten abgelegt hatte, war ein so großer Beweis ihrer Offenheit, und sie leugnete so heftig, es jemandem anvertraut zu haben, daß Monsieur de Cleve nicht wußte, was er denken sollte; andererseits war er sicher, selber nichts weitererzählt zu haben. Etwas, das man nicht erraten konnte, war bekanntgeworden: Also mußte einer von ihnen beiden gesprochen haben; die Gewißheit aber, daß irgendwer um dieses Abenteuer wußte und daß es höchstwahrscheinlich sehr bald verbreitet werden würde, bereitete ihm einen grausamen Schmerz.
Madame de Cleve hatte fast dieselben Gedanken, sie fand es gleichfalls unmöglich, daß ihr Gatte gesprochen haben sollte, aber Monsieur de Nemours' Worte, die Neugier vermöchte einen Ehemann zu Unklugheiten veranlassen, schienen sich so ganz auf Monsieur de Cleves Zustand zu berufen, daß sie nicht glauben konnte, der Zufall habe diese Geschichte erfunden; und diese Wahrscheinlichkeit bestimmte sie anzunehmen, daß Monsieur de Cleve das ihm geschenkte Vertrauen mißbraucht habe. Sie waren einer wie der andere so mit ihren Gedanken beschäftigt, daß sie lange wortlos verharrten, und brachen das Schweigen nur, um auf dieselben Dinge zurückzukommen, welche sie schon mehrere Male besprochen hatten, und saßen sich so gequälten Herzens und so aufgeregten Gemüts wie noch niemals gegenüber.
Man kann sich leicht vorstellen, in welchem Zustande sie die Nacht verbrachten. Monsieur de Cleve hatte all seine Standhaftigkeit erschöpft, um das Unglück ertragen zu können, seine Frau, die er anbetete, in Liebe zu einem anderen entflammt zu sehen. Ihm blieb kein Mut mehr, und er glaubte sogar keinen mehr auftreiben zu können bei einer Sache, wo sein Ruhm und seine Ehre so schwer verletzt worden waren. Er wußte nicht mehr, was er von seiner Frau zu halten hatte, und war sich nicht klar darüber, wie er sich gegen sie benehmen sollte, noch wie er sich selber aufführen mußte; er sah nur auf allen Seiten Abgründe und Schlünde. Als er schließlich nach sehr langer Erregung und Ungewißheit daran dachte, daß er gar bald nach Spanien aufbrechen müsse, nahm er sich vor, alles zu vermeiden, was den Argwohn oder die Kenntnis seines unseligen Zustandes vermehren konnte. Und suchte Madame de Cleve auf und sagte zu ihr, er wolle nicht untersuchen, wer von ihnen beiden es an Verschwiegenheit habe fehlen lassen, sondern bestrebt sein, den Beweis zu liefern, daß die ihr erzählte Geschichte eine Fabel sei, an der sie keinen Anteil hätte; es hänge nur von ihr ab, Monsieur de Nemours und die anderen davon zu überzeugen; sie solle diesen nur mit der Strenge und Kälte behandeln, zu welcher sie einem Menschen gegenüber verpflichtet wäre, der ihr seine Liebe gestände. Durch dies Vorgehen würde sie ihm leicht den Glauben, daß sie ihn liebe, nehmen; ebenso wolle er sich nicht um all das grämen, was er sich hätte denken können, weil alle seine Gedanken leicht zunichte werden würden, wenn sie in der Folgezeit keine Schwäche zeige; vor allem aber solle sie wie gewöhnlich in den Louvre und zu allen Festlichkeiten gehen.
Nach solchen Worten aber verließ Monsieur de Cleve seine Frau, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie fand alle seine Worte sehr verständig, und in ihrem Zorne auf Monsieur de Nemours glaubte sie, daß sie alles ebenso leicht ins Werk setzen könnte; doch schien es ihr schwierig zu sein, sich bei den Hochzeitsfeierlichkeiten einzustellen und mit ruhigem Antlitze und freiem Gemüte daran teilzunehmen. Da sie aber Madame la Dauphines Schleppe tragen mußte, welches eine Bevorzugung vor mehreren anderen Prinzessinnen war, konnte sie dennoch nicht darauf verzichten, ohne viel Aufhebens zu machen und ohne viel triftige Gründe dafür anzugeben. Sie beschloß also, sich gewaltsam zu zwingen; doch nahm sie sich für den Rest des Tages vor, sich dazu vorzubereiten und allen Gefühlen, von denen sie bewegt wurde, noch einmal freien Lauf zu lassen. Sie schloß sich allein in ihr Gemach ein. Aller Übel, die mit Wucht auf ihr lasteten, größtes war, Anlaß zu haben, sich über Monsieur de Nemours zu beklagen und kein Mittel zu seiner Rechtfertigung zu finden. Daß er dies Erlebnis dem Vizedom von Chartres erzählt habe, daran konnte sie nicht zweifeln, er hatte es ihr eingestanden; auch konnte sie nicht daran zweifeln, daß er der Weise zufolge, wie er darüber gesprochen hatte, wußte, daß sie dies Abenteuer anginge. Wie ließ sich solch große Unklugheit entschuldigen? Was war aus des Prinzen Verschwiegenheit geworden, die sie so gerührt hatte? »Er war so lange verschwiegen«, sagte sie, »als er unglücklich zu sein wähnte; doch der Gedanke an ein sogar ungewisses Glück hat seiner Verschwiegenheit ein Ende gemacht. Er konnte sich nicht denken, daß er geliebt sei, ohne den Wunsch zu haben, daß man darum wisse. Alles, was er sagen konnte, erzählte er: Ich habe ihm nicht eingestanden, daß ich ihn liebe, er vermutete es und hat seine Vermutungen laut werden lassen. Hätte er Gewißheit gehabt, würde er in gleicher Weise davon Gebrauch gemacht haben. Ich glaubte in meiner Torheit, daß es einen Mann gäbe, der das zu verbergen fähig wäre, was seinem Ruhme schmeichelt. Und doch bin ich um dieses Mannes willen, den ich für so anders als alle übrigen Männer hielt, ein Weib wie alle anderen Weiber, von denen ich mich so verschieden dünkte. Ich habe das Herz und die Achtung eines Gatten verloren, der mein Glück ausmachen müßte. Bald wird alle Welt wissen, daß ich von einer wahnsinnigen und heftigen Leidenschaft entbrannt bin. Der, für den ich sie empfinde, kennt sie nur zu gut; ach, um diesem Jammer zu entgehen, hätt' ich all meine Ruhe und selbst mein Leben auf das Spiel gesetzt!«
Unter heißen Tränen stiegen diese traurigen Gedanken in ihr auf; doch von welchem Kummer sie auch immer gepeinigt wurde, sie fühlte, sie würde ihn überwunden haben, wenn sie von Monsieur de Nemours nicht so enttäuscht worden wäre.
In keinem ruhigeren Zustande befand sich der Prinz. Die begangene Unklugheit, mit dem Vizedom von Chartres zu sprechen, und ihre grausamen Folgen bereiteten ihm ein tödliches Mißvergnügen. Er konnte an nichts denken, ohne durch die Verwirrung, die Aufregung und die Trübsal entmutigt zu werden, in welcher er Madame de Cleve gesehen hatte. Und war untröstlich, ihr in dieser Sache doch manches gesagt zu haben, was an sich liebenswürdig war, ihm in diesem Augenblicke jedoch roh oder wenig höfisch zu sein schien, da er Madame de Cleve damit zu verstehen gegeben hatte, daß er die so leidenschaftlich verliebte Dame kenne, und daß sie für ihn brenne. Sein einziger Wunsch wäre eine Unterredung mit ihr gewesen, doch glaubte er sie eher fürchten als wünschen zu müssen. »Was sollte ich ihr sagen?« rief er aus. »Würde ich ihr noch einmal zeigen, was ich sie schon allzu deutlich verstehen ließ? Würde ich ihr eingestehen, daß ich um ihre Liebe zu mir weiß, ich, der ich ihr nimmer zu sagen gewagt habe, daß ich sie liebe? Würde ich offen mit ihr von meiner Leidenschaft zu reden beginnen, um bei ihr für einen Mann zu gelten, der durch Hoffnungen kühn geworden ist? Kann ich nur daran denken, mich ihr zu nähern; und dürfte ich sie der Aufregung, meinen Anblick zu ertragen, auszusetzen wagen? Womit könnte ich mich rechtfertigen? Ich habe keine Entschuldigung, bin nicht wert, Madame de Cleves Blicke auf mich zu ziehen, und hoffe auch nicht, daß sie mich jemals wieder ansieht. Ich habe ihr durch meinen Fehl eine bessere Waffe, sich meiner zu erwehren, in die Hand gegeben, als alle, welche sie suchte und etwa vergeblich gesucht hätte. Durch meine Unklugheit verliere ich das Glück und den Ruhm, von der liebenswürdigsten und schätzenswertesten Frau der Welt geliebt zu werden. Wenn ich dieses Glückes aber verlustig gehe, ohne daß sie darunter leidet und ohne ihr einen tödlichen Schmerz bereitet zu haben, soll es mir ein Trost sein. Ich fühle in diesem Augenblicke mehr den Schaden, welchen ich ihr zugefügt, als den ich mir bei ihr zugefügt habe!«
Lange Zeit über machte sich Monsieur de Nemours solche Vorwürfe und mußte immer wieder an dieselben Dinge denken. Das Verlangen, mit Madame de Cleve zu sprechen, kam ihn täglich an. Er überlegte sich ein Mittel, dies ins Werk zu setzen, und dachte daran, ihr zu schreiben; doch schließlich sah er ein, daß er ihr nach seinem begangenen Fehler und bei ihrer augenblicklichen Stimmung am besten eine tiefe Verehrung durch seinen Gram und durch sein Schweigen bezeugte und sie auch merken ließe, daß er sich nicht vor ihr zu zeigen wagte, um abzuwarten, was Zeit, Zufall und die Liebe, welche sie an ihn band, Günstiges für ihn erwirkten. Auch nahm er sich vor, dem Vizedom von Chartres um der Treulosigkeit willen, die er an ihm begangen hatte, keine Vorwürfe zu machen, da er ihn dadurch in seinem Argwohn zu bestärken fürchtete.
Madame Elisabeths Eheversprechung, die kommenden Tags vor sich gehen, und ihre Hochzeit, welche am darauffolgenden Tag stattfinden sollte, beschäftigte den ganzen Hof solcherart, daß Madame de Cleve und Monsieur de Nemours leicht ihre Traurigkeit und ihre Verwirrung verbergen konnten. Selbst Madame la Dauphine sprach nur in aller Flüchtigkeit mit Madame de Cleve über die Unterhaltung, welche sie mit Monsieur de Nemours gepflogen hatten; auch Monsieur de Cleve bemühte sich nicht mehr, mit seiner Frau über all die Vorfälle zu sprechen, so daß sie in keiner so großen Aufregung lebte, wie sie vermutet hatte.
Die Eheversprechung fand im Louvre statt, und nach dem Mahle und dem Balle legte sich das ganze königliche Haus, wie es der Sitte entsprach, im bischöflichen Palaste schlafen. Am Morgen trug der Herzog von Alba, der sich stets nur einfach gekleidet hatte, ein Gewand aus Goldstoff, durchwirkt mit roter und gelber und schwarzer Farbe, das über und über mit Edelsteinen besät war, und trug eine geschlossene Krone auf dem Haupte. Der Prinz von Oranien war ebenso köstlich gekleidet; er holte mit seinen Dienern und den übrigen Spaniern, denen ebenfalls ihre Diener folgten, den Herzog von Alba aus dem Hôtel de Villeroy, wo er wohnte, ab, und sie schritten, vier zu vier gehend, nach dem bischöflichen Palaste. Sobald man dort angelangt war, ging man dem Range nach in die Kirche. Der König führte Madame Elisabeth, welche eine geschlossene Krone trug; ihre Schleppe wurde von den Mesdemoiselles de Monpensier und de Longueville getragen. Dann folgte die Königin, jedoch ohne Krone. Nach ihr kamen Madame la Dauphine, Madame, des Königs Schwester, die Herzogin von Lothringen und die Königin von Navarra, ihre Schleppen aber trugen Prinzessinnen. Den Königinnen und den Fürstinnen folgten alle ihre Hoffräulein, die prächtig und in den Farben ihrer Gebieterinnen gekleidet waren, so daß man an den Farben ihrer Gewänder sah, wem die Edelfräulein angehörten.
Man bestieg die Bühne, welche in der Kirche errichtet war, und die Hochzeitsfeierlichkeit ging vor sich. Danach kehrte man zum Essen in den Bischofspalast zurück; und um fünf Uhr brach man von dort auf, um in den Palast zu gehen, wo das Festmahl stattfand, zu dem das Parlament, die obersten Gerichtshöfe und das Stadthaus zur Teilnahme herangezogen worden waren. Der König, die Königinnen, die Prinzen und Prinzessinnen saßen an dem Marmortische des großen Palastsaals. Der Herzog von Alba saß neben der neuen Königin von Spanien; unterhalb der Stufen, die zu dem Marmortische führten, und zur Rechten des Königs stand ein Tisch für die Gesandten, die Erzbischöfe und die Ordensritter und auf der anderen Seite ein Tisch für die Herren des Parlaments.
Der in ein Gewand von golddurchwirktem Stoff gekleidete Herzog von Guise legte dem Könige die Speisen vor; der Prinz von Condé diente ihm als Brotmeister und der Herzog von Nemours als Mundschenk. Nach aufgehobener Tafel begann der Ball, welcher durch Balletts und außergewöhnliche Veranstaltungen unterbrochen wurde, hernach nahm man ihn wieder auf, und endlich, nach Mitternacht, kehrte der König und sein ganzer Hof in den Louvre zurück. Wie traurig Madame de Cleve auch war, sie ließ sich doch vor aller Welt und besonders vor Monsieur de Nemours' Augen in unvergleichlicher Schönheit sehen. Der aber wagte nicht, mit ihr zu sprechen, obwohl ihm die Aufregung bei der Feierlichkeit mehrere Male Gelegenheit dazu gab; doch ließ er sie soviel Traurigkeit und eine so ehrerbietige Furcht, sich ihr zu nähern, sehen, daß sie ihn nicht mehr so schuldig fand, wiewohl er ihr nichts zu seiner Rechtfertigung gesagt hatte. An den folgenden Tagen zeigte er das gleiche Benehmen, und dies Benehmen rief auch den gleichen Eindruck in Madame de Cleves Gemüte hervor.
Endlich war der Tag des Turniers da; die Königinnen begaben sich auf die Emporen und die Bühnen, welche für sie bestimmt waren. Die vier Platzhalter erschienen am Ende des Kampfplatzes im Gefolge von zahllosen Pferden und Dienern, welche das prächtigste Schauspiel boten, das man jemals in Frankreich sah.
Der König kam in keinen anderen Farben als Weiß und Schwarz, welche er immer Madame de Valentinois zu Ehren trug, die Witwe war; der Herzog von Ferrara und seine Gefolgschaft trugen Gelb und Rot. Monsieur de Guise trug Hochrosenrot und Weiß; man wußte anfangs nicht, weshalb er diese Farbenwahl getroffen hatte, doch erinnerte man sich, daß sie die einer schönen Frau waren, welche er, als sie Hoffräulein war, geliebt hatte. Monsieur de Nemours erschien in Gelb und Schwarz, man fragte sich vergeblich, weshalb; Madame de Cleve erriet es mühelos, sie erinnerte sich, in seiner Anwesenheit gesagt zu haben, daß sie die gelbe Farbe liebe und traurig sei, blond zu sein, weil sie sie deshalb nicht tragen könne. Ohne taktlos zu sein, glaubte der Fürst in dieser Farbe erscheinen zu dürfen; da sie Madame de Cleve nicht kleidete, konnte man nicht vermuten, daß es die ihrige war.
Niemals sah man größere Gewandtheit, als die vier Platzhalter zeigten. Wiewohl der König der beste Ritter seines Königreichs war, wußte man doch nicht, wem man den Vorzug geben sollte; Monsieur de Nemours zeigte eine solche Anmut in all seinen Bewegungen, daß sie ihn auch bei weniger für ihn eingenommenen Frauen als Madame de Cleve in Gunst setzen mußte. Sobald die ihn aber am Ende des Kampfplatzes erscheinen sah, fühlte sie eine außerordentliche Erregung, und bei allen Gängen des Fürsten konnte sie ihre Freude kaum verbergen, wenn er seinen Anlauf glücklich vollendet hatte.
Als gegen Abend beinahe alles zu Ende und man willens war aufzubrechen, wollte es das Unglück des Staates, daß der König noch eine Lanze zu brechen wünschte. Und befahl dem Grafen von Montgomery, der außergewöhnlich gewandt war, sich auf dem Kampfplatze einzustellen. Der Graf bat den König, ihn davon zu entbinden, und brachte alle erdenklichen Entschuldigungen vor. Der König ließ ihm aber fast zornig sagen, daß er es durchaus wünsche. Die Königin rief dem Könige zu, sie beschwöre ihn, nicht mehr zu rennen, er habe sich so gut bewährt, daß er es zufrieden sein könne, und sie bäte ihn flehentlich, zu ihr zurückzukommen. Er antwortete, ihr zu Ehren renne er noch einmal, und trat in die Schranken. Sie sandte den Herzog von Savoyen an ihn, um ihn ein zweites Mal bitten zu lassen, aber alles war nutzlos. Sie rannten gegeneinander, die Lanzen brachen, und ein Splitter von der des Grafen von Montgomery drang dem Könige ins Auge und blieb dort haften. Der Fürst sank plötzlich vom Pferde, seine Knappen und Monsieur de Montmorency, welcher einer der Kampfrichter war, liefen zu ihm. Sie waren bestürzt, ihn so verwundet zu sehen, doch der König war durchaus nicht erschrocken. Die Verwundung, meinte er, sei nur geringfügig, und er verzeihe dem Grafen von Montgomery. Man kann sich vorstellen, welche Verwirrung und Trauer ein so unseliger Zufall an einem der Freude bestimmten Tage hervorrief! Sobald man den König in sein Bett gebracht, untersuchten die Ärzte seine Verwundung und fanden sie beträchtlich. Monsieur le Connétable erinnerte sich in diesem Augenblicke der Voraussagung, die man dem Könige gemacht, daß er in einem Zweikampf fallen sollte, und er zweifelte nicht, daß die Voraussagung in Erfüllung gehen würde.
Der König von Spanien, welcher sich zu Zeiten in Brüssel aufhielt, schickte auf die Nachricht von diesem Unfall hin seinen Arzt, der eines hohen Rufs genoß; der aber hielt des Königs Zustand für hoffnungslos.
Ein ebenso zwiespältiger wie entgegengesetzten Interessen huldigender Hof war am Vorabend eines so großen Ereignisses in keiner geringen Aufregung; nichtsdestoweniger verbarg man jede Unruhe und schien einzig von der Sorge um des Königs Gesundheit erfüllt zu sein. Die Königinnen, die Prinzen und die Prinzessinnen verließen sein Vorzimmer fast nie.
Madame de Cleve wußte, daß sie verpflichtet war, dort zu weilen, und daß sie, Monsieur de Nemours dort sehend, ihrem Gatten die Verwirrung nicht verhehlen könnte, welche ihr dieses Sehen verursachte. Da sie sich aber auch sagte, daß einzig die Anwesenheit des Prinzen ihn in ihren Augen rechtfertigen und alle ihre Entschlüsse zerstören könnte, nahm sie sich vor, eine Krankheit zu heucheln. Der Hof war zu sehr beschäftigt, als daß er auf ihr Benehmen hätte Obacht geben und entscheiden können, ob ihre Krankheit echt oder falsch war. Ihr Gatte allein mochte die Wahrheit ahnen; doch war sie nicht ärgerlich, wenn er darum wußte. So blieb sie denn zu Hause und dachte nur wenig an den großen Wechsel, der sich vorbereitete; ihre eigenen Gedanken erfüllten sie ganz, und sie hatte alle Freiheit, ihnen nachzuhängen. Jedermann weilte beim Könige; Monsieur de Cleve kam zu bestimmten Stunden, um ihr die Neuigkeiten mitzuteilen. Er befleißigte sich ihr gegenüber desselben Betragens, welches er immer gegen sie gehabt hatte, nur wenn sie allein waren, gab er sich um ein weniges kälter und nicht so ungezwungen. Er hatte nie wieder von dem Vorgefallenen gesprochen; sie aber hatte nicht die Kraft dazu gehabt und auch nicht den rechten Augenblick gefunden, um auf ihre Unterhaltung zurückzugreifen. Monsieur de Nemours hatte einige Augenblicke zu erhaschen gehofft, wo er mit Madame de Cleve reden könnte, und war sehr überrascht und betrübt, nicht ein einziges Mal das Vergnügen ihres Anblicks zu haben. Des Königs Übel verschlimmerte sich so sehr, daß er am siebenten Tage von den Ärzten aufgegeben wurde. Er nahm die Gewißheit seines Todes mit außerordentlicher Festigkeit auf, die um so bewundernswerter war, da er das Leben in der Blüte der Jahre, glücklich, von seinen Völkern angebetet und von einer Frau, die er heiß liebte, wiedergeliebt, durch einen so unglücklichen Zufall verlor. Am Abend vor seinem Tode ließ er die Heirat Madames, seiner Schwester, mit dem Herzoge von Savyoen ohne jede Feierlichkeit vollziehen. Man kann ermessen, in welchem Zustande die Herzogin von Valentinois lebte. Die Königin erlaubte ihr nicht, den König zu sehen, und ließ ihr des Königs Siegel und die Geschmeide der Krone, welche sie in Verwahrung hatte, abverlangen. Die Herzogin aber erkundigte sich, ob der König tot sei, und als man diese Frage verneinte, antwortete sie: »Ich habe meinen Herrn noch, demnach kann mich niemand zwingen herauszugeben, was sein Vertrauen in meine Hände legte!« Sobald er im Schloß Tournelles ausgeatmet hatte, leiteten der Herzog von Ferrara, der Herzog von Guise und der Herzog von Nemours die Königinmutter, den König und die Königin, seine Gemahlin, in den Louvre, Monsieur de Nemours aber führte die Königin. Wie sie sich zu gehen anschickten, wendete sich die Königinmutter einige Schritte rückwärts und sagte zu ihrer Schwiegertochter, es stände ihr als Königin zu, als erste zu schreiten; doch es war wohl zu sehen, daß mehr Bitterkeit als Wohlwollen in dieser Höflichkeitsbezeigung lag.