Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
[Das Nachwort stammt aus der Ausgabe: Georg Müller Verlag, München, 1912. Re]
Die Verfasserin dieses Werkes, welches der erste psychologische Roman ist, der in Frankreich geschaffen wurde, Marie Madeleine Pioche de la Vergne, Gräfin von La Fayette, war die im Jahre 1633 geborene Tochter des Feldmarschalls und Gouverneurs von Havre – de-Grace Aymard de la Vergne und seiner Gattin Marie de Péna. Diese stammte aus einer alten provençalischen Familie, in der Talent und literarische Begabung erblich waren. Ein Hugues de Péna, Sekretär des Königs Carl I. von Neapel, hatte im XIII. Jahrhundert Tragödien geschrieben und aus den Händen der Königin den Poetenlorbeer empfangen. De la Vergne ließ seiner Tochter, soweit es die beschränkten Vermögensverhältnisse erlaubten, eine sorgfältige Erziehung zuteil werden, wie sie der reichen Begabung des Kindes angemessen war. Nach seinem frühen Tode siedelten Mutter und Tochter nach Paris über, bald kam ein Stiefvater ins Haus, der, ein Oheim der Sévigné, Nichte und Stieftochter zusammenbrachte, die bald eine innige, dauernde Freundschaft miteinander verknüpfte. Durch diese wurde die junge de la Vergne in die Gesellschaft des Hôtel de Rambouillet eingeführt, in der sie dank ihres Schreibtalentes, das sich in Versen kundtat, bald eine gewisse Rolle spielte; doch ihr guter, gesunder Geschmack und ihre große Gelehrsamkeit bewahrten sie vor der Maniriertheit dieser Gesellschaft, so daß sie das Preziösentum sehr bald überwand. 1655 heiratete sie den Grafen von La Fayette, der ihr ein bequemer Gatte und nie mehr als ein guter Freund wurde. Mit diesem hatte sie zwei Söhne, denen sie stets eine gute Mutter war, wie sie denn auch als Schriftstellerin nie darnach strebte, die Männer nachzuahmen, sondern wie ein echtes Weib im Stillen wirkte und mit ihrer Person hinter ihrem Schaffen zurücktrat.
Durch ihre Heirat kam sie an den Hof und wurde die Hofdame der Schwägerin des vierzehnten Ludwigs. Die ausgezeichnetsten Frauen und größten Männer ihres Jahrhunderts wurden ihre Freunde und Gönner, sie fesselte sie durch ihren kultivierten Geist an sich. Ihr Leben floß still, fast leidenschaftslos dahin, bis de la Rochefoucauld, der Verfasser der Maximen, ihren Weg kreuzte. Dieser Augenblick entschied für ihr Leben. Er, der die Freundschaft leugnete, verband sich bald in einer amitié amoureuse mit ihr, die fast fünfundzwanzig Jahre währte; er, der Menschen die Wahrhaftigkeit absprach, erklärte, die La Fayette sei wahr. Sie überlebte den Freund, der täglich um sie war, mit dem sie alle Interessen teilte, um zehn Jahre, bis an ihr Lebensende tief um ihn trauernd. Nach langem Siechtum starb sie 1698 in ihrem sechzigsten Lebensjahre.
Der vorliegende Roman, der La Fayette bestes, von Racine etwa beeinflußtes Werk, wurde im Jahre 1678 veröffentlicht und zwar unter dem Namen ihres Freundes Segrais, der, ein Verfasser mäßiger Eklogen natürlichen Stils, in ihrem Hause lebte und ihr wie La Rochefoucauld in literarischen Dingen beratend zur Seite stand. Es darf dies Verbergen der Autorschaft nicht verwundern, hinderte in damaligen Zeiten schon Männer von Stand ein Vorurteil, Bücher herauszugeben, so war es für eine Grande Dame noch empfindlicher, als Autor vor die Öffentlichkeit zu treten.
Der Erfolg des Buches war ein überaus starker. Gab es auch manchen, der den Freimut und die Wahrhaftigkeit der Prinzessin von Cleve als unnatürlich hinstellte und bespöttelte, so traten doch die ersten Geister der Zeit offen für das Werk ein. Fontenelle las es viermal und pries es als »ein Gemälde der zartesten Regungen, welche ihn mehr als die außergewöhnlichen und wunderbaren Vorfälle rührten.« »Niemals ist durch Pflicht bekämpfte Liebe mit größerer Zartheit geschildert worden,« schrieb die entzückte Sevigne an ihre Tochter. Interessant und eindringlich ist dann Marmontels spätere Charakterisierung des Werkes: »Wie in der Natur und der Wahrheit der Sitten, sind Schein und Ehrbarkeit nicht unvereinbar mit dem aufrichtigen Gefühl der Liebe; wie dies Gefühl erhaben und zart sein und wie, ohne zu übertreiben, ein gefühlvolles Herz durch seine Schwäche interessant und durch seine Tugend schätzbar sein kann, so ersinnt man Situationen, wo die Pflicht die Neigung bekämpft und wo das Opfer der einen und der anderen in seinen Kämpfen verzeihlich und in seinem Triumphe unglücklich sein kann. Es ist dieses ein unfreiwilliges Unglück, wo alles Unrecht durch die Natur oder das Glück entsteht und aller Ruhm durch die Sitten. Das ist es, sage ich, was diesen berühmten Roman interessant macht, der so vielen anderen als Modell diente; und dieser Roman wurde von einer Frau geschrieben, wie um die Grenze zu bezeichnen, bis zu welcher die unrechtmäßige Liebe in einem gutgearteten Herzen führen kann, ohne es herabzuwürdigen und ohne ihm seine Rechte auf Schätzung und Mitleid zu nehmen. Zweifelsohne ist nichts Geistvolleres und Gerechteres als diese Verteidigungsrede der Schwächen eines Geschlechtes geschrieben, das zu gefallen bestimmt ist und sich vor seinen eigenen Verführungen schirmen muß. Nichts ist geeigneter ihm die Nachsicht zu billigen, als dies Gemälde eines tugendsamen und zärtlichen Herzens, welches nicht die Kraft, ein tadelnswertes Gefühl zu ersticken besitzend, wenigstens die es zu besiegen hat; und unter diesen Gesichtspunkten ist ›die Prinzessin von Cleve‹ ein Werk, welches ein Frauengemüt nicht geschickter und zarter hervorzubringen vermochte!«
Man riet lange auf den Autor des Buches; viele hielten es für würdig, von de La Rochefoucauld geschrieben zu sein. Madame de La Fayette hat die Urheberschaft des Buches lange auf das bestimmteste abgestritten, aber allmählich kam die Wahrheit, die dann Segrais später bekräftigte, an den Tag. Das Werk wurde überaus eifrig gelesen und wird von den Franzosen noch heute als der beste Roman seines Jahrhunderts gepriesen; und wenn ihn auch die La Fayette nicht allein geschrieben hat und man Segrais und de La Rochefoucaulds stilistische Hilfe hier und da herausfinden mag, so will das nicht viel sagen. Was das Werk so wundervoll und es wert macht, noch heute gelesen zu werden, ist die sichere Kenntnis des Herzens, die sich in ihm kund tut, und die Feinheit der Beobachtungen, wie ein Kenner wie Sainte Beuve rühmend hervorhebt, die Klarheit und Knappheit seiner Komposition und die wundervolle Einfachheit seines Sujets mit seinen leicht hingeworfenen Umrissen, das sich wie von selbst bis zur Lösung entwickelt, die dem Leser nur der natürliche Abschluß einer wahren Handlung zu sein scheint. Vor allem aber der Adel und die Reinheit seiner Empfindungen, die um so tiefer zu uns sprechen, wenn wir uns klar machen, daß dieser Roman inmitten des Hofes eines Ludwig XIV. geschrieben ward.
Wenn uns heute der Stil der La Fayette ein wenig schwer dünkt, wenn uns die Weitschweifigkeit ihrer Phrasen, besonders in den Gesprächen, die Entwicklung der Gedanken der handelnden Personen, die den Tatbestand in ihren Zwiesprachen nie erschöpfen, aber doch ergründen, wenn uns ihr spärlicher, immerhin charakteristischer Wortschatz fremd anmutet, so müssen wir, um der Dichterin gerecht zu werden, bedenken, daß, als sie schrieb, die Meisterwerke der französischen Sprache noch nicht existierten, sie die Sitten und Gebräuche der guten Gesellschaft ihrer Zeit malte und die besten Autoren damals so schrieben.
Man hat diesen Roman eine Herzensbeichte der La Fayette genannt und in der Cleve und ihrem Schicksal eine Verwandtschaft mit der Autorin, in Monsieur de Nemours de La Rochefoucauld sehen und hat um so lieber deren amitié amoureuse damit beleuchten wollen, als die beiden Helden des Romans mitsamt dem unglücklichen Prinzen von Cleve frei erfunden in den streng geschichtlichen Rahmen des Romans hineinkomponiert sind. Sei dem wie ihm wolle, zuversichtlich wissen wir, daß nur eine edle, freimütige und wahrhafte Frau, die ein gutes Frauenschicksal hatte, dieses rührende, zarte Werk schreiben konnte, das seinen Platz in der Weltliteratur ewig frisch behaupten wird, denn in ihm wird der ernste Roman das erstemal zu einer Form der Kunst.
Weimar 1912.
Paul Hansmann.