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Zweiter Teil

Sie wissen um die Freundschaft, welche mich mit Sancerre verbindet; er verliebte sich also, es mögen wohl zwei Jahre her sein, in Madame de Tournon und verhehlte es mir mit ebensoviel Sorgfalt wie aller Welt; ich dachte gar nicht daran, ihm zu mißtrauen. Madame de Tournon schien noch untröstlich über ihres Mannes Tod zu sein und lebte in äußerster Zurückgezogenheit. Sancerres Schwester war das einzige Wesen, welches sie sah; und bei ihr verliebte er sich in sie.

Eines Abends war Schauspiel im Louvre, und man wartete noch auf den König und Madame de Valentinois, um zu beginnen, als verkündet ward, daß sie unwohl sei und daß der König nicht komme. Man mutmaßte wohl, hinter der Herzogin Unwohlsein verberge sich irgendein Zwist mit dem Könige: Wissen wir doch, wie eifersüchtig er auf den Marschall von Brissac war, als er am Hofe weilte; aber der war ja seit einigen Tagen auf dem Wege nach Piemont, und wir konnten ihn nicht für die Ursache dieses Zwistes halten. Als ich mit Sancerre sprach, trat Monsieur d'Anville in den Saal und sagte mir ganz leise, der König habe einen Kummer und eine Wut, daß er einem leid tun könne. Bei einer Versöhnung zwischen ihm und Madame de Valentinois vor einigen Tagen nach einem Streite, welcher den Marschall von Brissac als Ursache hatte, habe der König ihr einen Ring geschenkt und sie gebeten, ihn zu tragen. Während sie nun beim Anzuge beschäftigt war, um in das Schauspiel zu gehen, habe er bemerkt, daß sie diesen Ring nicht trüge, und sie um Aufklärung darüber gebeten; sie habe vorgegeben, erstaunt zu sein, ihn nicht zu tragen, und ihn ihren Frauen abgefordert, die unglücklicherweise, oder, weil sie schlecht unterrichtet waren, geantwortet hätten, ihn seit ungefähr vier oder fünf Tagen nicht gesehen zu haben.

»So lange Zeit ist gerade der Marschall von Brissac unterwegs«, fuhr Monsieur d'Anville fort, »der König war keinen Augenblick im Zweifel, daß sie ihn ihm geschenkt, als er ihr Lebewohl gesagt hatte. Dieser Gedanke entfachte all seine mühsam verhehlte Eifersucht zu solchem Brande, daß er sich gegen seine Gewohnheit hinreißen ließ und sie mit Vorwürfen überhäufte. Er kehrte dann tief bekümmert in seine Gemächer zurück, und ich weiß nicht, ob er es mehr deswegen ist, weil sie seinen Ring geopfert hat, oder weil er fürchtet, ihr mit seinem Zorne mißfallen zu haben!«

Sowie Monsieur d'Anville mit dieser Geschichte zu Ende war, näherte ich mich Sancerre, um sie ihn wissen zu lassen: Ich erzählte sie ihm aber als ein Geheimnis, welches man mir eben anvertraut hatte und das ich ihm weiterzuerzählen verbot.

Kommenden Morgen ging ich zu zeitiger Stunde zu meiner Schwägerin und fand Madame de Tournon am Kopfende ihres Bettes; sie liebte Madame de Valentinois nicht und wußte, daß meine Schwägerin keinen Grund hatte, sie zu loben. Sancerre war nach Beendigung des Schauspiels bei ihr gewesen und hatte ihr den Streit des Königs mit der Herzogin erzählt; Madame de Tournon war nun gekommen, um ihn meiner Schwägerin zu berichten, ohne zu wissen oder daran zu denken, daß ich der Quell war, aus dem ihr Geliebter geschöpft. Sowie ich auf meine Schwägerin zutrat, sagte sie zu Madame de Tournon, daß man mir das eben Erzählte anvertrauen könne; und ohne Madame de Tournons Erlebnis abzuwarten, berichtete sie mir Wort für Wort, was ich Sancerre am vorhergehenden Abend gesagt hatte. Sie können sich denken, wie erstaunt ich war. Ich sah Madame de Tournon an, sie schien verwirrt zu sein. Ihre Verwirrung erweckte meinen Argwohn; ich hatte den Vorfall nur Sancerre erzählt, der mich beim Fortgehen aus dem Schauspiel verlassen hatte, ohne mir einen Grund anzugeben; es fiel mir ein, daß er Madame de Tournon in meiner Gegenwart sehr herausgestrichen hatte. All das öffnete mir die Augen; ich entdeckte mühelos, daß er eine Liebschaft mit ihr unterhielt und daß er sie gesehen, als er mich verlassen.

Und war so aufgebracht, wie ich merkte, daß er mir dies Abenteuer verheimlichte, daß ich mancherlei äußerte, was Madame de Tournon die begangene Unklugheit bereuen lassen mußte. Leitete sie an ihren Wagen und versicherte ihr beim Weggehen, ich sei auf das Glück dessen neidisch, der ihr den Streit zwischen dem Könige und der Herzogin von Valentinois mitgeteilt habe.

Zur selbigen Stunde suchte ich Sancerre auf und machte ihm Vorwürfe. Erklärte ihm auch, daß ich um seine Neigung zu Madame de Tournon wüßte, ohne ihm zu sagen, wie ich sie enthüllt hatte. Er sah sich zu einem Geständnis mir gegenüber gezwungen. Ich erzählte ihm dann, wie ich sie in Erfahrung gebracht hatte, und er berichtete mir ganz ausführlich von ihrem Abenteuer. Und sagte mir ferner, daß sie, obwohl er der jüngste seines Hauses und kaum jemals auf eine gute Heirat Anspruch machen könnte, doch willens wäre, ihn zu heiraten. Man konnte nicht überraschter sein, als ich es war. Ich riet Sancerre noch, den Abschluß seiner Heirat zu beeilen, auch solle er vor einer Frau auf der Hut sein, welche die Gabe besäße, in den Augen der Welt eine Rolle spielen zu können, die mit der Wahrheit nicht im Einklang stände. Er sagte mir, daß sie wirklich sehr niedergebeugt gewesen wäre, doch habe ihre zu ihm gefaßte Neigung diese Trauer überwunden; aber sie könne nicht auf einmal eine solch große Veränderung eintreten lassen. Auch gab er mir noch mehrere andere Gründe zu ihrer Entschuldigung an, die mir bewiesen, wie verliebt er in sie war. Er versicherte mir auf das bestimmteste, sie würde dareinwilligen, daß ich um die Liebe wüßte, die er für sie empfand, zumal sie selber es ja war, die sie mich gelehrt hatte. Und brachte es wahrhaftig, wenn auch mit Mühe, soweit; und ich genoß in der Folgezeit ihr ganzes Vertrauen.

Niemals sah ich ein Weib, welches sich ihrem Liebhaber gegenüber rücksichtsvoller und ehrbarer benahm; trotzdem war ich stets empört über ihre Trauer nach außen hin. Sancerre war so verliebt und zufrieden mit der Weise, die sie gegen ihn anschlug, daß er sie fast nicht zur Hochzeit zu drängen wagte aus Furcht, sie könne glauben, er liebe sie mehr aus Eigennutz als wahrer Liebe. Er sprach oftmals mit ihr darüber, und sie schien entschlossen zu sein, ihn zu heiraten; begann sogar die Zurückgezogenheit, in der sie lebte, aufzugeben und sich wieder vor der Welt zu zeigen. Und sie kam zu meiner Schwägerin zu den Stunden, wo sich ein Teil des Hofes bei ihr einfindet. Sancerre kam sehr selten dorthin; die aber, welche alle Abende dort waren und sie oft sahen, fanden sie sehr liebenswürdig.

Wenige Zeit, nachdem sie ihre Einsamkeit aufzugeben begann, glaubte Sancerre, einige Kälte in der Liebe, die sie für ihn hegte, zu spüren. Er sprach mehrere Male mit mir darüber, ohne daß ich seine Klagen berechtigt fand; doch wie er mir schließlich sagte, daß sie die Hochzeit, statt sie zu beschleunigen, verschiebe, begann auch ich zu glauben, seine Unruhe sei nicht völlig grundlos. Und antwortete ihm, wenn sich Madame de Tournons Leidenschaft nach zweijähriger Dauer vermindere, dürfe er sich nicht darüber wundern; selbst wenn sie, ohne sich vermindert zu haben, nicht stark genug wäre, um sie zu bestimmen, ihn zu heiraten, so dürfe er sich nicht darüber beklagen; diese Heirat würde ihr in der Menschen Augen sehr viel schaden, nicht nur, weil er keine gute Partie für sie wäre, sondern um des Nachteils willen, welchen sie an ihren guten Ruf davontrüge; alles, was er wünschen könne, sei, daß sie ihn nicht hintergehe und ihm keine eitlen Hoffnungen mache. Ich sagte ihm noch, wenn sie nicht die Kraft hätte, ihn zu heiraten, oder wenn sie ihm gestände, einen anderen zu lieben, solle er sich nicht erzürnen noch sich beklagen, sondern müsse ihr Achtung und Dankbarkeit bewahren.

»Ich gebe Ihnen diesen Rat«, sprach ich zu ihm, »den ich selber befolgen würde: Denn Aufrichtigkeit rührt mich in solch hohem Maße, daß ich, glaube ich, wenn meine Geliebte oder selbst meine Frau mir anvertraute, daß sie einen anderen liebte, darüber betrübt sein würde, ohne bitter zu werden. Und würde die Rolle des Geliebten oder Gatten aufgeben, um ihr zu raten und sie zu trösten!« Solche Worte ließen Madame de Cleve erröten; sie fand eine gewisse Gleichheit mit ihrem Zustande, welches sie überraschte und eine Verwirrung in ihr erzeugte, von der sie sich lange nicht freimachen konnte.

»Sancerre sprach mit Madame de Tournon«, fuhr Monsieur de Cleve fort, »und sagte ihr alles, was ich ihm geraten hatte; sie aber versicherte ihn so ernsthaft des Gegenteils und schien so beleidigt über seinen Argwohn zu sein, daß er ihn sich gänzlich aus dem Sinne schlug. Sie setzte dann ihre Hochzeit auf eine Zeit nach einer Reise fest, die er geplant hatte und welche ziemlich lange währen mußte. Doch führte sie sich so wohl bis zu seiner Abreise auf und zeigte sich bei ihr so betrübt, daß ich ebenso gut wie er glaubte, sie habe ihn wirklich lieb. Er reiste vor ungefähr drei Monaten ab: Während seines Fernseins sah ich Madame de Tournon wenig; Sie nahmen mich völlig in Anspruch, und ich wußte nur, daß Sancerre bald zurückkommen mußte.

Bei meiner Ankunft in Paris, vorgestern, hörte ich, daß sie gestorben sei. Ich ließ sogleich bei ihm anfragen, ob man wohl Nachrichten von ihm habe; man teilte mir mit, er sei seit dem Vorabend zurück, welcher gerade Madame de Tournons Todestag war. Zur selbigen Stunde noch eilte ich zu ihm, doch sein Schmerz übertraf noch all meine Erwartungen.

Nimmer sah ich eine tiefere und aufrichtigere Betrübnis. Im Augenblick, wo er mich erblickte, umarmte er mich ganz in Tränen aufgelöst. »Ich werde sie nicht mehr sehen«, sprach er zu mir, »ich werde sie nicht mehr sehen, sie ist tot; ich war ihrer nicht wert; doch ich will ihr bald nachfolgen!«

Hierauf schwieg er; aber dann von Zeit zu Zeit wiederholte er immer: »Sie ist tot, ich werde sie nicht mehr sehen!« Und brach wieder in Klagen und Tränen aus und verharrte so wie ein Mensch, der bar jeder Vernunft ist. Und sagte mir, er habe während seiner Abwesenheit nicht allzu viele Briefe von ihr erhalten, doch sei er nicht verwundert darüber gewesen, da er sie kannte und wußte, welcher Unruhe sie ihre Briefe aussetzten. Er zweifelte nicht, daß sie ihn nach seiner Rückkunft geheiratet hätte, und sah in ihr das treueste und liebenswerteste Wesen, das jemals gelebt. Er glaubte sich innig geliebt und verlor sie in einem Augenblick, wo er sich für immer mit ihr zu vereinigen gedachte. All diese Gedanken versenkten ihn in einen grimmen Schmerz, der ihn gänzlich niederwarf. Ich muß gestehen, ich konnte nicht darum hin, tiefbewegt darüber zu sein. Dessenungeachtet sah ich mich gezwungen, ihn zu verlassen, um zum Könige zu gehen; ich hatte ihm versprochen, bald wiederzukommen. Und kam in der Tat zurück und war niemals überraschter, als ich ihn gänzlich anders wie beim Weggehen vorfand. Mit zornigem Gesichte stand er in seinem Zimmer und ging auf und ab, und blieb stehen, wie wenn er von Sinnen wäre. »Kommen Sie, kommen Sie«, rief er mir zu, »sehen Sie den verzweifeltsten aller Menschen auf dem Erdboden: Ich bin tausendmal unglücklicher, als ich es vorher war, denn was ich soeben über Madame de Tournon hörte, ist schlimmer als der Tod!«

Ich glaubte, der Schmerz habe ihn völlig verwirrt, und konnte mir nicht denken, daß es etwas Schlimmeres zu sagen gäbe, als daß eine Geliebte, die man lieb hat und die einen wieder liebt, gestorben sei. Und sagte ihm, sein Schmerz müsse Grenzen haben, ich hätte ihn gebilligt und an ihm teilgenommen; doch würde ich ihn nicht mehr bedauern, wenn er sich der Verzweiflung überließe und sich um die Vernunft brächte. »Ich wäre selig, hätte ich sie und das Leben verloren«, schrie er auf, »Madame de Tournon war mir untreu, und ich erfuhr ihre Untreue und ihren Verrat am gleichen Morgen, wo ich um ihren Tod hörte, zu einer Zeit, wo meine Seele von dem lebhaftesten Schmerze und der süßesten Liebe erfüllt ist, die man jemals gefühlt hat. In einem Augenblick, wo sie in meinem Herzen und vor meinem Auge als das vollkommenste Wesen dasteht, welches je war, erfuhr ich, daß ich getäuscht bin und daß sie meine Tränen nicht verdient. Indessen fühle ich denselben Kummer um ihren Tod, wie wenn sie mir Treue gehalten hätte, und fühle ihre Treulosigkeit, wie wenn sie nicht tot wäre. Hätte ich ihren Sinneswechsel vor ihrem Tode erfahren, würden mich Eifersucht, Zorn, Wut beseelt und mich irgendwie gegen den Schmerz um ihren Verlust verhärtet haben, nun aber schwebe ich in einem Zustande, in dem ich weder Trost finden noch sie hassen kann!« Sie können sich denken, wie mich Sancerres Worte überraschten; und ich fragte ihn, wie er es erfahren habe, was er mir eben gesagt. Da erzählte er mir denn, daß einen Augenblick, nachdem ich sein Zimmer verlassen hätte, Estouteville zu ihm gekommen wäre, der, obwohl er sein guter Freund war, doch nichts von seiner Liebe zu Madame de Tournon wußte. Sobald er Platz genommen, habe er zu weinen begonnen und ihm gesagt, er bitte um Verzeihung, wenn er ihm vorher verborgen hätte, was er ihm nun offenbaren wolle, und bitte ihn, Mitleid mit ihm zu haben; er wolle ihm sein Herz eröffnen; er sähe Madame de Tournons Tod zufolge den betrübtesten Mann der Welt in ihm.

»Dieser Name«, fuhr Sancerre fort, »überraschte mich solcherart, daß ich nicht die Kraft zu reden hatte, obwohl mein erster Antrieb war, ihm zuzuschreien, ich sei noch betrübter als er darüber. Er fuhr fort und sagte mir, daß er seit sechs Monaten in sie verliebt gewesen sei und es mir immer habe gestehen wollen, doch sie hätte es ihm nachdrücklich und mit solcher Bestimmtheit verboten, daß er es nicht gewagt habe, ihr ungehorsam zu sein. Er habe ihr beinahe zur gleichen Zeit, als er sich in sie verliebt, gefallen; sie hätten ihre Liebe vor jedermann geheimgehalten; niemals sei er öffentlich bei ihr gewesen, er habe das Vergnügen genossen, sie über ihres Gatten Tod zu trösten, und kurz, sie habe ihn zu der Zeit, wo sie gestorben sei, heiraten wollen. Diese Heirat aber, welche eine Folge der Neigung war, würde als eine Handlung der Pflicht und des Gehorsams dagestanden haben, denn sie hätte ihren Vater beredet, daß er ihr befehlen sollte, ihn zu heiraten, damit sich kein zu großer Wandel in ihrem Benehmen bemerkbar machte, aus dem hervorgegangen wäre, daß sie sich nicht wieder zu verheiraten beabsichtige.«

»Solange Estouteville mir erzählte«, fuhr Sancerre fort, »hatte ich seinen Worten Glauben beigemessen, weil ich sie für wahrscheinlich hielt, und die Zeit, wo er nach seinen Worten Madame de Tournon zu lieben begonnen hatte, genau die ist, wo mir ein Wechsel an ihr auffiel; doch einen Augenblick später hielt ich ihn für einen Lügner oder mindestens für einen Schwärmer. Ich war willens, ihm das zu sagen; ich wollte volle Gewißheit haben, ich fragte ihn; ließ auch einigen Zweifel durchblicken. Als ich endlich alles aufgeboten hatte, um mich meines Unglücks zu versichern, fragte er mich, ob ich Madame Tournons Schriftzüge kenne. Und legte mir vier ihrer Briefe und ihr Bild auf das Bett; in diesem Augenblick kam mein Bruder. Estoutevilles Antlitz war so von Tränen gerötet, daß er sich gezwungen sah fortzugehen, um sich so nicht blicken zu lassen. Er rief mir noch zu, er wolle abends wiederkommen, um das bei mir Zurückbleibende abzuholen; ich aber vertrieb meinen Bruder unter dem Vorwande, elend zu sein, voller Ungeduld, die Briefe anzusehen, welche man mir gelassen hatte. Und hoffte etwas in ihnen zu lesen, was mich nicht von allen soeben von Estouteville geäußerten Dingen überzeugte. Doch weh, was las ich da. Welche Zärtlichkeiten, welche Reden, welche Heiratsversprechen, welche Briefe! Niemals hatte sie mir ähnliche geschrieben. »Also«, fügte er hinzu, »erlitt ich auf einmal den Schmerz des Todes und den der Untreue; das sind zwei Übel, die man oft miteinander vergleicht, die aber nimmer zu gleicher Zeit von ein und demselben Menschen gefühlt werden. Ich gestehe zu meiner Schande ein, ich litt stärker unter ihrem Verluste als unter ihrer Sinnesänderung; ich konnte sie nicht schuldig finden, um ihrem Tode zuzustimmen. Wenn sie lebte, würde ich die Freude haben, ihr Vorwürfe zu machen und mich rächen zu können, indem ich sie ihrer Ungerechtigkeit ziehe. Doch ich werde sie nicht mehr sehen«, schloß er, »werde sie nicht mehr sehen, das ist aller Übel größtes. Selig wäre ich, könnte ich ihr mit meinem Leben ihres wiedergeben. Welch ein Wunsch! Käme sie zurück, würde sie für Estouteville leben. Gestern war ich glücklich«, schrie er auf, »wie glücklich war ich; ich war der betrübteste Mensch auf dem Erdboden, doch meine Trübsal hatte Vernunft und es war ein süßer Gedanke, mich niemals trösten zu können; heute sind alle meine Gefühle töricht. Ich zahle einer Leidenschaft, die sie mir heuchelte, denselben Zins des Schmerzes, welchen ich einer wahren Liebe schuldig zu sein glaubte. Und kann mich weder rächen noch ihre Erinnerungen lieben; kann mich nicht trösten, nicht betrüben. Sorgen Sie wenigstens dafür«, rief er mir zu, indem er sich plötzlich nach mir umwandte, »ich beschwöre Sie, daß ich Estouteville nimmer wiedersehe; allein sein Name bereitet mir Abscheu. Ich weiß wohl, ich habe keinen Grund, mich über ihn zu beklagen, es ist meine Schuld, ihm verborgen zu haben, daß ich Madame de Tournon liebte; hätte er es gewußt, würde er sich vielleicht nicht in sie verliebt haben und sie mir nicht untreu geworden sein. Er kam zu mir, um mir seinen Gram anzuvertrauen, er tut mir leid. Ach, mit Recht«, rief er aus, »er liebte Madame de Tournon, er wurde von ihr wiedergeliebt; ich fühle trotz alledem, ich könnte nicht darumhin, ihn zu hassen. Und noch einmal, ich flehe Sie an, richten Sie es ein, daß ich ihn nicht sehe!«

Sancerre hob dann von neuem an zu weinen und Madame de Tournon zu beklagen, zu ihr zu sprechen und ihr die zärtlichsten Dinge der Welt zu sagen. Dann fiel er wieder in seinen Haß zurück, in Klagen, Vorwürfe und Verwünschungen gegen sie. Als ich ihn in solch aufgeregtem Zustande sah, erkannte ich nur zu gut, daß ich einiger Hilfe bedurfte, um sein Gemüt zu beruhigen; und ließ seinen Bruder rufen, den ich soeben beim Könige zurückgelassen hatte. Ging ihm bis ins Vorzimmer entgegen, um ihm, ehe er eintrat, den Zustand zu schildern, in welchem Sancerre sich befand. Wir gaben Auftrag, Estouteville abzuweisen, und wendeten einen Teil der Nacht an, um seine Vernunft wieder in geregelte Bahnen zurückzulenken. Heute morgen fand ich ihn noch trostloser; sein Bruder ist bei ihm geblieben, und ich kehrte zu Ihnen zurück!«

»Meine Überraschung kennt keine Grenzen«, hob Madame de Cleve an, »ich hielt Madame de Tournon der Liebe und des Betrugs für unfähig!« – »List und Heuchelei«, fuhr Monsieur de Cleve fort, »können nicht weitergehen wie bei ihr. Bedenken Sie, als Sancerre glaubte, daß sie sich gegen ihn geändert habe, hatte sie es wirklich getan und Estouteville zu lieben begonnen. Sie sagte letzterem, er tröste sie über den Tod ihres Gatten und sei die Ursache, daß sie die äußerste Zurückgezogenheit aufgäbe, und Sancerre schien sie es zu tun, weil wir der Ansicht waren, sie dürfe nicht ihre Trübsal länger äußern. Sie machte Estouteville gegenüber geltend, ihre Absicht verbergen zu wollen und zur Hochzeit durch den Willen ihres Vaters gezwungen zu werden, wie wenn sie Sorge um ihre Ehre trüge; und tat es einzig, um Sancerre verlassen zu können, ohne daß er Ursache, sich zu beklagen hätte. Ich muß nach Paris zurückkehren«, fuhr Monsieur de Cleve fort, »um den Unglücklichen zu besuchen, und ich glaube, auch Sie müssen wieder dorthin zurückkehren. Es tut not, daß Sie wieder Menschen sehen und die Unzahl von Besuchen aufnehmen, von denen Sie sich nicht gut freimachen können!«

Madame de Cleve willigte in die Rückkehr ein und kam folgenden Tags wieder in Paris an. Sie war beruhigter über Monsieur de Nemours, als sie es vorher gewesen; alles, was ihr Madame de Chartres vor ihrem Ableben gesagt, hatte ihre Gefühle zurückgehalten, so daß sie den Glauben hegte, sie seien gänzlich erstickt.

*

Selbigen Abends noch, als sie angekommen war, suchte Madame la Dauphine sie auf; und nachdem diese ihr den Anteil, den sie an ihrem Verlust genommen, bezeugt hatte, sagte sie zu ihr, um sie von diesem traurigen Gedanken abzulenken, wolle sie sie von allem unterrichten, was sich während ihrer Abwesenheit am Hofe ereignet habe, und begann ihr darauf mehreres ganz im einzelnen zu erzählen. »Doch, was ich Ihnen zu erzählen besonders große Lust habe, ist, daß Monsieur de Nemours wahrlich leidenschaftlich verliebt ist; und nicht einmal seinen besten Freunden hat er sich anvertraut, und sie können nicht erraten, wen er liebt. Indessen ist diese Liebe stark genug, ihn gleichgültig gegen alles zu machen, oder besser gesagt, ihn die Hoffnung auf eine Krone aufgeben zu lassen!«

Madame la Dauphine erzählte darauf, was sich in England abgespielt hatte. »Ich habe, was ich Ihnen eben sagte«, fuhr sie fort, »von Monsieur d'Anville erfahren; er hat mir heute morgen erzählt, daß der König Monsieur de Nemours gestern abend auf Lignerolles Briefe hin habe rufen lassen; dieser bäte nämlich, man möge seine Rückkehr befehlen, da er Monsieur de Nemours' Verzögern bei der Königin von England nicht mehr verantworten könne, welche sich darüber beleidigt zu fühlen begönne; wenn sie auch keine bestimmte Zusage gegeben habe, so seien von ihrer Seite doch genug Zugeständnisse gemacht worden, um eine Reise wagen zu dürfen. Der König las Monsieur de Nemours diesen Brief vor, der aber, statt, wie er anfangs getan hatte, ernsthaft darüber zu reden, lachte und scherzte und machte sich nur über Lignerolles Hoffnungen lustig. ›Ganz Europa‹, sagte er, ›würde seine Torheit verurteilen, wenn er es wagte, als vermeintlicher Gatte der Königin nach England zu gehen, ohne des Erfolges versichert zu sein. Es scheint mir auch‹, fuhr er fort, ›daß ich meine Zeit schlecht anwende, wenn ich jetzt die Reise unternehme, wo der König von Spanien solch große Anstrengungen macht, die Königin zu heiraten. Er würde vielleicht kein gefährlicher Nebenbuhler bei einem Liebeshandel sein, doch ich glaube nicht, und Eure Majestät werden mir sicherlich nicht dazu raten, daß ich mich bei einer Heirat mit ihm messen darf!‹ – ›Ich würde Ihnen nicht dazu raten‹, entgegnete der König, ›aber Sie haben sich nicht mit ihm zu streiten, weiß ich doch, daß etwas anderes angeknüpft ist; und wäre dies auch nicht der Fall, so hatte sich die Königin Maria doch zu schlecht unter das spanische Joch gefügt, als daß man glauben könnte, ihre Schwester freie ihren Witwer und lasse sich durch den Glanz verblenden, so große Kronen miteinander verknüpft zu sehen!‹ – ›Wenn sie sich nicht dadurch blenden läßt‹, sagte Monsieur de Nemours dawider, ›so ist es augenscheinlich, daß sie sich durch Liebe glücklich wissen will. Sie hat den Mylord Courtenay geliebt, es mögen wohl einige Jahre darüber vergangen sein. Er wurde auch von der Königin Maria geliebt, die ihn in Übereinstimmung mit ganz England geheiratet hätte, hätte sie ihn dazu zu bewegen vermocht; aber die Jugend und die Schönheit ihrer Schwester Elisabeth rührten ihn mehr als die Hoffnung auf Herrschaft. Eure Majestät wissen, daß Maria die heftige Eifersucht, welche daraus erwuchs, bestimmte, beide gefangensetzen zu lassen, den Mylord von Courtenay später zu verbannen und schließlich den spanischen König zu heiraten. Ich glaube, daß Elisabeth, die nunmehr auf dem Throne sitzt, sehr bald den Mylord zurückrufen und einen Mann, welcher so liebenswert ist und soviel um ihretwillen erduldet hat, eher als einen anderen wählen wird, den sie niemals sah!‹ – ›Ich müßte auch Ihrer Meinung sein‹, entgegnete der König, ›wenn Courtenay noch lebte, doch weiß ich seit einigen Tagen, daß er in Padua, wohin er verwiesen ward, gestorben ist. Ich sehe wohl‹, endigte er, indem er sich von Monsieur de Nemours abwandte, ›man wird ihre Hochzeit so ins Werk setzen müssen, wie man die Monsieur le Dauphins schließen würde und die Königin von England durch Gesandte heiraten lassen!‹«

Monsieur d'Anville und der Vizedom von Chartres, die zusammen mit Monsieur de Nemours beim Könige waren, sind überzeugt, daß ihn die Liebe, welche ihn ausfüllt, von einem so großen Vorhaben abhielt. Der Vizedom, der ihn besser als irgendwer kennt, hat zu Madame de Martigny gesagt, der Prinz sei derartig verändert, daß man ihn nicht wiedererkenne. Und was ihn am meisten verwundere, sei, ihn weder in irgendeinen Handel verwickelt, noch zu irgendwelcher geheimen Stunde sein Haus verlassen zu sehen, und daraus schließt er, daß er nicht im Einverständnis mit der geliebten Dame stünde, und daß Monsieur de Nemours deswegen nicht zugeben will, in ein Weib verliebt zu sein, das seine Liebe nicht erwidere.

Welch ein Gift für Madame de Cleve war dieses Gespräch mit Madame la Dauphine! Mußte sie sich nicht als das Wesen wiedererkennen, dessen Namen man nicht wußte? Mußte sie nicht von Dankbarkeit und Zärtlichkeit erfüllt sein, da sie auf einem Wege, der ihr nicht verdächtig sein konnte, hörte, daß der Prinz, welcher bereits ihr Herz rührte, seine Neigung aller Welt verbarg und aus Liebe zu ihr die Aussichten auf eine Krone hintansetzte! Man kann sich nicht vorstellen, was sie fühlte und welch ein Sturm sich in ihrer Seele erhob. Hätte Madame la Dauphine sie mit Aufmerksamkeit betrachtet, würde sie leicht bemerkt haben, daß ihr die eben erzählten Dinge nicht gleichgültig waren; doch da sie die Wahrheit nicht vermutete, fuhr sie arglos in ihrer Rede fort. »Monsieur d'Anville«, erzählte sie weiter, »der, wie ich Ihnen sagte, mir all diese Einzelheiten mitteilte, glaubt mich besser unterrichtet als ich selbst, und hat eine so hohe Meinung von meinen Reizen, daß er überzeugt ist, ich sei die einzige Dame, die solch große Umwandlungen in Monsieur de Nemours hervorbringen könnte!«

Die letzten Worte von Madame la Dauphine verursachten Madame de Cleve eine andere Art Verwirrung wie die, welche sie einige Augenblicke vorher gehabt hatte. »Ich würde leichthin Monsieur d'Anvilles Meinung sein«, antwortete sie; »es spricht sehr viel dafür, Madame, daß es sich um keine geringere Fürstin als Sie handeln kann, wenn man die Königin von England ausschlägt!« – »Ich würde es Ihnen anvertrauen, wenn ich es wüßte«, antwortete Madame la Dauphine, »und ich wüßte es, wenn es wahr wäre. Derartige Leidenschaften entgehen den Blicken derer, die sie hervorrufen, nicht: Sie bemerken sie zuerst. Monsieur de Nemours hat mir immer nur oberflächliche Liebenswürdigkeiten bezeigt; trotz alledem ist sein Benehmen mir gegenüber heute ein so ganz anderes wie in früheren Zeiten, daß ich Ihnen nur entgegnen kann, ich verursache seine Gleichgültigkeit gegen Englands Krone nicht!«

»Ich verplaudere mich mit Ihnen«, schloß Madame la Dauphine, »denn ich erinnere mich, daß ich zu Madame Elisabeth gehen muß. Sie wissen, daß der Friede beinahe geschlossen ist; was sie aber nicht ahnen, ist, daß der König von Spanien jeden Artikel nur unter der Bedingung gelten lassen will, daß er die Prinzessin anstelle seines Sohnes, des Infanten Don Carlos, zur Ehe bekommt. Nur mit Mühe hat sich der König entschließen können, dem zuzustimmen; endlich hat er eingewilligt und ist soeben zu Madame gegangen, um ihr die Neuigkeit zu melden. Sie wird, glaube ich, untröstlich sein; es ist wahrlich nicht angenehm, einen alten Mann und noch dazu von der Laune des Spanierkönigs, heiraten zu müssen, insonderheit für sie, die alle Munterkeit besitzt, welche die erste Jugend, die sich mit Schönheit paart, hervorzaubert; auch rechnete sie darauf, einen jungen Prinzen zu heiraten, für den sie, ohne ihn gesehen zu haben, eine Neigung faßte. Ich weiß nicht, ob der König sie so gehorsam finden wird, wie er es wünscht; er hat mir aufgetragen, sie zu besuchen, da er weiß, daß sie mich liebt, und glaubt, ich hätte einen Einfluß auf ihr Gemüt. Danach werde ich einen anderen, diesem sehr unähnlichen Besuch machen; ich will mich mit Madame, des Königs Schwester, freuen. Alle Abmachungen für ihre Heirat mit dem Gebieter von Savoyen sind getroffen, sie wird in kurzer Zeit hier stattfinden. Niemals ist eine Frau in den Jahren dieser Fürstin so herzlich froh, sich zu verheiraten, gewesen. Schöner und stattlicher wird der Hof sein, als man ihn jemals gesehen, und trotz ihrer Trauer müssen Sie kommen, um uns den Fremden zeigen zu helfen, daß wir keine mittelmäßigen Schönheiten aufzuweisen haben!« Nach solchen Worten verließ Madame la Dauphine Madame de Cleve, und kommenden Morgens ward Madame Elisabeths Heirat allgemein bekanntgegeben.

Am anderen Tage suchten der König und die Königinnen Madame de Cleve auf. Monsieur de Nemours, welcher ihre Rückkehr mit lebhafter Ungeduld erwartet hatte und der ohne Zeugen mit ihr zu reden wünschte, wartete, um zu ihr zu gehen, die Stunde ab, wo sie alle Welt verlassen und der Voraussicht nach niemand mehr kommen würde. Sein Vorhaben glückte, er kam an, als die letzten Besucher sie verließen.

Die Prinzessin lag zu Bett, es war warm, und Monsieur de Nemours' Anblick sorgte dafür, ihr eine Röte zu geben, welche ihre Schönheit nicht verringerte. Er setzte sich mit jener Furcht und Zaghaftigkeit, welche echte Leidenschaften einflößen, ihr gegenüber nieder. Und verharrte so einige Zeit, ohne sprechen zu können. Madame de Cleve war nicht weniger betreten, so daß sie eine ziemlich geraume Zeit schweigend zubrachten.

Endlich begann Monsieur de Nemours zu sprechen und sagte ihr teilnehmende Worte über ihren Schmerz; Madame de Cleve war froh, eine Unterhaltung über diesen Gegenstand angeknüpft zu sehen, und sprach ziemlich lange von dem Verlust, den sie erlitten hatte; und schließlich sagte sie, wenn sich die Größe ihres Schmerzes auch mit der Zeit verringern möchte, bliebe doch immer ein so tiefer Eindruck in ihr nach, daß sich ihr Gemüt dadurch ändern würde. »Großer Kummer und wilde Leidenschaften«, entgegnete Monsieur de Nemours, »verursachen große Gemütswechsel; ich für meine Person kenne mich seit meiner Rückkehr aus Flandern nicht wieder. Viele Leute haben um diese Veränderung gemerkt, und sogar Madame la Dauphine sprach noch gestern mit mir darüber!« »Sie hat sie wahrlich bemerkt«, entgegnete Madame de Cleve, »und ich habe sie, glaube ich, irgendwie darüber reden hören!« – »Ich bin nicht ärgerlich, Madame«, erwiderte Monsieur de Nemours, »daß sie sie wahrgenommen hat; aber ich wünschte, sie wäre nicht die einzige, die sie bemerkte. Es gibt Damen, denen man keine anderen Beweise der Liebe, die man für sie hegt, zu geben wagt, als durch Dinge, die sie gar nicht beachten; und da man nicht wagt, ihnen erkennen zu geben, daß man sie liebt, so wünscht man wenigstens, daß sie sehen, wie man von niemand anderem geliebt sein will. Man wünscht, daß sie wissen, daß es keine Schönheit, welchen Ranges sie auch immer sein möchte, gibt, die man nicht gleichgültig betrachtet; daß es keine Krone gibt, die man um den Preis, sie niemals zu sehen, kaufen möchte. Gewöhnlich beurteilen die Frauen«, fuhr er fort, »die Leidenschaft, die man für sie hegt, nach dem Eifer, den man bezeigt, ihnen zu gefallen und sie aufzusuchen; das ist aber nicht schwer, sofern sie nur irgendwie liebenswert sind; schwierig ist, sich das Vergnügen, ihnen zu folgen, entsagen zu müssen, sie zu meiden, weil man fürchtet, der Öffentlichkeit und gar ihnen selbst die Gefühle, die man für sie hegt, sichtbar werden zu lassen; und noch besser offenbart sich eine wahrhafte Liebe, wenn man ein ganz anderer Mensch als in früherer Zeit wird, und keinen Ehrgeiz, kein Vergnügen mehr kennt, nachdem man sich sein ganzes Leben lang mit dem einen und dem anderen abgegeben hat!«

Madame de Cleve begriff unschwer, welchen Anteil sie an diesen Worten hatte. Es schien ihr, als ob sie sie beantworten und sie nicht zugeben müsse. Auch schien es ihr, als ob sie sie weder verstehen noch zu erkennen geben dürfe, daß sie sie auf sich bezöge. Sie glaubte sprechen zu müssen und glaubte auch nicht sprechen zu müssen. Monsieur de Nemours' Rede gefiel ihr und verletzte sie fast gleichzeitig: Sie sah in ihr die Bekräftigung dessen, was er Madame la Dauphine hatte vermuten lassen; und sie gewahrte nur zu deutlich einige Zeichen von Liebe und Achtung, aber auch von Galanterie und Keckheit in ihnen. Ihre Zuneigung zu dem Prinzen verursachte ihr eine Verwirrung, der sie nicht mehr gebieten konnte. Die undeutlichsten Worte eines Mannes, der gefällt, erregen größere Unruhe als die offenen Erklärungen eines ungeliebten Mannes. Sie verharrte daher ohne Antwort, und Monsieur de Nemours würde vielleicht ihr Stillschweigen als kein ungünstiges Vorzeichen betrachtet haben, wenn nicht Monsieur de Cleves Ankunft seine Unterredung und seinen Besuch beendigt hätte.

Der Prinz wollte seiner Frau Neuigkeiten von Sancerre mitteilen, aber sie bezeigte sich wenig neugierig auf die Fortsetzung dieses Abenteuers. Sie war so von dem ihr eben Begegneten in Anspruch genommen, daß sie kaum die Zerstreutheit ihrer Gedanken verbergen konnte. Als sie ungestört darüber nachsann, sah sie nur allzu klar, daß sie sich getäuscht hatte, als sie glaubte, Monsieur de Nemours sei ihr nun gleichgültig geworden. Was er ihr gesagt hatte, machte völlig den Eindruck auf sie, den er nur wünschen konnte, und hatte sie gänzlich von seiner Neigung überzeugt. Die Handlungen des Prinzen stimmten nur zu genau mit seinen Reden überein, als daß sie der Prinzessin irgendeinen Zweifel ließen. Sie schmeichelte sich nicht mehr mit der Hoffnung, ihn nicht zu lieben, sie sann einzig darauf, ihm niemals einen Beweis davon zu geben. Dies war ein schwieriges Unternehmen, dessen Mühen sie bereits kannte; sie wußte, die einzige Möglichkeit, erfolgreich darin zu sein, war, die Gegenwart des Prinzen zu meiden; und da ihr die Trauer Grund bot, zurückgezogener als gewöhnlich zu leben, bediente sie sich dieses Vorwandes, um nicht mehr an Orte zu gehen, wo sie ihn treffen konnte. Sie lebte in einer tiefen Betrübnis; der Tod ihrer Mutter schien sie zu verursachen, und man suchte nach keinen anderen Gründen.

Monsieur de Nemours war verzweifelt, sie fast niemals zu sehen; und da er wußte, daß er sie in keiner Gesellschaft und bei keinem der Vergnügungen, an denen der Hof teilnahm, finden würde, konnte er sich nicht entschließen, sich dort sehen zu lassen. Und heuchelte eine große Vorliebe für die Jagd und ging dieser Lustbarkeit an den nämlichen Tagen nach, wo Gesellschaften bei den Königinnen stattfanden. Eine leichte Erkrankung diente ihm einige Zeit zum Vorwande, zu Hause zu bleiben und zu vermeiden, immer dorthingehn zu müssen, wo er Madame de Cleve seinem Wissen nach nicht treffen konnte.

Monsieur de Cleve erkrankte beinahe zur gleichen Zeit. Während seiner Krankheit verließ Madame de Cleve sein Gemach nicht; als er sich aber wieder wohler fühlte, sah er alle Welt bei sich, und unter anderem auch Monsieur de Nemours, der unter dem Vorgeben, noch schwach zu sein, den größten Teil des Tages bei ihm zubrachte. Madame fühlte, daß sie nicht mehr dort bleiben dürfte, dennoch hatte sie bei den ersten Malen, die er dorthin kam, nicht die Kraft, sich zu entfernen. Es war zu lange her, daß sie ihn gesehen hatte, um sich entschließen zu können, ihn nicht sehn zu wollen. Der Fürst fand Mittel und Wege, ihr in scheinbar ganz allgemeinen Gesprächen, die sie nichtsdestoweniger verstand, weil sie sich auf die früher gesagten Dinge bezogen, einzugestehen, daß er zur Jagd ginge, um zu träumen, daß er an keinen Vergnügungen teilnähme, weil sie dort nicht zu treffen wäre.

Endlich führte sie ihren Entschluß aus, von ihrem Manne fortzugehen, wenn er dort war, doch mußte sie jedesmal ihre ganze Kraft dazu aufbieten. Der Fürst merkte, daß sie ihn floh, und wurde darüber merklich gerührt.

Anfangs gab Monsieur de Cleve nicht acht auf das Benehmen seiner Frau, doch schließlich merkte er, daß sie sich nicht in seinem Zimmer aufhalten wollte, wenn er Besuch hatte. Er sprach mit ihr darüber, und sie antwortete, ihrer Meinung nach entspräche es nicht der Wohlanständigkeit, daß sie alle Abende mit der ganzen Jugend des Hofes zusammen wäre, und sie bäte ihn ganz inständig, es gutzuheißen, daß sie ein zurückgezogeneres Leben, als sie es gewöhnt sei, führte; die Tugend und Gegenwart ihrer Mutter hätten ihr vieles erlaubt, was sich für eine Frau ihres Alters nicht schicke.

Monsieur de Cleve, welcher natürlich mit sehr viel Liebe und Mitgefühl an seiner Frau hing, hatte diesen Umstand nicht bedacht und sagte ihr, er wünsche durchaus keine Änderung ihres Benehmens. Sie war willens, ihm zu sagen, daß das Gerücht ginge, Monsieur de Nemours sei in sie verliebt, aber sie hatte nicht die Kraft, seinen Namen zu nennen. Auch schämte sie sich, eine Ausflucht zu benutzen und die Wahrheit vor einem Manne zu verbergen, der eine so hohe Meinung von ihr hatte.

Einige Tage später war der König zur Stunde des Empfangs bei der Königin; man sprach von Horoskopen und Vorhersagungen: Die Meinungen über die Glaubwürdigkeit, die man ihnen beimessen müßte, waren geteilt. Die Königin glaubte fest an sie; sie behauptete, nach so vielen Dingen, die man vorausgesagt habe, müßte diese Wissenschaft einigermaßen zuverlässig sein. Andere behaupteten, daß bei der zahllosen Menge von Voraussagungen wahrlich die wenigen, welche einträfen, bewiesen, daß sie nichts weiter als Zufallsergebnisse seien.

»Ich war ehedem sehr neugierig auf die Zukunft«, sagte der König; »aber man hat mir so viele falsche und unwahrscheinliche Dinge gesagt, daß ich überzeugt bin, man kann durch sie nichts Wahres wissen. Vor einigen Jahren kam ein Mann von hohem Ansehen in der Astrologie hierher. Jedermann suchte ihn auf; ich ging wie die anderen hin, ohne ihm jedoch zu sagen, wer ich war, ich hatte Monsieur de Guise und Descars bei mir und ließ sie vorangehen. Dennoch wandte sich der Astrolog zuerst an mich, wie wenn er mich für der anderen Herrn hielt; kann sein, er kannte mich; indessen sagte er mir etwas, das sich nicht für mich geziemte, wenn er mich gekannt hätte. Er sagte mir vorher, daß ich im Zweikampf fallen würde. Dann weissagte er Monsieur de Guise, er würde meuchlings getötet werden, und Descars, daß ihm der Kopf durch einen Pferdehuf zerschmettert werden würde. Monsieur de Guise nahm diese Weissagung beinahe übel, wie wenn man ihn aufgefordert hätte, er solle auf seiner Hut sein. Descars war es nicht weniger zufrieden, sein Ende durch einen so unglücklichen Zufall finden zu sollen. Endlich gingen wir sehr erbost auf die Astrologie fort. Ich weiß nicht, was Monsieur de Guise und Descars zustoßen wird, aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß ich im Zweikampf fallen werde. Wir, der König von Spanien und ich, schließen gerade Frieden, und wenn wir ihn nicht geschlossen hätten, bin ich doch im Zweifel, ob wir uns messen würden und ob ich ihn herausfordern würde, wie der König, mein Vater, Karl V. herausfordern ließ.«

Nachdem der König das Unglück, welches ihm der Weissagung nach zustoßen sollte, berichtet hatte, gaben die Verteidiger der Astrologie ihre Stellungnahme auf und räumten ein, man dürfe ihr keinen Glauben schenken. »Ich für mein Teil«, sagte Monsieur de Nemours ganz laut, »habe am wenigsten von ihr zu halten«; und sich zu Madame de Cleve beugend, neben der er stand, fuhr er ganz leise fort: »Mir hat man vorher gesagt, daß ich durch die Guttaten des Wesens glücklich sein würde, für das ich die glühendste und ehrerbietigste Liebe auf der Welt fühle. Sie können daraus ersehen, Madame, ob ich Weissagungen trauen darf!«

Da Monsieur de Nemours ganz laut gesprochen hatte, glaubte Madame la Dauphine, seine leisen Worte bezögen sich auf eine falsche Weissagung, die ihm gemacht worden sei, und fragte den Prinzen, was er zu Madame de Cleve gesagt habe. Hätte er weniger Geistesgegenwart besessen, würde ihn diese Frage überrumpelt haben, doch ohne zu zaudern das Wort ergreifend, erwiderte er: »Ich erzählte ihr, Madame, man habe mir vorausgesagt, ich würde zu einer so hohen Stellung befördert werden, daß ich sie nicht einmal zu begehren wagte!« – »Wenn man Ihnen solche Weissagungen gemacht hat«, erwiderte Madame la Dauphine mit einem Lächeln dawider, indem sie des englischen Geschehnisses gedachte, »gebe ich Ihnen den Rat, die Astrologie nicht in Verruf zu bringen, Sie könnten in die Lage kommen, sie verteidigen zu müssen!« Madame de Cleve verstand genau, was Madame la Dauphine sagen wollte, doch verstand sie auch, daß jenes, von Monsieur de Nemours erwähnte Glück nicht das war, König von England zu werden.

Da eine hinreichende Frist seit dem Tode ihrer Mutter verstrichen war, mußte sie wieder beginnen, sich vor der Welt zu zeigen und ihre Aufwartung zu machen, wie sie es gewohnt war. Sie sah Monsieur de Nemours bei Madame la Dauphine, sie sah ihn bei Monsieur de Cleve, zu dem er oft, um sich nicht bemerkbar zu machen, mit anderen Standespersonen seines Alters kam, doch sah sie ihn nur noch mit Verwirrung, welche er mit Freude bemerkte.

Mit welcher Sorgfalt sie auch seinen Blicken auswich und mit ihm weniger als mit anderen sprach, es entschlüpfte ihr in der ersten Aufwallung doch mancherlei, was den Fürsten darauf schließen lassen mußte, daß er ihr nicht gleichgültig war. Ein weniger scharfsinniger Mann als er würde es vielleicht gar nicht gemerkt haben, doch er war so viele Male geliebt worden, daß er unschwer erkannte, wenn man ihn liebte. Er sah gut, daß Monsieur de Guise sein Nebenbuhler war, und dieser Fürst merkte, daß Monsieur de Nemours der seinige war. Er war der einzige Mann am Hofe, der diese Wahrheit entwirrte; sein Eigennutz hatte ihn hellsehender als die anderen gemacht. Die Kenntnisse, die sie von ihren Gefühlen hatten, erbitterte sie, was sich in allen Dingen kundtat, ohne daß es jedoch zu einem offenen Wort kam; aber sie waren Gegner. Stets standen sie beim Ringelreiten, bei den Kämpfen in den Schranken und bei allen Vergnügungen, an denen sich der König beteiligte, auf verschiedenen Seiten, und ihr Wetteifer war so groß, daß er sich nicht verbergen ließ.

*

Die englische Angelegenheit tauchte oft in Madame de Cleves Gedanken auf: Es schien ihr, als ob sich Monsieur de Nemours des Königs Ratschlägen und Lignerolles Bitten nicht widersetzte. Sie sah mit Kummer, daß letzterer noch nicht zurückgekehrt war, und erwartete ihn voll Ungeduld. Wenn sie ihren Regungen nachgegeben hätte, würde sie sich sorgfältig nach dem Stande dieser Angelegenheiten erkundigt haben; aber dasselbe Gefühl, welches ihre Neugierde hervorrief, verpflichtete sie, sie zu verbergen; und sie erkundigte sich nur nach der Schönheit, dem Verstande und der Gemütsart der Königin Elisabeth. Man brachte beim Könige eines ihrer Bilder herbei, welches sie schöner fand, als sie es sich eingestehen mochte, und sie konnte die Äußerung nicht unterdrücken, daß sie es geschmeichelt fände. »Ich glaube es nicht«, sagte Madame la Dauphine, welche zugegen war, »die Fürstin soll bekanntermaßen schön sein und einen außergewöhnlich scharfen Verstand haben, und ich weiß genau, daß man sie mir all meine Lebtage als Beispiel anführte. Sie dürfte liebenswert sein, wenn sie Anna von Boulen, ihrer Mutter, gleicht. Niemals hat eine Frau mehr Anmut und mehr Vorzüge körperlicher und geistiger Art als sie besessen. Ich habe sagen hören, daß ihre Gesichtszüge lebhaft und eigenartig waren und daß sie keine Ähnlichkeit mit anderen englischen hatte!« – »Mich dünkt es, als habe man mir erzählt«, fiel Madame de Cleve ein, »sie sei in Frankreich geboren!« – »Wer es glaubt, irrt sich«, erwiderte Madame la Dauphine, »und ich will Ihnen ihre Geschichte in kurzen Worten berichten:

Sie entstammt einer vornehmen Familie Englands. Heinrich VIII. war in ihre Schwester und in ihre Mutter verliebt gewesen, ja, man hat gar vermutet, sie wäre seine Tochter. Mit Heinrichs VIII. Schwester, welche König Ludwig XII. heiratete, kam sie hierher. Diese Fürstin war jung und liebenswürdig und hat den französischen Hof nach ihres Gatten Tode nur schweren Herzens verlassen; Anna von Boulen aber, die ihrer Fürstin Vorliebe teilte, konnte sich nicht entschließen, mit ihr zu gehen. Der verstorbene König war in sie verliebt, und sie blieb als Ehrendame der Königin Claude hier. Die Königin starb, und Madame Margarete, des Königs Schwester, Herzogin von Alençon, jetzige Königin von Navarra, deren Geschichte Sie kennen, nahm sie zu sich; sie aber trat bei dieser Fürstin zu der neuen Religion über. Später kehrte sie dann nach England zurück und entzückte jedermann; sie hatte Frankreichs Sitten angenommen, die allen Völkern gefallen; sie sang gut, tanzte bewundernswert und ward Hoffräulein bei der Königin Katharine von Aragonien, und König Heinrich VIII. verliebte sich unsterblich in sie.

Der Kardinal von Wolsey, sein Günstling und erster Minister, hatte das Pontifikat angestrebt; und da ihn der Kaiser wenig zufriedengestellt hatte, der ihn bei diesem Vorhaben nicht unterstützte, so beschloß er, sich dafür zu rächen, indem er den König, seinen Herrn, mit Frankreich verbündete. Er redete Heinrich VIII. ein, die Heirat mit seiner Tante sei null und nichtig, und schlug ihm vor, die Herzogin von Alençon, deren Gatte gerade gestorben war, zu heiraten. Die ehrgeizige Anna von Boulen sah diese Ehescheidung als einen Weg an, der sie auf den Thron bringen konnte. Sie begann dem König Bücher von der lutherischen Religion zu geben und verpflichtete unseren verstorbenen König, Heinrichs Ehescheidung in Rom zu betreiben, indem sie seine Heirat mit Madame d'Alençon in Aussicht stellte. Den Kardinal von Wolsey ließ sie unter anderen Vorwänden nach Frankreich senden, damit er in diesen Angelegenheiten verhandelte. Sein Gebieter konnte sich aber nicht dazu verstehen, daß er auch nur einen derartigen Vorschlag machte, und sandte ihm einen Befehl nach Calais, überhaupt nicht von dieser Heirat zu sprechen.

Bei seiner Rückkehr aus Frankreich ward Kardinal Wolsey mit ähnlichen Ehren, wie man sie für den König selber veranstaltet, empfangen; niemals erhoben Hoffart und Eitelkeit einen Günstling zu einem höheren Rang. Er brachte eine Begegnung zwischen beiden Herrschern zustande, die in Boulogne vor sich ging. Franz I. reichte Heinrich VIII. die Hand; der aber wollte sie nicht annehmen. Sie bewirteten sich gegenseitig mit außergewöhnlichem Prunk und schenkten sich Gewänder, die denen, welche sie für sich selbst hatten machen lassen, glichen. Wie ich mich erinnere, hörte ich erzählen, daß die, welche der verstorbene König dem Engländer schickte, aus karmoisinrotem Seidentuch angefertigt, dreieckig verbrämt und mit Perlen und Diamanten bestickt waren; und das Oberkleid bestand aus weißem, golddurchwirktem Sammt. Nachdem sie mehrere Tage in Boulogne verweilt hatten, brachen sie nach Calais auf. Anna von Boulen wohnte mit dem Hofstaate einer Königin bei Heinrich VIII., und Franz I. machte ihr dieselben Geschenke und zollte ihr solche Verehrung, als ob sie Königin sei.

Endlich nach neunjähriger Liebe heiratete Heinrich VIII. sie, ohne die Lösung seiner ersten Ehe abzuwarten, welche er seit langem von Rom begehrte. Der Papst schleuderte in größter Übereilung den Bannstrahl wider ihn, Heinrich VIII. war so empört darüber, daß er sich für das Oberhaupt der Kirche erklärte und ganz England zu dem unglücklichen Glaubenswechsel veranlaßte, in dem Sie es jetzt noch sehen.

Nicht lange erfreute sich Anna von Boulen ihrer Größe; denn als sie sich durch Katharina von Aragoniens Tod sicherer fühlte, wohnte sie eines Tages mit dem ganzen Hofe einem Einzelreiten bei, welches der Vicomte von Rochefort veranstaltete. Sein Bruder, der König, aber wurde so eifersüchtig darüber, daß er jäh vom Schauspiel aufbrach, sich nach London begab, die Königin, den Vicomte von Rochefort und mehrere andere festnehmen ließ, die er für Liebhaber oder Vertraute der Fürstin hielt. Obschon diese Eifersucht eine Regung des Augenblicks zu sein schien, war sie ihm schon vor einiger Zeit seitens der Vicomtesse von Rochefort, welche eine wirkliche Freundschaft zwischen ihrem Gatten und der Königin nicht dulden wollte, eingeredet worden; sie stellte sie dem Könige als eine verbrecherische Freundschaft dar, so daß der Fürst, der andererseits in Johanna Seymour verliebt war, nur darauf sann, sich Anna von Boulens zu entledigen. Nach weniger als drei Wochen ließ er ihr und seinem Bruder den Prozeß machen, ließ ihnen den Kopf abschlagen und heiratete Johanna Seymour. Er hatte später noch mehrere Frauen, die er verstieß oder töten ließ, und unter anderen auch Katharina Howard, deren Vertraute die Vicomtesse von Rochefort war, die zusammen mit ihr enthauptet wurde. Also wurde sie für das Verbrechen gestraft, wessen sie Anna von Boulen ungerechterweise geziehen hatte!«

Alle Damen, welche Madame la Dauphines Erzählung angehört, dankten ihr, weil sie sie so gut über den englischen Hof unterrichtet hatte, und unter den anderen auch Madame de Cleve, die es nicht unterlassen konnte, ihr noch mehrere Fragen nach der Königin Elisabeth zu stellen.

Madame la Dauphine ließ Miniaturbilder von allen Schönen des Hofes malen, um sie der Königin, ihrer Mutter, zu schicken. An dem Tage, wo man das der Madame de Cleve vollendete, kam Madame la Dauphine nach dem Mittagsmahle zu ihr. Auch Monsieur de Nemours verfehlte nicht, sich dort einzustellen: Keine Gelegenheit, Madame de Cleve zu sehen, ließ er sich entgehen, ohne sich jedoch dabei merken zu lassen, daß er sie suche. Sie war an diesem Tage so schön, daß er sich in sie verliebt hätte, wenn er es nicht schon gewesen wäre. Dennoch wagte er es nicht, die Augen auf ihr ruhen zu lassen, während man sie malte, weil er besorgte, allzuviel Freude, sie betrachten zu dürfen, durchblicken zu lassen.

Madame la Dauphine forderte Monsieur de Cleve ein kleines Bild ab, welches er von seiner Frau besaß, um es mit dem, das man malte, zu vergleichen. Jedermann äußerte dies oder jenes darüber, und Madame de Cleve trug dem Maler auf, etwas an dem Kopfputze des herbeigeholten Bildes zu ändern. Um ihrem Befehle nachzukommen, löste der Maler es von der Dose ab, auf der es angebracht war, und nachdem er seine Arbeit daran vollendet hatte, legte er es wieder auf den Tisch.

Schon seit langem wünschte Monsieur de Nemours ein Bild von Madame de Cleve zu besitzen. Als er das Monsieur de Cleve gehörige Bild sah, konnte er der Lust nicht widerstehen, es einem Gatten zu rauben, den er heiß geliebt wähnte; und dachte, bei der so zahlreichen Gesellschaft, die hier zugegen war, würde nicht mehr Verdacht auf ihn wie auf jeden anderen fallen.

Madame la Dauphine saß auf dem Bette und sprach leise mit Madame de Cleve, welche vor ihr ruhte. Madame de Cleve bemerkte durch einen der Vorhänge, die nur halb zugezogen waren, daß Monsieur de Nemours mit dem Rücken gegen den Tisch am Kopfende des Bettes stand, und sah, ohne den Kopf zu wenden, wie er gerade etwas vom Tische nahm. Mühelos erriet sie, daß es ihr Bild war, und wurde so verwirrt darüber, daß Madame la Dauphine merkte, wie sie ihr nicht zuhörte, und sie ganz laut fragte, wohin sie sähe. Bei diesen Worten drehte sich Monsieur de Nemours um; seine Augen begegneten sich mit denen der Madame de Cleve, die noch auf ihn gerichtet waren, und er glaubte, daß sie sicherlich seine Tat bemerkt habe.

Madame de Cleve war nicht wenig erregt; die Vernunft sagte ihr, sie müsse das Bild zurückverlangen, doch wenn sie es ihm öffentlich abfordere, würde jedermann um die Gefühle merken, welche ihr der Prinz entgegenbrachte, wenn sie es aber im geheimen wiederforderte, so sah das beinahe so aus, als wolle sie ihn veranlassen, ihr von seiner Liebe zu sprechen. Schließlich meinte sie, es sei besser, es ihm zu lassen, und war sehr froh, ihm eine Gunst zu gewähren, die sie ihm, ohne daß er recht wußte, ob sie sie ihm erwies, zugestehen konnte. Monsieur de Nemours, welcher ihre Erregung bemerkte und sich über deren Ursache fast klar war, näherte sich ihr und sagte ganz leise zu ihr: »Wenn Sie sahen, was ich mir zu tun herausnahm, so seien Sie so gütig, Madame, mich im Glauben zu lassen, daß Sie nicht darum wissen. Ich wagte Sie nicht darum zu bitten!« Nach diesen Worten entfernte er sich, ohne eine Antwort abzuwarten.

Auch Madame la Dauphine verabschiedete sich in Gefolgschaft aller Damen, um zu lustwandeln. Monsieur de Nemours aber schloß sich in sein Gemach ein; er konnte es nicht ertragen, die Freude, ein Bild von Madame de Cleve zu haben, öffentlich zu zeigen. Und fühlte alles, was einen die Liebe Köstliches fühlen lassen kann; er liebte die liebenswürdigste Dame des Hofes, machte sie sich wider ihren Willen geneigt und sah in allen ihren Handlungen jene gewisse Verwirrung und Aufregung, welche die Liebe in der Unschuld der ersten Jugend verursacht.

Mit großer Sorgfalt suchte man des Abends das Bild; da man die dazugehörige Dose fand, vermutete man seinen Diebstahl nicht, sondern glaubte, es sei zufällig abhanden gekommen. Monsieur de Cleve betrübte der Verlust; und nachdem man es noch vergeblich weitergesucht hatte, sagte er zu seiner Frau, doch in einer Weise, der man anmerkte, daß es ihm nicht Ernst war, zweifelsohne halte es ein Liebhaber versteckt, dem sie es gegeben hätte, oder er habe es entwendet; denn kein anderer wie ein Liebhaber würde sich mit dem Bilde begnügen, ohne die Schachtel nicht auch zu nehmen.

Obwohl diese Worte scherzweise gesagt wurden, machten sie doch tiefen Eindruck auf Madame de Cleve: Sie bereiteten ihr Gewissensbisse; sie dachte über die Macht der Liebe nach, die sie zu Monsieur de Nemours hinzog, und fand, daß sie nicht mehr Herrin ihrer Worte und ihres Gesichtsausdrucks war. Und sie dachte daran, daß Lignerolles zurückgekommen, die englische Angelegenheit also nicht mehr zu fürchten war; daß sie keinen Verdacht mehr auf Madame la Dauphine zu haben brauchte, daß es endlich keinen Schutz mehr für sie gab und sie nur vor sich selber sicher war, wenn sie sich von ihm entfernte. Doch da sie es nicht über sich zu bringen vermochte fortzugehen, befand sie sich in der äußersten Notlage und war nahe daran, dem zu verfallen, welches für sie der Übel größtes war: nämlich Monsieur de Nemours die Liebe, die sie für ihn fühlte, zu offenbaren. Sie erinnerte sich aller Worte, die ihr Madame de Chartres vor ihrem Tode gesagt, und der Ratschläge, die sie ihr gegeben hatte, lieber jeden anderen Entschluß zu fassen, welche Schwierigkeit er auch bereiten möchte, als sich in ein Liebesabenteuer einzulassen. Es fiel ihr wieder ein, was Monsieur de Cleve zu ihr über die Offenheit gesagt hatte, als er von Madame de Tournon sprach, und sie glaubte, ihm ihre Neigung zu Monsieur de Nemours eingestehen zu müssen. Dieses Vorhaben beschäftigte sie lange; schließlich war sie erstaunt, dies geplant zu haben, sie fand es närrisch und verfiel wieder der Aufregung, nicht zu wissen, was sie tun sollte.

Der Friede war unterzeichnet; Madame Elisabeth hatte sich nach schweren Kämpfen entschlossen, dem Könige, ihrem Vater, zu gehorsamen. Der Herzog von Alba war ausersehen, sie im Namen der katholischen Majestät zu heiraten, und mußte sehr bald eintreffen. Auch erwartete man den Herzog von Savoyen, welcher Madame, des Königs Schwester, heiraten sollte, und deren Hochzeit zu gleicher Zeit stattfand. Der König dachte nur daran, diese Hochzeiten durch Feste zu verschönern, bei denen er den Prunk und die Größe seines Hofes glänzen lassen konnte. Man schlug die schönsten Ballette und Komödien vor, doch der König fand diese Vergnügungen nicht auserlesen genug und wollte größeren Glanz entfaltet wissen. Er beschloß, ein Turnier zu veranstalten, zu dem die Fremden herangezogen werden sollten und bei dem das Volk die Zuschauer bilden konnte. Alle Prinzen und jungen Ritter des Hofes traten freudig für des Königs Plan ein, besonders aber der Herzog von Ferrara, Monsieur de Guise und Monsieur de Nemours, welche alle anderen in dieser Leibesübung übertrafen. Nach des Königs Wahl sollten sie mit ihm die vier Schildhalter des Turniers sein.

Man ließ im ganzen Königreiche bekanntmachen, daß das Turnier am fünfzehnten Juni in der Stadt Paris durch seine Allerchristlichste Majestät, durch die Prinzen Alphons von Este, Herzog von Ferrara, Franz von Lothringen, Herzog von Guise, Jacob von Savoyen, Herzog von Nemours eröffnet würde, um allem Kommenden Widerstand zu leisten; und zwar würde der erste Kampf zu Pferde in den Schranken in voller Rüstung mit fünf Lanzenstichen, davon einen für die Damen, beginnen. Den zweiten Kampf mit Säbelhieben, einer gegen einen, zwei gegen zwei, je nach Wunsch der Kampfrichter. Den dritten Kampf zu Fuß mit drei Pikenstichen und sechs Säbelhieben; die Schildhalter würden sich nach Wunsch der Angreifer mit Lanzen, Degen und Piken ausrüsten; wer beim Reiten das Pferd träfe, solle aus der Reihe geschlossen werden. Vier der Kampfrichter würde es geben; und die Angreifer, welche die meisten Lanzen gebrochen und sich am wackersten gehalten hätten, sollten einen Preis bekommen, dessen Wert dem Ermessen der Richter überlassen bliebe. Alle Angreifer, ob Franzosen, ob Fremde, seien verpflichtet, eines oder, je nach Wunsch, mehrere der Schilde zu berühren, die an der Rampe, am Rande der Kampfstätte hängen würden; dort sollten sie auch einen Schildträger finden, der sie empfinge, um sie ihrem Range und den Schilden entsprechend, die sie berührt hätten, in die Liste einzutragen. Die Angreifer seien verpflichtet, durch einen Edelmann ihren Schild und ihre Waffen herbeitragen zu lassen, um sie drei Tage vor Beginn des Turniers wieder in Empfang zu nehmen, andernfalls würden sie ohne die Erlaubnis der Platzhalter nicht angenommen werden.

Man ließ in der Nähe der Bastille einen großen Kampfplatz herrichten, der am Schloß von Tournelles begann, über die Rue Saint Antoine fortging und bei den königlichen Ställen endigte. Zu beiden Seiten waren Bühnen und aufsteigende Tribünen mit geschlossenen Logen aufgeschlagen worden, welche die Formen von Galerien bildeten, dem Auge einen schönen Anblick gewährten und eine Unzahl Menschen fassen konnten. Alle Fürsten wie Edelleute waren mit nichts anderem beschäftigt, wie das vorzubereiten, was ihnen nötig erschien, um mit Glanz bestehen zu können, oder auf ihre Wappen oder bei ihren Namenszügen irgend etwas Galantes anbringen zu lassen, welches auf die geliebte Frau Bezug nahm.

Wenige Tage vor der Ankunft des Herzogs von Alba veranstaltete der König mit Monsieur de Nemours, dem Chevalier de Guise und dem Vizedom de Chartres ein Ballspiel. Die Königinnen stellten sich in Gefolgschaft aller ihrer Damen, unter denen sich auch Madame de Cleve befand, ein, um sich an ihm zu ergötzen. Als man nach Beendigung des Ballspiels fortging, näherte sich Chastelart der Madame la Dauphine und sagte ihr, der Zufall habe ihm einen Liebesbrief in die Hände gespielt, der Monsieur de Nemours' Tasche entfallen sei. Da sich die Dauphine stets mit allem, was den Prinzen anging, eifrig beschäftigte, sagte sie zu Chastelart, er solle ihn ihr geben; sie nahm ihn in Empfang und folgte der Königin, ihrer Schwiegermutter, die sich mit dem Könige zusammen die Vorbereitungen auf dem Kampfplatze ansehen wollte. Nachdem man sich dort einige Zeit aufgehalten hatte, befahl der König, Pferde vorzuführen, die er vor kurzem hatte kommen lassen. Obwohl sie noch nicht eingeritten waren, wollte er aufsitzen, und hieß allen, die ihm gefolgt waren, das gleiche tun. Der König und Monsieur de Nemours ritten die feurigsten Pferde, die sich beide aufeinander stürzen wollten. Monsieur de Nemours wich aus Furcht, den König zu verletzen, zurück und lenkte sein Pferd mit solcher Wucht gegen einen Pfeiler der Reitbahn, daß er dem Anprall zufolge herunterstürzte. Man lief herzu und hielt ihn für gefährlich verletzt. Madame de Cleve aber befürchtete es noch lebhafter als die anderen. Ihre Anteilnahme flößte ihr eine Angst und eine Verwirrung ein, die sie zu verbergen vergaß; sie näherte sich ihm mit den Königinnen, und ihr Antlitz war so verändert, daß es auch einem weniger beteiligten Manne wie dem Chevalier de Guise aufgefallen wäre; er bemerkte es natürlich sofort und gab mehr acht auf Madame de Cleve als auf Monsieur de Nemours' Zustand. Der Fall, den er erlitten, verursachte dem Prinzen eine so tiefe Ohnmacht, daß er einige Zeit über seinen Kopf auf die stützend verharrte, welche ihn hielten. Als er wieder zu sich kam, sah er zuerst Madame de Cleve; er las auf ihrem Antlitz die Sorge um ihn, und blickte sie so an, daß sie merken konnte, wie gerührt er darüber war. Er dankte dann den Königinnen für die Güte, welche sie ihm erwiesen, und entschuldigte sich bei ihnen um des Zustandes willen, in dem er sich vor ihnen gezeigt hatte. Der König aber befahl ihm, der Ruhe zu pflegen.

Als sich Madame de Cleve von ihrem Schrecken erholte, machte sie sich Gedanken über die Anzeichen desselben, die sie verraten hatte. Nicht lange ließ ihr der Chevalier de Guise die Hoffnung, daß ihn niemand bemerkt habe; indem er ihr die Hand reichte, um sie vom Kampfplatz fortzuführen, sagte er: »Ich bin tiefer als Monsieur de Nemours zu beklagen, Madame, verzeihen Sie, wenn ich die hohe Ehrfurcht, welche ich Ihnen stets zollte, außer acht lasse, und Ihnen meinen tiefen Schmerz über das soeben Gesehene offenbare. Es ist das erstemal, daß ich so kühn bin, mit Ihnen darüber zu sprechen, und es wird auch das letztemal sein. Tod oder wenigstens ewige Verbannung sollen mich von einem Orte entfernen, an dem ich nicht leben kann, da ich jetzt des traurigen Trostes beraubt bin, daß alle, die Sie zu betrachten wagen, ebenso unglücklich wie ich sind!«

Madame de Cleve antwortete nur mit einigen wirren Worten, wie wenn sie nicht verstanden hätte, was Chevalier de Guises Worte besagen sollten. Zu einer anderen Zeit würde sie ihm verboten haben, von der Liebe zu reden, die er zu ihr hegte; in diesem Augenblicke aber drückte sie nur der Schmerz, daß sie ihr für Monsieur de Nemours entflammtes Herz gezeigt habe. Der Chevalier de Guise war so überzeugt davon und so von Schmerz gepeinigt, daß er an diesem Tage den Entschluß faßte, niemals mehr daran zu denken, Madame de Cleves Liebe zu erringen.

Doch um dies Unternehmen, welches ihm so schwierig und ruhmreich erschienen war, aufzugeben, mußte er ein anderes suchen, dessen Größe ihn locken konnte. Er nahm sich vor, Rhodos zu erobern, woran er schon mehrere Male gedacht hatte; und als ihn der Tod in der Jugendblüte zu einer Zeit aus der Welt riß, wo er den Ruhm erlangt hatte, einer der größten Fürsten seines Jahrhunderts zu sein, da bedauerte er, nur aus dem Leben zu scheiden, weil er einen so schönen Plan nicht ausführen konnte, an dessen unfehlbaren Erfolg er nach all der darauf verwendeten Sorgfalt geglaubt hatte.

Den Kampfplatz verlassend, ging Madame de Cleve, im Geiste völlig mit dem Vorfall beschäftigt, zu der Königin. Wenige Zeit nachher kam auch Monsieur de Nemours, prächtig gekleidet und wie ein Mann, der nichts von dem ihm zugestoßenen Unfall fühlte, dorthin. Er schien sogar heiterer als üblich zu sein; und die Freude über das, was er gesehen zu haben glaubte, gab ihm ein Aussehen, welches seine Anmut noch erhöhte. Jedermann war bei seinem Eintreten überrascht, und alle außer Madame de Cleve, welche am Kamin stehen blieb, ohne ihn scheinbar zu sehen, erkundigten sich nach seinem Befinden. Der König trat aus seinem Gemach heraus und rief ihn zu sich, als er ihn unter den anderen sah, um mit ihm über seinen Unfall zu sprechen. Monsieur de Nemours ging an Madame de Cleve vorbei und sagte ganz leise zu ihr: »Ich habe heute Beweise Ihres Mitleids empfangen, Madame, aber nicht solches bin ich am meisten würdig!« Hatte Madame de Cleve geargwöhnt, der Prinz habe die Erregung, in der sie um seinetwillen gewesen war, gemerkt, so bewiesen ihr seine Worte die Richtigkeit ihrer Mutmaßung. Die Tatsache, daß sie nicht mehr Herrin ihrer eigenen Gefühle war und daß sie sie den Chevalier de Guise hatte sehen lassen, bereitete ihr einen schweren Kummer. Auch war sie sehr verstimmt, daß Monsieur de Nemours darum wußte; doch dieser letzte Schmerz drückte sie nicht völlig nieder und war mit einem gewissen Gefühl der Süße vermischt.

Madame la Dauphine hatte eine lebhafte Neugier, den Inhalt des Briefes, den ihr Chastelart gegeben hatte, zu erfahren, und näherte sich Madame de Cleve: »Lesen Sie gleich diesen Brief, liebe Cleve«, sagte sie zu ihr, »er richtet sich an Monsieur de Nemours und stammt dem Anscheine nach von der Geliebten, um derentwillen er alle anderen Frauen aufgegeben hat. Wenn Sie ihn nicht sofort lesen können, heben Sie ihn auf; kommen Sie abends, wenn ich mich schlafen lege, und sagen Sie mir dann, was Sie aus dem Schreiben erfuhren!« Nach solchen Worten verließ Madame la Dauphine Madame de Cleve; und ließ sie so bestürzt und so erschreckt stehen, daß sie einige Zeit über nicht von ihrem Platze gehen konnte. Ihre Ungeduld und ihre Aufregung ließen es nicht zu, bei der Königin zu bleiben; sie verabschiedete sich von ihr, obwohl es noch nicht an der Stunde war, wo sie sich gewöhnlich zurückzog. Und hielt den Brief in zitternden Händen; ihre Gedanken waren so wirr, daß sie kein Unterscheidungsvermögen mehr besaß, und eine Art unerträglichen Schmerzes, den sie nicht kannte und noch niemals gefühlt hatte, befiel sie. Sobald sie in ihrem Gemache anlangte, öffnete sie das Schreiben und las folgenden Inhalt:

»Ich habe Sie zu heiß geliebt, als daß Sie glauben könnten, der Sinneswechsel, welcher Ihnen an mir auffällt, sei das Ergebnis meiner flüchtigen Neigung. Ich will Sie nun wissen lassen, daß Ihre Treulosigkeit ihn verschuldet hat. Sie werden überrascht sein, mich von Ihrer Treulosigkeit reden zu hören, haben Sie sie doch mit soviel Aufmerksamkeit vor mir verborgen, und es hat mich wahrlich Mühe gekostet, Ihnen zu verbergen, daß ich darum weiß; und Sie dürfen billigerweise erstaunt sein, daß sie mir bekannt ist. Ich bin selber überrascht, daß ich es über mich vermochte, Ihnen gegenüber nichts durchblicken zu lassen. Niemals gab es einen Schmerz, der meinem gleich war. Ich wähnte, Sie hegten eine hohe Liebe zu mir, und verbarg die nicht, welche mich zu Ihnen hinzog; doch zu der Zeit, wo ich sie Ihnen offenherzig bewies, erfuhr ich, daß Sie mich hintergingen und eine andere liebten und mich allem Anscheine nach dieser neuen Geliebten aufopfern wollten. Seit dem Tage des Ringelreitens weiß ich darum; und das war der Grund, der mich am Erscheinen dort hinderte. Ich schützte eine Krankheit vor, um meine Gemütsaufwallung zu verbergen: Aber ich wurde tatsächlich krank, denn mein Leib konnte eine so heftige Erregung nicht ertragen. Als ich mich wohler zu fühlen begann, stellte ich mich noch sehr krank, um einen Vorwand zu haben, Sie nicht sehen und Ihnen nicht schreiben zu müssen. Ich wollte Zeit zu der Überlegung gewinnen, wie ich mich Ihnen gegenüber verhalten sollte; zwanzigmal nahm und verwarf ich die gleichen Entschlüsse. Schließlich hielt ich Sie für unwürdig, meinen Schmerz zu sehen, und beschloß, ihn Ihnen um keinen Preis zu offenbaren. Ich wollte Ihren Stolz verwunden, indem ich Sie merken ließ, wie meine Liebe zu Ihnen von selber erlosch. Den Wert des Opfers, welches Sie damit darbrachten, glaubte ich hierdurch zu verringern, ich wollte nicht, daß Sie voll Freude zeigen könnten, wie sehr ich Sie liebte, um dadurch noch liebenswerter zu erscheinen. Und entschloß mich, Ihnen laue und matte Briefe zu schreiben, um der, welcher Sie sie zeigten, vorzutäuschen, daß man Sie zu lieben aufhörte. Ich wollte ihr weder das Vergnügen gönnen zu erfahren, daß ich um ihren Sieg über mich wüßte, noch ihren Triumph durch meine Verzweiflung und Vorwürfe vermehren. Auch meinte ich, daß ich Sie nicht genug damit bestrafte, wenn ich mit Ihnen brach, und daß ich Ihnen nur einen leichten Schmerz bereiten würde, indem ich Sie zu lieben abließe, wenn Sie mich nicht mehr liebten. Ich fand, daß Sie mich lieben müßten, um das Elend, nicht geliebt zu werden, zu fühlen, welches ich so grausam erprobte. Und wußte, nur eines könnte die Gefühle, welche Sie zu mir hegten, wieder aufflammen lassen: Wenn ich Ihnen zeigte, daß sich meine vermindert hätten; doch mußte ich Sie das merken lassen, indem ich es scheinbar vor Ihnen verbarg, wie wenn ich nicht die Kraft zu einem Geständnis hätte. Und verharrte bei diesem Entschlusse, obwohl es mir schwer wurde, ihn zu fassen! Und jedesmal, wenn ich Sie sah, schien mir seine Ausführung unmöglich! Hundertmal war ich bereit, in Vorwürfe und Tränen auszubrechen; der Zustand, in dem ich mich meiner Gesundheit zufolge befand, diente mir dazu, meine Verwirrung und meinen Kummer zu verschleiern. Und schließlich wurde ich durch das Vergnügen, vor Ihnen zu heucheln, wie Sie mir gegenüber heuchelten, aufrechtgehalten; dennoch kostete es mich eine so große Kraft, Ihnen meine Liebe mündlich und schriftlich einzugestehen, daß Sie bald merkten, wie ich willens war, Sie den Wechsel meiner Gefühle sehen zu lassen. Sie waren darüber betrübt, Sie beklagten sich darüber; ich bemühte mich, Sie zu beruhigen, aber in einer so gezwungenen Weise, daß Sie mich noch tiefer überzeugten, ich liebte Sie nicht mehr. Schließlich tat ich alles, was ich zu tun willens gewesen war. Die Wunderlichkeit Ihres Herzens ließ Sie in dem Maße zu mir zurückkommen, wie Sie sahen, daß ich mich von Ihnen entfernte. Ich freute mich all des Vergnügens, welches einem die Rache bereiten kann; es deuchte mich, Sie liebten mich mehr, als Sie es je getan hatten; und ich ließ Sie sehen, daß ich Sie nicht mehr liebte. Ich habe Ursache anzunehmen, daß Sie die Geliebte, um derentwillen Sie mich aufgaben, gänzlich verließen. Ich habe auch Gründe, überzeugt zu sein, daß Sie ihr gegenüber niemals von mir gesprochen haben; aber Ihre Rückkehr und Ihre Verschwiegenheit konnten Ihre Flatterhaftigkeit nicht wieder gutmachen. Ihr Herz gehörte mir und einer anderen zugleich; Sie haben mich betrogen; das genügt, um mich der Wonne zu berauben, von Ihnen geliebt zu sein, wie ich es von Ihnen zu verdienen glaubte, und in dem Sie so überraschenden Entschlusse, Sie niemals wiederzusehen, zu verharren.«

Madame de Cleve las den Brief und las ihn zu vielen Malen wieder, ohne zu wissen, was sie gelesen hatte. Sie fühlte einzig, daß Monsieur de Nemours sie nicht liebte, wie sie gedacht, und daß er sie mit anderen zugleich liebte, welche er wie sie hinterging. Welche Einsicht und Erkenntnis für eine Frau von ihrer Gemütsart, die eine so leidenschaftliche Liebe gefaßt hatte, von der sie soeben einem Manne, der sie ihrer Meinung nach nicht verdiente, und einem anderen Beweise gegeben hatte, den sie um seinetwillen schlecht behandelte! Niemals gab es einen lebhafteren und schmerzlicheren Kummer; sie sah in den Vorgängen dieses Tages den Stachel dieser Trübsal, denn wenn Monsieur de Nemours keinen Grund gehabt hätte, an ihre Liebe zu glauben, würde sie sich nicht darum gekümmert haben, daß er eine andere geliebt hatte. Aber sie täuschte sich selber: Das Übel, welches sie so unerträglich dünkte, war Eifersucht mit allen Qualen, die mit ihnen verbunden sein können. Aus diesem Briefe ersah sie, daß Monsieur de Nemours seit langem eine Liebschaft gehabt hatte. Und fand, daß die Schreiberin dieses Briefes Geist und Verdienst besaß: Sie schien ihr liebenswert zu sein; sie war ihrer Meinung nach mutiger, als sie selber war, und sie beneidete sie um die Kraft, die sie gezeigt hatte, ihre Gefühle vor Monsieur de Nemours zu verbergen. Der Brief bewies ihr, daß sich dies Wesen geliebt wähnte; sie dachte, die Verschwiegenheit des Prinzen, welche sie so voreingenommen hatte, sei vielleicht nur eine Folge der Leidenschaft für die andere Frau gewesen, der er zu mißfallen fürchtete. Schließlich kam ihr alles in den Sinn, was ihren Kummer und ihre Verzweiflung vermehren konnte. Wie sehr ging sie nicht in sich, wie sehr dachte sie nicht über ihrer Mutter Ratschläge nach! Wie oft bereute sie es nicht, sich trotz Monsieur de Cleves Widerstand von dem Treiben der Welt losgesagt oder ihren Vorsatz, ihm ihre Neigung zu Monsieur de Nemours einzugestehen, ausgeführt zu haben! Sie fand, daß sie besser daran getan hätte, sich einem Gatten zu entdecken, dessen Güte sie kannte und der ihre Neigung verbergen mußte, als sie einen Mann sehen zu lassen, der ihrer unwert war, der sie betrog, sie vielleicht aufopferte und nur aus einem Hochmuts- und Eitelkeitsgefühl heraus von ihr geliebt sein wollte. Und endlich fand sie, daß alle Übel, die sie überkommen, und alle Nöte, in denen sie sich befinden konnte, geringfügiger wären, als Monsieur de Nemours ihre Liebe haben sehen zu lassen und erfahren zu haben, daß er eine andere liebte. Der Gedanke aber, daß sie sich dieser Erkenntnis zufolge nicht mehr vor sich selber zu fürchten brauchte und von der Neigung geheilt werden würde, die sie dem Prinzen entgegenbrachte, gewährte ihr einigen Trost.

Sie dachte nicht mehr an Madame la Dauphines Verlangen, sich bei ihrem Schlafengehen einzufinden; sie legte sich zu Bett und schützte ein Unwohlsein vor, daher meldete man auch Monsieur de Cleve, als er vom König zurückkam, sie sei eingeschlafen; doch der Ruhe, die den Schlaf zur Folge hat, entbehrte sie gänzlich. Sie verbrachte die Nacht, ohne etwas anderes zu tun, als sich zu härmen und den Brief, den sie in ihren Händen hatte, wieder und wieder zu lesen.

Madame de Cleve war nicht die einzige Person, der dieser Brief die Ruhe raubte. Der Vizedom von Chartres, und nicht Monsieur de Nemours, der ihn verloren hatte, war in äußerster Unruhe; er hatte den ganzen Abend bei Monsieur de Guise verlebt, welcher dem Herzoge von Ferrara, seinem Schwager, und der ganzen Jugend des Hofes ein glänzendes Fest gegeben hatte. Der Zufall wollte es, daß man bei Tische von schönen Briefen sprach. Der Vizedom erklärte, einen der schönsten, die jemals geschrieben, bei sich zu haben. Man drängte ihn, ihn vorzuweisen, er aber weigerte sich. Monsieur de Nemours behauptete nun, er besäße keinen solchen, und er rede nur aus Eitelkeit davon. Der Vizedom erwiderte ihm, daß er seine Verschwiegenheit auf eine äußerst harte Probe stelle, daß er dennoch den Brief nicht vorzeigen würde; aber er wolle einige Stellen daraus zum Beweis vorlesen, daß wenige Menschen ähnliche empfangen hätten. Gleichzeitig wollte er den Brief hervorziehen, doch fand er ihn nicht. Und suchte ihn vergebens. Man befehdete ihn deswegen, aber er erschien so aufgeregt, daß man davon zu sprechen aufhörte. Er entfernte sich früher als die anderen und ging voller Besorgnis in seine Wohnung, um zu sehen, ob er den fehlenden Brief dortgelassen hätte. Wie er ihn da noch suchte, trat der Erste Kammerdiener der Königin bei ihm ein und meldete ihm, die Vicomtesse de Usez fühle sich verpflichtet, ihm in aller Eile sagen zu lassen, daß man bei der Königin erzählt habe, ihm wäre während des Ballspiels ein Liebesbrief aus der Tasche gefallen. Man hätte den größten Teil des Briefinhaltes angegeben, und die Königin habe solche Neugierde geäußert, ihn zu sehen, daß sie ihn einem ihrer Edelleute abverlangt habe, der jedoch ausgesagt hätte, ihn in Chastelarts Händen gelassen zu haben.

Der Erste Kammerdiener sagte dem Vizedom von Chartres noch mehrere andere Dinge, die dazu beitrugen, ihn auf das lebhafteste zu beunruhigen. Der Vizedom eilte zur selben Stunde fort, um einen Edelmann aufzusuchen, welcher Chastelarts bester Freund war; der aber ließ diesen wecken, obwohl es zu ungewöhnlicher Stunde war, um ihm den Brief abzufordern, ohne zu sagen, wer ihn erbitte und wer ihn verloren habe. Chastelart bildete sich ein, Monsieur de Nemours sei der Verlierer und sei in Madame la Dauphine verliebt, und zweifelte nicht, daß er ihn zurückverlangen ließe. Er entgegnete mit boshafter Freude, daß er diesen Brief der Madame la Dauphine ausgehändigt habe. Der Edelmann teilte diese Antwort dem Vizedom von Chartres mit: Sie vermehrte seine Unruhe und machte seine Lage noch peinlicher; nachdem er lange im unklaren gewesen war, was er tun sollte, glaubte er, nur Monsieur de Nemours könne ihm aus dieser heillosen Verlegenheit helfen, in die er geraten war.

Und ging zu ihm und trat in sein Gemach ein, als es zu tagen begann. Der Prinz schlief einen ruhigen Schlaf; was ihn Madame de Cleve hatte erraten lassen, konnte ihm nur angenehme Gedanken bereiten. Er war sehr überrascht, sich durch den Vizedom von Chartres geweckt zu sehen, und fragte ihn, ob er seine Ruhe zu stören käme, um sich für seine Redensarten bei dem Mahle zu rächen. Der Vizedom gab ihm nur allzugut durch seinen Gesichtsausdruck zu verstehen, daß ihn nur ein sehr ernsthafter Grund zu ihm führen konnte. »Ich muß Ihnen die wichtigste Angelegenheit meines Lebens anvertrauen«, hob er an. »Ich weiß wohl, daß Sie nichts verpflichtet, sich mir gefällig zu erweisen, wiewohl ich Ihrer Hilfe jetzt bedarf; auch weiß ich, daß ich Ihrer Achtung verlustig gehen würde, wollte ich Ihnen alles, was ich Ihnen jetzt sagen muß, anvertrauen, ohne daß mich Notwendigkeit dazu zwänge. Ich habe den Brief, von dem ich gestern abend sprach, verloren; es ist von äußerster Wichtigkeit für mich, daß niemand erfährt, daß er sich an mich richtet. Er ist von vielen Leuten, die dem Ballspiele, bei dem ich ihn verlor, zuschauten, gesehen worden; Sie waren auch dort, und ich bitte Sie inständigst, sich als den Verlierer ausgeben zu wollen!« »Sie müssen mir glauben«, entgegnete lächelnd Monsieur de Nemours, »daß ich durchaus keine Geliebte habe, und daher kein solches Ansinnen an mich stellen, und auch daran denken, daß ich mich mit keinem Wesen zusammentun könnte, um glaubhaft zu machen, daß ich derartige Briefe empfange!« – »Ich bitte Sie«, entgegnete der Vizedom, »hören Sie mich ernsthaft an: Wenn Sie eine Geliebte haben, was ich durchaus nicht bezweifle, wiewohl ich nicht weiß, wer sie ist, würde es Ihnen ein leichtes sein, sich zu rechtfertigen; dazu würde ich Ihnen die untrüglichsten Mittel geben. Wenn Sie sich aber nicht vor ihr rechtfertigen könnten, würde Ihnen nur für einige Augenblicke etwas Hader erwachsen, ich jedoch entehre durch dieses Abenteuer eine Frau, welche mich leidenschaftlich geliebt hat und die eins der schätzenswertesten Weiber auf der Welt ist, und ziehe mir ferner einen unversöhnlichen Haß zu, der mich mein Glück und vielleicht noch mehr kosten wird!« – »Ich verstehe all das nicht«, entgegnete Monsieur de Nemours, »doch lassen Sie mich dunkel ahnen, daß die Gerüchte, welche von den Aufmerksamkeiten reden, die Ihnen eine erlauchte Fürstin widmet, nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.« – »Sie sind es auch nicht«, erwiderte der Vizedom; »gebe Gott, daß sie es wären! Ich würde dann in keiner solchen Aufregung wie jetzt leben; doch ich muß Ihnen alle Vorgänge erzählen, um Ihnen alles zu zeigen, was ich zu befürchten habe.«

*

Seit ich am Hofe weile, hat mich die Königin stets mit sehr viel Auszeichnung und Liebenswürdigkeit behandelt. Und ich durfte wahrlich annehmen, daß sie eine Neigung zu mir gefaßt habe. Dennoch wußte ich nichts Genaueres und hätte mir nimmer träumen lassen, andere Gefühle wie die der Ehrfurcht für sie zu haben.

Ich selber war hitzig in Madame de Themines verliebt; man kann sich leicht denken, wenn man sie sieht, daß man sie sehr liebhaben muß, wird man von ihr wiedergeliebt; und ich ward es. Als der Hof vor etwa zwei Jahren in Fontainebleau verweilte, unterhielt ich mich zwei- oder dreimal mit der Königin zu einer Stunde, wo sie nur wenige Menschen um sich hatte. Es schien mir, als gefiele ihr meine Unterhaltung, denn sie ging auf alles ein, was ich vorbrachte. Eines Tages begann man vom Vertrauen zu sprechen; ich erklärte, daß ich es niemandem schenkte, und fände, man müßte es immer bereuen, habe man es einmal getan, und es gäbe vielerlei, über das ich niemals gesprochen hätte. Die Königin entgegnete, sie schätze mich darum höher, denn sie habe niemanden in Frankreich gefunden, der ein Geheimnis wahre, und dies habe sie am tiefsten bekümmert, weil es sie des Vergnügens beraubt hätte, jemandem zu vertrauen. Es sei im Leben nötig, jemanden zu haben, mit dem man sich aussprechen könne, besonders für Leute ihres Ranges. Die folgenden Tage nahm sie die gleiche Unterhaltung noch mehrere Male auf; sie eröffnete mir sogar ziemlich geheime Dinge, welche vorgingen. Endlich war es mir, als ob sie sich meines Geheimnisses zu versichern wünsche und als ob sie Lust habe, mir die ihrigen anzuvertrauen. Dieser Gedanke fesselte mich an sie. Ich war gerührt über diese Auszeichnung und machte ihr mit sehr viel größerem Fleiß den Hof, als ich es gewöhnlich tat. Als nun eines Abends der König und alle Damen zu Pferde durch den Wald ritten, woran sie sich um eines Unwohlseins willen nicht hatte beteiligen wollen, blieb ich bei ihr; sie stieg an den Rand eines Weihers hinab und ließ die Hand ihres Kavaliers fahren, um unbehinderter gehen zu können.

Nachdem sie einige Wege zurückgelegt hatte, näherte sie sich mir und befahl mir, ihr zu folgen: »Ich will Sie sprechen«, sagte sie, »und an meinen Worten werden Sie erkennen, daß ich Ihre Freundin bin.« Sie blieb bei dieser Rede stehen und blickte mich fest an: »Sie sind verliebt«, fuhr sie fort, »und weil Sie sich niemandem anvertrauen, meinen Sie, daß Ihre Liebe nicht bekannt ist; sie ist aber bekannt und sogar Leuten, die sie etwas angeht. Man beobachtet Sie, man kennt die Orte, wo Sie Ihre Geliebte sehen, man hat vor, Sie dort zu überraschen. Ich weiß nicht, wer sie ist, und frage Sie nicht danach; ich will Sie einzig vor dem Unglück, in das Sie geraten könnten, bewahren!« Sehen Sie, bitte, welche Falle mir die Königin stellte, und wie schwer es war, nicht in sie hineinzugeraten. Sie wollte wissen, ob ich verliebt war; und da sie nicht danach fragte, in wen ich es war, und mich nur das einzige Vorhaben, mir eine Freude machen zu wollen, sehen ließ, nahm sie mir den Gedanken, daß sie aus Neugier oder Absicht mit mir spräche.

Indessen enthüllte sich mir wider alles Erwarten die Wahrheit. Ich war in Madame de Themines verliebt; doch wennschon sie mich wiederliebte, war ich nicht glücklich genug, sie an geheimen Orten sehen zu können, ohne eine Überraschung befürchten zu müssen. Auch merkte ich nur allzugut, daß die Königin nicht von ihr sprechen konnte. Ich wußte ja auch sehr wohl, daß ich mit einer anderen, weniger schönen und strengen Frau als Madame de Themines einen verliebten Handel hatte, und es konnte nicht unmöglich sein, daß der Ort, wo ich sie sah, entdeckt war. Doch da mich das wenig kümmerte, war es mir ein leichtes, mich vor jeder Gefahr zu sichern, indem ich es aufgab, sie zu sehen. Ich nahm mir also vor, der Königin nichts einzugestehen, und ihr im Gegenteil zu beteuern, ich hätte seit langem den Wunsch, Frauen, von denen ich Liebe erhoffen konnte, in mich verliebt zu machen, aufgegeben, weil ich fast alle unwert gefunden hätte, einen rechtschaffenen Mann zu fesseln, und daß mich nur etwas, was hoch über ihnen stünde, verpflichten könnte!« – »Sie antworten mir nicht offen«, entgegnete die Königin, »ich weiß das Gegenteil von dem, was Sie sagen. Die Art und Weise meiner Sprache Ihnen gegenüber müßte Sie bestimmen, nichts vor mir zu verbergen. Sie sollen mein Freund sein«, fuhr sie fort, »doch ich will genau wissen, wenn ich Ihnen diesen Platz einräume, an wen Sie gefesselt sind. Machen Sie sich klar, ob Sie ihn um den Preis, sie mir mit Namen zu nennen, erlangen wollen: Ich gebe Ihnen zwei Tage Bedenkzeit; achten Sie jedoch nach dieser Frist stets auf Ihre Aussage und erinnern Sie sich, daß ich Ihnen zeit meines Lebens nicht verzeihe, wenn ich in Zukunft einmal merke, daß Sie mich betrogen haben!« Nach solchen Worten ging die Königin von mir, ohne meine Antwort abzuwarten. Sie können sich denken, daß ich ganz erfüllt von dem, was sie mir soeben gesagt hatte, zurückblieb. Die beiden mir als Bedenkzeit gewährten Tage kamen mir nicht zu lange vor, um mich zu entscheiden. Ich sah, sie wollte wissen, ob ich verliebt sei, und wünschte nicht, daß ich es wäre. Ich sah die Folgen und Verpflichtungen des Handels, den ich eingehen wollte, meiner Eitelkeit schmeichelte ein geheimer Liebesbund mit einer Königin nicht wenig; noch dazu einer Königin, deren Person obendrein so außerordentlich liebenswert ist. Andererseits liebte ich Madame de Themines, und obwohl ich ihr der anderen Frau zuliebe, von der ich Ihnen erzählte, untreu war, konnte ich mich doch nicht entschließen, mit ihr zu brechen. Ich sah auch, welche Gefahr ich lief, wenn ich die Königin täuschte, und wie schwierig es war, sie zu täuschen; dennoch vermochte ich es nicht über mich zu bringen, das mir gebotene Glück auszuschlagen, und ich rechnete mit allem, was mir meine schlechte Aufführung einbringen konnte. Und brach den Handel mit der Frau, den man zu entdecken vermochte, und hoffte, den mit Madame de Themines zu verbergen.

Am Ende der zwei mir zugestandenen Tage fragte mich die Königin, als ich in das Gemach trat, wo alle Damen zum Empfange versammelt waren, ganz laut und mit einer ernsthaften Miene, welche mich überraschte: »Haben Sie an die Angelegenheit, mit der ich Sie betraute, gedacht, und wissen Sie die Wahrheit?« – »Ja, Madame«, erwiderte ich, »sie verhält sich so, wie ich Eurer Majestät gesagt habe!« – »Kommen Sie heute abend zur Stunde, da ich zu schreiben pflege«, entgegnete sie, »Sie sollen meine Befehle hören!« Ohne etwas zu erwidern, machte ich eine tiefe Verbeugung und versäumte es nicht, mich zur bezeichneten Stunde einzustellen. Ich traf sie in der Galerie, wo sie sich mit ihrem Schreiber und einer ihrer Frauen aufhielt. Sobald sie mich erblickte, kam sie auf mich zu, führte mich an das andere Galerieende und hob an: »Nun, haben Sie es wohl bedacht, daß Sie mir nichts zu sagen haben, und verdient es die Weise, welche ich Ihnen gegenüber einschlage, nicht, daß Sie offen zu mir reden?« – »Weil ich offen und ehrlich zu Ihnen spreche, Madame«, antwortete ich ihr, »habe ich Ihnen nichts zu sagen, und ich schwöre Eurer Majestät in aller schuldigen Ehrfurcht, daß mich keine Frau des Hofes fesselt!« – »Ich will es glauben«, entgegnete die Königin, »weil ich es wünsche; und wünsche es, weil ich Verlangen trage, Sie ganz an mich zu knüpfen. Unmöglich könnte ich mit Ihrer Freundschaft zufrieden sein, wenn Sie verliebt wären. Man darf denen, die es sind, nicht vertrauen, da man nicht sichergeht, daß sie ein Geheimnis wahren. Sie sind zu unbedachtsam und zu zwiespältig, und ihre Liebe beschäftigt sie völlig, welches sich nicht mit der Art verträgt, in der ich Sie an mich zu knüpfen beabsichtige. Erinnern Sie sich also, daß ich Sie auf Ihr gegebenes Wort hin, keine Liebschaft zu haben, erwähle, um Ihnen mein ganzes Vertrauen zu schenken. Erinnern Sie sich, daß ich Ihr Vertrauen ganz besitzen will, daß Sie nur Freunde und Freundinnen haben sollen, welche mir genehm sind, und daß Sie sich jeder anderen Sorge, als mir zu gefallen, zu entschlagen haben. Ich werde Ihr Glück nicht außer acht lassen und will es mit mehr Sorgfalt behüten, als Sie selber; was ich auch für Sie tue, ich werde mich damit für gut bezahlt erachten, daß ich Sie mir so zugetan finde, wie ich es hoffe. Und erwählte Sie, um Ihnen all meinen Kummer anzuvertrauen, und damit Sie mir ihn lindern helfen. Sie können sich denken, daß er nicht gering ist. Dem Anscheine nach dulde ich ohne große Not des Königs Liebschaft mit der Herzogin von Valentinois, doch sie ist mir unerträglich. Sie beherrscht den König, sie täuscht ihn, sie mißachtet mich; alle meine Leute stehen zu ihr. Die Dauphine, meine Schwiegertochter, baut auf ihre Schönheit und den Einfluß ihrer Oheime und erweist mir keine Ehrerbietung. Der Konnetabel von Montmorency ist des Königs und des Reiches Gebieter, er haßt mich und läßt mich Beweise seines Hasses fühlen, die ich nicht vergessen kann. Der Marschall von Saint-André ist ein kühner, junger Günstling, welcher sich nicht besser als die anderen zu mir stellt. Die Einzelheiten meines Unglücks würden Ihnen Mitleid abzwingen, ich habe mich bislang niemandem anzuvertrauen gewagt, ich vertraue mich Ihnen an, sorgen Sie dafür, daß ich es nimmer bereue, und seien Sie mein einziger Trost!« Die Augen der Königin sprühten Flammen, als sie diese Worte vollendet hatte, ich war nahe daran, mich ihr zu Füßen zu werfen, so sehr war ich über ihre Güte gegen mich gerührt. Seit dem Tage hatte sie volles Vertrauen zu mir, sie tut nichts, ohne sich mit mir darüber zu bereden, und ich ging ein Verhältnis mit ihr ein – ein Verhältnis, welches noch besteht ...


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