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Ich weiß noch, wie ich einmal als Kind an einem alten Hof vorüberfuhr, von dem man wußte, daß es da ein Heinzelmännchen gab. Dieser Hof lag sehr einsam und unschön an einem flachen Seeufer. Es war kein Garten um das hohe, weiße Wohnhaus, nur ein paar verkrümmte Bäume standen da. Es war der reizloseste Ort, den ich je gesehen. Aber es schien ein reicher Hof zu sein. Die Wirtschaftsgebäude waren wohlgebaut und von großem Zuschnitt, und auf den Feldern stand die Saat so üppig, daß ich mich noch heute dessen entsinne.
Das merkwürdigste war, die Ordnung zu sehen, die überall herrschte. Ich erinnere mich, daß wir ganz langsam vorbeifuhren, um zu sehen, wie gut die Gräben gezogen waren, wie schnurgerade die Wege liefen und wie fest die Brücken gebaut waren. Wir betrachteten die niedlichen, bemalten Boote, die sich am Strande schaukelten, und eine unermeßlich lange Waschbrücke, die gerade hinaus in den See lief. »Wahrscheinlich will das Heinzelmännchen, daß sie ihre Wäsche in richtig tiefem Wasser spülen, nicht in dem seichten Strandwasser,« sagten wir.
Denn niemand zweifelte daran, daß alles auf diesem Hofe des Heinzelmännchens wegen so war, und daß die Leute, die dort wohnten, an es glaubten. Aus Angst vor dem Heinzelmännchen durfte kein Strohhalm, kein Span auf dem Hofplatz herumliegen, darum war der Viehstall geputzt wie eine gute Stube, und die Felder waren wie Gartenbeete.
Dieses Heinzelmännchen hatte es zu allen Zeiten auf dem Hofe gegeben, und aus allen Zeiten erzählte man sich Geschichten von ihm. Hier will ich eine berichten, die sich vor etwa zweihundert Jahren zugetragen haben mag.
Es war in einer dunklen Herbstnacht, der Regen goß über die grauen Klotzwände, denn damals war der Herrenhof weder bretterverkleidet noch getüncht, und der Sturm peitschte alle Zweige des hohen Holzapfelbaums, der am Giebel stand, gegen den Dachfirst.
Mitten im ärgsten Unwetter kam eine Eule geflogen. Sie hatte ihr Nest oben im Dachstuhl, auf einem der großen Böden und pflegte durch ein kleines Loch dicht unter der Dachrinne dort hineinzufliegen. Aber bevor sie noch die Luke finden konnte, packte sie der Wind, blähte ihr dichtes Federkleid auf, so daß sie wie ein runder Ball aussah, und schleuderte sie ein paarmal gegen die Wand. Da gab der Vogel jeden weiteren Versuch auf, hereinzukommen. Anstatt dessen setzte er sich auf den Holzapfelbaum und schrie die ganze Nacht hindurch.
Drinnen im Hause war es ganz stumm und still, aber aus dem Lichtschein, der durch die Spalten der Fensterläden rieselte, merkte man, daß die Hausbewohner noch nicht zu Bett gegangen waren. Hin und wieder hörte man Lärmen und lautes Lachen, gleich darauf wurde es wieder totenstill.
Gegen elf Uhr nachts kam die alte Haushälterin des Gutshofs in den Flur hinaus, sie war völlig angekleidet und trug ihre schweren Schlüssel an der Seite, von denen sie sich weder Tag noch Nacht trennen konnte. Die schwere Türe war mit vier verschiedenen Schlössern versperrt, und es dauerte geraume Zeit, bis die alte Frau sie öffnen konnte. Sowie sie einen Spalt aufgebracht hatte, war der Wind schon zur Stelle, schwang sie sperrangelweit auf, warf der Haushälterin einen ganzen Regenschauer ins Gesicht und wirbelte unter den Strohmatten des Hausflurs herum, so daß sie sich krümmten wie die Schlangen.
Die alte Frau schloß die Tür hinter sich zu und wanderte in die Nacht hinaus. Sie ging sehr rasch, wie von einer großen Angst gejagt, und murmelte unaufhörlich: »Der Herr bewahre uns! Der Herr bewahre uns!«
Sie leuchtete sich mit einer Hornlaterne, aber sie war so ganz davon eingenommen an das zu denken, was sie erschreckte und ängstigte, daß sie sich das Licht gar nicht zunutze machte, sondern in Wasserpfützen hineintrat, die sie leicht hätte vermeiden können. Einmal ums andere kam sie in der Verwirrung von dem ausgetretenen Pfad ab, geriet auf den Graswall hinauf und blieb an einer Dornenhecke hängen, die ihr ein Stück aus dem Kleide riß. All dies schien sie gar nicht zu merken. Sie setzte ihre Wanderung unverdrossen fort, indem sie ihr: »Der Herr bewahre uns! Der Herr bewahre uns!« murmelte.
Endlich kam sie zu dem Stallgebäude. Sie stieg die Bodentreppe hinauf, die klein und schmal war und sich an der Außenseite des Hauses entlang schlängelte, und blieb vor dem Türchen zum Heuboden stehen.
Hinter dem Türchen schimmerte ein Lichtschein, und als die Haushälterin sich vorbeugte, konnte sie in ein kleines Stübchen sehen, dessen Wände mit Pferdegeschirr, Zügeln, Sätteln und Riemen behangen waren. Eigentlich war es gar keine Stube, sondern nur eine Abteilung des Heubodens. Das Heu quoll durch die undichten Bretterwände herein, und mitten auf dem Boden war eine große Klappe, durch die man in den Stall hinunterklettern konnte. Auf einem Bett in der Ecke der Kammer saß der alte Gutskutscher. Der leuchtete sich mit einem Kienspan und las in Gottes Wort. Er saß da, als hätte er nicht die Ruhe gehabt, sich bei diesem schweren Unwetter niederzulegen. Jeden Augenblick hob er den Kopf vom Buche und lauschte dem Sturm, dem Regen und dem Eulenschrei.
Die Haushälterin pochte an, und der Kutscher kam und öffnete. Er begann sich sogleich zu entschuldigen, daß er bei offenem Licht dort auf dem Boden saß. Er schien zu glauben, daß sie eigens in die Nacht hinausgegangen war, um ihn zu ermahnen, achtsam mit dem Feuer zu sein. »Ich weiß schon, daß es gefährlich ist«, sagte er, »aber ich meinte, es täte not, daß jemand in dieser Nacht in Gottes Wort liest.«
Die alte Frau gab darauf keine Antwort. Sie setzte sich auf eine Kiste, die voll Lederstücke und altem Eisen war. Ihr lag noch ein solcher Schrecken in den Gliedern, daß sie nicht bei voller Besinnung war, die Hände zerrten an der Schürze, und die Lippen regten sich zu einem unverständlichen Gemurmel.
Der Kutscher saß da und sah sie an, bis der Schrecken, der auf ihr lastete, sich auch ihm mitteilte. Seine alten matten Hände und seine zahnlosen Kinnladen begannen zu zittern.
»Ist dir der Altvater begegnet?« fragte er flüsternd.
Altvater, das war das Heinzelmännchen. Man kannte ihn dort auf dem Hof unter keinem anderen Namen.
»Nein,« sagte die Haushälterin, »und vor dem Altvater würde ich mich wohl auch nicht fürchten. Er will uns nur wohl.«
»Dessen sollst du nicht so sicher sein,« sagte der Kutscher. »Er ist ein gar gestrenger Herr, und in letzter Zeit haben sich wohl allerhand Dinge auf dem Hofe zugetragen, mit denen er nicht einverstanden war.«
»Wenn er so streng wäre, wie du glaubst, würde er den Rittmeister wohl nicht so hausen lassen, wie er es tut.«
Der Kutscher suchte sie zu beschwichtigen: »Du darfst doch nicht vergessen, daß du vom Herrn sprichst.«
»Ich kann darum doch nicht die Augen davor verschließen, daß er sich selbst und den Hof zugrunde richtet«, klagte sie.
»Der Herr Rittmeister ist nun einmal der Herr im Hause. Wir sind nur seine armen Diener,« wiederholte der Kutscher mit wichtiger Stimme. Aber plötzlich schlug die Stimme um, und er fragte in äußerster Angst: »Hat er nun wieder eine neue Tollheit ausgeheckt?«
»Ich habe den ganzen Abend an der Speisesaaltür gestanden und gehört, wie er all sein Geld verspielt hat,« sagte die Haushälterin und wiegte sich mit dem Oberkörper hin und her, wie sie da saß. »Als das Geld zu Ende ging, verspielte er Pferde und Kühe. Als es mit den Tieren zu Ende ging, begann er um den Hof zu spielen. Er setzt Kate um Kate, Wald um Wald, Weide um Weide, Acker um Acker und verliert alles miteinander.«
Der Kutscher hatte sich, als er dies hörte, halb von seinem Platz erhoben, so, als wollte er forteilen und all dies Unheil verhindern. Aber dann setzte er sich in einem Gefühl der Ohnmacht wieder hin. »Der Rittmeister ist der Herr,« sagte er. »Er kann mit dem, was sein ist, tun, was er will. Aber ich verstehe nicht, daß der Altvater sich nicht ins Spiel mischt.«
»Er hält sich ja immer hier im Stalle auf, er weiß wohl nicht, was sich drinnen bei uns zuträgt,« sagte die Haushälterin.
Lange blieb es auf dem Dachboden still. Endlich sagte der Kutscher: »Wer ist's denn, der heute nacht mit ihm spielt?«
»Es ist der Hauptmann Duwe, er, der gewinnt, wie er nur die Würfel anrührt.«
»Der Kerl ist ebenso arm an Geld und Gut wie an Herz und Gemüt,« sagte der Kutscher nachdenklich. »Von ihm hat der Herr Rittmeister keine Barmherzigkeit zu erwarten.«
»Bald gehört ihm ganz Töreby,« sagte die Haushälterin.
Der Kutscher griff zur Bibel, wandte sich seitwärts, um ins rechte Licht zu kommen, und begann zu lesen.
»Ich glaubte, ich müßte den Verstand verlieren, wie ich so dastand und ihnen zuhörte,« sagte die Haushälterin, »so unheimlich war es. Anfangs waren sie lustig, und unser gnädiger Herr lachte über alles, was er verspielte. Aber jetzt sind sie ganz still, nur wenn unser Rittmeister einen neuen Acker verloren hat, dann flucht er, und der andere lacht.«
Der alte Kutscher murmelte in sich hinein und las, aber er sprach keine Bibelworte aus. Über seine zitternden Lippen kam nichts anderes als dies: »Kate um Kate, Wald um Wald, Weide um Weide, Acker um Acker.«
»Was hilft es, daß du liesest?«, sagte die Haushälterin. »Wenn du ein ganzer Kerl wärest, so gingest du hinein und brächtest ihn im guten oder bösen dazu, aufzuhören, bevor er noch den ganzen Hof verspielt hat.«
»Ich habe lang genug in diesem Hause gedient, damit ich weiß, wie leicht es ist, einen Silfverbrandt dazu zu bringen, mit etwas aufzuhören, wenn er einmal im Zuge ist. Geradeso gut könnte ich versuchen, die Toten aufzuwecken.«
»Ja, dies müßte auch genug sein, um seine Eltern aus dem Grabe zu wecken,« sagte die Haushälterin.
Der Kutscher schlug das Buch zu. »Das ist das schlimmste an der ganzen Sache, daß er nicht einsieht, daß es nicht angeht, auf diesem Hofe ein solches Leben zu führen. Ich weiß noch, wie oft ich zu seinem seligen Vater sagte: ›Gebt Töreby nicht Herrn Henrik,‹ sagte ich, ›er kann nie ein Herr nach Altvaters Sinn werden. Gebt es seinem Bruder, der ist gesetzt und ernst, und laßt Herrn Henrik einen Hof, der keine solche Verantwortung auferlegt.‹«
»Ja, jetzt fällt Töreby weder an Herrn Henrik noch an Herrn August. Jetzt kommt es an diesen Hauptmann Duwe, bis er es wieder an einen anderen verspielt.«
Der Kutscher erhob sich entschlossen. Er knöpfte seine Jacke zu und nahm den Kienspan aus dem Halter. Man sah deutlich, daß es seine Absicht war, zu gehen und zu versuchen, mit seinem Herrn zu sprechen.
Aber als er den Kienspan hob, hielt er ihn so, daß ein Lichtschein auf die viereckige Öffnung im Boden fiel, durch die er in den Stall hinunter zu klettern pflegte. Und nun sahen beide, der Kutscher wie die Haushälterin, daß auf der Leiter, die durch das Loch hervorragte, ein Heinzelmännchen stand. Es stand auf der obersten Staffel, klein und grau war es und trug Kniehosen und eine graue Jacke mit Silberknöpfen. Es lauschte mit solcher Bestürzung und Verblüffung, daß es aussah, als sei es völlig versteinert.
Kutscher und Haushälterin wandten sofort den Blick ab. Keines von ihnen verriet auch nur durch eine Miene, daß sie das Heinzelmännchen gesehen hatten.
»Ja, nun glaub' ich, ist's das beste, wenn wir alten Leute gehen und uns niederlegen,« sagte der Kutscher in einem Ton, den er unbefangen zu machen suchte. »Du weißt, in diesem Hofe braucht man nachts nicht aufzubleiben, auch wenn ein Unglück zu erwarten wäre. Hier ist jemand, der wacht.«
»Ja, du hast recht. Hier ist einer, der wacht,« sagte die Haushälterin unterwürfig. Ohne ein weiteres Wort nahm sie die Laterne vom Boden auf, kroch durch die Luke hinaus und verschwand über die Bodentreppe.
Als die alte Frau ins Haus zurückkam, war es ihre bestimmte Absicht, sich ungesäumt zur Ruhe zu legen. Denn einerseits wußte sie, daß unnötiges Nachtwachen dasjenige war, was das Heinzelmännchen am wenigsten leiden mochte, andrerseits glaubte sie, daß es die Sache ohnehin in Ordnung bringen würde, nun es wußte, was auf dem Spiele stand. Aber sie hatte noch kaum mehr von sich gelegt als den schweren Schlüsselbund, da überkam sie eine so starke Lust zu erfahren, wie es nun zwischen den Spielenden stand, daß sie sich wieder zur Speisesaaltüre schlich.
Als sie sich bückte und das Auge an das Schlüsselloch legte, sah sie, daß Rittmeister Silfverbrandt und Hauptmann Duwe noch am Spieltisch saßen. Der Rittmeister sah furchtbar müde und matt aus. Der Haushälterin wollte es scheinen, als hätte er sich in der kurzen Spanne Zeit, die sie fortgewesen war, völlig verändert. Er war nunmehr weder schön, noch jung, noch stattlich, sondern gebleicht und verstört, mit Säcken unter den Augen, Runzeln auf der Stirn und tastenden Händen. Duwe war rot im Gesicht, und die Augen standen ihm blutunterlaufen aus dem Kopfe, aber er verbarg alle Erregung unter frohgelauntem Plaudern und unaufhörlichem Lachen.
Die Haushälterin hatte noch keine zwei Minuten an der Speisesaaltüre gelauscht, als Silfverbrandt den Stuhl zurückschob und rief: »Jetzt ist es aus, Duwe. Jetzt habe ich vom ganzen Hof nur mehr die Tanneninsel dort draußen im See übrig. Die mußt du mir lassen, damit es doch noch etwas auf Erden gibt, was ich mein nennen kann.«
Duwe lachte, aber er sah nicht zufrieden drein. »Ewig schade, das Spiel abzubrechen,« sagte er. »Wenn du all das andere gewagt hast, kannst du uns wohl auch um diesen Steinhaufen würfeln lassen.«
Silfverbrandt ging im Zimmer auf und ab. Man sah es ihm wohl an, daß er noch vom Spielteufel besessen war. Er trauerte nicht so sehr, daß er alles verloren hatte, wie daß er nicht weiter spielen konnte.
»Was setzest du gegen die Insel?« fragte er. Duwe bedachte sich einen Augenblick. Die Haushälterin begriff, daß er einen Einsatz ausfindig zu machen suchte, der Silfverbrandt sicher bewegen konnte, weiterzuspielen.
»Ich setze dein Reitpferd,« sagte Duwe.
Silfverbrandt liebte sein Reitpferd über alles auf Erden. Er begann ganz schrecklich zu fluchen. Er fragte Duwe, ob er denn der leibhaftige Böse wäre, da er ihn solchermaßen versuchte.
Die Haushälterin merkte, daß der Rittmeister jedesmal, wenn er auf seiner Wanderung zu einer dunklen Ecke des Zimmers kam, wo Duwe ihn nicht sehen konnte, vor Zorn die Hände ballte.
»Das ärgste ist, daß ich weiß, daß ich dich erschlagen werde, wenn ich dich auf meinem Pferd reiten und auf meinem Hof befehlen sehen werde,« sagte er zu Duwe.
»Kannst du es einem armen Kerl nicht gönnen, wenn er es auf seine alten Tage ein bißchen sorgenfrei hat?« sagte Duwe und lachte. »Du bist ja jung und stark, du findest schon bald anderswo Pferd und Hof.«
Die ganze Zeit, die die Haushälterin da stand, hatte sie sich gewundert, was wohl mit der Türe los sein mochte, die vom Saale in den Flur führte. Einmal ums andere öffnete sie sich ein wenig und schloß sich wieder. Aber jedesmal wenn Silfverbrandt an dieser Tür vorbeiging, war es, als ob eine kleine Hand sich durch den Spalt hineinsteckte und ihm zuwinkte.
Silfverbrandt ging mehrere Male an der Türe vorbei, ohne etwas zu merken, aber plötzlich blieb er stehen und starrte sie an.
»Na, kommst du jetzt?« fragte Duwe.
»Ich bin im Augenblick wieder da,« sagte Silfverbrandt und ging in den Flur hinaus.
Die Haushälterin glitt stumm wie ein Schatten von der Speisesaaltüre fort. Eine Sekunde darauf stand sie in der Vorratskammer, das Gesicht an ein Fensterchen gedrückt, das auf den Flur ging.
Da stand Silfverbrandt über das Heinzelmännchen gebeugt. Altvater hielt eine kleine Laterne in der Hand, und von dort verbreitete sich ein wenig Licht in den dunklen Raum.
»Was gibst du mir, wenn ich es so einrichte, daß du den Hof zurückgewinnst?« fragte der Hausgeist.
»Ich gebe dir, was du willst,« sagte Silfverbrandt.
Das Heinzelmännchen fuhr mit der Hand in die Tasche und zog ein paar Würfel heraus. »Wenn ich dir diese Würfel leihe und du heute nacht mit ihnen spielst, so glaube ich wohl, daß du den Hof zurückgewinnst,« sagte es zu Silfverbrandt.
Silfverbrandt streckte die Hand aus. »Gib her! Gib her!«, sagte er.
»Du bekommst sie nur unter der Bedingung, daß du morgen mit mir um einen Einsatz spielst, den ich selbst bestimme,« sagte das Heinzelmännchen.
Just in diesem Augenblick schrie die arme Eule laut und schaurig. Silfverbrandt sah auf und lauschte.
Die alte Haushälterin merkte, wie die Augen des Heinzelmännchens böse und gehässig zu funkeln begannen. Sie wollte schon die Scheibe einschlagen und ihrem Herrn zurufen, auf seiner Hut zu sein und kein Bündnis mit ihm einzugehen. Aber im selben Augenblick sah der Hausgeist mit einem furchtbaren Blick zu ihr auf. Sie blieb mäuschenstill und wagte keinen Finger zu rühren.
Aber auch Silfverbrandt schien etwas Schreckliches an dem Heinzelmännchen gesehen zu haben. Er zog die Hand zurück und schien im Begriffe, sich in den Saal zu begeben.
Dann blieb er stehen. »Ich weiß nicht, warum ich dir etwas Böses zutrauen soll, Altvater, du hast ja immer getreulich für dieses Haus gesorgt,« sagte er. »Du willst gewiß nur mein Bestes. So gib mir die Würfel her! Morgen mag es gehen, wie es will, wenn ich nur heute nacht Duwe ebenso arm machen kann, als er war, da er ehegestern in diesen Hausflur trat.«
Im Augenblick darauf war Silfverbrandt wieder im Saale.
»Jetzt bleibe ich aber nicht länger hier sitzen und höre mir das Eulengeschrei und den Sturm an, ohne zu spielen,« brach Duwe los. »Ich gehe jetzt zu Bette.«
»Willst du mir nicht noch zuerst diese Tanneninsel abgewinnen?«, fragte Silfverbrandt, indem er sich am Spieltisch niederließ.
Er nahm den kleinen Becher, in dem die Würfel lagen, und schüttelte sie. Dann spielten er und Duwe mehrere Stunden lang, aber Silfverbrandt gewann jedesmal. Unterdessen hörte das Unwetter auf, die Eule fand den Weg in ihr Nest, die alte Haushälterin mußte vor Müdigkeit ihr Lager aufsuchen, aber Silfverbrandt ging nicht zur Ruhe, ehe er nicht Acker um Acker, Weide um Weide, Wald um Wald, Kate um Kate zurückgewonnen hatte, so daß ganz Töreby wieder sein war.
Ein prächtiger Morgen folgte der Unwetternacht: hoher, blauer Himmel, frische Luft und ein spiegelnder klarer See.
Die alte Haushälterin wurde zu ihrem Herrn hineingerufen, während dieser noch zu Bette lag.
Als sie die Schlafkammertüre öffnete, dünkte es ihr, daß etwas Kleines und Graues an ihr vorbei huschte. Sie sah gerade nur so viel, daß sie zusammenzuckte. Dann war es verschwunden.
Rittmeister Silfverbrandt lag sehr bleich drüben im Bette. »Hat Sie ihn gesehen?« fragte er.
»Nein,« sagte die Haushälterin aus alter Gewohnheit. Man glaubte, daß es dem Heinzelmännchen nicht recht war, wenn man sagte, daß man es gesehen hatte.
»Es war der Altvater,« sagte der Rittmeister. »Er ging gerade, als Sie hereinkam. Er war hier drinnen und hat mit mir gewürfelt.«
Die Haushälterin stand da und starrte ihren Herrn an. »Altvater ist mit mir nicht recht zufrieden,« sagte der Rittmeister. »Er will lieber, daß mein Bruder den Hof bekommt. Und Sie wünscht es sich vielleicht auch.«
Der Rittmeister sah ganz sonderbar aus. Die alte Frau wußte nicht, was sie antworten sollte.
»Ja, den alten Duwe habe ich ja doch vom Hof weggebracht,« fuhr Silfverbrandt fort. »Ich wollte Altvater die Hilfe lohnen, indem ich es hier auf dem Hofe so werden ließ, wie er es haben will, aber er hat kein rechtes Vertrauen zu mir. Er setzt so wunderliche Dinge im Spiel ein, dieser Kobold. Er ist ärger als Duwe.«
Die Haushälterin begann zu zittern und zu murmeln wie in der Nacht: »Der Herr bewahre uns!«
»Na, stehe Sie nicht so da, Menschenskind, und mache Sie kein so bekümmertes Gesicht,« sagte Silfverbrandt, »spute Sie sich lieber und putze Sie mir meine Uniform! Poliere Sie das Bandelier, scheure Sie die Knöpfe und putze Sie die Flecken aus! Das Reitpferd soll auch mit dem besten Zaumzeug gesattelt werden. Die Mähne muß gestrählt sein, die Steigbügel müssen blinken, und die Lederriemen glänzen!«
Die Haushälterin sah ihren Herrn erstaunt an. Sie ging und kam sogleich mit der Uniform wieder. In einem solchen Hofe wie Töreby gab es nichts, das nicht geputzt und gestriegelt, poliert und wohlgepflegt gewesen wäre.
So stand denn Rittmeister Silfverbrandt auf, legte die blaue Uniform an, rückte den dreikantigen Hut auf dem Kopf zurecht, schnallte den Säbel an die Seite und zog die langen steifen Stulphandschuhe an. Er trat auf die Schwelle und sprang auf sein Pferd, das gesattelt draußen wartete.
Zweimal ritt er rings um den Hof, dann schwenkte er zum See hinab, wo die lange Waschbrücke, die gerade vom Ufer wegragt, schon dazumal stand. Er sah so prächtig und stolz aus, wie er da ritt, daß alles Hausgesinde herauskam, um ihn anzusehen. Und der Kutscher und die Haushälterin sahen alle beide, wie das Heinzelmännchen sich zur Stalluke hinausbog und dem Gutsherrn nachsah.
Als der Rittmeister zum Seeufer hinabkam, ritt er auf die Brücke hinaus. Er saß hoch und stolz im Sattel wie ein Held, und das Pferd ging mit kurzen, tanzenden Schritten. Als die Brücke zu Ende geritten war, entstand ein kurzer Kampf zwischen Reiter und Pferd. Das Pferd wollte wenden, aber Rittmeister Silfverbrandt zwang es mit Reitpeitsche und Sporen weiter zu gehen. Und mit einem hohen Sprung stürzte sich das Pferd in das Wasser.
Alle, die auf dem Hofe gestanden hatten, fingen nun an, zum See hinab zu laufen. Aber als sie hinkamen, waren Reiter und Pferd verschwunden. Sie waren sogleich untergegangen, ohne wieder auf den Wasserspiegel hinaufzukommen.
Die jungen Burschen sprangen in die Boote und ruderten auf den See hinaus. Alle sprachen durcheinander und suchten Rat und Hilfe zu bringen, aber die alte Haushälterin blieb still. »Es nützt nichts,« sagte sie. »Das ist der Hausgeist. Er hat sein Leben an den Hausgeist verspielt, für die Hilfe, die er ihm heute nacht gebracht hat.«
Als die Menschen, bestürzt und entsetzt, zum Hofe zurückkehrten, stand das Heinzelmännchen von Töreby, allen sichtbar, in der Stalluke und winkte siegesstolz mit seiner roten Mütze.
Denn nun wußte es, daß Ordnung und Stille und ein ernstes Leben wieder auf Töreby einziehen würde.