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In dem Salon, in dem das arme Lenchen zur Verlobung mit Max Susemaus verurteilt worden war, versammelte sich pünktlich um zwei Uhr mittags die von Tante Ida eingeladene Festgesellschaft. Die Gastgeberin selbst trug das »gute Schwarzseidene«, das mit wertvollen alten Spitzen garniert war und hatte einen hochroten Kopf.
Denn seit vierundzwanzig Stunden hantierte sie mit Fränze in Küche und Keller herum . . .
Sie war noch eine Hausfrau von der alten Schule, eine entschiedene Gegnerin der modernen Gewohnheit, das Essen bei festlichen Gelegenheiten zum Preise von drei bis zwanzig Mark aufwärts in einer Stadtküche anzumieten, und setzte ihren ganzen Stolz darein, daß von der Suppe bis zur süßen Speise alles im eigenen Hause zubereitet würde . . .
Zuerst erschien die Familie Malthus.
113 Der alte Professor machte einen durchaus vornehmen Eindruck. Das graue, lockige Kopfhaar wies noch keine Lücken auf, und unter der hohen, gewölbten Stirn blitzten die Augen in jugendlichem Feuer. Silbern wallte der wohlgepflegte Vollbart auf die Brust hernieder, und die biegsame, elegante Gestalt vervollständigte den Eindruck eines Grandseigneurs.
Georg besaß die Figur seines Vaters, aber sein blondes, etwas nichtssagendes, undurchgeistigtes Gesicht kennzeichnete ihn als den Dutzendmenschen, der er war.
Lenchen trug ein einfaches weißes Kleid mit einer dunkelroten Rose am Gürtel. Sie war etwas bleicher als gewöhnlich, und der leise Zug von Schwermut, der auf ihrem lieblichen Antlitz lagerte, verlieh ihr einen eigenen und besonderen Reiz. Die Rose stammte nicht aus dem opulenten Blumenkorb, den ihr Max gesandt hatte – sie war eine Gabe von Sieghard, dem sie – natürlich »ganz zufällig« – in der Nähe des Anhalter Bahnhofs begegnet war . . .
Dann trat der alte Buchhalter ein, um dessen zermürbte Glieder ein uralter Gehrock unmögliche Falten schlug. Er verbeugte sich linkisch nach allen Seiten und zog sich dann diskret in eine Ecke zurück.
114 Der nächste war Moritz.
Er überreichte Tante Ida einen prachtvollen Blumenstrauß, durch den er das Herz der alten Dame, die an solche galante Geschenke nicht gewöhnt war, im Fluge eroberte. Als er Lenchen vorgestellt wurde, drückte er ihr herzlich die Hand und sagte einfach:
»Ich hoffe, wir werden gute Freundschaft halten . . .«
Diese Form der Begrüßung tat ihr wohl . . . Sie hatte einen Glückwunsch erwartet, der ihr natürlich peinlich gewesen wäre, und statt dessen klang ihr ein Wort der Sympathie entgegen, das sie als günstiges Omen für die Zukunft deutete . . .
Zuletzt stürmte Max ins Zimmer, . . . nervös, unstät, aufgeregt . . . Seine Worte übersprudelten sich . . .
»Bitte tausendmal um Entschuldigung . . . Kein Auto zu kriegen! . . . Bei dem schönen Wetter ist alles ausgeflogen, . . . da konnte ich nicht mal 'ne Droschke bekommen . . . Von der Schloßbrücke mußte ich bis hierher zu Fuß marschieren . . . Und dabei die ekelhafte Hitze . . .«
Oberflächlich begrüßte er seine Braut und drückte ihr einen flüchtigen Kuß auf die Hand, bewillkommnete Schwager und Schwiegervater 115 und schlug Moritz kräftig auf die Schulter mit den Worten:
»Na, was sagst du? . . . Amerika kommt gestern abend bombenfest für Kanada!« –
Aber noch ehe Moritz sich mit Max über dieses Thema weiter unterhalten konnte, nahm ihn Professor Malthus in Beschlag, um ihn auf die beiden Porträts aufmerksam zu machen, die die Mittelwand des Salons zierten.
»Sie sind gewiß ein großer Kunstkenner, Herr Hirsch! . . . Wie gefallen Ihnen diese Bilder? . . . Ich habe sie«, fügte er seufzend hinzu, »in einer Zeit geschaffen, wo man noch wirklich malte und nicht schmierte . . . Aber wir Alten sind heute unmodern geworden . . . Die feine, sorgsame Ausführung widerspricht dem heutigen Geschmack. Kitschig klecksen – das ist die heutige Kunstparole!« . . .
Moritz betrachtete aufmerksam die Porträts. Dann sagte er:
»Ich habe die Herrschaften zwar nicht persönlich gekannt – aber sie scheinen mir außerordentlich ähnlich . . . Uebrigens«, fügte er hinzu, »müssen Sie mich nicht für einen Kunstkenner halten . . . Ich bin noch nie in der Nationalgalerie gewesen, trotzdem mich mein Weg zur Börse täglich zweimal dort vorbeiführt . . . 116 Fürs Theater habe ich auch nicht viel übrig, dagegen bin ich ein begeisterter Anhänger des Kientopps . . . Wenn ich da auf der Leinwand das Meer sehe, dann schlagen die Wellen wirklich hoch empor, dann schäumt die Brandung, dann spritzt der Gischt zum Himmel auf . . . und das kann mir selbst der beste Achenbach nicht geben . . . Das ist eben Natur und«, setzte er lächelnd hinzu, »ich werde in Kunstdingen ewig ein urteilsloser Banause bleiben . . .«
Die Konversation wurde durch die Aufforderung Tante Idas unterbrochen, zu Tisch zu gehn.
Fräulein Susemaus saß an der Spitze, rechts von ihr das Brautpaar und Professor Malthus, links Moritz, Georg und der alte Buchhalter.
Die Unterhaltung kam nicht recht in Fluß, und erst der 93er Erbacher, der nach den Forellen serviert wurde, löste etwas die trägen Zungen.
Der einzige Luxus von Tante Ida war ihr Weinkeller. Sie selbst trank gern einmal einen guten Tropfen, und es war ihr größtes Vergnügen, lieben Gästen zuweilen so eine erlesene Flasche vorsetzen zu dürfen. Als der würzige Duft der berauschenden Blume den alten 117 Kristallkelchen entströmte, hob sie mit zitternden Händen ihr Glas und sprach laut und vernehmlich:
»Auf das Wohl unseres lieben Brautpaares! . . .«
Die Gläser klangen klirrend aneinander, aber die rechte Begeisterung fehlte.
Nur der alte Buchhalter fühlte sich verpflichtet, dreimal so laut wie möglich »Hoch« zu rufen, blieb jedoch mit dieser Kundgebung vereinzelt.
Die anderen aßen weiter, als ob nichts Besonderes vorgefallen wäre.
Moritz versuchte auf alle mögliche Weise, seine Nachbarin zu unterhalten, aber seine Bemühungen scheiterten daran, daß Fräulein Susemaus durch den Gang der gastronomischen Handlung allzu sehr in Anspruch genommen war.
Nachdem der zarte Rehrücken allseitigen Beifall gefunden und das prickelnde Erzeugnis der alten berühmten Firma »Veuve Cliquot« in den Pokalen schäumte, klopfte Moritz ans Glas und sprach:
»Es steht ein Nußbaum vor dem Haus,
Der gleicht der Tante Susemaus,
Weil's trotz des Alters ihm gelingt,
Daß er alljährlich Früchte bringt. 118
Die starken Wurzeln, fest und zäh,
Sie trotzen Stürmen, Eis und Schnee;
Aus alter Scholle Mark und Saft
Erneut sich seine Jugendkraft! . . .
Ja, diese Kraft, sie ließ erblühn
Das Fischerdorf zu Groß-Berlin,
Drum bring' ein donnernd Hoch ich aus
Dem Nußbaum und der Susemaus!«
Wieder stießen die Gläser aneinander, aber das klang ganz anders als das erstemal . . . Der Jubel war laut und echt, und der alte Buchhalter brauchte sich nicht allein zu bemühen . . .
Tante Ida war beseligt.
Sie fühlte, daß man sie gern hatte, und daß dieses Hochrufen von Herzen kam . . . Sie verteilte Küßchen nach rechts und Küßchen nach links, und die Stimmung wäre beinahe fidel geworden, wenn sich Georg nicht hätte zu der taktlosen Bemerkung hinreißen lassen:
»So'n Glas Clicquot, auch genannt ›Die gelbe Tante‹, das schmeckt doch ganz anders als die ›Perle von Biebrich‹ . . .
Lenchen sandte ihrem Bruder einen vernichtenden Blick zu, Max drehte verlegen den Schnurrbart, und Tante Ida war ebenfalls sichtlich unangenehm berührt.
119 Da die Stimmung umzuschlagen drohte, griff Moritz beherzt ein, indem er an seinen Trinkspruch anknüpfte:
»Ja, das alte Berlin«, meinte er zu Tante Ida gewandt, »das verschwindet von Tag zu Tag mehr . . . Das alte Berlin ist tot – und das neue liegt noch in den Windeln. Sehen Sie uns hier an, die wir hier an diesem Tisch versammelt sind. Ich bin aus Brieg, die Familie Malthus aus Mainz, und Sie, Herr Buchhalter?« . . .
Es dauerte eine Weile, bis er Antwort bekam, denn der brave alte Herr hatte den Mund so voll, daß ihm eine schnelle Erwiderung unmöglich war. Dann aber klang es schüchtern:
»Aus Demmin, Herr Hirsch, aus Demmin in Pommern . . .«
»Na, sehen Sie«, fuhr Moritz fort, »so sieht das heutige Berlin aus, und es wird noch eine ganze Weile dauern, und wir hier werden es wohl alle nicht mehr erleben, bis sich aus den tausend verschiedenen Elementen, die aus allen Provinzen der Metropole zuströmen, ein neues Berlin gebildet hat . . . Erst in der zweiten Generation wird sich wieder eine Berliner Eigenart bilden, denn die alte ist längst verlorengegangen. . . . Die alten Typen – der schlagfertige 120 Schusterjunge und der ulkige Eckensteher – sie sind längst vom Erdboden verschwunden . . . Sogar das Geschlecht der leichtlebigen, witzigen Börsianer, das einstmals im alten Wallner- und im alten Friedrich- Wilhelmstädtischen Theater über die Premierenerfolge entschied, ist längst ausgestorben . . . Der alte Berliner Humor modert unter dem grünen Hügel, und es war mir heiliger Ernst, als ich unsere verehrte Gastgeberin und den alten Nußbaum als die ehrwürdigen Vertreter jener längst entschwundenen Zeit gepriesen habe . . .«
Alle gaben dem Redner recht, und nun wurde auch Tante Ida gesprächig und guter Dinge.
Nur Lenchen blieb einsilbig, und man merkte, daß ihre Gedanken ganz wo anders waren, als in der Fischerstraße . . .
Als die Tafel aufgehoben war, begab man sich wieder in den Salon, während drin der Kaffeetisch gerichtet wurde . . .
Tante Ida hatte entschieden an Moritz Gefallen gefunden. Seine ganze Art sagte ihr zu, und sie machte ihm gegenüber aus dieser Empfindung keinen Hehl.
»Wissen Sie, Herr Hirsch,« sagte sie zu ihm, als sie gemütlich zusammen am Fenster saßen, 121 »Sie sind doch wirklich ein sehr netter Mensch . . . Ich will ja nicht indiskret sein, aber wie kommt es, daß Sie Junggeselle geblieben sind und keine treue Lebensgefährtin gefunden haben?« . . .
Moritz sah die Sprecherin mit listigen Augen an.
»Ja, sehn Sie, verehrtes gnädiges Fräulein . . . um Ihnen das zu erläutern, dazu muß ich Sie mit einem altpersischen Spruch bekanntmachen.«
Seine Bescheidenheit verbot ihm, sich selbst als Verfasser zu nennen.
»Also wie lautet diese Weisheit?« fragte Tante Ida neugierig.
Moritz deklamierte:
»Ein Mann – wer Reichtum und Glanz errungen,
Ein Held – wer siegreich das Schwert geschwungen,
Ein Gott – wer holde Frauen bezwungen,
Ein Narr – wer Liebe um Geld gedungen!«
»Na . . . . und? . . . .« meinte Fräulein Susemaus etwas mißtrauisch, denn es kam ihr so vor, als ob sich irgendeine Anzüglichkeit hinter den Versen verbergen sollte.
122 »Na . . . und? . . .« versetzte Moritz ganz unbefangen, »ich habe eben nie das Glück gehabt, um meiner selbst willen geliebt zu werden, und für den »Narren« war ich mir zu schade . . . Geld und Liebe sind für mich zwei Begriffe, die sich nie und nimmermehr vereinigen lassen . . . Ein Mann, der eine Frau des Geldes wegen heiratet, ist für mich genau derselbe Narr wie der, der außerhalb des Standesamtes Frauengunst für Gold aufwiegt . . . und da ich niemals so glücklich gewesen bin, ein Wesen zu finden, von dessen selbstloser Hingebung ich vollständig überzeugt gewesen wäre, und ich auch andererseits eingesehen habe, daß meine ganze äußere Erscheinung mich dazu auch gar nicht berechtigt, so habe ich eben den süßen Rosenbanden entsagt und fühle mich dabei recht wohl . . .«
Tante Ida war etwas verlegen geworden. Sie merkte, wo Moritz hinaus wollte, und sah in seinen Worten eine recht offene Kritik ihrer eigenen Handlungsweise . . .
Es war ihr also höchst willkommen, als Fränze ihr einen Wink gab, daß der Kaffee serviert sei.
Auch diese Mahlzeit ging ohne besonderen Zwischenfall vorüber, und das Gespenst der 123 Langeweile schlich immer näher, als Professor Malthus den glücklichen Einfall hatte, eine Skatpartie vorzuschlagen . . . . . Denn der Sonntagsskat gehörte zu den Lieblingsgewohnheiten von Tante Ida, und so willigte sie denn nach einigem formellen Sträuben ein.
Die Partie bestand aus Lene, die Tante Ida zu Liebe schon vor Jahren das Spiel erlernt hatte, dem Professor Malthus, Fräulein Susemaus und Moritz.
Max, Georg und der Buchhalter blieben im Eßzimmer. Der glückliche Bräutigam setzte sich in einen Schaukelstuhl und paffte eine Zigarre nach der anderen . . . Er träumte von jenen glücklicheren Sonntagen, an denen er mit seiner Meta hinaus nach dem Grunewald gefahren war, und er ließ im Geiste auch die Ereignisse jenes ersten Sonntags vorüberziehen, an dem er seine Freundin Meta zum erstenmal in Schlachtensee erblickt hatte . . .
Der alte Buchhalter hatte inzwischen den Versuch gemacht, Georg für den Gurkenhandel zu interessieren, aber seine Bemühungen scheiterten, und nachdem sich die beiden einige Minuten angegähnt hatten, waren sie sanft entschlummert . . .
Am Skattisch dagegen ging es lebhafter zu.
124 Tante Ida pflegte jedes Spiel, das sie verlor, als persönliche Beleidigung seitens ihrer Mitspieler aufzufassen, und als Moritz zusammen mit Lene wieder einen »Grand«, den die alte Dame unvorsichtig riskierte, »rumgebracht« hatten, verstieg sie sich sogar zu den Worten: »So ein verdammtes Pech! . . . . .«, worauf Moritz – Lenchen scharf ansehend – meinte:
»Ja, gnädiges Fräulein . . . . gegen uns beide müssen sie jedes Spiel verlieren . . .«
Diese Bemerkung wurde von Lenchen ganz richtig aufgefaßt, und Sie quittierte mit einem dankbaren Blick das darin enthaltene Angebot einer Allianz.
Gegen zehn Uhr brach die Gesellschaft auf.
Eine kühle, angenehme Luft wehte durch die geöffneten Fenster, und das milde Licht des Mondes ergoß sich silbern auf die alten Dächer. Beim Abschied gab Tante Ida ihrer Sympathie für den neuen Gast dadurch Ausdruck, daß sie ihn herzlich aufforderte, von nun ab jeden Sonntag wiederzukommen, was Moritz bereitwilligst zusagte.
Sie gingen zu Fuß bis zur Petrikirche. Den Abschluß des kleinen Trupps bildeten Moritz und Lenchen. Er hatte also Gelegenheit, 125 ihr zuzuflüstern, daß sie unbedingt auf ihn und seine Unterstützung in der ganzen Angelegenheit rechnen könne . . .
Max marschierte zwischen Schwager und Schwiegervater.
»Wann stört man dich morgen am wenigsten?« fragte der alte Malthus.
»Nachmittags von 4–6 bin ich immer zu Hause« . . . versetzte Max.
»Wann kann ich dich morgen nachmittag sprechen . . . aber allein?« murmelte Georg.
»Am besten um sieben Uhr,« gab Max zurück.
An der Ecke der Gertraudtenstraße stand ein einsames Auto.
Moritz winkte dem Chauffeur, während der Professor den anderen den Vorschlag machte, den Nachhauseweg zu Fuß anzutreten. Nur bei Max stieß er auf Widerspruch. Der machte allerlei Ausflüchte, aber es nutzte ihm nichts.
Er mußte laufen.
Moritz aber bestieg triumphierend die Kraftdroschke und rief seinem Freunde höhnisch nach:
»Und immer, immer denk' ich wieder
An dich, den Mondschein und den Flieder«. 126