Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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XVII.

Bei Lenchen und Sieghard, bei Max und dem Berg-Hirsch waren gleichlautende Briefe eingetroffen, die eine Aufforderung Tante Idas enthielten, sich am nächstfolgenden Sonntag nachmittag um vier Uhr zu einer »Besprechung« in der Fischerstraße einfinden zu wollen . . .

Fräulein Susemaus empfing ihre Gäste im Salon und begrüßte alle, auch Moritz und Sieghard, mit einem herzlichen Händedruck.

Das alte Fräulein hatte ihren besten Staat angelegt; ein neues Häubchen schmückte das greise Haupt, und der Rollstuhl, auf dem sie ruhte, stand an der Spitze des mit einer grünen Decke behangenen Tisches, von dem die Albums und Nippsachen abgeräumt waren.

Vor Tante Ida lag ein Aktenstück.

Mit einer gewissen Feierlichkeit wies sie jedem seinen Platz an.

221 Rechts – Moritz, dann folgte Max, links – Lenchen und der Baron . . .

Acht Augen waren gespannt auf sie gerichtet, als sie etwas unsicher begann:

»Ich habe Sie heute hierher gebeten, um Sie mit den Bestimmungen meines Testamentes und einigen sofortigen Verfügungen über mein Vermögen bekannt zu machen . . . Ihre Gegenwart, Herr Hirsch« – sie wandte sich an Moritz – »ist mir deswegen von Wichtigkeit, weil ich Sie zum Vollstrecker meines letzten Willens ernannt habe . . . Sie werden mir doch diesen Dienst nicht abschlagen?« . . .

Moritz verneigte sich zustimmend und fügte scherzend hinzu:

»Ich nehme dieses Ehrenamt um so lieber an, als ich ja für die nächsten Jahrzehnte nicht in die Lage kommen dürfte, es auszuüben.« . . .

Aber Tante Ida widersprach:

»Ich habe meinen Knacks weg, lieber Freund, und den verwindet man nicht mehr in meinem Alter . . . Nehmen Sie jedenfalls meinen Dank für Ihre Bereitwilligkeit . . .

Zu meinem Erben ernenne ich,« fuhr Tante Ida dann mit klarer Stimme fort, »meinen Neffen, den Makler Max Susemaus.«

222 Max schnellte von seinem Sitz empor und machte eine tiefe Reverenz, die bedeuten sollte: »Außerordentlich erfreut.« . . .

Der Baron konnte sich hierbei eines leisen Lächelns nicht erwehren, und Max, der es auffing, sandte seinem Gegenüber einen pikierten Blick zu.

»Die Firma A. Susemaus,« las Tante Ida weiter, »geht vom 1. April 1912 ab nebst meinem schuldenfreien Hause in der Fischerstraße kostenlos auf Herrn Sieghard Edlen von Treuenstein über . . . falls er bis zu diesem Zeitpunkt Fräulein Lene Malthus als Gattin heimgeführt hat.« . . .

Hier mußte sich Tante Ida unterbrechen. . . .

Denn Sieghard und Lenchen waren sich in die Arme gesunken, und Moritz begleitete diesen allzu natürlichen Vorgang mit den Worten:

»Der höchsten Weisheit letzter Schluß
Bleibt immer – der Verlobungskuß!«

Das alte Fräulein kam aber noch lange nicht zur Fortsetzung ihres Vortrages, denn nach Sieghard kam sie an die Reihe. . . .

Lenchen hing an ihrem Halse und weinte und schluchzte vor Freude . . . und als sich der Ausbruch des Glückes gelegt hatte, wurde Fräulein Susemaus durch den Baron in Anspruch 223 genommen, der seine Lippen auf ihre Hand drückte und bewegte Worte des Dankes stammelte. . . .

»Ich bestimme ferner,« sagte Tante Ida endlich, nachdem sich der Sturm etwas gelegt hatte, »daß mein Neffe Max sofort ein Kapital von 200 000 Mark ausgezahlt erhält – mit Rücksicht auf die Vergrößerung seines Haushaltes, der durch seine bevorstehende Verheiratung mit Fräulein Meta Pietschke erforderlich erscheint.« . . .

Max strahlte! . . .

»Tante,« rief er begeistert aus, »du bist die Güte selbst. . . . Das ist der echte Rettungsball, den du mir zuwirfst und nach dem ich mit beiden Händen greife. . . . Wann darf ich dir meine liebe Meta zuführen?« . . .

»Auf dem Rückweg vom Standesamt, mein lieber Junge,« erwiderte sie herzlich. . . . »Dann wird mir deine Meta in meinem Hause willkommen sein« . . .

Der unverbesserliche Moritz aber deklamierte:

»Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Der Max ergreift den Rettungsball
Und schwimmt in Metas Hafen rein . . .
Lieb Vaterland, magst ruhig sein!« . . .

224 »Ich bin noch nicht ganz fertig,« meinte Tante Ida etwas unwillig, weil sie sich kein Gehör verschaffen konnte.

Moritz bat in ihrem Namen um Ruhe, und Tante Ida kam endlich wieder zu Wort.

»Sollte die Ehe meines Neffen Max Susemaus kinderlos bleiben, so geht das Nachlaßkapital nach dem Hinscheiden des überlebenden Teils auf die Kinder des Herrn von Treuenstein über.« . . .

»Das kann sehr leicht anders kommen,« meinte Max energisch, da er sich durch diesen Zweifel in seiner Manneswürde etwas gekränkt fühlte. . . . »Das ist noch gar nicht gesagt, und so sicher haben Lenchen und der Baron die Sache doch auch noch nicht.« . . .

Lenchen sah verlegen auf ihre Fingerspitzen, und Herr von Treuenstein drehte nervös den Schnurrbart. . . .

Moritz rettete aber wieder die Situation, indem er pfiffig zu Max bemerkte:

»Wie ich aus deinen Worten schließe,
Stimmt dich der Nachwuchs mißgelaunt . . .
Wart's ab, bis Meta dir das süße
Geheimnis in die Ohren raunt!
« . . .

Der Makkabäer lachte, beruhigte sich, und Tante Ida konnte wieder ungehindert weitersprechen.

225 »Ich habe dann noch einige wohltätige Stiftungen bedacht . . . aber damit will ich Euch heute nicht behelligen, das ist für Euch von untergeordnetem Interesse. . . . Nur noch eine Kleinigkeit. . . . Den Inhalt meines Weinkellers vermache ich als Prälegat meinem guten Freunde Moritz Hirsch als Belohnung dafür, daß er mir treu und wacker zur Seite gestanden und mich insbesondere mit der Geschichte des Emirs von Beludschistan bekannt gemacht hat.« . . .

»Was ist das mit dem »Emir von Beludschistan?« . . . fragten die andern dazwischen.

Aber Tante Ida winkte ab.

»Das bleibt ein strenges Geheimnis zwischen uns beiden . . . nicht wahr, Herr Hirsch?« . . .

Moritz nickte verständnisinnig und erhob die rechte Hand wie zum Schwur:

»Ich gelobe unverbrüchliches Schweigen beim Andenken des verewigten Emir!« . . .

»Und jetzt, meine Kinder,« schloß Tante Ida, »denn so darf ich Euch doch wohl von heute ab nennen, ist die Sitzung zu Ende. . . . Lenchen, du gehst mit Sieghard zu deinem Vater . . . bestellst ihm einen schönen Gruß aus der Fischerstraße und sagst ihm, daß ich die Werbung des Herrn von Treuenstein nach bestem Wissen und Gewissen befürworte. . . . Und du, 226 Max, du wirst wohl auch das Bedürfnis haben, dich mit deiner Meta auszusprechen. . . . Du kannst ihr sagen, daß ich mich gefreut hätte, die Bekanntschaft ihres Vaters zu machen. . . . . Hoffentlich,« fügte sie ernst hinzu, »findest du bei ihr das Glück deines Lebens.«

Der Abschied war innig und zärtlich, und Tante Ida konnte sich der Fülle der Umarmungen kaum erwehren. . . . Das helle Lachen der Glücklichen klang wie ein letzter Dankesgruß noch jubelnd von der Straße herauf. . . .

Auch Moritz rüstete zum Aufbruch . . . . aber Fräulein Susemaus hielt ihn zurück.

»Sie müssen noch ein Stündchen mit mir plaudern, ich habe sogar eine besonders gute Flasche aus Ihrem Weinkeller heraufholen lassen.«

Das alte Fräulein läutete, und Fränze erschien mit einer bemoosten Flasche Johannisberger Kabinett und zwei Gläsern.

»Sind Sie jetzt mit mir zufrieden?« fragte Tante Ida den Berg-Hirsch, nachdem sie den ersten Schluck auf das Wohl der beiden Paare getrunken hatte.

Statt aller Antwort drückte Moritz dem alten Fräulein bewegt die Hand.

227 »Aber ich nicht mit mir,« . . . fuhr Tante Ida zögernd fort und sah nachdenklich zu den Familienbildern an der Wand empor. . . . . »Mir ist so zumute, als ob die beiden da oben doch nicht so recht mit mir einverstanden wären. . . . Sie hätten sich gewiß für ihren einzigen Jungen eine andere Gattin erträumt.« . . .

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken,« unterbrach Moritz Tante Ida eindringlich. »Sie kennen ja meine Anschauungen über Liebe und Ehe. . . . Ein schon etwas zerzauster Myrtenkranz ist mir noch tausendmal lieber als ein nagelneuer, auf dessen zarten Blüten der frostige Reif einer erhandelten Mitgift niederfällt. . . . Und sind Sie selbst nicht ein wenig an der Verzögerung Schuld? . . . Max hat als gehorsamer Neffe den sogenannten »Familienrücksichten« Rechnung getragen, . . . und zehn lange Jahre haben er und Meta doch wahrlich schwer genug unter den Konsequenzen ihrer schiefen Situation gelitten. . . . Ich – darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort – ich hätte solche Rücksichten nicht genommen!« . . .

»Eine alte Frau wie ich denkt in solchen Dingen anders,« erwiderte Tante Ida bestimmt. . . . »Mögen meine Anschanungen auch unmodern sein, ich kann die Grundsätze, die mich zwei 228 Menschenalter durchs Leben geleitet haben, nicht ohne weiteres über Bord werfen.« . . .

»Zugegeben,« pflichtete ihr Moritz bei. . . . »Ich verstehe Sie vollständig und würdige Ihren Standpunkt. . . . Aber wenn es sich um das Glück des Lebens handelt, so hat jedermann das Recht, Egoist zu sein. . . . Dazu ist das Leben zu kurz, und das bißchen echte Freude, das uns hienieden winkt, zu gering, um bei lieben Verwandten und getreuen Nachbarn erst eine Rundfrage zu halten: ›Sind Sie auch gütigst damit einverstanden, daß ich glücklich werde? . . .‹

Naht das Glück dir mal im Leben,
Frag' nicht lange! . . . Greife zu! . . .
Bis die Andern Antwort geben,
Ist es wieder fort im nu!« . . .

Tante Ida war aber noch nicht ganz überzeugt und sah ihren Gast zweifelnd an.

»Unser aller Fehler,« dozierte Moritz weiter, »besteht darin, daß wir die Welt meist nur durch unsere eigene Brille betrachten. . . . Versetzen Sie sich mal gefälligst in die abgeschiedenen Seelen der Eltern unseres Barons . . . Glauben Sie, daß die sehr beglückt wären, wenn sie wüßten, daß der Urenkel des Kreuzzugfahrers in Berlin in der Fischerstraße einen schwunghaften Gurkenhandel betreibt? . . . Aber das ist 229 andererseits das Schönste an der Epoche, in der wir leben, daß sie die sozialen Gegensätze immer mehr nivelliert. . . . Ihre eigene Familiengeschichte ist geradezu ein Lehrbeispiel dafür. . . . Ihr Neffe wird der Gatte einer Frau, die sich als Tochter eines einfachen Droschkenkutschers durch eigene Tüchtigkeit eine glänzende gewerbliche Existenz begründet hat. . . . Ein Nachkomme des authentischen deutschen Schwertadels führt als Kaufmann die Tochter eines Künstlers heim.« . . .

»Und,« fügte Tante Ida lächelnd hinzu, »mein bester Freund, mein ehemaliger Generalbevollmächtigter und jetziger Testamentsvollstrecker ist ein – mosaischer Börsenmakler« . . .

»Wenn ich König wäre,« scherzte Moritz . . . »ich würde das Wappen der Treuensteins einer gründlichen Renovation unterziehen . . . Auf der Spitze des Felsens, wo die Erste ihres Stammes ihre Sehnsuchtszähren vergoß, müßte ein alter Nußbaum stehen – genau wie der da unten – und am Fuße des Treuensteins ein Gurkenfaß, mit der Inschrift:

Alter Stamm, blüh' immer wieder
Auf dem Stein, von Tränen naß!
Alte Treue steig' hernieder
In das neue Gurkenfaß!« . . .

230 Tante Ida füllte die Gläser von neuem . . .

»Auf Ihr Wohl, mein lieber, guter Freund!« . . .

Aber Moritz bemerkte bescheiden:

»Ich weiß was Besseres . . . Wir wollen darauf trinken, daß wir beide alte Junggesellen noch recht lange vereint bleiben, und uns an dem Wirken derer erfreuen mögen, die uns einst ersetzen sollen . . . weihen wir den edlen Tropfen dem neuen Berlin und seinem neuen Geschlecht!« . . .

Draußen fiel der erste Schnee.

Die weißen Flocken umtanzten in lustigem Reigen die altertümlichen Ziegel und Dächer, schwebten dann ermüdet erdenwärts und verkrochen sich ängstlich in die Zweige des würdigen Nußbaumes – gleich der stürmischen Jugend, die in den Fährnissen des Lebens bei dem weisen Alter ihre Zuflucht sucht . . .

Drinnen aber in dem stillen Heim des alten Fräuleins stießen zwei Gläser hell und klar zusammen, und Tante Ida und Moritz lauschten schweigend dem reinen Ton, bis sein letztes zitterndes Schwingen verklang . . .

 

Ende.

 


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