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Seit Beginn des europäischen Krieges und im verstärkten Maße seit Ausbruch des russisch-türkischen Krieges hat man sich im jungtürkischen Komitee mit der Frage beschäftigt, wie man die Gelegenheit des Krieges benützen könne, um die Armenier für ihre Reformbestrebungen zu bestrafen und die armenische Frage ein- für allemal aus der Welt zu schaffen. Man kam auf dieselbe Lösung, die ein Minister Abdul Hamids in zynischer Weise definiert hat: » Die armenische Frage schafft man am besten dadurch aus der Welt, daß man die Armenier aus der Welt schafft.« Daß man am liebsten mit den Griechen und Syrern in gleicher Weise verfahren wäre, beweist das Vorgehen gegen die griechische Bevölkerung in der Umgegend von Smyrna im Frühjahr 1914 und gegen die syrische Bevölkerung in Nordpersien, in der Umgegend von Urmia, die beim Einbruch der Armee von Halil Bey aus ihren Wohnsitzen vertrieben wurde. Das Gleiche geschah mit den nestorianischen Bergsyrern im oberen Zab-Tal.
Ein türkischer Minister soll während des Krieges geäußert haben: » Am Ende des Krieges wird es keinen Christen mehr in Konstantinopel geben. Es wird so vollständig von Christen gesäubert werden, daß Konstantinopel sein wird wie die Kaaba.«
Man braucht das Wort, selbst wenn es gesprochen wurde, nicht ernst zu nehmen. Die griechische Bevölkerung wird so lange sicher sein, als sich Griechenland nicht der Entente angeschlossen hat. Dagegen hat man ernstlich an eine Austreibung der 160 000 Armenier aus Konstantinopel gedacht. Der Einspruch Deutschlands hat sie verhindert. Ein Sektionschef im Justizministerium sagte zu einem Armenier: » Es ist in diesem Reich kein Raum für uns und euch, und es würde ein unverantwortlicher Leichtsinn sein, wenn wir diese Gelegenheit nicht benützen würden, um mit euch aufzuräumen.« Mitglieder des jungtürkischen Komitees sprachen es offen aus, daß alle »Fremden« aus der Türkei verschwinden müßten, erst die Armenier, dann die Griechen, dann die Juden und zuletzt die Europäer.« Die Frage, ob ein Armenier schuldig oder unschuldig ist, ob man ihn eines Verbrechens gegen den Staat für verdächtigt hält oder nicht, ob er durch ordentliche Gerichte einer Schuld überführt ist oder nicht, existiert für das Bewußtsein eines Muhammedaners, da es sich um Christen handelt, nicht, wenn man ihn aus Gründen der Staatsraison beseitigen will. Andernfalls wäre es nicht möglich, an einer Million von Staatsbürgern einen Massenraub zu begehen, der niemals eine gerichtliche Ahndung finden wird. Das muhammedanische Recht und das Vorbild Muhammeds erlauben solche Dinge. Ein türkischer Minister rühmte sich dessen, daß, was Abdul Hamid in 30 Jahren nicht fertig gebracht habe, er in 3 Wochen zustande bringen würde. Dem Einwande, daß mit den wenigen Schuldigen eine ungeheure Masse Unschuldiger mitbestraft und umgebracht werde, begegnete ein türkischer Offizier mit der Bemerkung: »Dieselbe Frage richtete jemand an unseren Propheten Muhammed – Gottes Friede über Ihm! – und er erwiderte: »Wenn du von einem Floh gebissen wirst, tötest du nicht alle?«
Als die Frage der Unterdrückung der christlichen Nationalitäten einmal im Komitee zur Sprache kam, äußerte ein exaltierter Türke: »Der Fehler ist, daß nicht schon Muhammed, der Eroberer, das getan hat, was wir jetzt tun.« Von einem anderen Komiteemitglied, das etwas mehr geschichtliche Bildung besaß, erhielt er die Antwort: »Dann stünde die Türkei heut noch auf der Kulturstufe von Marokko.«
Bei der Mehrheit des Komitees scheint die Absicht, einen vernichtenden Schlag gegen die Armenier zu führen, schon am Anfang des Krieges bestanden zu haben. Natürlich erhob sich auch Widerspruch gegen eine so radikale Politik, die unbedenklich zu den Methoden Abdul Hamids zurückkehrte und ein Hohn war auf all die schönen Reden von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit, mit denen die Ära der Konstitution eingeleitet worden war. Djemal Bey, der Oberstkommandierende in Syrien, versuchte noch während der Deportation die Bevölkerung von Adana, wo er früher Wali gewesen war, zu retten. Daß verschiedene Walis, Mutessarifs und Kaimakams sich der Maßregel widersetzten, haben wir gesehen. Sobald aber im Zentralkomitee für Einheit und Fortschritt die Entscheidung gefallen war, begann die fieberhafte Tätigkeit der Zweigkomitees, die jeden Widerstand der Regierungsorgane im Innern brach und durch organisierte Banden die allgemeine Deportationsmaßregel in ein allgemeines Massaker verwandelte.
Gewisse psychische Hemmungen mußten auch beim Zentralkomitee und bei der Regierung überwunden werden. Man war sich augenscheinlich dessen bewußt, daß man an den Führern der Daschnakzagan, die gemeinsam mit den Jungtürken den Absolutismus gestürzt und seit Beginn der Konstitution unentwegt zu dem Komitee gehalten hatten, einen schnöden Verrat beging. Verschiedene der jungtürkischen Führer, die (wie der Auswärtige Minister Halil Bey, der während der Reaktion sich zwei Wochen im Haus von Sohrab versteckt gehalten hatte), ihren armenischen Freunden ihr Leben verdankten, mochten Regungen eines gewissen Anstandsgefühls empfinden, das sie abhielt, ihre Lebensretter ans Messer zu liefern. Um derartige psychische Hemmungen zu überwinden, mußte man sich wenigstens einreden, daß möglicherweise die Führer des armenischen Volkes mit dem Gedanken einer nationalen Erhebung umgingen. Der Gedanke konnte ihnen auch dadurch nahegelegt werden, daß sie den Daschnakzagan gegenüber ein schlechtes Gewissen hatten. Schon vor der Begründung der Verfassung und bei jeder Krise seit der Begründung der Verfassung hatten sie den Führern der Daschnakzagan mündlich und schriftlich Versprechungen gemacht, ihre gerechten Wünsche in bezug auf die Neuordnung der Zustände im Innern zu erfüllen, und regelmäßig hatten sie diese Versprechungen, sobald sie wieder obenauf waren, gebrochen und dazu noch die Armenier um die ihnen zukommenden Kammersitze verkürzt. Daß die Daschnakzagan, wie es wirklich der Fall war, ihnen und ihrer politischen Überzeugung trotzdem treu geblieben waren, konnten sich vielleicht die Jungtürken nicht vorstellen und vermuteten, daß sie heimlich auf Vergeltung bedacht wären. Die krampfhaften Bemühungen, nachträglich Schuldbeweise zu finden, und, wenn auch unter der Folter, zu erzwingen, sind ein Ausfluß der moralischen Verlegenheit, in der sich die Regierung gegenüber den Daschnakzagan befand. Um auf die Daschnakzagan den Schein des Vaterlandsverrates zu werfen, bediente sie sich eines merkwürdigen Tricks. Daß jedermann Waffen besitzt, ja, daß die Jungtürken selbst noch in den letzten Jahren, als die Gefahr der Reaktion drohte, ihre politischen Freunde und deren Anhang mit Waffen versorgt hatten, war bekannt. Auch bezweifelte niemand, daß aus der Zeit Abdul Hamids noch Bomben vorhanden waren. Da die Bombe in diesem Kriege zu der Würde einer der ehrenhaftesten Waffen avanciert ist, gab es natürlich in den Regierungsarsenalen eine genügende Anzahl von Bomben, die man als bei Armeniern gefunden ausgeben konnte. So wurden denn im Polizeiblatt von Konstantinopel (»Polizei-Revue für die intellektuelle Bildung der Polizisten«, nennt sich das Blatt) in der Mai-Nummer Haufen von Gewehren und Bomben, die man photographiert hatte, abgebildet. Die Veröffentlichung sollte dazu dienen, die Bevölkerung und die Vertreter der fremden Mächte von den revolutionären Absichten der Armenier zu überzeugen. Um die Beschuldigung, daß die Armenier die Aufrichtung eines armenischen Königreiches geplant hätten, glaubhaft zu machen, wurde auch die Photographie einer » revolutionären Fahne mit dem armenischen Wappen« wiedergegeben. (Auch das offizielle Communiqué vom 4. Juni spricht von diesen »revolutionären Fahnen«.) Wie verhält es sich damit?
Die Partei der Daschnakzagan hatte ein Parteiwappen, das in allen armenischen Klubs aushing. Junge Damen machten sich ein Vergnügen daraus, dieses Wappen als Emblem für die Klublokale zu sticken. Hundertmal haben die Jungtürken, wenn sie in den Klubs der Daschnakzagan aus- und eingingen, diese Wappen gesehen. Im Scherz nannten sie es » le drapeau du patriotisme ottoman«. Da man keine anderen Beweise hatte, wurde jetzt das Parteiwappen der Daschnakzagan photographiert und für die Fahne der Revolution ausgegeben.
Man kann sich den Verkehr, der früher zwischen den armenischen und jungtürkischen Klubs und ihren Führern bestand, nicht eng genug denken. Man beriet nicht nur, man dinierte und soupierte zusammen. Man veranstaltete gemeinsame Wahlfeldzüge und tauschte freundschaftliche Besuche aus. Als Aknuni krank war, wurde er von Talaat Bey und Dschavid Bey besucht. Tags darauf kamen Dr. Nasim und Omer Nadji. Der letztere ließ sich allwöchentlich auf der Redaktion des Azatamart sehen.
Es ist begreiflich, daß auch im jungtürkischen Komitee lange Zeit eine Majorität für die Maßregeln gegen die Armenier nicht zustande kam. Überdies schlugen sich die Armenier, wie der Kriegsminister Enver Pascha aus persönlichem Augenschein mündlich und schriftlich bekundet hat, selbst an der Kaukasusfront aufs tapferste. Es blieb daher in den ersten Monaten bei lokalen Maßnahmen, für die sich einigermaßen plausible Gründe aus strategischen Rücksichten geltend machen ließen.
Da kam die Nachricht von den Vorgängen im Wangebiet, die durch das Verhalten von Djevded Bey und durch die Ermordung und Verhaftung der armenischen Führer Ischchan und Wramjan provoziert waren. Am 16. April wurde Ischchan ermordet. Am 20. setzten sich die Armenier von Wan gegen das ihnen drohende Massaker in Verteidigungszustand. Am 24. erfolgte die Verhaftung der Intellektuellen von Konstantinopel. Sie war das Ergebnis eines Beschlusses, der von den Mitgliedern des Komitees für Einheit und Fortschritt gefaßt worden war. Seit dem 21. April war die Vernichtung des armenischen Volkes eine beschlossene Sache.
Der Großvezier Said Halim Pascha, der Kammerpräsident Halil Bey und der Scheich ül Islam waren gegen die Deportation. Da aber Talaat Bey seinen allmächtigen Einfluß für die Vernichtungsmaßregel einsetzte, ging der Beschluß durch.
Von dem Polizeichef Bedri Bey und seinen Gehilfen Dschampolad Bey und Reschad Bey war unter Zuziehung der Polizeimeister von Skutari und Pera der Plan der Verhaftung der Intellektuellen von Konstantinopel und in der Provinz ausgearbeitet worden. Sorgfältige Listen wurden zusammengestellt, um mit einem Schlage aller Führer der Nation habhaft zu werden. Waren die Führer beseitigt, so brauchte man nicht mehr zu befürchten, daß wegen der Maßregel gegen das armenische Volk Lärm geschlagen würde.
Der Widerstand der Gouverneure im Innern verzögerte die Ausführung der Maßregel in verschiedenen Wilajets um einige Wochen. Als aber Wan in die Hände der Russen gefallen war, am 19. Mai, erging in alle Provinzen der kategorische Befehl, dafür zu sorgen, daß alle Städte und Dörfer des Reiches von Armeniern ausgeräumt werden sollten, bis nicht ein einziger Armenier mehr zurückbliebe, es sei denn, daß er zum Islam übertrete.
Der Polizeichef Bedri Bey sagte zu dieser Zeit zu dem Armenier Sakarian: »Wenn es ein Massaker gibt, so wird es nicht sein wie zur Zeit Abdul Hamids. Nicht ein einziger Armenier wird übrig bleiben.« Der Scheich ül Islam soll auch zu dieser Zeit noch seinen Widerspruch gegen die Maßregel aufrecht erhalten und seine Demission eingereicht haben.