Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Stenografie

Der Besitzer des Hauses, in dem wir zur Miete wohnten, war Buchbinder. Der Vater hörte ihn in der Frühe aufstehn und konnte dann nicht mehr schlafen. Levy, der Buchbinder ging im Sommer schon um vier Uhr in den Garten, grub und pflanzte. Eines Tages hörte dieses Frühaufstehn auf, und am gleichen Tag kam er erst um Mitternacht nach Haus. Neugierig fragte mein Vater nach dem Grund dieses Wechsels. Der Buchbinder erzählte ihm seinen Plan. Er wolle einen Stenografie- und Buchhaltungskursus mitmachen, das müsse er nach Feierabend tun. In einem halben Jahr sei er so weit, daß er dann eine Stelle als Buchhalter annehmen könne. Seine Familie würde zu groß, er müsse etwas tun, von einem Arbeiterlohn könne keiner seine Familie ordentlich ernähren. In der nächsten Woche schon kamen an den Abenden, wenn er nicht zum Kursus ging, Leute ins Haus, denen er das soeben Gelernte beibrachte. Bis Mitternacht hörten wir das Sprechen.

Der Vater fragte ihn, ob er uns Jungen nicht auch das Stenografieren beibringen könne. Er müsse es aber Sonntagsnachmittags machen, denn an den Abenden wären wir ja doch zu müde.

Am nächsten Sonntag schon gingen wir um vier Uhr hinauf in das gute Zimmer, bekamen Hefte und lernten die ersten Anfänge.

Draußen warteten die Nachbarskinder und riefen unsere Namen, wir saßen wie auf glühenden Platten und paßten gar nicht auf. Der Buchbinder aber war so in seine Arbeit vertieft, daß er gar nicht merkte, wie draußen die Kinder spielten und riefen. Zwei Stunden kamen uns wie ein ganzer Nachmittag vor, besonders darum, weil die Jungens nachher fortgelaufen waren und wir nun allein spielen mußten.

Am zweiten Sonntag, direkt nach der Andacht, ging es wieder auf die Stube, alles auf der Welt interessierte uns, bloß die Stenografie nicht. Wir haßten bald diese Lernerei, die uns mit der Andacht zusammen den ganzen Sonntagnachmittag kaputt machte. Der Lehrer schimpfte eindringlich, der Vater drohte, die Mutter bat – also nahmen wir gehorsam das Kreuz auf uns und so verging dieser Sommer in unerträglicher Langeweile. Eigentlich sollten wir jeden Abend eine Stunde üben. Was waren da die kleinen Zeichen, wenn wir den ganzen Tag mit dem großen Vorhammer auf das Eisen geschlagen hatten oder uns zum Übelwerden an der Bohrmaschine und Lochstanze gemüht hatten. Nun diese winzigen Zeichen, die eine Arbeit sparten, die wir niemals zu tun brauchten. Das war so unsinnig und kam uns so verrückt vor, daß wir lieber eine Stunde länger in der Werkstatt hockten, lieber arbeiteten, als daß wir mit der spitzen Feder übers Papier kritzelten.

Endlich schickten wir uns nur darum in die Schreiberei, weil wir sonst den Kursus überhaupt nicht zu Ende bekamen und auch noch die kurzen Winternachmittage bei dem elenden Geschreibsel verbringen sollten.

»Nun sorgen Sie dafür, daß die Jungens auch fleißig üben und nichts verlernen!« sagte der Buchhalter zum Vater.

»Die Knochen schlag ich ihnen im Leib kaputt, wenn sie beim stegafiren nicht so fleißig sind wie in der Werkstatt!« antwortete der Vater und fragte doch nie danach. Wenn ihm einmal eins von den Heften vors Gesicht kam, dann fluchte er jämmerlich über das weggeworfene Geld für das Papier.


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