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Als ich am andern Morgen in die Fabrik kam, stand der Vertrauensmann des freien Verbandes in der Nähe meiner Arbeitsstätte. Ehe ich die Stemmer zur Hand genommen hatte, war er schon bei mir und sagte: »Ich habe dich gestern mit Schorsch Lohmann gesehen. Er hat dir sicher seine großen Reden gehalten. Bleib von ihm ab, er ist kein Umgang für dich: ein Stänker und Nörgler, schimpft auf die Kapitalisten, schimpft auf die Gewerkschaften; er schimpft eben auf alles. Du wirst ihn auch bald satt sein, ich rate dir nur, halte dich von den Radikalen ab. Du kommst vom Lande, von deinen Eltern, du bist noch ganz unerfahren. Komm doch lieber einmal ins Volkshaus, lies unsere Metallarbeiterzeitung und nimm dir ein paar Schriften mit. Ich verlange ja nicht, daß du als Katholik in die Freidenkergruppe eintreten sollst, ich verlange auch nicht, daß du dich gleich mit Parteisachen abgeben mußt. Sie haben dich ganz verwirrt gemacht. Brauchst auch nicht zu fürchten, daß du nun absolut heute oder morgen organisiert sein mußt; mach nur keine Dummheiten und tritt den Gelben oder Christen bei. Mußt dich erst einmal bei uns umsehn, wir sind gar nicht so gemeine Teufelskerle, wie dein Pastor es dir gesagt hat.«
Nun donnerte die Werkstatt los. Was war das für eine klare Sprache, die die Hämmer führten! Was waren dagegen die Worte des guten Herrn Pastors, die Ermahnungen des Kaplans. Ihre Welt, in der ich erzogen war, kam mir vor, wie das Laufställchen in dem die Kinder an den Gitterstäben das Stehen lernten und vor dem heißen Ofen und den bösen Stuhlecken bewahrt blieben. Nie hatten sie mit mir über Frauen gesprochen, nie über Kollegen, Fabriken, Kapitalisten, ich war immer nur gewarnt worden: vor der heimlichen Sünde, selbst vor der Aufklärung. Die Rekruten wurden in den religiösen Exerzitien auch über die Gefahren der Unsittlichkeit und des Sozialismus belehrt, sie durften aber kein Wort über das Gehörte zu uns jüngeren sagen.
Wir sollten, wenn wir in eine fremde Stadt kämen, sogleich zum Pastor gehn, damit er uns in den katholischen Verein bringe, und uns mit katholischen Leuten bekannt mache.
Ich hatte also die Wahl zwischen der gottlosen Welt meines Quartierkollegen, und – einem Stück Heimat in der fremden Stadt.
Die Arbeit überhämmerte diese Gedanken. Ununterbrochen schlug ich an den Nieten herum, zielte jeden Hammerschlag fest und genau, als könnte ich meine Zweifel in die Platten und Nähte hineinhämmem. Kaum stand in der Zehnuhrpause der Betrieb, nahm ich mein Brot und ging auf den Hof hinaus.
Spielend balanzierte ich auf den Schienen, da brüllte ein Hofarbeiter: »Bahn frei!« Mit einem Sprung rettete ich mich vor einem heranrollenden Waggon in ein Hallentor, stürzte gegen das Geländer einer Maschine, deren Zylinder höher als die größten Lokomotiven war. Eine ganze Batterie solcher Ungetüme füllte eine weite, hohe Halle. Ich fragte den Maschinisten, was die Riesenräder bedeuteten.
Er erklärte mir die großen Kolbenmaschinen, es waren Motoren, die mit dem Abgas der Hochöfen gespeist wurden. Bei jeder Umdrehung explodierte ein Zylinder voll Gas gegen die Kolbenfläche und schleuderte die Kurbel mit der Achse rund. Die mitschwingende Riesenscheibe war ein Dynamo, der den elektrischen Strom erzeugte. Sieben solcher Maschinen lagen nebeneinander, eine war außer Betrieb; ich sah in den geöffneten Zylinder hinein: wie ein Dampfkessel groß, glänzte der ölschwarze, saubergedrehte Raum. Es gab nur ein paar Maschinisten, sie verschwanden unter den Riesengestängen.
Durch die Halle ging ich in einen langen Hof hinaus; zwischen zwei gewaltigen Gebäuden lag hoch der Schrott getürmt: Schrott in Ballen, Schrott in Fetzen, ich kannte ihn, es war der chargierfähige Schrott, an dem wir zu Hause gehauen hätten, bis uns die Zunge aus dem Halse hing. Zwei Kräne kamen mit murrendem Singen von der Tiefe hergefahren, große Haken trugen Blechpakete und ließen sie gleich an der Laderampe nieder. Männer lösten die Schlingen und füllten den Schrott in lange Mulden. Vier Mann schoben einen schweren Eisenkarren heran und stachen ihn unter die Mulden, drückten ihn hoch und fuhren ihn fort; ein zweiter Kran kam hinterhergerollt, er stapelte neue Schrottpakete hoch.
Die große Halle schien zur linken zu einem einzigen, ungeheuren Ofen ausgebaut, ich sah eine lange Reihe Flammen schlagen, die von Türblechen nur notdürftig zurückgehalten wurden. Wenn sich eine Tür hochhob, fuhren die Männer den Eisenwagen mit dem Schrott in die schlagende Flamme hinein, das Licht lohte durch den qualmigen Raum, die Männer standen im Dunkel von einer Seite glühend beglänzt. Die vordersten Leute hatten lange Schilde vorm Gesicht, brockige Röcke am Leib, dicke Holzklumpen an den Füßen. Sie stießen die Mulde, die von einem Kran gepackt wurde, vollends in den Ofen hinein und zogen die Karre wieder weg. Von einem Feuerloch zogen sie an das andere, quer über die eisenplattengedeckte Rampe, luden immer von neuem Eisen auf und fuhren es in die Feuer hinein; wo es heraus kam, sah ich nicht. Immer wieder mußte ich nach dem Halbrund des letzten Dachbogens schauen, in dem das Licht wie ein silberner Kreis stand. Es war wunderbar anzusehn, wenn eine Ofentür aufging und einen Strahl gelber Glut in das qualmige Dunkel hineinfeuerte. Die Männer schienen auch aus feuerfesten Schamottsteinen zu sein; sie machten nur die wenigen Bewegungen des Ziehen und Reißens, des Drücken und Stoßens; ich hätte mir dabei sicher dreihundertmal den Schweiß aus dem Gesicht putzen müssen.
Alle Augenblicke brüllte hier eine offene Tür um eine Pfanne voll Eisen, stieß dort eine zweite Flamme bläkend die feurige Zunge an die Gesichter und Hände hin; der unsichtbare Flammenmund mußte von irgendwo, weither blasen; da mußten glühende Röhren in der Erde liegen, Kanäle voll dabernder Hitze, eine ummauerte Hölle, die diese Eisenmassen zum Schmelzen brachte!
Ein unmeßbarer, für mich unerträglicher Druck quoll aus dem unerschöpflichen Flammenreservoir, stieß, ein gebannter, geballter Orkan, in sich kreisend zwischen Dach und Rampe. Wie unter einer Taucherglocke voll Druckglut lebte diese Welt, gingen diese Männer, fuhren die Karren.
Wenn doch wenigstens ein Hammer krachen, aufstoßen, eine Explosion mit einem Schall so heftig wie die Glut groß, den Bann lösen würde, unter dem die lautlos kriechende Spannung in sich selbst erstickte. Es geschah nichts. Die Männer, die stoßenden, reißenden, würgenden Männer am Eisenkarren, trotteten her und hin, die gemauerten Fronten flammten, die niederschwebenden Türen scharrten die Gluten ein, die aufschwebenden rissen die Flamme heraus.
Ich ging weiter in die Halle und erschrak: da saß zwischen zwei Trägersäulen vor einem Amboß ein Mann auf den Knien, hielt eine dünne Eisenstange in der Hand und klopfte mit einem Schmiedehammer auf die rötliche Spitze. Ich glaubte einen Zwerg zu sehen, der eine Stricknadel auf einem Spielambößchen vor sich hat und mit einem gläsernes Hämmerchen tinkt, wie ein Männchen auf einer kunstvollen Uhr, der auf einen unsichtbaren Amboß klopft und keinen Ton herausbringt.
Ich wuchs in der Größe dieses Raumes zu einem Riesen. Meine Hände schwollen zu unförmigen Pranken, ich stand auf Betonfundament-Füßen. Das Furchtbare dieses Raumes hatte mich erfüllt, ich, Riese, trat das zwergige Männchen und seinen Amboß mit der Zehenspitze in die Fugen zwischen die Platten.
Da klopfte mich eine Hand auf die Schulter: »Freundschaft, vergiß dein Butterbrot nicht! Gleich ist deine Pause um und du hast Hunger!«
Ich starrte auf das Brot in meiner Hand, starrte den Meister an, der wie ein gemütlicher Onkel lachte. Gemächlich ging er zur Seite, zog eine Kette, die Eisentür hob sich, die Flamme schoß hervor.
Ich schmiß mein Butterbrot in die wabernde Flamme hinein, die Männer mit dem Eisenkarren drängten mich zur Seite. Mit schweren Schritten ging ich an meine Arbeitsstelle zurück.
Laut lachte ich auf: »Was?Du willst zu einem Pastor gehen?
In der Mittagspause fragte mich der Hirschdunkersche nach meinem letzten Arbeitsplatz. Er holte aus mir heraus, daß ich von zu Haus aus selbständig gearbeitet hatte. »Mensch, dann bist du zu schade, um hier in schlechtem Akkord dumme Arbeit zu tun. Ich will mit dem Meister sprechen, daß er dich in eine andere Kolonne bringt.«
Beim Mittagessen sagte mein Zimmerkollege Schorsch nicht einmal »Mahlzeit« zu mir. Er hielt Wort, sprach nicht eine Silbe mit mir, tat, als sei ich nicht vorhanden.
Darum ging ich mit den Feuermännern der Martinöfen nach Haus. Ihre Gesichter glichen einander; die langen Schnurrbärte hingen an müden Backen, die jetzt noch rot von der beißenden Seife waren, aber bald wieder blaßten. Sie sahen alle wie fünfzig Jahre aus. Ein junger Kerl tupfte im Gehen mit dem Handrücken über eine geschwollene Backe; Augenbrauen und Schnurrbart waren versengt. Ich ging mit ihnen in eine Schenke; sie tranken alle erst einen Schnaps, dann ein Glas Bier. Ich spannte auf jedes Wort, das sie sprachen. »Zu Kirmes neuen Anzug, verflucht teuer.« »Mein Jung säuft mit sechzehn wie ein Alter.« »Durchhauen!« »Samstagabend Brieftaubenverein, Jungtiere nach Boklemünde.« »Kaninchen haben mehr Fleisch und machen weniger Arbeit!« »Muß Vorschuß nehmen, oder neues Bett auf Abschlag.«
Die krummen Finger spitzen sich nach den zwanzig Pfennigen in einem Lederportemonnaie. – »Laß 'nen Taler wechseln!« sagte ein junger Mann, schmiß lässig eine Mark auf die Theke. »Bis Morgen! n'abend!« Im Trott, wie sie kamen, gingen sie hinaus.
So lange hatte ich mich auf eine große Fabrik gefreut, nun war ich aus dem Schrott heraus, aber, was sah ich nun von der großen Industrie: kleine Pfennigsarbeit, wüste Rauferei um Akkordzuschläge, lächerliche Strafandrohungen für Unpünktlichkeiten, Skandale um ein paar kaputtgeschlagene Schrauben; dieselben Meister und Techniker, die für die Firma sich den Haß und die Wut der Arbeiter auf den Hals luden, vermurksten tonnenweise Bleche, tagelange Arbeit und schoben nachher die großen Fehler den kleinen Bohrern und Zusammenbauern auf den Hals. Bald merkte ich, daß sie es nicht wagten, gegen die Fehler, die aus den Büros kamen, aufzumucken, sie mußten den Sündenbock selber spielen oder sich einen andern suchen. Den Akkordarbeitern war die Zeit zu schade, sich mit den Meistern herumzustreiten, es war ja alles zwecklos: mit knifflicher Berechnung blieb die Sache auf uns Arbeitern hängen, der Akkord war vermurkst, die wüsteste Hetzerei brachte manchmal kaum den Stundenlohn ein.
Nun konnte ich mir vorstellen, warum die Bude blau von dem Gasdunst war, warum die undichten Rohre unter der Erde nicht nachgesehn und repariert wurden. Für die Ingenieure und Techniker existierte der Rauch nicht, die Meister, die ihn genau so spürten, wie ich und wir, nannten die Beschwerden sozialistische Stänkereien der Gewerkschaftsfunktionäre, die überall und immer etwas auszusetzen hätten.
Ich saß in einem großen Leitungsrohr und stemmte abliegende Nietköpfe bei. Die Vertrauensleute der Gewerkschaften hatten mich die ganze Zeit, es waren fast drei Wochen, in Ruh gelassen. Die Begegnungen mit meinem Stubenkollegen wurden immer kürzer, er war viel unterwegs; ich gewöhnte mich an ihn wie an meinen Vater, mit dem ich ja auch wochenlang kein überflüssiges Wort sprach. Er war ein tüchtiger Arbeiter, aber ein Sonderling, mit dem keiner verkehrte. Er kam meist als letzter in den Betrieb und flitzte immer als erster wieder heraus.
Der Meister hatte mir in der zweiten Lohnzahlung fünfundvierzig Pfennig Stundenlohn auf die Tüte gesetzt, drei Pfennig mehr als vorher. Wenn ich in seine Nähe kam, fing er ein Gespräch mit mir an. Wenn er die Rede auf die Hirschdunkerschen brachte, tat ich, als wenn ich nichts wüßte. Da mußte er deutlich werden: »Bleib von den Hetzern weg, dann bringst du's zu was!« »Bin katholisch,« gab ich zur Antwort, »und in die Welt gegangen, um Arbeit und Menschen kennenzulernen!« –
Eines Morgens kam ein Lehrjunge mit einem Zettel vom Meister: Werkzeug abgeben. Ich bekam meine Marken zurück und meldete mich. Mit zwei andern kam ich zu einer Montage auf einen Hochofen, an dem eine neue Gischtbühne gemacht wurde. Der Lehrjunge brachte uns auf den Weg. Der ältere Kollege war erbost, er hatte grade einen guten Akkord unter den Händen: »Wer dem Alten nicht klugscheißt, macht sich selbst die Hosen voll!« Der andere Kollege lachte: »Überstunden will er haben, darauf kommt es raus. In der Bude machen wir keine mehr, hier draußen sollen wir sie kloppen!«
»Ich würde gern ein paar Überstunden machen!« sagte ich.
»Was verdienst du denn schon?« fragte er.
»Fünfundvierzig ohne Akkord«, erwiderte ich.
»Akkord kommt da nicht raus!« überlegte er, »an den Leitungen ist nichts verdient worden. Hier werden wir wohl dreißig Prozent machen!«
Ich ging hinter dem Jungen her, an den Gasmotoren vorbei, hinauf auf die Rampe des Martinofens, hindurch zwischen den Eisenkarren und kleinen Kränen; von den Flammen angeglüht, immer im gleichen Trott fuhrwerkten die Feuermänner, ich zählte an zehn solcher Ofentüren. Nun stiegen wir wieder eine eiserne Leiter hinauf unter ein höheres Hallendach; ich sah schon von weitem eine feurige Höhle, vor der drei Mann in glühendem Dampf standen und mit einer langen Stange hantierten. »Vorsicht!« schrie eine Stimme durch zischendes Brausen hin, ich strauchelte im weichen Sand und spürte Gluthitze an den Händen und im Gesicht: vor mir, unter mir röteten aus dem graugelben Sand glühende Gitter; es waren handbreite Rillen, in denen das flüssige Roheisen lief und erkaltete. Schrägauf stapsten wir durch den Sand, mein Blick war auf die weiße Glutkammer gebannt, die in die Höhle des Turmes führte. Die Männer schwangen die lange Stange, zielten mitten hinein in die wabernde Lohe. Auf ein unhörbares Kommando hin zogen sie die Stange zurück, ein weißer Strahl schoß hervor, platzend in sich selber versprengte er einen Sternhaufen, flüssiges Eisen, es verschwand in einer Rinne. Wie ein Ringofen groß rundete der Turm, mit schweren Bandagen zusammengehalten. Von glänzendgrauer Hammerschlagschlacke war der Sand wie von eiserner Decke überzogen, schlackig brockte der Weg unter unsern Füßen. Eine schwere Schwunggarbe Funken brach über mich hin, ich schoß nach vorne, da sah ich die Kollegen mit winkendem Ellenbogen stehn. Ich sprang über eine Rinne, aus der treibend glühende Schlacke mir heiß entgegen dampfte. Ich folgte ihnen an drei solcher Türme vorbei, da sperrte eine Menge Eisenträger, rotgestrichen, uns den Weg. Langsam hob sich ein Bündel Winkeleisen, ich sah das Eisenkabel herabhängen, dünn und grau, wie aus dem Himmel nieder ein Regenstrich fällt. Der Lehrling kehrte um. Die Beiden waren hinter einer eisernen Treppe verschwunden. Ich stieg hinterher. Rechts sah ich in dem langen Hof einen Riesenkran vorüberfahren, ein zweiter Kran eilte hinter ihm her, als spielten zwei elektrische Wagen Nachlaufen. Der Kranführer lehnte auf dem Fensterrand, die Pfeife im Mund. Die Beiden waren schon eine Treppe höher, ich stand allein. Unter mir ergoß sich ein Strom Eisen in eine große Pfanne, Sternwolken platzten zu mir herauf, wie flüssiges Gold gleißte der Spiegel des Eisenschmelzes. Ich stieg wieder eine Treppe höher, kam auf die Plattform; auf der drei Mann an einem Kabel drehten. Unendlich langsam wand sich die Stahltrosse um die Welle; so schwer und langsam hob sich die Last, als hinge die ganze Fabrik an dem eisernen Tau. Vom Hof her pufften ununterbrochen große Röhren weißen Rauch, quirlend stieß aus schwarzen Dachluken brauner Qualm. Ich stieg noch eine Treppe höher, hier war die Montagebühne.
In Haufen und Reihen lagen Knotenbleche und Winkeleisen, Schienenstangen und große Tafeln Gitternetze. Zwei Kolonnen schraubten Konstruktionen aneinander, auf schweren Böcken lagen Säulen, die, schon unglaublich lang, immer noch zu zwei und zwei verlängert wurden.
Als wir heraufkamen, ließ das Klopfen und Hämmern nach, sogleich rollte von unten her dumpfes Murren herauf, Gepuff, Gekrache, Zischen und Dabern, eine wilde Einheit von durcheinanderturbelnden Geräuschen.
Ein Kollege in meinem Alter fragte mich nach den Bohrern. Ich wußte gar nicht, was er wollte, da erinnerte ich mich des Werkzeugsackes, den mir der Meister gegeben hatte. Ich hatte ihn bis an die ersten Feuer mitgeschleppt und da stehengelassen.
»Der Sack mit dem Werkzeug – der steht da unten in der Fabrik!« sagte ich erregt und verwirrt, und lief gleich an die Treppe.
»Mensch, den brauchst du gar nicht mehr zu suchen, der ist schon verschütt!« lachte der Kollege hinter mir her.
Ich rasselte die Treppen hinunter.
Als sei ich diese Wege schon tausendmal gegangen, ohne zu fragen fand ich mich zu dem nächsten Hochofen zurück, in Hast und Unruhe eilte ich durch den Sand und sprang über die gemauerten Rinnen. Plötzlich konnte ich nicht weiter, ein Mann hielt mir eine lange, schlackengluttropfende Eisenstange vor. Ich sah, daß ich doch den verkehrten Weg gegangen war, ich kehrte um, stieg noch eine Treppe tiefer und blieb gebannt stehn: Aus der Decke kam ein Strahl glühenden Eisens, goß sich in rundem Bogen in eine übermannshohe Pfanne, die auf einem Waggon befestigt war, zerplatzende Feuerbälle rauschten in zersplittertem Licht über mich hin.
Ich kam in einen zweiten Raum, in eine weite Halle: Maschinen mit Balkonen höhten sich über Walzenständer; donnernde Schläge jagten einen Block vor sich hin, der bald zur Platte wurde; auf Rollen unruhig wälzte sich die eiserne Platte, hin und zurück, hoch und nieder, Zahnräder rissen mit brockendem Rattern die Luft in Stücke, niederdonnerte die prallende Walze hinter dem krachenden Plattenstück. Männer mit Hakenstangen rissen die Platte herum, trieben das schmale Ende auf mahlendem Rollenwerk zwischen die schnappende Walze; immer lauter wurde das Gebelfer des erkaltenden Eisens, das nun schon ein glattes zehnmeterlanges und zweimeterbreites Blech geworden war.
An drei solchen Hochwerken vorbei kam ich an gemauerten Öfen vorüber, an denen kleinere Öffnungen wie strahlende Fenster aus einem eingeschlossenen Lichtklotz weiße Löcher in den blauen Qualm schossen. Das Gesicht in die Glut gehalten, zog ein Mann mit einer Zange eine schwere, weißglühende Platte heraus, schwang Zange und Platte in einen Haken, der von der Decke hing und dort mit einer Laufkatze verbunden war. Mit einem zweiten Schwung schmiß er die Platte durch eine Kurve in eine Walze. Eine lange Reihe solcher Blechwalzen stand zwischen zwei vieltürigen Glühöfen.
Nun schritt ich an Haufen heißstrahlender Platten vorbei ins Unbekannte hinein. Fragen konnte ich nicht, ich wußte ja nicht mehr, in welcher Abteilung der Fabrik ich den Sack stehen gelassen hatte. Auf gut Glück rannte ich meiner Neugier und den höchsten Dächern nach, verlief mich in eine Reihe aufgestapelter Maschinenteile, Walzen und Räder, deren rote Nummern weithin leuchteten. Ich ging einem Arbeiter nach, der über die massiven Rahmen und Stege stieg; unter uns krochen Männer, die zu viert einzelne Teile zusammentrugen.
Nun sah ich, daß das Walzwerk mit dem Ofen zusammenhing, auf dem ich zuerst gewesen: hier kamen die Schrottmassen aus den Mulden als geschweißte Blöcke wieder hervor. Der Arbeiter verschwand nun in eine gemauerte Höhle, ich stieg hinterher. Im Dunkeln tapste ich an steile Leitern und hörte den Mann vor mir stolpernd rumoren. Endlich kam ich in eines der Gewölbe, welches frisch ausgemauert wurde. Im Schein elektrischer Lampen legten die Maurer die hellen Chamottesteine zusammen. Durch das offene Türloch sah ich die plumpe Schrottmulde und die stoßenden, reißenden Gestalten. Jetzt war ich wieder im Martinwerk. Ich ging an die erste Feuerung zurück – da stand mein Sack, ich packte ihn und ging wieder über die Rampe zum Hochofen.
Der Monteur hatte mit den Kollegen gewartet, er war nicht sehr freundlich als ich kam; er nahm den Sack und trug ihn in die Baubude. Ich war froh, daß ich die winzigen Dinger in diesem wüsten Eisenhaufen wiedergefunden hatte. Neugierig lehnte ich mich über das Geländer der Bühne und sah über die Stätte voll Betrieb und Verkehr. Der Rhein und die grünen Wiesen, die Dämme mit den Weiden, die einzelnen Häuser leuchteten im Frieden des sinkenden Nachmittags; ich glaubte auf einem Luftschiff zu stehn, entrückt der eisernen Welt da unten, die gegen sich selbst und die Menschen feuerte, räderte, schlug und tobte.
Nun suchte ich wieder nach der Halle unserer Kesselschmiede, sah aber nur das Dach des langen Martinwerkes, durch das ich vorher gekommen; eine Ecke des Maschinenhauses stieß über das winzige Portierhaus, dann verkrümelte sich die Straße zwischen Häuserblocks.
Ich ging eine Treppe höher, um den Turm herum; es begegnete mir kein Mensch. Bei jedem Schritt veränderte sich die Landschaft; niedrige Wohnstädte lagen hinter leeren Feldern, die schwarz, wie abgebrannte Heide ödeten; in der Ferne wölkten aus unzähligen Schloten Rauchmassen, unter denen Hallen und Dächer wie Balken verstreut lagen. Dann blinkte der Rhein auf, eine hellgelbe Straße weither, weithin. Überm Rhein grünten Weiden und Wiesen, ferne düsterte ein Wald, Dörfer waren helle Fleckchen. Ich ging wieder ein Geländer weiter: da baute sich die Stadt auf, Duisburg, Ruhrort Hamborn. Wasserstraßen glänzten an hohen Silos und Lagerhäusern vorbei.
Nun sah ich die Masten der Schiffe, die langen Streifen Rauch von den Dampfern, da mußte auch die Schiffswerft von Berninghaus sein, in der vor vierzig Jahren mein Vater gearbeitet hatte. Warum war ich hier nicht geboren, in der Stadt der Reichtümer von Kohle und Eisen, Schiffen und Eisenbahnen, zwischen den großen Maschinen und wilden Menschen. Mir war, als hätte ich dieses schon alles gesehen, als käme ich nur hierhin zurück.
Da hallte aus der Baubude Lachen und Geschrei, mein Kollege, der Nieter, die Schlosser lachten, der Monteur schwenkte den leeren Sack und rief mich. Als ich kam, zeigten sie auf die Erde: da lagen anstatt der Bohrer und Reibahlen alte Stücke Rundeisenschrott, Trümmer eines Ofenrostes, wertloses Gerümpel. »Warum hast du nicht sofort nachgesehn!« brüllte der Monteur. »Hier muß man höllisch aufpassen! Du bist hier nicht in deiner Krauterbude.« »Das merke ich langsam auch, daß ich nicht bei meiner Mama bin!« sagte ich ärgerlich und stieß mit dem Fuß an den Sack: »Was liegt an ein paar Bohrern; zu Haus wären die Brocken ein kleines Vermögen, hier sind sie ein Dreck!«
»Er fühlt sich schon als Millionär!« spottete der Monteur.
»Menschenskinder, recht hat er, schweigen muß er!« sagte der alte Kesselschmied. »Schließlich können die Ofenleute die Bohrer auch nicht fressen! Hätt er nur ordentlich zugesehn, so hätt er sie neben dem Sack gefunden.« Er schlug mich auf die Schulter: »Hier, verstehst du, ist jeder für seine Zehnmillimeterschraube verantwortlich, hier muß bei den Unterlegscheiben gespart werden, woher meinst du, daß Hochofen und Walzwerk gekommen wären: aus lauter Sparsamkeit! Jeder Pfennig, an Arbeitslohn gespart, wird hier zur Mark; dafür sind wir Klammeraffen da, denen die Goldstücke von den Eisenbäumen herunterzuholen!«
Endlich standen meine beiden Kollegen wieder zusammen, sie hatten in der kleinen Bude mit dem Monteur geschwatzt. »Daß du es weißt, wir gehören jetzt zur Kolonne Baumann von der Brückenbau A.G., die diesen und die andern Hochöfen umarbeitet. Wir kriegen von vornherein schon zwanzig Prozent Montagezuschlag, weils keinen Akkord gibt. Aber eine Prämie sollen wir kriegen, wenn die Sache in vier Wochen wieder im Schuß ist. Dann man ran! Lauf also nicht wieder im ganzen Betrieb rum, Spieljunge, sonst kriegt dich der Ernst des Lebens beim Wickel!«
Er wies auf den Monteur, der aus der Bude kam und den Zettel in der Hand hielt. »Lersch, Wolfert, Zwielert, auf drei Etagen arbeiten drei Gruppen; der Jüngste kommt ganz hoch, auf die dritte Etage; Wolfert, Sie montieren die Bühne hier; Zwielert, Sie machen Nietefertig. Wir arbeiten eine Stunde länger heute. Verstanden!« Wir, Zwielert und ich, stiegen die Treppe hinauf, ich mußte noch höher, legte den Kopf in den Nacken und sah vier Mann zwischen Trägern stehn und schrauben. Schmale Bretter lagen als Gangsteg von der Leiter zu der Arbeitstelle.
»Moment!« rief der Kollege herunter, »wir sind bald fertig.«
Ich lehnte mich auf einen Träger und schaute wie von einem Aussichtsturm ins Land hinein, vor mir lag der große Fabrikhof, dahinter zog der Rhein, ich sah einem Schienenstrang nach, der erst langsam aus dem Gewirr sichtbar wurde. Eine puffende Lokomotive schleppte Waggons mit braunem Inhalt heran. Ein langer, brückenartiger Kran lief vom Land über die Kähne, weiß pufften die Aufzugsmaschinen, brauner Staub wölkte, wenn ein Greifer voll in den Waggon stürzte.
Ein zweites Geleis lief am andern Ende des Platzes über das Feld, lange Waggons mit Schienen und Trägern blitzten in der Sonne. Nun sah ich dieses Geleise wie eine Verbindung zwischen dem Strom und dem Land: auch diese Anlagen am Rhein gehörten zur Fabrik, genau so, wie der große Werkbahnhof auf der Landseite. Die Wohnungen, die zwischen den Geleisen lagen, waren mit in den Kreislauf eingeschlossen und mir kam es vor, als sei das Werk nicht nur eine Fabrik, sondern eine einzige große Maschine, eine gewaltige Pumpe, die mit unsichtbarem Saugen und Ziehen die Menschen aus dem Land, die Kohle aus der Erde, das Erz aus dem Gebirge, den Kalk aus den Felsen riß, durch die Apparate und Walzen, Gefäße und Öfen drückte und als Eisen wieder hinausstieß.