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Die Aufgabe des erkenntniskritischen und seelenkundlichen Teiles (Buch I und II) war es, die natürliche Auffassung von Geschichte als Wissenschaft zu zerstören. Die Aufgabe des zweiten, aufbauenden Teiles (Buch III) bestand darin, das über-natürliche Wesen von Geschichte (als Verwirklichung menschlicher Bauanbilder) zu würdigen. Dagegen war es nicht unseres Amtes zu entscheiden, welches unter den unzähligen möglichen Bauanbildern der Völker und Zonen das letzte und rechte sei. Wenn wir nun zum Schluß Entscheidung zu treffen scheinen, so soll der Leser darin nichts sehn, als den bedingten Ausdruck eines nur persönlichen Erlebens. Es darf ihn auch nicht kümmern, ob die großen Anbilder, die grade diesem Leben vorschweben, als Gipfelblüte oder Herbstlandschaft von Kultur zu betrachten sind.
›Uns bedrückt nicht solches Wissen,
Unser Jahr ist uns die Grenze,
Unser Licht die Glut im Ringe
Und ihr Dienst uns Ziel und Pflicht.‹
George.
Oberhalb Athens, auf sanft ansteigendem, veilchenüberblautem Hügel, über den Menschen, aber nicht fern von ihnen, steht ein stiller, weinumrankter Gartentempel, darin endlichen Geistes schönster Traum sinnlich-volle Erfüllung ward.
Hier wohnt die kleine Gemeinschaft der ›Freien und Erlösten‹: Männer und Frauen, die das Ziel des Lebens gewannen, indem sie jedes Ziel von sich entfernten, des Lebens Sinn erkannten, indem sie die falsch-gestellte Frage nach ›Sinn‹ hinter sich ließen.
Hier schloß sich der Ring! Man wirft keine Zwecke über erfüllte Stunde hinaus. In jeder lebt die ganze Zeit, (was gewesen und was sein wird); gestaltgeworden, endlich-unendlich, ewiggegenwärtig. In diesem Hause hängen keine Spiegel. Unter diesem Dache schlagen keine Uhren. Blumen blühn, die immer erneuten; sie lachen nicht noch weinen. Von einfachen natürlichen Speisen wird der Leib gebaut. Feigen, Trauben, Datteln reifen zu. Übervoll hängt der Pfirsichbaum, als drücke er seine Früchte dem Schönsten in die Hand, bittend: Lasse mich Du sein. ...
Wir sprechen von Schönheit und Würde des griechischen Stadtstaates, aber nicht die Polis war die Blüte lichteren Lebens; höhere Würde besaß ihr Gegenspiel: der Thiasos.
Aus dem Thiasos sind die Geheimnisse von Eleusis und die unsichtbaren Gemeinden des ersten Christentums, dionysische wie gnostische Mysterien, hervorgeblüht. Die frühesten Christen waren Glieder einer heiligen Lebensgenossenschaft, welche weder bürgerlich-sittliche noch staatlich-politische Ziele kannte, sondern um des Lebens Tiefe zu gewinnen, sich in Grenzen einschloß, seien es die eines Gartens oder eines Kerkers. Denn sie wußten: nicht Staat, Vaterland, Familie, gesellige Gruppe, sondern nur der Eine ist Keimzelle sowohl, wie Blüte des Lebens, und wenn jene Bindungen bezwecken, den Einzelnen zu verbrauchen, so heiligt die nach Überwindung aller weltlichen Bindungen erbaute neue Gemeinschaft des Mythos: die Auferhöhung der Seele zum Gott. Nur die Befreiung vom Staate ermöglicht diese neue Staatskunst! ...
Streben wir nach Ruhm? nach Macht? nach Kronen des Ehrgeizes, nach Glück? Wir wollen vergessen und vergessen sein, und die Ehren des Marktes, sein Wettbewerb, sein Neid, seine Bewegkräfte und Zwecke liegen weitab von uns! Wir haben großen unmittelbaren Glauben, und welche Beglaubigung hätte Glaube, wenn nicht einzig die Freude, die von klaren Stirnen leuchtet.
Den vollkommensten Menschen zu entfalten, das ist Zucht- und Selbstzuchtgedanke des Thiasos. Als Dionysos trug er die Krone aus Rosen (als Christus blieben die Dornen zurück). Jeder Lebenskeim, jede Lebensmöglichkeit soll entwickelt werden; nicht vereinzelt in Verkümmerung anderer, sondern in eines Seelenganzen Gleichmaß, nicht um zu wirken, sondern um zu sein. Thiasos (sodalicium) war der Name des dionysischen Festschwarms; es war auch der Name der ersten christlichen Liebesgemeinschaften. ...
Das Gedeihen einer schönen Wiese ist wichtiger als die Frage: Demokratie oder Aristokratie? Sie wissen nicht, was Vorgesetzte sind und Untergebene. Höhere Vollkommenheit ist Dienst, Neid, Liebe, Pflicht. Alle gelten gleich; darum ehrt man des Blutes Unterschied. Jeder erfüllt in der Arbeit nur Sich. Die niedrigsten Arbeiten entlohnt der sinnlichste Genuß; die höchste Arbeit aber, ihren Lohn in sich selber tragend, lohnt nur des Geistes Ruheglück. Körpersport und Gespräch sind des Tages Erholung. Was ist das Niedrigste, den Menschen am tiefsten Entwürdigende? Arbeit um der Arbeit, Schaffen um des Schaffens, Erkennen um der Erkenntnis willen! Dichter, Künstler, Denker, Gelehrte, das sind die letzten, die armseligsten unter Menschen, wenn nicht ihr Gedicht gilt als Ausdrucksspur höheren Lebens, wenn nicht ihr Gedanke höheren Lebens schon dieses höhere Leben selber ist.
Freue dich, daß dein Leben währt, und freue dich, daß es nicht lange währt. Diese lebten als wahre Könige; und die Erde sah nichts Höheres.
›Bauherr, ich spotte dein, jetzt kenn ich dich.
Nie baust du mehr ein beinern Haus für mich.
Der Geist entflohn der Sinne Herrlichkeit
Vertilgt den
Durst. So endet Lebens Leid!‹
Dhammapadam.
Dennoch ein Höheres! Und der es brachte, war ein wirklicher Königssohn. Der aber verließ der Freude umhegten Garten und verschmähte der Liebe Paradiese aus höherer Liebe; trennte sein Auge von allen Reizen der Blumen und der Kinder, sah nicht mehr des Weibes Schönheit, wendete den Blick ab vom Sinnenschein der Rubine. Smaragde und Perlen.
Warum geschah das? Weil an einem stillen Abende über des Gartens wohlumhegende Rosenhecke ein Schrei gedrungen kam, der Qualenschrei der Nichterlösbaren, der Notschrei aller, die außen stehn. Da verblich die Röte der Rosen; da hing der Norden über dem Pfirsichbaum, und als Schmerz sich senkte auf das Blumenleben, stieg aus dem stillen Gartenlande etwas schauerlich Fremdes empor. Seit aber dieses Fremde da ist, kann der Mensch nicht mehr blühen mit seinen Hecken, nicht mehr leuchten mit den Sternen, nicht mehr im Winde Busch und Baum segnen. Jetzt friert durch Tag und Stunde das: Wofür?
Der Schrei der Not hat das Leben wach gemacht; und daran welkt der Garten, davor gilben die Hecken, und jenseits des entzauberten Gartens liegt eine Wüste.
Wie heißt das Schwert, das durch die Wüste hilft? Geist ist das notgeborene Schwert! Mit dem Geiste ist das Ideal geboren, mit dem Ideale der Tod. – Kann die Lebensblume nicht mehr im Kelchblatt sich verschließen, selig schlafend ohne Sehnsucht und Angst, – – was dann? Dann gibt es nur einen Notausgang!
Tageshelle Überwindung dessen, wovor die Seele sich nicht verriegeln kann. Sie muß dem Nächtig-Fremden zu Leibe gehn, sie muß es umwandeln in Menschenwirklichkeit und einkerkern in Menschenwort. Geist überwindet. Dem Thiasos der griechischen Weit entspricht in der asiatischen der nurgeistige Orden der Überwinder, die Sangha. Buddha (der Vollendete), Dhamma (die Norm) und Sangha (die Gemeinde) sind die ›drei Kleinodien‹ Asiens.
Die ›aus Leiden wissend Gewordenen‹ ( dukha-satya) sehen zu tiefst: ›Schuld‹ ist Wesen des Lebens selbst. Keine Gartenhecke schützt vor dem Notschrei. Aufhebung des Schmerzes ist Ziel eines Lebens, welches doch nur gespeist, unterheizt, unterhalten wird dank und vermöge des Schmerzes. So steht nur Eines offen: Überwindung der Schuld und Not durch Überwindung des Lebens selbst. Leben = tanhä, wörtlich: Durst.
Unter diesem Gesichtspunkt verkehren sich die Pole. Jetzt heißt der Geist: das wahre Leben. Das Lebenselement aber ist nichts als der Stoff und das Mittel, daran der Geist sich erfüllen wird. Nur im Geiste ist Dauer, denn in ihm wird Zeit zu Ewigkeit. Alles Irdische lebt nur dank der Form, aber der Geist zertrümmert jede Form, denn Form ist Grenze und Grenze ist Tod. – Will nicht alles Leben Lust? Fordert nicht alle Lust Dauer und Ewigkeit? Wie also könnte die ›Welt im Ich‹ ( ākāsha) das ›wahre Wesen‹ sein? Nein! Unser wahres Wesen ist nicht ›Wissen aus Schmerz‹. Das ist nur unser Ich. ( nāmarūpa, wörtlich: Name und Form.) Aber die Not, die die Wirklichkeit des Bewußtseins schafft, ist vergänglich. Ihre Erlösung, Auflösung, Überwindung, das Erwachen vom Traum, die Genesung von der Krankheit, das Jenseits von Tod und Leben nennen wir: Nirvāna.
Der Widerstreit der beiden Lösungen des Lebensrätsels (der beiden einzigen folgerichtigen) ist unvermeidlich. Er ist der Widerspruch des Menschenbewußtseins selbst, als welches immer von zwei Polen des Unbekannten begrenzt ist und nach beiden unzugänglichen Grenzgebieten hinblicken muß: Hie Wahrheit! Hie Leben! ( § 2.) – Ich will im folgenden versuchen, den Urwiderspruch knapp in Worte zu fassen, ohne dabei die eine der zwei Einstellungen höher zu werten als die andere. Es ist ebenso falsch, Epikurs Heiligung des Gegenwärtigen als Glückseligkeitslehre (Eudämonie, Hedonismus) zu vergewöhnlichen, wie es unsinnig ist, dem Buddha (im Sinne des Abendlandes) ›Pessimismus‹ zuzuschreiben. Buddhas Verwerfung der geschichtlichen Welt stammt nicht aus Erkenntnis ihrer Not, sondern aus unmittelbarem Anschaun der Vergänglichkeit auch der frohesten Gegenwart.
Epikur: Alles Leben ist Vergänglichkeit. Was folgt daraus? Es folgt daraus, daß du den Tag ergreifen sollst. Es folgt daraus, daß du die Rose küssen mußt, ehe sie verblüht. Gib dich der Gegenwart hin, die nur darum süß ist, weil sie nicht dauert.
Buddha: Alles Leben ist Vergänglichkeit. Was folgt daraus? Es folgt daraus, daß dein ›wahres Wesen‹ jenseits des Vergänglichen liegt. Es folgt daraus, daß dein Ich, das vergänglich ist, kein ›wahres Gut‹ sein kann. anattā (Nichtselbheit), avidӯa (metaphysischer Wahn), pathavisaññ (nur Erdbewußtsein). Wirf die Zeit von dir, streife die Täuschung ab, so gewinnst du das wahre Ziel.
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Epikur: Die Vollendung des Geistes ist Ende des Lebens. Was folgt daraus? Wage zu irren!
Buddha: Die Vollendung des Lebens ist Ende im Geiste. Was folgt daraus? Wage weise zu sein!
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Epikur: Ziel ist: Leben. Also muß Wollen bejaht werden. So fordert Lebensreligion.
Buddha: Ziel ist: Geist. Also muß Wollen verneint werden. Also fordert Wertreligion.
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Epikur: Der Mensch irrt, so lange er strebt. (Ethik bleibt Traum.) Also gilt es nicht Ziele zu werfen über den Augenblick hinaus. Alles was ist, ist wert zu sein.
Buddha: Der Mensch irrt, so lange er strebt. (Ethik bleibt Traum.) Also ist geboten, die Aufhebung des Strebens selbst. Alles was ist, ist wert unterzugehn.
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Epikur: Nichts ist wesenhaft-ewig als Werden. Alles fließt. Fluß ist Sein.
Buddha: Nie kann sein, was wird. Alles fließt. Fluß ist nicht Sein.
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Epikur: Erde ist Reich der ewigen Geburt.
Buddha: Erde ist Reich des ewigen Todes.
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Epikur: Es gibt nur ein Unbedingt-Verwerfliches: Erstarren in Tod. Besser als Sklave leben, denn gar nicht leben. Traurigsein ist mehr als gar nicht sein.
Buddha: Es gibt nur ein Unbedingt-Verwerfliches: Hingabe an Leben. Besser gar nicht leben, denn als Sklave leben. Gar nicht-sein ist mehr als traurig-sein. Vgl. im ›Fröhlichen Eselsquell‹ das Schlußstück: Der süße Schmerz. Die hier gestellte Wahl zwischen ›Lieber Sklav als tot‹ und ›Lieber tot als Sklav‹ kennzeichnet zu tiefst den Gegensatz der lebensgläubigen und wertgläubigen Natur. Ich verweise auf die höchst merkwürdigen, jede erträgliche Art von Lebenslobpreisung überbietenden Verse des reinästhetisch gestimmten Mäcenas, welche Seneca Ep. 101 anführt. Sie lauten deutsch: »Laß erlahmen mich an Hand und Fuß und Hüfte. Schlag mir die Zähne wacklig. Es ist mir alles recht, wenn ich nur lebe. Erhalte nur mein Leben mir, ich bitte, und müßt ich schwer gequält am Kreuze hängen.« – Wie schön ist dagegen Senecas › non potest cogi, qui potest mori‹ (unbezwinglich ist, wer zu sterben weiß). – Die angeführten Briefe Senecas und die Lebensweisheitsoden des Horaz sind der schönste Ausdruck edlen Epikuräertums. Aristoteles freilich behauptet: ›Nicht leben ist besser als schlecht leben‹ (μὴ ζὴν ἄμεινον, ἢ κακῶς ζῆν). Auch Zeno fordert: ›Nicht Glück, sondern Schmerzlosigkeit‹ (μὴ τὸ ἡδὺ, ἀλλὰ τὸ ἄλυπον).
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Epikur: Alle Vollkommenheit Form. Ungeformtes unvollkommen. Gott ist Gestalt. Frevel ist: Unausmeßliches erschauen.
Buddha: Alle Form unvollkommen. Unendliches allein vollkommen. Gott ist Aufhebung von Gestalt. Frevel ist: Unausmeßliches begrenzen.
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Epikur: Uns ängstet das Unermeßliche. Abgeschlossenes Bild, meßbare Größe ist Welt. Alles hat Maß und Zahl.
Buddha: Uns verkäfigt das Endliche. Abgeschlossenes Bild, meßbare Größe ist Schleier der Maya. Jenseits der Sinne liegt Wahrheit. Daß ›Wahrheit‹ auf vollständige Entsinnlichung hinausführt, dafür ist die Geschichte der Mathematik seit Euklid der beste Beweis. Die ganze lebenzugewandte und praktische Mathematik des Altertums ruhte auf Sinnenschein, denn sie geometrisierte auch die Arithmetik, während die moderne Mathematik umgekehrt erst mit der Arithmetisierung auch der Geometrie beginnt. Darum vollenden die nichteuklidischen Mathematiken Schritt um Schritt die Entsinnlichung des Menschen. (Ein Grundsatz wie das von Eugen Dühring totgerittene ›Gesetz der endlichen Anzahl‹ ist im modernen Weltbilde eine ungeheuerliche Unzeitgemäßheit.)
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Epikur: Die Welt im Raum, den Sinnen gegeben, ist Ausdruck und Oberfläche des Lebendigen. Glauben wir ihrer Anschauung, denn ihre Wahrheit ist augenscheinlich.
Buddha: Die Welt im Raum, den Sinnen gegeben, ist Auslegung des Lebendigen. Mißtrauen wir ihrer Anschauung! Ihre Wahrheit ist nur augen scheinlich.
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Epikur: Ich liebe die Raum- und Sinnenwelt. Nur darin offenbart sich Element.
Buddha: Ich liebe die Zeit- und Geisteswelt. Nur darin vernichtet sich Element.
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Epikur: Der Mensch ist ein Stück Natur, ein begrenztes, geformtes, erfaßliches Wesen im Raume, ein Objekt, erkannt und erkennbar; ein Gebilde.
Buddha: Natur ist Gleichnis und Auslegung der Seele, der unbegrenzten, unerfaßlichen, ihres unerkennbar fließenden Werdens, dessen Vergegenständlichung in Raum und Zeit bloßer Wahn ist: eine Musik.
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Epikur: Alles Leben: Ja.
Buddha: Alles Leben: Nein. S. 231.
Patet janua, exi!
Die Versöhnung beider Lösungen kann in dreifacher Art versucht werden.
Man mag erstens geneigt sein, die Lehre Buddhas als letztes folgerichtiges Zu-Ende-denken Epikurs zu betrachten. 1
Zweitens wäre möglich, daß beide Weltanschauungen nebeneinander bestünden, indem man die eine als allen-zugehörende (exoterische), die andere als das Geheimnis einer einsamen Gemeinschaft und der einsamsten Stunde forthegt; weltzugewandt also als volkgeborene, naturgebundene Kinder der Erde aus dem Geiste Epikurs lebend, dennoch als einsame, weltabgewandte Geister dem Buddha den Kranz erteilend.
Drittens – und das wäre das Höchste – könnten in einer Seele die beiden polaren Gedankenkreise so einander durchdringen, daß ihr ›Widerspruch‹ ganz verschwindet als bloße Vordergrundsnotwendigkeit des Begreifens und begrifflichen Erfassens, während das unmittelbar dargelebte lebendige Leben jenseits alles Gegensatzes wie aller Begrifflichkeit in beider Sinn und Geiste sich ausblüht, einer der beiden Ausdeutungen zufallend immer erst dann, wenn in Bewußtsein und Wort etwas Unerfaßliches faßlich verstirbt.
Dies scheint mir das letzte verstattete Wort, das aus Jahrtausendkämpfen des Abendlandes abschließend hervorbricht. ...
Hier begrenze uns in Ehrfurcht nicht mehr lehrendes und erklärendes Schweigen derer, die um eine langsam reifende Erneuerung christlicher Jahrtausende wissen, ausmündend (um die Formel eines großen Erweckers zu gebrauchen) in Einklang von Erdentreue und Jenseits, Begrenzung und Unendlichkeit.
Tragödie verklingt in Ironie, großes, tiefes Pathos bricht aus dem Erdreich der Komik, ein ungeheurer neuer Ernst langer Verantwortung erscheint gekleidet als das freudigste Spiel.
Das neue Leitbild des ritterlich bejahenden Christus, des nordisch-deutschen Buddha, des Kreuzes in Rosen, der Einheit von Asien und Europa ward zur Gewißheit beider Stammgeschlechter einsamer und vereinender Genien, der Abenteurer und Heilande, der großen Spötter und großen Heiligen, der Vaganten und Eremiten, derer, die kühn mit dem Leben gespielt, und derer, die stolz das Leben überwunden haben; Jünger aus dem Samen Epikurs, Mönche aus dem Erbe Buddhas.
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Ein Buch, das in Tagen, wo Geschichte alle Herzen erfüllt von Geschichte befreien will, darf nicht selbst historisch beurteilt werden. Daß daranhaftet alle Grenze und Schwäche, Ausdrucksschwere, Dunkelheit, Blindheit und Enge zeitlichen Menschentums, die Landschaft der Not, die Landschaft der Gedrücktheit, die ernste Sprache einer späten, überwachen Wissenschaft, das Weltgesicht eines kleinen Erdteils, das alles darf nicht darüber täuschen, daß geistiges Werk immer am Ziele steht. Denn wie alles, was auf Erden vollkommen ward, alle Arten anderer Vollkommenheiten mitumfaßt, jedes Kunstwerk alle Kunstwerke, jedes System alle Systeme, wie mithin alles Vollendete die Elemente seiner Herkunft, ja die ganze Geschichte in sich aufsog, so möge auch dies Buch aus grausiger Zeit und strengem Schicksal eingehen in ein Reich ungeschichtlichen und zeitlosen Seins, wo es ehrlich-erarbeitet nüchtern-wahr, fremd dem Orakeltone der Geistreichen wie dem Lehrton der Klüglinge, ungekannten Freunden den Schlüssel bietet zum Leben von Geschichte.
Daß ein bloßer Schlüssel zum Leben nicht selber Leben ist, – wer darf es beklagen? Immer war Erkenntnis Opfer; vielleicht ein Frevel; aber nicht jeder ist wert, sich opfern zu dürfen. Und es mußten wohl vieler Herbste reife Trauben zerpflückt werden, um sie zu zertreten, zu keltern und abzuziehen auf die vertrauend, ins große Meer geworfene, so nichtsmehrhoffende, so alleshoffende kleine Flaschenpost des Begriffs.