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Ich war dem großen Grenzstrom nahe. überall wuchs das mannshohe Schilf, man sah selten Äcker oder Reisfelder. Da konnte ich nun kaum mehr vorwärtskommen. Vom frühesten Morgen bis in die späte Nacht patrouillierten die bewaffneten Soldaten und es knallten oft Schüsse, besonders häufig in der Dämmerstunde, in der die meisten Flüchtlinge unterwegs zu sein schienen. Nur mit der äußersten Vorsicht wurde ich von einem Bauer oder Fischer in das nächste Dorf, oft auch nur in das nächste Haus geführt, bis ich endlich eine kleine Fischerhütte erreichte, in der ich mich solange verborgen halten sollte, bis ein Fährmann versuchen würde, mich überzusetzen.
In der nächsten Nacht kamen noch zwei andere Studenten in die Hütte, die ebenfalls über den Strom wollten. Sie schienen noch jünger zu sein als ich. Der eine, ein blasser verängstigter Junge, konnte kaum siebzehn Jahre alt sein. Er schien es zu bereuen, die Flucht gewagt zu haben. Er saß still da und starrte nur vor sich hin.
In der dritten Nacht erschien endlich ein älterer Fischer und forderte uns auf, ihm zu folgen. Wir zögerten, die Hütte zu verlassen, weil noch der Mond schien und wir leicht gesehen werden 181 konnten. Der Fährmann meinte aber, daß gerade bei hellem Mondschein die Grenzkontrolle nicht so streng sei. Wir vertrauten ihm und folgten ihm auf einem kaum erkenntlichen Pfad zwischen den Schilffeldern. So flüchteten wir über eine Stunde und erreichten ein kleines Wäldchen. Hier gab der Fischer einen kurzen Pfiff von sich und es kam ein ähnlicher Pfiff aus dem Dickicht. Darauf erschienen zwei weitere Fischer und wir liefen noch eine Weile durchs Schilf, bis wir endlich am Ufer waren. Wir erschraken fast. Der Strom war hier nahe seiner Mündung, und er sah nicht mehr wie ein Fluß aus, sondern verlor sich wie ein Meer in der unbestimmten Ferne.
Die Fischer flüsterten eine Weile untereinander und banden dann schweigend die kleinen einbaumartigen Fahrzeuge vom Pflock los, während wir regungslos dastanden. Diese »Schiffe« waren so klein, daß in jedem nur zwei Menschen mit Mühe Platz hatten. Jeder Fischer nahm nun einen von uns zu sich in das Kähnchen und wir stießen in großen Abständen nacheinander vom Ufer ab. Es schien mir fast eine Ewigkeit zu vergehen, während wir so still und geräuschlos über das große Wasser ruderten. Als wir die Mitte des Stromes erreicht hatten, hörten wir in der Ferne einige Schüsse fallen. Mein Fischer lächelte und bedeutete mir, daß ich schweigen solle. Später flüsterte er mir zu, daß dies sicher nur Warnungsschüsse gewesen seien, die man von Zeit zu 182 Zeit von der Eisenbahnbrücke aus abgab. Inmitten der glitzernden Wasserfläche würde man uns niemals entdecken.
Es war Mitternacht geworden, als wir auf dem anderen Ufer standen. Die Fischer beschrieben uns in Kürze den dreistündigen Weg bis zur nächsten chinesischen Grenzstadt und verabschiedeten sich von uns. Wir blieben eine Weile stehen und sahen zu, wie die drei Fahrzeuge langsam unserer Heimat zufuhren. Dann beschritten wir stumm den kiesigen Pfad, zum erstenmal in unserem Leben auf mandschurischem Boden.
Es war schon hell geworden, als wir die chinesische Stadt erreichten und nach langem mühseligem Suchen die kleine koreanische Gaststätte fanden, die man uns genannt hatte. Wir legten uns gleich schlafen.
Noch am selben Nachmittag trennten wir uns voneinander. Der jüngere von meinen beiden Gefährten fuhr nach Tschangtsun und der ältere nach Mukden.
Ich ging durch die Stadt, die erste chinesische Stadt, die ich sah. Menschen fluteten durch die engen Straßen, die trotz der vielen Schilder mit goldenen Schriftzeichen düster aussahen, weil die Häuser nicht geweißt und die Menschen blau gekleidet waren. Es ging hier lebhafter und lauter zu als in einer koreanischen Stadt, und überall war ein sonderbarer Duft, der mir fremd war. 183
Ich verließ die Stadt und bestieg einen Hügel, um noch einmal den Fluß zu sehen. Ruhig und blauschimmernd floß er in der Abendsonne durch sein sandiges Bett zwischen den Hügeln. Hier war er noch schmal, er konnte nicht mehr als einen halben Kilometer breit sein. Ich glaubte fast, die Gesichter der Menschen auf dem anderen Ufer zu erkennen. Sie hingen ihre Netze auf. Frauen und Mädchen saßen vor ihren Häusern und schienen Bohnen zu enthülsen, die sie wohl zum Abendessen kochen wollten. Kinder spielten und balgten sich.
Unaufhaltsam floß der Grenzstrom, der seit uralter Zeit meine Heimat von diesem endlosen mandschurischen Land trennte. Hier war alles groß, düster und ernst, drüben alles klein und heiter. Die hellen strohbedeckten Häuser standen verstreut an die Hügel gelehnt. Aus manchem Schornstein stieg schon der Abendrauch. In der Ferne reihte sich unter dem klaren Herbsthimmel eine Bergkette an die andere. Die Berge leuchteten in der Sonne, leuchteten noch einmal in der Dämmerung auf und hüllten sich langsam in blauen Dunst. Ich glaubte im fernen Süden den Suyangberg mit seinen Schluchten und Bächen zu sehen und das zweistöckige Turmgebäude, auf dem ich als Kind jeden Abend der herrlichen Abendmusik gelauscht hatte. Ich glaubte noch die himmlischen Töne zu hören, die vom Süden herwehen mußten. 184
Unaufhörlich rauschte der Yalu. Es wurde dunkel. Ich stieg vom Hügel wieder hinab und ging zur Bahn.
Ein trüber Himmel spannte sich über die endlose Ebene, durch die mein Zug nach Norden eilte.
Diese große Ebene überraschte mich, weil ich in meiner Heimat nur Berge, Hügel, Täler und Schluchten gesehen hatte. Hörte ich von einer großen Ebene, so hatte ich sie mir doch immer etwas hügelig vorgestellt, aber niemals so flach wie hier. Keine Erhebung, keine Vertiefung, eben und immer wieder eben. Irgendwo erhob sich ein Sturm und fegte dichte Staubwolken zu uns her. Ich konnte mir gut vorstellen, wie hier einst die Reiterscharen der mongolischen und mandschurischen Horden einhergebraust waren. Im Süden klärte sich der Himmel wieder auf und schickte ein fahles Mondlicht in die gespenstische Weite.
Mukden, die mandschurische Hauptstadt, lag auch in einem solchen schutzlosen Flachland und machte auf mich mit ihrer wuchtigen Mauer den Eindruck einer furchterregenden Burg. Umweht von den Stürmen Hinterasiens und vom Staub der mongolischen Wüste war diese Burg der Sitz der mandschurischen Macht, die sich einst über halb Asien ausgedehnt hatte. Ich fuhr nur einmal mit der Pferdebahn in die Stadt und sah mir die Paläste an, in denen nun der einstige Räuber und 185 jetzige General Tsangtsolin die Provinz Mandschurei auf seine altertümliche Methode regierte. Grauenhaft war der Anblick der Hinrichtungsstätte, die außerhalb der Stadtmauer lag. Ringsum waren die Gräber der Gerichteten. Name, Alter und Beruf standen auf dem Holzstab, vor jedem Grab, das von Regen und Staub beschmutzt war. In der Mitte dieses traurigen Feldes erhob sich ein wuchtiger Pavillon, in dem die entsetzliche Handlung vollzogen wurde.
Der chinesische Bahnhof in Mukden hatte keine Halle. In der prallen Mittagssonne unter freiem Himmel stand mit vielen gelblich angestrichenen Wagen der Zug, der mich nach Peking bringen sollte. Bald war er überfüllt und alle warteten auf die Abfahrt, die sich sehr lange verzögerte. Die Hitze wurde immer unerträglicher, obwohl es schon mitten im Herbst war. Eine volle Stunde später als vorgesehen setzte sich endlich der Expreß in Bewegung und alle atmeten auf. Bald darauf entwickelte der Zug eine ungeahnte Geschwindigkeit; wir flogen unter dem blauen Himmel durch die siebenhundert Meilen breite Liaotungebene dahin, in der einst die menschenleere Schutzzone zwischen dem Reich der Mitte und der Mandschurei gelegen war. Jetzt flogen hier Felder, Häuser und Gräben an uns vorbei. Bald sah man eine Meeresbucht in der Nähe, bald tauchten einige Gipfel und 186 Gebirgszüge in der Ferne auf. Wir eilten dem alten Reich der Mitte immer mehr entgegen.
Es wurde Abend; ein Reisender nach dem anderen legte sich schlafen, soweit man sich auf der schmalen Bank ausstrecken konnte, und einer nach dem andern fing zu schnarchen an, während der Zug der Bohaibucht entlang unaufhaltsam nach Westen rollte. Gegen Mitternacht ging der Mond auf und beschien unseren halbverdunkelten Wagen.
Als ich aus kurzem und schwerem Schlaf erwachte, stand der Zug still.
Mein Nachbar saß unbeweglich vor mir und blickte unentwegt zum Fenster hinaus. Ich folgte seinem Blick. Noch vom Halbdunkel der Morgendämmerung verhüllt, ragten hohe blau schimmernde Berge in den Himmel, und hoch droben, wo sie den Himmel berührten, lief die hellgrau leuchtende Mauer. Ein tiefer Schauder ergriff mich, als ich sie erkannte, die große Mauer von zehntausend Meilen, die vor mehr als zweitausend Jahren der mächtige Kaiser Tsin-shi-hoang-ti hatte erbauen lassen. Es war also keine Sage, was ich in dem Geschichtsbuch gelernt hatte. Vor zweitausend Jahren hatte man wirklich Stein für Stein zu diesen Bergeshöhen hinaufgetragen, um das Bollwerk gegen die Barbaren zu errichten, die immer wieder das blühende Land zu überfallen suchten. Ich glaubte zu sehen, wie die Menschen da droben 187 noch arbeiteten. Immer heller leuchtete die alte Mauer gegen den blauen Himmel.
Wir hielten in Shanhaikoan, der Grenzstation zwischen dem Reich der Mitte und der Mandschurei. Es dauerte fast den halben Tag, bis die Behörden alle Koffer der Reisenden untersucht hatten. Jeder Chinese weigerte sich zuerst, seinen Koffer aufzumachen und zählte nur die Gegenstände auf, die drinnen alle enthalten sein sollten. Die Beamten hörten ihm geduldig zu und sagten noch einmal, daß er trotzdem den Koffer aufmachen müsse. »Weshalb denn?« fragte der Fahrgast. »Ich muß nachsehen, ob da kein Opium drin ist.« »Ich habe keines!« behauptete dann der Chinese noch einmal und lächelte. »Trotzdem muß ich den Inhalt des Koffers selber sehen«, sagte der Beamte, auch lächelnd, »das ist nun die neue Vorschrift«.
So ging es bei allen, bis die Zollbeamten endlich unseren Wagen verließen. Wir atmeten auf. Der Zug bewegte sich langsam vorwärts, durchfuhr eine lange Vorhalle und überschritt vorsichtig die Schwelle des barbarischen Ostens. Die große chinesische Mauer schloß uns ein.
In Tientsin setzte ich die Reise nicht nach Peking fort, sondern stieg gleich in den Zug nach Nanking, nur um Zeit zu gewinnen. Peking wäre wohl auch sehr sehenswert gewesen, ich selber hatte aber kein großes Verlangen, diese Stadt zu sehen, die, 188 im hohen Norden gelegen, mehr den Charakter der Tartaren als den der Chinesen haben sollte.
Der seltsamste Anblick auf diesem Weg nach Süden waren die zahllosen Segelschiffe, die mit ihren roten und braunen Segeln in der warmen Herbstsonne durch die reifen Kornfelder fuhren. Das war der große Kanal von dreitausend Li, den ein genußsüchtiger Kaiser der Su-Dynastie hatte erbauen lassen, um nach dem Süden des Reichs segeln zu können.
Man erzählte, daß sein Kahn von den schönsten Mädchen der Welt mit seidenen Tauen gezogen worden sei, langsam in der Sonne, langsamer im Mondschein. Er hatte wohl vergessen, daß nahezu zwei Jahrtausende vor ihm ein großer Mensch gerade in diesen Gefilden gewandert war und die Menschheit vor Üppigkeit und Trunkenheit gewarnt hatte. Wir fuhren durch die Provinz Schantung, den ehemaligen Staat Lu, in dem der heilige Konfutse geboren wurde. Dank seiner Weisheit waren die Chinesen heute noch die genügsamsten, fleißigsten und friedlichsten Menschen der Welt. Wie gerne hätte ich eine Pilgerfahrt nach Küfu gemacht, um mich vor seinem Grab zu verneigen und wenigstens zu ahnen, welche Pfade er gegangen sein konnte. Ich mußte aber auf meinem Weg bleiben und sah nur die Dörfer vorüberziehen, in denen er vielleicht einmal geweilt haben mochte. Graue Dächer, verborgen im Grün, umwogt vom Gold des 189 Korns, kleine Hügel mit einigen Bäumen und Büschen lagen ausgebreitet unter dem segensreichen Herbsthimmel.
Es war völlig dunkel, als ich am nächsten Abend den Zug verlassen mußte. Alle Menschen stiegen aus, und ich folgte ihnen, ohne zu wissen, wo wir waren und wohin wir umsteigen mußten. Durch das plötzliche Aufwachen war ich ganz benommen. Man ließ uns einen nach dem andern einen schmalen Durchgang passieren und bald danach standen wir vor einer dunkelschimmernden Fläche, die Wasser zu sein und sich weithin zu dehnen schien. Unzählige kleine Lichter von Booten schwammen auf dem Wasser, das aus dem unbekannten Dunkel herströmte. Eine scheue Ahnung stieg in mir auf. Ich ging zögernd um ein hohes Gebäude herum zur Schiffsbrücke und las an dem großen leuchtenden Bogen das uralte Wort »Yang-tse-kiang«.
Ein kleines Boot nach dem andern nahm die vielen Fahrgäste auf, schaukelte los in den dunklen Strom und steuerte gegen Süden nach Nanking. Unter meinem Boot rauschten die Wasser, die aus so vielen Schluchten geflossen kamen. Unzählige Dichter hatten sie besungen. Der Fluß kam von Pingdjang unter dem Omiberg, von der Tjipie, der roten Wand, von Tsishan, vom Tungtingsee. Wußten meine Schwestern, die so oft von Tungtinghu, vom Süden des Stroms erzählt hatten, daß dieses uralte Wasser jetzt meinen Kahn trug? Wußte 190 meine besorgte Mutter, wo jetzt ihr liebstes Kind war? Und er, der mir so viel von Sutungpo erzählt hatte, war längst verstummt und lag in der Mutter Erde. Alles schwieg, nur das Wasser plätscherte im Dunkeln unter meinem Boot.
Am anderen Ufer brachte mich ein Kutscher durch zahllose, holzgepflasterte und überdachte Gassen und Straßen zu einem Gasthaus.
Am nächsten Tag führte mich ein Landsmann, der zufällig im selben Haus logierte, durch die Stadt Nanking zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten. Hier war im Vergleich zu den nördlichen Städten alles zart und lebensfroh. Es gab Kanäle und Trauerweiden, anstatt der doppelten und dreifachen wuchtigen Mauer von Mukden. Hier ruderten feingliedrige Frauen ihre Boote, während dort die stämmigen Soldatengestalten mit dem Gewehr herumliefen. Häuser mit zierlichen Gittern, sanft geschwungene Dächer, Holzbrücken über den Kanälen schimmerten in blauer Harmonie mit dem Wasser.
Nachmittags fuhren wir mit einer Kutsche aus der Stadt, um das Grab des ersten Mingkaisers zu besuchen. Dieser hatte vor etwa fünfhundert Jahren das Reich der Mitte regiert und das ganze Reich nach der Zerstörung durch die Mongolendynastie wieder aufgebaut. Er war zuerst nur ein Bettelmönch und seine ersten Anhänger waren auch 191 Bettler gewesen, nur mit dem Unterschied, daß jener Mönch schon als Bettler einen geheimnisvollen Plan in sich trug und daß in seinen Augen dann und wann ein überirdisches Licht aufblitzte, das wohl nur einen Wissenden mit Schrecken erfüllte.
Eine koreanische Sage berichtet, daß dieser Bettelmönch in Korea geboren sei, in der Provinz des Gelben Meeres. Das kleine Korea bezog ja so gerne alles auf sich, soweit es nur möglich war. Der Mönch also bettelte auf der ganzen Halbinsel und in der Mandschurei. Hier traf ihn der bekannte Li-Songke, der auch mit einem großen Wunsch im Herzen auf dem Weg nach China war. Die beiden jungen Männer übernachteten in einem kleinen Hause, das einer einsamen alten Frau gehörte. Sie bewirtete die beiden mit Kuchen und Wein. Sonderbar aber war es, daß diese arme Frau zwei überaus kostbare Becher besaß. Der eine war aus Gold, der andere aus Silber. Li, der selbstbewußte Herr der Zukunft, dachte, daß sie den goldenen Becher wohl ihm und dem armen Mönch den silbernen reichen würde. Sie machte es aber umgekehrt. Li verbarg seinen Unmut – was sollte ein großer Mann über Kleinigkeiten Worte verlieren? Als sich die beiden am nächsten Morgen von der Wirtin verabschieden und auf den Weg begeben wollten, hielt die alte Frau den Li am Ärmel zurück und sagte zu ihm: »Laß ihn allein ins Reich der Mitte ziehen, dein Weg geht nach Osten!« In diesem Augenblick drehte sich der 192 Mönch zum Abschied um und Li sah das überirdische Licht in seinem Auge. Er ging nach Korea zurück und gründete dort die Li-Dynastie. Da hörte er, daß zur selben Zeit in China die Ming-Dynastie begonnen hatte.
Über eine Stunde dauerte unsere Fahrt, bis wir vor zwei mächtigen Tiergestalten aus Stein standen. Langsam stiegen wir den steilen, von Steinfiguren umsäumten Weg hinan, gingen durch mehrere Tore und Höfe bis zu dem runden Hügel, der fast ein Berg war und uns die Aussicht sperrte. Ein schmaler Graben trennte uns von ihm, von dem Grab des einstigen Bettelmönchs.
In der Abenddämmerung fuhren wir durch hohe Bambushaine zur Stadt zurück. Der kühle Luftzug tat mir wohl. Junge Männer und junge Mädchen begegneten uns; sie gingen plaudernd, singend und musizierend spazieren. Wie lieb war alles auf dem Nankinger Boden, auf dem jeder Stein von Jahrtausenden erzählte! Jeden Weidenzweig, jede Vogelstimme, jeden Windhauch, jedes Wirtshaus glaubte ich zu kennen.
Am Abend saßen wir in einem mittelgroßen, grün und golden tapezierten Raum beim Wein und plauderten weiter vom chinesischen Leben und den Sehenswürdigkeiten von Nanking, die mein Landsmann gut kannte. Er hatte hier studiert und lebte jetzt als Lehrer in einer benachbarten Stadt. Nach 193 Mitternacht verabschiedeten wir uns und ich stieg in den oberen Stock zu meiner Schlafstätte, einer kleinen blaugehaltenen Stube mit einem Messingbett. Ein Toilettentischchen, ein weißer Schrank und ein bestickter Stoffschirm füllten den engen Raum. 194