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Im Jahre 1864 tauchte in Yokohama eine Frau Clifton mit einem jungen Mädchen auf, die, nachdem sie acht Tage bescheiden und zurückgezogen im Wirtshaus gelebt hatte, in einer billigen Nebenstraße einen kleinen Laden mietete und dort ein Geschäft eröffnete, das jedenfalls keine Konkurrenz zu fürchten hatte – nämlich ein Modewarengeschäft. – Wo die Kundschaft dafür herkommen sollte, mußte jedermann ein Rätsel sein. Schon die männlichen Einwohner von Yokohama dachten nur in seltenen Ausnahmefällen daran, Garderobegegenstände in Yokohama zu kaufen: die meisten hatten ihre alten Lieferanten in Europa und empfingen von diesen regelmäßige Sendungen, die sie mit allem versahen, was sie an Kleidungsstücken gebrauchen konnten. Hie und da verirrte sich wohl der eine oder der andere in einen »Store«, um dort ein Halstuch oder einen Hut zu kaufen; aber das waren, wie gesagt, Ausnahmen. – Die jungen Pioniere der Zivilisation waren, trotz der ihnen nachgerühmten Rauheit, elegante Herren, die auf den guten Zuschnitt ihrer Kleider gerade ebensoviel Wert legten wie ihre Altersgenossen in London und New York. – Was nun aber erst die Damen von Yokohama anging, die alle zusammengenommen immer noch nicht zahlreich genug gewesen wären, um die Gründung eines Modewarengeschäftes in der Fremden-Niederlassung zu rechtfertigen, so würden diese es geradezu für eine Beleidigung gehalten haben, wenn man ihnen zugemutet hätte, sich in Japan kleiden zu lassen. Die jungen Herren Gemahle der jungen Frauen – alte gab es nicht – verdienten damals leicht Geld, und Knauserei war ein bei den »Pionieren« unbekanntes Laster; dagegen warfen viele von ihnen das Geld zum Fenster hinaus. Die schmucken, gefeierten, lebenslustigen Engländerinnen und Amerikanerinnen von Yokohama bezogen alles, was sie zur Toilette gebrauchten, von guten und besten Schneiderinnen und Putzmacherinnen aus London und Paris, und nur die sparsamsten unter ihnen mochten eine geschickte Kammerjungfer von »drüben« mitgebracht haben, die im geheimen im Hause für die Toilettenbedürfnisse der Herrin Sorge zu tragen hatte. Aber daß es einer der weißen Frauen in den Sinn kommen sollte, sich von einer in Yokohama ansässigen Schneiderin ein Kleid oder Ähnliches anfertigen zu lassen, – daran war nicht zu denken. – Man ging deshalb auch mit einigem Kopfschütteln an dem neuen Laden vorüber, und die Bemerkungen, die bei der Gelegenheit über die Besitzerin desselben gemacht wurden, waren nicht gerade schmeichelhafter Natur für die Neuangekommenen. – Frau Clifton hörte jedoch davon nichts und war zunächst eifrig damit beschäftigt, das Schaufenster ihres Ladens so verlockend wie möglich einzurichten. Sie hatte einige Kisten Modewaren aus Europa, oder wo sie sonst herkommen mochte, mit sich gebracht, und eines Morgens konnten die Vorübergehenden bemerken, daß sie im Laden der Genannten, außer den üblichen Toilettengegenständen wie Bürsten, Kämme, Seifen, wohlriechende Essenzen, – auch Stoffe für Damenkleider und Herrenanzüge, Halstücher, Mützen, Hüte, Handschuhe, Taschentücher, Reitpeitschen, Patentbleistifte, Siegelringe usw. usw. zu verhältnismäßig billigen Preisen erwerben konnten. Wenn man nach den im Schaufenster ausgestellten Mustern schließen durfte, so waren die Sachen meistens von sehr zweifelhaftem Geschmack, mit ausgesprochener Vorliebe für die glänzendsten Farben und auffallendsten Formen. – Trotzdem blieb aber der Laden nicht lange Zeit leer, denn die »Pioniere« hatten schnell entdeckt, daß das etwa sechzehnjährige, schlanke, blonde Mädchen, das sie in Begleitung von Frau Clifton in den Abendstunden auf dem »Bund« angetroffen hatten, die Tochter der Inhaberin des Modewarengeschäftes sei, und dort während der Tageszeit als Verkäuferin tätig war.
Frau Clifton mochte etwa vierzig Jahre alt sein und war noch immer eine hübsche Person, mit klaren Augen, weißen Zähnen, roten Lippen und guter, wenn auch vielleicht etwas zu lebhafter Gesichtsfarbe, aus der einige böswillige junge Leute den Schluß ziehen wollten, daß sie vielleicht »besser lebe«, d.h. mehr trinke, als es den Frauen im allgemeinen gestattet ist. – Gegen der Tochter, Mary Cliftons, Aussehen dagegen, ließ sich gar nichts einwenden. Sie war mit einem Worte bildhübsch. Sie hatte schönes, hellbraunes Haar, große blaue Augen mit dunklen Wimpern, feine Züge, und der Ausdruck des lieblichen Gesichtes war von unwiderstehlicher, lebenslustiger Heiterkeit. Dazu kam eine niedliche Figur, die in den knappen Kleidern, in denen sie sich auf dem »Bund« zeigte, wohl zur Geltung gebracht wurde. – Damals waren die Kleider aus dem vorigen Jahrhundert wieder Mode geworden: »Pompadour-Roben« nannte man sie, so glaube ich. – Die kleine, zarte Mary, mit ihren frischen Farben, lachenden Augen, dunklen Wimpern und Augenbrauen und winzigen Füßchen, die in Stiefeln mit hohen Absätzen steckten, glich in diesem Staate einer Nippfigur aus Meißener Porzellan.
Frau Clifton machte außerordentlich gute Geschäfte. Die Schubladen der jungen Männer von Yokohama füllten sich bald mit all den verschiedenartigen Gegenständen, die bei ihr zum Verkauf ausgeboten wurden und für die in Wahrheit nicht der geringste Bedarf bestand. – Die Damen der Niederlassung erfuhren dies und besprachen es unter sich mit gebührender Verachtung für die starken Herren der Schöpfung, die sich, wie sie meinten, auf so schamlose Weise von einer hergelaufenen Abenteurerin hinters Licht führen ließen. Der eine oder der andere hatte darüber auch wohl Vorwürfe zu hören; aber Mary Cliftons jungfräuliche Lieblichkeit besaß eine zu große Anziehungskraft, um nicht trotz der Feindseligkeit der Damen von Yokohama zu siegen, und diese mußten es sich gefallen lassen, daß ihre Anbeter, mit nur wenigen Ausnahmen, sämtlich gute, niemals feilschende Kunden von Frau Clifton wurden und blieben. – Ja, als der Vorrat an Gegenständen für Herrenanzüge, den die Genannte mit sich gebracht hatte, bald erschöpft war, gingen auch Damenhüte, Shawls, Ballhandschuhe, Straußfedern, zierliche Morgenschuhe und Stoffe zu Damenkleidern in unberechenbarer Menge in männlichen Besitz über.
Der beste Kunde von Frau Clifton, während der ersten zwei Monate, war zweifelsohne Herr Alexander O'Mara, ein wohlhabender junger Mann aus guter irländischer Familie, der nicht etwa ein eigenes Geschäft in Yokohama leitete, oder in einem der dort etablierten Häuser als Angestellter arbeitete, sondern der vor Jahr und Tag, auf einer Vergnügungsreise um die Welt, nach Yokohama gekommen war, sich dort als Gast eines englischen Kaufmannes bei diesem niedergelassen hatte und seitdem in unregelmäßigen Zwischenräumen, wenn er gerade eine gute Gelegenheit zu erblicken glaubte, durch die Vermittlung seines Gastfreundes vereinzelte, aber bedeutende Geschäfte, hauptsächlich in Seide oder Tee, machte, die ihm, nach allem, was davon in die Öffentlichkeit gedrungen war, ein nicht unbedeutendes Vermögen eingebracht haben mußten.
O'Mara mochte etwa achtundzwanzig Jahre alt sein. Er war in der fremden Kolonie allgemein beliebt wegen seiner Heiterkeit, seines guten, verwegenen Reitens und seiner nimmermüden Bereitwilligkeit, sich an einer jeden Vergnügungspartie, ob Picknick, Schnitzelrennen, Wettreiten oder Wettrudern, zu beteiligen. Auch war er ein äußerst gastfreier Mann, der in regelmäßigen Zwischenräumen im Klub Festlichkeiten veranstaltete, die häufig mit einem kleinen Ball endeten, und bei denen sich die Anwesenden immer aufs beste zu vergnügen pflegten. – O'Mara war ein hübscher Mensch, groß, schlank, blond und von jener eigentümlichen Lebhaftigkeit der Bewegungen und der Rede, die man bei den Irländern, im Gegensatze zu ihren nächsten Nachbarn, den Engländern und Schotten, häufig findet.
Nachdem die ersten zwei Monate dahingegangen waren, erblickte man O'Mara nur noch selten, und später gar nicht mehr in Frau Cliftons Laden. – Aber er hatte nicht mit den Leuten gebrochen, denn man traf ihn manchmal des Abends mit Mutter und Tochter spazierengehend, und einige wollten wissen, man habe ihn zu später Stunde mit der Tochter allein erblickt. – Es wurde im Klub viel darüber geredet – nicht etwa in Form ängstlicher, böswilliger Klatscherei – das war in Yokohama damals nicht Mode – nein! laut und scharf griff man O'Mara an, bereit, das, was man ihm vorwarf, persönlich zu vertreten.
Der kleinen Mary hatte, als sie sich in Japan zum ersten Male zeigte, kindliche Reinheit in unverkennbaren Zügen auf dem lieblichen Gesichtchen geschrieben gestanden. Mehr als einer der Pioniere, von denen sicherlich keiner je daran gedacht hätte, eine Vernunftheirat zu machen, mochte sie mit dem stillen Verlangen angeblickt haben, ihr seine Hand fürs Leben zu reichen. Nur die unglaubliche Schüchternheit weißen Frauen gegenüber, die der Mehrzahl der jungen Leute eigentümlich war, hatte wahrscheinlich veranlaßt, daß der Tochter von Frau Clifton nicht schon verschiedene gute und ehrerbietige Heiratsanträge gemacht worden waren. – Und was tat O'Mara? – Glaubte er sich in den »Argylle-Rooms« oder im »Jardin Mabile«, wo man mit den hergelaufenen Frauenzimmern, die sich dort herumtreiben, rücksichtslos verkehren darf? Wie ein Lump oder wie ein Narr benahm er sich, denn selbst wenn es seine Absicht war, Fräulein Clifton zu heiraten, so handelte er unverantwortlich, indem er sie zum Gegenstand des Geredes in der Niederlassung machte. Die Damen von Yokohama hatten spitze Zungen, und nur selten Gelegenheit, sie zu üben. – Die arme, kleine Mary! In gewissen Kreisen sprach man schon von ihr wie von einer Verworfenen! Wer durfte jetzt noch daran denken, das Mädchen zu seiner Frau zu machen? Unter den Pionieren hätte man keinen gefunden, der sich dazu hergegeben, und wäre er noch so verliebt gewesen, einen schlechten Mädchenruf durch eine Heirat wieder herzustellen. Bei der Frau ihrer Wahl durfte in bezug auf Leumund nichts Verdorbenes wieder gut zu machen sein.
Wieder ging einige Zeit hin, und dann wurde es auffällig, daß Frau Cliftons Tochter nach und nach die blühende Gesundheit und die frische Heiterkeit verlor, die sie so liebenswürdig gemacht hatten. Die Augen des Mädchens schienen größer zu werden und traten in ihre Höhlen zurück, und das liebliche Gesichtchen wurde kleiner und bleicher. Auch lagerte sich ein nachdenklicher und bald darauf sorgenvoller, schmerzlicher Ausdruck darüber.
Der Unmut im Klub stieg. Er drohte bei dem ersten Erscheinen O'Maras im Kreise seiner erbittertsten Gegner auszubrechen und großes Ärgernis hervorzurufen. Deshalb glaubte Gilmore, ein besonderer Freund O'Maras, diesem eines Tages, während des Spazierrittes, geradezu sagen zu müssen, die Veränderung in Fräulein Clifton falle allgemein auf, und man bringe sie mit O'Maras Verhältnis zu dem jungen Mädchen in Verbindung. – Was er dazu zu sagen habe?
O'Mara war nicht mehr derselbe lebenslustige junge Mann, als den man ihn noch vor wenigen Monaten gekannt hatte. Er war ernster und stiller geworden, auch schien er nicht mehr bei so guter Gesundheit wie früher. Er antwortete nicht gleich auf Gilmores Bemerkung und wandte sein Gesicht zur Rechten, als ob er die Landschaft betrachtete, so daß Gilmore, der zu seiner Linken ritt, nicht sehen konnte, wie er seine Frage aufgenommen habe. Nach einer längeren Pause erst ließ er sich vernehmen:
»Was sagten Sie?«
Gilmore wiederholte seine Bemerkung.
»Unsinn!« meinte O'Mara.
»Unsinn? – Was hat denn das arme Kind krank gemacht? – Daß sie nicht mehr die alte ist, kann doch jedermann sehen.«
»Was weiß ich? – Was geht das mich an?«
»Nun, desto besser, wenn es Sie nichts angeht.«
»Nun, und wenn es mich etwas anginge?«
Darauf wußte Gilmore eine Weile nichts zu antworten, und die beiden setzten ihre Pferde in eine schnellere Gangart und trabten eine Viertelstunde lang stumm nebeneinander her. Als sie einen schattigen Wald erreicht und dort die Pferde wieder in Schritt gesetzt hatten, da war Gilmore wieder zu sich gekommen und sagte plötzlich, als sei die Unterhaltung gar nicht unterbrochen worden:
»Dann könnte ich Ihnen nur sagen: wenn Sie ein Ehrenmann sind, so müssen Sie das Mädchen heiraten.«
Auch O'Mara mußte wohl die ganze Zeit noch an seine letzte Frage gedacht haben, denn er erwiderte ohne Zaudern:
»Sie wollen mich lehren, wie ich mich als Ehrenmann zu benehmen habe?«
»Warum nicht? Wenn Sie selbst es nicht wissen.«
O'Mara hielt sein Pferd kurz an, und Gilmore tat dasselbe, und die beiden jungen Leute blickten sich einige Sekunden fest und drohend an. Keiner von den beiden hatte Furcht vor dem andern. Aber unter jungen englischen Kaufleuten ist der Zweikampf etwas kaum Erhörtes, und an gegenseitiges Aufeinanderlosfeuern dachte weder Gilmore noch O'Mara, obgleich jeder von ihnen seinen geladenen Revolver handbereit im Gürtel trug. Und so hatte O'Maras Anhalten des Pferdes auch eigentlich keinen Zweck, denn daß er Gilmore nicht einschüchtern konnte, das wußte er sehr gut. Nach einer kurzen Weile setzte er deshalb auch seinen Weg wieder fort, und mit ihm Gilmore; aber keiner sprach mehr, und an der nächsten Stelle, wo die Straße sich kreuzte, bog O'Mara nach links ab, während Gilmore den geraden Weg nach Yokohama fortsetzte.
Einige Wochen später wurde Frau Cliftons Laden eines Morgens nicht geöffnet, und am Abend konnte man auf der im Klub angeschlagenen Passagierliste der »Amerika«, die in der Frühe nach Hongkong abgedampft war, auch die Namen von Frau und Fräulein Mary Clifton lesen.
O'Mara hatte Yokohama nicht verlassen, seine Lebensweise jedoch hatte sich nach und nach so geändert, daß er nur noch wenig Leute sah. Im Klub erschien er beinahe gar nicht mehr.
Drei Monate etwa gingen ruhig dahin. Dann traf ein englischer Kaufmann von Yokohama, der eine Geschäftsreise nach China unternommen hatte, wieder in seinem Wohnorte ein. Er hatte die Damen Clifton nur oberflächlich gekannt, aber er wußte genau, wer sie waren, und er erzählte, er hätte sie in Hongkong auf der Promenade angetroffen. Sie lebten, wie er erfahren hätte, zurückgezogen, was sich übrigens durch den Zustand, in dem sich das junge Mädchen augenscheinlich befände, wohl erkläre. Die Einzelheiten, die er noch darüber hinzufügte, wurden von seinen Zuhörern mit ernstem Schweigen aufgenommen.
Die Pioniere der Zivilisation in Japan waren, wie bereits gesagt, rauhe Männer; aber in bezug auf den Umgang mit weißen Frauen hatten sie Grundsätze, die einem Kreuzritter Ehre gemacht haben würden. Drei oder vier der einflußreichsten unter ihnen steckten die Köpfe zusammen, und dann begab sich der eine zu O'Mara, um sich mit ihm auszusprechen. Eine halbe Stunde später berichtete er den andern, O'Mara habe jede Erklärung verweigert. Er schlage deshalb vor, daß man sich von ihm zurückziehen solle.
Die öffentliche Meinung war damals allmächtig in der fremden Niederlassung. Diese Meinung bildete sich jedoch nicht leichtfertig, sondern wurde von den hervorragendsten Mitgliedern der Gesellschaft in gewissenhafter Weise geleitet. Diese »Führer«, ihrer acht an der Zahl, versammelten sich am Abend im sogenannten Ausschußzimmer des Klubs und einigten sich nach längeren Unterhandlungen über folgende Beschlüsse: O'Mara sollte noch einmal förmlich, im Namen der Kolonie aufgefordert werden, sich über sein Verhältnis zu Fräulein Clifton zu äußern. Erklärte er, daß er mit deren Abreise und jetzigem Zustande nichts zu tun habe, so wolle man sich das genügen lassen; hatte er aber das junge Mädchen unglücklich gemacht, so sollte ihm die Wahl gestellt werden, sein Unrecht wieder gut zu machen, Fräulein Clifton zu heiraten – oder Yokohama zu verlassen.
Gilmore war es, der mit diesem Auftrage zu O'Mara entsandt wurde. Er traf ihn in seinem Zimmer, einen Roman lesend. Ohne jede Umschweife setzte er den Zweck seines Besuches auseinander. O'Mara hörte ihn schweigend mit an. Als der andere aufgehört hatte, zu sprechen, kreuzte er die Arme über die Brust, legte den Kopf etwas auf die Seite und sagte:
»Wissen Sie wohl, Gilmore, daß das, was Sie da tun, unvorsichtig ist? – Es ist schon das zweite Mal, daß Sie mich mit dieser Geschichte behelligen. Nehmen Sie sich in acht, ich könnte die Geduld verlieren.«
»An Ihrer Geduld oder Ungeduld ist mir gar nichts gelegen. – Ich bin hier im Auftrage der Kolonie, um eine Erklärung von Ihnen zu fordern. Verweigern Sie diese ...«
»Nun? ...«
»Nun ... so haben Sie Yokohama zu verlassen.« O'Mara lachte höhnisch auf.
»Und wer will mich denn hinaustreiben, wenn ich fragen darf?«
»Sie haben nicht zu fragen. Sie haben zu antworten, wollen Sie – ja oder nein – die Auskunft geben, die ich von Ihnen fordere?«
Keine Antwort.
»O'Mara seien Sie nicht trotzig, wo Trotz nichts nützen kann. Sagen Sie mir, Sie hätten mit der Abreise der Cliftons nichts zu tun gehabt, und ich will Ihnen aufs Wort glauben. – hier, meine Hand, O'Mara! – O'Mara, wollen Sie mir – ja oder nein – die verlangte Auskunft geben?«
»Und wenn ich zehntausend befriedigende Antwort zu geben hätte, nicht eine einzige würde ich aus mir herausängstigen lassen!«
Darauf nahm Gilmore seinen Hut und verließ das Zimmer.
Um O'Mara aber bildete sich von jener Stunde ab vollständige Öde, und er war zu trotzig, um auch nur den schwächsten Versuch zu machen, eine Änderung in dieser Beziehung herbeizuführen. Er kannte die Macht der öffentlichen Meinung und hütete sich, sie zu reizen. Er ging nicht mehr in den Klub, denn er wußte, daß dies seine Ausweisung daraus zur Folge gehabt haben würde, auch gab er seinen alten Bekannten nicht Gelegenheit, ihm die Abneigung, die sie für ihn empfanden, dadurch zu bezeugen, daß sie seinen Gruß nicht erwiderten, denn er vermied sie, soviel er konnte. Wenn er trotzdem mit dem einen oder andern zufällig auf der Straße oder auf den Reitwegen in der Umgegend von Yokohama zusammentraf, so wandte er die Augen ab und grüßte nicht.
Nachdem dieser unerquickliche Zustand etwa acht Tage gedauert hatte, brachte ihm sein japanischer Diener einen Brief von seinem Geschäftsfreunde und Wirte, mit dem er seit Jahren in vertrautestem Verkehr gestanden hatte. Dies Schriftstück drückte in verlegener, aber nicht mißzuverstehender weise den Wunsch aus, O'Mara möchte sich gefälligst nach einer andern Wohnung umsehen.
»Sie brauchen sich dabei nicht in einer Weise zu beeilen, die Ihnen Unbequemlichkeiten verursachen könnte,« schloß der Brief; »ich erwarte den Besuch, dem ich Ihre Wohnung zur Verfügung stellen möchte, erst gegen Ende des Monats.«
Der Brief war vom fünfzehnten datiert. »Vierzehntägige Kündigung, wie einem Dienstboten!« murmelte O'Mara ingrimmig vor sich hin.
Er machte sich sofort daran, eine neue Wohnung zu suchen; aber bei dieser Gelegenheit stieß er auf Schwierigkeiten, die er nicht erwartet hatte. – Die Besitzer der Häuser, in denen er mieten wollte, zeigten sich ihm nicht. Überall hieß es, der Herr sei nicht zu Hause. Einen der Hausbesitzer traf er auf der Straße. Der konnte ihm nicht entgehen. Aber er blickte zu Boden, während O'Mara sein Anliegen vorbrachte, und antwortete kurz:
»Bedaure, die Wohnung ist nicht mehr frei.«
O'Mara blickte dem schnell Davonschreitenden mit einem Ausdruck ohnmächtigen Zornes nach und sagte dann mit finsterem Lächeln vor sich hin:
»Und es soll ihnen doch nicht gelingen, mich von hier fortzutreiben. Und wenn ich unter einem Zelte zu kampieren habe, ich bleibe hier!«
Als er wieder in seinem Zimmer angelangt war, nahm er Rücksprache mit seinem ersten chinesischen Diener, dem Komprador. Dieser, dem an dem Wohl- und Übelwollen der fremden Kolonie gleichviel und gleichwenig gelegen war, wußte Rat. Er besaß auf dem »Hügel« ein hübsches Grundstück mit einem kleinen Hause, in dem seine Frau wohnte. Wenn der Herr es mieten oder kaufen wollte, so stände es ihm gern zur Verfügung. Die Frau würde überall ein Unterkommen finden, und das Haus könnte in wenigen Tagen so eingerichtet werden, daß der Herr sich dort ungestört und wohl fühlen würde. Es sei oben auf der Klippe, dicht am Meere gelegen, mit schöner Aussicht auf die Bai und den Wald und den Fusi-yama.
»Was willst du dafür haben?«
»Ich habe fünfzehnhundert Dollars dafür bezahlt, und möchte es nicht unter zweitausend wieder verkaufen.« »Ich nehme es. Ist Stallung dabei und kann der Betto (Stallknecht) mit untergebracht werden?«
»Jawohl, Herr. Es war ursprünglich für Herrn Davis gebaut, und von diesem habe ich es gekauft, als er Yokohama verließ. Der Herr werden zufrieden sein.«
Am folgenden Tage schon verließ O'Mara seine alte Wohnung, ohne seinem Wirte Lebewohl gesagt zu haben; und darauf sah und hörte man Monate lang so gut wie nichts von ihm. – Dann verbreitete sich das Gerücht, O'Mara habe sich dem Trunke ergeben. Seine Diener erzählten, er sei beinahe nie mehr nüchtern. In langen Zwischenräumen traf ihn der eine oder der andere seiner ehemaligen Genossen auf einsamen Reitwegen. Sie berichteten sodann im Klub, er sei bis zur Unkenntlichkeit verändert. Sein Anblick flöße Furcht ein: er sei blaß und aufgedunsen, mit geröteten Augen und wüstem Haar, und sein Anzug vollständig vernachlässigt. – Manchmal, des Nachts, hörte man den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes in den stillen Straßen der fremden Niederlassung. Das war O'Mara, der von einem weiten Spazierritt nach seiner entlegenen Wohnung auf dem Hügel heimkehrte.
»Er hat es wohl darauf angelegt, sich totschlagen zu lassen,« meinte man im Klub. – »Das wäre das beste, was ihm zustoßen könnte.«
Von Mitleid mit seinem Lose war nirgends eine Spur zu entdecken. Sein Trotz hatte die Erbitterung seiner Mitbürger nur noch gesteigert. – Beinahe ein volles Jahr war auf diese Weise dahingegangen, als der englische Arzt von Yokohama eines Morgens den Besuch von O'Maras chinesischem Diener empfing. Dieser bat, der Doktor möge seinen Herrn besuchen, er sei sehr krank.
»Was fehlt ihm?«
»Er hat erschreckliche Wutanfälle. Gestern abend hat er alles in seinem Zimmer zerschlagen. Nun liegt er wie tot da, und nur von Zeit zu Zeit erwacht er aus tiefem Schlaf und ächzt und stöhnt zum Erbarmen.«
Der Doktor steckte seinen Revolver in den Gürtel und begab sich nach dem Hügel. Er hatte das Recht, den Geächteten zu sehen.
Als er in O'Maras Zimmer trat, saß dieser halbbekleidet in einer Ecke des Zimmers und blickte ihn mit blutunterlaufenen Augen finster und stumm an. Die langen Haare fielen wirr über die bleiche Stirn, und der Arzt bemerkte, daß er zahlreiche Wunden und Beulen an seinem Körper hatte, die er sich durch wildes Umsichschlagen oder durch wiederholtes Fallen zugezogen haben mochte.
»Was wollen sie?« brachte der Unglückliche endlich heiser hervor.
»Ich bin der Arzt.«
»Ich habe Sie nicht rufen lassen. Fort mit Ihnen ... oder ich stehe für nichts.«
»Herr O'Mara ...«
»Fort, sage ich! ... schnell ... Dies ist mein Haus, hier bin ich Herr! Sie Tapferer von der Armee aller gegen einen!«
»Ihr Diener hat mich gerufen ...«
»Ich werde meine Diener lehren ... Kotzki! Momban! Komprador!«
Er gebärdete sich wie ein wildes Tier.
Der Doktor sah wohl, daß er hier allein nichts ausrichten könnte, und entfernte sich. Aber er war ein gewissenhafter Mann, und er hielt es für seine Pflicht, den Kranken, der möglicherweise gemeingefährlich werden konnte, nicht ohne Hilfe zu lassen. Er begab sich zum englischen Konsul und erstattete diesem Bericht von dem Vorfall, und erbat sich sodann von dem Beamten die Hilfe zweier Schutzleute, um O'Mara nötigenfalls zwingen zu können, sich ärztlicher Behandlung zu unterwerfen.
Der Konsul gewährte dies Gesuch, und die drei – der Doktor und zwei Schutzmänner – begaben sich am Abend, etwa um die neunte Stunde, nach O'Maras Hause.
Es war im Monat Oktober, und die Nacht war schon eingebrochen; aber der Mond, der voll und glänzend am klaren Himmel stand, verbreitete Helle, die auf einen weiten Umkreis alles deutlich erkennen ließ.
Der Doktor trat zuerst allein in O'Maras Zimmer. Die Schutzleute hielten sich an der Tür, bereit, auf den ersten Ruf dem Arzt zu Hilfe zu kommen. Sie hatten keine zwei Sekunden zu warten, denn sobald O'Mara, dessen gerötetes Gesicht und wildleuchtende Augen zeigten, daß er unter dem Einflusse im Übermaß genossener geistiger Getränke sei, den Eintretenden erblickt hatte, stürzte er mit lautem Schreien auf ihn zu und packte nach seiner Kehle, um ihn zu erwürgen. – Im selben Augenblicke aber fühlte er sich von hinten von vier kräftigen Armen gepackt; und nun begann ein kurzes Ringen zwischen den vieren, welches damit endete, daß O'Mara mit übermenschlicher Kraft die drei von sich stieß und mit einem Satze durch die weit offenstehende Tür, die nach der Veranda führte, das Freie suchte. – Der Doktor und die beiden Schutzleute, alle drei entschlossene Männer, sprangen ihm nach, und eine Minute lang verfolgten sie in wildem Lauf den in seinen weißen Nachtgewändern Dahinfliehenden. – Aber plötzlich machten sie Halt. – Der Atem stockte ihnen. – O'Mara hatte den Rand der hohen Klippe erreicht – noch einen Schritt, und er mußte in der Tiefe verschwinden. Die Verfolger wagten keinen Schritt weiter zu tun. O'Mara aber schien zu fühlen, daß er an der Stelle, wo er sich befand, von seinen Verfolgern nichts mehr zu fürchten habe. Er stand ebenfalls still und blickte ruhig nach allen Seiten um sich: nach dem im Mondschein glitzernden Meere, nach der ungeheuren Masse des Fusi-yama, die in der Ferne undeutlich auftauchte, nach den dunklen Wäldern, die sich zu seiner Linken ausbreiteten, und dann nach seinen Verfolgern, die er zornig mit der geballten Faust bedrohte. – Darauf wandte er sich wieder dem Monde zu und machte weite Bewegungen mit den Händen, als begrüße er das Sternbild, und gleich darauf, wie jemand, der einen Kopfsprung ins Wasser tun will, legte er beide Hände weit ausgestreckt flach über seinem Kopf zusammen und sprang mit einem wilden Satze vom Felsen in den tiefen Abgrund. – Dort am Fuße der Klippe wurden seine zerschmetterten Gliedmaßen bei der nächsten Ebbe gefunden, in einen Sarg gelegt und ohne Sang und Klang begraben.