Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Der Zwergsteißfuß

Es war im Herbst, und der Sturm pfiff die Nacht über, als der Fischteich im Felde einsam wurde. Immer weniger wurde das Gewürm, immer kälter das Wasser, da erhoben die Zwergtaucher ihr Gefieder und verschwanden nach dem Süden. Kaum, daß sie fort waren, fand sich schon ein Ersatz; heute war es ein Taucherchen aus Schweden, das für einen Tag auf dem Fischteiche Halt machte, morgen ein Däne, aber als der erste Frost kam, zogen auch diese bei Nacht und Nebel weiter.

Und bei Nacht und Nebel, vor Tau und Tag waren die Taucher wieder da auf ihrem Teiche. Der Briefträger, der den Ritterweg durch die Feldmark ging, wunderte sich, was das für ein Getriller auf dem Wasser war, und ging näher heran; er sah aber nur zwei schwarze Dinger, die im Wasser verschwanden, und als er kopfschüttelnd weiterschritt, tönte ihm wieder das lustige Getriller nach. Erst als er außer Sicht war, schwamm der Hahn wieder aus dem Schilfdickicht heraus und lockte so lange und so zärtlich, bis das Weibchen sich auf das freie Wasser wagte.

Kopfnickend und lockend ruderten sie nebeneinander her, sich mit kosenden Tönen Schmeicheleien sagend über das wunderschöne neue Frühlings- und Hochzeitskleid. »Bib, bib«, klingt es und heißt: »Nein, was du reizend bist in dem schwarzen Röckchen und mit dem fuchsroten Halsbesatz«, und das von der anderen Seite: »Und du erst! Das sieht doch anders aus als das langweilige Winterzeug, was du trugst, als wir in Griechenland und Kleinasien Molchlarven fischten.« Und dann lachen beide los, daß es schrillt und trillert.

Es ist doch nirgends schöner als hier auf unserem Teiche, denken sie. Wohl gab es in Ungarn schon vielmehr Kaulquappen, und größer waren sie auch, und in den Donausümpfen war es soweit auch recht hübsch. Aber suche einmal einer einen Teich, so schön wie diesen, so wimmelnd von Karauschenbrut, Fröschen, Molchen und was da sonst noch am Boden krabbelt und im Schlamm zappelt. Und wupps ist das Hähnchen verschwunden und schießt wie ein Hecht über den Algenbesatz des Teichgrundes hin, daß die jungen Karauschen nach allen Ecken auseinanderfahren. Eine erwischt er aber noch und noch eine, die gerade in das dichte Laichkrautgewirr schlüpfen wollte.

»Bib, bib«, lockt er und schwimmt seinem Weibchen näher. Sein schwarzes Gefieder blitzt in der Aprilsonne, und feurig loht sein rostroter Hals. Und seine kleine Frau ist nicht minder hübsch, so hübsch, daß er gar nicht anders kann, als vor Vergnügen laut loszukichern und ihr ungestüm den Hof zu machen. Dick bläht er den Hals auf, nickt sonderbar mit dem Kopfe, macht sich ganz dick, schwimmt breit auf dem Wasser und saust auf seine Herzallerliebste los, daß der grüne Frosch, der sich aus dem Schilf auf das offene Wasser gewagt hat, vor Schreck untersinkt.

Die beiden Liebesleute bringen Leben auf den Teich. Unaufhörlich klingt ihr Locken und Trillern, stürmisch wirbt das Männchen, wie ein Torpedo durch das Wasser jagend, daß fast nichts von ihm zu sehen ist als Kopf und Hals und ein ganz kleines Stückchen des Rückens. So heftig fährt er dahin, daß das Wasser oft aufspritzt, und ab und zu ist nichts von ihm zu sehen als nur der Kopf. Und vor ihm her flieht das Weibchen mit derselben Wucht, und wenn es sich vor dem kecken Werber unter Wasser flüchtet, so verschwindet er auch, aber dann taucht erst sie auf und dann er, und nun geht eine Geschnäbel und Gezupfe und Gehalse los und ein Locken und Trillern, daß die Elster, die in dem Weidenbaume sitzt, vor Verwunderung einen ganz langen Hals macht.

Das sind schöne Flitterwochen. Beute die Hülle und Fülle, denn jeden Tag lebt und webt es im Wasser von mehr Kleingetier; Strömungen finden nicht statt, denn der Teich hat sumpfige Ufer und liegt abseits der Fahrwege. Aber die Flitterwochen nehmen ein Ende, und ernstere Zeiten kommen heran. Da, wo braunes Laichkraut mit gelbgrünen Algen eine schwimmende Insel bildet, arbeitet das Taucherweibchen von früh bis spät herum. Unaufhörlich schleppt es Stengel und Halme heran, schichtet sie aufeinander, legt vom Boden heraufgefischte faule Blätter darauf, und immer mehr und mehr, bis endlich das Nest fertig ist, ein Haufen fauler Pflanzen, muffig, feucht und gärend, aber gerade darum so vortrefflich.

Nicht den ganzen Tag kann das Taucherweibchen auf den Eiern sitzen, denn es hat viel Hunger, und ehe es recht satt ist, muß es schon eine Stunde fischen oder gar deren zwei, und während der Zeit muß das Nest allein brüten. Das wäre aber nicht der Fall, bestände es aus trockenen Baustoffen wie anderer Vögel Nester; da es aber aus faulenden Pflanzenresten hergestellt ist, aus verwesenden Blättern und Stengeln, schlammigen Wurzeln und Algenballen, die in der Sonne gären und brühen, so schmort es darin wie in einer Kochkiste, und wenn die Eier auch ihre weiße Kalkfarbe verlieren und schlammgrün und schmutzbraun werden, das schadet nichts, das ist sogar gut, denn um so mehr Wärme nehmen sie auf.

Ist das Brüten also nicht allzu anstrengend für die kleine Taucherin, so machen ihr ihre sechs Kleinen hinterher mehr Freude als Last. Sie sind gleich so furchtbar verständig, die zollgroßen, schwarzen, braungestriemten Kinder. Nur die ersten paar Stunden stellen sie sich noch etwas dumm an, aber sie begreifen schnell. Es braucht nur eine Schwalbe über den Teich zu fliegen, und schon sind sie im Wasser oder im Schilf verschwunden, und tauchen können sie wie die Alten. Und wie niedlich trippeln sie auf dem Laichkraute umher, und wie vernünftig kratzen und putzen sie sich mit den mächtigen Patschefüßchen, und wenn sie auch zuerst etwas ängstlich zappeln und piepen, wenn sie sich beim Auftauchen in den Algengärten verstricken, die Alten sind gleich dabei, sie loszupicken, und in acht Tagen verstehen sie es schon selbst, beim Auftauchen die richtige Stelle zu finden.

In jeder Beziehung sind die Kleinen verständig. Sind sie müde vom Schwimmen, so klettern sie dem Vater oder der Mutter auf den Rücken und säubern und putzen dort ihr Wollkleid. Sind sie ganz müde, so kriechen sie der Mutter unter die Flügel, und die schwimmt ganz langsam mit ihnen umher. Sind sie hungrig, so wissen sie, wie man es macht, den Egel und die Schnecke zu finden und der Kaulquappe und der Jungfernlarve unter Wasser nachzujagen. Und so gedeihen sie prächtig, die sechs, und nehmen zu an Umfang, Weisheit und Verstand und an Schönheit auch; sie verlieren die Wolle, bekommen Federn und Fittiche, und ehe der Sommer endet, schnurren sie schon ganz hübsch über das Wasser und fangen bereits an, sich in kindlicher Weise den Hof zu machen.

Futter für alle hat der Teich im Felde genug. An dem Ufer wimmelt und krimmelt es von Frosch- und Krötenlarven, das Laichkrautgewirre beherbergt unzählige Molchslarven, Karauschen sind so viel da, daß sie in den tiefen Stellen haufenweise stehen, und was da sonst noch von Würmern, Schnecken, Käfern, Wanzen und sonstigem Tierzeug auf und im Wasser kriecht und krabbelt und schwimmt und taucht, das genügt für mehr als eine Taucherfamilie. Und so ist denn auf dem Teiche ein lustiges Leben den ganzen Sommer lang, und nur, wenn Sperber und Eule sich einmal zeigen, gibt es ängstliche Augenblicke, aber das Wasser ist tief, und das Schilf ist dicht, und so müssen Sperber und Eule mit leeren Fängen abziehen, und die Taucher freuen sich nach wie vor ihres Lebens auf dem Teiche.

Wenn aber das Feld kahl ist und der Wind auf der Stoppel pfeift, die Stürme häufiger werden und die Regenschauer dichter, dann wird es den Tauchern ungemütlich. In einer dunklen Oktobernacht sind sie verschwunden, und sie bleiben verschwunden, bis eine dunkle Märznacht die Alten wiederbringt zu ihrem Teiche im Felde.

 


 


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