Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Die Waldohreule

Die alte, krause, breitästige Kiefer, die an dem Heidwege steht, ist ein Hauptrastplatz von allem, was über die Heide fliegt. Hier fußt der Bussard und äugt nach Mäusen; da wartet der Raubwürger auf Eidechsen; die Ringeltauben halten dort Umschau, ehe sie sich tränken; der Krähen Luginsland ist der alte Baum, des Sperbers Hinterhalt, der Elster Schwatzplatz.

Es war darum etwas unvorsichtig von der Ohreule, daß sie sich gerade diesen Baum aussuchte, um zu verdauen; aber weil er so kraus im Wuchse war, seine Krone so verworren und sein Astwerk so dicht, gefiel er ihr so gut, daß sie sich dort einschwang, als über dem Walde das Tageslicht heraufzog.

Fest an einen schrägen Ast gelehnt, saß sie da, als wäre sie ein Auswuchs des Astes. Sie schlief, aber jedes Geräusch in der Nähe vernahm sie, und dann öffnete sie die Augen, lockerte den Schleier und richtete die Federohren auf.

Um die Rehe, die hinter ihr her der Dickung zuzogen, kümmerte sie sich ebensowenig wie um den Hasen, der sich in dem losen Sande dicht bei dem Baume trocken lief, und der Fuchs, der den Weg entlang schnürte und, wie immer, auf der höchsten Wurzel der Föhre sich löste, war ihr vollkommen gleichgültig. Ja, sogar der Jagdaufseher, der vom Hahnenverhören aus dem Bruche kam und unter der Kiefer seine Pfeife ansteckte, ängstigte sie keineswegs.

Als aber eine Krähe hart über die Krone des Baumes hinwegstrich und laut quarrte, da drückte sie sich fester gegen den Stamm, und als der Würger über ihr fußte und mit hellem Geschrille bekanntgab, daß von den Bruchwiesen her ein Mensch komme, fühlte sie sich recht ungemütlich. Aber weder Krähe noch Würger gewahrten sie.

So genießt sie denn behaglich die warme Morgensonne, die des Baumes Geäst durchstrahlt, und die ihr nach der kalten Nacht angenehm in das Gefieder zieht. Sie rückt weiter, bis sie das volle Sonnenlicht bekommt, lockert ihre Federn auf, läßt die Flügel hängen, schüttelt sich, zupft Feder um Feder zurecht, kratzt mit dem Schnabel dort, wo es die Federläuse zu arg treiben, und gibt sich dann unter allerlei Getrippel, Halsverrenkungen, Zittern und Schütteln der ebenso notwendigen wie lästigen Tätigkeit hin, sich der Gewölle zu entledigen.

Gerade hat sie einen der glatten, schleimigen, aus Mäusehaaren und Knochen, Käferbeinen und Flügeln bestehenden Pfropfen herausgewürgt und sieht ihm mit inniger Befriedigung nach, wie er in das Gras fällt, da schrickt sie zusammen, denn nicht weit von ihr erklingt ein hartes, scharfes, dünnes Gezeter. Ein Rotkehlchen ist es, das die Eule entdeckt hat. Fortwährend zeternd, flattert es hin und her, kommt näher, weicht zurück und lärmt immer toller. Noch ein zweites folgt, ein drittes, ein Weidenlaubvogel stellt sich ein, eine Kohlmeise gesellt sich hinzu, Tannenmeisen müssen auch dabei sein, die Haubenmeise fehlt ebenfalls nicht und die ganze Gesellschaft tanzt und springt und flattert und hüpft um die Eule herum und schimpft und schmäht und lästert.

Es dauert gar nicht lange, so ist auch das Amselpaar da, und nun ist es kaum mehr zum Aushalten, ein solcher Lärm erhebt sich jetzt. Aber als dann noch ein Häher angeflattert kommt, der der Eule in ganz rüpelhafter Weise zu Leibe geht und dabei einen Höllenlärm macht, da wird es ihr zu dumm; mit jähem Ruck schwingt sie sich ab und schwenkt über die Heide, gefolgt von der schimpfenden Gesellschaft, zu der sich unterwegs noch eine Krähe gesellt, die so hart auf die Eule haßt, daß diese dem Stoße des scharfen Schnabels eben noch durch eine blitzschnelle Doppelwendung entgeht, mit der sie in dem rauhen Kiefernstangenorte untertaucht. Noch eine Weile suchen ihre Verfolger mit viel Lärm die Ränder des Stangenholzes ab, dann wird es allmählich still.

Für heute hat die Eule vollkommen genug von dem Tag und seinem Getier, und so bleibt sie in einer dichtästigen Krone sitzen, bis die Sonne hinter den Heidbergen zur Rüste geht, Amsel und Misteldrossel den letzten Pfiff tun, die Himmelsziegen meckern und das Rotwild aus der Dickung tritt. Da fühlt sie sich wieder sicher, und weil der Abend so schön warm und weich ist, sehnt sie sich nach Gesellschaft. Aus ihrem Verstecke heraus schwenkt sie bis an den Rand des Bestandes, hakt auf einem hervorstehenden Aste auf und wartet da ein Weilchen. Dann ruft sie in langen Pausen nach ihresgleichen. Ein tiefes, hohles »Huh« ist es, das sie ausstößt, ein Ton, der so klingt, als wäre er in der Erde und zugleich in der Luft, ganz in der Nähe oder weit weg im Moore.

Von jenseits der heidwüchsigen Blöße aus dem Kiefernaltholze kommt ein helles Heulen, ein lautes »Wuhiwuhi«, und dann schwebt lautlos ein schwarzer Strich heran, haarscharf auf sie zu, schlägt die Flügel zusammen, daß es laut klatscht, gibt ihr einen Stoß, daß sie von ihrem Sitze gedrängt wird, und folgt ihr in jeder Wendung, die sie an der Kante des Holzes entlang macht. Eine geraume Zeit jagt das Männchen das Weibchen auf der Heide hin und her, dann tauchen beide im hellen Holze unter und unken dort ihren dumpfen Zwiegesang, bis das Männchen abermals heulend, mit dem Schnabel knappend und mit den Flügeln klatschend, das Weibchen treibt.

Der Hunger besiegt schließlich die Liebe. Die eine Eule jagt auf der Heidblöße, die andere am Rande der Wiese. Ab und zu schwenkt das Männchen dorthin, wo das Weibchen jagt, und macht ihm heulend und klatschend den Hof, aber dann trennen sich die beiden wieder, und jedes jagt für sich. Der halbwüchsige Maulwurf, der auf der Sohle des trockenen Grabens auf der Würmersuche ist, fühlt eine furchtbaren Schmerz in den Flanken. Er hampelt und strampelt, aber ein Biß in das Genick tötet ihn. So, wie er ist, mit Haut und Haar, kröpft ihn die Eule und jagt dann neben den Gräben auf und ab. Plump läßt sich ein Mistkäfer auf der Erde nieder. Vier Krallen fassen ihn. Er stellt sich tot, aber das hilft ihm nichts; er kommt dorthin, wo der Maulwurf ist. Am Staugraben zwitschert es schrill, plätschert und plumpst es. Die Eule rüttelt über dem Wasser, und in demselben Augenblicke, wo die Wasserspitzmaus auftaucht, ist sie erfaßt und totgekrallt.

Ganz so, wie die eine Eule hier an der Wiese, treibt es die andere auf der Heide. Flink ist die Maus, aber schneller ist die Eule; die Grille, die im Grase hüpft, entgeht nicht ihren hellen Augen, und ihre feinen Ohren vernehmen das leise Rascheln, das die Blindschleiche verursacht. Sie dreht und wendet sich vergeblich in den mit acht krummen Dolchen bewehrten Griffen des Nachtvogels, aber der krumme Schnabel bricht ihr das Genick, Ruck um Ruck verschwindet sie in dem weiten Rachen, und hinterdrein folgt ein Moorfrosch, der nicht mehr die Zeit zum Sprunge in den Graben fand. Die Heide ist dürr, und die Wiese ist naß, mehr Beute ist in der Feldmark zu finden; wie auf Verabredung streicht das Eulenpaar dorthin, wo schon zwei Turmeulen vom Dorfe auf der Jagd sind. Gegen Morgen aber sind die Ohreulen wieder in ihren dunklen Heidwäldern, wo sie unken und seufzen, bis die Nacht zu Ende geht und das Sonnenlicht die Vögel des Tages weckt und die Eulen die helle Zeit verschlafen und verdämmern, bis abermals die Nacht über die Heide zieht.

Mit geringer Abwechslung spielt sich so die nächste Zeit ab, bis das Weibchen sich gedrängt fühlt, eine Wiege für die künftige Brut zu suchen. Da sie selbst nicht baut, so sucht sie nach einem verlassenen Taubenneste oder Krähenhorste. In der Nähe findet sich nichts Passendes; so streicht sie nach dem Wohlde hin, einem wildwüchsigen Mischwalde von Fichte und Eiche, Erle und Birke. In einer vielästigen Eiche, dicht umwachsen von Fichten, steht in guter Deckung ein Krähennest. Das wählt sie. Bald liegen fünf runde weiße Eier darin. Langeweile hat das Weibchen beim Brüten nicht, denn es ist hier, wo der Boden so sumpfig und das Unterholz so geschlossen ist, immer still und heimlich, und so unkt und heult schon in der Vordämmerung das Männchen fleißig um den Horstplatz. Selten gibt es eine Störung; die Kuhjungen, die im Bruche hüten, wollen wohl einmal nach Taubennestern suchen, aber da bellt und heult und klatscht das Eulenmännchen so gefährlich, daß es die Jungen mit der Angst bekommen und fortlaufen. Ein anderes Mal will sich eine Eichkatze bei dem Horste zu schaffen machen, wird aber von den beiden Eulen so scharf angegriffen, daß sie fauchend und schnalzend das Weite sucht.

So brütet denn das Weibchen in aller Ruhe, und wenn es auch ab und zu selber jagt, in der Hauptsache sorgt das Männchen für Fraß. Das wird ihm von Tag zu Tag leichter. Im Bruche gibt es Wühlmäuse, Waldmäuse und Spitzmäuse, an Fröschen und Blindschleichen mangelt es nicht, an Kleinvögeln aller Art und an großen Kerbtieren ist Überfluß. Als dann aber fünf weiße Wollklümpchen in dem alten Krähenhorste sitzen und fortwährend mit dünnem Gepiepse nach Atzung gieren, da muß das Eulenweibchen wieder mit auf die Jagd. Fünf junge Eulen haben fünf hungrige Mägen, und es genügt ihnen nicht, gibt es erst von der Dämmerung an Futter. Und wenn die fünf Jungen auch über Nacht bis oben hin vollgestopft sind, nachmittags fangen sie schon wieder zu piepen an. Da hilft weiter nichts, als daß die Alten sich aufmachen und zusehen, ob es nicht etwas zu greifen gibt. Geschickt schwenken sie im düsteren Bruchwalde hin, haschen die Maus und den Jungvogel, die Eidechse und die Heuschrecke und tragen sie zu Horste, wo ihnen gierige Schnäbel die Beute entreißen.

Von Tag zu Tag nehmen die formlosen weißen Wollklumpen in dem Krähenhorste mehr Gestalt an, weisen zwischen den langen Dunen immer mehr buntes Gefieder auf, die Schwungfedern sprengen die Hüllen, und aus den weißen Wuschelköpfen recken sich die Federöhrchen. Nun wird es den jungen Eulen zu langweilig in ihrem Neste; wenn die Sonne so recht warm scheint, klettern sie auf den Horstrand, wagen nach langem Besinnen, unbeholfen flatternd, den Sprung auf den dicken Fichtenast, und weil sie dort noch nicht Sonne bekommen, hüpfen sie auf den nächsten Eichenast, rutschen so lange darauf entlang, bis sie den sonnigsten Fleck erreicht haben, und dann rücken sie aneinander und lassen sich von den Sonnenstrahlen ordentlich durchwärmen. Von Tag zu Tag werden sie kecker; das Älteste wagt sich schon weit hinaus in die äußersten Äste der Fichte, wenn es die Alten näher rufen hört, um ihnen die Beute zu entreißen. Dabei bekommt es auf dem schwanken Zweige das Übergewicht, hängt erst eine Weile kopfüber und flattert dann ungeschickt zu Boden. Angstvoll lockend umflattern es die Alten und suchen ihm zum Aufbäumen zu verhelfen, aber es ist noch zu ungeschickt und fliegt ängstlich am Boden umher, bis die Füchsin es gewahrt und es ihren Jungen bringt. Einige Tage später purzelt das zweitälteste Junge aus der Fichte und flattert zu seinem Unglück gerade da hin, wo die beiden Hütejungen liegen. Mit einem Freudengeheul nehmen sie es auf und bringen es abend stolz mit heim; nach drei Tagen liegt es tot auf dem Miste; es mochte weder kalte noch warme Kartoffeln und Speck und Schinken auch nicht und verschmachtete elend.

Drei Junge verbleiben dem Eulenpaare noch, und die zieht es glücklich auf. Bald ist der Krähenhorst zu eng; die drei Geschwister flattern hinter den Alten her, erst von Ast zu Ast im Bruchwalde, dann über den verwachsenen Holzweg und schließlich auch von Baum zu Baum in das neblige Bruch hinein, wo sie sich in den Krüppelkiefern und Kopfeichen verteilen und fortwährend unken und fiepen, bis die Alten mit irgendeinem Getier in den Griffen angestrichen kommen. Und eines Tages gelüstet es sie, selber zu jagen, denn gar zu verlockend hüpft eine Waldmaus zwischen den Moorbeerbüschen umher. Der Versuch gelingt, und mißlingt ein anderer auch wieder, ehe eine Woche vergeht, sorgen die drei schon fast ganz allein für sich, wenn sie auch immer noch gern die Maus nehmen, welche die Alten ihnen zutragen. In der nächsten Woche aber sind die Jungen ganz selbständig, und die Familie löst sich auf; jedes Stück hält sich für sich und jagt, wie es gerade kommt, bald in der dürren Heide, dann an den Wiesen, heute im einsamen Moore und morgen in der Feldmark, wo sich die meisten Mäuse finden.

Davon gibt es in dem Jahre reichlich. Es ist der zweite trockene Sommer gewesen, und das Unzeug hat über die Maßen geheckt. Im Sandlande spürt der Bauer nicht soviel davon, aber auf dem schweren Boden hat er alle Ursache zu klagen. Es wimmelt und krimmelt überall von Feldmäusen; die Feldraine sehen aus wie Siebe, die Klee- und Luzernestücke sind kreuz und quer von den Gängen durchzogen, überall liegen die zernagten Getreideähren, die abgebissenen Halme umher. Aber wo Mäuse sind, da gibt es auch Eulen. Erst kommen aus den benachbarten Bergwäldern die Käuze und Ohreulen in das Getreideland, dann wandern auch die aus den Kiefernwäldern der fernen Heide zu. Alle Wälder und Vorhölzer beherbergen sie über Tage, die Käuze und Waldohreulen, und überall in den Kartoffeläckern liegen die Sumpfohreulen. In der Dämmerung streichen sie über die Kleestücke und Koppelwege, rütteln an den Rainen und auf den Stoppeln, und unzählige Mäuse enden in ihren scharfen Griffen.

Hier, bei dem großen Eulenstelldichein, schlagen sich, je mehr der Herbst heranrückt, die Waldohreulen zu kleineren und größeren Flügen zusammen, tauchen in kleinen Vorhölzern auf, wo nie eine Waldohreule horstet, übernachten, wenn sie keinen Wald antreffen, in Kartoffeläckern, Rübenfeldern und Weingärten, ja sogar auf dem blanken Sturzacker, und erstaunt sieht der Bauer, der die Furche entlang geht, wie sein Hund eine Eule nach der anderen hochmacht, und noch mehr schüttelt er den Kopf, als sich überall zwischen den Schollen graue Gestalten erheben, putzig anzusehen mit ihren dicken, gehörnten Köpfen, bis der Spitz ihnen näherkommt und sie sich mit quäkenden Rufen erheben und schwanken Fluges davonstreichen.

Unstet und ruhelos wandern die Eulenflüge umher; wo es Mäuse gibt, da halten sie sich auf, und sie ziehen weiter, haben sie darunter aufgeräumt. So manche wird von rohen Schießern heruntergeknallt, andere verenden elendiglich in Pfahleisen, und ungebildete Menschen nageln sie, die eigene Dummheit damit aller Welt kundgebend, an die Scheunentore, zum Danke dafür, daß sie die Felder von Mäusen befreiten.

 


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