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Lüder Volkmann hatte die Erbschaft angetreten; es gereute ihn keineswegs.
Zuerst wußte er nicht, was er so recht anfangen sollte, da Lembke, der das Ackerland und einen Teil der Wiesen in Pacht hatte, vorderhand allein mit der Arbeit fertig wurde, zumal Ramaker ihm von früh bis spät half, ohne mehr zu verlangen als Essen und Trinken und freien Tabak.
Freimut und Schönewolf hatten Volkmann gebeten, die Aufsicht über die Jagd zu übernehmen, und ihm freie Flinte dafür gewährt, und so lag er die meiste Zeit draußen, weniger, um zu weidwerken, als um die Zeit totzuschlagen.
Auf die Dauer wurde ihm das aber langweilig und er suchte sich Arbeit. In Reethagen hatte er einen ganzen Vormittag dem Strohdecker zugesehen, und da das Hausdach auf der Wetterseite schadhaft geworden war, so lieh er sich von ihm die Dachstühle, das Dachmesser, die Dachnadel und das Dachholz, ließ sich Bindedraht besorgen und machte sich mit Ramaker daran, das Dach zu flicken.
Anfangs hatte er vor, nur eine kleine Ecke auszubessern, aber dann fand er, daß die ganze Dachkante undicht war, und da Stroh genug da war für die Schoofe, so ließ er nicht eher nach, als bis keine Fehlstelle mehr an dem ganzen Dache war.
Sodann sah er sich nach anderem Tagewerk um. Der Zaun zwischen dem Hofe und dem Grasgarten war morsch; er sägte Ständer und Latten zurecht und setzte einen Zaun hin, daß Frau Grimpe die Hände zusammenschlug und rief: »Nein, Herr Volkmann, aber über Ihnen aber auch! An Sie ist ja ein Tischlermeister verloren gegangen.«
Die Fischteiche waren arg verschlammt, denn davon hatte Lembke keinen Verstand; so ließ der Bauer einen nach dem anderen ab, reinigte und vertiefte ihn, düngte ihn und ließ ihn sich begrünen und besetzte ihn.
Je mehr er sich umsah, umso mehr fand er, was nicht in der Reihe war; hier fehlte ein Brett, da stockte ein Graben, dort sackte ein Weg weg; Lüder hatte allmählich so viel zu tischlern, zu graben und zu dämmen, daß ihm kein Tag mehr lang wurde.
Der alte Immenschauer fiel fast um; er baute an einer besseren Stelle einen neuen, der doppelt soviel Stöcke aufnahm, und acht Tage lang quälte er sich damit ab, die Bohlen auf dem Heuboden, von denen mehrere recht schlecht waren, auszuflicken oder zu ersetzen, und Frau Grimpe sah bewundernd zu und rief: »Nein, Herr Volkmann, als wenn Sie auf Zimmermann studiert hätten!«
Aurelie Grimpers Herz hatte allerlei Liebe aushalten müssen, aber sie fühlte sich frisch genug, es noch einmal damit zu versuchen.
Je länger der Bauer auf dem Hofe war, um so heißer wurde es ihr unter dem Schürzenlatze, der jetzt immer schlohweiß war, wie sie denn auch seitdem am Kopfe und an den Füßen stets herumging, wie aus der Beilade genommen.
Das Haus hielt sie so sauber, daß es eine Freude war, und obzwar sie wieder angefangen hatte, im stillen Kämmerlein mit Feile, Rosawachs und Wildleder ihre Hände so zu pflegen wie damals, als sie noch Dreimarkchampagner für vier Taler an ihre Gäste verkaufte, wenn die Mädchen ihnen die Köpfe heiß gemacht hatten, den Garten hielt sie so schniker wie vordem.
Dumm war sie nicht, sie hatte es sofort herausbekommen, daß der Bauer keiner von den Männern war, die man leicht einfängt; so sparte sie ihre runden Armbewegungen und ihre einladenden Blicke, legte in ihr Lächeln so viel Mütterlichkeit, wie sie auftreiben konnte, und ließ ihre Zunge Schritt laufen, so schwer ihr das auch wurde.
Sie wollte den großen schönen Mann langsam an sich herangewöhnen, ihn leinenführig machen und ihn soweit bringen, daß er sich sagen mußte: »Aurelie Grimpe oder keine!«
Vorläufig schien es damit allerdings noch gute Weile zu haben, denn der Bauer sah weder die krausen Nackenlocken und die weißen Arme, noch den innigen Augenaufschlag und das mütterliche Lächeln; er ging und kam mit kurzem Gruße, und wenn er mit der Frau sprach, dann war es um alltägliche Dinge und geschah in derselben trockenen Art, mit der er zu dem Pächter sprach.
Aurelie Grimpe stellte sich oft genug in ihrer Dönze vor den Spiegel, knetete sich die Krähenfüße von den Schläfen weg, zupfte die Stirnlocken zurecht und fragte ihr Widerbild ganz erstaunt, wie es wohl möglich wäre, daß ein so strammer Kerl, der rein nichts an der Hand habe, an einer so schieren und molligen Frau, wie sie war, Aurelie Grimpe, geborene und so weiter, vorbeisehen könne, als wenn sie die Altmutter Lembke mit dem kahlen Scheitel und dem leeren Munde wäre.
Alles mögliche hatte sie angestellt, um dem Bauern zu beweisen, daß sie Verständnis für höhere Bildung habe; sie hatte ihn gefragt, ob sie sich aus dem Rest der Bücher, die der alte Volkmann zurückgelassen hatte, Leselektüre holen dürfe, aber der Bauer hatte nur »Bitte schön« gesagt, und als sie ihn fragte, was dies oder jenes in dem Buche bedeute, da hatte er, ohne eine Miene zu verziehen, gesagt: »Das verstehen Sie doch nicht!« und war an seine Arbeit gegangen.
Dann hatte sie eine Zeitung, in der das Allerneueste zu finden war, bestellt, und nun ging es ab und zu: »Herr Volkmann, haben sie schon gehört?« oder »Herr Volkmann, denken Sie sich bloßig!« Er aber sagte: »Tun Sie mir den einzigen Gefallen und lassen Sie mich mit solchen Geschichten in Frieden!« Er sagte das ganz freundlich, aber es betrübte sie doch sehr, daß es ihr nicht gelingen wollte, einen Weg von ihrem zu seinem Herzen zu finden.
Obzwar sie anfangs nur an die gute Versorgung gedacht hatte, mit der Zeit fing sie an zu brennen wie eine alte Scheune und stellte mit Besorgnis fest, daß sie, wenn sie nicht ihren Zweck erreichte, auf dem besten Wege wäre, den Glanz ihrer Augen und die Frische ihrer Farbe loszuwerden, und so beugte sie dem mit Antimon und Karmin vor, das der geheimnisvolle Kasten enthielt, den sie in den Tiefen ihres großmächtigen Reisekorbes verborgen hielt.
Das Allerbetrüblichste aber war, daß der alte Spruch, der da sagt, daß die Liebe durch den Magen gehe, auf Volkmann durchaus nicht zutraf. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, um herauszubringen, was wohl seine Leibgerichte wären, aber immer und immer wieder hatte sie in die Brennessel gefaßt, wenn sie danach fragte.
Er aß Morgen für Morgen seinen steifen Buchweizenbrei mit einer dreizolldicken Hausbrotschnitte, er war zufrieden, wenn es zum Frühstück acht Tage dieselbe langweilige Wurst oder ein und denselben gemeinen Käse gab, er fragte nichts danach, ob die Kartoffeln kroß mit Speck oder mit Butter weich gebraten waren, ob die dicke Milch alt oder jung, ob das Rauchfleisch herzlich schmeckte oder streng.
»Die reine Dranktonne,« dachte Aurelie Grimpe mit Wehmut und verzweifelte immer mehr, wenn sie sah, daß er den einen Tag die halbkalten Pellkartoffeln mit dem alten Speck ebenso gleichgültig hinunteraß wie tags zuvor die schöne Gemüsesuppe mit dem zarten Schinkenende darin. Das gefiel ihr nicht an dem Manne.
Eines Sonntagsnachmittags, als Lembkes in das Dorf gegangen waren, beschloß sie, drei Pferde vor den Wagen zu spannen, um durch den Sand zu kommen.
Der Bauer schlief, denn er war um zwei Uhr in der Nacht aufgestanden und mit dem Drilling und Söllmann, dem Schweißhunde Freimuts, losgegangen, weil er vermutete, daß hinten im Moor gewildert wurde. Er war erst gegen Mittag nach Hause gekommen und hatte sich dann lang gemacht.
Aurelie sagte sich, daß die Gelegenheit günstig wäre, die dicken Trümpfe auszuspielen.
Sie zog ihre süßesten Strümpfe und ihre zuckrigsten Schuhe an, ein Spitzenhemd und ein Korsett, wie es das weit und breit nicht gab, und einen Unterrock, der gerade so lang war, wie er sein sollte, machte sich ihr Haar so hübsch wie möglich, gab ihren Augen durch ein wenig Antimon noch mehr Feuer, sah sich lange im Spiegel an, machte sich einen Knicks, langte ihren Handspiegel her, besah sich von hinterwärts, und dann setzte sie sich auf den Bettrand und wartete.
Sie mußte sehr lange warten, so lange, daß ihr allerlei dumme Gedanken kamen, Gedanken, die nicht gerade geeignet waren, ihren Augen helleren Glanz und ihren Backen mehr Farbe zu geben. Sie wurde müde, aber sie wagte nicht zu schlafen, einmal der wunderbaren Haaraufmachung wegen, und dann überhaupt und so.
Sie sah ihr Photographiealbum durch, in dem meistens aufgedonnerte Mädchen mit weit aufgerissenen Augen zu sehen waren, und Männer unterschiedlicher Art, ordnete den Inhalt ihres Reisekorbes, in den sie niemals einen Menschen hineinsehen ließ, und las schließlich zum soundsovielten Male in den gelben Heften, auf deren Vorderblatt ein Männerkopf mit rabenschwarzen Locken zu sehen war, worunter die Worte standen: Memoiren eines Scharfrichters oder das Geheimnis der Gräfin Olga.
Auf einmal sprang sie auf; sie hatte gehört, daß im Fleet Schritte gingen. Sie trällerte ein Liedchen vor sich hin, warf einen Blick in den Spiegel, rumpelte einen Stuhl hin und her, zupfte sich eine Locke zurecht, rieb sich unter den Augen umher, die vom langen Warten Fensterladen bekommen hatten, warf noch einen Blick in den Spiegel, übte schnell einen züchtigen Augenaufschlag ein, ergriff die Blechkanne und schoß in demselben Augenblick, als die Schritte des Mannes ihrer Tür gegenüber waren, heraus und Volkmann mitten vor den Leib.
Die Kanne fallen lassen, einen gellenden Jungfernschrei ausstoßen und gleich hinterher den Atem anhalten, so daß so etwas Ähnliches wie Schamröte ihr Gesicht färbte, die runde Hand an das Korsett pressen, doch so, daß die schöne Hemdenspitze nicht verdeckt wurde, und dann mit wildem Busengewoge nach Atem ringen und schmachtend jappen: »O, Herr Volkmann, wie hab' ich mir doch verschrocken; daß Sie mir auch so sehen müssen!« das war alles eins.
Der Bauer aber änderte sein Gesicht kein bißchen und liebelte nur den Hund ab, der vor Schreck zurückgefahren war, als ihm die Kanne vor der Nase hinknallte; gleichgültig sah der Mann auf die sorgfältig hergestellte Pracht, und während Aurelie Grimpe in ihre Kammer zurückschoß, schnitt er für sich und den Hund Brot und Speck ab, wickelte es ein, steckte es in die Tasche, langte den Drilling von dem Rehgehörn am Türrahmen und ging über den Hof.
Als er im Grasgarten war, blieb er stehen, denn im Apfelbaum saß der Wendehals, schrie nach der Schwierigkeit und drehte den Hals wie albern. Und da mußte der Bauer im Halse lachen, denn es fiel ihm ein, welche Mühe die gute Aurelie sich seit Wochen um ihn mit Augenverdrehen und Halsverrenken gegeben hatte, just so wie der Wendehals, der in dem Apfelbaume saß.
Aber dann ging das Lächeln aus seinem Gesichte fort. Das Weibstück war ihm längst zuwider, einmal wegen ihrer schwarzen Kraushaare, dann wegen ihrer Anschummelei, und außerdem wußte er, was mit ihr los war, denn als Freimut sie das erstemal sah, hatte er hinterher in der Heide gefragt: »Mann, wie kommt dieses Besteck hierher? Ich dachte, die hätte der Satan längst lotweise geholt. Aurelie Grimpe, geborene Szimhowska aus Filehne, eheverlassene Juckenack und eheentlaufene Grimpe, unter dem Übelnamen die Gräwin weit bekannt an den Stätten, wo die Orchideen der Nacht wachsen, mehrfach wegen Begünstigung der Kuppelei hineingerasselt und wegen schweren Kuppelpelzhandels leider freigesprochen. Backt ihr eine Zehnpfennigmarke auf und schickt sie als Muster ohne jeglichen Wert dahin, wo der spanische Pfeffer wächst, denn das Weibsbild taugt in dem Grund nichts!«
Volkmann hatte derartiges schon immer geahnt, aber nicht recht gewußt, wie er es anstellen sollte, um die Person loszuwerden; jetzt, nach dem Bajonettangriff, den sie auf ihn verübt hatte, wollte er ihr aber aufsagen.
Während er das bei seinem Gange über die Heide mit sich abmachte, lag Aurelie auf ihrem Bette, biß in die Kissen, strampelte mit den Beinen, daß die Lackspitzen an ihren Schuhen Sprünge kriegten, sauste dann auf die Deele, schmiß einen Teller auseinander, gab der Katze, die entsetzt unter dem Brennholze hervorschoß, einen Tritt, warf sich in den Spinnstuhl, heulte ihre feine Hemdenspitze naß, und dann ermannte sie sich, ging an den Schrank und trank drei Schnäpse.
Als Lembkes zurückkehrten, saß sie in einem ehrbaren Kleide und in biederen Strümpfen vor der Tür und strickte, wie es sich für eine gute Haushälterin gehört.
Neben sich hatte sie das Gesangbuch liegen.