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Auch zum Gründer Markt, Dorle?«
»Noch e' bißle weiter; bis zum Zainhammer. Und sagt, Frau Dotin, ob Ihr was hin zu bestellen habt. Vielleicht wieder was an den Herrn Faktor? Und dann gebt's schnell. Dort wird man auch immer länger aufgehalten als nötig war. Und zu spät in die Nacht mag ich nicht.«
»Was das für ein Hastigtun ist!« sagte die Wirtin, vor deren Tür dieses Gespräch stattfand. »Man sollt meinen, die Mädle von jetzt, das wären erst Mädle. Na, ich bin auch eins gewest, und nicht das langsamst; aber Zeit zum Atemholen hab ich mir alleweil noch gegönnt.«
»Ihr seid auch ein Mädle gewest?« fragte Dorle wie von Verwunderung überwältigt; denn die Wirtin war eine jener Gestalten, die man sich nicht jung denken kann. Die umherstehenden Männer brachen in ein Gelächter aus. Das Mädchen erschien in seiner treuherzigen Verwunderung noch frischer als sonst. Was für gottlose braune Augen sie im Kopfe hat! dachte der Schneider, und ohne Umstände hätte er ihr einen Kuß gegeben, wenn er gewußt hätte, wie das anfangen. Er hatte schon während des ganzen Gesprächs darüber nachgesonnen, allein vergebens. Das Mädchen war hoch aufgeschossen, eines ganzen Kopfes länger, als der kleine Mann. Selbst auf den Zehen stehend, hätte er nicht über das Grübchen unter ihrem Halse hinauf gereicht. Und ihren Kopf zu sich herabziehen zu können, hätte er viel stärker sein müssen oder sie viel schwächer.
Des Mädchens Augen lachten jetzt so ehrlich, wie vorhin schalkhaft, als es sagte: »Nichts für ungut, Frau Dotin. Hab's nicht schlimm gemeint. Ihr müßt denken, heut ist der Gründer Markt; da wird aus manchem ehrlicher Leute Kind ein Spitzbub.«
»Du bist ein Spitzbub das ganze Jahr,« sagte die Wirtin. »Kann sein, daß was da ist für den Herrn Faktor.« Und sie hinkte durch Einfahrt und Hof in ihr Wirtshaus hinein.
Des Schneiders Augen ließen den blonden Zopf und die vollen Lippen des Mädchens los und senkten sich auf ihren Schiebkarren herab und, verwundert über die Tüchtigkeit des Fuhrwerks und des Strickes darauf, fragte er: »Aber was willst du dir nur holen damit?«
»Einen Mann,« lachte der Schmied.
»Einen Schmied,« entgegnete das Mädchen ernsthaft. »Die muß man mit Stricken binden, wenn sie vom Markt heim nicht in jedem Wirtshaus einkehren sollen.«
»Die Schneider nicht?« fragte der Schneider fast neidisch.
»Auch,« sagte das Mädchen; »nicht wegen der Wirtshäuser, nur, daß sie der Wind nicht vom Schiebkarren bläst.«
»Du mußt den Holder-Fritz frein,« hustete der Weber. »Wenn ihr einen Jungen kriegt, der jagt den Kirchturm von der Kirch' und zur Stadt hinaus.«
»Das käm zu spät,« sagte das Mädchen ruhig. »Bis dahin habt Ihr ihn hinausgehustet.«
»Wo stellt Ihr ein auf dem Markt, Annedorle?« fragte der Schmied. »Heimwärts führen wir uns.«
»Ihr werdet wohl einen brauchen, der Euch führt,« sagte das Mädchen; »ich nicht.«
Die Wirtin kam mit einem Paketchen heraus, das schnell auf dem Schiebkarren seinen Platz fand. Die Männer hießen das Mädchen warten; sie würden gleich mitgehen. Gute Unterhaltung sei halber Weg.
»Das glaub ich,« sagte das Mädchen, »und drum geh ich allein. Wenn ich wieder etwas an Euch mitkriege dort, Frau Dotin, komm ich auf dem Rückwege herein. Und es soll mir nicht drauf ankommen, so kriegt Ihr einen gebackenen Mann von mir zum Markt. Gott zum Gruß, Frau Dotin.«
Die letzten Worte kamen schon aus einiger Entfernung. Das Mädchen war schneller und leichter auf den Füßen, als man der großen Gestalt zugetraut hätte. Unwillkürlich sahen ihr alle nach.
»Immer heiter,« hustete fast ärgerlich der Weber hinter ihr drein.
»Dafür heißt sie auch die Heiterethei,« lachte die Wirtin.
Der Schneider sann über etwas, dann sagte er: »Man sollt doch keinen eher taufen, als bis man ihm einen Namen geben könnt, der auf ihn paßt. Da würd's nicht vorkommen, daß ein Spaßvogel Ernst und ein Saufaus Nüchtern hieß, und man wüßt gleich, wenn man nur den Namen hört, wie der Mann beschaffen ist. Heiterethei! Guckt! Der Name tanzt ordentlich, wie das Mädle selber.«
»Da sorgt ja,« sagte der Schmied, »daß Ihr einmal Eure Mädle, wenn Ihr welche habt, auf die Art taufen laßt. Wenn sie sonst niemand aufzieht, können sie mit ihrem Namen tanzen. Aber wer was Aparts an sich hat, dem braucht's nicht leid zu sein darum, den taufen die Leut' ohnehin noch einmal.«
Auf des Schneiders Gesicht hätte man lesen können, daß die Rede des Schmieds auf ihn gemünzt war, wenn es auch das Lachen der übrigen nicht verraten hätte.
Er seufzte nämlich trotz seiner dreißig Jahre noch unter der Tyrannei einer baumlangen Stiefmutter. Sie nannte ihn nicht anders, als den »Jung«. Natürlich hieß er von Stund an, wo dies bekannt wurde, im ganzen Städtchen so. Man erzählte sich, sie behandle ihn durchaus jenem Ausdrucke entsprechend. Und mehr als einer wollte gesehen haben, wie die starke Frau ihn über einen Stuhl gelegt, ihm die Höslein mit der Linken straff gezogen, während ihre Rechte die Festigkeit eines spanischen Rohrs an dem Teil gemessen, auf dessen Ausdauer bei der Schneiderei so viel ankommt. Aber was will nicht der und jener Spottvogel gesehen haben, den ein Verhältnis der Art zum Weiterausmalen einlud! Freilich, wenn der Schneider zuweilen wie ein Pfeil aus der Haustür herausschoß und dann hineindrohte: »Respekt muß im Hause sein!« dachten die Vorübergehenden dazu: »Aber jetzt steht er vor der Tür.«
Der Schneider achselzuckte ein stummes: »Man kennt den Morzenschmied, was für ein Schabernacker der ist, so duchsig er tut.«
Die Wirtin aber erinnerte der fliegende Saum des rot-flanellenen Unterrocks, der eben um die Straßenecke verschwand, wieder an die Heiterethei. »Aber sie könnte,« sagte sie, »ebensogut die Bravethei heißen, als die Heiterethei. Denn: kein braver Mädle im ganzen Städle, wie der blinde Orgelmann singt; wenn schon ein bißle wunderlich dabei. Wie ihre ältere Schwester Mutter geworden ist von dem dicken Semmelbeck in der Stadt, wo sie gedient hat, da hat die Heiterethei sie fort geholt und hat ihr einen anderen Dienst verschafft, ich weiß nicht, wo, aber weit von hier. Wenn du fünf Jahre dich ordentlich gehalten hast, hat sie zu ihr gesagt, dann will ich wieder deine Schwester und soll das Liesle dein Kind wieder sein. So lang aber kommst du mir nicht wieder ins Häusle, daß du's weißt. Das Kind aber hat sie behalten, und nicht viel Mütter sind so brav gegen ihr eigen Kind, wie die Heiterethei gegen das Liesle ist.«
»Ja, und die Hochmuthei dazu,« hustete der Weber. »Wo sie die Mannsleut verspotten kann mit Wort oder Tat, da ist sie gewiß bei der Hand. Aber sie wird wohl schon einmal schlecht anfliegen, und ich wär nicht der Einzig', der ihr's gönnt.«
Ein Blick der Zustimmung, in dem die übrigen Männer sich nickend begegneten, zeigte, daß der Weber wahr gesprochen.
Unterdes waren sie mit Bezahlen, frisch Tabak stopfen und Anbrennen fertig geworden und machten sich auf den Weg. Man hatte noch zwei gute Stunden zu dem Marktflecken. Der letzte rief der Wirtin, welche die leergetrunkenen Gläser am Brunnen schwenkte, zurücksehend noch zu: »Prächtig Wetter heut!«
Die Wirtin sah sich um, und auf dem feinen Dufte haftend, der hinten den Bergen ringsum am Himmel heraufzog, sagte sie: »Dauert nicht bis zur Nacht. Es müßt' heut nicht Gründer Markt sein.«
Die Wirtin weiß es, und, sie nicht allein, alle Welt weiß es, wie's mit dem Wetter ist zum Gründer Markt. Und wenn er beginnt so blau und golden, wie es der Farbenkasten des Frühlings nur hergeben will, wie ein Tag vor sechzig Jahren; denn damals war Alles besser, selbst das Wetter; frage nur die Reicker Wirtin, wer's nicht glauben will. Kaum ist's Mittag, da steigt's von allen Seiten auf; da hebt's und drängt's, bis es einen neuen Himmel gewölbt hat unter dem alten. Das wär schon gut, wenn es nur aufzuhören verstände zur rechten Zeit. Aber immer noch steigt's und drängt's. Da wird ein Hin- und Herwogen, dunkler und immer noch dunkler, ein Zusammen- und Übereinanderschieben, daß endlich die Funken davon stieben und das ganze Wolkengewölbe unter seiner eigenen Last zusammenbricht mit Donnerkrachen, und die Wolkentrümmer aneinander in ungezählte Tropfentrümmerchen zersplittern über Buden, Platz, Käufer und Verkäufer.
Wehe dem, der da noch unter diesen letzteren ist; in dem wilden Durcheinander von Stöcken, Köpfen, Hüten, Mützen, das der gleichzeitige Druck nach allen Richtungen, nach deren Enden rettende Türen sich öffnen, in eine kreisende Bewegung bringt. Zugleich mit der ganzen Masse um ihre und noch einmal besonders um seine eigene Achse gewirbelt, weiß er bald nicht mehr, was sich dreht, er oder die Häuser und Buden um ihn herum. Bald erscheint die rettende Tür, bald verschwindet sie, ohne daß sie ihm näher gekommen ist. Die Hutkrempe, von Regen und Mitleid erweicht, senkt sich allmählich und verhüllt dem Auge des Dulders liebevoll wenigstens den Anblick seines Schicksals, bis eine Flut ihn plötzlich davonführt, er weiß nicht, wohin, und eine Tür ihn einschlingt, die er nie zu passieren gemeint hat. So ist's im Marktflecken selbst; die Straße nach dem Städtchen bietet bei allem Ähnlichen doch ein ganz verschiedenes Bild.
Wer bereits auf dem Heimwege ist, hatte die Schritte schon eine gute Weile her länger und schneller gemacht; nun wird ein Rennen aus dem Eilen. Wer so vorsichtig war, einen Regenschirm mitzutragen, dem lohnt sich die Mühe der Arme nun an den Füßen. Wie ein Beet voll lebendiger Pilze, roter, blauer, schwarzer, kommt die Straße den verwunderten Raben vor oben auf den Pappeln über dem Graben. Der Regenschirm ist der Mann des Tages. Was keiner ist, müht sich einer zu werden. Unterrock, Bündel, eben gekaufte Wasserkannen, Töpfe, Tiegel, alles vergißt im Drange der Not seine eigentliche Bestimmung. Da huschen Weiber und Mädchen, mit der Schürze bedeckt, die ausgezogenen Schuhe und Strümpfe in den Händen, die Straße hin, und neben jeder huscht ein Mittelding von Schatten und Spiegelbild über die Pfützen und den nassen Glanz der Straßen mit. Hier kommt einer zu Pferde und schnaubt und stampft und spritzt vorbei, daß die Weiber aufschreien und die Männer fluchen. Hier ein Wagen, aber er ist schon voll, und schon ist er vorüber. Die Geborgenen oben lachen schon in der Ferne und die in ihrer Hoffnung Getäuschten unten senden Verwünschungen nach, die der Wind zu Ohren trägt, für die sie nicht erdacht sind – wenn das ewig gleiche Plätschern des Regens sie nicht vorher überplätschert. Aber stehen bleibt niemand; es müßte denn ein Angetrunkener sein, der im seligen Vergessen aller Not mitten auf der Straße sich zur Ruhe legen will. Doch auch er wird vom lachenden Manns- oder zornig weinenden Weibervolke mit fortgeschleppt, halb getragen, halb geschleift, wie es gehen will. Aber es geht; denn es muß gehen.
Und so geschieht's am Tage des Gründer Marktes, seit der Gründer Markt im Kalender steht.
Wer's noch genauer wissen will, höre nur der Reicker Wirtin zu, die's eben ihren Gästen erzählt. Und er wird, besonders in Anbetracht der Länge dieser Erzählung, so froh sein, im Trockenen zu sitzen, als nur immer unsere Bekannten von vorhin sein können, der Schmied, der Schneider und der Weber aus dem Städtchen.
Nicht, daß ihr Zustand an sich beneidenswert zu nennen wäre! Es ist vielmehr ein wahrer Heringszustand. Man denke sich hundert Menschen in eine enge Dorfwirtsstube zusammengepreßt, die Scheitel in die schweren Gewitterwolken aus Lampen- und Tabaksrauch und den Angstschweiß nasser Kleidungsstücke getaucht! Die Verlegenheit, welche von den zahllosen da unter den Tischen herum und untereinander liegenden Beinen man an sich ziehen müßte, wenn es gälte, dem völligen Ersticken zu entfliehen, ohne an einem Mitdulder zum Diebe zu werden. Denn die Lampen hier und dort vermögen in ihrer Hilflosigkeit eben nur so viel Helle auszuströmen, als nötig, um den Leuten zu zeigen, wie dunkel es ist.
Aber eine Not kann zur Wohltat werden, wenn sie von größerer Not errettet. Und bald hörte mit der größeren auch die kleinere auf. Es regnete schwächer, und wen nicht die Sorge um sein Heimwesen dem leiseren Rieseln zu trotzen trieb, der flog aus, da auch dieses endlich ganz nachließ.
Und auch heller wurde es. Schon zeigten sich Lücken im Gewölke. Das flog nun selbst wie eine endlose Folge dunkler Regenschirme in den Händen eilender Riesen am Himmel dahin.
Der Mond stellte sich auf die Zehen und sah zwischen ihnen hindurch auf die nasse Straße herab. Die hielt ihm tausend Spiegel vor und er sah wohlgefällig, um wie viel schöner und vollwangiger er nun seit gestern wieder geworden war.
Aber es gab Leute, die, sei es aus Behagen am Wirtshause oder aus Unbehagen an dem, was sie daheim erwartete, ruhig sitzen blieben, um, wie sie sagten, den Weg unterdessen noch etwas abtrocknen zu lassen. Unter diese gehörte auch unser Männerkleeblatt aus Luckenbach. Dem Morzenschmied war es nur dann nicht langweilig daheim, wenn er seiner Morzenschmiedin etwas aufzuheften oder sonst einen Streich zu spielen wußte. Hatte er sie durch eine trocken vorgebrachte Erdichtung mit den übrigen Weibern seiner Straße oder des ganzen Städtchens zusammengehetzt, dann war es seine Lust, mit Henkergeschicklichkeit sie in die größte Angst hinein zu bedauern. Und höchst unlieb wäre es ihm gewesen, hätte der Schaden einmal die Wirkung gehabt, sie klug zu machen. Die Schuster-Märtinessin dagegen, des Webers Ehefrau, war mit einem ganzen Doktorbuche voll Krankheiten behaftet, die das eigene hatten, daß ihre Anfälle begannen, so oft sie ihren Märtines die Treppe heraufkeuchen hörte, und nicht eher nachließen, als bis er dieselbe wieder hinabhustete. Was dem Schneider die Süßigkeit des eigenen Herdes verbitterte, wissen wir schon.
Diese drei Männer saßen zuletzt noch fast ganz allein da, und ihr Gespräch war so ins Stocken geraten, daß sie, in sich versunken, selbst nicht wußten, wie sehr. Es bedurfte einer Stimme, wie eben eine vor der Tür sich vernehmen ließ, sie zu erwecken. Und diese Stimme klang so voll und tief aus der Brust herauf, daß die vorgesunkenen Köpfe fast erschrocken emporfuhren.
»Da habt Ihr Euren Mann, Frau Dotin,« sagte draußen die Heiterethei. »Er ist der allerbest', raucht keinen Tabak, trinkt keinen Branntwein, und wenn Ihr ihn nicht mehr mögt, braucht Ihr ihm nur den Kopf abzubeißen.«
»Dazu ist er gut,« hörte man die Wirtin lachen; »und darum krieg' ich ihn. Wäre er zum Heiraten gewesen, hätt' ich ihn sicher nicht gekriegt.«
»Ihr müßt einmal gern geheiratet haben, weil Ihr noch immerfort so gern vom Heiraten sprecht.«
»Ja,« antwortete die Wirtin, »aber wie ich am liebsten geheiratet hätt', da hab' ich am wenigsten davon gesprochen. So haben's die Mädle und die Weiber, so lang' die Welt steht.«
»Das sagt Ihr. Jedes meint, wie's ihm war, so muß dem andern auch sein.«
»Und ich denk', wie's jeder meint, so wird's auch sein.«
»Aber es ist doch nicht so! Und wenn's solche gibt, müßt Ihr dann sprechen: alle sind so? Sagt meinetwegen: es gibt ihrer genug, die so sind. Das sind solche, die's nicht allein ermachen können. Wer's muß, da hab' ich nichts dagegen, aber ich tät's nicht, und wenn ich tausendmal müßt'. Weil die Mädle heutzutag noch schwächer und einfältiger sind, als die Mannsbilder selber.«
»Darum ist's nicht. Die Männer heiraten doch auch. Wenn jedes was Stärkeres und Gescheiteres heiraten will, wen sollen denn die heiraten?«
»Meinethalb den Kuckuck von Langensalz. Was gehn die mich an? Die Männer frein, damit sie einen Narren haben, und die Mädle, weil sie selber Narren sind. Gebt mir lieber ein Kärtchen Bier für Euer Gerede.«
»Die Männer und die Mädle! als wenn du nicht selbst ein Mädle wärst! Oder was biste sonst?«
»Ich bin ich. – Und ich frei einmal nicht, und ich mag einmal nicht, und wenn Ihr mir einen auf dem Teller präsentiert und er war obenein ein Prinz. Und red't Ihr noch ein Wort, so weiß ich, wo ich herkommen bin. Mein Brot verdien' ich allein, wenn ich schon ein arm' Mädle bin. Ich bin stark genug, und bin klug genug, und ich brauch' keinen, und so ist's, und nu ist's fertig!«
Dabei war die Tür geöffnet worden und das Mädchen mit rotem Gesicht voran, die Alte, laut lachend, daß es die ganze Gestalt schüttelte, hinterdrein hereingekommen. Die Männer in der Stube zeigten Lust, das Gespräch, das sie mit angehört, weiter zu führen. Das Mädchen lehnte am Ende eines Tisches. Der Schneider ersah sich die Gelegenheit, den kühnen Gedanken von heute morgen ins Werk zu setzen. Sie warf im Zorn die Lippen gar zu lockend auf. Um diese und bis in die vollen Wangen hinein war die goldbraune Farbe des Gesichtes gewichen. Das Mädchen hatte so pralles Fleisch, daß jede Bewegung vorübergehend solche weiße Druckflecken hervorbrachte, die, sowie der Druck aufhörte, einer desto dunkleren Färbung Platz machten. Es war an dem ganzen Mädchen ein immerwährendes Erbleichen und wieder Erröten vor Kraft. Der Schneider hatte gemeint: daß sie mit den bloßen Augen lachen könnte, gefalle ihm am meisten; jetzt schien ihm der trotzige Ausdruck derselben noch schöner, und ihre Augen gefielen ihm, so wild und scheu, noch mehr, als da sie lachten.
Vorsichtig und geräuschlos begann er, auf der Platte des Tisches sitzend, an dem sie abgewandt stand, immer näher an sie heranzurutschen. Saß er hinter ihr, dann bedurft' es nur eines Zurufes. Wenn sie dann erschrocken arglos das Gesicht ihm zuwandte, war der Plan gelungen.
Der Morzenschmied schien ganz wo anders hinzusehen, als nach dem Schneider. Er hielt seine Pfeife ganz nahe vor die Augen, die vor Schelmerei so schief standen, daß er der Heiterethei wie ein lauernder Kater vorkam. Zuweilen gab ihm das mühsam unterdrückte Lachen doch einen Stoß.
Der Weber aber, der von alledem nichts merkte, hustete und sprudelte unterdessen: »Ja, so stark wie die Weibsleut sind und so klug wie die Weibsleut sind! Und doch, wo was ordentlich gemacht sein soll, da muß es der Mann. Wenn sie mit den Händen wackeln, da muß geärbet sein, und wenn die Zunge geht, da meinen sie, das ist gedacht. Ei ja! wenn sie den Stubenehren ein bißle mit dem Besen kitzeln, daß der lachen möcht', und dreimal die Bodentreppen hinauflaufen darum, wenn eine Handvoll Salz aus der Meste soll in den Topf!«
Das Mädchen schwieg, man hätte gemeint, wie ein gescholtenes Kind, wenn es ihr nicht zuweilen so eigen um die vollen Lippen gezuckt hätte.
Noch ein Ruck, und der Schneider saß am Ziel. Schon fühlte er die Wärme vom Körper des Mädchens an der ihr zugewandten Seite; ein Schauer rieselte ihm den Rücken herab, und das Leiseatmen wurde ihm immer schwerer. Noch durfte das Mädchen nicht umschau'n. Drum fiel der Schmied helfend ein: »Was? Ich wett', das Dorle da nimmt zwei Mannsbilder auf sich, wenn mit der Zunge geärbet wird.«
»Ihr seid freilich stärker,« sagte das Mädchen nicht halb so keck als sonst. »Ihr nehmt gleich die ganzen Weiberleut auf Eure.« – Sie war schon einigemal wie mechanisch mit der flachen Hand über den Tisch gefahren, und das hatte den Schneider jederzeit nicht wenig beunruhigt. Jetzt strich sie eben so und immer noch mit abgewandtem Gesichte den ganzen Mann herab scheinbar so unabsichtlich wie einen Lappen Tuch, den man wohl in Gedanken vom Tische streicht, ohne gewahr zu werden, was man tut.
Alles lachte und sah nach dem Schneider, der so unerwartet auf die Diele zu sitzen gekommen, sich zu besinnen schien, wie.
Die Heiterethei tat noch verwunderter, als der Schneider selbst, indem sie einen Augenblick nach ihm hin sah.
Der Schmied lachte, daß ihm die Tränen kamen, und ärgerte sich doch zugleich und schwur bei sich, nicht zu ruhn, bis er durch einen größeren Schabernack den Schneider und die ganze Männerwelt an dem Mädchen gerächt habe. Es war dabei etwas von Neid und Eifersucht. Irgend jemanden so duckmäuserig dem Gelächter preiszugeben, das hielt er für sein Revier, und die Heiterethei war ihm eine Wildschützin darin, die gestraft werden mußte.
Doch wurd' er fast ungewiß; das Mädchen mußte mehr Freude verraten, wenn sie die Verhöhnung des Schneiders beabsichtigt hatte.
Im Gegenteil schien es der ungemischte Ton des Verdrusses, indem sie nun sagte: »Meinetwegen redet, was ihr wollt. Hätt' ich nur erst meinen Schiebkarren aus dem Schmutz! Wenn's so ein drei Stunden geregnet hat, ist da außen ein Lehm, als sollt' der Schloßturm gekocht werden, und man braucht einen Topf dazu.«
Der Schmied horchte auf. Was? Kam da die heißgewünschte Gelegenheit von selber, dem Übermute eins zu versetzen? Aber noch traute er der Hoffnung nicht.
»Ja,« sagte er, »das Dorle will uns was weiß machen, damit sie lachen kann, wenn wir's glauben.«
»Da hat sich's zu lachen,« entgegnete die Heiterethei. »Ich muß heim, und allein bring' ich den Karren nicht heraus.«
Ihre Stimme zitterte bei den letzten Worten; der Schneider nahm's für unterdrücktes Weinen; je kleinlauter das Mädchen wurde, desto höher richtete sich der Schneider auf.
»Ich denk',« sagte der Schmied und seine Augen kamen immer schiefer zu stehen, ich denk', das Dorle ist stark genug und ist klug genug und kann's allein ermachen? Wenn sie so klug ist, wird sie ja nicht mehr geladen haben, als sie fahren kann, und wenn sie alles allein ermachen kann, wird sie wohl fahren können, was sie geladen hat.«
»Wenn das Wetter ausgehalten hätt',« sagte die Heiterethei. »Wer kann für's Wetter?«
»Ja freilich! das Wetter,« hustete der Weber triumphierend; »das ist den Weibsleuten ihr Sündenbock. Donnerwetter! wenn das Wetter nicht wär', da blieben alle verfütterten Säu' gesund, da war' Obenhin der beste Jäter, und alles was sie machen, das war' gut, und Zufrüh und Zuspät die besten Gärtner. Und ja, wenn alle Ding' sich selber machten, wie das Wetter, da kam' keine darauf, daß sie nur ein Weibsbild ist,« –
»Und ein ander Ding um einen Mann,« flickte der Schneider dazwischen, und seine geballte Faust sagte: Ich bin einer!
Der Schmied wollte reden, aber der Weber war einmal im Husten. »So ein Ding, das da denkt: lieber die Bein' gebrochen, als zweimal gegangen, und was es auf einmal mit den Augen ersieht, das kann sie auch auf einmal mit den Händen ermachen. Drum steht's schon in der Schrift, daß es ein schwach Werkzeug ist, und der Mann soll ihr Herr sein, denn warum? weil ein Weibsbild – nur ein Weibsbild ist, hiergegen ein Mann, das ist ein Mann.«
»Ja,« sagte die Heiterethei, »wenn ich mir's so hätt' auslegen können! Aber deswegen bleibt mein Schiebkarren, wo er ist.«
Der Schmied konnte noch immer nicht zu Worte kommen; der Weber fühlte, er mußte sich selber am Kragen festhalten, und wer weiß, was er noch gehustet hätte, wär' nicht der Schneider dazwischen gefahren: »Und wo er bleiben sollt' nach Recht und Gerechtigkeit! Denn es geschah' einer just einmal recht, wenn sie umladen müßt' und würd' noch ausgelacht dazu.«
Der Schmied, welcher schon lange beschwichtigend mit beiden Händen gerudert hatte, kam endlich, indem er dem Schneider ins Wort und dem Weber in den Husten fiel, zum Reden.
»Aber das Dorle,« sagte er mitleidig, »kann ja doch eigentlich selber nichts zu dem Unglück, daß sie nur als ein Mädle geboren ist. Und wiederum steht in der Schrift, das stärkere Werkzeug soll sich über das schwächere erbarmen. Aber« –
»Umsonst wird nichts!« sprach der Weber dazwischen.
»Abbitte muß sie tun!« der Schneider.
»Ja, von wegen dem,« fuhr der Schmied fort, »was sie vorhin gered't hat vom Männervolk. Sie dauert mich, aber daran läßt sich nichts ändern.«
»Ja,« sagte die Heiterethei, »und wenn ich's getan hätt', müßt' ich mir doch selber helfen und würd' auch noch ausgelacht? Hernachen will ich's; aber vorher tu ich's nicht; das sag' ich gleich.«
Der Schneider, einen ganzen Kopf länger als er selbst, brannte vor Ungeduld, den Karren frei zu machen mit einem Ruck und so der Heiterethei zu zeigen, was ein Mann sei. Er staunte selber an sich hinauf und traute sich das Ungeheuerste zu. Auch der Weber konnte vor Ungeduld nicht mehr sitzen und spuckte schon in die Hände. Der Schmied hätte gern den Triumph mit dem Strohhalm ausgetrunken. Wer weiß, ob die Heiterethei ihnen noch einmal so in die Hände lief! sie durften sie nicht so schnell und glimpflich wieder heraus lassen.
Da diese aber, so viel ihr selber daran gelegen schien, die Männer sollten sich an ihrem Fuhrwerke versuchen, auch in der Schelmerei es sich nicht abgewinnen konnte, zu bitten, so erhob sich endlich auch der Schmied, und der Zug setzte sich, das Mädchen an der Spitze, in Bewegung.
Eine Warnung der Wirtin verscholl unbeachtet.
Das eigene Wedeln der Heiterethei mit dem Tragband in ihren Händen beim arglosesten Gesicht erinnerte sie an die ähnliche Schwanzbewegung der Katzen vor einem plötzlichen, unvermuteten Sprunge. Da die Männer nicht hörten und ihr selbst über den Katzen einfiel, nach dem Braten im Gewölbe zu sehen, so überließ sie die Verblendeten der Heiterethei ohne weitere Versuche, sie zurückzuhalten.
Außen hatte sich unterdes ein Windhauch aufgemacht, der die aus der Einfahrt Tretenden mit fast herbstlicher Frische begrüßte und von den Bäumen an der Straße einen kleinen Regennachschauer auf sie warf.
»Und wo ist denn nun das bißle Karren?« fragte der Schmied sich umsehend.
Die Heiterethei ging voraus, um ihre lachenden Augen zu verbergen: denn der Mond verbreitete Tageshelle. Sie ging nach einer großen Pfütze zu, und hier stak der Karren. Das Rad war nur eben bis an die Speichen in den weichen Boden eingedrückt.
Ein weißes Tuch verbarg die Ladung. Diese nahm einen so unerwartet geringen Raum ein, daß der Schneider fast bedauerte, so leicht davon zu kommen.
»Ärbet für einen Schneider,« sagte der Schmied.
Das nahm der Schneider beinah übel.
»Schmied oder Schneider, sagte er und warf den Unterschied mit einer Handbewegung weg, die zeigte, wie leicht er war. »Mann ist Mann; und war's nicht um einer schwachen Weibskreatur wegen, das Ding wär' für meinen Lehrjung' zu gering.«
Aber so verächtlich blickend er nun zwischen die Handhaben trat, geschah's doch mit dem Entschluß, seine ganze Kraft aufzubieten. Denn herausfliegen sollte der Karren, so leicht wie ein Vogel, aus dem Schmutz. Und gewiß! wäre der Schneider so energisch wieder aufgestanden, als er sich bückte, es wäre so geschehen. Aber er stand gar nicht wieder auf, wenigstens mit dem Karren nicht. Wie er auch bald mit der einen, bald mit der anderen Schulter, bald mit beiden zugleich auftauchte, wie er das Tragband bald nach oben, bald nach unten schob, der Karren flog nicht, er stand wie angewurzelt. Wütend sprang der Schneider endlich allein wieder empor. »Vexation!« schrie er. »Vexation! Ich weiß, was einer ermachen kann. Aber die Wirtin hat nicht vergeblich gered't. Da ist was Extra's aufgepackt.«
Die Heiterethei sagte: »Ja, sechs Schneider.«
Der Weber aber schämte sich in der Seele seines ganzen Geschlechtes, daß er den Schneider vorangelassen. Zornig schob er ihn aus dem Karren und sich selbst hinein. Nun spuckt' er in die Hände, aber nicht wie der Schneider, sondern wie ein Mann. Nun faßt' er in die Handhaben, daß die langen Finger erblichen; nun taucht' er nieder, als gält's, den Kern der Erde zu stürmen; nun rannt' er gegen den Karren wie ein wütender Elefant; nun – ja, nun lag er mit der Nase auf der Last und mit den Knien in der Pfütze. Der Karren stak so fest als zuvor.
»Ein himmelverbranntes Donnerwetter!« fluchte nun auch der Weber, indem er sich aufreckte und den Schmutz von den Knien abstrich. »Der Schneider hat recht. Lug und Trug! Teufelsmädle, du hast noch was Apart's aufgepackt. Vexation ist's, Vexation!«
»Ja, freilich,« sagte die Heiterethei, »der ist vexiert, der sich auf ein so starkes Werkzeug verläßt, wie Ihr eins seid.«
Der Schneider und der Weber fluchten und renkten sich die Arme und Beine zurecht, der Schmied aber lachte so fürchterlich, daß die Heiterethei ihn nicht ansehen durfte, wollte sie ernsthaft bleiben.
»Das Mordmädle!« dachte er. »Ich könnt' ihr ordentlich gut sein für den Spaß da, obgleich sie mir den Hauptjux verdorben hat, den über sie selber. Und geschenkt soll ihr das gewiß nicht sein. Dem Weber und dem Schneider geschieht's schon recht; warum sind sie solche Pfefferkuchenmännle! Aber ein End' mach' ich nun, sonst kommt die noch aus dem Häusle vor Übermut.«
Damit ging der Schmied nach dem Karren, dem er, als Repräsentant seines ganzen Geschlechtes, die Ehre nicht antat, die Pfeife vor ihm aus dem Munde zu nehmen. In die Hände spuckte er so beiläufig, als war's nur, um den Gebrauch nicht zu umgehen. Aber bald war er höflicher. Nach dem ersten vergeblichen Ansatz spuckt' er in vollem Ernst. Bei dem zweiten fiel ihm die Pfeife von selbst aus dem Munde. Nach dem dritten war er zorniger als Schneider und Weber.
Er war keineswegs bösartig; aber er hatte die Natur vieler sonst ganz guten Leute. Die gern jedermann zum besten haben, sind, wenn ein anderer das an ihnen tut, gewöhnlich die Empfindlichsten. Dazu kam, daß ihm Schneider und Weber seine Schadenfreude von vorhin mit Zinsen zurückgaben.
»Heben tut er sich,« schrie er endlich, »aber heraus aus dem Schmutz bringt den Himmelelementskasten der Teufel selber nicht! Aber der Hexe da soll's gezeigt werden, was das auf sich hat, Männer zum Narren zu halten! Das soll sie einem andern weismachen; das kann der wilde Fritz nicht; das müßt' der Teufel selber sein, der einen Karr'n vom Zainhammer bis daher führ' so beladen wie den.«
»Ja, wenn der Teufel kein Mannsbild wär,« entgegnete die Heiterethei, indem sie das Tragband aufhob, das der Schmied im Zorn auf die Erde geworfen hatte. »Aber er macht's halt wie alle Mannsleut. Räsonnieren, was ein Mann für ein ander Tier ist, wie so'n armes schwaches Weibsbild, das können sie; aber so 'nem armen Weibsbild den Karren aus dem Schmutz tun – ja, wenn's halt mit der Zungen zu machen ging'! Bin nur froh, daß ein Eisenstab kein Schweizerkäs ist, sonst hätt' ihn der Meister Weber durch und durch gestochen mit seiner spitzigen Nasen. Und wenn was zu bestellen ist an die Frau Morzenschmiedin, oder wenn der Meister Schneider noch aufsitzen will, so einen bring ich just noch fort; er könnt' auf dem Strick reiten da; aber es müßt' geschwind gehn. Ich hab' nicht mehr viel Zeit.«
Sie sah nach dem Schneider um, als wär's mit dem Aufsitzen ihr Ernst. Dann hängte sie ruhig ihr Tragband um, ließ die Handhaben in die Schleifen und hob, wenn auch mit Anstrengung, den Karren aus dem Schmutz.
»Respekt muß im Hause sein!« rief sie zurück. Und heiter lachend ging es dann die Straße so schnell hinab, daß die Männer noch wie Steinbilder dastanden, als sie um die nächste Ecke verschwand.
Freilich schon hinter dieser nächsten Ecke machte das Mädchen Halt, um dort von der übermäßigen Anstrengung auszuruhen, aber nicht ohne erst vorsichtig herumzublicken, ob die Männer ihr nicht etwa folgten. Sie sah sie langsam in das Wirtshaus zurückgehen, und nun erst überließ sie sich dem Jubel, dessen lauten Ausbruch zu unterdrücken ihr bis jetzt nur mit äußerster Mühe gelungen war.
Sie hätte sich längelang in das Gras neben der Straße geworfen, stand nicht vom Regen her Wasser darauf. Sie kauerte, weil sie sonst kein Plätzchen sah zum Ruhen und zum Lachen, auf ihre Fersen nieder und umschlang mit beiden Armen ihre Knie. Und je mehr die verdehnten Sehnen von der Erschütterung des Lachens schmerzten, desto heftiger mußte sie lachen. Sie drückte ihr Gesicht in die Schürze, preßte den Zipfel derselben in den Mund; aber die bewährtesten Mittel halfen nichts; sie mußte den Lachsturm austoben lassen.
Wie weit war ihr Herz vom Gefühle ihrer Kraft und Selbständigkeit! Es war ihr, als hätte sie einen Sieg über alle Männer der Welt davongetragen. Nicht mit dem Glücklichsten tauschte sie jetzt. Aber das hätte sie auch wohl sonst nicht getan. Denn niemandem konnte wohler sein in seiner eigenen Haut, als der Heiterethei; in eine fremde sich auch nur hineinzudenken, fiel ihr nicht ein. So strotzte jede Fiber an ihr von Kraft, jeder Gedanke von Übermut.
Bald hatte sich ihr Körper erholt und das Phlegma der Gesundheit auch die innere Bewegung so auf das richtige Maß zurückgebracht, daß, als sie weiter fuhr, den rüstigen Gleichtritt kein schnellerer Atemzug mehr störte.
Wir können sie getrost sich selber überlassen; es wird für das Verständnis unserer Erzählung nötig sein, dem Orte, dem sie so rüstig zufährt, und dem Treiben und der Art seiner Bewohner einen, wenn auch nur flüchtigen Blick zu gönnen. Wir eilen ihr voraus, sicher, daß sie uns bald einholen wird.
Wir kommen zunächst durch eine Doppelreihe von Stadeln und wissen nun schon, Luckenbach gehört zu jenen Städtchen, in deren Tätigkeit sich Ackerbau und Gewerbe teilt. Der Gründer Markt ist ein Ausnahmstag. Denn was Waren hat, feilzuhalten, Geld, um zu kaufen, Beine, um zu tanzen, Arme, um Kegel zu schieben oder sich zu schlagen, eine Gurgel um zu singen und zu trinken, ja, nur Augen, um zu sehen, das fliegt heut sicher nach dem Grunde. Aber nur einige Stunden früher, und wir hätten auch heut ein Bild gehabt vom Leben und Treiben des Städtchens im Sommer, wenn auch ein weniger lebendiges und figurenreiches als an anderen Tagen. Männer in Hemdenärmeln standen plaudernd und rauchend an befreundeten Fenstern. Flinke Weiber und Mädchen wuschen Salat oder schöpften mit dem »Kübel« Wasser aus den großen steinernen Brunnenkästen in »Bütten und Stutzen«. Andere rasselten, die rotflanellenen Unterröcke hinter ihnen fliegend, mit dem leeren Schiebkarren über die Straßen nach dem Tor, oder kehrten langsamer mit beladenen von daher zurück. Und nicht etwa bloß die ärmeren, wie die Heiterethei. Wer Töchter hat, mietet keine Mägde. Die angesehendste Bürgerstochter, die am Sonntag auf dem Schützenhof tanzt oder auf dem Liebhabertheater spielt, fährt Werkeltags im rotflanellenen Unterrock, ein buntes Tuch um die Haare, auf dem Schiebkarren das Futter heim für die Kühe. Die Männer sind Handwerker, die Frauen sind Bauern. Und den großen Feldarbeiten, Heu-, Grummet-, Getreide- und Kartoffelernte, macht auch bei den Männern das Handwerk Platz. Dann steht die Brücke leer, der Webstuhl ruht, Schere und Säge hangen am Nagel; Meister, Lehrling und Geselle tummeln sich draußen im Felde oder auf der Wiese.
Wir kehren wieder zu der Heiterethei zurück und treffen sie schon an den äußersten Stadeln. Sie fährt langsamer als vorhin; sie überlegt, ob sie hier noch einmal ruhen oder in einem Zuge fortfahren soll bis an die Nagelschmiede, wo sie ihre Ladung abzugeben hat. Sie ist schon zu dem letzten entschlossen, da fällt ihr ein offenes Stadeltor auf, vor dem eine Schnitzbank steht. Rings um diese liegen fertige und unfertige Faßreifen und allerlei Werkzeug in der wildesten Unordnung durcheinander. Und kein Mensch dabei zu sehen noch zu hören.
Nichts war dem Mädchen verhaßter als Unordnung. Wo sie dergleichen sah, zuckte es ihr in den Händen. Sie konnte nichts unrecht stehen sehen, ohne es recht zu stellen, und wenn sie noch so gut wußte, wie schlechten Dank sie sich damit verdienen würde. Unwillkürlich ließ sie den Schiebkarren zur Erde nieder.
»So was!« sagte sie und schlug vor unwilliger Verwunderung mit den Händen auf die Schürze. »Da läuft erst der Meister von der Arbeit, hernach die Gesellen und der Lehrer (Lehrling), wie die Sau' vom Trog. Freilich! Sollen die Gesellen auf seinen Nutzen sehn, wenn's der Meister selber nicht tut! Aus dem Holders-Fritz wird halt sein Lebtag nichts Gescheit's.«
An jedem andern wäre ihr Unordentlichkeit zuwider gewesen, am Holders-Fritz erregte diese ihren Zorn. Sie wußte nicht warum, und war auch nicht gewohnt, über dergleichen sich Rede zu stehen. Aber es regte sich zugleich ein Etwas in ihr, was sie freilich gewiß für nichts anderes hätte gehalten wissen mögen, als wofür sie selbst es hielt, für Ordnungsliebe. Dieses Etwas wußte jenen Zorn mit immer neuen unverfänglichen Vorwänden von einem Zugeständnis zum anderen so lange fortzuschwatzen, bis er endlich nichts mehr zuzugestehen hatte.
»Ich werd' nicht so dumm sein,« entgegnete der Zorn dem Etwas, »Ordnung zu machen, wo mich's nichts angeht.« »Aber über die Schnitzbank,« sagte das Etwas, »kann bei Nacht jemand fallen«.
Sie räumte die Schnitzbank hinein, und das Gespräch geht fort: »Aus dem andern mag werden, was da will!« »Wenn ich nicht einmal darüber wär', die Reifen sollten liegen wegen mir bis zum Gückelestag.« – »Den Schnitzer und das Schnitzmesser – guckt nur! auch das Beil und die Säg' haben sie liegen gelassen, die liederlichen Hund.« »Wenn mich nicht das Zeug dauern tät'.« – »So; nun fehlt nur noch, daß ich so dumm wär' und kehrt auch noch die Spän' hinein, aber – nicht einmal einen Besen haben die da. Es ist mir nur Wunder zu sehen, ob das Volk nicht einmal einen Besen hat? Na, das soll wohl einer sein! Würd' dem Gesindel keinen Finger kosten, wenn sich's selber einen zusammenbänd', eh' sie das stumpfe Ding da – meinethalb! Und das Stadeltor ist auch hundert Jahr nicht geschmiert. Es war' schad' um den Holders-Fritz, wenn's ihm nicht recht geschäh'. Nunmehr müßt' der einer sein. Warum heirat't er nicht? Aber wen denn? Wenn der keine Tüchtige kriegt, ist's schlimmer als gar keine. Wenn er mich zur Frau hätt', da könnt' er noch einer werden. Ich wollt's ihm schon gönnen; er ist doch nicht der Allerschlimmst'. Wenn ich einmal mit ihm zu reden käm', ich wollt' ihm allerlei sagen. Ja, damit er Wunder dächt', was ich mit ihm haben wollt'? Was geht der mich an? Er hat meine Mutter nicht gefreit und will mich nicht frei'n. Und ich möcht' ihn nicht einmal. Den nicht und gar keinen. Ich kann's zweimal allein ermachen. Und so ist's, und nu ist's fertig!«
So lautete das Gespräch, das die Gedanken der Heiterethei miteinander führten. Und wie diese mit dem Gespräch, war sie selber mit dem Aufräumen fertig geworden. Das alte Scheunentor kreischte laut knarrend in der Angel, die Heiterethei sah erschreckt sich um. Es war, als hätte zugleich etwas in den Büschen gerauscht. Aber alles war ruhig und niemand zu sehen. Das Tor hatte die Gräser vor der Scheune gestreift; die hatten gerauscht. Dennoch war das Mädchen mit einem Satz auf der Straße. Und nach der Miene, mit der sie weiter fuhr, mußte jeder, der ihr etwa begegnete, glauben, sie komme von Reick, wenn nicht vom Zainhammer her in einem Laufen.