Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als die Heiterethei, den Tag nach unserem Besuche im Gringel, abends auf dem Heimweg war, erschrak sie über die Eile, mit der die alte Annemarie ihr entgegenkam.

»Ist was passiert?« fragte sie die Alte. »Das Liesle ist doch nicht krank?«

Die Annemarie konnte noch nicht reden. Sie winkte bloß und deutete nach dem Häuschen zu.

»Sie hat's die ganz' Zeit her schon mit den Zähnen gehabt,« sagte die Heiterethei; »sie hat doch nicht Krämpf' gekriegt?«

Jetzt bemerkte die Heiterethei erst, die Alte trug ihre Schuhe in den Händen, als fürchte sie sonst zu laut aufzutreten, und ging auf Strümpfen; bei solchem Wetter und an Werkeltagen ein an ihr unerhörter Luxus. Dabei nickte sie so eigen, und all ihr Winken und Deuten strahlte von Feierlichkeit.

»Aber was ist das nur mit Euch?« fragte die Heiterethei, indem sie unwillkürlich stehen blieb.

Die Annemarie schlug die Schuhe zusammen, weil sie die Hände nicht frei hatte, und die Heiterethei mußte wiederum über ihr leises und vornehmes Sprechen erstaunen, als die Annemarie sagte: »Ach, daß Gott erbarm'! Drin sind sie. Sie sind drinne.«

»Wer denn?« fragte die Heiterethei ungeduldig.

»Ja, die Weiber!«

»Ja, die Schneiderin da vom –«

»Die?« sagte die Annemarie ordentlich entrüstet. »Um die zieh' ich meine Strümpf nicht an. Gott bewahr! Ich hab' nicht gewußt, was ich sollt' denken! Daß mir so was noch auf meine alten Tag' passiert!«

»Wenn Ihr's nicht sagen wollt,« entgegnete die Heiterethei ungeduldig, »werd' ich's ja sehn, wer's ist.«

Die Annemarie aber hielt sie auf. »Die größten Weiber, wo im Städtle sind. Die Gringelwirts-Valtinessin mit ihrem roten Sacktuch, die Morzenschmiedin und die Weberin vom Säumarkt. Ach, hat die Valtinessin einen Blick in ihren Augen, der ist nicht auszusagen! Ich bin noch ganz außer mir. Ach, Bas' Annedorle, die Ehr', die große Ehr'!«

»Ja,« lachte die Heiterethei, »wenn die Valtinessin auch nicht die größt' Frau im Städtle ist, die dickst' ist sie gewiß.«

Die Annemarie nahm die Schuhe unter die Arme und schlug die Hände zusammen, daß die Heiterethei jetzt lachen konnte. Das war ihr, als wenn eins in der Kirche gelacht hätte während des Segens.

Die Heiterethei lachte nur noch mehr, als sie die Annemarie sich so feierlich gebärden sah. »Eure großen Weiber! So groß ist doch keine dabei, wie der steinerne Christoffel am Rathaus. Und wären sie noch größer, mit der Arbeit bin ich für die ganz' Wochen vertan.«

Die Annemarie hatte nun wieder zu erschrecken, daß die Heiterethei den großen Weibern etwas zutraute, was so tief unter ihrer Würde war. »Aber was denkt Ihr denn? Meint Ihr denn, eine große Frau bestellt ihre Leut' selber? Daß Gott erbarm'! Und wenn's weiter nix war, das hätten sie mir könnt' sagen.«

»Ja, aber was ist's denn?«

»Wenn ich's wüßt'! Da ist die ein' um die ander' gekommen und hat gefragt, ob Ihr noch nicht heim wär't. Und jetzt sind sie wieder alle drei drinne. Und was sie hätten zu sagen, das war' für Euch und sonst für niemand.«

»Aber Ihr werd't doch nicht!« unterbrach sich die Annemarie selber. »Wie Ihr einen erschreckt! Ihr werd't doch nicht so hineingehen? Wart't, Annedorle, ich werf Euch Eure Strümpf zum Hinterfenster 'raus. Und hernachen wollt' ich Euch erst noch allerlei sagen. Dessentwegen bin ich Euch entgegen. Ihr seid ein bißle grob mit den Leuten und red't immer, wie Ihr's meint. Und es ist gar nicht schicklich, wenn man keine Lügen sagt bei so großen Leuten; die Wahrheit ist nur für die armen Leut', deshalb nennt man's auch die nackt Wahrheit. Und Ihr red't auch immer so laut, da wollt ich –«

»Ja, wenn Ihr mir haußen schon die Geduld alle macht,« sagte die Heiterethei ärgerlich, »hernachen seid Ihr selber schuld, wenn ich drin keine mehr hab'. Zieht Ihr meinethalb noch sechs Paar Strümpf auf einmal an; ich will Euch noch meine dazu borgen. Meine Füß' sind rein; ich hab' sie erst im Bach gewaschen. Und wie ich red', so red' ich; zier'n tu ich mich einmal nicht. Um die ganz' Welt nicht, geschweig' um drei alte Weiber. Und nu laßt mich 'nein.«

Aber die Alte umschlang das Mädchen und bat schluchzend: »So macht nur wen'gstens einen Neiger, wenn Ihr 'nein kommt. Seht Ihr, Annedorle, ich hab' Euch gekannt, wie Ihr noch war't wie das Liesle; nur einen Neiger! Tut mir nur den Neiger zulieb noch vor mein'm End'.«

»Vor dem Herrgott mach' ich einen Neiger,« lachte die Heiterethei, indem sie die Alte von sich abstreifte. »Und Eure drei großen Weiber sind noch lang' kein Herrgott. Das ist mein Häusle, hat selber Spitz gesagt und hat den großen Bullenbeißer 'naus gejagt. Ich bin nicht zu den Weibern gegangen, sie sind zu mir gekommen. Bin ich den Weibern nicht recht, so bin ich mir recht, und so ist's, und nu ist's fertig!«

Die Alte kannte das Mädchen zu gut, als daß sie nach diesem Trumpf noch einen Versuch hätte machen sollen. »Das ist einmal eine!« sagte sie kopfschüttelnd und wackelte mit kummervollem Blick dem raschen Mädchen in die Stube nach.

Drinnen waren die drei großen Weiber eben beschäftigt, das kleine Liesle und seine Garderobe zu mustern. Da war kein Hemdchen und kein Strümpfchen, das nicht mit Kennermienen betrachtet worden wäre.

Die Heiterethei sagte eintretend in ihrer frischen Weise: »einen guten Abend herein«. Die Annemarie machte den Neiger dazu, den ihrer Meinung nach die Heiterethei hätte machen müssen. Als diese die Beschäftigung der Frauen sah, begannen sich die Druckflecken auf ihren Wangen zu zeigen. Sie dachte: »Ja, so unverschämt sind die großen Weiber! Als wär' die Armut und ihr bißle Sach' bloß, damit sie dran könnten sehn, wie reich sie sind.«

Die Valtinessin aber setzte sich auf den einzigen vorhandenen Stuhl, schlug auf ihre Knie und begann: »Was wahr ist, das muß man sagen; das Annedorle ist das ordentlichst' und bravst' von allen armen Mädlen in der Stadt.«

»Und da ist sie noch so lustig dabei,« sagte die Weberin. Es sah aus und klang, als spänne sie an einem unsichtbaren Spinnrade und sänge dazu. »Und da ist sie noch so lustig dabei, das Annedorle, als gab's keine Weidenbüsch' auf der Welt und auch keinen, der dahinter lauern könnt'. Wie das klein' Kind auf selbem Bild, das lacht und in die Handle patscht, und der Bär hat's schon beim Kragen. Das ist die Gesundheit, Frau Gevatter Valtinessin.«

»Ja,« sagte diese, »aber für den Bär, da sind wir da. Hier sitz' ich und sag', der Bär soll das Annedorle nicht beißen, so lang' ich eine Zunge hab in meinem Hals.«

Die Schmiedin sagte gerührt: »Ja, wenn das Annedorle so lustig ist, das kann mich ordentlich dauern.«

Die Heiterethei sah die Frauen, eine nach der anderen, verwundert an. Die Annemarie verfolgte jede Bewegung des Mädchens ängstlich mit ihren Augen.

»Ja, es wär' nicht halb recht,« spann die Weberin wieder, indem sie und die Schmiedin sich voll Rührung auf die Ofenbank niederließen, »es wär' nicht halb recht, wenn man's so ruhig wollt' mit anseh'n. Was das aber für ein hübsch Stüble ist!«

»Ich meint,« sagte die Schmiedin, »da auf dem Herd müßt' sich's gut Kaffee kochen.«

»Und da auf dem Tischle,« spann die Weberin; »besser muß der Kaffee gar nicht können schmecken, als auf dem Tischle da. Das Annedorle hat wohl keinen im Haus?«

»In mein Häusle kommt solch' Zeug nicht,« entgegnete die Heiterethei. »Mein Kaffeetopf, das ist draußen der Brunn.«

Die Annemarie erschrak und hielt sich den Mund zu, als wäre dadurch zurückzunehmen, was die Heiterethei gesagt hatte.

»Ja,« sagte die Valtinessin, »es red't sich besser bei einem Schäle Kaffee. Die Annemarie könnt' in den Gringel. Die soll'n mir welchen schicken von dem guten in dem obern Kästle, wo die Fuhrleut' kriegen. Und Rahm aus dem mittlern Topf. Und auch drei Köpple und drei Unterschalen. Ein Topf und Holz wird doch wohl da im Häusle sein.«

Die Annemarie fühlte sich geehrt durch einen Auftrag der Valtinessin. Daß die Valtinessin dem Häuschen einen Topf zutraute, dafür bedankte sie sich bei ihr in des Häuschens Namen mit einem Neiger. Indem sie ging, dachte sie: »Es wird mir ja wohl auf dem Schloßweg eins begegnen und wird mich fragen, wo ich so notwendig hin hab'.« Aber die Furcht, die Heiterethei könnte unterdes daheim was Verkehrtes machen, ließ sie auf dem ganzen Wege der ihr gewordenen Ehre nicht recht froh werden.

»Na,« sagte die Schmiedin, die werden zu Haus auf mich warten. Mit meiner Mäd da ist's auf der Gottes Welt nix. Nicht die Küh' werden ordentlich gefüttert ohne mich. Meine Nachbarn wissen's allemal, wenn ich weg bin. Ja, sagt die Schneiderin neben mir, das ist auch eine Kunst; man hört's den Kühen am Brüllen an, ob die Morzenschmiedin daheim ist oder nicht. Die denken eben nur immer an die jungen Bursch'.«

»Ja,« spann die Weberin, »an den Lohn denken sie, aber an die Arbeit? Da muß man alles noch selber machen mit seinem kranken Leib. So schlimm ist's noch nicht gewest mit den Dienstboten. Ich will Gott danken, wenn mein Kätterle herangewachsen ist. Wie wär's denn mit der Annedorle? Das müßt' eine Mäd geben!

»Ja,« sagte die Heiterethei, »daß ich mir den ganzen Tag sollt lassen befehlen von einer Frau, wo nix versteht? Ich seh' selber, was zu tun ist, und sagen lass' ich mir nix. Ich hab' auch so zu tun, und hernachen bin ich in meinem Häusle mein eigener Herr.«

Die Valtinessin aber schlug auf ihre Knie und sagte: »Wer am Gründonnerstag Sechzig ist gewest, der hat andere Zeiten d'erlebt. Mein Ev', das ist ein Mordmädle, was ärbeten besagt, aber es ist zu viel mit den Sachen und Machen und wird noch alle Tag' mehr. Ich sollt' auch zu Haus sein, aber obschon mein Vater selig ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag', wo's meinem Nächsten gilt, da seh' ich das Meinig' nicht an.«

»Ja, so ist man einmal,« spann die Weberin den Faden der Valtinessin fertig.

»Und hernachen,« schlug ihn die Valtinessin auf ihren Knien platt, »ist das Annedorle auch ein echt Luckenbacher Kind.«

»Mein Mann,« knüpfte die Schmiedin einen andern daran, »der wird auch brummen.«

»Und meiner husten,« spann die Weberin ihn fort.

»Na,« nahm ihn die Schmiedin zwischen beide Hände, »wenn die Gevatter Weberin meinen hätt'! Die weiß nicht, wie gut sie dran ist. Das ist ein Böser! Mit dem ist keine Stund« Auskommen. Wenn ich nicht so ein gut' Tier wär', ich möcht' sehn!«

»Na, wenn die Morzenschmiedin klagen will,« zerriß der Weberin der Faden. »Da ist meiner ein wahrer Satan dagegen. Ich bin eine kranke Frau, eine sehr kranke Frau, und doch wird kein Mensch einen Huster von mir hören. Ich hust' in meinem Kämmerle, aber der? Der ist gesund wie ein Fisch und hust't den Leuten die Ohren voneinander aus bloßer Bosheit. Oh, wenn ich sagen sollt', was der für einer ist! Ich bin die elendst' Frau in der Stadt.«

Die Valtinessin aber sah die beiden ordentlich mitleidig an. Denn was waren der Schmied und der Weber zusammen gegen den seligen Valtines, da er noch lebte! »Ihr könnt beide dem lieben Gott danken den ganzen Tag auf euren beiden Knien,« sagte sie, indem sie sich auf die ihrigen schlug. »An meinem, da war nicht eine Ader, die gut wär' gewest: alles hat er getan, was nicht recht ist. Nun liegt er draußen auf dem Gottesacker. Er war ein guter Mann. Ich habe keine Klag' über ihn gehabt. Ich müßt's lügen. Es hat keine einen bessern gehabt!«

»Das heißt,« sagte die Schmiedin, »ich brauch' meinen nicht zu loben.« Sie sah nicht ein, was ein Toter vor einem Lebenden voraus haben sollte.

»Na,« spann die Weberin, »die Best' kann froh sein, wenn sie so einen kriegt, wie meinen. Ich tausch' mit keiner nicht.«

Die Heiterethei hatte sich mit ihrem Gestrick auf das Bett gesetzt, und das Liesle trieb Possen um sie herum. Der Heiterethei war's schon komisch vorgekommen, daß die Weiber in ihrem Stübchen saßen und ganz vergessen hatten, was sie eigentlich ihr wollten. Wie der Ehrgeiz sie trieb, daß erst jede die Elendeste, hernach die Glücklichste sein wollte, da wurde es ihr doch zu toll. Sie brach in lautes Lachen aus. Dieses schoben zu ihrem Glücke die großen Weiber auf des Liesles Rechnung. Denn daß ein armes Mädchen über große Weiber zu lachen sich erdreisten könnte, davon hatten sie so wenig eine Ahnung, als von der Möglichkeit überhaupt, daß eine große Frau etwas Lächerliches reden oder tun könne.

Die Annemarie wär' nicht halb so eilig zur Tür hereingerannt, wenn sie nicht das Lachen der Heiterethei draußen gehört hätte. Sie meinte, ihre Furcht von vorhin sei in Erfüllung gegangen.

Die Freude über ihre Rückkehr, welche die Frauen zeigten, beruhigte sie. Sie wagte sogar, von dieser, nachdem sie den größten Teil freilich dem Kaffee und den Tassen auf Rechnung gesetzt, einen ganz kleinen Rest für das Wiedersehen ihrer Person zurückzubehalten, und war glücklicher darüber, als die Frauen über den Kaffee. Mit großem Eifer unterzog sie sich sogleich unaufgefordert der Bereitung des Getränks, und als die Valtinessin das Fertige gekostet und die Geschicklichkeit der Annemarie belobt, da gab's den Rest des Tages über keinen Wunsch mehr für die Annemarie, es müßte denn der Neiger sein, den die Heiterethei ihr vor ihrem End' noch zulieb tun sollte.

»Aber das Annedorle trinkt doch auch ein Schäle mit uns?« fragte die Weberin.

Der Heiterethei kam's drollig vor, daß sie in ihrem eigenen Häuschen bewirtet werden sollte. Sie sagte: »Trinkt nur euer Zeug selber; ich mag keins.«

Die Annemarie meinte, die Heiterethei hätte sich eigentlich bedanken müssen, und machte für die Heiterethei einen Knix.

Bei der zweiten Tasse war es, daß die Rührung wiederum eintrat, die der Heiterethei Kommen und unbefangenes Wesen erregt hatte. Die drei Frauen sahen sich einmal über das anderemal an mit so »barmherzigem Getu«, wie es die Annemarie nach ihrem Abgange gegen die Heiterethei bezeichnete, daß der Alten die Tränen in die Augen kamen, obschon sie noch nicht wußte, worüber sie eigentlich weinte.

Und endlich begann nun die Valtinessin das Bild der Gefahr, die über ihr schwebte, vor den Blicken der Heiterethei aufzurollen.

Aber die Heiterethei lachte nur dazu. Wie ihr die Wildheit des Holders-Fritz mit den brennendsten Farben geschildert war, meinte sie: »Wenn der Holders-Fritz wild ist, bin ich noch wilder.« Wie seines Entschlusses, »es zu tun«, seiner Verkleidung und seines nächtlichen Weges nach den Weiden gedacht worden, sagte sie: »Er ist eben in das Weiden-Wirtshaus gegangen«. Mit der Eindringlichkeit der Warnungen nahm ihr Mutwille zu.

»Ja, wenn man nur noch wüßt', was es ist, das er Euch will tun!« brach die Schmiedin aus. »Das ist das Schrecklichst', daß man das nicht einmal weiß.«

»Ja,« bestätigte die Weberin und vergaß das Spinnen vor Gemütsbewegung, »man zerbricht sich den Kopf und bringt's doch nicht heraus.«

»Ja, was er will?« sagte die Heiterethei mit mutwilligem Ernst. »Was er will, daß er da am Häusle lauert? Freien will er mich, und ihr werd't's nicht hindern.«

Über diesen Frevel schlugen die Weiber die Hände zusammen. Die alte Annemarie tat dasselbe zugleich vor Schrecken und aus Höflichkeit.

»Weiber,« sagte sie; »die ganze Nacht hab' ich's in den Weiden hören rauschen.«

»Nu,« meinte die Heiterethei, »wenn er nicht meinetwegen ans Häusle kommt, so hat er's auf Euch abgesehn, Bas Annemarie. Gesteht's nur gutwillig ein! Denn weiter wohnt keine im Häusle da.«

Darüber nun brachen die Frauen wiederum in ein Gelächter aus. Die Valtinessin versicherte, die Heiterethei sei ein Hauptmädle, beinah wie ihre Ev'. Die Annemarie lachte mit, so sehr sie sich schämte. Dazwischen faltete sie einmal um das andermal die Hände und sah andächtig nach dem Himmel. Denn der konnte den Frevel übelnehmen, wenn er eben nicht bei guter Laune war.

Die Valtinessin war die erste, der's gelang, wieder in das »barmherzige Getu« hineinzukommen.

Sie schlug auf ihre Knie und sagte: »Jedem, was ihm gehört, dem Ernst und dem Spaß; die Sach' ist nicht zum Lachen. Und weil ich einmal hier sitz', so will ich auch meinen Fuß nicht weiter setzen, bis ich die Annedorle hab errettet.«

»Ja, laßt Euch raten, Annedorle,« sagte die Schmiedin. »Geht beileib' nicht bei Nacht aus Euerm Häusle!«

»Und verschließt's auch bei Tag,« spann die Weberin, »so lang' wir nicht bei Euch sind.«

Die Valtinessin schwang ihre Haube. »Und wenn das Annedorle vernünftig ist, sag' ich, hernachen geht sie auch bei Tag nicht aus ihrem Häusle heraus.«

»Ja, ihr meint,« lachte das Mädchen, »verhungert ist auch gestorben, und wer tot ist, dem tut kein Mensch mehr was. Da habt Ihr schon recht. Ich aber denk', es ist besser, es will mir einer was tun, und ich bleib' am Leben und wehr mich. Und ich hab' auch recht.«

»Wenn ich das Annedorle wär',« sagte die Schmiedin, »ich freit'. Und ich weiß mehr als einen, der sie gern' nähm'.«

»Ja,« spann die Weberin, »ein ledig Weib ist einmal wie ein Arzneiglas, wo kein Zettel dran ist.«

Damit hatte es die Weberin getroffen.

»Kann sein,« sagte die Heiterethei gereizt, »daß andere Arzneigläser sind gewest, eh' sie gefreit haben; ich bin keins und brauch' keinen Zettel. Wenn's so gefährlich ist, warum gehn denn die Arzneigläser herum und haben ihren Zettel nicht um den Hals? Und mit dem Holders-Fritz und seinem Auflauern, das ist obendrein nur dummes Zeug.«

»Na, nichts für ungut,« spann die Weberin. »Wenn das Dorle nicht will, so kann man sie nicht zwingen. Aber in acht nehmen bricht keinen Finger.«

»Und zu Nacht,« fügte sie hinzu, »ließ ich ihn nicht herein, wär' ich das Dorle, er möcht' Ursachen machen, was für er wollt'.«

Das nahm die Heiterethei nun doch im Ernst übel. Die Druckflecken prophezeiten nichts Gutes. Und wer weiß, was sie gesagt und getan hätte, ohne das allgemeine angelegentliche Versichern, man kenne sie zu gut, um mit dieser Warnung ihrer Aufführung zu nahe treten zu wollen.

»Man weiß ja,« sagte die Weberin, »das Annedorle ist das bravst' unter den armen Mädeln in der Stadt, und niemand weiß nix Unrechts an ihr. Ich hab mit keinem Gedanken daran gedacht, daß ich das Annedorle wollt' beleidigen. Deshalb hätt' ich doch nicht Ärbet und alles liegen lassen und war' hierher gekommen mit samt meinem kranken Leib.«

»Aber nu muß ich doch heim,« sagte die Morzenschmiedin, indem sie aufstand und ihr Gehäuse fester zusammennahm. »Die Schneiderin hört's sonst an meinen Kühen, daß ich nicht daheim bin.«

»Ja,« schloß die Valtinessin mit einem gewichtigen Schlag auf ihre Knie. »Wir wollen das Unser' tun nach unsern Kräften. Die Köpple lassen wir da. Morgen kann die Morzenschmiedin den Kaffee mitbringen, und ein Paar Stühl' will ich lassen herbesorgen, damit wir dem Himmel eine Seel' erretten.«

Damit stand sie schon quer in der Tür des Häuschens. Diese, sah man, war nicht für sie berechnet. Es kostete ihrer massiven Grazie einige künstliche Wendungen, bis sie sich hinausgeschraubt hatte.

»Lach« Sie nicht, Dorle, lach' Sie nicht,« warnte die Morzenschmiedin noch von draußen. »Das dauert mich zu sehr.«

»Wenn ich nicht lachen soll,« sagte die Heiterethei hinter den Gehenden her; »weinen mag ich nicht! Und die ganz' Geschicht' ist nur dummes Zeug. Bei Tag muß ich in die Ärbet, und bei Nacht verschließ' ich mein Häusle ohne euch.«

Die alte Annemarie hielt's für ihre Pflicht, der Heiterethei noch einmal alles vorzuhalten, und womöglich mit den Worten und Gebärden der großen Weiber; etwas daran zu ändern hätt' ihr ein Unterschleif, eine Art Kirchenraub geschienen.

Die Heiterethei war nicht einzutreiben, und der alte Holunderbusch schien ihrer Meinung. Noch eine ganze Weile, nachdem die Weiber gegangen, hörte man, wie er sich vor Lachen schüttelte.

Aber es blieb nicht etwa bloß bei dem versprochenen Besuche der Valtinessin, Weberin und Morzenschmiedin. Die Heiterethei hatte sich jeden Tag über die wachsende Zahl der Frauen zu verwundern, die zum Teil unter den gesuchtesten Vorwänden zu ihr kamen, um sie zu warnen und ihr raten zu helfen, und um so zahlreicher und angelegentlicher, je mehr durch das ewige Bedenken der Sache deren Bedenklichkeit wuchs. Sie hatte mancher, die sie bis jetzt für hochmütig, ja, für ihr feindselig gehalten, dieses in ihrem Herzen abzubitten.

Erst meinte sie freilich, nur die Neugierde, ihr Hauswesen zu sehen, habe sie den unerwarteten Besuch zu danken. Aber diese wäre beim erstenmal gestillt gewesen, und die gutmeinenden Frauen konnten bald nicht mehr vorbeigehen, ohne einzusprechen. Und nie hatten sie so oft vorbeizugehen gehabt.

Die Heiterethei dachte jeden Tag besser von den großen Weibern. Und wenn sie sich's auch nicht eingestehen wollte, die allgemeine Teilnahme tat ihr doch wohl.

Dafür verwunderten sich die Frauen immer mehr, daß sie nicht früher eingesehen, welch ein braves, aller Achtung und Hilfe würdiges »Tier« die Heiterethei war; besonders wie gut und recht sie an dem Kinde ihrer Schwester handelte.

Wer aber bei der Sache nicht gewann, das war der Holders-Fritz. Jeden Tag wurde die Vergoldung seines Bildes dünner und erwies sich zuletzt sogar obendrein noch als unecht. Auch die wenigen Tugenden, die man ihm bisher noch zugestanden, hielten die Probe nicht.

Die einzige, die für ihn sprach, war die Heiterethei. Sie konnte es nicht leiden, wenn von einem hinter seinem Rücken Böses geredet wurde, er mochte sein, wer er wollte.

»Und wenn's auch wahr wär', das mit dem Holders-Fritz,« sagte sie, »daß er jetzt auf mich lauern tät'! Wild ist er gewest, das will ich auch zugeben, aber außerdem sollt' keiner was Unrechts von ihm sagen, und die Leut' im Städtle am wenigsten. Denn wenn der Holders-Fritz nicht wär' gewest beim Brand vor sechs Jahren, da hätten wir jetzt keine Kirch' mehr, wo wir hinein könnten gehn. Und bei dem Wolkenbruch hernachen, da hat er ganz allein die Gerbersleut' herausgeholt, wo sonst wären ertrunken. Ich hab' nix mit einem Bursch, und mit dem Holders-Fritz am allerwenigsten, aber man muß reden, was wahr ist.«

»Ja,« sagte dann die Schmiedin, »das ist alles recht, aber der Herr Vikares hat erst den letzten Sunntig noch gepredigt: man soll nicht ansehn, was ein Mensch tut, sondern was seine Absicht dabei ist. Und die Absicht ist's, warum man einen Menschen soll loben oder nicht.«

»Denn warum?« fiel die Tischlerin ein, »wie er die Kirch' und die Menschen hat gerett't, da ist's ihm auch nur darum gewest, daß er seine Stärk' hat wollen zeigen, wie wenn er einen Tanzboden hat geräumt. Wenn einer einen Menschen will retten, so muß er's aus Christenlieb' tun, und was einer nicht aus Christenlieb' tut, das ist Sünd'; denn warum? Wenn einer einen Menschen nicht aus Christenlieb' will aus dem Wasser ziehn, da ist's besser, er läßt ihn gleich drin liegen. Die Schmiedin hat schon recht.«

»Ja, aber,« sagte die Tüncherin, »man weiß ja auch nicht einmal gewiß, ob er's auch ist gewest, der die Kirche hat gerett't. Wenn man alles wollt' glauben, was die Leut' reden, da müßt' man einen Kopf dazu haben, so groß wie ein Ochs.«

»Na, ich will nichts sagen,« spann die Weberin mit beiden Händen. »Aber wenn ich Zeit hätt', da wollt' ich Geschichten erzählen. Wißt ihr noch, wie's bei der Leiermühl war, wie die ist abgebrannt? Die Knechtsfrau war die Alleremsigst', wo beim Löschen gewest ist; der Amtmann selber hat sich gewundert; sie hat mehr getan, wie zwei Männer, hat er gesagt, und ihre ganzen Haar' sind verbrennt gewest, so hat sie sich gewagt, wo kein anderer das Herz gehabt. Und wer hat die Leiermühl angebrennt gehabt? Wer ist's gewest? Die Knechtsfrau selber ist's gewest. Und so, hat der Aktuarius hernachen gesagt, so ist's gewöhnlich, und drum passen die Herrn allemal auf, wer beim Löchen und Machen am eifrigsten ist.«

Da ging den Frauen ein Licht auf, so hell und schauerlich, als der Brand der Leiermühl' selbst.

»Ja,« sagte die Tüncherin leise, »ich wollt' mit dem Finger auf den zeigen, der die Stadt selbmal hat abgebrennt.«

»Und wer den Wolkenbruch hat angestift',« setzte die Beutlerin hinzu.

Die Russensattlerin machte eine Gebärde, die hieß: »Hab' ich das nicht schon vor zehn Jahren gesagt? Aber wer hat mir denn geglaubt?«

Die Heiterethei aber hätte gelacht, wär' nicht ihr Blick eben auf ihren kleinen Holzvorrat gefallen, der in bedenklicher Schnelle seinem Ende entgegenging. Er hatte mit der öffentlichen Meinung von den Tugenden des Holders-Fritz ein Schicksal.

Die Heiterethei war meist in Tagesarbeit von ihrem Häuschen entfernt; aber das störte die sorglichen Frauen nicht. Sie kamen Tag für Tag schon früh in das Häuschen. Die Valtinessin hatte für Stühle gesorgt; ihre Tassen trugen sie bei sich. Jeden Tag hatte eine andere Kaffee und Sahne zu beschaffen. Wenn man die Heiterethei nicht traf, so traf man andere Frauen. Redete man nicht von dem neuesten Überfallversuche des wilden Holder, so redete man von anderen Dingen; und der Fall soll in Luckenbach und anderswo noch zum erstenmal vorkommen, daß auch nur zwei Frauen aus Mangel an Stoff schweigen müssen. Ging eine mit dem schmerzlichen Bedauern, ihre karggemessene Zeit erlaube ihr nicht, länger auf das gute Annedorle zu warten, so kam dafür eine andere, wenn nicht zwei oder mehr.

Das Häuschen unter den Weiden war zu einer Art Hauptwache geworden. Den ganzen Tag kräuselte der Kaffeerauch seine leichten Wölkchen um das Strohdach und den alten Holunderbusch. Wenn die Heiterethei abends vom Felde heim kam, fand sie oft das ganze Stübchen voll. Dann begann ein Erzählen, ein Warnen und ein Raten, ein Befürchten und Beschwören, daß eine andere, als die Heiterethei, mürb geworden wäre.

Die Heiterethei lachte und spottete, und je bedenklicher sie endlich doch selbst wurde, desto mehr. Sie konnte nicht mehr zweifeln, der Holders-Fritz laure ihr auf; ihre eigenen Augen hatten sie davon überzeugt. Sie lachte und spottete jeden Tag lustiger, und jede Nacht verschloß sie vorsichtiger ihr kleines Haus.

»So ist's,« zirpte das Heimchen im Gringel abends hinter dem Ofen hervor – wer nach ihm sah, wurde nichts gewahr, als zwei ungeheure Brillengläser – »wenn einmal ein Mensch einen bösen Gedanken hat gefaßt, hernachen hat er für nix anderes mehr keinen Sinn. Sagen darf er's niemand, und weil er meint, die Leut' sehen's ihm an, so weicht er den Leuten aus. Und so muß er nun erst recht in seine bösen Gedanken hinein kommen, weil er nix anderes hat, womit er sich könnt eine Zerstreuung machen. Wenn so ein Dieb oder ein Mörder erst mit einem rechtschaffenen Gevatter oder so aus der Sach' reden tät', da würd' manches nicht geschehn. Wißt Ihr, was ich tät, wenn ich Ihr war, Meister Sacher?«

»Nu?«

»Ich ging auf der Stell' in die Gericht' und zeigt's an.«

»Ja,« entgegnete der Meister Sacher phlegmatisch, »die? einen hindern, daß er nicht schlecht wird, das fällt denen nicht ein; hernachen, wenn er's ist, kriegen sie ihn noch zeitig genug bei den Ohren. Das liegt an den schlechten Einrichtungen. Der Staat bezahlt die Amtleut', daß sie einen Dieb richten, wenn er gestohlen hat; da muß ihnen daran gelegen sein, daß die Dieb' recht stehlen. Wenn ich die Sach' zu machen hätt', da kragen sie nix, wenn ein Dieb stiehlt; allein aber für jeden Dieb der nicht stiehlt, einen Louisdor.«

»So werd't Ihr doch in die Gericht' gehn, Vetter Mathes?« zirpte das Heimchen wieder. »Es war doch so schrecklich, wenn's passieren sollt, und Ihr hättet's können verhindern und hättet's nun auf Euerm Gewissen!«

»Ich hab mit dem meinigen genug zu tun,« entgegnete der Vetter Mathes trocken.

»Aber, ihr Leut', so wird doch einer von euch in die Gericht' gehn?« zirpte das Heimchen wieder, und man hörte an der Betonung, daß es die Vorderbeine über den Kopf zusammenschlug. »Ihr müßt nur denken, wenn's nicht an die Gericht' wird gebracht, können die nix tun. Die geht eine Sache nix an, und wenn sie ihnen auf der Nasen saß, wenn sie nicht als ein ordentliches Anliegen an sie gebracht wird.«

Als das Heimchen eine Zeitlang geschwiegen hatte, ohne eine Antwort zu erhalten, zirpte es weiter: »Da sitzt die ganze Stuben voll. Karten können sie von ihren Äckern reden und Sachen und Machen, aber in die Gericht' gehn, kann keiner. Das ist doch eine schreckliche Welt.«

Der Morzenschmied nahm die Sache leichter.

»Nun?« fragte er die Schmiedin, die, eben heimgekommen, ihren blauen Mantel von sich tat. »Die Wacht vorbei, Lene? Wer hat denn heut die Schur in der Wachtstuben, der Feldwebel oder der Korporal?«

»Laß du's nur die Valtinessin hören,« entgegnete die Schmiedin, »die würd' dich schon befeldwebeln, und die Gevatterin Weberin würd' dir den Korporal eintränken, wie sich's gehört.«

»Du müßtest einen guten Tambauer geben, Lene, du brauchtet keine Trommelschlägel.«

»Brauchst nicht zu spotten! Wer ist schuld, wenn ich magrer bin, als du? Du ärgerst mich den ganzen Tag.«

»Nu, erzähl nur aus deiner Wachtstuben was!«

»Ja, da vergißt du noch den Gringel darüber. Wenn der der armen Annedorle nur was recht's versetzen tät', du legt'st gleich einen Batzen in den Klingelbeutel, du schadenfroher, nachträgerischer Mann! Du kannst dem Mädle das mit dem Schiebkarren nicht vergessen. Spott du nur, spott du nur! Weil wir das Annedorle beschützen, das ist dein Ärger. Und dir zum Trotz beschützen wir sie erst recht.«

»Ja, euer Feldwebel allein, wenn der auf seine Knie schlägt und seine Zunge vom Leder zieht, da reißt so ein wilder Fritz aus. Aber Spaß beiseit'! Ich denk' schon lange nicht mehr so, wie ich da red'. Du wirst mir immer kaputter, Lene; du dauerst mich, und es wird noch ganz alle mit dir, wenn ich dir nicht helf.«

Die Schmiedin sah ihn verwundert an. Sie hätte ihm gern geglaubt.

»Ja, guck,« sagte der Schmied, »das kommt von deinem guten Gemüt.«

»Wenn ich sein Getu kenn, so ist's doch sein Ernst,« dachte die Schmiedin.

Der Schmied fuhr fort: Guck', Lene; versteh' mich recht. Wenn dir's angst wär', daß der Heiterethei was sollt' gescheh'n, das wär' Neugier, und ich kümmert' mich nicht drum. Aber dich plagt's, daß du's nicht weißt, was da ist, das der Heitherethei könnt' geschehn; guck, das ist christliche Lieb' zu deinem Nächsten, und da will ich dem Fritz einmal aufpassen und sehn, was ich kann 'raus bringen. Heut' ist die Heiterethei im Leinjäten. Bis ich hinkomm' an den Leinweg, da wird's finster. Wenn's wahr ist, daß er ihr aufpaßt, so müßt's wunderlich zugehn, wenn ich nicht mit ihm zu sprechen käm.«

Die Schmiedin war ganz erstaunt und versprach ihm vor Freude, daß er, wie sie sagte, so ihr christlich Herz gesehn, einen Beizbraten und rohe Kartoffelklöße, sein Lieblingsessen, für morgen Mittag.

Der Morzenschmied nickte zärtlich, nahm seine Pfeife vom Nagel und machte, nachdem er draußen in der Werkstatt den Gesellen einen glühenden Hufnagel auf seinen Tabak halten lassen, sich auf den Weg.

»Wenn er's herausbrächt'!« sagte die Schmiedin hinter ihm drein. »Das weiß die übergescheite Gevatter Weberin doch nicht, die alles besser wissen will. Wenn's nur was recht Schrecklich's wär', daß die einmal nix darüber wüßt'! Ich gönn dem Annedorle nicht etwa was Schlimm's, aber für das Schlimmst' kann man sich leichter trösten, wenn's einmal nicht zu ändern steht, wenn man's nur wenigstens weiß. Na, wenn's zu machen ist, der Duckmäuser macht's gewiß. Und er ist doch nicht so greulich, wie man manchmal denkt.«

Die Heiterethei war wirklich noch im Leinfelde ihrer Base, als der Schmied des Weges kam.

Sie richtete sich eben vom Jäten auf und ging zu ihrer Schoppe, die unfern von ihr auf einem Steinhaufen lag, um sie anzuziehen.

»So spät Feierabend, Annedorle?« sagte der Schmied, indem er stehen blieb. »Eure Bas hat da schönen Lein.«

»'s ist eben noch nicht spät,« entgegnete die Heiterethei, die ihre Schoppe über der Brust zuheftete und das Tuch mit dem ausgejäteten Gras an einem Zipfel über die Schulter warf. »Und der Lein könnt' auch größer sein.«

»Na, wenn heint der Holders-Fritz nicht auflauert! So einsam find't er's nicht gleich wieder. Geht Ihr mit den Ulrichssteg, so seid Ihr nicht allein.«

»Kann sein, ich wär' jenen Weg gegangen. Nu geh' ich den andern. Grüß Gott!«

Dabei ging sie singend in einer anderen Richtung fort. Der Schmied hatte schon wieder ein »Das Mordmädle!« auf der Zunge. Aber – »Hm!« dachte er weiter, »kann auch die Furcht sein, was aus dem Mädle singt.«

Und das wär' kein Wunder gewesen. So einsam und still hatte der Schmied die Gegend noch nicht gefunden. Nur eine Lerche sang, als er weiterschritt. Lerchengesang war es eben nicht, was den Schmied von seinen Gedanken abziehen konnte. Der wunderlich schnarrende Ton eines Wachtelkönigs, der sich eben hören ließ, bald hier, bald dort, wie um den Hörer zu vexieren, traf weit eher eine verwandte Seite im Gemüte des Schmiedes an – zumal, da er jetzt von einer Stelle herkam, die ein Rittergut in seinem Gedächtnisse besaß. Dort hatte ja der alte Förster Schweigaus eine Schnei im Ulrichsholze angelegt und der Morzenschmied als Schulknabe mehr denn einmal die gefangenen Krammetsvögel aus den Schlingen geholt und sehr andere Dinge dafür hineinpraktiziert.

Er geht immer duchsiger und schmunzelt; zuweilen meldet sich der Ruck von unsichtbarer Hand; er schmeckt die Possen in Gedanken noch einmal durch und rennt mit der Nase an einen Hagebuttenzweig.

»Gut,« meint er, »daß das Gebüsch so dick ist, sonst wär' ich in den Bach gelaufen. Ob ich vom Weg abgekommen bin? Nein! Das ist die lange schmale Schling', die der Zehntbach macht hart am Weg. Hm! und der Schatten da drin in der Schlinge? So einen Krammetsvogel hat der alt' Schweigaus sein Lebenlang nicht gefangen!«

Immer duchsiger und gleichgültiger geht der Schmied, bis er dahin kommt, wo die Schlinge sich öffnet.

»Nun müßt' er ins Wasser springen,« lachte er leise vor sich hin, »sonst hab' ich ihn.« Er zieht sein Messer, um an einer Hagebutte einen Pfeifenräumer abzuschneiden, und sucht nach einem Zweige, der ihm gelegen hängt. Einige Schritte seitwärts, dann eine schnelle Wendung, und er steht vor dem Fritz. Und der Fritz ist's wirklich, der erst Miene macht, ins Wasser zu springen, aber, als ihn der Schmied bei der Jacke faßt und seinen Namen nennt, grimmig das Entkommen aufgibt.

»Hm,« sagte der Morzenschmied wie verwundert, »bist du's, Fritz? Aber was machst du denn da? Hm, ja, 's hat heint warm gemacht, und du willst ein bißle ins Wasser. Aber du hast doch deine Jacken verkehrt an? Ja, du bist schon im Wasser gewest, und in der Eil' hast du beim Ausziehn die Ärmel mitgenommen gehabt, und das hast du hernachen beim Anziehen nicht gemerkt.«

Der Angeredete brummte etwas, das für ein »Ja, kann sein!« gelten konnte. Der Schmied wußte wohl, niemand kam jenem ungelegener, als eben er, und das war ihm um so lieber.

»Ist's denn wahr, du gehst nicht mehr mit dem Adams-Lieb und seinen Kameraden? Wer hat mir's doch gesagt? Ich hab' gesagt: das ist vernünftig von dem Fritz. Aber die haben ihren Ärger deswegen, und du kannst dich immerfort in acht nehmen. Da am Leinweg ist mir die Heiterethei begegnet, das arme Mädle, der hast du's recht angetan.«

An dem Rauschen der Büsche, in denen er stand, hörte man, der Fritz machte eine rasche Bewegung. Der Name hatte ihn erschreckt. Den hatte er am wenigsten zu hören gemeint. Aber gleich war er wieder ruhig, und der wilde Fritz sagte in einem Tone, der leicht klingen sollte: »Die! Wie kommst du auf die? Was geht mich die an! Angetan! Möcht' auch wissen, wie?«

»Nu,« entgegnete der Schmied lauernd, »die ist ganz in dich verschameriert.«

Der Fritz lachte ganz eigen. Einen andern, als den Schmied hätte dieses Lachen geängstigt. Man hörte, er zwang sich, um keinen Verdacht zu erwecken, von der Heiterethei zu reden, als er lachte: »Die Heiterethei und verschameriert! Du weißt nicht, was du red'st, oder morgen ist der jüngst' Tag. Wer hat dir das aufgebunden? Das hat deine alte Bas einmal wieder ausgeheckt.«

Er schien recht im Zuge, zu fragen. Plötzlich schwieg er. Es war ihm eingefallen: »Der Laurer, der Morzenschmied ist's, der mit dir red't. Zu viel kann eben so leicht Verdacht erwecken, als zu wenig.« Da aber auch das Schweigen zu viel verrät, besonders einem so scharfen Ohr, als dem des Morzenschmiedes, so fügte er noch einige Töne hinzu, die dieser für ein gleichgültiges Lachen nehmen sollte.

Der Morzenschmied sagte leise vor sich hin: »Hm!« Dann fuhr er laut fort, und ihm gelang der gleichgültige Ton besser, als dem Holders-Fritz: »Ja, die Heiterethei und verschamerieren! Ich mein', das Mädle ist ein verkleideter Jung'. Aber – was ich sagen wollt' von dem Adams-Lieb und den andern. Aber ich muß mich setzen; es muß mir ein Schnupfen in die Glieder gefahren sein. Die sprechen, es wär' umgekehrt. Du wärst in die Heiterethei verschameriert.«

Der Schmied wartete das abermalige Rauschen der Büsche ab und das heisere Lachen, das der Fritz ausstieß.

»Das ist die Wut, daß ich nix mehr von denen wissen will,« lachte der, und der Schmied sagte: »Freilich, das ist's, und das mein' ich eben. Sie sagen, du paßtest dem Mädle überall auf, um – deine Sach' anzubringen. Aber sie möcht' nix von dir wissen.«

Eh' der Schmied das sagte, war er erst vorsichtig einige Schritte weiter vom Fritz abgerückt. Ein Buchenstamm stand zwischen ihnen. Der Schmied war wohl auf seiner Hut.

Das Rauschen des Busches verriet dieses Mal auch eine heftigere Bewegung des Holders-Fritz, und sein Lachen klang immer gezwungener und wilder.

»Aufpassen!« lachte er; »möcht' wissen, wo! Weiden hau'n geh' ich! da siehst du die Barte.« – Er schwang das kleine Beil nahe vor den Augen des Schmiedes.

Der wich etwas zurück. Dann sagte er: »Darin sollen sie auch recht haben; nicht mit der Verschamerierung und dem Sachanbringen, mit dem – Aufpassen mein' ich«. – Er hielt einen Augenblick inne und sah vorsichtig hin nach dem Fritz. Das tat er öfter, während er fortfuhr: »Da ist in der Stadt kein Mensch, der dich nicht hinter einer Hecken oder sonst wo hätt' lauern gesehn, und allemal, wo die Heiterethei vorbei hat gemußt. Und guck', mir mußt du nix weiß wollen machen; was tust du denn jetzt da im Busch, wo die Heiterethei vorbei wär' gekommen, hätt' sie dir nicht den Possen getan und wär' den Weg bei der Herrenmühl' gegangen? Ja, du willst's nicht sagen. Aber du mußt nicht denken, daß die Leut' keine Augen haben. Und die haben, mehr denn zuviel.«

Er rückte dem Fritz vertraulich etwas näher und sagte leiser als vorhin: »Aber es verdrießt einen, wenn ein Kerl, wie du, einem Mädle nachläuft, das vor allen Leuten seinen Hohn mit dir gehabt hat. Die Geschicht' vom Gründer Markttag her weiß die ganz' Stadt, und wie die Heiterethei von dir red't.«

»Ho, ho!« sagte der Fritz verbissen, »vielleicht red't sie bald anders. Die Leut' wissen, was die gesagt hat, aber nicht, was ich gesagt hab.«

»Ja, und sie meinen,« fuhr der Schmied fort, »aus lauter Respekt vor der Heiterethei wär's, daß du nicht mehr zum Bier gingst und ein ordentlicher Kerl wärst geworden, und einmal könnt's bei dir heißen, wie beim – Läpplesschneider: Respekt muß sein im Haus.«

Dasmal rauschten die Büsche um den wilden Fritz, als hätt' er sie mit den Händen gepackt, um sie auszureißen.

»Guck«,« fuhr der Schmied fort, »mir kannst du's sagen – du weißt, ich kann die Heiterethei auch nicht leiden, drum . . .«

Der Fritz hatte schon reden wollen. Aber die Absicht des Schmiedes, ihn auszuholen, mochte ihm trotz seiner Aufgeregtheit nicht entgangen sein. Nach kurzem Besinnen sagte er mit gepreßter Stimme: »Kann sein, daß ich ihr auflaur', kann sein. Man will manchmal einen guten Abend sagen; das bind't man den Leuten nicht auf die Nasen. Aber ich wollt' immer zu dir; von wegen dem Beil, was ich bei dir hab' bestellt.«

»Ja, das,« fragte der Schmied, »wo unter die Jacken sollt' zu verstecken geh'n, wenn du ins Reifhauen gingst, daß die Leut' . . .«

»Ist's fertig?« fragte der Fritz dagegen, ihn heftig unterbrechend.

»Hm!« sagte der Schmied erschrocken: »aber du wirst doch nicht – du hast doch nicht etwa . . .«

»Nix werd' ich und nix hab' ich,« lachte der Fritz, der sich besonnen; aber dieses Lachen hatte einen eigenen Klang. »Ich brauch' eben ein Beil. Warum sollt' ich nicht ein Beil brauchen wie andere Büttner auch? Was ich gesprochen hab' da am Gründer Markt, das war Spaß. Und daß ich ihr gedroht hätt' und wär' wütend auf sie gewesen, das war auch nur Spaß. Und wenn einem einer sagt: du paßt dem Mädle auf, daß du deine Sach' anbringst, da wird keiner sagen: Ja. Und 's kann sein, 's kann schon sein, daß es einmal heißt wie bei dem Läpplesschneider: Respekt muß im Hause sein.«

Aus seinem Lachen klang schlecht verhehlte Wut.

Der Schmied wollte ihn zurückhalten; das war vergeblich. Noch lange hörte er das schauerliche Lachen, als der Fritz schon an ihm vorbeigerannt war. – –

»So duchsig,« dachte die Schmiedin, als sie den Schmied zur Tür hereintreten sah, »ist er noch nicht heimgekommen. Sonst duchst' er wohl auch, aber aus Duckmäuserei; aber dasmal ist er doch ganz wie verblaßt. Und so zitternd an den Kleidern herumgegriffen, wenn er sie an die Alkovenwand hat gehängt, hat er noch nicht, so lang ich ihn hab. Und das Schlucksen hat er auch noch nie so sehr gehabt. Ich seh schon, er will nicht reden; aber ich will ihn schon dazu bringen.«

Aber auf alle ihre Fragen hatte er keine Antwort oder nur die: »'s ist nix, und ich will ins Bett. Muß morgen vor Tag wieder auf.«

Seine Gebärden sprachen freilich beredter; aber der Schmiedin war es um ein spezielleres Eingehen zu tun, als worauf Hände, Augen und Schultern sich einlassen konnten.

Er duchste schon der Kammertür zu. Die Schmiedin bemerkte einen Flecken an seinem rechten Hemdärmel und hielt ihn daran fest. »Daß du immer die feinen Hemder zur Ärbet anziehst! Hast du denn den Fritz getroffen? Nu wart' doch nur! Ein Brandfleck ist's doch wohl nicht? Aber warum red'st du nur nicht? Es muß vom Gänspfeffer sein. So wirst du doch zeitig genug ins Bett kommen, du Schlafratze! Herauszureiben geht's nicht. Aber, Morzenschmied, so wirst du doch nur ein Wörtle können sagen? Und es ist doch ein Brandfleck, du ruinieriger Mann. Aber, Morzenschmied, so sag nur wenigstens, willst du die Klöß' morgen mit Graslaub oder nicht? Es hat just wieder so zarte Schüßle. Das ist doch sonst dein Leibessen gewest.«

Die Schmiedin sah, ihr letztes Mittel half.

Der Schmied setzte sich mit allen Anzeichen innerer Erschöpfung. Die Schmiedin rückte ihm so nah als möglich, wie aus Befürchtung, die Worte möchten auf der weiteren Reise sich zu lang aufhalten oder gar verirren.

Endlich sagte der Schmied: »Ich muß dir sagen, Lene, ich wollt', ich wär' derheim geblieben. Es ist doch ein grausig Beisammensein mit so einem Menschen.«

»Wo hast'n denn angetroffen?« fragte die Schmiedin.

»Dort, wo der Zehntbach die Schleifen macht im Busch.«

»Im Busch?« schauderte die Schmiedin. »Mitten drin im Busch?«

»Mitten drin.«

Die Schmiedin wäre gern wieder heraus gewesen, aber der Morzenschmied blieb länger als eine Minute darin. Denn so viel Zeit verging, eh' er in seiner Erzählung weiter fortfuhr.

Die Schmiedin konnte sich unterdes im Geist in die Wachtstube versetzen! Da sah sie sich stehen, die anderen Weiber um sie herum, atemlos an ihrem Munde hangend. Der Feldwebel hat schon die Hände gehoben, um damit auf die Knie zu schlagen, wenn die Schmiedin fertig wäre. Der Korporal ist gelb vor Neid, daß er nichts Stärkeres bringen kann. Und die Schmiedin – aber sie weiß ja selber noch nicht, was sie dort sagt.

»Ja, guck',« sagte der Schmied, und die Schmiedin saß wieder horchend vor ihm. »Das hätt' ich mir doch nicht vom Fritz eingebild't.«

»Aber was denn?«

»Daß er das tun wird.«

»Was tun wird?«

»Das! – Ja, guck', der tut dir's gewiß und wahrhaftig noch.« Dabei schlug er die Hände zusammen, was die Schmiedin unwillkürlich nachtat. Das sieht sie all die Weiber in der Wachtstube tun. Die arme Frau ist hier horchend und dort erzählend zugegen. Die Ungeduld, hier endlich das Was zu hören, worüber sie dort die Weiber schon erschrecken sieht, denen sie es selber erzählt hat, wird zur Pein.

»Der verdammte Schlucken!« fährt endlich der Schmied fort. »Ja, guck', er lauert wirklich der Heiterethei auf, und dazu braucht er ein Beil, hat er gesagt, das er unter der Jacken kann verstecken. Er hat das nicht so deutlich gesagt, wie ich's dir da erzähl', aber es ist gewiß und wahrhaftig: er ist wütend auf die Heiterethei. Ich dacht' erst, die Sach wär' anders und hab' meinen Spaß wollen haben. Aber – na, vor so einem Spaß bedank ich mich. Er hat gesagt, die Heiterethei soll bald aufhören, von ihm zu reden.«

Die Schmiedin schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen. Sie empfand zugleich, wie schrecklich das sei, und auch, wie sie sich ausnehmen wird dabei, wenn sie's den entsetzten Weibern erzählt.

»Aber daß du mir nicht –« sagte der Schmied aufstehend.

Die Schmiedin suchte währenddes im Eßschrank unter den Kaffeetrichtern und Tassen. »Ist der Fencheltee schon wieder alle?«

In der Kammertür wandte sich der Schmied noch einmal halb um. »Daß du mir niemand davon sagst. Wenn was geschäh' und die Leut' könnten sagen, wir hätten's vorher gewußt . . .«

»Tee muß da sein für das Gottlieble. Das wär eine schöne Geschicht' auf die Nacht! Und man hat keinen Menschen, wenn man sie braucht. Die Mäd hat sich in den Finger geschnitten, und die Gesellen kann man nicht von der Ruh abhalten jetzt in der teuern Zeit. Was hilft's, ich muß schon selber in die Apotheken.«

»So kämen wir ins Teufels Küchen, hörst du?«

»Sag' mir nur nix,« entgegnete die Schmiedin fast erzürnt. »Ich dächt', du kenntest mich doch.«

Der Schmied verschwand mit einem bedeutsamen Nicken in der Kammertür. Die Schmiedin setzte ihr Zifferblatt auf den Kopf und nahm ihr blaues Gehäuse um die Schultern. Schon an der Stubentür, blieb sie noch einmal stehen. »So glaub ich doch gar, der lacht da draußen noch? Er ist so schlimm, wie der Fritz selber. Die Mannsleut' sind lauter geborne Mörder. Er wird doch dem Gottlieble in der Wiegen nichts tun? Das Lachen ist auf der Gass' gewest. Er schnarcht ja schon. Und der Fritz wird mir doch nicht begegnen? Wie finster das ist! Was hilft's? Tee muß man im Hause haben,« sagte sie draußen noch.


 << zurück weiter >>