Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

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Die gute Natur des Holders-Fritz hatte unterdes seine Krankheit überwunden. Er durfte wieder an die freie Luft. »Ja,« sagte er, als er auf einem Stuhle in seinem Stadelgarten saß, »es ist doch kurios, wie alles will gelernt sein, auch das Kranksein, und hernachen auch das Wiedergesundsein. Ja, wenn man läuft und red't und hantiert, da denkt man gar nicht, daß man jedes Wörtle und jede Bewegung erst hat einzeln auswendig müssen lernen, wo man jetzt gar nicht mehr dran denkt, daß man sie will machen, als wenn's halt von selber geschäh'. Und wenn ich wieder gesund bin, hernachen werd' ich's auch nicht begreifen, daß ich erst ins Gesundsein gar nicht recht hab hinein können kommen, und daß ich's erst wieder hab müssen lernen. Es heißt, wer gesund wär', der tät' nicht wissen, daß er einen Magen hat. Da möcht ich meinen, er müßt' auch nicht wissen, daß eine Sonn' ist und ein Himmel und Gras und Bäum'. Jetzund spür ich das alles, wie ein Kranker seinen Magen. Die Bäum' drücken mich, der Himmel ist, als wenn er sich auf mich legen wollt' oder schon läg' mit seiner schrecklichen Blauheit, und das grüne Gras, das benimmt mir ordentlich den Odem, so grün ist's. Das Lüftle vom Kreuzberg her, da ist's, als müßt ich mich dagegen stemmen, und die Hummel da macht mich bis in den Magen hinein konfus. Das ist verwünscht; jedes Steinle, wo da liegt, und jedes Mückle, das sich seine Flügel putzt, und jeden Grashalm spür ich einzeln. Da sieht man erst recht, was das für dumm Zeug mit dem Wildtun ist gewest. Gegen das da helfen die Fäust' nix, da kann man sich nur mit den Gedanken erwehren. Und wenn einer kein Glied kann regen, so kann er doch ein Mann sein und ein rechter dazu. Den Mann macht's, daß einer denkt und bleibt ganz ruhig fest auf dem, was er einmal hat gesagt.«

Jetzt sah er seine Großmutter vor sich stehen. Sie weinte.

»Was weint Ihr denn, Fräle?« fragte der Fritz.

Die Alte schluchzte: »Ach du lieber Gott, du arm Fritzle! daß du nu wieder dasitz'st und bist gesund, das dauert mich so.«

Es ist eigen, oft fühlen wir das Mitleid erst recht, wenn der Grund dazu schon hinter uns liegt. Das glückliche Lächeln, mit dem ein Armer die geschenkte Suppe ißt, rührt uns viel tiefer, als vorher der Hunger auf seinem Gesichte. Vielleicht, weil wir nun erst an dem Glücke der Befriedigung den Schmerz des vorhergegangenen Entbehrens ermessen. Oder weil uns das gegenwärtige Leiden zu sehr erschreckt, als daß wir den Mut hätten, seiner Mitempfindung uns hinzugeben.

»Ihr seid ein dumm's Fräle,« sagte der Fritz. – »Habt Ihr das nu fertig gemacht, da mit der – Ihr wißt schon was?«

»Mach' nur erst, daß du wieder stark bist und deinen Besuch kannst abstatten.«

»Weiter fehlt nix?« fragte der Fritz. »Und sie wissen, daß ich auf die Ev' gepaßt hab', ob ich sie allein könnt' sprechen?«

»Freilich, Fritzle, freilich,« entgegnete die Alte. »Es ist aber doch närrisch mit den Menschen. Guck', sag' mir einmal, Fritzle, hast du dich einmal recht gewundert, daß bei dir aufgeräumt ist gewest in der Werkstatt?«

»Ihr meint, in der alten Zeit?« So nannte der Fritz die Zeit vor seiner Änderung.

»Ja,« entgegnete die Großmutter.

Dem Fritz fiel's ein. »Ihr habt einmal heimlich das Zeug 'reingeräumt, weil Ihr gemeint habt, ich werd' wild, wenn ich's weiß. Damals bin ich auch wild gewest; ich hab' nix können finden.

»Ja,« meinte die Alte, »glaub's wohl; weil du unter den Spänen und in allen Ecken hast deine Sach' aufgehoben gehabt. Wenn du dein Beil nicht erst eine halbe Stund' hast vergebens müssen suchen, da hast du gemeint, es schneid't nicht.«

»Ja,« sagte der Fritz. »Es ist den Morgen nach dem letzten Gründer Markttag gewest, wo ich – Ihr wißt schon, was; ich denk nicht gern an die alt Zeit. Im Anfang bin ich wild gewest, daß ich die Sachen dort hab' müssen suchen, wo sie haben hingehört. Auch die Stadeltür ist angelehnt gewest.«

»Und rat einmal, wer das hat gemacht gehabt, Fritzle! Aber ich bin's nicht gewest.«

Der Fritz besann sich und sagte dann zornig vor sich hin: »Muß mir denn allemal zuerst die einfallen? Und wenn's was Unmöglich's wär', die fiel' mir dabei ein, als hätt' sie's gemacht. Und das ist auch unmöglich, daß sie das soll gewesen sein.«

»Nu, ich will dir's sagen, Fritzle, die Heiterethei ist's gewest.«

»Also doch?« Dem Fritz stieg Dunkelröte in die bleichen Wangen. Er merkte es und fuhr aus Scham vor der Großmutter zornig auf: »Von der Valtinessin-Ev' habt Ihr wollen sprechen.«

So sagte er, und doch hätt' er gern gewußt, war's wahr, was die Alte gesprochen? Aber hatte er nicht in seiner verbundenen Hand einen unwiderleglichen Gewährsmann für das Gegenteil? Über seine Schwäche zornig, fuhr er fort: »Wenn's nicht richtig ist, bis ich wieder kann ausgehn, zieh ich nach Amerika.«

Die Alte erschrak. Sie fing an zu glauben, sie werde ihren Plan nicht durchsetzen. Damit es nicht auffiele, wenn sie plötzlich von der Heiterethei abbräche, und weil sie meinte, sie müsse nun noch das Mögliche versuchen, den Fritz von seiner Meinung abzubringen, die Heiterethei verschmähte ihn, plauderte sie unabsichtlich weiter:

»Aber was red'st du immer noch, Fritzle? Die Sachen ist abgemacht. Es ist alles fertig. Die Valtinessin hat auf die Knie geschlagen und hat gesprochen: Hier sitz' ich und sag': so ein Paar wie mein Mordmädle und der Frau Holderin ihr Tichterle, die hat der Himmel selber zusammengefügt. Er soll nur kommen, der Meister Holder. Sie ist eben guter Laune gewest über der Heiterethei Häusle, wo der Regen beinah hat eingeworfen. Die Weiber haben der Heiterethei so lang Angst gemacht – nu kann ich dir's schon sagen, Fritzle –, du tätst ihr mit dem Beil auflauern und wollt'st ihr, wer weiß was tun, bis die Heiterethei ist desperat geworden, und du weißt schon, was hernachen ist passiert. Und wie die Heiterethei gemerkt hat, es ist nicht wahr, was ihr die Weiber haben gesagt, da ist sie noch einmal desperat worden und hat die Weiber aus ihrem Häusle gejagt, die sie haben dazu verleitet gehabt. Nu gönnen die ihr das mit dem Häusle.«

Es war ein Wagnis von der Großmutter, jetzt schon vor dem Fritz der Heiterethei Tat an ihm zu erwähnen und so ihn merken zu lassen, man wisse trotz seiner Bemühungen, ihn zu verschleiern, den wirklichen Verhalt der Sache. Das wußte die Alte recht gut. Und doch konnte sie auf andere Weise ihm nicht beibringen, daß die Heiterethei, von der er sich aus Haß angegriffen meinte, nur Notwehr habe üben wollen. Sie hatte damit zu warten gedacht, bis er ruhiger geworden, sich freuen müßte, daß ihre Versicherung, sie unterhandle mit der Valtinessin, ein bloßes Vorgeben gewesen. Aber sein jetzt noch ebenso heftiges Dringen auf das Fertigmachen der Heirat und seine Drohungen erlaubten den Aufschub der Mitteilung nicht länger.

Es braucht daher keiner Erwähnung, mit welcher Spannung der Großmutter Augen am Gesichte ihres Enkels hafteten, während sie, nur wie beiläufig, des nötigen und doch bedenklichen Punktes erwähnte; wie sie mit erblaßte, als sie ihn noch bleicher werden und an den Lippen nagen sah. Sie mußte nun die Voraussetzung, auf die ihr Plan gegründet war, und damit alles Gelingen desselben aufgeben. Auch keine Spur von Freude, daß er sich in der Heiterethei geirrt, zeigte sich in des Enkels Gesicht.

Sie wußte nicht, daß der Zorn, den sie darin aufsteigen sah, eben von dem Gedanken kam, welche Freude die Gewißheit, er habe sich in der Heiterethei geirrt, hätte bringen müssen, käm sie nicht zu spät. Es war Zorn auf sich selber, daß er den unglücklichen Einfall gehabt habe mit der Ev', den er nun festhalten mußte, mit so großer Beschämung er auch einsah, er sei zugleich ein alberner gewesen. Das Glück mochte er sich nicht ausmalen, da er es auf Nimmerwiederkehr von sich gewiesen. Die Leute wußten nun doch, daß die Heiterethei ihn in den Graben geworfen, sie wußten sogar, warum sie es getan. Er meinte, sie müßten über sein schulknabenhaftes Vorgeben, er habe an dem Häuschen und auf den Wegen der Heiterethei der Ev' aufgepaßt, ebenso verächtlich denken, als ihn selber Trotz und Scham zwang, zu tun. Aber er mußte es festhalten; und da er dies als einen Zwang empfand, den nicht er selbst, sondern den die Leute ihm antäten, fuhr er im Zorn darüber auf: »Mit euern Leuten! Was wissen die? Die sagen, ich hätt' der Heiterethei aufgelauert, damit sie ihren Ärger und ihren Hohn recht könnten auslassen!«

»Na,« suchte die Alte ihn zu begütigen, »du denkst, Fritzle, sie haben dir's verdacht, wie sie haben gemeint, du bist dem Annedorle zu Gefallen gegangen? Aber guck, Fritzle, so ist's nicht gewest. Darum haben sie dich gelobt. Aber daß du's so wunderlich hast angefangen, das, haben sie gemeint, wär' nicht das Richtig' gewest. Wer die Leut' wollt' blind machen, der tät' ihnen erst die Augen auf. Und wenn einer was wollt' verstecken, so meinen sie, es müßt' auch danach sein, daß man's müßt verstecken; und was Gut's versteckt man nicht. Daß du dir so viel aus den Leuten hätt'st gemacht, und wärst so heimlich gegangen, und hätt'st die Heiterethei selber mit desperat gemacht, und hernachen wieder der Leut' wegen gesagt, du wärst der Gringelwirts-Ev' zulieb gangen, das wär nicht das Gescheit'st gewest. Auf die Leut' dürft man nix geben, haben sie gemeint.«

Die Sorge der Großmutter wandte sich auf seinen augenblicklichen Zustand. Sie war bekümmert und unwillig auf sich, daß sie diesen veranlaßt. War ihr doch vom Bader auf die Seele gebunden worden, alle Ursache zu Zorn und Ärger von ihm fernzuhalten. Sie ging, ihm einen niederschlagenden Trunk zu besorgen.

Dem Fritz aber war es lieb, daß die Großmutter ging. Es wurde ihm schwer, im Zorn zu bleiben; und ein traurig Gesicht ihr zu zeigen, oder Gedanken an die Heiterethei darin lesen zu lassen, das litt sein Trotz nicht. »Es wär' verkehrt gewest, daß ich zuviel auf die Leut' hätt' gegeben?« sagte er zu sich, indem sie ging. »Und wer hat das gemeint? Die Leut'? Wer sind denn nu eigentlich die Leut'? Die da sagen, man soll nix auf die Leut' geben, das sind ja selber wieder die Leut'. Himmelelement! Wer da nicht konfus soll werden! Und das ist verwünscht, daß sie wieder recht haben. So wär' doch wirklich ein Narr, der auf die Leut' was gäb'. Und der ihnen was zum Trotz will tun, noch mehr, als wer ihnen will zu Gefallen leben. Im Fieber, da hab ich immer mein link Bein für einen Hund angesehn, der mich hat angebellt, und wenn ich nach ihm hab wollen treten, da hab ich mich selber getreten. Die Leut' sind nix, wie so ein verwünschter Fieberhund. Du hast gemeint, die Leut' bellen dich an und hast sie wollen treten und hast dein Glück zertreten. Und da hast du gemeint, du bist ein anderer Kerl worden und ein rechter Denker, und – halt nur still, Bursch, du sollst mir nix mehr vormachen, das sag ich dir! Ist das alles, was du seither hast gemacht, was anders gewest, als dein alt Wild- und Dummtun, wo du hast gemeint, du bist drüber hinaus? Und hast nicht wieder gemeint, das ist was Apart's, wo du bist auslachenswert gewest, und wo du was Gescheit's hast wollen tun, da hast du dich geschämt? O Himmelelement! Und wenn ich's noch wenigstens könnt' verlaufen oder ausarbeiten; aber so muß ich sitzen bleiben bei meiner Dummheit, wie das Kind bei dem, was es hat gemacht.«

»Ja, wenn's wär', was ich mir da denk'! Aber es könnt' auch wieder so ein Fieberhund von Denkerei sein, wie das die Zeit her ist gewest. Das Fräle hat keinmal recht damit heraus gewollt, ob sie die Sach' mit der Ev' hat fertig gemacht, und hat immer von dem Annedorle gered't, daß es sollt herauskommen, als wär's zufällig gewest. Ja, so ein alt Fräle hat auch noch ihre Äst'. Das war' gar nicht unmöglich, daß das Fräle nur so hätt' gesagt und wär' noch gar nicht bei der Valtinessin gewest. Weiß ich nicht, was ich tat' vor Pläsier, wenn's so wär'. Aber sagen könnt' ich dem Fräle nicht, wie lieb mir's wär'. Wenn doch am End schon alles fertig wär', und eher freit' ich den Teufel, als daß ich könnt' sagen, wie ein klein Kind: Vorhin ist mir sell nicht recht gewest, jetzund ist mir wieder das nicht recht. Das Wildtun, das soll mir nicht noch einmal kommen, es mög sich stellen, wie's will; den Fieberhund kenn ich nu schon. Aber die Mannesehr', die freilich muß ein rechter Kerl aufrecht erhalten. Was einer einmal hat gesagt, dabei muß er bleiben, und sollt ihm darüber das Herz entzwei gehn im Leib. Und so was wird hernachen auch werden. Wenn ich das Annedorle hätt', ich wär' morgen wieder gesund. Sie hat gemeint, ich will ihr was tun; das dauert mich. Und muß nun denken, sie hat mich um nix in den Bach gerennt. Wenn ich nur sollt' wissen, was sie dächt', wenn die Leut' sagen, ich hab' sie gewollt! Ob sie's recht reuen tät? So recht sehr? Ob sie wohl könnt weinen darüber? Wenn mir doch nur das Fräle hätt' was weisgemacht! Ich weiß nicht, was ich könnt tun darum. Da kommt der Schnödler. Wenn ich den könnt ausholen! Aber der ist auch pfiffig genug. Es wär' verwünscht, wenn ich die Ev' nu müßt' nehmen; ich könnt' nicht wieder recht gesund werden danach; das weiß ich. Und ich möcht's auch nicht.«

Der Meister Schnödler merkte, trotzdem, daß er den Tag noch keinen Tropfen getrunken, was der Fritz wissen wollte.

Es lag im Vorteil der Valtinessin-Ev', wenn er so antwortete, wie das Fräle von ihm verlangt hatte. Er stellte also die Sache mit der Ev' als ganz fertig dar und zugleich als völlig stadtbekannt. Die Leute hätten die Heirat längst vorausgesehen; deshalb finde die Rede einiger Wenigen, die sich ein weises Ansehen zu geben suchten, wenn sie behaupteten, des Fritz Werbung habe eigentlich der Heiterethei gegolten, nicht nur keinen Anklang, man mache sich auch noch über die weisen Leute lustig. Ein so wunderliches, grundloses Hin und Her mit seinen Absichten und Entschlüssen traue man einem solchen Manne, wie der Holders-Fritz ist, nicht zu.

Den Fritz hatte endlich weniger der noch nicht wieder gewohnte Aufenthalt im Freien, als die Bewegung seines Gemütes in Zorn, Freude und Schmerz angegriffen. Er ließ sich wieder zu seinem Lager führen.

Der Bader benutzte auch diesen Umstand. Er suchte die Alte auf und brachte sie durch wohlangebrachte Beruhigungsreden bald in die größte Angst.

Der Fritz, sagte er ihr beiläufig, scheine zu glauben, daß sie ihn zum besten habe mit vorgespiegelter Erfüllung seines Wunsches. Das habe er, der Bader, gemerkt. Er wolle nicht meinen, daß die bedenkliche Wendung, die der Zustand des Genesenden wieder zu nehmen drohe, von dem Zorn und dem Schmerz, getäuscht zu sein, herrühre. Sie solle, da ein gefährlicher Rückfall in Aussicht sei, ein Gespräch darüber mit ihm vermeiden.

»Was der verwünschte Kerl sagt, daß er übermorgen nach Amerika will, da wollen wir ihn schon kriegen. Was? der braucht auch noch die Seekrankheit dazu. Der kann so sterben. Er braucht kein Schiff; wenn's gerät, braucht er nicht einmal seine Beine und wandert noch wo ganz anders hin, als bloß nach Amerika. Aber wer weiß, geht er zu Schiff, kuriert ihn vielleicht die Seeluft. Das ist ein ganz anderer Kerl als so ein Landwindle. Ich soll sehn, ob's wahr ist, das mit der Valtinessin, daß das fertig wär'. Und ist's nicht, soll ich's machen. Nur nicht ängstlich, Frau Holderin; auf der See gestorben, das ist noch lang kein Schieferdecker, der den Hals hat gebrochen.«

»Ja, Meister Schnödler,« begann die Alte. Aber der Meister konnte sich wohl denken, die Großmutter werde ihn nur bereden wollen, mit der Ausführung seines erdichteten Auftrages noch zu zögern. Einen scheinbaren Vorwand dafür zu finden, traute er der Klugheit der Alten zu. Dann, erkannte er voraus, werde er es entweder mit ihr verderben, oder den Vorteil, den des Enkels Angegriffenheit ihm in die Hände gab, ungenutzt fallen lassen müssen. Da beide Aussichten ihm nicht behagten, tat er entsetzlich eilig, sprach von der Heiligkeit, den der Auftrag eines vielleicht Sterbenden habe, und rannte davon, ehe er sie hatte zu Wort kommen lassen.

Da stand nun das gute Holders-Fräle und wußte ihres Leibes keinen Rat. Der Bader ging wahrscheinlich geraden Weges nach dem Gringel. Seine Rede von der Heiligkeit des Auftrages eines vielleicht Sterbenden hatte sie vollends niedergeschlagen. Sie hatte das Vertrauen eines solchen betrogen, der noch obendrein ihr ganzes Leben war, und hatte damit nichts erreicht, was die Täuschung rechtfertigen oder auch nur entschuldigen konnte. Hatte der Bader aus einem Grunde, der nahe genug lag, den Zustand ihres Fritzle ihr bedenklicher vorgestellt, als er wirklich war – wir wollen es der Alten nicht verdenken, daß sie sich nicht ganz vergaß –, so lief sie Gefahr, ihre Stellung zu dessen künftigem Haushalte selbst zu untergraben. Und so schwere Dinge dies waren, das Mißfallen an der Unschicklichkeit einer Werbung durch den betrunkenen Bader hatte Gewicht genug, sich neben ihnen geltend zu machen.

Jene Möglichkeit, der Bader habe sie bloß schrecken wollen, wuchs zu einem Hoffnungskeim in ihrem betrübten Herzen, den aber der Anblick des Fritz, als sie ihn bleich und matt wieder auf seinem Bette liegen sah, sogleich wieder erstickte. Im Eintreten hörte sie ihn noch mit schwacher Stimme von einem Fieberhunde reden.

»Ach Gott,« dachte sie, »der Bader hat doch recht gehabt: das Fritzle faselt schon wieder. Wenn er wirklich sollt sterben, ich könnt's nicht verwinden, daß ich ihm die letzte Lieb' nicht hätt' getan mit der Valtinessin-Ev'. Und ich wär' noch obendrein damit schuld an seinem Tod.«

»Da, Fritzle,« sagte sie, indem sie mit zitternder Hand den Cremortartaritrank neben ihn stellte.

Im Fritz war die Hoffnung, seine Großmutter habe ihn zu seinem Besten getäuscht, noch nicht ganz erstorben. »Der Schnödler,« meinte er, »kann von dem Fräle angestellt sein.« Zwar schienen die einzelnen Reden des Baders nicht mit dem Plane zu stimmen, den er bei der Großmutter voraussetzte; aber im ganzen ließen sie sich nach seinem Wunsche auslegen. Er nahm sie so, obgleich er wußte, wenn er sich ernstlich fragte, müßte er sich antworten: »ich glaub es freilich doch nur, weil ich möcht, es wär so.«

»Fräle,« sagte er, »Ihr habt's nicht fertig gemacht, Ihr wißt schon was. Ihr seid, wie der Fieberhund . . .«

Die Alte schlug in Gedanken die Hände über den Kopf zusammen. »Aber Fritzle . . .«

»Die Leut', mein ich. Ihr seid, wie die Leut'. Ihr wollt's nicht haben. Ihr wollt mir mit Gewalt eine andere aufdringen.«

Der zornige Ton, mit dem er das sprach, klang so von Schwäche angewelkt, daß er die Alte mehr erschütterte, als der Inhalt seiner Rede selbst. Sie hörte im Geist die Sterbeglocke dazu läuten.

»Aber Fritzle, wie kannst du das denken?« sagte sie weinend. Sie sah schon den Meister Schramm im schwarzen Mantel an der Tür stehen, und es schien ihr nun selber, als habe sie das tun wollen, was er ihr vorwarf. Sie nahm sich vor, sobald es möglich, noch nachträglich wahr zu machen, was sie ihm bisher vorgespiegelt.

»Es ist ja fertig, und guck' Fritzle, was noch dran fehlen sollt, das ist ja mit einem Wörtle gemacht. Ich will auch zum Superdent. Sei nur nicht zornig, sonst wird's schlimmer mit dir.«

Der Fritz sah sie ihren Mantel nehmen und begann nun mit Recht zu fürchten, er zwinge sie vielleicht erst, das zu tun, wovon er so sehnlich wünschte, es sei noch ungetan. Gleichwohl wollte er sich nicht bloßgeben.

»Wenn's noch nicht ist,« fuhr er daher fort, »so läßt's bleiben, Fräle. Hört Ihr?«

Sie traute ihren alten Ohren nicht; sie wandte sich und nahm die Augen zu Hilfe.

Ihr scharfer Blick zeigte ihm, er sei im Begriff, sich zu verraten. Er meinte, ihr müsse es ebenso verächtlich erscheinen, wenn sie sehe, er sei mit seinem Zorn und seiner Reue ein kleines Kind, als ihm selber das, durch die Augen beschämten Trotzes angesehen, vorkam.

»Ich kann's schon selber. Ihr meint, ich bin ein klein Kind, dem man weismacht, was man will. Ihr sollt meinetwegen nix tun, was Ihr nicht gern mögt.«

Diese Milde traf das Fräle in das Herz hinein.

»Hört Ihr, Fräle? Und wenn ich's nicht selber kann, ich find schon einen.«

»Den Bader,« dachte die Alte mit einer Art eifersüchtigen Schmerzes. »Vielleicht komm ich doch noch eher, als der; es sind wer weiß, wie viel Schenken an dem Weg bis zum Gringel.«

»Von Euch will ich's nu nicht. Ihr sollt's nu nicht. Hört Ihr? sonst verdrießt mich's noch mehr.«

»Was du red'st, Fritzle! Ja, wenn's nicht wirklich schon fertig wär! Aber es ist ja schon. Und du wirst noch ganz krank von dem unnützen Reden. Wenn du lieber könnt'st ein bißle schlafen!«

Sie setzte sich auf einen Stuhl und schien sich in ihr Gestrick zu vertiefen. Sie wollte sein Einschlafen abwarten.

Die letzten Reden der Großmutter hatten den Fritz fast wieder irr gemacht. Er sah ein, daß er in der Weise, wie er begonnen, nicht hinter den wirklichen Verhalt der Sache kommen könnte. Nach einem harten Kampfe seiner Sehnsucht mit seiner trotzigen Scham wurde ihm deutlich, daß auch diese Scham nichts weiter sei, als sein altes Wild- und Dummtun, als nur wieder ein Fieberhund, indem er in dem Gemüte der Großmutter seine eigenen Grillen fürchte. Er triumphierte wiederum mit seinem Denkerstolz, um seinem Gedankenergebnis die nötige Wucht zum Todesstoß auf die widerstrebenden Gefühle zu geben. Wäre er geübter im Denken gewesen, so mußte er freilich inne werden, daß dieses selbst weder in seinem Ausgangspunkte, noch in seiner Richtung den Einfluß der Gefühle gänzlich verleugnen kann.

Da er merkte, wenn es ihm gelingen sollte, Trotz und Scham zu überwältigen, dürfe er sein Gesicht den klugen Augen der Großmutter nicht aussetzen, so wandte er sich nach der anderen Seite.

»Fräle, ich will Euch was sagen, aber – ja, wenn ich wüßt' – na, seid nicht etwa dumm –«

Er fühlte die Scham schon auf seinen Backen brennen, daß die Großmutter ihm nicht gleich erleichternd in die Rede fiel. Da dies aber nicht geschah, so fiel ihm ein, die Alte könnte, von ihm in seinen Gedanken unbemerkt, leise aus der Tür gegangen sein. Er kehrte sich, so rasch als ihm möglich war, wieder um. Die Alte war fort. Auch der Mantel hing nicht mehr an seiner Stelle. Erschrocken setzt der Fritz sich im Bette auf. »Nun ist sie erst zur Valtinessin gegangen!« fiel ihm ein. »Nun ist's aus mit dem Annedorle!« Er fühlte nun erst recht, wie in dieser all sein Glück beschlossen war. »Und ich muß die Valtinessin-Ev frein! Fräle, Fräle! Ihr müßt noch da sein! Hört doch nur!«

Aber das Fräle hörte nicht; es war wirklich auf dem Wege zur Valtinessin.

Hätte er hoffen können, daran zu verbluten, wenn er von dem verletzten Finger den Verband abriß, er hätte es getan.

»Es wird so werden,« tröstete er sich grimmig, »ohne das.«

Indem er vor die Stadeltür hinauslief, gab er sich das Wort, von Stund' an ernstlich alles Wild- und Dummtun abzuschaffen und unter keiner Maske mehr an sich zu lassen, sie sei so verführerisch, als sie wolle.

Auch vor dem Stadel war die Alte nicht mehr.

Es ist eine Eigenheit guter Entschlüsse, daß sie gewöhnlich zu spät kommen.


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