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IX. Kapitel.

Neue Schaffenslust ist über den Meister gekommen, er arbeitet wie im Fieber. Zwei Symphonien sind vollendet; sie atmen glückselige Laune und haben bei ihren ersten Aufführungen im Palais Rasumoffsky und bei Lobkowitz, der ganze italienische Opern in seinem Hause mit großem Orchester und Sängerpersonal in kostspieliger Weise in Szene gehen läßt und natürlich auch immer das Neueste vom Neuen haben muß, wie die Symphonien Beethovens, tiefen Eindruck gemacht; der Erfolg ist auch bei den öffentlichen Wiederholungen nicht ausgeblieben, neben dem Ruhm des Virtuosen beginnt auch der des Komponisten in der Welt zu erglänzen. Mit Riesenschritten eilt der Künstler dem Zenit entgegen.

Trotzdem, die Symphonien genügen ihm nicht; er spürt, daß er noch zu sehr im Banne der Überlieferung stand, wie ungewöhnlich und kühn sie auch seinen Verehrern erscheinen mochten; viel Größeres, Gewaltigeres ahnt der Meister, das noch in seiner Brust schlummert und sich in ersten Ansätzen und flüchtigen Entwürfen regt; Blitze mußten niederfahren, Sturm und Donner, die den Felsen spalten und die Schätze enthüllen, die tief verborgen im Inneren ruhen.

Verleger überlaufen ihn, sie machen gute Geschäfte mit seinen Sachen, er kommt kaum dazu, alle Anträge zu erwidern. Auf jede neue Komposition hat er sechs, sieben Verleger und noch mehr, wenn er will; er rühmt sich dessen und sagt: »Man akkordiert nicht mehr mit mir; ich fordere, und man zahlt!« Am eifrigsten sind die Wiener Verleger Diabelli und die »Paternostergäßler« Steiner und Haslinger, die einander den Rang ablaufen. Mit den »Paternostergäßlern« hat der Meister einen bequemen Modus eingeführt; er spricht mit ihnen durch die militärische Blume, befehlshaberisch. Sich selbst nennt er »Generalissimus«, Steiner den »Generalleutnant«, Haslinger »Adjutant«, das Geschäft ist das »Generalleutnantsamt«, wo er mehrmals die Woche gegen die Mittagszeit erscheint und die Geschäftsfreunde durch seinen grimmigen Humor und seine derbwuchtigen Seitenhiebe zu traktieren pflegt, besonders wenn die »geharnischten Männer«, nämlich die Honorare, die zu dem »Generalissimus« zu marschieren haben, sich verzögerten. Dann kommt es hinwieder zu drastischen Wutausbrüchen, mündlich oder schriftlich. Steiner ist dann ein »hauptfilziger, schuftiger Kerl«; Diabelli wird beharrlich als »Diabolus« bezeichnet; »Schotts Söhne in Mainz, die Verbindung mit ihm unterhalten, ebenso wie Breitkopf und Härtel in Leipzig oder wie Simrock in Bonn, sein ehemaliger Orchestergenosse am kurfürstlichen Hof, der sich als Verleger aufgetan, werden mit ähnlichen Ehrentiteln bedacht wie die »Mainzer Gassenbuben«; mit dem Kosenamen »Lumpenkerl« ist der temperamentvolle Meister nach allen Seiten hin freigebig. Die geriebenen Geschäftsleute machen gute Miene zu dem bösen Spiel; die Hauptsache ist der Profit, der dabei herausschaut.

Das denken auch die Brüder, die nun eifrig zu tun haben, als die Dichtermühle so eifrig mahlt; sie suchen und finden ihren Vorteil dabei. Karl ist inzwischen wieder einmal hinausgeflogen; dafür steht augenblicklich erneut Bruder Johann in Gnaden, der ganz das Ebenbild des Vaters ist, groß, hübsch, aber auch anmaßend und oberflächlich. Ludwig verträgt ihn nicht leicht, seine grobmaterielle Gesinnung und taktlose Art ist ihm zuwider, aber er braucht eine geschäftliche Hilfe; die Beschäftigung mit der Muse läßt ihm wenig Zeit und Sinn dafür. Johann ist noch ärger auf Geld als Karl, er will eine Apotheke in Linz kaufen; Ludwig muß helfen. Zwar ist Johann nicht ungeschickt als Geschäftsträger und Sekretär, aber der praktische Erfolg fließt hauptsächlich in seine Tasche, der Meister hat Ärger und Streit mit ihm, und schließlich setzt er auch ihn an die Luft. Da ist ihm Karl, obschon er auch diesem nicht allzuviel traut, doch noch lieber.

Die Liebe ist es, die seinen Genius beflügelt, seine Produktion befeuert und seinen Erwerb zu erhöhen ihn antreibt. Er will seine Zukunft sichern. Er fühlt große Aufgaben und Pflichten vor sich. Auch in seiner äußeren Lebensführung ist eine Änderung eingetreten. Er hat eine neue, schöne Wohnung im Hamburger Haus auf der Seilerstätte bezogen, die einst Haydn innehatte. Die Fenster blicken über die Bastei hinaus ins Grüne zur Karlskirche und weit hinaus bis Baden; an schönen Tagen kann er den Schneeberg und die steirischen Alpen sehen.

Giulietta kommt fleißig zu den Stunden, mit Stolz zeigt er die Fernsicht.

»So liebe ich es schon vom Rhein her«, erzählte er ihr. Die rheinische Heimat kann er nicht vergessen; er sieht noch alles mit rheinischen Augen, auch die Wiener Gegend, die ihm so zusagt, weil sie mit seiner Heimat viele verwandte Züge hat, wo er von dem Speicher in der Rheingasse durch Fernrohre, die oben aufgestellt waren, sieben Stunden weit bis ins Siebengebirge jenseits des Stroms sehen konnte. »Vom Dachfenster des Elternhauses sah ich die lieblichen Bilder, den barocken Schloßgarten bis zum alten Zoll an der Bastei und darüber hinaus die großen Baumalleen am glänzenden Strom bis zur Baumschule und Poppelsdorf, wo wir oft hinauswanderten, Leonore und ich mit ihren Brüdern. Es war eine selige Zeit; sie liegt so weit, so weit! Aber auch schauerlich-ernste Dinge erlebte man von oben. Vom Speicher aus sah ich als Kind den großen Schloßbrand und später die fürchterliche Rheinüberschwemmung; wir mußten die Wohnung auf Leitern verlassen; in den Straßen schwammen Kähne. Das wirkte wie ein tragischer Akkord; in der Musik ist es wie in der Seele, die plötzlich Katastrophen entbindet; das macht groß und ehrfürchtig. Nichts geschieht mit lauer Mäßigung; dabei wird nichts – es müssen Erschütterungen kommen, Liebe oder auch Leid, dann wird auch Musik!«

»Ist's an dem einen nicht genug?!« fragte Giulietta.

Ries war gekommen, als sie wegging.

»Haben Sie die geheimnisvolle Fremde von Baden nicht mehr gesehen?« fragte der Meister.

Ries erzählte, sie sei ihm öfters noch zu Gesicht gekommen, immer nur im Wagen, auch einmal unverschleiert.

»Sah sie aus wie die Gräfin Guicciardi, die eben wegging?«

Ries verneinte. »Nicht eine Spur Ähnlichkeit!«

Der Meister lächelte und war es zufrieden.

Die Guicciardis waren Sommers über nach Eisenstadt gegangen, wo sie bei dem befreundeten Fürsten Esterhazy einen Schloßflügel bewohnten.

Meister Ludwig war früher öfter mit Haydn draußen, wo sie in dem mächtigen langgestreckten Musiksaal konzertierten. Auf dem oberen Saalende saß die Kapelle Haydns, der Jahrzehnte hindurch in den Diensten des Fürsten stand und eine kleine Gesindewohnung innehatte; am anderen Ende spielte abwechselnd eine Zigeunermusik, die zu den nationalen Erfordernissen gehörte. Der Meister hatte es wie eine Herabwürdigung empfunden, besonders die einstige Gesindewohnung des hochgefeierten Altmeisters. Aber die Zeiten hatten sich geändert; der Fürst zählte nun auch zu den persönlichen Freunden Ludwigs.

Mit Giulietta war beschlossen, daß er einmal hinauskommen sollte. Nur sollte es auf die Veranlassung des Fürsten geschehen, um unnötiges Gerede zu vermeiden. Das Herzensbündnis mußte vorerst Geheimnis bleiben. Kommt Zeit, kommt Rat! Nicht einmal die Eltern sollten etwas erfahren.

Die Einladung des Fürsten ließ indessen nicht lange auf sich warten. Neue Quartette und Klaviersonaten waren erschienen, Ludwig hatte sie ihm schicken lassen; einige Musikabende waren im Schlosse anberaumt; ein fürstliches Gefährt holte den Meister ab; er fuhr ins Land der Liebe!

Der dichte Schleier des Geheimnisses schützte die Liebenden. Die gemeinsamen Stunden am Klavier im großen Saal, wenn niemand anwesend war, dienten der vertrauten Zwiesprache. Es war der wortlose Zusammenklang der Seelen, der durch das Instrument sprach beim Vierhändigspielen. Ein längeres Gespräch war indessen nicht möglich; man war hier vor Lauschern nicht sicher. Man mußte Stelldicheine finden, die sicherer waren; bis in die Gruft mußten sie hinabsteigen, um sich einander sorglos zu nähern; hier fand Romeo seine Julia in seligem Umfangen unter heißen Liebesschwüren. Der Tod und die Liebe! Wie nahe sie beisammen sind! Ein mystisches Band verbindet sie, und wie schnell führt eines zum anderen!

Der zwanglose gesellige Verkehr bot im übrigen Möglichkeiten genug zu gelegentlichen Begegnungen und gemeinsamen Unterhaltungen, die weiter nicht auffällig waren. Beide wandelten durch die Orangerie, durch die Rosengänge und Blumenwege des sorgfältig gepflegten Schloßgartens, wo herrliches Obst gezüchtet wurde, Erdbeeren und Pfirsiche; von hier verloren sich die Pfade unter den dichten Bäumen des weitläufigen stillen Parks.

Sie waren in ein ernstes Gespräch vertieft und kamen immer tiefer abseits, wo kein Lauscher zu fürchten war.

Ludwig wollte mit den Eltern Giuliettas offen reden und sie in das heimliche Gelöbnis einweihen. Die Geliebte beschwor ihn, es noch nicht zu tun. Die Eltern seien noch ganz unglücklich und dächten trotz allem an Gallenberg. Es sei daher ratsam, zu warten. Sie würden auch Bedenken äußern über die finanziellen Grundlagen. Die freie Stellung des Künstlers sei ihnen vielleicht zu wenig Gewähr; Giulietta mache sich ja keine Sorgen daraus, sie wisse, daß es später damit so werden würde, daß auch die Eltern keine Bedenken hätten; der wachsende Ruhm des Meisters, seine einflußreichen fürstlichen Freunde, das alles lasse keinen Zweifel aufkommen; aber, wie gesagt, jetzt käme eine förmliche Werbung verfrüht.

Das mußte Ludwig einsehen. Gleichwohl verstimmte ihn die Andeutung solcher nüchterner praktischer Lebensfragen. Er schwebte immer in den idealen Regionen seiner Kunst und war gewohnt, die Dinge des gewöhnlichen Lebens von oben her anzusehen, nun sollte er gerade in dem empfindlichen Punkt seiner Liebe durch sie getroffen werden. Denn auch diese Liebe wohnte in den höheren Sphären und hatte bisher wenig oder gar nicht nach Stellung, Rang und Einkommen gefragt. Zum erstenmal, daß sie gezwungen wurde, ihren verklärten Blick auf die Sorgen des gewöhnlichen Erdenbereichs herabzusenken, aber diesen Anblick ertrug sie nicht lange und flüchtete wieder in ihre ideale Heimat.

Ludwig sprach von seinen Hoffnungen und Wünschen. Seine dritte Symphonie, die Eroika, dem Buonaparte zugedacht, ging der Vollendung entgegen; die Widmung eröffne ungemessene Perspektiven; Paris stehe offen, Ehren und Berufungen seien sicher, zumal der Konsul das Werk erwarte zur eigenen Verherrlichung, und es zu lohnen wissen werde. Dann die Oper, die Schikaneder bestellt habe! Damit sind neue Wege eröffnet, die er längst gewünscht habe. Das Aristokratenkomitee, das die Hoftheater leite, sei ihm durchwegs befreundet; die Opernleitung als kaiserlicher Generalmusikdirektor sei ihm dann soviel als sicher. Das wäre doch genug, um die Eltern Guicciardi zufriedenzustellen!

»Den Gallenberg stecke ich zehnmal in den Sack, nicht nur musikalisch!«

Das war nun freilich vorerst Zukunftsmusik.

»Ach, reden wir nicht mehr von so langweiligen Dingen«, rief Giulietta sehnsüchtig aus und streckte die Arme weit aus. »Was frage ich nach alledem! Für mich bist du der große Ludwig, dein Ruhm ist die Sonne, an der ich mich wärme und erfreue, und für mich habe ich nichts verlangt als deine Liebe!«

Und damit fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn.

Im Hintergrund ging der Gärtner vorbei.

»Es ist Zeit, daß wir umkehren«, sagte Ludwig; »die Zeit verstreicht, heute ist der letzte Musikabend, und morgen kehre ich nach der Stadt zurück.«

»Wir sehen uns noch?« fragte Giulietta.

»Natürlich! Bei den Ahnen unten, daß sie unseren Bund segnen! Vergiß nicht! Und lebe wohl!«

Sie gingen getrennte Wege zum Schloß zurück.

Am nächsten Tag fuhr der Meister mit Esterhazy nach Wien zurück.

Unterwegs brachte der Fürst merkwürdigerweise die Rede auf Giulietta.

»Verteufelte Schönheit, diese Guicciardi, nicht? Das schönste Mädchen von Wien!«

Der Meister brummte etwas und versank in Schweigen. Die Rede verdroß ihn. Seine Gedanken waren bei ihr, das Gespräch von gestern ging ihm noch im Kopf herum. Seine Gemütsstimmung war übellaunig wie das Wetter draußen. Es stürmte, und die Straßen waren schrecklich. Auf der vorletzten Station verließ er den Wagen des Fürsten und fuhr mit dem Eilwagen weiter, der eben abging und eine andere Route nehmen wollte, während Esterhazy auf dem Landweg weiterfuhr, auf seine acht Pferde Vorspann vertrauend.

Gegen Morgen fuhr der Meister durch das Basteitor ein; auf seine Frage an der Maut erfuhr er, daß der Fürst noch nicht hindurchgekommen sei.

Nicht in seine Stadtwohnung kehrte der Meister zurück, sondern er fuhr gleich hinaus nach Heiligenstadt, wo ihm Zmeskall eine Sommerwohnung besorgt und Ries während seiner Abwesenheit das Nötige hinausgeschafft hatte.

Angekommen, setzte er sich sofort hin, um Giulietta zu schreiben. Sie hatte mit ihren Eltern eine arge Auseinandersetzung gehabt, man hatte Verdacht geschöpft gegen Ludwig; wahrscheinlich waren sie im Park belauert worden, man hatte sie verklatscht. Fast wäre es ihr unmöglich gewesen, sich zu ihrem romantischen nächtlichen Stelldichein einzufinden; zum erstenmal erschien sie dem Liebenden von Gram und Sorge erfüllt, sie fürchtete, die Eltern könnten ihr künftig Schwierigkeiten bereiten. Schließlich hatte sie wieder Mut geschöpft und unter Austausch von heißen Versicherungen und Beteuerungen erklärt:

»Nun, was sie auch sagen mögen, Ludwig, ich lasse dich nicht!«

Noch ganz von zärtlichen Gefühlen für die Geliebte erfüllt, empfand er das Bedürfnis, ihr ein Trostwort, eine Herzensstärkung zu senden. Er verwies sie auf die schöne Natur als Erbauung und kam dann in einigen Andeutungen auf das Gespräch im Park zurück. Es sei natürlich, daß die Liebe alles fordere, und zwar mit Recht, aber sie müsse bedenken, daß er für sich und für sie leben müsse, erst im innigen Zusammenleben, vereint, würde das schmerzliche Gefühl, doch nicht eins zu sein, für beide schwinden.

Er ließ den Brief liegen und fügte abends noch einige Zeilen hinzu, in denen das Gefühl überfloß.

Am anderen Morgen, sobald er erwachte, drängte sich schon das Bild der Geliebten auf, das er mit Worten überströmender Zärtlichkeit und Sehnsucht umflocht, die er dem Brief noch anfügte; dann steckte er ihn in ein Fach und begab sich ins Bad, um die Kur aufzunehmen, die ihm der Arzt vor einiger Zeit schon vorgeschrieben hatte.

Er hatte sich in letzter Zeit oft übel befunden; Koliken, Darmkatarrhe waren an der Tagesordnung. Auch das Sausen und Klopfen im Ohr war wieder aufgetreten, ein unheimlicher Gast, der ihn beängstigte. Wie ein Dämon sitzt er im Ohr und wiederholt unablässig sein mahnendes Klopfmotiv, dasselbe, das er als Thema aufwarf an jenem Abend, wo ihm die Liebe Giuliettas als Kampfpreis ward. Die Jagd nach Ärzten hatte begonnen; der Feldscher Vering hatte ihm Bäder und Kräuterkuren verordnet, die er nun gewissenhaft anwendet. Die ableitenden Mittel haben wohl eine Linderung bewirkt, aber das Klopfen meldet sich doch wieder, bald schwächer, bald stärker; eine wahnsinnige Angst erfaßt ihn und treibt ihn wie ein gehetztes Wild durch Wald und Flur auf weiten Wanderungen in den lieblichen Wienerwald- und Weinbergsbezirken rund um das Dörfchen Heiligenstadt, wo man über den blitzenden Strom ins weite Flachland bis zu den ungarischen Karpathen blickt, ganz wie daheim am Rhein, wohin die Gedanken jetzt häufig und häufiger flüchten, wie immer, wenn Krankheit oder Sorge das Herz verschüchtern. Er hat jetzt kaum Sinn, sich der pastoralen Landschaft zu erfreuen, die er durchrannte, immer auf der Flucht, wie dem Feind zu entrinnen, der ihm hämmernd im Ohr saß.

Eine fürchterliche Ahnung erwachte: »Ein Dämon hat sich an meine Fersen geheftet, der nicht abzuschütteln ist.«

Und eine verzweifelte Jagd begann, ein stiller, erbitterter Kampf mit diesem tückischen Gegner. Die Sorgen um die künftige Lebensgestaltung waren verflogen; wie gering waren sie doch, kleine Wölkchen am blauen Himmel gegen die unheilschwangere Wolke, die über seiner Gesundheit schwebte und den Himmel seines Gemüts drohend verfinsterte! Gesundheit, dieser kostbare Schatz, das Geschenk des allmächtigen guten Gottes, darauf alles beruhte: sein Schaffen, sein Ruhm, seine Zukunft, seine Liebe!

Das geliebte Mädchen als Braut zu wissen, soviel fast wie seine Muse, diese unsterbliche Geliebte, und zugleich dieser furchtbare Dämon, der ihm diese und jene streitig machen wollte – entsetzlicher Zwiespalt, ein Gedanke, der zur Verzweiflung bringen könnte, den man niederzwingen, betäuben oder durch Flucht überwinden mußte: er rannte und rannte – immer im Kreis.

Und immer im Kreis dieselbe Gedankenkette im eintönigen Rhythmus zu dem Sausen und Klopfen, das wie ein böser Geisterchor hinter ihm her war, eine ganze Hölle!

Und eigensinnig liefen die Gedanken zurück zu jener Nacht, wo ihm der Kuß der Liebe wie eine jäh aufblühende Rose entsprang und ihn zugleich der Dämon angrinste, als er am offenen Fenster stand und den kalten Schauer fühlte, der ihn mit Fieber heimsuchte und mit jenem Schicksalsklopfen im Ohr, das er als Motiv aufgeworfen und mit dem er am Morgen erwacht war.

Unheimliches Geschenk! War das der Siegespreis?! War es Strafe, Verhängnis, Vergeltung für eine Schuld? Etwa wegen Theresa! Fort mit diesem Gedanken, nichts von Schuld! Büßt man denn auch für unwissentlich begangene Schuld?!

Oh, dann müßte er der Stunde fluchen, da er wie ein Achilles den Gallenberg als Hektor an seinem Siegeswagen geschleift und diese Helena befreit, die soviel Unglück über Sieger und Besiegten gebracht, daß es bald überall nur unselige Opfer gab! Dann müßte er der Geliebten fluchen, die ihm nur dieser Dämon als ein hold verruchtes Lockmittel vorgegaukelt, um ihn desto sicherer mit seinen Krallen zu fassen. Dann ist sie selbst nur ein Dämon, der ihn verlockt und in den Abgrund zu stürzen bestimmt war.

In wirren Kreisen jagten die Gedanken einander im hämmernden Takt dieses fürchterlichen Klopfens.

»Wie hatte die Unselige doch an jenem Abend in der ersten betörenden Umarmung gesagt? Heute hast du unser Schicksalslied gesungen! War sie nicht am Ende eine Teufelin, die sein Unheil im ersten Kuß sündiger Liebe prophezeite?!«

Er lachte wie ein Wahnsinniger, daß es in Wald und Weinbergshohlwegen schallte, als ob ihn der Dämon äffte.

Ganz erschöpft kam er heim, infolge der Erhitzung hatte das tobende Geräusch nachgelassen; ruhigere Überlegung gewann wieder Oberhand.

Das Zauberbild der Geliebten stieg wieder vor seiner Seele auf und erfüllte ihn mit zehrender Sehnsucht. Er bat ihr innerlich ein Unrecht ab.

»Nein, nein, das holdselige Mädchen ist kein Dämon, sie ist ein Liebesengel, der nichts als Glück in mein ach so einsames Dasein ergossen! War ich nicht einsam, als ich neben Leonore wandelte, die ich nur im geheimen lieben konnte, ohne daß sie in mein Geheimnis und ich in ihres drang? War ich nicht einsam neben Theresa, die ich so tief verehrte, daß ich jetzt noch im Geiste vor ihr weinen möchte, und die mir so unnahbar blieb wie sie, die fern von mir und über mir weilt? War ich nicht einsam mit meiner Qual, wenn ich mit Josephine scherzte?! Nur sie, sie allein hat mich aus der tiefen Einsamkeit meines liebebedürftigen Herzens mit ihrem feurigen Kuß erlöst, Giulietta, mein Engel, mein alles! Sie, die mich zum glücklichsten und jetzt gleichwohl unglücklichsten Menschen macht – – –«

Glücklich fühlte er sich in dem Gedanken an diese Liebe – unglücklich, weil er keine Seele fand, der er nun sein Leid, seine Befürchtungen, seinen Kummer klagen konnte. Der Geliebten?

Unmöglich!

Gerade vor ihr mußte er verschweigen, was ihn quälte, um ihr keine Sorge, keinen Zweifel zu erwecken.

Die Freunde?

Er hatte keine Freunde, denen er sich anvertrauen möchte, ohne fürchten zu müssen, daß es in wenigen Stunden oder Tagen gerade jene erfuhren, denen er es am strengsten verheimlichen mußte.

Und die Freunde, zu denen er Vertrauen hatte, weilten fern; Amenda, Wegeler!

Aber gerade weil sie fern waren, schienen sie ihm würdig und fähig, ein Geheimnis zu verwahren.

Zu diesen Freunden flüchtete der Meister in seiner Not.

Zuerst zu Amenda.

Ihm sagt er mehr, als er eigentlich selbst für wahr halten mochte.

Er verfolgt in der Erinnerung die Anzeichen seiner Krankheit zurück bis zu den ersten Meldungen und will sich entsinnen, wie er einmal im Theater merkte, daß die Schauspieler undeutlich redeten. Dann wieder war es ihm einmal, als ob er seine eigene Stimme nur von fern vernähme. In der Oper, einmal, hätte er plötzlich bemerkt, daß die hohen Stimmen aussetzten. Er hatte auf diese Erscheinungen nicht sonderlich acht, aber jetzt fielen sie ihm ein. Wenn sich das Ohrensausen einstellte, dann freilich mußten die äußeren Geräusche weniger deutlich werden – – –; sie wurden eben übertönt.

Aber im Brief an Amenda drängt sich ihm unwillkürlich ein tragischeres Geständnis auf: er fürchtet, daß sein Gehör leiden würde!

»Dein Beethoven lebt sehr unglücklich im Streit mit Natur und Schöpfer,« schreibt er ihm, »traurige Resignation, zu der ich meine Zuflucht nehmen muß – – – Wisse, daß mir der edelste Teil, mein Gehör, abgenommen hat. Schon damals, als du noch bei mir warst, fühlte ich Spuren davon, und ich verschwieg es; nun ist es immer ärger geworden – – – wie traurig ich nun leben muß, alles, was mir lieb und teuer ist, meiden – – Die Sache meines Gehörs bitte ich dich als ein großes Geheimnis aufzubewahren und niemand, wer es auch sei, anzuvertrauen – –«

Er unterstreicht den letzten Satz, um ihn recht eindringlich zu machen.

Er hatte schwarz in schwarz gemalt. Aber er ist nicht ohne Hoffnungsschein. Das Übel ist wohl bedrohlich und beängstigend, aber es wird geheilt werden. Wenn das Ohrensausen aufhört, dann ist sein Gehör wieder fein und scharf.

Er hat Bücher in die Landeinsamkeit mitgenommen; Homer, Plutarch, Klopstock, Shakespeare und Goethe sind seine Gefährten, er schöpft Trost aus ihnen.

Der Herbst ist ins Land gegangen, er kehrt nach der Stadt zurück, sein Zustand ist gebessert, die Furcht vor dem Dämon gebannt.

Er hat seine Giulietta wiedergesehen, es waren selige Augenblicke des Sichwiederfindens, aus dem Wellentod der Verzweiflung erhebt er sich um so höher auf den Wellenberg eines neuen Lebensmutes.

Davon berichtet er nun auch einmal an Wegeler nach Bonn:

»Ein liebes, zauberisches Mädchen, das mich liebt und das ich liebe, hat solche Wunderkur vollbracht – – Es ist das erstemal, daß ich fühle, daß – Heiraten glücklich machen könnte. Leider ist sie nicht von meinem Stande – und jetzt – könnte ich nun freilich nicht heiraten – ich muß mich nun noch wacker herumtummeln – meine körperliche Kraft – sie nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu, und so meine Geisteskräfte; jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann; nur hierin kann dein B. leben, nichts von Ruhe – ich weiß von keiner anderen als dem Schlaf – – – ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht – oh, es ist so schön, das Leben tausendmal leben – »für ein stilles Leben, nein, ich fühl's, ich bin nicht mehr gemacht dafür – – –«


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