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Zwölftes Kapitel

Eben bei den Diners, zu welchen ihn ›sein lieber Kollege‹ einlud, hatte Adeline die Bekanntschaft des Vicomte von Mussidan gemacht, des feinsten, umgänglichsten und liebenswürdigsten Menschen, dem er je begegnet. Wie hätte man in diesem eleganten und vornehmen jungen Manne, der die ausgesuchteste Artigkeit und die feinsten Manieren zur Schau trug, Barthelasses früheren Croupier »Fritz« wiedererkennen sollen? Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, selbst dann nicht, wenn man ihn die charakteristischen Worte hätte aussprechen hören: » Messieurs faites vortre, le jeu est fait.« Uebrigens entschlüpften die ihm nicht mehr, denn bei Raphaëlla wurde nicht gespielt.

Sie waren sehr angenehm, diese Diners, wo man mit Ausnahme des Vicomte von Mussidan und des Vaters der Wirtin, eines stattlich aussehenden und mit dem Bändchen der Ehrenlegion geschmückten alten Militärs, nur Kollegen traf, mit denen man die im Palais Bourbon begonnene Unterhaltung fortsetzen konnte. Auch geschah es selten, daß die Einladungen des Herrn von Cheylus nicht mit Bereitwilligkeit angenommen worden wären. Raphaëlla wohnte in der Avenue d'Antin, zwei Schritte von der Kammer entfernt. Wenn man aus der Sitzung kam, war man gleich bei ihr, und abends, nach dem Diner, förderte ein Spaziergang unter den Bäumen der Champs-Elysées die Verdauung der guten Sachen, die man gegessen, und der guten Weine, die man getrunken hatte. Als Herr von Cheylus Präfekt der Gironde gewesen war, hatte er sich zahlreiche Freunde in seinem Departement erworben, und diese riefen sich ihm von Zeit zu Zeit durch Uebersendung einer Kiste von jenem selbstgezogenen Wein, den man im Handel nicht bekommt, ins Gedächtnis zurück. Raphaëlla ihrerseits, die im Laufe ihres vielbewegten Lebens eine gute Tafel schätzen gelernt hatte, wußte, welchen Ueberdruß diejenigen, die mit Einladungen überflutet werden, empfinden, wenn sie sich jeden Abend zu demselben Diner niedersetzen müssen, zu einem solchen, wie es die vier oder fünf großen Küchen liefern, in denen gewisse Leute ihre Bestellungen machen, wie andre z. B. die ihrigen im »Bon Marché« oder in der »Belle Jardinière«. Eine solch alltägliche Kost bot sie ihren Gästen nicht. Wenn sie sich entschlossen hatte, ein Diner zu geben, so ließ sie acht Tage zuvor durch ihre Köchin, die eine wahre Perle war, die Gerichte, die sie ihren Gästen vorsetzen wollte, versuchsweise herstellen, und nur die, welche ganz besonders gelangen, kamen auf den Tisch.

Was konnte man mehr verlangen?

Mehr als einer der Gäste äußerte, wenn er abends wegging, seinem Begleiter gegenüber seine Zufriedenheit, indem er ein oft wiederholtes Wort gebrauchte:

»Ohne Frage, man speist gut bei diesen einstigen Größen.«

Und wenn, was nicht selten war, der, welcher sich so ausdrückte, gerade ein guter Provinzler war, so that er dies mit einem Anstrich von selbstgefälliger Leichtfertigkeit. Zu Carpentras gestattete man sich nicht derartige kleine Gelage, selbst wenn man die Zierde der Rechtsanwaltschaft dieser berühmten Stadt war, und zu Elbeuf ebenfalls nicht, selbst wenn man der Stolz der Elbeufer Industrie war.

Hie und da freilich behauptete ein Gast, dessen Magen nicht alles vertrug, daß Herr Hurpin, der Vater der Frau vom Hause, der sich mit seinem stattlichen Aussehen bei Tische so spreizte, ein recht gewöhnlicher Mensch, und daß die Gewohnheit, seine mit dem roten Bändchen geschmückte linke Brust herauszudrücken, sobald von Ehre gesprochen wurde, unausstehlich sei, daß seine Bemerkungen, wenn er einmal welche machte (was übrigens selten war, weil er den Mund kaum zu etwas anderm als zum Essen aufmachte), dumm und roh seien – aber dieser Kritik wurde kein Wert beigelegt.

»Sie mögen sagen was Sie wollen, mein Lieber, man speist gut bei den einstigen Größen, und dieser Schlingel von Cheylus ist wirklich beneidenswert.«

Was den Vicomte von Mussidan betraf, so herrschte über ihn nur eine Stimme: »Scharmant!« Er vertrat die Munterkeit und die Jugend bei diesen Diners, er war der Champagner – (den Witz hatte die Zierde der Rechtsanwaltschaft von Carpentras gemacht, der sich darauf verstand, geistreich zu sein). Wie der Graf von Cheylus eine unerschöpfliche Sammlung seltener und schlüpfriger Anekdoten über die Gesellschaft des zweiten Empire vorrätig hatte, so wartete andrerseits der Vicomte von Mussidan mit täglich neuen über die heutige Gesellschaft auf. Er wußte alles, er erzählte alles und enthüllte euch ein Paris, das man nicht einmal ahnte. Dabei war er ein guter Kerl, taktvoll, bescheiden, der niemals mit seinem Gelde oder seinen Ahnen prahlte. Wenn zuweilen in der Unterhaltung zufällig der Name Ernst Faré genannt wurde, des dramatischen Schriftstellers, der sein Schwager war, so brüstete er sich auch damit nicht, ungeachtet der glänzenden Erfolge, welche jener in den letzten Jahren errungen hatte; ganz im Gegenteil gab er, wenn auch nur mit halben Worten und in taktvollster Weise, zu verstehen, daß er auf eine andre Partie für seine Schwester, eine der reichen Erbinnen aus dem südlichen Frankreich, gehofft hatte.

Wenn diese Tischgäste die liederliche Pariser Gesellschaft gekannt hätten, so hätten sie gewußt, daß dieser alte Soldat, der an der Tafel seiner Tochter so hübsch seinen Platz ausfüllte, bloß ein alter Polizeidiener war, den man nach dem Dienstalter dekoriert hatte, und kein Offizier, wofür er sich ausgab; ebenso hätten sie gewußt, daß der Vicomte von Mussidan aus andern Gründen als aus Bescheidenheit und Taktgefühl nicht von seinem Vermögen sprach. Aber sie kannten diese Bande nicht und hielten sich an das, was sie sahen, was sie hörten, da sie kein Interesse hatten, zu untersuchen, ob sich hinter dem äußeren Scheine Geheimnisse verbargen.

»Man speist gut bei diesen einstigen Größen.«

Das war eine Thatsache und es war überflüssig, sich um weiteres zu bekümmern. Worüber hätten sie sich beunruhigen sollen? Wenn man zuweilen die Frage aufwarf, welche Stellung der Graf von Cheylus und der Vicomte von Mussidan in dem Hause einnähmen, so behandelte man sie in scherzhafter Weise, wie dies bei einem derartigen Gegenstande Leuten zukommt, die klar sehen.

»Armer Graf Cheylus!«

»Gewiß, mein Lieber, aber was wollen Sie? In seinem Alter!«

Und man machte sich ein Vergnügen daraus, »den lieben Kollegen« zu befragen, was es bei dem jungen Vicomte für Neuigkeiten gäbe.

An dem Abende, an welchem der junge Vicomte Adeline bis zur Rue Tronchet nach Hause begleitet und sich mit ihm über den Bankrott der Gebrüder Bouteillier unterhalten hatte, war er raschen Schrittes nach der Avenue d'Antin zurückgekehrt, wo er Raphaëlla vor dem Kamin seiner harrend fand.

»Wie lange du ausgeblieben bist!« rief sie, auf ihn zukommend. »Ist es wenigstens in Ordnung?«

»Nein.«

»Weshalb?«

»Ah, weshalb!«

»Hast du es nicht so gemacht, wie ich dir sagte?«

»Genau so.«

»Nun, und?«

»Er hat sich widersetzt.«

»Der Dummkopf!«

»Das war derb.«

»Du mußtest die Gelegenheit benutzen, deshalb habe ich dich sofort auf ihn losgelassen.«

»Ganz recht, aber vielleicht wäre es vorteilhafter gewesen, die Sache vorzubereiten.«

»Sowie mir, mehr noch infolge seines Mienenspiels, als seiner Reden, klar wurde, wie schwer dieser Bankrott ihn getroffen hat, ist mir die Idee gekommen. Wenn wir zuwarteten, konnte er sich anderswo hinwenden, und wir fanden den Platz besetzt.«

»Ich will nicht sagen, daß du unrecht hast, aber die Geschichte war nichtsdestoweniger eine sehr heikle.«

»Nun, wie ist denn die Sache verlaufen? Was hast du zu ihm gesagt? Was hat er dir erwidert?«

Er näherte sich dem Kamin und streckte ein Bein gegen das Feuer aus.

»Wie du durchnäßt bist!« sagte sie.

»Es ist ein Wetter, bei dem man keinen Hund hinausjagt, und trotzdem habe ich ihn begleitet, als hätte ich einen Blinden zu führen; ich habe alle erdenkliche Mühe gehabt, ihn zu verhindern, daß er eine Droschke nahm.«

»Ich werde dir deine Pantoffeln geben.«

Sie öffnete einen Schrank und suchte ziemlich lange in gebückter Stellung.

»Irre dich nicht,« sagte er.

Sie drehte sich um und sah ihn mit einem Blicke an, mit welchem man auf der Bühne die gekränkte Würde darstellt.

»Glaubst du, er habe die seinigen hier?« erwiderte sie.

»Jedenfalls ist er schon zu lange hier, dieser gerupfte Präfekt.«

»Sei ruhig, er wird nicht lange mehr dableiben, wenn wir seiner nicht mehr bedürfen.«

Sie hatte seine Pantoffeln gefunden, brachte sie ihm, hieß ihn sich niedersetzen und knieete dann vor ihm nieder, um ihm die Schuhe auszuziehen.

»Jetzt erzähle,« sagte sie, indem sie sich auf einem Schemel zu ihm setzte.

»Als wir weggingen, brachte ich sogleich die Unterhaltung auf die Fallimente und schilderte ihm aus diesem Anlasse in der beredtesten Weise die Schamlosigkeit der Kaufleute, die in aller Ruhe Bankrott machen, um ihre Schulden nicht bezahlen zu müssen, während wir, die Mitglieder der bessern Gesellschaft, uns in solcher Lage eine Kugel durch den Kopf schössen. Der Gegenstand ließ sich ausspinnen und ich habe mir's sauer genug werden lassen.«

»Und unser Mann?«

»Du würdest es nie erraten, was er mir erwidert hat. Er begann mir auseinanderzusetzen, daß man nicht in aller Ruhe falliere, daß es kein schmerzlicheres Ereignis für einen Kaufmann gebe, und so weiter. Als ich dies sah, machte ich kehrt und stimmte ihm bei – ich sagte das Gegenteil von dem, was ich vorher behauptet hatte.«

»Bist du nett!« Sie küßte ihm die Hand.

»Ich begriff diesen Schmerz, ich teilte ihn. Wie schrecklich muß es im Gehirne eines Kaufmanns aussehen, wenn er seine Bilanz zieht! Welche Lage! Damit hatte ich den Uebergang gefunden. Ein Bankrott zieht zehn andre nach sich, und durch das Verhalten eines einzigen Kaufmannes werden zehn andre bedroht, selbst dann, wenn sie die allersolidesten sind. Du siehst, wie sich die Geschichte abspielte, ohne daß ich sie dir weiter ausspinne. In jenem Augenblicke habe ich mir die Lehren Barthelasses zu nutze gemacht und mich an das Beispiel dieses alten Spitzbuben erinnert, der sein ganzes Leben lang sein Hab und Gut allen Leuten angeboten hat, ohne jemals irgendwem einen Sou zu leihen. Ich habe unserm Manne nicht alles angeboten, was ich besitze, das wäre zuviel gewesen ...«

»Du bist bewundernswürdig!«

»... aber ich schätzte mich glücklich, fünfzigtausend Franken zu seiner Verfügung stellen zu können ... und sogar mehr, wenn er es nötig haben sollte.«

»Er hat die Annahme verweigert?«

»Allerdings.«

»Du hast nicht darauf bestanden?«

»So sehr ich konnte; ich bin sogar böse geworden; diese Ablehnung sei eine Beleidigung für meine Zuneigung, für meine Freundschaft – kurz, ich sagte alles, was man sagen kann.«

»So hat er es denn nicht nötig?«

»Glaubst du, daß meine in Elbeuf eingezogenen Erkundigungen zu wünschen übrig lassen? Er ist in Verlegenheit, in großer Verlegenheit. Wenn er sich auch jetzt noch über Wasser hält, so kann das doch nicht mehr lange dauern. Während seine Konkurrenten, kleinere Fabrikanten als er, sich den Bedürfnissen des Marktes anpaßten und fabrizierten, was man verlangte, setzte er sich in den Kopf, die Spezialitäten seines Hauses zu fabrizieren, und jetzt will man von diesen Spezialitäten nichts mehr wissen. Er lieferte gute Stoffe, er will noch weiter gute Stoffe liefern – das ist vornehm, das ist nobel, erhaben, nur führt es dahin, wohin er gelangt ist.«

»Wie kommt es denn, daß er dein Anerbieten nicht angenommen hat?«

»Eine Ehrensache! Ein Mann wie er nimmt kein Darlehen, das er nicht begehrt hat. Wenn ich meine Beredsamkeit noch mit Banknoten hätte unterstützen können!«

Sie dachte einen Augenblick nach: »Wir müssen von neuem beginnen.«

»Du?«

»Nein, du.«

»Es geht mir ein Licht auf.«

»Du suchst ihn wieder auf, und das gleich morgen früh. Aber diesmal sollst du ihm mit Banknoten zu Leibe rücken. Ich werde dir einen Check über fünfzigtausend Franken ausstellen; du kannst ihn morgen früh, sobald die Kasse aufgeht, erheben und dann sofort zu Adeline eilen. Du wirst ihm sagen, daß du die ganze Nacht an ihn gedacht habest und daß du ihm die fünfzigtausend Franken, die du ihm angeboten, brächtest, daß du ernstlich böse würdest, wenn er sie anzunehmen sich weigere, kurz alles, was dir in den Kopf kommt.«

»Er wird Verdacht schöpfen.«

»Inwiefern und weshalb? Du hast nie etwas von ihm verlangt, und wenn er später einsieht, daß man etwas von ihm verlangt, so wird er so fest in der Schlinge stecken, daß er sich nicht mehr wird losmachen können. Du sagtest, daß du hättest das Geld in der Tasche klingen lassen müssen; für die Goldfüchse will ich sorgen; deine Sache wird es dann sein, einen ersprießlichen Gebrauch davon zu machen. Der entscheidende Moment ist da, laß uns denselben nutzen. Niemals werden wir wieder einen Mann finden, wie diesen braven Provinzialen, welcher, so einfältig er auch sein mag, darum nicht weniger Einfluß in der Kammer und, was noch mehr wert ist, bei den Beamten der Regierung hat. Ihm wird man keine Antwort erteilen können, wie diesem armen Cheylus.«

»Warum, zum Teufel, hast du dich auch mit dem eingelassen?«

»Man muß sich mit dem begnügen, was man bekommen kann; den hatte ich gerade bei der Hand, darum habe ich mich seiner bedient. Jetzt haben wir Adeline, lassen wir ihn uns nicht entschlüpfen. Wo seinesgleichen wieder finden? Er versteht nichts vom Spiel, er kennt das Pariser Leben nicht, er hat nur politische Beziehungen, er hat Freunde in der Kammer, man hält ihn für reich, alle Welt schätzt ihn, seine Ehrbarkeit ist hinreichend, um zehn unsaubere Geschichten zu decken, er ist eine Perle. Der Zufall will, daß er sich in einer bedrängten Lage befindet, in welcher wir ihm helfen können. Forcieren wir es! Gib mir eine Quittung über fünfzigtausend Franken und ich werde den Check ausstellen.«

Er zeigte sich durch dieses Verlangen nach einer Quittung nicht beleidigt und schrieb sie sogleich auf einem kleinen tragbaren Tischchen, das sie herbeibrachte, um ihm jede Mühe zu ersparen.

»Jetzt kannst du ruhig schlafen,« sagte sie, »ich mache mich verbindlich, dich rechtzeitig zu wecken.«

In der That weckte sie ihn am nächsten Morgen um acht Uhr, und nachdem er sich ungezogen hatte, begab er sich nach dem »Crédit Lyonnais«, um die fünfzigtausend Franken zu erheben, welche dort seit einiger Zeit schon auf die Gelegenheit warteten, Verwendung zu finden.

Nach Verlauf von zwei Stunden, kam er zurück. Seine Miene, ganz verschieden von derjenigen tags zuvor, besagte, daß der Streich gelungen war.

Sie faßte ihn wie närrisch an beiden Händen. »Dann können wir bald auf unsrer Hochzeit tanzen, wir haben ihn.«

Und sie riß ihn mit sich fort.


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