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Fünfzehntes Kapitel

Sie kehrten nach dem Platz de la Madeleine zurück.

»Ihnen brauche ich nicht zu sagen,« hob der Vicomte wieder an, »daß jeder Dienst bezahlt wird. Ein Klub ist ein Geschäft, wie ein andres; es wirft Einnahmen ab, die in erster Linie dazu dienen müssen, diejenigen zu entschädigen, welche sie ermöglichen. Wenn Sie einer Gesellschaft irgend welche Konzession verschaffen, die Sie durch Ihre Umsicht oder Ihren Einfluß erlangt haben, so schätzt sich das in Geld ab, nicht wahr? Und ich bin überzeugt, daß die Erlaubnis, welche die Gründung unsres Klubs ermöglichte, auf nicht weniger als sechzig- bis fünfundsiebzigtausend Franken veranschlagt werden würde, das ist der gewöhnliche Satz. So würden also die Rollen getauscht: Sie wären nicht mehr mein Schuldner, sondern die Gesellschaft wäre der Ihrige.«

Die Komödie, welche der Vicomte mit Adeline aufführte, war von langer Hand mit Raphaëlla durchgegangen und es war ausgemacht worden, daß an dieser Stelle eine Pause eintreten sollte, damit die Ueberlegung ihre Wirkung thun könne. Sie kannten die Lage Adelines so gut, als er sie selbst kannte, und wußten, welche Erleichterung er bei der Aussicht empfinden werde, die fünfzigtausend Franken jetzt nicht bezahlen zu müssen. Sie hatten sehr wohl vorausgesehen, daß das Anerbieten eines Gehaltes von dreitausend Franken nicht genügen werde, weil es nur ein Versprechen für die Zukunft sei, während die Nichtbezahlung der fünfzigtausend Franken ihn einen sofortigen Erfolg sehen ließe und wie ein Bühneneffekt wirken werde.

Die Sache spielte sich ab, wie sie verabredet worden, und erst nach einem Augenblicke des Stillschweigens fuhr Friedrich fort: »Ich will einem Einwande zuvorkommen, der Ihnen auf den Lippen schwebt: Sie wollen, Sie können nicht die Verwaltung eines Klubs übernehmen.«

»Und dies aus vielen Gründen, von denen einer genügt: Man kann nur das verwalten, wovon man etwas versteht, und ich verstehe nichts von den Geschäften eines Klubs.«

»Es ist mir auch niemals in den Sinn gekommen, Sie mit dieser Verwaltung zu betrauen, Sie sollen Präsident unsres Klubs sein, wie der Graf von Mortemart es vom landwirtschaftlichen Klub ist, der Marquis von Biron vom Jockeyklub, der Herzog de la Trémouille vom Klub in der Rue Royale, und Sie sollen nur Präsident sein, das heißt so etwas wie ein Präsident der Republik oder ein konstitutioneller König, die Person, die unserm Klub das Ansehen verleiht und den Bestand sichert, Sie herrschen, aber Sie regieren nicht; Ihnen zur Seite, unter Ihnen stehen die Minister. Mit andern Worten: Die finanzielle Leitung des Klubs liegt in den Händen einer Kommanditgesellschaft, welche durch einen verantwortlichen Geschäftsführer vertreten wird. Sie und Ihr aus Notabilitäten zusammengesetztes Komitee haben die Leitung des Klubs und beschließen allein über die Aufnahmen; das gewährt eine unbedingte Sicherheit für die tadellose Auswahl. Die finanziellen Fragen berühren Sie und Ihre Verantwortlichkeit in keiner Weise, das ist der Kardinalpunkt; Sie empfangen, aber geben nicht.«

Auch diese Tirade hatte Raphaëlla, ebensowenig wie das vorhergehende, dem Improvisationstalente Friedrichs überlassen; sie war vielmehr ebenfalls einstudiert, denn es schien von Belang, daß sie rasch und mit Feuer vorgetragen wurde, damit Adeline nicht zur Besinnung käme und verhindert würde, Einwendungen zu machen. Wenn der Vergleich mit den Präsidenten der großen Klubs seine Wirkung auf ihn hervorbringen sollte – und daran zweifelte sie nicht – so war dies nur unter der Bedingung möglich, daß man ihm keine Zeit ließ, nachzudenken und folglich einzusehen, daß jene großen sich selbst verwaltenden Klubs, ohne Spielgewinn, ohne bezahlte Präsidenten, in nichts demjenigen glichen, welchen man ihm zu gründen vorschlug, einem Klub, der seine Existenz aus Kassenüberschüssen fristen, der seine Vorstandsmitglieder mit dem den Spielern abgenommenen Gelde bereichern sollte. Für einen, der die Klubs kannte, wäre dieser Vergleich plump und lächerlich gewesen, aber für diesen Provinzialen ging er hin. Es war eine Beweisführung, wie sie Advokaten auf gut Glück versuchen. Es war Aussicht vorhanden, daß er in seiner bürgerlichen Eitelkeit sich von den glänzenden Namen, die er sich wiederholen würde, den Kopf verdrehen ließ.

»Damit Sie ganz sicher gehen,« fuhr Friedrich fort, »und ruhig schlafen können, will ich die Geschäfte der Verwaltung in die Hand nehmen, wenn auch nicht unter meinem Namen. Sie werden es begreifen, wenn ich ihn nicht dazu hergeben will. Es geschieht nicht allein aus Achtung vor mir selbst, sondern auch vor meinem Vater, vor meiner Familie – und dann hat es noch einen andern Grund ... einen politischen, aber darauf brauche ich nicht näher einzugehen.«

Da Adeline nichts erwiderte und von diesem doch so verführerischen Anerbieten nicht entzückt zu sein schien, spielte Friedrich seinen letzten Trumpf aus, der den letzten Widerstand brechen sollte.

»Es ist sicher, daß Sie nicht auf die Einwendungen stoßen werden, welche dem Herrn von Cheylus gemacht wurden.«

»Ah! Cheylus hat sich mit dieser Gründung befaßt?«

»Er sollte die Erlaubnis für unsern Klub, als dessen Präsident er in Aussicht genommen war, erbitten und er hat dies in der That versucht; allein sie wurde ihm verweigert – Sie erraten aus welchen Gründen, – Parteiinteressen, ganz einfach; man wollte ihn keinen Mittelpunkt geselliger Vereinigung, welcher ihm einen gefährlichen Einfluß sicherte, schaffen lassen. Anfangs, ich gestehe es, war uns diese Ablehnung sehr verdrießlich, denn in Bezug auf Liebenswürdigkeit, feine Manieren, Geist und Beweglichkeit konnten wir uns keinen besseren Präsidenten als den Grafen wünschen. Aber bei ruhiger Ueberlegung hat sich dieser Verdruß gelegt, und ich gestehe – aber ganz leise unter uns –, daß es mir heute ganz erwünscht ist, daß Herr von Cheylus nichts erreicht hat. Jedes Ding hat seine zwei Seiten. Die Liebenswürdigkeit des Grafen wäre in Schwäche ausgeartet, er hätte nichts abschlagen können, und unser Klub würde den Charakter strenger Ehrbarkeit, den er mit Ihnen bewahren wird, verloren haben.«

Sie waren nach der Rue Tronchet zurückgekehrt, bis vor die Thür Adelines. Bei diesem letzten Wort und ohne noch etwas beizufügen, trennte sich der Vicomte von »seinem lieben Herrn Abgeordneten«.

»Puh!« machte er, indem er sich der Avenue d'Antin zuwandte, »wenn jetzt die Sache nicht im Blei ist, dann verzichte ich darauf; der Biedermann wird gewiß weniger gut schlafen, als ich.«

Darin hatte er recht, denn Adeline schlief wenig, während er selbst den Schlaf des Gerechten nach erfüllter Pflicht schlief.

Aus dem ganzen Wortschwall, der sich über ihn ergossen, löste sich eine Thatsache für Adeline los, so bedrohlich, daß er nur sie sah: Die sofortige Fälligkeit der fünfzigtausend Franken. Endlich hatte sie geschlagen, diese Stunde, die ihm so oft in den Ohren geklungen; jetzt hieß es nicht mehr: »Ich werde zahlen müssen«, es hieß: »ich muß zahlen«.

Aber wie?

Seit zwei Jahren hatte er mehr als einmal das Kraftstück der am Umkippen stehenden Kaufleute ausgeführt, von einem Tage zum andern zwanzig- oder fünfundzwanzigtausend Franken zur Deckung der fälligen Wechsel aufzutreiben. Aber darin, in der Wiederholung, gerade lag die Schwierigkeit; die Quellen, aus denen er geschöpft, waren versiegt, er konnte dort nichts verlangen, ohne seinen Kredit, der schon so erschüttert war, noch mehr zu schädigen und ohne überdies zum voraus die Gewißheit zu haben, daß er die fünfzigtausend Franken, die er nötig hatte, erhalten werde.

Wenn der Vicomte ihm nichts von der Gründung seines Klubs gesagt hätte, so hätte er ohne Zweifel nur an die Mittel und Wege gedacht, jene Summe aufzutreiben; es mußte gezahlt werden, mochte es kosten, was es wollte.

Aber Raphaëlla hatte sich nicht verrechnet, als sie darauf zählte, daß die Fata Morgana jener Gründung eine günstige Wendung herbeiführen werde. So viele Schwierigkeiten einerseits, um sich Geld zu verschaffen, solche Leichtigkeit andrerseits, welches zu gewinnen!

Er brauchte nur ein Wort zu sagen, ein »Ja,« das war alles; nicht allein, daß er damit seiner Schuld quitt würde, nicht allein, daß er einen jährlichen Gehalt von sechsunddreißigtausend Franken gewann, er würde auch in die Lage versetzt, seinen Plan auszuführen, Geschäfte zu machen, die ihm zuflögen, ohne daß er sich die Mühe zu geben brauchte, ihnen nachzulaufen.

Wer nicht im Klubleben aufgeht, kennt kaum den Unterschied, der zwischen einem Klub besteht, welcher sich selbst verwaltet, und demjenigen, dessen finanzielle Leitung einem Geschäftsführer übertragen ist; zwischen demjenigen, der als einziges Ziel das Vergnügen seiner Mitglieder vor Augen hat, und demjenigen, der im Gegenteil keine andre Existenzberechtigung hat, als für die Spielkasse Geld zu gewinnen; zwischen demjenigen, der eine Vereinigung von guten Freunden, und demjenigen, der ein Unternehmen zur Ausbeutelung ist. Aber für das große Publikum sind das nur verschwindende Unterschiede, nichts weiter; für dasselbe ist ein Klub eben ein Klub. Einer dünkt ihm so viel wert als der andre.

In dieser Hinsicht, wie übrigens noch in manch andrer bezüglich des Pariser Lebens, gehörte Adeline zum großen Publikum, und Raphaëlla hatte das Richtige getroffen, als sie annahm, daß man ihm frech einige hervorragende Persönlichkeiten nennen könne, deren Namen ihn blendeten.

Wenn jene Leute mit den berühmten Namen sich herbeiließen, Präsidenten zu sein, warum sollte er es abschlagen?

Was seiner Meinung nach die Ehrbarkeit eines Klubs ausmachte, war diejenige seiner Mitglieder und diejenige seines Präsidenten. Da alle Aufnahmen durch ihn und das von ihm zusammengesetzte Komitee genehmigt werden sollten, brauchte er nichts zu befürchten; er werde schon dafür zu sorgen wissen, daß nur streng achtbare Leute, wie sich der Vicomte ausdrückte, aufgenommen werden würden. Unter ehrlichen Leuten geht alles ehrlich zu, er brauchte daher keine Angst zu haben, daß sein Klub (er sagte bereits sein Klub) eine Spielhölle werden würde wie diejenigen, von denen er andeutungsweise hatte sprechen hören.

Die Gründe, mit denen ihm der Vicomte in letzter Zeit zugesetzt hatte, klangen ihm betäubend in den Ohren, traten immer wieder vor sein inneres Auge und gewannen dadurch allein schon, daß seine Person ins Spiel kam, für ihn eine Tragweite, die sie bisher nicht gehabt hatten.

Wie richtig war es, was der Vicomte über die Rolle gesagt hatte, welche Paris in der Handelskrisis spielte, und wie patriotisch würde es sein, jede Bestrebung zu unterstützen, die zur Beendigung dieser Krisis beitragen konnte! Er war freilich nicht so naiv, sich einzubilden, daß die Gründung seines Klubs an sich allein jene Wirkung hervorbringen könne. Aber wenn auch eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, so kündigt sie ihn wenigstens an. Weitere Anstrengungen würden sich mit der seinigen vereinigen, das Beispiel wäre gegeben, die Ehre davon würde ihm zu teil werden.

Die Stufenleiter, welche Raphaëlla im Leben durchgemacht, hatte sie dasselbe praktisch kennen gelehrt, und sie wußte, daß das beste Mittel, einen zu einer Schwäche oder zu einem Fehler zu verleiten, darin besteht, ihm aus der Ferne einen edlen, selbstlosen Zweck zu zeigen. Adeline hätte sich vielleicht damit, daß er die fünfzigtausend Franken, die er schuldete, nicht zu zahlen brauchte, und mit den sechsunddreißigtausend Franken Gehalt nicht ködern lassen, aber durch das Argument des kommerziellen Interesses mußte er gewonnen werden. »Wenn man stolz auf die Dummheit ist, die man begeht,« hatte sie zu Friedrich gesagt, »treibt man sie bis aufs äußerste, selbst dann, wenn man einsieht, daß es eine Dummheit ist!«

Indessen, ungeachtet des Stolzes, den er empfand und trotz aller persönlichen Gründe, die zu diesem Gefühle hinzukamen, hatte sich Adeline nicht entschließen können, auf die Vorschläge des Vicomte einzugehen, ebensowenig freilich sie abzulehnen; er wollte zusehen, abwarten, sich Aufklärung verschaffen bei denen, welche über das, was er nicht kannte, Bescheid wußten, Erkundigungen einziehen.

Von denen, welche er über diese Dinge um Rat fragen konnte, war keiner geeigneter, ihm Auskunft zu erteilen, als sein Kollege, der Graf von Cheylus, der bezüglich des Pariser Lebens ganz auf dem Laufenden war. Da der Vorsitz dieses Klubs ihm angetragen worden war, kannte er die Sache und hatte ihre guten und schlimmen Seiten geprüft. Er mußte sich daher mit ihm darüber besprechen, und das that er gleich am nächsten Tage.

»Und Sie zögern?« rief Herr von Cheylus aus, als Adeline ihm den Vorschlag des Vicomte mitgeteilt hatte. »Ich gestehe, daß ich Ihre Bedenken nicht teile und daß, als mir der Vorschlag gemacht wurde, ich nichts Eiligeres zu thun hatte, als die Ermächtigung vom Polizeipräfekten zu erbitten ... welcher seinerseits nichts Eiligeres zu thun hatte, als sie mir abzuschlagen.«

»Ist es unbescheiden, Sie nach den Gründen zu fragen, die er angegeben hat, um seine Ablehnung zu erklären?«

»Durchaus nicht; er hat mir gesagt, daß wenn ich Präsident des Klubs wäre, derselbe in einigen Monaten zur Spielhölle werden würde, daß ich zu schwach, zu duldsam, zu liebenswürdig sei; ich würde hinters Licht geführt werden, ginge in den Wogen unter; er brachte mit einem Worte alles vor, was man geltend machen kann, wenn man die wahren Gründe der Ablehnung nicht nennen will.«

»Und diese wahren Gründe?«

»Sie erraten sie ohne Mühe. Man wollte einem Gegner kein Mittel an die Hand geben, seinen Einfluß zu befestigen, und andrerseits der Beschuldigung aus dem Wege gehen, daß man einem Feinde eine Gunst erweise, die man dem Freunde verweigerte.«

»Und weiter?«

»Wenn Sie mich in Ihr Komitee mit hereinnehmen wollen, so bin ich dabei. Was soll ich Ihnen weiter sagen?«

Was Herr von Cheylus nicht sagen wollte, war, daß er (ohne auf Friedrich eifersüchtig zu sein – er war nie so einfältig gewesen, eifersüchtig zu sein) allmählich fand, daß der Vicomte in dem Hause Raphaëllas sich viel zu breit machte, und daß das beste Mittel, ihn los zu werden, sei, ihn mit einem Klub zu versorgen, wo er seine Tage und ... seine Nächte verbrächte.


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