Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Hham d'illah! Preis sey Gott!« rief der Pascha, nach dem Schlusse des Divan. »Es ist trockene Arbeit, drei Stunden lang Bitten anhören zu müssen, ohne daß auch nur eine einzige Zechine meinem Schatze zugeflossen wäre. Mustapha, ist der Renegat zurückgekehrt?«
»Der Kafir harrt darauf, den Staub von Eurer Hoheit Füßen küssen zu dürfen,« versetzte der Vezier.
»So laß ihn eintreten, Mustapha,« entgegnete der Pascha vergnügt.
Und der Renegat wurde unverweilt eingeführt.
»Kosh amedeid, Du bist willkommen, Huckaback. Seit Du fort bist, sind uns die Ohren vergiftet worden. Ich vergaß, wo Du zuletzt aufgehört hast.«
»Eure Hoheit halten zu Gnaden, am Ende meiner zweiten Reise, in welcher – – «
»Ich erinnere mich – die fränkische Göttin verstopfte das Leck. Du magst fortfahren.«
Der Renegat verbeugte sich und begann die Geschichte seiner dritten Reise mit folgenden Worten:
»Ich glaube, daß ich Eure Hoheit am Schlusse meiner zweiten Reise andeutete, ich habe mir vorgenommen, nach Toulon zu gehen und wegen meiner theuren Cerise Nachfragen anzustellen?«
»Ich entsinne mich,« unterbrach ihn der Pascha, »muß Dir aber, wie ich schon früher sagte, aufs Neue bemerken, daß ich nichts von ihr wissen will. Sey so gut, diesen Theil zu überspringen, oder es wird dich fünf Zecchinen aus deinem Gurte kosten.«
»Ich gehorche, Euer Hoheit,« erwiederte der Renegat, welcher nach kurzem Nachsinnen fortfuhr.
Ich war über die Kunde von Cerisens Selbstmorde so ergriffen, daß es mir unmöglich wurde, am Lande zu bleiben. Auf den Rath eines Wallfischfängerkapitäns, welcher sich über das große Vermögen verbreitete, das sich durch eine derartigen Spekulation erringen lasse, kaufte ich ein großes Schiff und stattete es zu einer Reise in die Baffinsbai aus. Dieß zehrte all' mein übriges Geld auf; da ich jedoch mit einer zehnmal größeren Summe heimzukehren hoffte, so nahm ich keinen Anstand, mich davon zu trennen.
Meine Mannschaft bestand aus ungefähr dreißig kräftigen Burschen, unter denen sich zehn Engländer befanden; die übrigen gehörten meinem eigenen Lande an. Wir steuerten nordwärts, bis wir das Eis erreichten, welches berghoch umherschwamm, fuhren zwischen durch und kamen endlich in schönes, freies Wasser, wo eine große Menge Wallfische in allen Richtungen ihre Wasserstrahlen in die Luft bliesen. Unsere Boote waren bald hinausgehißt, und wir fühlten uns ungemein glücklich, denn wir kriegten drei und zwanzig Fische an Bord, die wir auskochten, noch ehe die Jahreszeit vorüber war
Ich hielt jetzt mein Glück für gemacht. Das Schiff war bis oben voll, und wir setzten die Segel zur Heimfahrt. Aber nun traf uns ein schwerer Sturm aus Süden, welcher alles Eis zusammentrieb und uns in Gefahr brachte, in Atome zerdrückt zu werden. Zum Glücke trafen wir auf eine Bucht im Lee eines großen Eisberges, welche uns bewahrte, und wir sahen sehnlich dem Ende des Sturms entgegen, um unsre Fahrt fortsetzen zu können. Aber als sich das Unwetter legte, trat harter Frost ein, und wir froren an, wo wir lagen. Das Eis gewann um uns her eine Dicke von mehreren Fußen und hob das Schiff – geladen, wie es war – aus dem Wasser.
Die Engländer, welche erfahrne Fischer waren, sagten uns, wir hätten keine Aussicht, vor dem nächsten Frühling befreit zu werden. Ich stieg auf den Mast hinauf und bemerkte auf Meilen hin, soweit das Auge am Horizont streifen konnte, eine ununterbrochene Reihe von Eisbergen und Eisfeldern, die unzertrennlich mit einander verbunden waren. Auf jede Erlösung verzichtend, bis das kalte Wetter bräche, traf ich daher alle Vorbereitungen zum Ueberwintern. Unsere Mundvorräthe waren sehr spärlich und wir sahen uns genöthigt, zu unserem Unterhalt den Thran zu benützen, der aber bald solche Durchfälle erzeugte, daß wir davon abstehen mußten.
Nach zwei Monaten wurde die Kälte furchtbar, und unser Brennstoff ging auf die Neige. Einen Monat später beklagte sich die Mannschaft über den Scharbock und konnte nicht auf dem Deck umhergehen. Zu Ende des vierten Monats waren alle hingestorben, den Oberharpunier, der ein fetter Engländer war, und mich selbst ausgenommen.
Die Leichen blieben auf dem Decke, denn die Kälte war so maßlos, daß sie auf Jahrhunderte vor Fäulniß bewahrt geblieben wären. Zu Ende des fünften Monats war all' unser Mundvorrath erschöpft, und wir sahen uns genöthigt, wieder unsere Zuflucht zu dem Thrane zu nehmen. Der Thran erzeugte abermals die alten Beschwerden, und da wir keine anderen Hülfsquellen hatten, so sahen wir uns durch den drängenden Hunger genöthigt, die Leichen unsrer Kameraden zu verzehren. Sie waren so hart, daß man nur mit Mühe vermittelst der Art ein Stück davon los trennen konnte; auch war das Fleisch so spröde, daß es wie ein Stück Granit splitterte. Wir thaueten es jedoch vor dem Feuer auf, zu dem wir als Material die Bollwerke des Halbdecks nahmen, indem wir dieselben nach Bedürfniß niederhieben. Der alte Harpunier und ich lebten einen Monat lang auf dem besten Fuße miteinander und verließen während dieser Zeit nur selten die Schiffskajüte. Wir hatten jetzt die dritte Leiche heruntergeholt und dieselbe nach Bedarf zerhauen, was jetzt um des Wechsels in der Witterung willen weit leichter ging, als zuvor.
Das Eis fuhr fort zu brechen, und Tag und Nacht wurden wir durch das laute Krachen erschreckt, wenn die Eisberge sich von einander trennten. Aber mein Widerwillen gegen das Menschenfleisch hatte eine Art von Wahnsinn herbeigeführt. Ich war stets ein großer Freund von gutem Essen gewesen und verstand mich selbst nicht übel auf die Bereitung der Speisen, weßhalb ich mir vornahm, den Versuch zu machen, ob sich für unsre Mahlzeiten nicht etwas Schmackhaftes auftreiben ließe. Dieser Gedanke verfolgte mich Tag und Nacht, bis ich mir zuletzt vorstellte, ich sey ein französischer Restaurateur. Ich band mir ein Tellertuch als Schürze vor, setzte statt einer Pelzkappe eine baumwollene Nachtmütze auf und war eben im Begriffe, meine Geschicklichkeit zu erproben, als ich die Entdeckung machte, daß ich weder Butter noch sonstiges Fett hatte, den Thran ausgenommen, welchen ich als unpassend für ein cuisine française hielt. Meine todten Kameraden wurden nun der Reihe nach untersucht; aber sie waren vor ihrem Hinscheiden so abgemagert, daß sich keine Spur von Fett an ihnen bemerken ließ. Ohne Fett war nichts anzufangen, und während ich mich schon ganz der Verzweiflung hingab, fielen meine Augen auf den runden Wanst, welchen der englische Harpunier, das einzige außer mir noch lebende Wesen, fortwährend beibehalten hatte.
»Ich muß Fett haben,« rief ich wild, während ich seinen derben Körper betrachtete. Er stutzte, als er meine rollenden Augen bemerkte, und wie er gar sah, daß ich, das Messer wetzend, auf ihn zukam, hielt er es nicht für räthlich, sich länger meiner Gesellschaft anzuvertrauen. Zwei oder drei Decken aufgreifend eilte er nach dem Decke, und es gelang ihm, nach dem großen Mars hinanzusteigen, ehe ich ihm folgen konnte. Hier hielt er mich im Schach, und ich beobachtete ihn stets von unten, mein großes Vorlegmesser in der Hand, das ich gelegentlich wetzte. Er blieb die ganze Nacht oben und ich auf dem Decke, damit ich ihn alsbald in Empfang nehmen konnte, sobald er herunterstieg. Meine Wuth, mich seiner zu bemächtigen, war so übermäßig, daß ich weder Kälte noch Hunger spürte. Schon den Tag über war das Wetter nicht warm genug, um angenehm zu seyn; aber Nachts trat vollends ein schneidender Frost ein. Mein fetter Schiffskamerad blieb drei Tage und drei Nächte auf dem Mars, während welcher Zeit ich mich keinen Augenblick von meinem Posten rührte. Am Schlusse des dritten Tages schauete er über den Marsrand nieder und flehte um Gnade; aber als er sich zeigte, kannte ich ihn kaum mehr – so sehr hatte er abgenommen. Da fiel mir denn ein, wenn er noch länger oben bliebe, werde er nicht mehr Fett haben, als die Uebrigen, und durchaus nicht für meine Zwecke passen. Ich gab ihm deßhalb mein Ehrenwort, daß ich zehn Tage lang nichts gegen sein Leben versuchen wolle, und da er vor Kälte fast zu Grunde ging, so ließ er sich den Waffenstillstand gefallen und stieg auf das Deck herunter. Das Verbrechen des Mords blieb mir übrigens erspart, denn er brachte einen solchen Wolfshunger mit herunter, daß er fast einen ganzen Mannsschenkel aufzehrte und im Laufe der Nacht an Ueberladung starb. Ich kann Eurer Hoheit die Freude kaum ausdrücken, welche ich empfand, als ich sah, daß der Körper des Harpuniers in meinem Besitz war. Ich betrachtete meinen Schatz wieder und wieder mit Entzücken, denn ich konnte jetzt meine französischen Speisen kochen. Er war bald zergliedert, und alle fetten Theile wurden sorgfältig zusammengeschmolzen. Ich fand dann, daß ich einen hinreichenden Vorrath besaß, um mich, so lange die Leichen währten, in meiner Geschicklichkeit zu üben. Am ersten Tage gelang mir dieß wunderbar. Ich kochte – als meine Speisen bereit waren, nahm ich die Nachtmütze und Schürze ab, fuhr mit den Fingern durch das Haar und stellte mir vor, daß ich garçon bei einem Restaurateur sey. Ich legte das Tuch, trug die Gerichte auf, und als Alles fertig war, begab ich mich auf das Deck, um als der Bonvivant zurückzukehren, welcher das Diner bestellt hatte.
Nie zuvor hatte mir ein Mahl so köstlich geschmeckt. In meinem Wahnsinne verzehrte ich Alles, was ich gekocht hatte, und trank Wasser für Champagner. Dann dachte ich nach, was ich mir am folgenden Tage zum Diner bereiten wollte, und begab mich zu Bette. Mittlerweile hatte sich das Eis gebrochen und das Schiff war wieder flott; aber ich kümmerte mich nicht darum. Alle meine Gedanken concentrirten sich nur auf die Freuden der Tafel; aber als ich Tags darauf nach dem Deck ging, um mir ein Stück Fleisch zu holen, wurde ich durch ein furchtbares Geheul erschreckt. Ich wandte meinen Kopf um und bemerkte einen ungeheuren weißen Bären, welcher traurige Verwüstungen in meiner Speisekammer anrichtete, denn er hatte bereits den Leib eines meiner todten Kameraden fast ganz aufgezehrt. Er war so groß, wie ein Ochse – so groß, daß er, als er auf mich zustürzte und ich die Treppe hinunterglitt, mir nicht folgen konnte. Ich schaute wieder hinauf und bemerkte, daß er mit seinem Mahle zu Ende war. Er marschirte zwei oder drei Mal um die Decke, beschnüffelte Alles, sprang dann über Bord und verschwand.
Froh, von einem so unangenehmen Gaste befreit zu seyn, kam ich wieder herauf, hieb mir das erforderliche Fleisch ab, versuchte abermals meine Kochkunst, hielt ein gutes Diner und legte mich zum Schlafe nieder. Nie hatte ich mich so glücklich gefühlt, als in meinem Wahnsinn. Alles, an was ich dachte oder was ich wünschte, stand mir zu Gebot – mein Glück concentrirte sich auf das Verzehren meiner Nebenmenschen, die ich in passender Weise kochte, statt nach der gewöhnlichen Methode das Fleisch roh hinunter zu schlucken, um das gebieterische Drängen des Hungers zu beschwichtigen. Als ich am Morgen erwachte und wieder auf das Deck kroch, wurde ich auf's Neue mit dem zornigen Geheul des Bären begrüßt, der sich eine zweite Leiche behagen ließ. Nachdem er damit fertig war, plumpte er wieder wie früher in die See.
Jetzt hielt ich es für hohe Zeit, derartigen Eingriffen in meine Speisekammer ein Ende zu machen, da mir sonst nach wenigen Tagen nichts mehr übrig blieb. Ich setzte meine Erfindungsgabe in Thätigkeit und ersann einen Plan, von dem ich glaubte, daß er gelingen müsse. Sobald ich alle Leichen nach dem hintern Theil des Halbdecks geschleppt hatte, pflanzte ich davor die Kajütenlucke mit Schwabbern und kleinen Segeln auf, um so einen acht Zoll hohen Damm zu bilden. Dann stieg ich wieder in den Raum und holte vierzig oder fünfzig Eimer Thran herauf, die ich hinten über das Deck ausgoß, so daß es mehrere Zoll hoch mit Oel bedeckt war. Am folgenden Morgen kam, wie ich erwartet hatte, der Bär wieder und begann sein Mahl. Ich selbst hatte mich in dem Besahnmars aufgestellt und mehrere Eimer Oel mitgenommen, die ich auf ihn niedergoß. Sein Pelz war ohnehin schon gut getränkt von dem Oele des Decks, auf das er sich niedergelegt hatte, um die Leiche gemächlicher verzehren zu können. Nachdem sich alle meine Thraneimer über ihn ausgeschüttet hatte, warf ich die leeren Gefäße auf ihn nieder. Dieß brachte ihn in Wuth, und er stieg ins Takelwerk, um Rache zu nehmen. Ich wartete, bis er in den Kreuzbaumwänden angelangt war; dann aber goß ich meinen letzten Eimer über ihn aus, der ihn völlig blendete, und glitt auf der andern Seite an den Backstagen auf das Deck nieder. Ein Bär kann zwar schnell aufwärts klettern, aber nur sehr langsam herabsteigen; ich hatte daher hinreichend Zeit, meine Vorbereitungen zu treffen. In dem Raum zündete ich eine Wergfackel an, die ich zuvor bereit gehalten hatte, und hielt die Flamme an das Hintertheil des niedersteigenden Thieres. Die Wirkung war, wie ich erwartet hatte. Sein dicker, allenthalben mit Oel getränkter Pelz loderte im Nu hell auf und brannte mit solcher Geschwindigkeit, daß der Bär, noch ehe er das Deck erreichen konnte, wie eine ungeheure Feuerkugel aussah. Ich zog mich nun nach der Hüttenlucke zurück, um seine Bewegungen zu beobachten. Sobald das Thier das Halbdeck erreicht hatte, rollte es sich zuerst in dem Oele, weil es dadurch die Flammen zu erlöschen hoffte; aber dies mehrte nur den Brennstoff, und der Bär sprang endlich vor Schmerz laut brüllend in die See, in welcher er verschwand.
Nachdem ich mir so den Eindringling vom Halse geschafft hatte, kehrte ich zu meiner Kocherei zurück. Das Schiff war jetzt ganz vom Eise befreit, das Wetter warm, und die Leichen meiner Schiffs- Kameraden entsandten einen garstigen Geruch; aber ich sah und schmeckte nichts. Nur dies fiel mir auf, daß der Weizen, welchen die Hühner auf der Decke zerstreut hatten, zu sprossen angefangen hatten, und ich wünschte mir Glück zu der Abwechslung, welche hiedurch meiner Kochkunst in Aussicht gestellt wurde. Ich fuhr fort, wie früher zu kochen, zu essen und zu schlafen, als sich mit einem Male ein Umstand zutrug, welcher aller meiner culinarischen Tollheit ein Ende machte. In einer Nacht fand ich, daß das Wasser die Seite meiner Bettstatt in der Kajüte bespülte, und als ich erschrocken heraussprang, um mich von der Ursache zu überzeugen plumpte ich über Kopf und Ohren in das feuchte Element. Das Schiff hatte, als es von dem Eis gehoben wurde, ein Leck erhalten, durch welches es sich allmählig füllte, ohne daß ich es bemerkte. Meine Furcht vor dem Ertrinken war so groß, daß ich mich in dieselbe Gefahr stürzte, die ich vermeiden wollte. Ich sprang durch die Kajütenfenster in die See hinaus, während ich doch Sicherheit gefunden hätte, wenn ich auf das Deck gegangen wäre; denn ein kurzes Nachdenken belehrte mich, daß ein mit Oel geladenes Schiff nicht sinken könne. Die Erwägung kam jedoch zu spät, und von der Kälte des Wassers gelähmt hätte ich kaum ein paar Sekunden länger schwimmen können, als ich plötzlich in Berührung mit einer Spiere kam, die etwas größer war, als ein Bootsmast. Ich faßte sie, um mich daran festzuhalten, war aber nicht wenig erstaunt, finden zu müssen, daß sie hin und wieder von mir weggezerrt wurde, als hielte sich Jemand anders daran fest, der mich zum Loslassen zwingen wollte. Es war jedoch zu dunkel, als daß ich etwas hätte unterscheiden können. Ich hielt mich angeklammert, bis es Tag wurde; aber nun entdeckte ich zu meinem größten Entsetzen dicht neben mir einen ungeheuren Hayfisch. Ich hätte beinahe meine Stütze losgelassen und wäre in den Wellen versunken – so sehr hatte mich die Furcht gelähmt. Mit jedem Augenblick erwartete ich, die grimmigen Zähne würden mich in zwei Hälften quetschen, und ich schloß meine Augen, um nicht die Schrecken meines Todes durch den Anblick des Mittels dazu zu erhöhen. Es entschwanden einige Minuten, die mir wie eben so viele Stunden vorkamen, und erstaunt, daß ich noch immer am Leben war, wagte ich es endlich, meine Augen zu öffnen. Der Hayfisch stand noch immer in der gleichen Entfernung, und als ich die Sache näher untersuchte, bemerkte ich, daß der Bootsmast oder die Spiere, an welcher ich hing, der Bestie quer durch die Nase gegangen war – in einer Weise sogar, daß sich das Holz zu beiden Seiten das Gleichgewicht hielt. Der Hayfisch gehört zu der Art, welche man in der nördlichen See findet, und die von den Matrosen der blinde Hayfisch genannt wird. Ich begriff nun vollkommen, daß man das Unthier gefangen, mit der sogenannten Sprietsegelraa versehen und dann wieder zum Spasse losgelassen hatte. Die Leichtigkeit der Spiere hinderte den Hayfisch, unter das Wasser zu sinken, und die Matrosen machen sich ein Vergnügen daraus, ihren gefürchteten Feind in dieser Weise zu züchtigen.
Ich bot nun allen meinen Muth auf, und da ich es satt hatte, mich an dem Spiere festzuhalten, so beschloß ich, auf den Rücken des Thiers zu steigen, was sich ohne Schwierigkeit bewerkstelligen ließ. Ich fand den Sitz auf seiner Schulter vor der Rückenfinne nicht nur sicher, sondern auch sehr gemächlich. Der Hayfisch, welcher nicht ans Lastentragen gewöhnt war, machte mehrere Versuche, sich meiner zu entledigen; aber da er nicht sinken konnte, so behauptete ich meinen Sitz. Er vergrößerte nun seine Schnelligkeit, und wir schoßen mit einer Geschwindigkeit von ungefähr vier Knoten in der Stunde über eine glatte See. Zwei Tage lang setzte ich auf meinem neumodischen Rosse den Ritt nach Süden fort, ohne während dieser Zeit eine andere Nahrung einzunehmen, als einige kleine Muscheln und Würmer, die ich unter den Finnen des Thieres entdeckte. Auch fand ich in der Nähe des Schwanzes eine kleine Remora oder einen Saugfisch; aber kaum hatte ich ihn an meinen Mund gebracht, als er sich an meine Lippen so festsetzte, daß ich meinte sie seyen mir für immer versiegelt. Keine Gewalt war im Stande, ihn los zu machen, und er blieb mir zu meinem großen Verdrusse mehrere Stunden wie ein Schloß vor dem Munde hangen, bis er zuletzt, weil er so lang aus dem Wasser war, starb und abfiel. Jetzt verzehrte ich ihn.
Am dritten Tage bemerkte ich in der Entfernung Land. Es schien mir eine Insel zu seyn, obschon ich mir nicht vorstellen konnte, wie sie wohl heißen mochte. Mein Roß rannte geraden Wegs darauf zu und stieß um seiner Blindheit willen mit der Nase auf die Küste; aber ehe es seinen Irrthum entdeckte, glitt ich von seinem Rücken herunter, kletterte das steile Gestade hinan und befand mich wieder einmal, wie ich wähnte, auf festem Lande. Vom langen Wachen ermüdet, legte ich mich nieder und schlief ein.
Eine Berührung an der Schulter weckte mich, und als ich meine Augen aufschlug, bemerkte ich, daß ich von mehreren Leuten umgeben war, welche ich natürlich für Eingeborne der Insel hielt. Ihre Kleidung schien mir aus schwarzem Leder zu bestehen. Sie trugen Hosen und lange Jacken, ähnlich denen der Eskimo-Indianer, mit welchen wir hin und wieder in dem nördlichen Meere zusammengetroffen waren. Jeder hielt eine ganz aus Bein gefertigte, lange Harpune in seiner rechten Hand.
Ich war nicht wenig überrascht, mich in dem Patois-Dialekt der Basken meines eigenen Landes, wie er zu Bayonne und an andern Orten der Pyrenäen gesprochen wird, angeredet zu hören. Auf ihre Fragen antwortete ich, daß ich von der Mannschaft eines Wallfischfängers, welche den Winter über im Eis eingefroren, allein noch am Leben sey; das Schiff habe sich mit Wasser gefüllt, und ich sey auf dem Rücken eines Hayfischs entronnen.
Sie drückten keine Ueberraschung über meine unerhörte Lokomotive aus, sondern bemerkten im Gegentheil bloß, daß Hayfische gar schlimme Pferde seyen, und baten mich sodann, sie nach ihrer Stadt zu begleiten – eine Einladung, die ich mit Freude annahm. Im Weitergehen bemerkte ich, daß die Insel aus weißem porösem Bimsstein bestand und nicht die mindeste Spur von Vegetation zeigte. Nicht einmal ein Fleckchen Moos konnte ich entdecken – überall nur der kahle Bimsstein mit Tausenden von schönen grünen etwa zehn Zoll langen Eidechsen, die allenthalben umher huschten. Der Weg war steil und an manchen Stellen mit eingehauenen Stufen versehen, vermittelst derer man hinaufsteigen könnte. Nach einem erschöpfenden Gange von ungefähr einer Stunde, den ich in meinem geschwächten Zustand nicht hätte vollbringen können, wenn mir die Inselbewohner nicht Beistand geleistet haben würden, erreichten wir den Gipfel. Hier bot sich mir ein auffallender Anblick. Ich befand mich auf dem Kamme einer Bergkette, die ein ungeheures Amphitheater bildete, und ein Thal von ungefähr sechs Stunden im Durchmesser umschloß, dessen größerer Theil aus einem See bestand.
An den Ufern des Letzteren konnte ich Gegenstände unterscheiden, die mir wie menschliche Wohnungen vorkamen; aber nirgends war ein Baum oder ein Strauch zu sehen.
»Wie«, fragte ich den Mann, welcher der Anführer der Uebrigen zu seyn schien, »habt ihr denn keinen Baum hier?«
»Nein; aber wir können recht wohl ohne sie ausreichen. Bemerkt Ihr nicht, daß kein Boden da ist und die Insel ganz aus Bimsstein besteht?«
»Ja, das sehe ich wohl«, versetzte ich. »Aber sagt mir, wie heißt denn euer Land oder Ort – und in welchem Theile der Welt sind wir?«
»Was den Namen betrifft, so nennen wir die Insel das Wallfisch-Eiland,« versetzte der Mann; »aber wo wir sind, können wir selbst nicht genau sagen; denn wir sind auf einer schwimmenden Insel. Sie besteht ganz aus Bimsstein, dessen spezifische Schwere, wie Ihr wissen müßt, viel leichter ist, als die des Wassers.«
»Wie seltsam,« bemerkte ich. »Ich kann unmöglich glauben, daß es Euch Ernst ist.«
»Nicht so ganz seltsam, als Ihr Euch vorstellt,« entgegnete mein Führer. »Wenn Ihr den Bau dieser Insel von unserem Standpunkt aus untersucht, so werdet Ihr mit einem Male bemerken, daß sie der Krater irgend eines großen Vulkans gewesen ist. Man kann sich leicht denken, wie in Folge einer jener plötzlichen Launen der stets wirkenden Natur die Basis des gehobenen Vulkans wieder versank und der Gipfel des Kraters auf dem Meere schwimmen blieb. Dieß ist unsre Ansicht von Formation dieser Insel, und ich zweifle, ob Euere Festland-Geologen eine genügendere Theorie aufstellen können.«
»Wie Ihr steht also im Verkehr mit Europa?« rief ich hocherfreut über die Hoffnung einer Heimkehr.
»Wir hatten Verkehr damit, aber jetzt ist's nicht mehr der Fall. So sonderbar es Euch erscheinen mag, wechselt diese Insel im Laufe von Jahrhunderten ihre Stellung nicht um viele hundert Meilen, und Winters ist sie im Norden von Eisbergen umschlossen. Mit dem Eintritt des Frühlings werden wir frei und trifften dann einen Grad oder zwei nach Süden ab, aber selten weiter.«
»Ueben Wind und Fluth keine Einwirkung auf euch?«
»Allerdings; aber es findet durch die ganze Natur ein allgemeines Gleichgewicht statt und Alles erreicht seinen Höhepunkt. Auch in der scheinbaren Unordnung liegt Regelmäßigkeit, und kein Strom läuft in die eine Richtung, ohne daß eine Gegenströmung vorhanden wäre, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Sofern die Unterströmungen und die Wechsel, welche unaufhörlich stattfinden, in Frage kommen, so möchte ich sagen, daß wir im Ganzen nur sehr wenig oder am Ende gar nicht durch die Fluth berührt werden; und wir betrachten sie als eine Art Leibesübung, von der Natur vorgeschrieben, um den Ocean in guter Gesundheit zu erhalten. Dasselbe läßt sich in Betreff der Winde behaupten. Der Wind ist eine Substanz, so gut wie das Wasser, zwar einer größern Ausdehnung fähig, aber dennoch eine Substanz. Ein gewisser Antheil davon ist der Welt zu ihrer Bequemlichkeit zugewiesen, und auch in seiner scheinbaren Veränderlichkeit liegt eine gewisse Regel. Es ist augenscheinlich, wenn alle Winde durch die Nordwestkühlten, die im Winter vorkommen, sich im Osten sammeln, so müssen sie sich in diesem Theile anhäufen, aber ihre bekannte Expansivkraft zwingt sie zur Rückkehr und zur Herstellung des Gleichgewichts. Dies ist der Grund, warum wir in den Monaten Februar und März so lange Ostwind haben.«
»Ihr sagtet, daß Ihr im Verkehr mit Europa standet?«
»Wir kriegen hin und wieder nothgedrungene Besuche von denen, welche in Schiffen oder Booten verschlagen werden, aber die Leute, welche hierherkamen, sind nie zurückgekehrt. Es ist sehr schwer die Insel zu verlassen, und wir schmeicheln uns, daß wenige, welche sich eine Zeitlang unter uns aufhalten, je ein Verlangen darnach getragen hätten.«
»Wie, sie wollen einen öden Fels, auf dem kein Hälmchen Gras wächst, nicht verlassen?«
»Das Glück,« versetzte mein Führer, »besteht nicht in den Verschiedenheiten unsers Besitzthums, sondern darin, daß man mit dem zufrieden ist, was man hat.«
Und er begann den Weg hinabzusteigen.
Ich folgte ihm in trübseliger Stimmung, da ich mir von einem so unfruchtbaren Ort nicht viel Tröstliches versprechen konnte.
»Ich bin kein Eingeborener dieser Insel,« bemerkte er im Weitergehen. »Ihre ersten Bewohner erhielt sie vor mehr als einhundert Jahren durch die Mannschaft eines französischen Schiffes, welches in dem nördlichen Ocean verloren ging. Allein ich wünsche nicht wieder fortzuziehen. Ich wurde vor ungefähr zwanzig Jahren in einem Wallfischboot, das in einem Schneesturm von seinem Schiffe abkam, hierher verschlagen. Jetzt bin ich ein verheirateter Mann, habe Familie und gelte für einen der reichsten Einwohner der Insel, denn ich besitze vierzig bis fünfzig Wallfische.«
»Wallfische?« rief ich erstaunt.
»Ja,« versetzte mein Führer, »Wallfische. Sie sind das Stapelgut dieser Insel, und ohne sie könnten wir nicht so wohlhabend und so glücklich seyn, als es wirklich der Fall ist. Doch Ihr werdet viel sehen und erfahren, zugleich aber auch gelegentlich erkennen, daß es nichts in der Welt giebt, was sich der Mensch im Drange der Noth und durch Beharrlichkeit nicht nützlich machen könnte. Jener See, welcher den Boden unseres Thales bedeckt, ist die Quelle unseres Reichthums und unserer Gemächlichkeit: er giebt uns einen so reichlichen Ertrag, wie die fruchtbarste Ebene Italiens und Frankreichs.«
Als wir an dem Fuße des Gebirges anlangten, bemerkte ich an dem Seeufer mehrere schwarze Gegenstände.
»Sind dies Wallfische?« fragte ich.
»Es waren Wallfische, jetzt aber sind es Häuser. Dieses einzeln stehende gehört mir, und ich hoffe, Ihr werdet es als das Eurige betrachten, bis Ihr mit Euch einig geworden seyd, was Ihr thun wollt.«
Wir stiegen nach dem Ufer hinunter, und die übrigen Inselbewohner überließen mich nun meinem Führer, der nach seinem Hause voranging. Es bestand aus der Haut eines einzigen Wallfisches, der viel größer gewesen war als irgend einer, den ich je in dem nördlichen Ocean gesehen hatte. Die Wirbelsäule und die Rippen des Thieres dienten als Gebälk, um die Haut aufzuspannen. Das Ganze hatte Aehnlichkeit mit einem langen Zelte, das noch weiter durch oben angebrachte Stricken von gedrehten Sehnen befestigt war; auch befanden sich zu beiden Seiten eingerammte Pfähle, die gleichfalls aus Knochen bestanden. Als ich eintrat, bemerkte ich zu meiner großen Verwunderung, daß es durchaus nicht an Licht fehlte. Dieses fiel durch dünn geschabtes Fischbein ein, und am Kopfende des Thiers war die Küche angebracht, deren Rauch durch die Athemlöcher entwich.
An der einen Seite des Zimmers, in welches ich eingeführt wurde, standen Sitze, die mit Seehundsfellen bedeckt waren, und das andere Ende des Hauses war durch eine Art schwarzer Haut in Schlafgemächern für den Hausherrn und seine Familie abgetheilt. Es war nicht der mindeste üble Geruch zu verspüren, obwohl ich etwas der Art vor meinem Eintritt in diese seltsame Wohnung vermuthet hatte.
Mein Führer stellte mir seine Frau vor, die mich mit großer Herzlichkeit bewillkommnete. Sie war in dieselbe dunkle Haut gekleidet, wie ihr Mann, obschon ihr Anzug ein viel feineres Gewebe hatte. Auf dem Kopfe trug sie eine Scharlachhaube, und die Vorderseite so wohl, als der untere Rand ihres Kleides war gleichfalls mit Scharlach verziert, so daß sie sich im Ganzen recht nett und zierlich ausnahm. Es wurde mir ein Napf mit Milch angeboten, um mich nach meinem Spaziergang und meinem langen Fasten zu erfrischen.
»Wie,« bemerkte ich, »habt ihr Milch hier ohne Weide?«
»Ja,« versetzte mein Wirth; »trinkt davon, ob sie Euch schmackhaft vorkommt.«
Ich that so und fand sie nur sehr wenig von der Eselsmilch meines Vaterlandes verschieden, nur vielleicht ein Bischen herber im Geschmack. Mittlerweile wurden mehrere Arten Muscheln und ein großer Käselaib auf den Tisch gelegt, der, wie die Stühle, ganz aus Knochenmasse bestand.
»Auch Käse?« fragte ich.
»Ja und Ihr werdet ihn nicht schlecht finden. Ihr habt die Milch des Wallfisches getrunken, und aus derselben bereiten wir auch Käse.«
Freund Huckaback,« bemerkte der Pascha, »es kömmt mir vor, als ob Du mir Lügen aufbindest. Wer hat je von Wallfischmilch gehört!«
»Allah verhüte, daß ich es versuchen sollte, einen Mann von Eurer Hoheit Verstand zu tauschen; da wäre ich lange nicht gewitzt genug.«
»Das ist sehr wahr,« bemerkte der Pascha.
»Eure Hoheit dachte nur einen Augenblick nicht daran, daß der Wallfisch ein sogenanntes warmblütiges Thier ist, daß er Blutgefäße hat, ähnlich denen der menschlichen Spezies, und daß er lebendige Jungen gebiert, die er an seiner Brust säugt.«
»Sehr wahr, bemerkte der Pascha; »ich hatte dies ganz vergessen.«
Mein Wirth fuhr nun folgendermaßen fort:
»Wie ich euch zuvor sagte, ist der Wallfisch das Stapelgut dieser Insel. Ihr bemerkt, daß seine Haut uns als Haus dient, aus seinen Knochen machen wir alle unsere Gerätschaften, und aus seinen Sehnen fertigen wir die dicksten Taue bis zum feinsten Faden herab. Der Anzug, den wir tragen, besteht aus der Bauchhaut, die mit einer Art Seife zu bearbeitet ist. Letztere gewinnen wir aus dem Alkali der Tangen, welche man überflüssig in dem See findet, und aus dem Thran des Wallfisches. Das Wallrath dient uns als Licht und Brennstoff, das Fleisch giebt uns Nahrung, und die Milch ist uns unschätzbar. Allerdings haben wir auch noch andere Hilfsquellen, zum Beispiel unsere Eidechsen, allerlei Fische und Muscheln, auch verschaffen wir uns, wenn wir Winters unter den Eisbergen eingeschlossen sind, das Fleisch und die Häute der Seehunde und des Weißen Bären. An Pflanzenstoffen fehlt es übrigens ganz und gar, und obgleich der Mangel des Brodes Anfangs sehr lästig wird, so findet man sich doch schon in wenigen Wochen darein. Es ist übrigens Zeit, daß Ihr nach Eurer Anstrengung ausruht; ich will Euch Eure Kammer anweisen und Eure Ankunft dem Oberharpunier melden.«
Er führte mich sodann in ein inneres Gemach, wo ich ein gutes Lager aus Eisbärenhäuten fand, warf mich darauf nieder und war nach einigen Minuten fest eingeschlafen.
Am andern Morgen wurde ich von meinem Wirthe geweckt.
»Wenn Ihr zu sehen wünscht, wie man die Wallfische milkt, so ist jetzt die Stunde, in welcher sie hereingerufen werden. Ein kurzer Spaziergang wird Euch mehr Aufklärung geben, als das Erzählen vieler Stunden.«
Völlig erfrischt durch meinen langen Schlaf, stand ich auf und folgte meinem Führer. Wir kamen an einem großen Wasserbehälter vorbei.
»Dies ist unser Wasser. Wir dürfen es nicht verschwenden, obschon wir es im Ueberfluß haben. Der Behälter ist mit einem Kalkcäment ausgekleidet, das wir durch Brennen der Muschelschalen erhalten. Wir machen alle unsere Gefäße, welche dem Feuer ausgesetzt werden, von derselben Substanz, die wir mit zerstoßener Lava mischen; sie werden dann im Feuer gebrannt und mit Seesalz verglast.«
Wir gelangten nun an den Rand des Sees, wo ein großes seichtes Dock in die Lava eingehalten war. Hier sah ich ungefähr zwei Dutzend junge Wallfische, welche meinem Wirthe folgten, während er am Strande hinging.
»Dies sind meine Kälber. Sie dürfen nicht zu ihren Müttern, bis wir die Milch, welche wir selbst brauchen, gemolken haben.«
Mehrere Männer kamen nun nach dem Ufer herunter. Einer derselben blies auf einer Pfeife, gebildet aus einem Stücke des Hornes von einem Seeeinhorn, und alsbald sammelte sich eine Herde von Wallfischen, welche nah auf das Ufer zuschwammen. Sie gingen alle auf den Ruf ihrer Namen, und als die Männer knietief ins Wasser wateten, legten sich die Thiere ruhig auf die Seite, so daß eines ihrer Euter aus dem Wasser hervorsah. Dieses wurde von vier Männern gedrückt und der Inhalt in einem großen Eimer von Wallfischknochen, der mit Reifen von derselben Substanz gebunden war, aufgefangen.
Sobald die Brust des Thieres leer war, rutschte es mit einem Schlage seines Schwanzes wieder in's tiefe Wasser und schwamm nicht weit von dem Melkorte in kleinen Kreisen umher.
»Die eine Brust überlassen wir stets dem Kalbe,« bemerkte mein Wirth. »Wenn sie alle gemolken sind, werde ich den Pferch öffnen und die Mütter hinein lassen.«
»Was sind denn dort für ungeheure Wallfische, die in der Ferne spielen?«
»Das sind unsere Wallochsen, antwortete mein Wirth. »Wir finden, daß sie zu einer Ungeheuern Größe anwachsen, und bauen dann aus ihren Häuten unsere Häuser.«
»Ist das dort am Ufer ein todter Wallfisch?
»Es ist eines unserer Wallfischboote,« versetzte er, »aber, wie Ihr Euch denken könnt, aus der Haut eines Wallfisches gebaut, die wir durch häufige Anwendung von Oel und Kalk gehärtet haben. Wir bedienen uns solcher Fahrzeuge, um die Thiere zu fangen, wenn wir ihrer bedürfen.«
»Ihr bedient Euch also nicht der Harpunen?«
»Nur wenn wir sie tödten. In der Regel werfen wir um den Schwanz eine Schlinge und befestigen das Tau an eines dieser Boote, welche so leicht schwimmen, daß der Wallfisch sie nicht mit hinunternehmen kann und bald seiner Anstrengungen müde wird. Ich spreche jetzt von den Männchen, die für die Zucht aufbehalten werden, oder von fremden Wallfischen, die sich hin und wieder Winters in unsern See verlieren. Unsere eigenen sind von Kindheit an so heimisch gewöhnt, daß wir nur wenige Mühe mit ihnen haben. Aber es ist Zeit, daß wir zurückkehren.«
»Hier ist eine von unsern Manufakturieen,« bemerkte mein Wirth als wir an einem Wallfischhause vorbeikamen. »Wir wollen eintreten. Dies ist der grobe Stoff des Landes, der zu Scheidewänden in den Häusern u. dgl. verwendet wird. Der dort ist von feinerer Sorte und dient zu dem Anzuge, wie ich ihn gegenwärtig trage. Hier ist die Haut eines Wallkalbes, welche gewöhnlich zu Frauenkleidern benützt wird, und hier haben wir unsern kostbarsten Manufakturartikel, die Bauchhaut des Wallkalbes, welche weiß ist und sich durch den Saft des Myrex, eines Schalthieres, welches häufig an unserm Ufer vorkommt, färben läßt.«
»Habt Ihr Geld?« fragte ich.
»Nein, unser Verkehr geschieht durch Tausch. Der Haupttauschartikel aber, der uns statt des Geldes dient, ist der Wallfischkäse, welcher Jahrelang aufbewahrt wird und durch die Zeit sehr an Güte gewinnt. Dieses feine Tuch ist acht Quadrat Ellen neuen Käses werth und daher ein sehr theurer Artikel.«
Wir langten an dem Hause an und fanden daselbst unser Mahl bereit – ein vortreffliches Ragout, das ich nur hoch loben konnte.
»Es ist eines unserer Lieblingsgerichte,« versetzte mein Wirth, »und besteht aus Eidechsenschwänzen.«
»Aus Eidechsenschwänzen?«
»Ja; ich habe im Sinne, einige für das Mittagessen zu sammeln, und Ihr sollt dann meinen Eidechsengraben sehen.«
Im Laufe des Tages begleitete ich meinen Wirth eine Strecke weit den Berg hinauf, bis wir endlich an einer großen Grube halt machten; sie war mit einem Flechtwerke aus Wallfischsehnen bedeckt. Der Mann, welcher uns begleitete, stieg hinab und kehrte bald mit einem Eimer voll Eidechsen zurück, der mit einem ähnlichen Netze umschlossen war. Er nahm sie dann der Reihe nach heraus und riß an ihren Schwänzen, die ihm augenblicklich in der Hand blieben; dann machte er eine Kerbe in den Stumpf und warf das Thier wieder in die Grube.
»Wozu aber die Thiere wieder zurückwerfen?« fragte ich.
»Weil ihre Schwänze das nächste Jahr wieder gewachsen sind.«
»Und warum kerbt Ihr den Stumpf in der Mitte ein?«
»Damit statt des einen Schwanzes zwei wachsen, was unausbleiblich der Fall ist,« entgegnete mein Wirth.
Aber ich will Eure Hoheit nicht mit einem Berichte alles dessen ermüden, was ich sah und was sich während meines Aufenthaltes auf der Insel zutrug. Wenn ich auf die Vortrefflichkeit der dortigen Regierung, welche aus einem Oberharpunier und zwei Kammern von ersten und zweiten Harpuniren bestand, auf die Sitten und Gebräuche der Einwohner, auf die Ceremonien bei Geburten, Heirathen und Todesfällen, auf ihre Vergnügungen und ihre scharfsinnige Art, sich in allen ihren Bedürfnissen zu helfen, eingehen wollte, so hätte ich Stoff genug, um wenigstens zwei Quartbände ohne Rand zu füllen. Ich beschränke mich daher auf die Angabe, daß ich nach einem Aufenthalte von sechs Monaten höchst ungeduldig wurde, die Insel wieder zu verlassen, und daher den Entschluß faßte, mich lieber jeder Gefahr zu unterziehen, als von der Ausführung meines Wunsches abzustehen.«
Mein Wirth und die ersten Einwohner der Insel willigten, weil sie sahen, daß sie mich durch ihre Ueberredungen nicht zum Bleiben vermögen konnten, endlich ein, mich mit den Mitteln zu versehen, auf die ich verfallen war, um mein Entkommen zu bewerkstelligen.
Ich habe Eurer Hoheit zu bemerken vergessen, daß die Wallfische äußerst gelehrige Thiere waren, und sich nicht nur zum Ziehen auf dem See, sondern auch zum Tragen auf dem Rücken gebrauchen ließen. Allerdings war ich nicht zu bewegen, ein solches Thier zu besteigen, denn nach meiner Reise auf dem Hayfisch hatte ich ein wahres Grausen vor dem Ritte auf einem Fischrücken. Indeß fuhr ich oft in einem der großen Wallfischboote auf dem See umher und ließ mich von einem oder zwei Thieren führen, denen man die Zugriemen um die Schwänze geschlungen hatte. Diese Art Fuhrwerk brachte mich auf den Gedanken, einen Abzug von der Insel durch eines dieser großen Wallfischboote zu bewerkstelligen; ich wollte dasselbe Vollständig bedecken und mich durch einen Zug-Wallfisch aus der Mündung des Sees hinaustauen lassen.
Auf meine Bitten wurde ein Boot zubereitet und mit Fischbeinscheiben bedeckt, um Licht einzulassen. Ich that genügenden Mundvorrath für eine lange Reise ein, ließ den Wallfisch anspannen und schied unter den Thränen der freundlichen Inselbewohner, welche mich als einen Mann betrachteten, der mit Gewalt in sein Verderben rennen wollte. Aber ich wußte, daß der Fischfang bald beginnen werde, und hatte große Hoffnung, von einem der Schiffe aufgelesen zu werden. Ich war bald aus dem See. Der Knabe, welcher auf dem Rücken des Zugwallfischs ritt, hatte mich der ihm ertheilten Weisung gemäß, hinausgetaut, bis sich die Insel am Horizont nur noch wie eine Wolke ausnahm, worauf er die Zugriemen abschnitt und zurückeilte, um vor Einbruch der Nacht wieder zu Hause anzulangen.
Drei Wochen lang wurde ich innerhalb dieses Ungeheuern Bootes oder vielmehr Fisches auf den Wellen umhergeworfen, ohne jedoch Schaden zu nehmen, weil mein Fahrzeug ungemein leicht schwamm. Da wurde ich eines Morgens aus einem gesunden Schlafe durch einen plötzlichen Stoß gegen die Außenseite eines Schiffes geweckt. Ich meinte, mit einem Eisberge in Berührung gekommen zu seyn, aber der Ton von Stimmen überzeugte mich, daß ich endlich auf Menschen gerathen war. Eine Harpune wurde jetzt hereingetrieben, der ich nur mit knapper Noth entkam, und aus einer Salve von Flüchen, die darauf erfolgte, erkannte ich augenblicklich, daß die Leute Engländer waren.
Nach einigen Minuten begannen sie ein Loch in die Seiten meines Wallfischbootes zu hauen, und sobald ein Stück weggenommen war, guckte ein Kopf herein. Da ich mich vor einer zweiten Harpune fürchtete, so hatte ich als Schutzmittel meine große Eisbärenhaut aufgezogen. Sobald der Mann dies bemerkte, zog er augenblicklich seinen Kopf wieder zurück und betheuerte mit einem Schwure, daß in dem Bauche des Wallfisches ein weißer Bär stecke. Das Boot fuhr zurück und sie begannen nun, Musketkugeln abzuschießen, welche mein Fahrzeug allenthalben durchlöcherten. Ich mußte mich auf den Boden niederlegen, um mein Leben zu retten. Nach ungefähr zwanzig Schüssen kam das Boot wieder heran, und ein Mann steckte abermals seinen Kopf durch das Loch.
Da er mich mit der Bärenhaut bedeckt auf dem Boden liegen sah, so meinte er, das Thier sey getödtet, und theilte seinen Kameraden diese Kunde mit. Mit einiger Besorgniß kletterten sie nun durch das Loch herein, welches sie ausgehauen hatten, und als sie meine Bärenhaut aufhoben, entdeckten sie meine Person, welche in die schwarze Haut gekleidet war, wie sie von den Bewohnern des Wallfischeilandes getragen wurde. Dies erschreckte sie noch mehr. Einer brüllte hinaus, der Teufel sey da, und Alle beeilten sich, wieder zu dem Loche hinauszukommen, durch das sie hereingestiegen waren. Aber eben ihre Hast vereitelte dieses Vorhaben, da jeder dadurch den andern hinderte. Nur mit Schwierigkeit gelang es mir, sie endlich zu überzeugen, daß ich ein unschädliches Menschenkind sey. Nachdem ich ihnen in kurzen Worten erklärt hatte, wie ich hieher gekommen, erlaubten sie mir, mit ihnen an Bord ihres Schiffes zu gehen. Als der Kapitän diese Geschichte hörte, wurde er sehr verdrießlich, denn er hatte mein Fahrzeug für einen todten Wallfisch gehalten und Befehl ertheilt, denselben an die Seite seines Schiffes zu ziehen, um die Thranschwarten abzuhauen. In seiner Erwartung getäuscht, schwor er, daß ich ein Jonas sey, der aus dem Bauche des Wallfisches komme, und das Schiff werde kein Glück haben, wenn ich an Bord bleibe. Die Matrosen, deren Gewinn von der Anzahl der gefangenen Fische abhing, hielten dies für einen vortrefflichen Grund, mich in die See zu werfen, und wären nicht zwei Segel in Sicht gewesen, welche auf uns zusteuerten, so hatte ich wahrscheinlich nie mehr Gelegenheit gefunden, meine Abenteuer zu erzählen. Endlich aber vereinigten sie sich dahin, mich an Bord des Fahrzeugs zu setzen, welches französische Farben aufgehissen hatte. Es war von Havre und bereits auf dem Heimweg weil es schon zwölf Fische gefangen hatte. Der Kapitän ließ sichs gefallen, mich einzunehmen, und nach zwei Monaten war ich wieder in meinem Vaterlande angelangt.
Dies, durchlauchtige Hoheit, sind die abenteuerlichen Erlebnisse meiner dritten Reise.«
»Gut; die Geschichte von der Insel ist freilich ein bischen zu lang gewesen,« bemerkte der Pascha; »indeß ist gleichwohl viel Unterhaltendes darin vorgekommen. Mustapha, ich meine, sie sey dennoch zehn Goldstücke werth.«