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Am nächsten Abend stellte sich die Alte, ohne Schwierigkeit zu erheben, nahm ihren Sitz vor dem Pascha und fuhr folgendermaßen fort:
Ich habe am gestrigen Abend meine Erzählung bei der Periode abgebrochen, als ich eben bei dem Sultan in der höchsten Gunst stand und dessen Vertraute war. Er sprach oft mit mir von den ausgezeichneten Diensten eines jungen Seraskiers, welchen er letzter Zeit zum Kapudan Pascha ernannt hatte, damit er im Norden gegen die barbarischen Slavonier oder Russen streite. Meine Neugier erwachte, und ich hätte gerne diesen Rustam von einem Krieger sehen mögen, denn seine Thaten und seine Siege gaben dem Sultan unaufhörlich Stoff zu Lobpreisungen. Eine georgische Sklavin, die vor meiner Ankunft die Favoritin gewesen und die mir meinen Sieg über sie nie verzeihen konnte, war ihm von dem Sultan als Compliment übermacht worden – eine seltene Auszeichnung, die ihn an dem nämlichen Tage zu Theil wurde, als ich meinen Gebieter um die Erlaubniß bat, in der Halle des Divans hinter dem Schirme bleiben zu dürfen, damit ich diesen berühmten und ausgezeichneten Mann sehen könne. Er war in der That eine herrliche Gestalt mit wunderschönem Gesichte und hatte ganz das Aeußere, wie ich mir nur einen Helden denken konnte. Während ich hinter dem Schirme hervor nach ihm hin sah, wandte er eben seinen Kopf von mir ab, und ich bemerkte zu meinem Erstaunen den rothen Flecken an seinem Hals, welcher mich mit einem Male belehrte, daß ich meinen längst verlornen Bruder gefunden hatte. Entzückt über diese glückliche Wendung, zog ich mich, sobald die Audienz vorüber war, zurück, und der Sultan kam nach meinem Zimmer, wo ich ihm die gemachte Entdeckung mittheilte. Der Sultan schien sich über diese Kunde zu freuen, schickte am andern Tage nach meinem Bruder, stellte einige Fragen über seine Abkunft und sein früheres Leben an ihn, wodurch er eine Bestätigung meiner Geschichte erhielt, überlud ihn mit neuen Ehren und entließ ihn. Ich war hocherfreut in meinem wieder aufgefundenen Bruder einen Mann entdeckt zu haben, welcher der Gunst des Sultans nicht unwürdig war, und betrachtete dies für einen äußerst glücklichen Umstand; aber wie blind sind die Sterblichen! Mein Bruder war die Ursache meiner Ungnade und meiner ewigen Trennung von dem Sultan. Ich habe Dir bereits mitgetheilt, o Pascha, daß die georgische Sklavin, welche meine Vorgängerin in der Gunst des Sultans gewesen, meinem Bruder zum Geschenke gemacht worden war. Dieses Weib, welches stets gegen mich Liebe heuchelte, war in Wahrheit meine bitterste Feindin. Sie war schön, verständig und gewann bald einen schrankenlosen Einfluß über meinen Bruder; aber dennoch liebte sie ihn nicht, denn sie lebte nur für die Befriedigung eines einzigen Gefühls – der Rache an mir. Mein Bruder hatte die Truppen so oft zum Siege geführt, daß er eine unbegrenzte Gewalt über sie übte. Durch ihre Einflüsterungen und seinen eigenen Ehrgeiz, der gleich dem meinigen maßlos war, gespornt, ließ er sich endlich bewegen, gegen seinen Herrn eine Verschwörung anzuzetteln, um denselben zu entthronen und an seiner Statt zu herrschen. Seinem neuen Weibe, der Georgierin, hatte er seine Pläne vertraut. Sie beschloß nun, die Gunst des Sultans wieder zu gewinnen und auf mein Verderben hin zu arbeiten, indem sie mich zur Mitwisserin des Complottes machte und dann die angezettelte Verschwörung an den Sultan verrieth. Sie machte meinem Bruder den Vorschlag, er solle mich von seiner Absicht unterrichten, da ich ihm wahrscheinlich Beihülfe leisten werde, weil ich mich nur wenig um den Sultan kümmere, und selbst im Falle, daß ich mich ihm nicht anschlösse, könne ihn mein Einfluß gegen den Zorn des Herrschers sicher stellen. Geraume Zeit weigerte er sich, derartigen Einflüsterungen Gehör zu geben; dann aber deutete sie darauf hin, daß ich, wenn der Anschlag entdeckt werde, als seine Schwester zuverlässig in sein Geschick verflochten werden würde; auch wisse sie wohl, ich habe die an mir verübte Bastonade nie vergeben und warte nur auf eine Gelegenheit, um mich zu rächen. Auf solche Vorstellungen hin entschloß er sich endlich, mich in sein Vertrauen zu ziehen. Es war meinem Bruder gestattet worden, mich zu besuchen, und er benützte die Gelegenheit, um mir seine Entwürfe zu entdecken. Ich fuhr entsetzt auf, machte ihn auf seinen Undank, seine Thorheit aufmerksam, und bat ihn flehentlichst, sein Vorhaben aufzugeben. Da er sich von meiner treuen Anhänglichkeit an den Sultan überzeugte, so schien er sich in meine Vorstellungen zu fügen; denn er bekannte sein Unrecht und versprach mir, von seinen verrätherischen Plänen abzustehen. Ich hielt ihn für aufrichtig und vergoß Thränen der Freude und des Dankes, daß er meinen Bitten nachgegeben hatte. Wir trennten uns und ich dachte bald nicht mehr an die Sache.
Aber es fiel ihm nicht ein. von seinen Entwürfen abzustehen, da er sich schon zu weit eingelassen hatte, um es noch thun zu können. Seine Maßregeln nahmen einen raschen Fortgang, und sobald Alles zur Reife gediehen war, machte die Georgerin bei dem Sultan die Anzeige, indem sie sowohl mich, als meinen Bruder als Betheiligte verklagte.
Als ich eines Morgens in meinem Gemache saß und eben auf einer Platte ein Geschenk für meinen Herrn und Gebieter ordnete, wurde ich durch das plötzliche Eintreten des Kislar Aga und seiner Wachen überrascht, welche mich ohne weitere Erklärung ergriffen und nach dem Audienz-Saale führten, wo der Sultan und alle Staatsbeamten versammelt waren. Da fiel mir plötzlich ein, daß mein Bruder mich getäuscht haben könnte. Blaß vor Angst, aber gleichwohl entzückt, daß das Complott entdeckt worden war, trat ich in den Divan, wo ich meinen Bruder unter dem Gewahrsam der Palastwache erblickte. Man hatte sich im Divan seiner bemächtigt, denn seine Popularität war so groß, daß einige Minuten freier Zeit nicht nur zum Entrinnen, sondern auch zur Ausführung seiner verräterischen Pläne zugereicht haben würden. Er hatte die Arme auf der Brust gekreuzt und stand in so stolzer Haltung da, daß ich glaubte, er könne dennoch unschuldig seyn, und habe versprochenermaßen alle Gedanken an Rebellion aufgegeben.
Ich wandte mich an den Sultan, der mit zornig gerunzelter Stirne die Augen auf mich heftete und also begann:
»Zara, Dein Bruder ist des Hochverrats angeklagt und läugnet sein Verbrechen. Auch Du bist beschuldigt, als habest Du um seine Plane gewußt. Antworte mir, weißt Du etwas von seinen Anschlägen?«
Ich wußte nicht, wie ich aus diese Frage antworten sollte, und mochte doch auch keine Lüge sagen. Allerdings war mir etwas von seinen Entwürfen bekannt; da er aber die Anklage abgeläugnet hatte, so konnte man doch nicht von mir erwarten, daß er durch den Mund seiner einzigen Schwester verurtheilt werden sollte. Vielleicht hatte er sein Versprechen gehalten und war von dem Complotte abgestanden – vielleicht konnte ihm auch nichts bewiesen werden. Meine Antwort wäre das Signal zu seinem Tode gewesen. Da ich also die verlangte Erwiederung nicht geben konnte, so sagte ich blos:
»Wenn mein Bruder schuldig erfunden wird, Empörung gegen seinen Herrn im Schilde geführt zu haben, so laßt ihn des Todes sterben. Ich, mein Gebieter, habe mich nie gegen Euch verschworen oder an einer Rebellion Theil genommen.«
»Antworte mir auf meine Frage, Zara. Weißt Du etwas von diesem Complotte? Ja oder nein. Sage nein, und ich werde dir Glauben schenken.«
»Eure Sklavin hat nie gegen ihren Herrn complottirt,« versetzte ich. »Weiter kann ich auf Eure Frage nicht antworten.«
»Dann ist es wahr – und Zara – sogar Zara ist falsch,« rief der Sultan im tiefsten Schmerze seine Hände zusammenschlagend. »O wo kann ein Mann in meiner Lage ein treues und zuverlässiges Wesen finden, wenn Zara – sogar Zara falsch ist!«
»Nein, nein, mein hoher Gebieter,« rief ich in Thränen ausbrechend. »Zara ist treu – ist stets treu gewesen, und wird es immer seyn. Dieß kann ich kühn beantworten, aber beharrt nicht auf der andern Frage.«
Der Sultan sah mich eine Weile an und berieth sich sodann mit den Vezieren und den Uebrigen, welche mit gekreuzten Armen um den Thron her standen. Der Großvezier ergriff nun das Wort:
»Diejenigen, welche von Hochverrath Kunde haben und ihn verbergen, sind Teilnehmer des Verbrechers.«
»Wahr – sehr wahr. Zara zum letztenmale frage ich Dich was weißt Du von der beabsichtigten Empörung? Treibe nicht länger Dein Spiel mit mir: eine einfache Antwort, oder – –«
»Ich kann diese Frage nicht beantworten, mein Gebieter.«
»Zara, so lieb Dir Dein Leben ist, rede augenblicklich,« rief der Sultan heftig. Aber ich schwieg.
Noch zwei Mal ließ sich der Sultan durch seine Nachsicht und Liebe bewegen, die Frage zu wiederholen: doch ich blieb stumm.
Er winkte mit der Hand, ich wurde von den Stummen ergriffen, und die seidene Schnur schlang sich um meinen Hals. Alles war bereit; sie erwarteten nur das letzte Signal, um den verhängnißvollen Knoten zusammen zu ziehen.
»Noch einmal, Zara – willst Du mir antworten, oder Dein eigenes Verderben von mir ertrotzen?«
»Sultan, ich will wenigstens zu Euch sprechen, ehe ich sterbe. Ich wünsche nur, Euch in meinen letzten Augenblicken meine Treue und meine Liebe zu erklären – Euch zu sagen, daß ich Euch vergebe, was Ihr Euch selbst nie verzeihen würdet, wenn Ihr die Wahrheit wüßtet. Nur noch einen Augenblick. Laßt mich diese Juwelenkette von meinem Halse nehmen, über der jetzt die seidene Schnur liegt. Ihr habt mir sie zum Geschenk gemacht, als Ihr fest überzeugt waret von meiner Anhänglichkeit und Liebe – nehmt sie zurück, Sultan, und wenn Ihr ein Wesen findet, das so wahr und treu ist, wie ich, so macht sie ihm zum Geschenke. Bis dahin aber tragt sie zu Zaras Andenken. Und nun laßt mich meinen Schleier werfen über dieses Angesicht, das stets mit Liebe und Entzücken an Euch hing. Wenn ich todt bin, mögt Ihr Euch desselben erinnern, wie es sonst zu seyn pflegte, nicht aber geschwärzt und verzerrt von den Convulsionen des Todeskampfes. Mein Herr, mein theurer geehrter Gebieter, lebt wohl!«
Der Sultan war tief ergriffen; er wandte das Gesicht ab und bedeckte es mit der einen Hand, während im Uebermaß der Gefühle die andere an seiner Seite niedersank.
Obgleich der Sultan dies nicht beabsichtigt hatte, wurde doch das Fallen der Hand als das Signal zu meinem Tode betrachtet. Die Stummen zogen die Schnur an, welche tief in das Fleisch meines Halses einschnitt, der einmal so weiß und glatt, wie der polirte Marmor von Patras gewesen war. Die ersten Augenblicke war der Schmerz furchtbar; meine Augen quollen aus ihren Höhlen hervor, meine Zunge drängte sich aus dem Munde, mein Gehirn schien nur eine Glut zu seyn – aber bald schwand alles Bewußtseyn.«
»Stafur Allah! Gott verzeih mir! Aber lachst Du uns nicht in die Bärte, Du alte Vogelscheuche? Was meinst Du, Mustapha?« fuhr der Pascha fort, sich an den Vezier wendend. »Sind das nicht lauter Lügen?«
»Lügen?« kreischte die Alte. »Lügen! Du sagst mir, es seyen Lügen! Nun ja – es hat eine Zeit gegeben. Pascha, nach dem was ich gelitten habe, weil ich mein ganzes Leben über die Wahrheit sagte, ist es hart, wenn ich in meinem hohen Alter der Lüge bezüchtigt werde. Aber Du sollst Dich selbst überzeugen.«
Die Alte legte nun ihre Hand an die runzelige, welke Haut ihres Halses, strich sie glatt und deutete auf eine tief blaue Marke, welche wie ein Halsband herum lief.
»Bist Du jetzt zufrieden?«
Der Pascha nickte Mustapha zu, als ob er sich überzeugt hätte und sagte sodann:
»Du magst fortfahren.«
»Ja, ich will fortfahren, muß Dir aber zugleich bemerken, Pascha, wenn Du je wieder eines meiner Worte bezweifelst, so werde ich Dir Deine zwanzig Goldstücke zurückgeben und keine Sylbe mehr über meine Lippen lassen. Ich habe in meiner Jugend bewiesen, daß ich schweigen kann, und wir werden mit dem Alter nur um so hartnäckiger.«
»Das ist keine Lüge,« bemerkte Mustapha. »Erzähle weiter. Alte, und wir wollen Dich nicht wieder durch Zweifel unterbrechen.«
Mein Bruder, der jede Bewegung des Sultans beobachtet hatte und entschlossen war, lieber Alles zu enthüllen, als mich leiden zu lassen, stieß, sobald er, freilich einen Augenblick zu spät, den verhängnißvollen Irrthum bemerkte, einen lauten Schrei aus und versuchte, sich von seinen Wachen loszureißen. Durch den Ruf geweckt, blickte der Sultan auf und sah, was vorgefallen war. In demselben Augenblicke stürzte er von seinem Throne herunter und kniete unter wilden Ausrufen an meiner Seite nieder. Die Stummen rissen hastig die Schnur weg, aber ich war dem Anscheine nach todt.
»Ja, Sultan, Du darfst wohl rasen,« rief mein Bruder, »denn Du hast guten Grund dazu. Du hast ein Wesen zerstört, das, wie sie mit ihrem letzten Athemzuge betheuerte, stets wahr und treu gegen Dich war. Ich gestehe mein Complott ein. Ich habe ihr meine Absicht mitgetheilt, und sie meinte, es sey ihr gelungen, mich davon abzubringen, denn ich versprach ihr's bei den Dreien, meinen Plan aufzugeben. Sie ist gegen Dich und mich treu gewesen, denn sie glaubte, obschon ich angeklagt wäre, habe ich meinen Fehler durch Reue gebüßt.«
Der Sultan sah finster nach meinem Bruder hin, gab aber keine Antwort. Das eine Mal umarmte er mich mit Thränen, das nächste Mal rief er Hilfe herzu. Ich wurde nach meinem Gemache gebracht, und es gelang den Aerzten endlich, mich wieder ins Leben zu rufen; aber ich war viele Tage wirr und schwindlich – ein Zustand, in welchem alle Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf mich verwendet wurde. Eines Abends fühlte ich mich hinreichend hergestellt, um sprechen zu können, und fragte daher meine Wärterin, was vorgefallen sey. Sie theilte mir mit, der Sultan habe die Stummen, welche das Signal mißverstanden, spießen lassen; die Janitscharen hätten sich erhoben und die Auslieferung meines Bruders verlangt, dessen Hinrichtung verschoben worden sey; während des Aufruhrs aber habe der Großvezier Befehl ertheilt, meinen Bruder zu enthaupten und den abgeschlagenen Kopf den rebellischen Truppen hinauszuwerfen. Diese hatten sich sodann zerstreut und waren allmählig zur Unterwerfung gebracht worden; indeß habe doch der Aufstand die Hinrichtung von einigen hundert Rädelsführern zur Folge gehabt. Ich wandte mich bei dieser Kunde ab, denn ich liebte meinen edeln, aber irre geleiteten Bruder; die Bewegung verursachte mir jedoch einen peinlichen Schmerz, welcher von der tiefen Quetschung herrührte, die die Schnur an meinem Halse zurückgelassen hatte.
Am andern Morgen stand ich auf, um mich im Spiegel zu betrachten, und bemerkte nun mit einemmale die vorgegangene Veränderung. In meinem Gesichte sprach sich eine gewisse Verzerrung aus, die, wie ich dachte, nimmer vergehen konnte. Der Sultan mochte mich vielleicht achten, aber ich fühlte, daß ich nicht mehr denselben Einfluß, die frühere ungetheilte Aufmerksamkeit erwecken konnte. Mit schwerem Herzen warf ich mich auf ein Ruhebette und machte Pläne für die Zukunft. Ich überlegte, wie unsicher die Bande seyen, durch welche sich die Zuneigung eines Despoten fesseln läßt, und beschloß, sie ganz und gar zu lösen. Ich liebte ihn zwar noch, liebte ihn trotz aller seiner Grausamkeit – aber mein Entschluß stand fest. Sechs Wochen weigerte ich mich, den Sultan zu sehen, obschon er jeden Tag nach mir fragte und mir prächtige Geschenke übermachte. Nach Ablauf dieser Zeit war ich wieder genesen und von der seidenen Schnur nichts weiter zurückgeblieben, als eine leichte Hautfalte und die tiefe blaue Marke um meinen Hals, die ich Dir, o Pascha, eben erst gezeigt habe. Als der Sultan das erste Mal vor mir erschien, war er sehr ergriffen.
»Zara,« sagte er traurig, »ich schwöre Dir beim heiligen Propheten, daß ich kein Signal geben wollte.«
»Ich glaube Euch, mein Gebieter,« versetzte ich ruhig.
»Auch lag es nicht in meiner Absicht, Deinen Bruder hinrichten zu lassen, denn ich wollte mir durch seine Begnadigung Deine Geneigtheit wieder gewinnen.«
»Er war ein Verräther, mein Gebieter, ein undankbarer Verräther und verdiente den Tod. Mögen alle wie er zu Grunde gehen!«
»Und nun, Zara, darf ich auf Deine Verzeihung hoffen?«
»Unter einer Bedingung, Sultan. Schwört mir, daß Ihr genehmigen wollt, was ich verlange.«
»Ich schwöre es bei Allah!«
»Mein Wunsch ist, daß Ihr mich wieder in mein Vaterland zurückschickt.«
Pascha, ich will Dich nicht allzulange mit dem behelligen, was nun vorging, und mich mit der Andeutung begnügen, daß ungeachtet der Bitten des Sultans und der Einflüsterungen meines eigenen Herzens mein Entschluß unabänderlich fest stand. Es wurden alle Vorbereitungen für meine Reise getroffen, und während dies geschah, war der Sultan unaufhörlich bei mir, um mir den Gedanken wieder auszureden. Er überhäufte mich mit kostbaren Geschenken, damit ich reich und mit Ehren in meiner Heimath wieder anlangen möge, und die Großmuth und Freigebigkeit, die er hiebei an den Tag legte, machten mich mehr als einmal in meinem Vorhaben wankend. Den Abend vor meiner Abreise kam es noch zu einem letzten Versuche, der jedoch abermals fehlschlug. Ich milderte übrigens meine Weigerung durch die Thränen, die ich vergoß, denn da nunmehr die Zeit meines Aufbruchs so nahe war, fühlte ich erst recht, wie treu und innig ich ihn geliebt hatte. Wir trennten uns. Ich warf mich auf mein Lager, und der Tag, der mich zum Beginn meiner Reise rief, fand mich noch in Thränen.
Dem gewöhnlichen Landesbrauche gemäß fiel nach der Hinrichtung alles Eigenthum meines Bruders an den Sultan, der es unter seine Günstlinge auftheilte. Der neue Capudan Pascha, welcher meinem Bruder folgte, hieß Abdallah und galt für einen vortrefflichen Soldaten. Ein Theil der Habe meines Bruders ging auf ihn über, darunter auch die georgische Sklavin, welche ihn zu Grunde gerichtet und mein Glück so verhängnisvoll zerstört hatte. Um mir jede Aufmerksamkeit und Achtung zu erweisen, hatte der Sultan befohlen, daß mich Abdallah in Person mit einem auserlesenen Reiterhaufen nach meinem Lande geleiten solle. Der Zug war großartig – Schätze wurden auf Schätze, Geschenke auf Geschenke gehäuft. Zwanzig Weiber aus meinem eigenen Lande und zahlreiche Sklaven hatten mich begleiten dürfen, und die Procession glich einem Prunkzuge. Mit schmerzendem Herzen stieg ich in meine Sänfte und langte in leichten Tagreisen endlich in meinem Geburtslande an. Die Grenze wurde überschritten und Abdallah bat mich, ihm ein Zeugniß zu schreiben, daß er seine Pflicht erfüllt habe, weil der Sultan nach seiner Rückkehr die Vorweisung eines derartigen Dokumentes verlangen werde. Ich entsprach seinem Wunsche. Er wünschte mir für die Zukunft alles Glück, sammelte seine Truppen, und die Köpfe der wiehernden Rosse wandten sich der Stadt zu, wo in der Wahrheit mein Herz zurückgeblieben war.
Es wird jetzt nöthig seyn, auf die georgische Sklavin zurückzukommen, welche vom Sultan meinem Bruder zum Geschenke gemacht worden und später an Abdallah übergegangen war. Als sie hörte, daß ich mit Geschenken beladen in meine Heimath zurückkehren dürfe, kannte ihre Wuth keine Grenzen mehr. Schon hatten ihre Talente und ihre Schönheit großen Eindruck aus Abdallah gemacht, und sie wußte ihn bald für ein Complott zu gewinnen, das ihm vorteilhaft werden mußte und zu gleicher Zeit mich, welcher er mißtraute, in ihre Gewalt brachte. Sie machte Abdallah den Vorschlag, er solle, nachdem er mich an die Grenze begleitet, mir das von dem Sultan gewünschte Zeugniß abverlangen, dann aber meiner kleinen Bedeckung folgen, sie in Stücke hauen, sich meiner und aller meiner Schätze bemächtigen und mit mir nach Konstantinopel zurückkehren, wo er mich in seinem Harem einmauern könne. Abdallahs Habsucht war nicht im Stande, der Versuchung zu widerstehen, und willigte in den Vorschlag, weil er wußte, daß bei der schändlichen That keine Entdeckung zu befürchten stand. Am zweiten Abende, nachdem wir uns von Abdallah getrennt hatten, galoppirte ein Reiterhaufen auf uns zu, der alle meine Begleiter, Männer und Weiber, niedermachte. Ich wurde ergriffen, in einen Sack gesteckt und auf ein Pferd geworfen. Sobald meine Schätze gesammelt waren, ritten die Räuber in gestrecktem Galopp von hinnen. Beim nächsten Haltmachen war ich fast todt, und als ich aus meiner peinlichen Lage erlöst wurde, brach ich ohnmächtig zusammen.
Abdallah hatte mein Gesicht nie gesehen, und die Soldaten meldeten mich als todt – eine Kunde, über die er froh war, da er nur seinem Weibe zu Gefallen das Versprechen gegeben hatte, mich zurück zu bringen. Er begab sich nun nach der Stelle, wo ich lag und verliebte sich trotz meines kläglichen Zustandes in meine Schönheit. Sein Herz erkannte an, daß ich der wertvollste Theil seiner ganzen Beute sey. Alle Sorgfalt und Aufmerksamkeit wurde auf mich verwendet. Er machte mehrere Stunden Halt, damit ich mich wieder erholen konnte; dann aber wurde ich in eine kleine Sänfte gebracht, und unsere Reise begann von Neuem. Er gab sich alle Mühe, meine Gunst zu gewinnen. Anfangs wies ich ihn mit Verachtung von mir; aber als er mir mittheilte, die georgische Sklavin habe ihn zu der That verleitet und ihn aufgefordert, mich zurückzubringen, dachte ich nur noch aus Rache, da ich mir wohl denken konnte, was sie mit mir vorhatte. Ich that dergleichen, als sey ich ihm weniger abgeneigt, und ehe unsere Reise vorüber war, hatte ich ihn ganz in meine Bande verstrickt. Endlich langten unsere müden Rosse in Stambul an. Wir erwarteten in der Vorstadt die Nacht, um durch unsern Zug keine Aufmerksamkeit zu erregen, und begaben uns nach dem Hause Abdallahs, wo ich abermals in einem Harem eingeführt wurde. Sobald die georgische Sklavin von unserer Ankunft unterrichtet war, eilte sie mir entgegen, nahm ihren Pantoffel ab und schlug mich verächtlich mit solcher Gewalt auf den Mund, daß das Blut nachfloß.
»Jetzt ist der Tag mein, Sultana,« rief sie, »und Du sollst wieder die Bastonade erhalten. Ja und abermals soll Dir die Schnur um den stolzen Nacken gelegt werden. Dann aber wirksamer als das erste Mal.«
Sie befahl sodann ihren Sklavinnen, mich zu entkleiden und mir den schlechtesten Anzug anzulegen. Nachdem dies geschehen war, spie sie mir ins Gesicht und schoß fort, ohne ein weiteres Wort zu sprechen; aber die Blitze ihrer Augen bekundeten die wilden Leidenschaften, die in ihrem Innern tobten.
Mittlerweile war Abdallah nach dem Palaste gegangen, um dem Sultan das Dokument meiner wohlbehaltenen Ankunft zu überbringen, und kehrte, nachdem er sich dieses Geschäftes entledigt hatte, wieder nach seinem Hause zurück. In dem Harem angelangt, fragte er, statt die georgische Sklavin zu besuchen, welche sich für seinen Empfang vorbereitet hatte, zuerst bei den erstaunten Weibern, in welchem Gemach ich untergebracht sey. Sie antworteten nur mit Stocken und theilten ihm endlich den Sachbestand mit. Er kam zu mir und fand mich in den Anzug einer Sklavin gehüllt, während mein Gesicht noch immer mit Blut bedeckt war. Als ich ihm erzählte, welche Behandlung ich erlitten und wie mir mit der Bastonade und der Schnur gedroht worden sey, kannte seine Wuth keine Grenzen. Er befahl allen seinen Frauen, mich zu bedienen, und verließ mich, damit ich meinen frühern Anzug wieder aufnehmen könne, drückte aber zuvor noch seine Hoffnung aus, daß ich ihm erlauben werde, diesen Abend bei mir zu speisen. Mein Verlangen nach Rache bewog mich, seinem Gesuche zu willfahren, und er verließ den Harem, um nach den Schätzen zu sehen, deren ich beraubt worden war.
Inzwischen hatten die andern Frauen der georgischen Sklavin alles Vorgefallene mitgetheilt, und sie gerieth ganz außer sich über die Kunde. Da ich mich vor ihr fürchtete, so hielt ich meine Thüre verschlossen, bis Abdallah wieder zurückkam, der mich fragen ließ ob ich ihn jetzt empfangen wolle. Er wurde eingelassen und drückte abermals seine Entrüstung über das Benehmen meiner Nebenbuhlerin aus, indem er sich zugleich erbot, mir den ersten Beweis seiner Liebe darin zu geben, daß er sie meiner Rache überließ. Ich hatte keine Zeit, zu antworten, als die Thüre aufflog, die Georgerin hereinstürzte und ihren Dolch gegen mein Herz zückte. Abdallah hatte Mühe, den Stoß abzuwenden; die Waffe fuhr durch seinen linken Arm, während er das wahnsinnige Weib mit seiner Rechten zu Boden schleuderte. Blaß vor Wuth und Schmerz rief er seine Leute herein.
»Sie hat Dir mit der Bastonade und der Schnur gedroht, Zara,« sagte er, »und sich damit selbst ihr Urtheil gesprochen.«
Seinem Befehle gemäß wurden ihr die Pantoffeln von den Füßen gerissen, und sie erhielt fünfzig Bastonadenstreiche. Vor Schmerz schrie sie laut hinaus und erhob ihre Hände um Erbarmen: aber nun wurde ein Stummer hereingerufen und ihr die Schnur angelegt. Meine Rache war mehr als befriedigt, und ich bedeckte meine Augen, um nicht Zeugin des schrecklichen Anblicks zu seyn. Als ich meine Hände wieder sinken ließ, fand ich nur noch Abdallah im Zimmer, und meine Nebenbuhlerin lag als schwarze Leiche auf dem Boden.
Ich blieb drei Jahre in Abdallah's Harem und fügte mich in mein Schicksal, wenn ich auch nicht glücklich war. Er hegte eine innige Zuneigung zu mir, und wenn ich auch seine Liebe nicht erwiedern konnte, ließ ich es doch nicht an Dankbarkeit fehlen. Endlich brach ein zweiter Krieg zwischen den Türken und Russen aus. Abdallah erhielt den Befehl, sich an die Spitze der Truppen zu stellen und die Eindringlinge nach ihren Regionen des Frostes und Schnees zurückzutreiben. Nach der Sitte der türkischen Befehlshaber mußte ihn sein ganzer Harem begleiten, und nachdem wir bald als Verfolger, bald auf dem Rückzüge, von Gebiet zu Gebiet gewandert waren, wurden wir in der Festung Ismael eingeschlossen, die unsre Leute bis aufs Aeußerste vertheidigen sollten.
Ich will Dich nicht mit den Einzelnheiten, die nun vorfielen, ermüden, o Pascha, sondern beschränke mich auf die Angabe, daß die Stadt endlich unter schrecklichem Blutvergießen im Sturme genommen wurde, nachdem sie zuvor durch die Bomben, welche wenigstens hundert Mal eine Feuersbrunst zur Folge hatten, fast in Asche gelegt worden war. Wir saßen in unsern Gemächern und hörten mit Entsetzen auf das wechselnde Jubeln und Weheklagen. Die Bomben krachten, die Kugeln sausten; schrecklich tönte das Geschrei der Verwundeten und wild brausten die Flammen, welche nun in ihrer Wuth die ganze Stadt verzehrten. Endlich wurde unsre Thüre gesprengt, und die Feinde brachen herein. Wir kreischten und wollten fliehen, aber vergeblich. Was aus den Uebrigen ward, weiß ich nicht; ich aber wurde über die Todten und Sterbenden durch Rauch und Flammen weggeschleppt, bis ich vor Angst und Erschöpfung das Bewußtseyn verlor. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einer Hütte auf einem kleinen Bette, und neben mir befanden sich zwei bärtige Ungeheuer, die, wie ich nachher erfuhr, Kosacken waren. Sie rieben mir, ohne die mindeste Rücksicht auf den Anstand, mit ihren rauhen Händen die Glieder, und sobald ich meine Augen öffnete, goß mir einer derselben ein wenig Branntwein ein. Dann hüllten sie mich in einen Roßteppich und verließen mich, damit ich Zeit fände, über mein Unglück nachzudenken.
Noch am nämlichen Abend entdeckte ich, daß ich durch das Geschick des Krieges das Eigenthum eines russischen Generals geworden war, welcher keine Zeit hatte, sich mit Liebeleien abzugeben, und es daher für natürlich hielt, daß es in solchen Dingen keiner Umstände bedürfe. Er war übrigens ein schöner Mann und edelmüthig, wenn er nicht gerade die Einwirkungen des Branntweins spürte, obschon die Bivouacs selbst für einen General durchaus nichts mit dem Luxus gemein hatten, an den ich gewöhnt war. Ich erhielt schlechte Kost und eine noch schlechtere Wohnung. Unglücklicher Weise mußte sich's treffen, daß mein Beschützer, wie alle Russen, ein großer Spieler war, und eines Morgens trat ein junger schöner Offizier zu mir in's Zelt, dem mich der General ohne Umstände übermachte. Meine Schönheit war im Lager bekannt geworden; der russische General hatte Abends zuvor all' sein Geld verloren und setzte daher mich gegen tausend Zecchinen, ohne jedoch dadurch sein schlimmes Glück zum Umschlagen zu bringen. Mein neuer Herr war ein sorgloser, schöner Jüngling – ein Obrist in der Armee, und ich hätte ihn lieben können, wenn mir Zeit dazu geblieben wäre; aber ich hatte mich kaum drei Wochen in seinem Zelte befunden, als ich schon wieder weggespielt und von einem Major gewonnen wurde. Noch ehe ich mir's in meinem neuen Aufenthalte bequem machen konnte, wurde ich schon wieder eingesetzt und verloren. Kurz ich kam während jenes Feldzugs bei vierzig oder fünfzig russischen Offizieren herum. Dies, die Erschöpfung des Marsches, die schlechten Lebensmittel und die stete körperliche und geistige Unruhe beeinträchtigten mein gutes Aussehen dermaßen, daß ich zuletzt statt der tausend nur noch zu zweihundert Zecchinen angeschlagen wurde. Ich kann Dir versichern, Pascha, daß es kein Spaß ist, in dieser Weise durch ein russisches Lager zu kommen – dahin und dorthin geworfen zu werden, wie ein Beutel Geld, der aus der Hand des Einem in die des Andern geht! Noch ehe der Feldzug vorüber war, hatte ich die Russen völlig satt bekommen, und ich wünschte nur, die türkische Armee möchte sie bis auf den letzten Mann vertilgen und mich wieder in einen Harem bringen. Damals beklagte ich zum ersten Mal mein und des Sultans hartes Geschick, und während ich über meine Lage nachdachte, kamen mir zum ersten Male die Worte über die Lippe: »die Zeit ist gewesen.«
Endlich erhielt das Heer Befehl zum Rückmarsch. Ich war damals das Eigenthum eines Kosacken, der mich auf einen Gaul setzte und mich in gleicher Geschwindigkeit mit seiner Schwadron hielt, indem er das Thier mit seinem langen Speere vor sich hertrieb und es bald in die Hanken stach, bald Spaßes halber mit der Lanzenspitze mich verwundete. Ich war jedoch kaum zehn Tage auf dem Rückzug gewesen, als er mich sammt Gaul, Zügel und Sattel an einen Infanterie-Offizier verkaufte, der mich ohne Weiteres absteigen hieß, selbst aufsaß und mir befahl, mich an dem Schwanze des Thieres zu halten und ihm zu folgen. Im Quartier mußte ich ihm aufwarten und Alles thun, was er verlangte. Morgens stieg er wieder auf, und ich mußte wie zuvor zu Fuß nachfolgen. Dieß war ein schwerer Dienst für eine vormalige Favoritin des Sultans. Eine Woche lang gelang es mir, hinter ihm drein zu holpern, aber länger konnte ich's nicht treiben. Wir kamen durch eine Stadt, und sobald wir die Thore im Rücken hatten, ersah ich einen unbewachten Augenblick, um den Schwanz des Pferdes loszulassen und mich zu flüchten. Ich kam, halb ohnmächtig vor Hunger und Erschöpfung, nach der Stadt zurück und setzte mich auf die Treppe eines großen Hauses nieder. Eine reich mit Zobelpelz gekleidete Frau kam heraus, blieb, als sie meinen fremden Anzug bemerkte, stehen und fragte mich, wer ich sey. Ich antwortete ihr in kurzen Worten, worauf sie Befehl ertheilte, mich aufzunehmen und für mich Sorge zu tragen. Einige Tage nachher beschied sie mich vor, und ich erzählte ihr meine Geschichte. Sie war sehr gütig und edelmüthig; ich wurde ihre erste Dienerin, fühlte mich glücklich in meiner Lage und hoffte in ihrem Dienste zu sterben. Aber mein Unglück war noch nicht zur Hälfte vorüber. Meine Gebieterin war eine reiche Dame von Rang und stand in hoher Achtung. Sie machte ein großes Haus, gab glänzende Unterhaltungen und hatte stets viel Gesellschaft um sich. Ihren Gatten hatte sie vor ungefähr zwei Jahren verloren; indeß war sie noch immer sehr jung und ungemein schön. Eines Abends, als sie eben eine große Gesellschaft bei sich versammelt hatte, ging die Thüre auf, und ein Offizier trat herein, der ihr etwas in's Ohr flüsterte. Sie erröthete, zitterte und sagte, sie werde in einer Stunde bereit seyn. Ich befand mich in ihrer Nähe. Sie winkte mir, eilte auf ihr Zimmer und brach in einen Strom von Thränen aus.
»Ich bin des Hochverrats angeklagt und habe Befehl erhalten, mich unverweilt nach Petersburg zu begeben. Mein Gewissen sagt mir zwar, daß ich nichts verbrochen habe; aber leider kennt der Kaiser kein Erbarmen. Ekaterina«, denn dies war der Name, welcher mir beigelegt wurde, »willst du mich begleiten? – Es wird eine lange traurige Reise seyn, und nur Gott weiß, wie sie enden mag.«
Ich willigte augenblicklich ein und packte zusammen, was wir brauchten. So gelangten wir, ohne die anwesenden Gäste zu stören, nach dem Hofe und setzten uns mit dem Offizier in eine Britschke. Vier Tage nachher langten wir zu Petersburg an, wo meine Gebieterin von mir getrennt und in ein Gefängniß geworfen wurde. Ihre Ankläger oder Richter bekam sie nie zu Gesichte. Ihr Schreiben an den Kaiser blieb unbeachtet, und sie wurde für schuldig erklärt, obschon man über ihre Strafe nicht sogleich einig werden konnte.
Meine Gebieterin blieb drei Wochen im Gefängnisse. Der Menschlichkeit des Offiziers, welcher mit ihrer Bewachung beauftragt war, hatte ich es zu danken, daß ich sie jeden Tag auf einige Minuten besuchen durfte, obschon stets eine dritte Person dabei zu gegen seyn mußte. Eines Morgens fiel mir die arme Dame um den Hals und schluchzte eine Weile ohne zu sprechen. Das Gesicht des Offiziers war gleichfalls traurig, und ich bemerkte, daß hin und wieder eine Thräne über seine männliche Wange niederträufelte.
»Ekaterina,« sagte sie endlich, »ich habe mein Urtheil vernommen und soll morgen der Strafe unterworfen werden. O Gott, vergib ihnen ihre Grausamkeit und ihre Ungerechtigkeit.«
Dann sank sie aus meinen Armen auf den Boden des Kerkers nieder. Wir richteten sie auf und sie erholte sich ein wenig.
»Ja, Ekaterina, ich soll morgen für ein Verbrechen gestraft werden, an dem ich keine Schuld habe – barmherziger Gott! – und eine Züchtigung erleiden, die schlimmer als der Tod ist. Die Knute – die Knute – und dieß noch obendrein auf offenem Marktplatze. Möge Gott dem Kaiser seine Grausamkeit vergeben!«
Ich hatte schon von dieser furchtbaren Strafe gehört, ohne jedoch zu wissen, daß sie auch an Frauen vollzogen wurde, da sie allzu barbarisch ist.
»Mir ist noch nie etwas davon zu Ohren gekommen,« bemerkte der Pascha. »Sprich Alte, ist sie schlimmer als die Bastonade?«
»Ja, Pascha. Sie ist eine Peitsche von so ungeheurer Kraft, daß der Knutenmeister, wenn er besondern Befehl dafür hat, den unglücklichen Verurtheilten durch zwei oder drei Hiebe tödten kann. Du wirst aber die Art dieser Züchtigung besser begreifen, wenn ich Dir schildere, was ich mit eigenen Augen angesehen habe.«
Meine theure Gebieterin bat mich, ich möchte ihr den Gefallen erweisen, sie nach dem Strafplatze zu begleiten und ich willigte ein. Das arme Geschöpf! Sie sowohl, als ich – wir beide hatten nur eine unvollkommene Vorstellung von dem, was stattfinden sollte. Die Strafe sollte auf dem Marktplatze vorgenommen werden; die Truppen waren angetreten, und eine große Menschenmasse hatte sich versammelt. Sie erschien auf der erhöhten Platform, wo das Urtheil an ihr vollstreckt werden sollte, in einem leichten Gewande, welches ihre ungemeine Schönheit nur noch mehr erhöhete, und ihr liebliches Antlitz gewann ihr das Mitleid sogar derjenigen, welche daran gewöhnt waren, die Machtgebote eines despotischen und grausamen Kaisers zu vollstrecken. Jung, lebhaft, bewundert, ausgesucht, von Jedermann geliebkost, hohen Ranges und reich an weltlichen Schätzen stand sie jetzt da, nicht länger ein Gegenstand der Aufmerksamkeit und Huldigung, welche ihren Talenten, ihrer Schönheit und ihrem Geiste gebührten, sondern nur von finstern Henkern umgeben. Erstaunt schaute sie dieselben an, als zweifle sie, ob derartige Vorbereitungen ihr gelten konnten. Einer der Schergen riß ihr einen Pelzkragen, der ihren Busen bedeckte, weg. Ihre Züchtigkeit entsetzte sich darüber; sie fuhr ein paar Schritte zurück, erblaßte und brach in Thränen aus. Dann wurde sie entkleidet, und in wenigen Augenblicken stand sie, den Blicken einer stumm zusehenden ungeheuren Menschenmenge ausgesetzt, bis auf den Gürtel nackt da. Einer der Henker ergriff sie an beiden Händen, drehte sie halb im Kreise, zog sie über seinen Rücken und beugte sich vorwärts, so daß ihre Füße einige Zolle von dem Boden abstanden. Der andere Scherge rückte sie nun mit seinen rauhen Händen, ohne eine Spur von Mitleiden blicken zu lassen, auf dem Rücken seines Kameraden zurecht, um die Unglückliche in eine Lage zu bringen, welche für die Vollziehung der Strafe am bequemsten war. Bisweilen drückte er seine breiten Hände roh auf ihren Kopf, um ihn nieder zuhalten; dann aber schien er sie wie ein Fleischer das Lamm zu streicheln, bis er sie in eine günstige Haltung gebracht hatte. Nun griff er nach der Knute, einer aus einem langen Lederstreifen bestehende Peitsche, trat einige Schritte zurück, maß mit stetigen Blicken die erforderliche Entfernung, schaute rückwärts und führte mit dem Ende der Peitsche einen Streich, so daß die Haut vom Halse an über den ganzen Rücken hinunter getrennt wurde. Dann stieß er mit den Füßen gegen den Boden und holte zu einem zweiten Streich aus, den er parallel mit dem ersten führte. So wurde in wenigen Minuten die ganze Rückenhaut der Unglücklichen in kleine Streifen zerschnitten, die großenteils an ihrem Hemde und ihren unteren Kleidern hängen blieben. Vor Entsetzen sank ich lange, ehe die Strafe vorüber war, in Ohnmacht. »Gütiger Himmel!« dachte ich; »die Bastonade und die seidene Schnur sind an mir in Anwendung gekommen, aber beide waren barmherzig, in Vergleichung mit dieser Züchtigung. Gibt es keinen Gott im Himmel, um eine solche despotische Grausamkeit zu strafen?«
Meine Gebieterin war nicht todt, und die Wundärzte erhielten Befehl, ihr alle Aufmerksamkeit zu schenken, um sie wieder herzustellen. Ich dachte, der Kaiser wolle hierdurch seine Barbarei wieder einigermaßen gut machen; aber Gott im Himmel! Sie wurde nur ins Leben gerufen, um noch grausamer behandelt zu werden. Sie hatte sich kaum so weit erholt, um die Strafe erstehen zu können, als man ihr die Zunge ausschnitt und sie sodann nach Sibirien verbannte.
So, o Pascha, wurde meine schöne Gebieterin auf einen bloßen Verdacht hin behandelt, denn schuldig war sie nie gewesen. Man hatte mir gestattet, sie vor ihrer letzten Züchtigung zu besuchen. Das arme Geschöpf meinte damals, der Zorn des Kaisers habe sich gelegt, und man werde ihr gestatten, wieder nach Hause zurückzukehren. Aber die Zunge ward ihr ausgeschnitten, ohne daß man ihr zuvor angedeutet hatte, welche zweite Strafe ihr bevorstand. Man ließ mich nachher nicht wieder vor, und ich sah nichts mehr von meiner schönen mißhandelten Gebieterin. Erst von dem Offiziere, der sie bewacht hatte, erhielt ich die grausame Kunde, und das Herz wollte mir brechen vor Gram und Unwillen, als ich nach meiner Wohnung zurückkam.
Ich hatte den Entschluß gefaßt, wo möglich aus einem Lande zu fliehen, wo den Weibern die Zungen ausgeschnitten werden, ohne jedoch zu wissen, wie ich es einleiten sollte. Ich hatte noch einiges Geld und werthvolle Gegenstände, die ich der Güte meiner Gebieterin verdankte, und erkundigte mich nach Mitteln, um nach Konstantinopel zu kommen, damit ich mich wieder des Glückes erfreuen könne, in einem civilisirten Lande zu wohnen. Endlich erbot sich ein Jude, welcher gehört hatte, daß ich nach dem Süden zu gehen wünschte, mich mitzunehmen, sobald der Schnee die Felder bedecke, und ich wurde mit ihm für fünfhundert Rubel einig. Vierzehn Tage später begann der Winter. Wir stiegen in eine Droschke und fuhren nach Moskau ab, von wo aus wir nach Konstantinopel gelangten. Bei meiner Ankunft las ich mein Gepäck aus, um die bedungene Summe bezahlen zu können; aber der alte Schurke entriß mir es und begrüßte mich noch obendrein mit einem Fußstoße, der mich fast getödtet hätte. Ich wurde in ein Zimmer eingeschlossen, und eine halbe Stunde nachher kam ein Sklavenhändler, an den ich für eine geringe Summe verkauft wurde. Der Mann nahm mich mit, ohne auf meine Klagen über die verübte Ungerechtigkeit zu achten. Meine Schönheit war jetzt dahin, denn ich war mehr als dreißig Jahre alt, und Drangsale hatten das Uebrige gethan.
Mein späteres Leben war nichts als eine Reihe von Wechseln und Ungemach. Ich wurde von einen Pastetenbäcker gekauft und mußte über dem Ofen braten. Ich zeigte mich hartnäckig und wurde dafür mit Schlägen bestraft, um die ich mich übrigens nicht kümmerte. Das Haus meines Gebieters brannte ab, und ich wurde an einen Barbier verkauft, dessen Weib ein Zankteufel war und mich fast unter die Erde brachte. Zum Glücke wurde gegen den Barbier die Anklage aufgebracht, daß er einen Verbrecher rasirt habe, der aus dem Gefängnisse entwischt sey, und eines Morgens lag er, den Kopf unter seinem Arme, hingestreckt vor seiner eigenen Thüre. Sein Weib und ich, wir beide wurden wieder als Sklaven verkauft.
So ging es mit jedem Jahre mehr abwärts. Man zahlte immer weniger und weniger für mich, und auch die Behandlung die ich erlitt, verschlimmerte sich mehr und mehr, bis ich zuletzt mit mehreren Andern an Bord eines Armeniers eingeschifft wurde, der nach Smyrna ging. Das Schiff ward von einem Algierer Piraten gekapert, und ich blieb geraume Zeit am Bord des Letzteren, um die Lebensmittel zu kochen. Endlich strandete der Corsar an dieser Küste. Wie ich entkam, weiß ich nicht, denn ich war des Lebens müde. Die Wellen warfen mich aus, und ich machte mich auf den Weg hieher, wo ich viele Jahre in Gesellschaft einer alten Elendsschwester lebte und Almosen bettelte. Sie starb ungefähr vor einem Jahre, und ich blieb allein in der ärmlichen Hütte zurück, um mein Daseyn durch Betteln zu fristen. Du hast jetzt meine Geschichte gehört, o Pascha, und ich denke, Du wirst einräumen, daß ich wohl zu sagen Ursache habe: »es ist eine Zeit gewesen.«
»Es war dein Kismet, Deine Bestimmung, gute Frau. Es ist nur Ein Gott, und Mahomed ist sein Prophet,« bemerkte der Pascha. »Du bist entlassen.«
»Und das Gold, durchlauchtige Hoheit?« flüsterte Mustapha.
»Laß sie's behalten. Ist sie nicht eine Sultana gewesen?« versetzte der Pascha mit einigem Gefühl.
Die Alte hatte ein scharfes Ohr, und da sie Mustapha's Frage hörte, so konnte sie sich leicht das Uebrige deuten. Auch die Antwort des Paschas hatte sie vernommen.
»Ich habe mich Deiner Güte erfreut, Pascha,« sagte sie, »und will daher, wenn du es gestattest, bevor ich scheide, Dir einen kleinen Rath ertheilen, der Dir von einigem Nutzen seyn kann; denn ich habe die Welt kennen gelernt und verstehe mich auf die Gesichter der Leute. Habe ich Deine Erlaubnis, o Pascha?«
»Sprich,« entgegnete der Pascha.
»So hüte Dich vor dem Mann, der an Deiner Seite sitzt, denn in seinem Gesichte liegt etwas, was mir sagt, er werde sich durch Deinen Fall erheben. Nimm Dich in Acht, Pascha!«
»Hexe von Jehanum!« rief Mustapha, indem er von seinem Sitze auffuhr.
Die Alte erhob ihren Finger und verließ den Divan.
Der Pascha sah Mustapha argwöhnisch an, denn er war von Natur zum Mißtrauen geneigt, und Mustapha's Züge trugen eben nicht das Gepräge der Unschuld.
»Schenkt mein Gebieter der lügenhaften Zunge eines alten Weibes Gehör?« sagte Mustapha, sich vor den Pascha niederwerfend, »hat sich Euer Sklave nicht treu erwiesen? Bin ich in Eurer Anwesenheit nicht wie Staub? Nehmt mein Leben, o Pascha, aber zweifelt nicht an der Treue Eures Sklaven.
Der Pascha schien befriedigt.
»Was ist Alles dieß als leeres Gerede?« sagte er, indem er sich erhob und den Divan verließ.
»Jawohl leeres Gerede!« murmelte Mustapha. »Die verwünschte alte Hexe! Ich weiß es besser – es ist keine Zeit zu verlieren, und ich muß mich beeilen. »Wann wird der Renegat von Stambul zurückkommen? Es ist Zeit.«
Und mit düsterem Gesichte entfernt sich Mustapha aus dem Gemache.