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»Mustapha, bemerkte der Pascha, indem er die Pfeife aus seinem Munde nahm, was ist wohl der Grund, daß die Dichter so viel von dem Buche des Schicksals sprechen?«
»Das Buch des Schicksals, durchlauchtige Hoheit, ist dasjenige, in welchem unser Talleh oder unsre Bestimmung aufgezeichnet ist. Kann ich mehr sagen?«
»Allah Acbar – Gott ist groß – und Du hast wohl gesprochen. Aber warum ein Buch, wenn es Niemand lesen kann?«
»Das sind große Worte, voll von der Würze der Weisheit. O Pascha sagte nicht Hafis: ›jeden Augenblick, dessen Du Dich erfreust, zähle für Gewinn?‹ Wer kann sagen, wie eine Sache enden wird!«
»Wallah thaib! Wohl gesprochen, bei Allah! Warum also ein Buch, wenn das Buch versiegelt ist?«
»Dennoch gibt es weise Männer, welche unser Kismet lesen und vorhersagen können.«
»Ja, sehr wahr; aber ich habe bemerkt, daß sie erst mit ihren Prophezeiungen kommen, nachdem die Ereignisse sich bereits zugetragen haben. Was sind unsre Astrologen? Nichts. – Ich habe es gesagt.«
Und der Pascha rauchte eine Weile schweigend seine Pfeife fort.
»Eure Hoheit halten zu Gnaden,« bemerkte Mustapha, »ich habe draußen einen Menschen, welcher sich darnach sehnt, vor Euer Angesicht zu kriechen; er kommt aus dem weit entlegenen Lande Kalhay – ein Ungläubiger mit zwei Schwänzen.«
»Mit zwei Schwänzen? War er ein Pascha in seinem eigenen Lande?«
»Ein Pascha? Kaffir Allah! – Gott verzeih' mir! Ein Hund – ein ganz erbärmlicher Hund – über meine Augen komme es; aber dennoch hat er zwei Schwänze.«
»So laß den Hund mit den zwei Schwänzen herein,« versetzte der Pascha. »Wir wollen es so.«
Zwei Wachen führten nun einen gelbhäutigen, magern, runzeligen, alten Chinesen herein. Seine Augen waren sehr klein und triefend, seine Wangenknochen hervorstechend, und von seiner Nase ließ sich nichts entdecken, als unten die beiden weit ausgedehnten Nasenlöcher, während sein ungeheuer weiter Mund tintenschwarze Zähne zur Schau stellte. Sobald die Wachen Halt machten, glitt er zwischen ihnen auf die Kniee nieder, warf seinen Leib vorwärts, stieß den Kopf neunmal in den Staub und blieb dann mit dem Gesichte auf dem Boden liegen.
»Laß den Hund mit zwei Schwänzen aufstehen,« sagte der Pascha.
Da der unterwürfige Chinese diesem Befehle nicht augenblicklich gehorchte, so ergriff jede der beiden Wachen, die neben ihm standen, einen seiner geflochtenen Zöpfe, die fast eine Elle lang waren, und zerrte dessen Kopf vom Boden in die Höhe. Der Chinese blieb dann mit gekreuzten Beinen sitzen und hielt die Augen demüthig auf den Boden geheftet.
»Wer bist Du Hund?« fragte der Pascha, dem die Unterwürfigkeit des Mannes wohl gefiel.
»Ich bin von Kathay und Dein schlechtester Sklave,« versetzte der Mann in gutem Türkisch. »In meinem eigenen Lande war ich ein Dichter. Das Geschick hat mich hieher geführt, und ich arbeite jetzt in den Gärten des Palastes.«
»Wenn Du ein Dichter bist, so mußt Du auch manche Geschichte erzählen können.«
»Euer Sklave hat sein Leben über schon Tausende erzahlt, denn dies ist seine Bestimmung gewesen.«
»Da Du aber von Bestimmung sprichst,« sagte Mustapha – »kannst Du Seiner Hoheit vielleicht eine Geschichte mittheilen, in welcher das Geschick vorausgesagt wurde und in Erfüllung ging? Wenn dies der Fall ist, so beginne.«
»O Vezier, es gibt in meinem Lande eine solche Geschichte, in welcher ein Schicksal vorausgesagt wurde und sich aufs Allerunglücklichste erfüllte.«
»Du magst fortfahren,« sagte Mustapha auf ein Zeichen von Seiten des Paschas.
Der Chinese steckte die Hand in die Brust seines blaubaumwollenen Hemdes und zog eine Art Instrument heraus, das aus der Schaale einer Schildkröte gefertigt war; über derselben waren drei oder vier Saiten ausgespannt, und er begann mit gedämpfter, eintöniger Stimme, welche zwischen Singen und Winseln die Mitte hielt, aber nicht ganz unmusikalisch war, seine Geschichte. Zuerst strich er jedoch sein Instrument und machte ein kurzes Vorspiel, das sich in einer Reihe falscher Noten vorstellen laßt, die etwa folgendermaßen lauteten:
Ti – tum, ti – tum, tilly – lilly, tilly – lilly, ti – tum, ti – tum, titty – lilly, tilly – lilly, ti – tum, ty.
Im Verlauf seiner Erzählung pflegte er dann, so oft er außer Athem war, Halt zu machen und einige Noten seiner barbarischen Musik anzustimmen.
Wer war leidenschaftlicher in seinem Wesen, wer mehr für die Liebe geschaffen, als der große Han Kong Tschu, in den himmlischen Archiven bekannt als der erhabene Youantee, der Bruder der Sonne und des Mondes? – Wessen Hof war so prachtvoll – wessen Heere waren so zahlreich – wessen Gebiete so ungeheuer, da sie nur die vier Meere zu Grenzen hatten, durch welche das ganze All eingeschlossen wird? Aber dennoch war ihm durch das Geschick bestimmt, unglücklich zu seyn, und ich beginne die wunderbare Geschichte von Han – von den Leiden des herrlichen Youantee.
Ti – tum, tilly – lilly – – –
Ja er fühlte, daß ihm noch etwas fehlte. Alle seine Macht, sein Reichthum und seine Würde konnten seiner Seele keine Freude geben. Er wandte sich ab von den Schriften des großen Fo und schloß das Buch. Ach! er seufzte nach einem zweiten Ich, um demselben sagen zu können – »Alles dies ist mein.« Sein Herz sehnte sich nach einer schönen Jungfrau, um sich vor ihr zu beugen. Ja, er, vor dem die ganze Welt im Staube lag, sehnte sich nach der Gefangenschaft der Liebe und seufzte nach Ketten. Aber wo war die Jungfrau aufzufinden, welche würdig gewesen wäre, dem Bruder der Sonne und des Mondes, dem großartigen Gebieter des Weltalls Fesseln anzulegen? Wo war sie aufzufinden?
Ti–tum, tilly, lilly, ti–tum, ty.
Ja, es gab Eine, aber nur eine Einzige, die würdig war, sich mit ihm zu gatten – würdig, die Königin zu seyn im Lande des ewigen Frühlings, das mit Bäumen gefüllt war, deren Stämme aus Gold, deren Zweige aus Silber, deren Blätter aus Smaragd und deren Früchte aus den würzigen Aepfeln der Unsterblichkeit bestanden. Und wo war dieser Mond – diese passende Braut für die Sonne? War sie nicht in Gram versenkt – begraben in den Brunnen ihrer eigenen Thränen sogar im Garten der Freude? Die Augen, welche ein Sonnenlicht verbreitet haben würden an einem Hofe von Fürsten, waren trübe von beharrlicher Sorge. Und wer anders war die Ursache dieser Finsterniß als der elende golddürstige Minister Suchong Polly-Hong Ka-te-tuh?
Ti–tum, tilly, lilly.
Die Mandarinen wurden von dem großen Youantee vorbeschieden, und der Hof in seiner ganzen Herrlichkeit beugte entzückt seine Köpfe in den Staub, als er dem Wunder von Hans Beredsamkeit zuhörte.
Hört mich, ihr ersten Mandarinen, ihr Edeln, Herren und Fürsten des Reiches – hört auf die Worte Youantees. Hat nicht jeder Vogel, der durch die Luft fliegt, immer eine Genossin seines Nestes? Ist nicht jedes Thier gepaart? Habt nicht ihr Alle Augen, welche nur für Euch leuchten? Bin ich denn so unglücklich groß, oder so groß unglücklich, daß ich mich nicht soll zur Liebe herablassen dürfen? Sogar der Bruder der Sonne und des Mondes kann während seiner Erdenlaufbahn nicht allein bestehen. Suchet daher durch das ganze All für Euern Herrn eine Jungfrau, damit auch ich gleich meinem Bruder, der Sonne, welche jede Nacht in den Schooß des Meeres sinkt, am Busen meiner Gefährtin ausruhen möge. Durchsucht, sage ich, durchsucht jede Ecke der Welt, damit ihre Schätze ausgegossen werden mögen zu unsern goldenen Füßen und ich einen einzigen Edelstein auslesen könne zu meinem vornehmlichen Schmucke. Aber zuerst, ihr weisen Männer und Astrologen, befragt die Planeten und die Sterne des Geschicks, damit sie uns belehren, ob nicht durch eine derartige Verbindung unserer himmlischen Person oder unserm grenzenlosen Reiche Schlimmes drohen könnte.«
Ti–tum, tilly, lilly, ti–tum ty. Wo ist der Stern, der nicht mit Entzücken aus seiner Bahn wiche, um den Wünschen des Bruders der Sonne und des Mondes zu gehorchen? Wo war der Planet, der sich nicht gefreut hätte, einem so nahen Verwandten Beistand zu leisten? Ja, sie alle hörten zu und beugten sich nieder zu den Astrolabien der Astrologen, gleich edlen Rossen, welche niederknien um ihre Reiter aufzunehmen. Aber wurde nicht ihr Glanz getrübt, als sie sich vereinigten, um ihr Licht auf das erforderliche Blatt des Geschicks zu werfen und beim Lesen bemerken mußten, daß es voll war von Thränen und daß die Freude nur wie eine Blase dahin schwamm? Die weisen Männer stutzten, als ihnen der Beschluß des Geschicks ausgehändigt wurde, und eröffneten dem herrlichen Youantee mit zur Erde gebeugten Gesichtern den Inhalt des geoffenbarten Blattes.
»Der Bruder der Sonne und des Mondes will sich vermählen. Schönheit soll niedergelegt werden zu den goldenen Füßen; aber die unbezahlbare Perle wird gefunden und verloren. Es wird Freude und Leid vorhanden seyn – Freude im Leben und Leid für beide in Leben und Tod; denn ein schwarzer Drache, der dem himmlischen Reiche feindlich ist, droht wie eine überhängende Wolke. Mehr dürfen die Sterne nicht enthüllen.«
Ti-tum tilly, lilly, ti-tum.
Hier sah der Pascha Mustapha an und nickte beifällig mit dem Kopfe als wollte er sagen' »jetzt gehts an.« Mustapha verbeugte sich und der chinesische Dichter fuhr fort.
Die goldenen Augen des großen Yonantee füllten sich mit silbernen Thränen, als das Blatt des Geschicks bekannt gemacht wurde; aber die Sonne der Hoffnung ging auf und trug den geheiligten Thau gen Himmel. Dann ließ er den Minister Suchong Polly-Hong Ka-te-tuh kommen, welchen die Geschichte mit ewiger Schande brandmarkt, und der Kaiser forderte ihn auf, durch das All, seine Besitzungen, zu reisen, die schönsten Jungfrauen aufzusuchen und sie beim nächsten Feste der Laternen vor die himmlischen Füße zu bringen. Aber ehe ihnen gestattet werden sollte, Liebesstrahlen zu senden durch den Nebel der Herrlichkeit, welcher den kaiserlichen Thron umgab, ehe ihr Zauber auf die Seele der Großmuth einen Versuch machen durfte, war es nöthig, daß ihre Portraits in der Halle dem Entzückens dem großen Youantee vorgelegt würden. Das heißt, aus den zwanzigtausend Jungfrauen, deren Bilder auf Elfenbein gemalt wurden, sollten von einem Geschmacks-Comité, welches aus Mandarinen erster Classe und Fürsten bestand, nur hundert ausgewählt werden, damit ihnen der Strahl des himmlischen Auges Ehre erweise.
Der habsüchtige, golddürstige Suchong Pollyhong Ka-te-tuh hatte seine Aufgabe erfüllt. Seine Truhen schwellten sich von Schätzen – den Geschenken ehrgeiziger Eltern, welche sich nach der Auszeichnung sehnten, mit dem Bruder der Sonne und des Mondes in Verwandtschaft zu treten; und viele häßlichen Portraits wurden von dem Geschmacks-Comité ausgeschieden, welches sich nicht genug über die Ideen verwundern konnte, die der Minister von Schönheit hatte.
Nun war ein gewisser Mandarin vorhanden, dessen Tochter längst als ein Mirakel von Schönheit durch die Provinz Karteu ausgerufen worden war, und ihr Vater Whanghang brachte sie in einer Sänfte zu dem Minister Suchong Pollyhong Ka-te-tuh. Letzterer fühlte, daß ihre Reize so durchbohrend waren, wie ein Pfeil, und daß er eine passende Genossin für den Bruder der Sonne und des Mondes gefunden hatte; aber sein Geiz forderte eine Summe, welche der Vater nicht bezahlen wollte. Freilich durfte er es nicht wagen, die Einsendung ihres Portraits zu verweigern, weßhalb er es so gut wie die der übrigen aufnehmen ließ, und Whanghang betrachtete sich bereits als den Schwiegervater des himmlischen Youantee. Der junge Maler, dessen Pinsel in Anspruch genommen worden war, beendigte seine Aufgabe, legte dann seine Palette nieder und starb vor Liebesgram gegen eine so hohe Vollkommenheit, die er nie zu erringen hoffen durfte. Das Gemälde wurde dem treulosen Minister überschickt, der es für sich behielt und den Namen dieser unbezahlbaren Perle unter das Bild einer Andern schrieb, welche nicht einmal werth war, ihr als Kammermädchen den Gürtel zu lösen. Das Geschmacks-Comité wählte jedoch gerade dieses Portrait unter die hundert, welche in der Halle des Entzückens aufgestellt werden sollte – nicht weil es schön war, sondern weil der Ruf der Schönheit dieses Mädchens den Hof erreicht hatte und sie es für Passend hielten, dem Kaiser selbst das Urtheil an Heim zu stellen. Die Jungfrauen, deren Bilder also ausgelesen worden, erhielten Befehl, sich in dem kaiserlichen Palaste einzufinden, und der majestätische Youantee trat in die Halle des Entzückens, welche mit zehntausend Laternen erhellt war. Er betrachtete die Bilder der hundert Schönheiten; aber auch nicht ein einziges Gesicht rührte sein Herz, und er wandte sich mit Widerwillen ab von dem entarteten Geschlechte des Jahrhunderts.
»Ist dies Alles, rief er, was die Welt ihrem Herrn zu Füßen legen kann?« Und das Geschmacks-Comité warf sich vor ihm zu Boden, als es Zeuge seiner Entrüstung war.
»Und dies,« rief er, auf das vermeintliche Portrait der Tochter von Whanghang deutend – »wer ist diese Anmaßende, die sich erdreistet hat, mit ihrem Gesichte die Halle des Entzückens zu beschimpfen?«
»Diese, o Kaiser,« sagte der schlaue Suchoug Polly-hong Ka-te-tuh, »ist die weit berühmte Schönheit Chaou-Keun, deren unverschämter Vater sich zu sagen erdreistet hat, wenn man ihr Portrait nicht aufnehme, werde er seine Beschwerde zu den himmlischen Füßen niederlegen. In ihrer Provinz steht der Ruf ihrer Schönheit hoch, und da ich mich nicht der Parteilichkeit beschuldigen lassen mochte, so trug ich Sorge dafür, daß das Bild vor die kaiserlichen Augen komme.«
»So laßt denn zuerst verkündigen,« rief der Kaiser, »daß die ganze Provinz Karton von Narren bewohnt sey und zur Strafe für ihren Mangel an Geschmack hundert tausend Metzen Goldes zu bezahlen haben. Ferner soll dieses eitle Geschöpf einer ewigen Einsperrung im östlichen Thurme des Kaiserpalastes überantwortet werden. Die andern Jungfrauen schickt zu ihren Eltern zurück, denn bis jetzt hat sich noch keine auffinden lassen, welche eine passende Braut abgegeben hätte für den Bruder der Sonne und des Mondes.«
Den kaiserlichen Befehlen wurde Folge geleistet, und so ging der erste Theil der Prophezeihung in Erfüllung, daß nämlich die unbezahlbare Perle gefunden und verloren wurde.
Ti-tum, titty-tilly, ti-tum tilly-tilly – ti-tum, ty.
Ja sie war verloren, denn die herrliche Chaou-Kenn wurde eingesperrt, damit ihre unvergleichliche Schönheit in Gram und Einsamkeit sich verzehre. Eine kleine Terasse war der einzige Ort, auf dem sie sich in frischer Himmelsluft ergehen durfte. Die Nacht schaute mit ihren zahllosen Augen auf die Ungerechtigkeit und Grausamkeit der Menschen nieder, als der großmächtige Youantee, welcher sich wenig träumen ließ, daß der Bruder der Sonne und des Mondes verurtheilt seyn konnte, den bitteren Pillau hinterlistiger Täuschung verschlucken zu müssen, seiner kürzlichen Gewohnheit zufolge den Palast verließ, um unbegleitet in dem Garten umher zu gehen und mit seinen eigenen Gedanken Rücksprache zu nehmen. Und es gefiel dem Geschicke, daß die unbezahlbare Perle, die vernachläßigte Chaou-Kenn gleichfalls durch die Schönheit und Stille der Nacht verlockt werden mußte, mit ihrem winzigen Fuße – er war so klein; daß sie fast im Gange wankte – den Sand, welcher den Terrassenweg bedeckte, knistern zu lassen. Eine Thräne zitterte in ihrem Auge bei dem Gedanken an ihre glückliche Heimath, und sie beweinte bitterlich die Schönheit, welche, statt ihre Erhebung zum Throne herbei zu führen, durch Bosheit und Geiz zu einem Mittel geworden war, sie einer ewigen Einsamkeit zu überantworten. Sie blickte zu dem Sternenhimmel auf, fühlte aber nichts von seiner Lieblichkeit; sie betrachtete von der Terrasse aus den herrlichen Garten, aber Alles schien ihr verödet zu seyn. In der letzten Zeit hatte sie keine anderen Gefährten gehabt, als ihre Thränen und ihre Laute, deren Töne eben so klagend waren, als ihre eigenen.
»O meine Mutter!« rief sie: »geliebte, aber allzuehrgeizige Mutter! Daß ich nur für eine kleine Stunde dies Haupt an Deinen Busen legen könnte! Verhängnißvoll hat sich Dein Traum erwiesen, dessen Du Dich bei meiner Geburt erfreutest – der Mond hatte so herrlich geschienen und war dann zu Deinen Füßen in die Erde gestiegen. Ich habe nur eine kurze, kurze Weile geleuchtet und bin jetzt in dem Alter des Frohsinns, so zu sagen, in die Erde gegraben. Eingemauert in diesem einsamen Thurme sind alle meine Hoffnungen zerstört – mein Portrait kann nicht gesehen worden seyn – und nun bin ich für immer verloren. Du, o Laute, einzige Gefährtin meiner Schmerzen, laß uns unsre Stimmen vereinigen zur Klage. Laß uns vorstellen, daß die Blumen unserm Kummer zuhören, und daß der Thau der hellgeschlossenen Kelche Thränen seyen, die ihr Mitleid unserem Unglücke weint.«
Und Chaou-Keun schlug ihre Laute an und erging sich in folgendem Klageliede:
O sage mir, glorreicher Sonnenball,
Gab's keine Erde, um Dein Licht zu trinken?
Nahmst Du vergeblich Deinen Lauf durchs All,
Und mußt' Dein Strahl in finstere Nacht versinken?
Der Schönheit Zauber ist geboren bloß,
Kann theuer in des Jünglings Herz sie thronen;
Todt ist sie, wo ihr nicht gegönnt das Loos,
Mit Liebe Eine treue Brust zu lohnen!
Ti-tum, tilly-lilly, ti-tum, ty.
Die musikalischen Töne der unvergleichlichen Chaou-Keun gingen nicht an tauben und stummen Blumen verloren, sondern zitterten in die Ohren des großmächtigen Youantee, der sich auf den Rücken eines ungeheuren Metalldrachen, welcher in dem Gange unter der Terrasse stand, niedergelassen hatte. Der Kaiser lauschte, überrascht auf ihr Selbstgespräch und hörte mit Bewunderung ihren Zaubergesang. Einige Minuten blieb er in tiefer Träumerei sitzen, stand dann von dem Drachen auf, ging auf das Thurmthor zu und klopfte in die Hände. Der Verschnittene erschien.
»Hüter des gelben Thurmes,« sagte der Kaiser, »ich habe eben die Töne einer Laute gehört.«
»Es ist so, o Zuflucht der Welt,« antwortete der Sklave.
»War es ein Engel oder ein sterbliches Wesen, dessen Honigthauende Noten das Instrument begleiteten?« fragte der großmächtige Youantee.
»Gewiß ist sie mehr, als irgend eine Sterbliche gesegnet, da ihr Gesang Gunst gefunden hat in den himmlischen Ohren,« versetzte der schwarze Hüter des gelben Thurmes.
»So geh denn und rufe schnell unsre höchsten Staatsbeamten zusammen. Sie sollen ihre Gewänder auf den Boden legen und darüber hinschreitend, bei dem Drachen unter der Terrasse vor uns erscheinen.«
Der großmächtige Youantee, der Bruder der Sonne und des Monds kehrte mit angenehmen Vorahnungen zu seinem früheren Sitze zurück, während der Verschnittene sich beeilte, die himmlischen Befehle zu vollziehen. Die Mandarinen der ersten Classe säumten nicht, Youantee's Geboten zu gehorchen; ihre Pelz- und Sammtmäntel mit den reichen Gold- und Silberverzierungen wurden von dem Thurme an bis zum Drachen an der Terrasse ausgebreitet und bildeten einen Pfad, so reich und schön, wie die Milchstraße am Himmel. Die unbezahlbare Perle, die unvergleichliche Chaou-Keun glitt darüber hin, in ihrer Herrlichkeit dem Monde gleich, und trat vor das Angesicht des großen Youantee. »Unsterblicher Fo!« rief der Kaiser, als die Mandarinen ihre Laternen erhoben, um das Licht derselben auf ihr Antlitz zu werfen, »durch welchen tückischen Unfall ist so viel Reiz vor unseren Blicken verborgen geblieben?«
Dann erzahlte die unvergleichliche Chaou-Keun in einigen Worten den Verrath und die Habsucht des Ministers Suchong Pollyhong Ka-te-tuh.
»Beeilt Euch, Mandarinen. Die Scheere der Ungnade soll diesem Elenden die zwei Zöpfe abschneiden, und dann möge das Schwert der Gerechtigkeit sein Haupt vom Rumpfe trennen.«
Aber das Gerücht von diesem Urtheile wurde auf Fittigen des Windes zu Suchong Pollyhong Ka-te-tuh getragen. Noch ehe der Henker anlangte, war der Minister auf ein Pferd gestiegen, flüchtiger als der Wind, und hatte, das Portrait der unvergleichlichen Chaou-Keun in seiner Tasche, sogar das Gerücht weit hinter sich zurückgelassen.
Ti-tum, tilly lilly, ti-tum, tilly-lilly, ti-tum, ty.
Und wohin floh der elende Beamte, um sein dem Tode geweihtes Haupt zu verbergen? Er flüchtete sich zu den wilden Nationen des Nordens – zu den Reitern wilder Pferde mit scharfen Scimetars und langen Lanzen. Drei Tage und drei Nächte schlugen die Hufe seines Rosses Feuer aus den Steinen, die es in seinem ungestümen Rennen verachtete; dann aber beugte es, wie ein unsterblicher Poet bereits gesungen hat »sein Haupt und starb.« Das Portrait der unvergleichlichen Chaou-Keun in seinem Busen und die Mandarinenkleidung unter jedem Arme aufgehoben, erschien der elende Suchong Pollyhong Ka-te-tuh vor dem Angesichte des Großchan.
»O Chan der Tartarei,« sagte er, »möge Dein Schwert immer scharf seyn, Deine Lanze nie ihres Zieles verfehlen und Dein Renner mit den Winden wetteifern. Ich bin Dein Sklave. O Du, der Du über hundert tausend Krieger gebietest – hat Dein Sklave die Erlaubniß, Dich anzureden?« »Sprich und sey verdammt,« versetzte der wortkarge Kriegshäuptling, dessen Zähne eben mit einigen Pfunden Pferdefleisch beschäftigt waren.
»Du weißt, o Chan, es ist seit Jahrhunderten Sitte gewesen? daß das himmlische Reich Dich für Dein Ehebette mit einer schönen Jungfrau versehe, und daß dieser Preis von dem himmlischen Hof bezahlt wurde, um die Einfälle Deiner unersättlichen Krieger abzukaufen. O, Chan, es gibt ein Mädchen, dessen liebliches Abbild ich bei mir habe – es ist am allerwürdigsten, Dein Lager zu theilen.«
Und der Elende legte das Portrait der unvergleichlichen Chaon-Keun zu den Füßen des Großchans nieder.
Der Häuptling endigte sein Mahl und langte dann mit der Spitze seiner Lanze das Bild der unbezahlbaren Perle herüber. Nachdem er es angesehen hatte, gab er es seinen Nachbarn zu betrachten. Die wilden Krieger stierten das liebliche Bild mit großen Augen an, ohne es zu bewundern – aber sie sehnten sich nach Krieg.
»Sagt mir, o Häuptlinge,« begann der Großchan, »ist dieses Kindergesicht wohl werth, daß man darum streite?«
Und die Häuptlinge antworteten einstimmig, sie sey würdig, das Lager des Großchans zu theilen.
»Sey es darum,« erwiederte er; »ich verstehe mich nicht auf Schönheit. Laßt das Lager aufbrechen – diesen Abend ziehen wir nach Süden.«
Und der Tartarenhäuptling fiel mit seinen hunderttausend Kriegern in die nördlichen Provinzen des himmlischen Reiches ein, verwüstete Alles mit Feuer und Schwert und legte die Aufrichtigkeit seines Wunsches, sich mit der chinesischen Nation zu vereinigen, durch schonungsloses Ermorden von Mann, Weib und Kind an den Tag. Seine glühende Liebe für die unvergleichliche Chao-Keun bezeugte er damit, daß er jede Stadt und jedes Dorf zu einer Hochzeitfackel machte.
Ti-tum, tilly-lilly, titum, ty.
Aber wir müssen an den himmlischen Hof zurückkehren und die Welt in Erstaunen setzen mit den wundervollen Ereignissen, die daselbst stattfanden. Die Sternkundigen und die weisen Männer hatten den Himmel zu Rath gezogen und daraus erfahren, daß der Hochzeitszug in der drei und dreißigsten Minute nach der dreizehnten Stunde stattfinden müsse, wenn man sich anders von der Verbindung Glück versprechen wollte. Wer kann die Pracht und die Herrlichkeit des Schauspiels schildern oder nur einen annähernden Begriff davon geben? Ach, es wäre nicht möglich, und wenn zehntausend Dichter den Versuch machen wollten, deren jeder mit zehntausend Silberzungen versehen wäre und zehntausend Jahre lang fortsänge. Die Procession ging übrigens in folgender Ordnung:
Zuerst kamen zehntausend Gerichtsdiener mit langen Bambusstäben, die nach Rechts und Links schlugen, um den Weg frei zu machen. Dies geschah unter den Tönen einer sanften Musik, in welche sich hin und wieder das klägliche Geschrei derjenigen mischte, die, ihre Schienbeine reibend, davon hinkten.
Dann marschirten neben einander hunderttausend Laternen, um der Sonne Beistand zu leisten, welche theilweise durch den Glanz der Procession verfinstert war.
Zunächst kamen, den langsamen Takt eines Todtenmarsches einhaltend, fünftausend Hingerichtete Verbrecher, deren jeder seinen eigenen Kopf an dem langen Zopfe trug.
»Staffir Allah! Was ist das anders als eine Lüge?« rief der Pascha. »Hast Du gehört, was uns der Hund in die Ohren zu hauchen sich erdreistet, Mustapha?«
»Mächtiger Pascha,« versetzte der Chinese demüthig, »wenn es Eure Weisheit für eine Lüge erklärt, so muß es ohne Frage eine Lüge seyn; dennoch ist es nicht die Lüge Eures Sklaven, welcher die Geschichte nur wieder gibt, wie sie durch den unsterblichen Dichter des Morgenlandes auf uns gekommen ist.«
»Gleichwohl scheint hier ein kleiner Irrthum stattzufinden,« bemerkte Mustapha. »Soll die Procession fortfahren, o Pascha?«
»Ja, ja; aber bei dem Propheten, der Hund soll zittern, wenn er sich noch einmal erfrecht, uns in die Bärte zu lachen.«
Nach den enthaupteten Verbrechern, gegen welche Eure Hoheit Einwendung erhoben haben, kam ein Zug Verurteilter, denen die Köpfe noch auf den Rümpfen saßen, und die an diesem Tage des allgemeinen Glücks für ihre Vergehungen den Tod erleiden sollten.
Zuerst erschienen zweitausend Räuber, deren Urtheil dahin lautete, an den Füßen aufgehangen zu werden. Diese Todesart sollte sinnbildlich ihren Wunsch andeuten, das Unterste zu Oberst zu kehren – sie sollten dann in der gedachten Lage bleiben, bis sie von den Krähen zu Tode gepickt oder von den Geiern in Stücken zerrissen wären.
Das Banner der Neuerung.
Einer der Räuberhäuptlinge, der mit einer um seinen Hals gehängten Säulenplatte erstickt werden sollte.
Ein anderer Räuberhauptmann. Dieser hatte, obschon ein Anhänger des Hofes, der sich in der himmlischen Gegenwart des Kaisers sonnen durfte, schnöde Lügen gegen die himmlische Dynastie auszusprechen sich erdreistet. Sein Urtheil lautete, man solle ihm die Haut abziehen und ihn zwingen, seine eigenen Worte zu essen, bis er stürbe von dem schlimmen Gifte, das sie enthielten.
Nun erschien der wichtigste von allen Verbrechern, der früher bei Hof groß in Gunst gestanden hatte und zu der hohen Stellung berufen worden war, das himmlische Gewissen ärztlich zu berathen. Man hatte ihn auf dem schnöden Versuche ertappt, dasselbe mit Opium zu vergiften, wie er denn auch über mehreren anderen Ungeheuerlichkeiten betroffen worden war. So hatte er sich zum Beispiel in seinen Mandarinenkleidern betrunken und den ersten Ober-Mandarin mit Schmutz beworfen, desgleichen seine Gewänder abgelegt, mit den niedrigen Klassen verkehrt und sich mit Gauklern, Marktschreiern und Seiltänzern umgetrieben. Seine Vergehungen standen auf einer langen Rolle geschrieben, die ihm um den Hals gehängt war, und sein Urtheil lautete: er solle die Qual der getäuschten Erwartung und des Neides zu erstehen haben, ehe er einem verdienten politischen Tode überantwortet werde.
Hinter ihm kam ein abgesetzter gelber Mandarin, welcher ein großer Feind seines Vormannes gewesen war. Er saß auf einem Throne von Pech, und seine Arme wurden höhnend von zwei Preisfechtern unterstützt. Sein Verbrechen bestand darin, daß er mit den niedrigen Klassen Aufwerfen gespielt hatte, und seine Züchtigung beschränkte sich auf bloße Ausstellung.
Dieß waren die Verbrecher, welche an jenem Tage des allgemeinen Glückes und Entzückens ihre Strafe erleiden sollten.
Dann kamen fünfzigtausend Bogenschützen von dem blauen Drachen-Bataillon, die in ihren Händen Wedel von Pferdeschwänzen trugen, um die blauen Schmeißfliegen wegzujagen.
Zunächst erschienen zehntausend Jungfrauen, alle bescheiden, lieblich und in leichten Gewändern, welche Ganesa auf der Ratte, den Gott der reinen Liebe, in Hymnen besangen.
Sie waren begleitet von zehntausend Jünglingen, welche die besagten zehntausend Jungfrauen kitzelten und Hymnen zum Preise des aufrecht stehenden Fo sangen.
Dann kamen fünfzigtausend Bogenschützen vom grünen Drachen-Bataillon. Jeder trug eine lange Pfaufeder in seiner Rechten, um sich zu überzeugen, aus welcher Richtung der Wind blase.
Fünfhundert Aerzte begleiteten den himmlischen Hof, und jeder trug eine silberne Schachtel mit goldenen Pillen.
Hinter ihnen kam der Oberarzt des himmlischen Verstandes, der stets auf eine Krisis wartete. Er trug einen Stab in der Rechten, an dessen Ende eine Blase mit Erbsen festgebunden war' um damit den Verstand Sr. Majestät zurückzurufen, wenn dieser irre wurde.
Ihm folgten fünfzigtausend Narren, die fünf Mann hoch marschirten, und fünfzigtausend Schelme, welche mit Allem davon gingen, was sie erwischen konnten.
Dann kam ein berühmter Fakir und Bettelmönch an der Spitze eines gefeierten Ordens. Statt der zwei Zöpfe, welche gewöhnlich von unserer Nation getragen werden, hatte er nur einen einzigen, der übrigens vierzig Fuß lang war. Ihm folgten viele Andächtige, die ihre weltliche Habe zu seinen Füßen niederwarfen; dafür beschenkte er sie mit Zettelchen und Reden, welche er für unfehlbare Mittel in allen Krankheiten erklärte.
Zehntausend junge verheiratete Weiber, deren jede unter dem Schall von Clarinetten und Trompeten an ihrer linken Brust einen Säugling zur Ruhe wiegte – ein Sinnbild des friedlichen und ruhigen Ehestands.
Das Banner der Unverschämtheit.
Fünftausend politische Marktschreier, die einander widersprachen und alle ihre Kräfte aufboten, um das Volk zu belustigen, das jedoch unter ihren tollen Possen kläglich litt.
Der Zweite im Commando, der ihr System in einer unbekannten Sprache erklärte.
Des Kaisers Gaukler, welcher das ganze Reich durch seine außerordentlichen Heldenthaten und durch die Schnelligkeit, mit welchen er Allen das Geld aus der Tasche holte, in Erstaunen setzte.
Das Banner der Liebe.
Der himmlische Sekretär mit Gänseflügeln auf seinen Schultern und Gänsekielen in jeder Hand. Er hatte große Ähnlichkeit mit einer Gans ans einem Maulesel, der vierfarbig aufgezäumt und mit klingenden Messingschellen bedeckt war.
Fünf tausend alte Weiber, welche das Lob des besagten Sekretärs sangen und zu dem Takte der Hoboe Schnupftaback nahmen.
Der Wohlstand des himmlischen Reiches, von dem Hofnarren in einem Körbchen, schön aus einem wilden Kirschensteine geschnitzt, getragen und von fünfzig tausend Bogenschützen des rothen Drachen-Bataillons bewacht, die sich zu einer sanften Musik die Zähne ausstocherten.
Zehn tausend Poeten, deren jeder zu gleicher Zeit und nach einer verschiedenen Weise seine Ode auf den erfreulichen Anlaß absang.
Der unsterbliche Poet des Jahrhunderts, bis an die Füße mit Sammet gekleidet und prachtvoll mit Ringen, goldenen Ketten und köstlichen Steinen verziert. Er trug seine silberne Harfe in der Hand und saß auf einem schönen, weißen Esel, das Gesicht dem Schwänze zugedreht, damit er die Reize der unvergleichlichen Chaou-Keun, der unbezahlbaren Perle, betrachten und von denselben begeistert werden könne.
Dann kamen der großmächtige Youantee und die unvergleichliche Chaou-Keun. Sie saßen auf einem massiven Wagen von Sommerfäden, der reichlich mit den Augen lebendiger Kolibris besäet war, und wurden von zwölf schönen, blauen Laststernen gezogen, welche von den Himmelskörpern dem Bruder der Sonne und des Mondes zum Geschenk gemacht worden waren.
Zwanzigtausend engelschöne junge Männer, die in die Häute des schwarzen Fuchses gekleidet waren, elfenbeinerne Maultrommeln spielten und auf kohlschwarzen Rossen saßen.
Zwanzigtausend teuflisch häßliche Neger, welche in die Häute des weißen Polarbären gekleidet waren, die honigsüß tönende Schreipfeife bliesen und auf milchweißen Arabern ritten.
Sämmtliche Mandarinen erster Klasse im himmlischen Reiche, die ihre Augen zum Himmel richteten und in ihrem Innern wünschten, die Procession möchte vorüber seyn.
Alle Mandarinen zweiter Klasse im himmlischen Reiche, die vom Staube erstickt wurden und die Procession zum Teufel wünschten.
Zwanzig Millionen Leute, welche die Freigebigkeit des großen Kaisers priesen und um Brod schrieen.
Zehn Millionen Weiber, welche im Gedränge ihre Kinder verloren hatten und nun unter bitterlichem Geheule darnach suchten.
Zehn Millionen Kinder, welche im Getümmel ihre Mütter verloren hatten und bitterlich weinten, bis sie dieselben gefunden hatten.
Der Rest der Einwohner des himmlischen Reiches.
Dies war der großartige und prächtige Hochzeitszug, an dem die ganze Bevölkerung selbst Theil nahm, so daß es keine andere Zuschauer gab, als drei blinde alte Weiber, welche über den Anblick dermaßen in Entzücken geriethen, daß sie, als die Procession an ihnen vorbeikam, ihre Häupter senkten und starben.
Ti-tum, tilly-lilly, ti-tum, tilly-lilly, ti – tum, ty.
Die Procession langte an dem Palaste an; die unbezahlbare Perle war jetzt die Braut des Kaisers und das Herz von Youantee quoll über von Liebe. Sie saßen Seite an Seite auf einem Thron von Edelsteinen; aber was war der Glanz der Diamanten in Vergleichung mit einem einzigen Blicke ihres blitzenden Auges? Was waren die funkelnden rothen Rubinen gegen ihre Korallenlippen, oder das Weiß der Perlen gegen ihre Zähne, wenn sie dieselben beim Lächeln blicken ließ? Ihre gewölbten Augbraunen schienen herrlicher gezeichnet, als der Regenbogen; ob der Glut ihrer Wangen erblaßte neidisch jede Rose in den himmlischen Gärten, und aus Mitleid gegen die Höflinge, von denen viele bereits erblindet waren, weil sie zu rasch ihre Augen erhoben, um ihren Zauber zu schauen, war ein Edikt veröffentlicht worden, welches den Mandarinen gestattete, zu Schonung ihrer Augen grüne Brillen zu tragen. Der großmächtige Youantee wurde von Liebe verzehrt und die Aerzte des Kaisers fürchteten für seine himmlische Gesundheit; ihrem Rathe zufolge willigte Chaou-Keun ein, ihn nur in einem verdunkelten Gemache zu empfangen. Alles war Freude. Das ganze Reich hallte wieder vom Lobe der unbezahlbaren Perle. Die Gefängnisse sollten dem Erdboden gleich gemacht, die Verbrecher begnadigt, das Schwerdt der Gerechtigkeit in seiner Scheide gelassen und die Bastonade eingestellt werden. Sogar die gehässige Laternentaxe wurde zu Ehren der unvergleichlichen Chaou-Keun aufgehoben, und alle Dichter des Landes erschöpften sich im Preise der Herrlichen, bis sie zum Singen zu heiser, und die Leute des Zuhörens müde waren.
Ti-tum, tilly lilly, ti-tum, tilly-lilly, ti-tum, ty.
»Wahrhaftig,« bemerkte der Pascha gähnend, »es nimmt mich nicht Wunder, daß die Leute des Hörens müde wurden, wenn die Dichter Dir glichen.«
»Gott ist groß,« entgegnete Mustapha gleichfalls mit einem Gähnen. »Soll er fortfahren?«
»Ja, laß ihn seine Geschichte zu Ende bringen und wecke mich, wenn sie vorbei ist,« erwiederte der Pascha, seine Pfeife niederlegend.
»Aber leider sollte dieser Wonnetaumel bald über den Haufen geworfen werden. Die Prophezeiung mußte sich erfüllen, daß ihr Leben nicht nur Freude, sondern auch Leid bergen sollte. Den großmächtigen Youantee weckten aus seinem entzückten Traume Couriere, die einer nach dem andern ankamen und zu den himmlischen Füßen die Kunde niederlegten, daß die hunderttausend Krieger vorrückten. Ein feierlicher Kabinetsrath trat zusammen, und es erging sofort das kaiserliche Edikt, daß die Barbaren des Nordens zurückgetrieben werden sollten in ihr Land des ewigen Frostes und Schnees. Die kaiserlichen Heere, jedes aus hunderttausend Mann bestehend, brachen von der Hauptstadt auf, und jeder Soldat gelobte bei seinen zwei Zöpfen, daß er Alles fressen wolle, was er tödte.
Dieses blutige Gelübde ging in Erfüllung, denn sie tödteten Niemand, sondern kehrten ohne Bogen, Pfeile und Schwerter geschlagen und flüchtig vor der Wuth des Tartaren-Häuptlings zurück. Dann erhob sich der große Youantee im Grimme und erließ einen anderen Befehl, daß die Barbaren bis an das Meer getrieben werden sollten, welches das Reich der Welt begrenze. Und die Heere wurden wieder ausgeschickt, kehrten jedoch abermals geschlagen zurück und sagten: wie können wir, die wir Reis mit Hammelsrippchen essen, mit Barbaren kämpfen, die nicht nur auf Pferden reiten, sondern sie auch verzehren? Die Tartaren achteten nicht auf das himmlische Gebot, denn sie waren Barbaren und wußten es nicht besser. Immer weiter rückten sie vor, bis sie nur noch einen Tagmarsch von der himmlischen Hauptstadt standen, und der Bruder der Sonne und des Mondes, der großmächtige Youantee sah sich genöthigt, die Schmach der Annahme eines barbarischen Gesandten auf sich zu laden, welcher in nachstehenden verzuckerten Worten sprach:
»Der Großchan der Tartarei grüßt den großmächtigen Youantee; er hat einige Millionen seiner Unterthanen geschlachtet, weil sie Verräther waren und den himmlischen Thron nicht vertheidigen wollten. Er bat einige Tausend seiner Städte niedergebrannt, damit der große Youantee sie mit größerer Schönheit wieder aufbauen lassen möge. Alles dies that er mit viel Mühe und Anstrengung, um den großmächtigen Youantee seine Achtung zu beweisen. Zum Lohne dafür fordert er nichts, als die unvergleichliche Chaou-Keun, die unbezahlbare Perle, zu seiner Braut.«
Der große Youantee sprach von seinem himmlischen Throne:
»Drücke dem Großchan, Deinem Gebieter, für sein rücksichtsvolles Betragen meinen Dank aus und sage ihm, daß er von unserem himmlischen Reiche wohl eine Braut verdient habe; aber die unbezahlbare Perle ist dem Bruder der Sonne und des Mondes vermählt. Jede andere Jungfrau in unserm Reiche soll ihm mit einer Morgengabe zugeschickt werden, wie sie des großen Youantee und des Großchans der Tartarei würdig ist. Dies soll ein Edikt seyn.«
Aber der Tartar entgegnete:
»O großer Monarch, mein Gebieter, der Großchan, verlangt kein Edikt, sondern die unvergleichliche Chaou-Keun. Wenn ich ohne sie zurückkehre, dringt er in die himmlische Stadt ein und schont weder Mann noch Weib oder Kind.«
Dann fielen alle Fürsten und die Mandarinen sämmtlicher Klassen zu den himmlischen Füßen nieder, verrichteten feierlich den großen Cow Tow, und der erste Minister des Staates sprach folgendermaßen:
»Herr des Weltalls, Bruder der Sonne und des Mondes, der Du die Welt mit Deinen Edikten beherrschest und dessen unüberwindliche Heere so zahlreich sind, wie der Sand an dem Ufer der vier Meere, höre auf Deinen getreuen Sklaven. Uebergieb diesem Barbaren die unvergleichliche Perle, so werden wir Alle am Leben bleiben, um uns vor Dir zu demüthigen.« Und alle Fürsten und Mandarinen riefen wie mit Einer Stimme:
»Liefere die unbezahlbare Perle aus.«
Und alle die tapferen Generale zogen ihre Schwerter, schwenkten sie in der Luft und riefen:
»Uebergib diesen Barbaren die unbezahlbare Perle.«
Und die ganze Armee und alles Volk schloß sich dem Rufe an.
Dann erhob sich Youantee in großem Grimme und befahl, der erste Minister, sämmtliche Mandarine, die Fürsten, die Generale, die ganze Armee und alles Volk sollten beschimpft seyn und unverweilt enthauptet werden. »Dies soll ein Edikt seyn.« Da aber Niemand mehr vorhanden war, um das Edikt des großen Youantee in Kraft zu setzen, so fand es auch keinen Gehorsam. Der Bruder der Sonne und des Mondes bemerkte nun, daß er in der Minderheit war; er dämpfte daher seine Galle und befahl allergnädigst, für den Gesandten Erfrischungen herbeizubringen, indem er sagte: »Gebt dem Hunde zu essen.« Dann verfügte er sich nach dem Gemache der unvergleichlichen Chaou-Keun.
Ti-tum tilly-lilly, ti-tum, tilly-lilly, ti-tum ty.
Die schöne Kaiserin hatte Alles mitangehört, was in der großen Audienzhalle vorgegangen war, und warf sich jetzt mit den Worten zu den königlichen Füßen:
»Laß mich das Opfer werden – es ist meine Bestimmung. Schicke Deine Sklavin zu dem großen Chan, damit er mit ihr anfange, was ihm gut dünkt – ich bin voll Unterwerfung. Man sagt, er sey ein schöner Mann, groß und voll Kraft – es ist meine Bestimmung.«
Dann vergoß der große Youantee bittere Thränen über sein herbes Geschick; aber er wußte, es war seine Bestimmung – und, o Bestimmung, wer kann Dir widerstehen! Er wischte seine himmlischen Augen, führte die unvergleichliche Chaou-Keun hervor, übergab sie den Händen des barbarischen Gesandten und sagte:
»Ich sende Deinem Gebieter die unbezahlbare Perle. Ich habe sie einige Zeit getragen, aber sie ist noch so gut, wie neu. Und nun möge Dein Gebieter, der Großchan, mit seinen hunderttausend Kriegern nach den Grenzen unsres Gebietes zurückkehren, wie es ausgemacht wurde. Du hörst, – es ist ein Edikt.«
»Es reicht zu, daß mein großer Gebieter sein Wort gegeben und der große Youantee die unbezahlbare Perle ausgeliefert hat. Ein Edikt ist nicht weiter vonnöthen,« erwiederte der Gesandte, worauf er sich mit der unvergleichlichen Chaou-Keun entfernte.
So war der großmächtige Youantee seiner Gemahlin beraubt.
Sobald der Gesandte die unvergleichliche Chaoukeun in einer verschlossenen Sänfte nach dem Zelte des Großchans gebracht hatte, ertheilte er seinem Heere unvorzüglich den Befehl zum Aufbruch. Zum großen Verdrusse der unvergleichlichen Schönheit ließ er nicht einmal eine Neugierde blicken, sie zu sehen, sondern begann einen raschen Rückzug und langte nach einigen Tagen an der Grenze des himmlischen Gebietes an, welches von den tartarischen Besitzungen durch einen ungestümen Fluß getrennt wird. Er setzte über den Strom, schlug auf der andern Seite ein Lager und ließ sich mit seinen Generalen zu einem schwelgerischen Mahle von Pferdefleisch und Quaß nieder. Als er die Wirkungen des Branntweins im Kopfe spürte, verlangte er, die Sänfte, in welcher sich die unbezahlbare Perle befand, solle in die Nähe seines Zeltes gebracht werden, daß er nach ihr schicken könne, wenn er Lust habe. Und die unvergleichliche Chaou-Keun sah zu der Sänfte heraus und erblickte den schwelgenden Großchan. Und als sie seiner haarigten Gestalt, seiner glühenden Augen, seiner Mopsnase und seines furchtbar weiten Mundes ansichtig wurde – als sie bemerkte, daß er von Gesicht und Gestalt einem Gulen oder bösen Geiste gleich sah – da rang sie ihre Hände, weinte bitterlich und all' ihre Liebe zu dem großmächtigen Youantee kehrte wieder zurück.
Der Großchan hatte sich jetzt in Quaß betrunken und befahl, daß die unbezahlbare Perle zu ihm gebracht werden solle; sie aber antwortete zitternd:
»Sagt Eurem Herrn, daß ich nicht geeignet bin, vor Sr. Hoheit zu erscheinen, bis ich mich in dem Flusse gewaschen habe.«
Und diejenigen, welche die Aufsicht über sie hatten, meldeten dies dem Großchan, welcher darauf erwiederte:
»So mag sie sich denn waschen, wenn sie so schmutzig ist.«
Dann wurde die Sänfte der unvergleichlichen Chaou-Kenn nach dem Flußufer hinunter genommen, und sie trat auf einen Fels, welcher gegen das schwarze Gewässer vorhing.
»Wie nennt ihr diesen Fluß?« fragte sie ihre Begleiter.
Und sie versetzten:
»Dieser Fluß, o Prinzessin, scheidet das Reich der Tartaren von China und heißt der Strom des schwarzen Drachen.«
»Dann ist die Prophezeiung erfüllt«, rief die unbezahlbare Perle. »Es ist meine Bestimmung, und wer kann seiner Bestimmung widerstreben?«
Sie erhob ihre Arme zum Himmel, stieß einen lauten Schrei über ihr unglückliches Loos aus, stürzte sich köpflings in das kochende Wasser und verschwand für immer.
So wurde die Prophezeiung erfüllt. Der Bruder der Sonne und des Mondes hatte gefreit – Schönheit war zu seinen goldenen Füßen niedergelegt worden – die unbezahlbare Perle wurde gefunden und verloren. Es hat Freude und Leid im Leben gegeben – und Leid im Tode. Der schwarze Drache hat sich als Feind des himmlischen Reiches bewiesen, denn er verschluckte die unbezahlbare Perle.
Ti – tum, ti – tum, tilly – lilly, tilly – lilly, ti – tum, ty.
Der Ton des rohen Instrumentes weckte den Pascha, welcher seit einiger Zeit fest eingeschlafen war.
»Ist er fertig, Mustapha?« fragte er, indem er sich die Augen ausrieb.
»Ja, durchlauchtige Hoheit; und das Geschick, welches prophezeit wurde, ist treulich in Erfüllung gegangen.«
»Bismillah! Das freut mich. Noch ehe er zehn Minuten gewinselt hatte, prophezeite ich, daß ich einschlafen würde. Auch meine Bestimmung ist in Erfüllung gegangen.«
»Will Eure Hoheit nicht auch diesem Hunde mit zwei Zöpfen sein Geschick prophezeien?«
»Ja, ja, ganz recht. Dies erinnert mich, daß wir erst Eine Geschichte von ihm gehört haben. Laß ihn morgen wieder herkommen, damit er uns eine zweite erzähle. Jedenfalls wird er uns zu einem gesunden Schlafe verhelfen. Gott ist groß.«