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Ich war mit einem Steamer der Peninsular- and Oriental-Company von Suez nach Ceylon gekommen und in Point de Galle gelandet. Mein Aufenthalt hier sollte ein nur kurzer sein, denn das Ziel meiner Reise war Bombay, von wo aus ich dann Vorderindien kennen lernen wollte. Verschiedene Umstände jedoch bewirkten, daß ich länger blieb, was ich sehr wohl thun konnte, da ich vollständig Herr meiner Zeit und Bestimmung war.
Wer – ausgedorrt durch die glühende Hitze des arabischen Meeres – ein Land von der Beschaffenheit der Insel Ceylon betritt, fühlt sich von körperlichen und geistigen Rücksichten so gefesselt, daß es ihm schwer wird, es in Kürze wieder zu verlassen. Die großartige Natur der Insel fordert unbedingt den Wissensdurst heraus, und ihre ethnographischen Verhältnisse sind so interessant, daß man sich unwillkürlich zu längeren Studien veranlaßt fühlt.
Jetzt stand ich auf dem Leuchttürme von Point de Galle, versunken in dem Genusse des herrlichen Panoramas, welches sich unten zu meinen Füßen ausbreitete.
In dem Hafen lag eine Menge Fahrzeuge vor Anker; ein- und auslaufende Schiffe belebten die Scene; es waren unter ihnen alle Gattungen und Größen vom prachtvollsten, gigantischen europäischen Dampfer bis herunter zur erbärmlichen chinesischen Dschonke und zu dem eigentümlich gebauten singhalesischen Landungsboote vertreten. Schwedische und dänische Thranschiffe, vom Walfischfange aus dem südlichen Polarmeere kommend, schwere holländische Dreimaster mit hoher, altmodischer Gallione, englische Marinefahrzeuge und Kauffahrer, leichte französische Vaisseaux und schlanke Amerikaner, scharf auf den Kiel gebaut und mit einer Takelage versehen, die eine Gewandtheit in der Manövrierkunst erfordert, welche dem kühnen und dabei kaltblütigen Yankee eigentümlich ist, kamen und gingen oder ritten, sich leicht von Bord zu Bord neigend, auf ihren aus unzerbrechlichem englischen Stahl gefertigten Ankerketten. Daran schloß sich ein reichbelebtes Ufer, dessen Scenerie allerdings geeignet war, die Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.
Kleine Felseninseln, von Kokospalmen und Pandanen bestanden, ragten aus den schimmernden, in ewiger Bewegung wallenden Fluten empor. Zwischen ihnen zogen sich zahlreiche Korallengärten hin, von schmalen Wasserarmen getrennt, in deren durchsichtigen Wellen rote und blaue Fische schwammen; gefräßige Haie zerrten nahe am Ufer an dem Kadaver eines toten Hundes; aufgebrochene Muscheln glänzten im nassen Sande, und vielgliederige Krabben krochen die Steilung der Felsen hinan.
Die Häuser und Hütten der Stadt hatten sich schalkhaft unter den Kronen der Palmen und Fruchtbäume versteckt, und wo die reinlichen Straßen offen vor dem Blicke lagen, da war eine reiche Menge von Lebenserscheinungen zu erkennen: weidende Zebuochsen, am Kanalbaue beschäftigte Elefanten, deren Klugheit und Stärke zwanzig menschliche Arme ersetzte, schwarze Schildwachen, promenierende Ladies, durchsichtig weiße Kinder englischer Eltern mit kleinen, beweglichen französischen Bonnen oder hageren Londoner Governessen und braunen, eingeborenen Ammen, tabakrauchende singhalesische Mädchen und Knaben, behäbig und stolz einherschreitende Muselmänner, schachernde Juden, mit allen denkbaren und scheinbar wertlosen Kleinigkeiten behangen, bezopfte Malaylas, Betel kauende Ratschputen, Buddhapriester in ihrem langen, schwefelgelben Gewande mit nackt abgeschorenem Kopf und Bart, englische Midshipmen in roter Jacke, laut mit dem schweren Säbel rasselnd, malerisch schöne Hindumädchen: Nase, Stirn, Ohren, Arme und Beine mit Korallen oder Gold und Edelsteinen behangen.
Ueber dem allen lag der bezaubernde Duft des Südens ausgegossen. Die Sonne schickte sich an, in die Wogen des Meeres zu steigen, und warf ihre Reflexe vom tiefsten, gesättigten Purpur bis zum leuchtendsten Flammengold über die rastlos sich neu gestaltende Fläche der wogenden See. Es war ein Anblick, in den man sich stundenlang versenken konnte, ohne seiner müde zu werden.
Neben mir lehnte Sir John Raffley. Er bemerkte von alledem, was ich sah, nicht das Geringste. Die herrlichen Tinten, in denen der Himmel flimmerte und glühte, das strahlendurchblitzte Krystall der See, der erquickende Balsam der sich abkühlenden Lüfte und die bunte, interessante Bewegung auf dem vor uns liegenden Fleckchen der schönen Gotteswelt, sie gingen ihm verloren; sie waren ihm im höchsten Grade gleichgültig; sie durften es nicht wagen, seine Sinne auch nur einen Augenblick lang in Anspruch zu nehmen. Und warum? Wunderbare und ganz überflüssige Frage! Was war denn eigentlich dieses Ceylon in seinen Augen? Ein Eiland, eine Insel mit einigen Menschen, einigen Tieren und einigen Pflanzen darauf und rund herum von Wasser umgeben, welches nicht einmal zum Waschen oder zur Bereitung einer Tasse Thees geeignet ist. Was ist das weiter! Etwas Sehenswertes oder gar Wunderbares gewiß nicht! Was ist Point de Galle gegen Hull, Plymouth, Portsmouth, Southampton oder gar London; was ist der Gouverneur zu Colombo gegen die Königin Viktoria von Altengland, Irland und Schottland; was ist Ceylon gegen Großbritannien und seine Kolonien; was ist überhaupt die ganze Welt gegen Raffley-Castle, wo Sir John geboren worden ist?!
Der gute, ehrenwerte Sir John war ein Engländer im Superlativ. Besitzer eines unermeßlichen Vermögens, hatte er noch nie daran gedacht, sich zu verehelichen, und war einer jener zugeknöpften, schweigsamen Englishmen, welche alle Winkel der Erde durchstöbern, selbst die entferntesten Länder unsicher machen, die größten Gefahren und gewagtesten Abenteuer mit unendlichem Gleichmute bestehen und endlich müde und übersättigt die Heimat wieder aufsuchen, um als Mitglied irgend eines berühmten Reiseklubs einsilbige Bemerkungen über die gehabten Erlebnisse machen zu dürfen. Er hatte den Spleen in der Weise, daß seine lange, knochige Gestalt nur in seltenen Augenblicken einen kleinen Anflug von Genießbarkeit zeigte, besaß aber doch ein gutes Herz, welches immer bereit war, die großen und kleinen Seltsamkeiten, in denen er sich zu gefallen pflegte, wieder auszugleichen. Eine innere Erregung schien bei ihm gar nicht denkbar, und er zeigte nur dann eine lebhaftere Beweglichkeit, wann er auf eine Gelegenheit stieß, eine Wette einzugehen. Die Wettsucht nämlich war seine einzige Leidenschaft, wenn bei ihm von Leidenschaft überhaupt die Rede sein konnte, und es wäre wirklich gradezu ein Wunder gewesen, hätte er eine solche Gelegenheit versäumt. Meine Leser werden sich erinnern, daß ich noch andere Inglishmen kennen gelernt habe, welche ebenso wie er an dieser Wettsucht litten.
Nachdem er aller Herren Länder kennen gelernt hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen General-Gouverneur ein Verwandter von ihm war, hatte es in den verschiedensten Richtungen durchstreift, war auch schon einige Male auf Ceylon gewesen und im Auftrage des Gouverneurs jetzt wieder hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Statthalter zu entledigen. Ich hatte ihn im Hotel Madras kennen gelernt und mich ihm angeschlossen, weil seine Erfahrungen und Konnexionen mir von großem Nutzen sein konnten. Die Vertretung Deutschlands war damals keine so kräftige und imponierende wie jetzt, besonders in jenen fernen Ländern, und der Anschluß an einen Engländer, dessen Regierung die ihr Angehörigen allerorts nachdrücklich zu schützen wußte, also nur vorteilhaft zu nennen. Wir hatten uns nach und nach auch geistig zusammengefunden, und obgleich er mich niemals auch nur zur kleinsten Wette vermocht hatte, war ich ihm doch so lieb und befreundet geworden, daß er trotz seiner sonstigen Unnahbarkeit eine wahrhaft brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte.
Also jetzt lehnte er, völlig unberührt von den uns umgebenden Naturreizen, in denen ich sozusagen schwelgte, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, welcher ihm vorn auf der äußersten Nasenspitze saß, mit einer Beharrlichkeit, als wolle er an dem Sehinstrumente irgend eine wichtige welterschütternde Entdeckung machen. Neben ihm lehnte sein Regen- und Sonnenschirm, welcher so kunstvoll zusammengesetzt war, daß er ihn als Stock, Degen, Sessel, Tabakspfeife und Fernrohr benutzen konnte. Dieses Unikum war ihm von dem Traveller-Club, London, Near-Street 47, als Souvenir verehrt worden; er trennte sich niemals, weder bei Tage noch bei Nacht, von demselben und hätte es um alle Schätze der Welt nicht von sich gegeben. Diese Chair-and-umbrella-pipe, wie er es nannte, war ihm beinahe so lieb wie seine prachtvoll eingerichtete und pfeilschnelle kleine Dampfjacht, welche unten im Hafen vor Anker lag, und die er sich für seinen persönlichen Gebrauch auf den Werften von Greenock am Clyde, den in aller Welt berühmten Schiffsbauwerkstätten, hatte bauen lassen, weil er stets auf eigenen Füßen stehen und von dem Befehle eines Kapitäns nicht abhängig sein wollte.
Während mein Auge nach unten schweifte, fiel mir ein Zug eingeborener Soldaten auf, welcher sich einem weit in die See hinausragenden Felsen näherte. Voran schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, welcher seiner Kleidung nach ein Singhalese sein mußte. jedenfalls lag hier eine Exekution vor, und da ich das lebhafte Interesse, welches mein Gefährte für dergleichen Vorkommnisse hegte, gar wohl kannte, so machte ich den Versuch, ihn aus seiner welterschütternden Betrachtung aufzustören.
»Sir John Raffley!«
Er antwortete nicht.
»Sir John Raffley!« rief ich mit erhöhter Stimme.
»Yes!« antwortete er jetzt, natürlich ohne von dem goldenen Gestelle seiner Brille aufzublicken.
»Wollt Ihr nicht einmal dort hinüberschauen, Sir?« »Warum?« »Ich glaube, es wird einer in das Wasser geworfen!«
»Einer? Was für einer? Ein Hund? Ein Pferd? Ein Mensch?«
»Ein Mensch, Sir John!« »Well! So laßt ihn ruhig ersaufen, Charley!«
Er studierte mit unverändertem Eifer an seinem Klemmer weiter. Der Zug war auf der Höhe des Felsens angekommen und machte dort Halt. Die Soldaten schlossen einen Kreis um den Gefesselten.
»Ich möchte doch wissen, was der arme Teufel verbrochen hat,« bemerkte ich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Hat er Euch etwas gethan?« »Nein.« »Good God, so laßt ihn also doch ersaufen, Charley!«
»Aber es sind ihm die beiden Arme zusammengeschnürt!« jetzt hatte ich das Richtige getroffen, um seine Teilnahme zu erregen. Jeder, auch der kleinste unnötige Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen war ihm verhaßt.
»Gefesselt ist er? Zounds, das ist grausam, das ist feig, das ist gemein, das ist elend! Das würde man in Altengland nicht thun!«
»Ihr habt sehr recht. Der Brite ist in jeder Beziehung nobel. Wenn er einen hängt, so läßt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Die Barbarei freilich kennt solche menschliche Rücksichten nicht. Seht nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!«
»Wo ist es, Charley?« »Da drüben auf der Felsenzunge.«
Er warf jetzt wirklich einen Blick hinüber nach dem Orte, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete immer noch eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber dieses Mal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher an das Auge zu bringen und durch diese Manipulationen dem Gesichte die nötige Schärfe zu geben.
»Heigh-ho, ist's möglich!« »Was?« »Daß es Kaladi ist!«
»Kaladi? Wer ist das, Sir John!«
»Das sollt Ihr später erfahren. Ich muß mich überzeugen!«
Er ergriff seinen Schirm, spannte dessen weißgraues Dach auf, drehte an einigen Schrauben des hohlen Doppelstockes und suchte durch das jetzt entstandene Fernrohr den Punkt, auf welchem die Exekution vor sich gehen sollte.
»Wollen wir wetten, Charley?« fragte er nach einer Pause, während welcher seine Mienen eine immer größer werdende Spannung angenommen hatten.
»Worüber?«
»Daß sich dieser Mann nicht ertränken läßt?«
»Ah!«
»Nicht wahr, das klingt unmöglich? Und doch setze ich hundert Sovereigns!«
»Gegen wen?«
»Gegen Euch natürlich!«
»Ihr wißt, Sir, daß ich nicht wette.«
»Well, das ist wahr. Ihr seid ein prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman habt Ihr es noch nicht gebracht, sonst würdet Ihr Euch nicht beständig weigern, einmal einen guten Einsatz anzunehmen. Dennoch aber werde ich Euch beweisen, daß ich die Wette gewinnen würde!«
Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen scharfen, durchdringenden Pfiff erschallen, welcher weithin zu vernehmen war. Auch der Verurteilte hörte ihn. Kannte er dieses Signal des Engländers? Mit einer raschen Bewegung hob er den tief gesenkten Kopf und blickte zum Leuchtturme empor. Raffley stieß einen zweiten Pfiff aus und schwenkte den Schirm in der Luft.
Die Wirkung war eine augenblickliche und überraschende. Der zu dem Tode des Ertrinkens Verurteilte schnellte sich ganz unerwartet durch den Kreis der ihn umstehenden Soldaten bis an den Rand der Klippe und stürzte sich kopfüber in die Fluten des Meeres hinab.
»Seht Ihr es, Charley,« sagte John Raffley, »daß ich gewinnen würde?«
»Ich sehe es noch nicht; der Mann hat sich ja selbst ertränkt!«
»Sich ertränkt? Seid Ihr bei Sinnen?«
»Nun, was anders?«
»Was anders? Well, Ihr werdet es gleich sehen! Behold, da taucht er aus den Wogen auf. Nun, Charley, was sagt Ihr jetzt?«
»Bei Gott, er lebt! Der Kerl schwimmt ja trotz seiner gefesselten Hände wie ein Fisch!«
»Wie ein Fisch? Pshaw, das ist noch zu wenig; wie ein Hummer wollt Ihr sagen! Es ist Kaladi, mein früherer Diener, der beste Taucher und Schwimmer im ganzen Bereiche dieser tristen und langweiligen Insel, was aber der brave Mudellier, der ihn verurteilt hat, nicht zu wissen scheint.«
»Der Mann war Euer Diener? Drum kennt er Euern Pfiff!«
»So ist es. Er muß übrigens etwas verteufelt Schlimmes begangen haben, denn diese Distriktsverwalter lassen jeden Eingeborenen durchschlüpfen, wenn es nur irgend möglich ist; sie sind ja selbst ausschließlich Singhalesen. Seht, die gebundenen Arme genieren ihn nicht im geringsten, weil er auf dem Rücken schwimmt. Er kommt grad auf den Leuchtturm zu!«
Der sonst so wortkarge Mann war mit einemmale ganz außerordentlich lebendig geworden. Er verfolgte jede Bewegung des Schwimmenden mit ungewöhnlicher Spannung, focht mit den Händen hin und her, als könne er ihm dadurch behilflich sein, und machte mir dabei die notwendig scheinenden Erklärungen.
»Wie er stößt; wie schnell er vorwärts kommt! Er wird von dem Volke verfolgt, der Teufel hole es! Aber ehe die Soldaten den Umweg von der Klippe nach dem Leuchtturme gemacht haben, ist er längst hier angekommen. Ich kenne ihn. Wir sind im vorigen Frühjahre miteinander über den Kalina-Ganga, über den Kalu-Ganga und sogar über den reißenden, hoch angeschwollenen Mehavella-Ganga geschwommen.«
»Was war er denn, bevor er in Eure Dienste trat?«
»Er war der geschickteste Perlfischer auf den Bänken von Negombo und ist nur mir zuliebe mit in das Innere des Landes gegangen. Ich erkannte ihn gleich und werde ihn retten.«
»Auf welche Weise? Wenn er wirklich ein schweres Verbrechen begangen hat, wird das unmöglich sein.«
»Unmöglich? Ihr kennt dieses verrückte Land und dieses noch viel verrücktere Volk noch nicht, Charley. Ich bin Sir John Raffley aus Raffley-Castle in Altengland und will den Mudellier sehen, der es wagt, mit mir zu rechten! Da, jetzt hat er das Ufer erreicht. Es ist ein Glück, daß kein Haifisch mehr in der Nähe war, sonst hätte er wegen der gefesselten Arme einen schweren Stand gehabt. Kommt, Charley, wir gehen ihm entgegen! Er hat mich erkannt und kommt herbeigelaufen.«
Es war so. Kaladi war an das Land gestiegen und kam zu der Plattform, auf welcher sich die schlanke Säule des eisernen Turmes erhob, eiligen Laufes heraufgesprungen. Wir stiegen schnell die Treppe hinab und stießen unten an der Thür mit ihm zusammen.
»Wischnu segne Euch, Sihdi,« grüßte er atemlos. »Ich war dem Tode nahe. Sie wollten mir noch die Beine fesseln und die Augen verbinden. Ihr aber seid ein Radscha, ein Herr, ein Maharadscha, ein großer und gewaltiger Herr, und werdet Kaladi, Euren treuen Diener, retten?«
»Well, das werde ich thun,« antwortete Raffley, indem er sein Messer hervorzog und die Baststricke, mit denen der Singhalese gebunden war, durchschnitt. »Was hast du verbrochen?«
»O nichts, nichts, Sihdi, fast gar nichts. Mein Kris war scharf und spitz, sehr scharf und spitz, und ist einem ein wenig zu tief in das Herz gefahren.«
»Murderer! Alle Wetter, Mensch, das ist schon etwas mehr als nichts! Hast du ihn getötet?«
»Ja, ein wenig.«
»Was war er?«
»Ein Chinese.«
»Ein Chinese nur? Das ist gut! Was hat er dir denn gethan, daß du nach dem Dolche griffest?«
»Er kam und wollte mir Molama, die Blume und das Glück meines Lebens, rauben.«
»Fudge! Das Glück deines Lebens! Dummheit! Unter hundert Albernheiten, welche ihr Menschen begeht, sind neunundneunzig Male diese verwünschten Frauenzimmer schuld. Die Liebe ist die ärgste Monomanie, welche ich kenne, und hat schon Millionen um den Verstand gebracht. Aber ich hoffe, daß dich das Bad abgekühlt hat. Du kennst das Hotel Madras?«
»Wie sollte ich nicht, Sihdi! Ihr habt ja zweimal daselbst gewohnt, wo ich mit Euch gewesen bin!«
»Ich wohne jetzt wieder da. Hier kommen schon deine Verfolger. Verbirg dich jetzt; in einer Stunde suchst du mich wieder auf!«
»O gütiger Herr, wie soll ich Euch danken? Ich habe mein Leben wieder und darf Molama, den Trost meiner Augen, sehen. Wischnu, der Allgütige, möge Euch dafür belohnen!«
»Cheer up, Schlingel, sonst fangen sie dich noch!«
Kaladi sprang auf der andern Seite der Plattform hinab und war im nächsten Augenblick hinter dem dort wuchernden Bambusdickicht verschwunden.
Es war die höchste Zeit gewesen, denn die Soldaten befanden sich bereits in der Nähe, und eine Menge Volkes, welches auf den ungewöhnlichen Vorgang aufmerksam geworden war, kam herbeigelaufen. Ich war einigermaßen besorgt über den Verlauf, den die Sache nehmen werde. Raffley aber trat den Verfolgern, deren Anführer uns erreicht hatte, mit seinem gewöhnlichen Gleichmute entgegen.
»Wo ist Kaladi, der uns entlaufen ist?« fragte der Erwähnte.
»Was willst du von ihm?«
Der Mann stutzte bei dem barschen, befehlshaberischen Tone dieser Gegenfrage, die er, der in seinem Rechte zu sein glaubte, jedenfalls nicht erwartet hatte.
»Ich will ihn wiederhaben.«
»So suche ihn!«
»Ihr wißt, wo er sich befindet.«
»Ah, meinst du?«
Der Klemmer ritt wieder vorn auf seiner Nasenspitze; John Raffley zupfte sich an den beiden Bartkoteletten und lachte in einer Weise, aus welcher sich deutlich ersehen ließ, daß ihm der Vorgang großes Vergnügen machte.
»ja, Ihr wißt es, denn Ihr habt ihm gepfiffen und gewinkt und ihn zur Flucht verleitet.«
»Das ist wahr! Hast du etwas dagegen?«
»Ich muß Euch arretieren!«
Der gute John Raffley riß vor Vergnügen den Mund samt den Augen so weit auf, als es ging.
»Verhaften? Mich, einen Peer und Gentleman aus Altengland? Hier auf Ceylon in diesem Eidechsenneste? Mensch, du bist wahnsinnig, du bist vollständig übergeschnappt! Mach, daß du fortkommst! Kaladi gehört mir und ich thue mit ihm, was mir beliebt.«
»Er gehört Euch? Wie so?«
»Er ist mein Diener und thut alles, was er thut, auf meinen Befehl. Ohne meinen Willen darf ihm kein Mensch auch nur ein Haar krümmen, selbst der Mudellier nicht.«
»Wenn er Euer Diener ist, warum blieb er nicht bei Euch stehen, warum ging er da fort?«
»Ich schickte ihn fort, weil es mir so gefiel. Du aber gehst zum Mudellier und sagst ihm, daß ich mit ihm sprechen werde!«
»Ihr werdet nicht mit ihm sprechen, sondern er mit Euch.«
»Ah? Inwiefern?«
»Weil ich Euch verhaften und zu ihm führen werde. Den aber, welchen Ihr Euern Diener nennt, lasse ich verfolgen und werde ihn sicher fangen. Vorwärts, kommt mit mir!«
»Begone; mach, daß du fortkommst!«
»Wenn Ihr nicht gutwillig mitgeht, so werde ich Euch zwingen müssen!«
»Versuche es einmal, ob du es fertig bringst!«
Er zog, im höchsten Grade belustigt, ein Paar riesige Drehpistolen hervor. Ich folgte seinem Beispiele und griff zu meinem Revolver.
»Ihr wollt Euch wehren?« fragte der Ceylonese erschrocken.
»Nein, mein lieber Sohn. Wir wollen uns nicht wehren, sondern werden dich nur ein wenig erschießen, wenn es dir einfallen sollte, uns noch länger zu belästigen.«
Der Mann befand sich sichtlich in einer schauderhaften Verlegenheit. Die Pflicht stritt in ihm mit der Furcht, welche ihm unsere Waffen einflößten, doch schien die Furcht zu siegen.
»Wie sagtet Ihr, woher Ihr seid, Sihdi?«
»Aus England.«
»Aus Anglistan, wo die große Königin wohnt? Ist das wirklich wahr?«
»Wirklich!«
»Und Ihr werdet auch gewiß zum Mudellier gehen?«
»Gewiß.«
»Und Ihr werdet mich nicht betrügen?«
Raffleys Gesicht leuchtete förmlich vor Vergnügen. Er liebkoste seinen Bart in einer Weise, welche auf die beste Laune schließen ließ, und antwortete:
»Ich bin ein Maharadscha aus Anglistan, und dieser Sihdi hier ist ein noch viel größerer Maharadscha aus Germanistan. Wenn du es nicht glaubst, so werde ich es dir beweisen. Kannst du lesen?«
»Ja!« versicherte der Gefragte, obgleich er sicher keinen Buchstaben kannte. Er gab diese Antwort jedenfalls nur, um sich bei seinen Untergebenen in den gehörigen Respekt zu setzen.
Sir John griff in die Tasche und brachte ein zusammengefaltetes Papier hervor. Es war die Speisekarte, welche er vorher im Hotel Madras zu sich gesteckt hatte. »Hier, lies!«
Der Mann ergriff das Blatt, führte es respektvoll an die Stirne, betrachtete es dann mit ernster, wichtiger Kennermiene und bewegte dabei die Lippen, als ob er lese. Dann schlug er es höchst sorgfältig wieder zusammen, drückte es an die Brust und gab es zurück.
»Ihr habt die Wahrheit gesagt, Sihdi. Ihr seid zwei Maharadscha vom Sonnenuntergang; hier steht es geschrieben. Ich darf Euch freilassen, denn ich weiß nun, daß Ihr zum Mudellier gehen werdet, um mich zu entschuldigen und ihm zu sagen, daß ich den Gefangenen nur deshalb entlaufen ließ, weil er Euer Diener war und also Euch gehörte.«
Er legte, ehrerbietig grüßend, unter einer tiefen Verneigung die Hände auf die Brust, wandte sich dann zu seinen Kriegshelden und marschierte mit ihnen die Plattform hinab der Stadt entgegen. Hinter ihm verlief sich der versammelte Haufe des neugierigen Volkes.
Vom Hafen herauf ließ sich ein eigentümlicher, monotoner Gesang vernehmen. Er ertönte auf einem ungewöhnlich großen chinesischen Schiffe, dessen Gangspill von fünf Männern gedreht wurde, um den großen Anker aufzuziehen. Sie ließen dabei nach dem Takte ihrer Schritte den bei diesen Seeleuten gebräuchlichen Kanon ›tien omma omma tien woosing‹ hören.
Raffley schob sich den Klemmer näher an die Augen und betrachtete das Fahrzeug mit aufmerksamem Blick.
»Charley!« sagte er.
»Sir John!«
»Wollen wir wetten?«
»Wetten? Worüber?«
»Daß der Kapitän dieser Dschonke entweder den Verstand verloren hat oder unter einer zweideutigen und schmutzigen Flagge segelt.«
»Warum glaubt Ihr dies?«
»Well, Ihr seid kein Seemann und habt also infolgedessen kein Auge für solche Dinge. Habt Ihr jemals eine Dschonke mit drei Masten gesehen?«
»Nein.«
»Und von einer so wunderbaren Takelage?«
»Was ist so Wunderbares an ihr?«
»Die Vereinigung des chinesischen mit dem amerikanischen Systeme und die Verhältnisse der Mastenhöhen. Wie kommt es, daß der Besan höher ist, als der Haupt- und der Fockmast? Und was soll das lange Spriet mit einer Doppelpardune?«
»Allerdings auffällig! Aus der Pardune läßt sich schließen, daß das Fahrzeug Pflugsegel trägt, um den Wind scharf zu schneiden, und mir scheint, die Masten haben die erwähnte Höhe erhalten, weil das nach hinten aufsteigende und voller werdende Segelwerk auf eine Vergrößerung der Schnelligkeit berechnet ist, wozu allerdings der tonnenförmige Bau des Rumpfes nicht paßt.«
»Charley, ich habe Euch für keinen Seemann gehalten, aber Ihr habt wirklich einen ganz guten Blick für Dinge, welche dem Auge einer Landratte sonst zu entgehen pflegen. Diese Dschonke ist eine höchst ungeschickte Nachahmung amerikanischer Klipperschiffe, und ich möchte mich ihr bei einer Bö um keinen Preis der Erde anvertrauen.«
»Diese auffällige Ausrüstung muß einen Zweck haben, den ich nicht verstehe.«
»Natürlich! Rechnet nun einmal dazu, daß dieses Fahrzeug jetzt, wo die Flut noch nicht umgesprungen ist, die Anker lichtet, um in die See zu stechen. Der Kapitän muß andere als seemännische Gründe haben, dies zu thun. Ich setze hundert Sovereigns, daß es entweder in seinem Kopfe oder zwischen seinen Planken etwas Unsauberes giebt. Ihr haltet doch die Wette!«
»Ich wette nie.«
»So setzt wenigstens zehn Pfund gegen meine hundert!«
»Auch das nicht, Sir.«
»Wirklich nicht? For shame, Charley, schämt Euch! Es ist ein wirkliches Unglück, daß ihr so ein netter Kerl seid und Euch doch niemals verstehen wollt, einen Einsatz anzunehmen. Ihr werdet es in Eurem ganzen Leben nicht dazu bringen, ein wahrhaftiger Gentleman zu sein, und da mich dies ganz bedeutend ärgert, so werde ich Euch schon einmal zu zwingen wissen, eine Wette zu parieren. Seht Ihr den spanischen Dampfer? Will auch der in See gehen?«
»Wohl nicht. Er wird wohl den Chinesen in das Schlepptau nehmen sollen, um ihn gegen die Flut aus dem Hafen zu bugsieren.«
»All right! Er legt sich vor, und der Chinese zeigt seinen Stern. Könnt Ihr vielleicht sehen, welchen Namen er führt?«
»Nein.«
»Dann muß ich meine Chair-and-umbrella-pipe zu Hilfe nehmen.«
Er nahm den Schirm auf, stellte die Gläser und visierte nach der Dschonke hinüber.
»Haiang-dze. Der Kuckuck hole die albernen Namen, welche diese Zopfmänner führen! Kommt, Charley. Da Ihr einmal nicht wetten wollt, so geht uns das Schiff auch nichts mehr an!«
Wir schritten der Stadt zu und schlugen die Richtung nach dem Hotel Madras ein. Dort angekommen, begaben wir uns in das luftige Gemach des Engländers, um hier Kaladi zu erwarten.
Die diesem gesetzte Frist verstrich, ohne daß er erschien.
»Charley!«
»Was?«
»Wollen wir wetten?«
»Nein.«
»So hört doch erst, was ich meine! Ich behaupte nämlich, daß dem armen Teufel etwas Widerliches passiert ist, und setze auf diese Meinung fünfzig Pfund. Ihr seid natürlich anderer Ansicht und werdet also diesmal meine Wette parieren.«
»Leider kann ich dies nicht thun, weil ich ganz dieselbe Ansicht hege, wie Ihr, Sir John. Wäre alles in Ordnung, so müßte er ja schon längst erschienen sein.«
»Well! Ihr seid einmal, was das Wetten betrifft, ein vollständiger und unverbesserlicher Ignorant. Ein wahrer Gentleman würde auf meinen Vorschlag eingehen, selbst wenn seine Ansicht ganz mit der meinigen übereinstimmte. Ich warte noch fünf Minuten. Kommt er auch während dieser Zeit nicht, so brechen wir auf und – – hush, was geht da draußen vor?«
Draußen auf der Straße, wo jetzt die Dunkelheit des hereinbrechenden Abends mit dem Scheine der zahlreich in den offenen Veranden aufgehängten Lampen stritt, ließ sich ein ungewöhnlicher Lärm vernehmen. Laute, durchdringende Rufe ertönten und der Sturmschritt einer schnell dahineilenden Menge erscholl.
Wir traten hinaus vor den Eingang. Die Hauptmasse war bereits vorüber, doch kamen wir immerhin noch zeitig genug, um einen windschnell dahinschießenden Menschen zu erkennen, welcher in eben solcher Hast verfolgt wurde.
Raffley hatte in der Eile den Klemmer von der Nase verloren; er hing ihm an der schwarzseidenen Schnur über die Weste herab.
»Charley!«
»Sir John!«
»Wißt Ihr, wer der Mann war?«
»Nein.«
»So bin ich scharfsinniger als Ihr.«
»Nun?«
»Kaladi!«
»Ah!«
»Ja, er war es sicher. Man hat ihn attrapiert und ihn wieder festnehmen wollen.«
»Er kann es nicht gewesen sein!«
»Warum nicht?«
»Weil er sicher bei uns Zuflucht gesucht hätte.«
»Pshaw; der gute Kerl hat uns nicht mit seinen Verfolgern belästigen wollen.«
»Das hieße die Zartheit zu weit treiben, da Ihr Euch seiner einmal angenommen habt. Er weiß ja, daß sein Leben auf dem Spiele steht.«
»Sein Leben? Wo denkt Ihr hin? Laßt Euch doch nichts weismachen, Charley! Kaladi ist nicht nur der beste Schwimmer, sondern auch der ausdauerndste Läufer, den ich kenne. Er wird sich diesesmal nicht fassen lassen. Dennoch aber bedarf er meiner Hilfe, und ich werde deshalb jetzt zum Mudellier gehen. Ihr begleitet mich doch?«
»Das versteht sich!«
Wir kehrten in das Zimmer zurück, um unsere Hüte und Sir Johns Chair-and-umbrella-pipe zu holen, hatten aber diese Gegenstände noch nicht ergriffen, als sich hinter uns die Thür öffnete, um Kaladi einzulassen, welcher mit fliegendem Atem und rinnendem Schweiße in das Zimmer trat.
»Verzeiht, Sihdi,« keuchte er, »daß ich nicht eher gekommen bin.«
»Du bist bemerkt worden?«
»ja, Sihdi. Ich mußte, um zu Euch zu gelangen, durch die Straßen der Stadt, durch welche man mich vorhin geführt hatte. Man erkannte mich daher und wollte mich fangen.«
»Well, mein Junge. Aber man hat dich nicht bekommen.«
»Nein. Ich sprang bis an das Wasser und bog dann hinter der Stadt herum, um durch den Garten in das Hotel zu kommen. Sie haben mich aus dem Auge verloren und werden mich hier nicht finden.«
»All right. Setze dich nieder und sieh, daß du wieder zu Atem kommst! Seht Ihr es, Charley, daß ich recht hatte? Sie haben ihn nicht eingeholt. Er ist ein tüchtiger Kerl, gewandt und mutig, welch letzteres man von dem feigen, singhalesischen Packe hier nicht zu sagen hat. Und grad deshalb gefällt er mir.«
»Sihdi, Ihr seid ein zu gütiger Maharadscha!« fiel Kaladi ein.
»Pshaw, sei still! Die Haie hätten mich ja längst verschlungen, wenn du mich nicht gerettet hättest. Ihr müßt nämlich wissen, Charley, daß ich einmal mit meiner Dampfjacht eine Fahrt um diese langweilige Insel unternahm. Ich kam an die Bänke von Negombo, und da ich die Perlfischerei sehen wollte, so hielt ich nahe an sie heran, stellte mich auf die Reling und hielt mich an den Wanten fest. Wir aber kannten das Fahrwasser nicht, streiften an ein Riff, und ich wurde von dem Stoße, welcher dabei erfolgte, über Bord geworfen.«
»Man stoppte doch sofort die Maschine, Sir?«
»Hat sich sein Stoppen, Charley! Da ich die Jacht stets selbst kommandiere und der Steuermann ganz verteufelt beschäftigt war, vom Felsen abzuhalten, war gar niemand da, der dem Maschinisten den Befehl hätte erteilen können. Uebrigens hatte, wie sich später herausstellte, kein Mensch meinen Unfall bemerkt. Hist, ich sage, kein Mensch, und das ist nicht wahr, denn dieser brave Bursch hier hatte es doch gesehen. Er war drei Minuten lang unter Wasser gewesen und kam ermattet und mit einer schweren Ladung Muscheln zur Oberfläche empor. In diesem Augenblick sah er mich fallen, ließ die Muscheln wieder zur Tiefe, kam auf mich zu und faßte mich. Es dauerte allerdings eine gute Weile, bis er mich hatte, denn die Strecke von ihm bis zu mir war ganz bedeutend, und obgleich ich kein übler Schwimmer bin, fühlte ich mich vollständig ermattet, so daß er grad zur rechten Zeit kam, mich über Wasser zu halten. Auf der Jacht hatten sie endlich doch bemerkt, was vorging; man setzte schleunigst ein Boot aus und holte uns an Bord. – Du bleibst jetzt hier, Kaladi, und wartest auf uns. Ihr aber, Charley, begleitet mich zum Mudellier!«
Wir schlossen den Singhalesen ein und gingen.
Vor der Wohnung des Beamten lungerte eine Menge seiner Untergebenen herum. In diesen Länderstrichen hat jeder besser situierte Mann für fast jede besondere Handreichung auch einen besonderen Bedienten. Das ist bedingt durch das Kastenwesen und wird ermöglicht durch die überaus große Billigkeit von allem, was die Notdurft des Leibes und des Lebens erfordert.
»Wollt ihr zum großen Mudellier?«, fragte einer von ihnen. »Allerdings.« »Da müßt ihr morgen kommen. Jetzt ist es zu spät!«
Raffley nahm den Mann und schob ihn zur Seite.
»Sheep, Schaf, mache dich beiseite!«
Im Nu waren wir umringt. Einige hatten sogar die Verwegenheit, uns anzufassen, Sir John ließ durch eine ihm bei guter Laune eigentümliche Bewegung der Gesichtsmuskeln den Klemmer auf die Nasenspitze avancieren, erhob den Schirm und zog mit demselben dem ihm zunächst Stehenden einen Hieb über das Gesicht, daß er weit zurücktaumelte.
Dies setzte uns sofort in den beabsichtigten Respekt, so daß wir nun ungehindert eintreten konnten.
»Seht Ihr es, Charley, was so eine Chair-and-umbrella-pipe zu bedeuten hat? Es ist ein Universalreisegerät, wie es sicher kein zweites giebt,« lachte höchst befriedigt der Engländer. »Vielleicht kann ich Euch dies gleich zum zweitenmal beweisen.«
Wir waren durch die Veranda in ein Vorzimmer gelangt, dessen Wände die Decke nicht erreichten, sondern nur bis etwas über Mannshöhe emporgingen, um der Luft den freien Zustrich zu gestatten. Man findet diese dem Klima höchst angemessene Bauart fast an jedem Hause von Point de Galle. Hier saßen auf Bastmatten zwei Diener, welche sich erhoben und die schon vorher an uns gerichtete Frage wiederholten.
»Ihr wollt zum großen Mudellier?«
»Ja.«
»Er ist am Abende nicht zu sprechen. Wer hat euch eingelassen?«
»Wir selbst, wenn's euch beliebt!«
»Geht, und kommt morgen wieder!«
»Das wird sich nicht gut machen, meine Jungens!«
Raffley schritt ohne Umstände auf den Eingang des nächsten Zimmers zu, doch stellten die beiden Männer sich sofort ihm entgegen.
«Halt! Der Eintritt ist verboten. Geht zurück!«
»Well! Und dann wieder vorwärts. Kommt her, Jungens!«
Er faßte den einen mit dem rechten und den andern mit dem linken Arme, trug sie zum Eingange zurück und schleuderte sie hinaus unter andere, denen ihre bereits erschütterte Fassung jetzt vollends ganz verloren ging. Ein fürchterliches Geschrei war die Folge des ungewöhnlichen Attentates; Raffley aber blieb von dem Lärm völlig unberührt. Er schob seinen Klemmer zurück und faßte mich am Arme:
»Kommt, Charley, sonst verkriecht sich dieser Mudellier und denkt, daß er auch exmittiert werden soll!«
Wir traten in das nächstfolgende Gemach. Es war aus Bambuswänden gefertigt, welche eine Bekleidung von Bananenblättern trugen. Von der Mitte des deckenlosen Raumes hing an einer Kreuzschnur eine Lampe hernieder, die ihren matten Schein über einen kostbaren persischen Teppich breitete, auf welchem der Mann, weichen wir suchten, mit untergeschlagenen Beinen in der Stellung saß, welche der Türke Rahat otturmak, d. i. Ruhe der Glieder, nennt. Der kleine, schmächtige Beamte war ganz in gelbe Seide gehüllt, und seine groß auf uns gerichteten Augen, seine halb geöffneten Lippen und der halb erstaunte, halb ängstliche Ausdruck seines Gesichtes bewiesen, daß er den von uns verursachten Lärm vernommen habe und unseren Eintritt keineswegs als ein gleichgültiges Ereignis betrachte.
»Good day, Sir!« grüßte John Raffley englisch, obgleich er wußte, hier einen Eingeborenen vor sich zu haben. Dieser erwiderte den lauten Gruß und auch meine stumme Verneigung mit einem leisen Nicken seines Hauptes und fragte dann:
»Was wollt ihr?«
»Uns setzen!« bemerkte der Englishman einfach, indem er sich sofort und ohne alles Ceremoniell zur rechten Seite des Mudellier niederließ und mir einen Wink gab, dasselbe auch auf der linken zu thun. Ich folgte seinem Beispiele; dann fuhr er fort: »Du bist der weise Mudellier, welcher Gericht hält über die Sünden der Stadt Point de Galle?«
»Ja.«
»Wie ist dein Name?«
»Mein Name ist Oriwana ono javombo.«
»Well, du hast einen stolzen und wohlklingenden Namen; aber ich sage dir, Oriwana ono javombo, daß du nicht lange mehr Mudellier sein wirst!«
Der Beamte horchte auf.
»Was sagst du? Ich verstehe dich nicht.«
»Sage, wem gehört diese Insel?«
»Der großen Königin in Anglistan.«
»Und wer hat dir dein Amt gegeben?«
»Der Gouverneur, welcher ein Diener unserer mächtigen Herrscherin ist.«
»Er kann es dir auch wieder nehmen?«
»Ja, wenn es ihm beliebt.«
»Nun wohl, es wird ihm belieben.«
»Warum?«
»Weil du dich versündigst an dem Eigentum derer, welche über dich zu gebieten haben.«
»Hüte dich, Franke! Dein Mund redet die Unwahrheit von einem treuen Sohne der großen Königin.«
»Kennst du den Namen Kaladi?«
»Ich kenne ihn. Kaladi ist zweimal entsprungen, um dem Tode zu entgehen, doch meine Leute sind hinter ihm und werden ihn wieder bringen.«
»Welches Recht hast du, ihn zu verfolgen?«
»Er hat einen Menschen getötet.«
»Er hat bloß einen nichtswürdigen Chinesen getötet. Kanntest du den Toten?«
»Es war ein Mann von der Dschonke ›Haiang-Dze‹. Er hatte die Verlobte Kaladis angerührt und dieser stach ihn nieder. Der Kapitän der Dschonke kam zu mir und verlangte Gerechtigkeit.«
»Hast du sie ihm gegeben?«
»Ich werde sie ihm geben, sobald Kaladi wieder vor mir steht.«
»Well, das ist es ja, was ich meine: Du versündigst dich an meinem Eigentume. Kaladi gehört nicht dir, denn er ist mein Diener.«
»Ah! So bist du der Engländer, welcher ihm behilflich gewesen war, zu entkommen?«
»Der bin ich.«
»So habe ich auf dich gewartet. ich muß dich bestrafen, wenn du mir nicht beweisen kannst, daß Kaladi wirklich dein Diener gewesen ist in dem Augenblick, als er vom Felsen floh.«
Raffley lächelte. Der Klemmer rutschte ihm auf die Nasenspitze. Er griff in die Tasche und zog seine Drehpistolen hervor.
»Ich sage, Kaladi war mein Diener. Glaubst du es?«
»Beweise es!«
»Du glaubst es also nicht! Welt, so werde ich als Gentleman mit dir reden! Weißt du, was ein Gentleman ist?«
»Sage es mir!«
»Ein Mann, der sich mit jedem schießt, der ihm keinen Glauben schenkt. Hier, nimm diese Pistole. Ich zähle bis drei, dann schieße ich und du thust es natürlich auch. Vorwärts! Eins – zwei –-- dr –---«
»Halt! Ich weiß ja gar nicht, wie ich dieses fürchterliche Ding anzufassen habe!« rief der Mudellier, vor Angst kerzengerad emporspringend. »Was habe ich dir gethan, daß du mich morden willst?«
»Du hast nicht geglaubt, was ich dir sagte, und darum muß einer von uns beiden sterben; dann bin ich befriedigt und werde ruhig nach Hause gehen.«
»Ich glaube ja, was du sagtest! Hier hast du die Waffe zurück!«
»Du glaubst, daß Kaladi mein Diener ist?«
»Ich glaube es: ich weiß es ganz gewiß.«
»Well, warum verfolgst du ihn dann?«
»Ich werde sofort Boten aussenden, die Verfolger zurückzurufen, damit ihm kein Leid geschehe.«
»Das hast du nicht nötig. Er befindet sich bereits bei mir in Sicherheit.«
»Wo wohnst du?«
Am Hotel Madras.«
»Und wie ist dein Name?«
»John Raffley.«
»John Raffley, der Neffe des General-Gouverneurs?« rief der Mudellier höchst überrascht.
»All right: der bin ich.«
»Ich habe dich erwartet und gesucht, doch nicht gefunden.«
»Warum?«
»Ich habe einen Brief abzugeben von dem Gouverneur von Kandy. Er schrieb mir, daß du kommen werdest.«
»Ich bin leider im Hotel und nicht im Gouvernement abgestiegen; dies ist der Grund, warum du mich nicht fandest.«
Er öffnete das Schreiben und überflog es. Am Schlusse desselben ging ein so vergnügtes Lächeln über sein Gesicht, daß der dünne Mund von einem Ohr bis zum andern gezogen wurde und der Klemmer in die höchste Gefahr kam, von der Nasenspitze herabzuspringen.
»Charley!«
»Sir Raffley!«
»Habt Ihr einmal einen Elefanten gesehen?«
»Einen wievielbeinigen?«
Er lachte vergnügt über meine Zurechtweisung.
»Aber noch keinen gejagt.«
»O doch; im Norden der Kalahari und auch anderswo, wenn es Euch gefällig ist, Sir John.«
»Damn! Ich dachte, Euch eine Freude zu machen, und fällt sie nun mir in den Brunnen! Ihr habt Elefanten mit der Büchse erlegt?«
»Allerdings.«
»Dann wird Euch eine Korraljagd kein Vergnügen bereiten!«
»O doch; ich bin noch nie bei einer solchen zugegen gewesen.«
»Well; ich habe hier zu einer Korral-Chasse die Einladung vom Gouverneur. Ihr seid doch dabei?«
»Versteht sich!«
»Und auch du wirst mich begleiten?« wandte er sich zum Mudellier.
Dieser verbeugte sich beinahe bis zum Boden herab und antwortete:
»Du giebst mir große Ehre, o Maharadscha. Laß mir die Stunde sagen, und ich werde zu deinem Gefolge gehören.«
»Und Kaladi?«
»Ist frei.«
»So lebe wohl!«
»Lebe wohl!«
Der hohe Beamte begleitete uns bis vor die Thür, und auf seinen Wink kamen sechs Läufer herbei, welche uns mit Fackeln heimleuchten mußten. Die Dienerschaft, welche uns den Eingang verweigert hatte, war sicher sehr erstaunt über den ehrenvollen Abschied, der uns gegeben wurde.
Daheim erwartete uns Kaladi mit leicht zu erklärender Besorgnis.
»Wie ist es, Sihdi?« fragte er. »Habt Ihr mit dem Mudellier gesprochen?«
»Ja. Du bist frei.«
Der brave Singhalese that vor Freude einen Satz, welcher einem Tiger Ehre gemacht haben würde.
»Sihdi, ich danke Euch! Ihr seid – – –«
»Still! Leben um Leben. Du hast mir das meinige gerettet, und ich gebe dir. das deinige zurück. Wirst du bei mir bleiben, so lange ich auf Ceylon bin?«
»Ich werde nicht von dir weichen, bis du selbst mich verjagest.«
»Well, so mache dich fertig, mit nach Kornegalle zu gehen, wo wir Elefanten fangen werden!«
»Elefanten? Da ist viel Volk vonnöten, Männer, Frauen und Kinder. Darf ich mitnehmen Molama, die Blume meiner Seele?«
»Nimm sie mit!«
»Habt Dank! Ihr seid voll Güte wie der Tau der Wolken und voll Liebe wie die Sterne der Nacht. Wischnu segne Euch, Euch und den Maharadscha aus Germanistan. Ich werde Euch mein Leben schenken, wenn Ihr es begehrt!«--