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Der riesige Chinese lag besinnungslos zu unsern Füßen. Ich war auf einen Faustkampf mit ihm gefaßt gewesen, und wenn ich mich auch nicht im mindesten vor ihm gefürchtet hatte, so kam es doch wie eine Art von Erleichterung über mich, als ich ihn auf diese Weise unschädlich gemacht sah.
»Thunder-storm, war das ein Hieb!« rief der Lord aus. »Wer hätte das dem kleinen Quimbo zugetraut!«
Der Kaffer hörte das und fragte stolz:
»Warum das nicht trau zu Quimbo? Quimbo bin schön', groß', tapfer Held; Quimbo sich nicht fürcht', wenn auch nicht bin so groß und lang und breit wie Chines'. Quimbo hat lieb gut' brav' Deutschland und schlag tot für ihn all' Chines' und ander Feind. Hab' Quimbo mach' gut sein Sach?«
»Ja, du hast sie gut gemacht, doch will ich hoffen, daß du den Kerl nicht ganz erschlagen hast.«
Ich bückte mich nieder, untersuchte Ta-ki und konnte die Versicherung geben:
»Er ist nicht tot und wird bald wieder erwachen, aber eine tüchtige Geschwulst wird er einige Wochen lang am Kopfe herumtragen.«
»Das schadet ihm nichts. Wer eine solche Handspeiche an den Schädel bekommt, der darf sich gar nicht wundern, daß ihm der Kopf einige Zeit lang brummt. Wollen ihn binden, damit er keine Dummheiten machen kann, wenn er erwacht.«
Der Chinese wurde an den Mast geschafft und dort so fest angebunden, daß er sich später nicht bewegen konnte; dann gebot der Lord dem Steuermann:
»Und nun auf mit dem Anker, damit wir wieder nach Kamorta kommen!«
»Ich möchte vorschlagen, lieber noch einige Zeit vor Anker liegen zu bleiben,« widersprach ich ihm.
»Warum?«
»Es giebt für uns hier noch zu thun.«
»Was?«
»Der Chinese hat Verbündete hier, mit denen er die Jacht überfallen und die Bemannung töten wollte,« erklärte ich ihm.
»Was geht das uns jetzt an?«
»Sehr viel, denke ich. Ich weiß nicht, wo diese Leute sich versteckt haben.«
»Ich auch nicht.«
»Wir müssen sie suchen.«
»Wozu?«
»Um sie unschädlich zu machen.«
»Das sind sie ja schon!«
»Denkt Ihr?«
»Natürlich! Oder meint ihr, daß diese Kerls uns jetzt noch überfallen und ermorden können?«
»Allerdings nicht.«
»So gehen sie uns nichts mehr an. Ich bin kein Polizist und auch nicht ein Beamter der hiesigen Verbrecherkolonie. Sir John Raffley hat keine Lust, diesen Herren die Spitzbuben zusamrnenzufangen.«
»Meinetwegen! Aber es giebt hier auf der Insel Vorräte, welche uns sehr nützlich sein könnten.«
»Habt Ihr sie gesehen? Wißt Ihr, wo sie stecken?«
»Ja.«
»So sagt das dem Verwalter auf Kamorta; ich aber habe, was ich bedarf, bezahle, was ich brauche und bereichere mich nicht an Dingen, die sich in den Händen von Spitzbuben befunden haben. Wenn nur unser Zweck erreicht ist, so mag ich nichts weiter wissen und weiter nichts haben. Und erreicht ist er doch? Oder etwa nicht?«
Ich sah ihn lächelnd an, ohne zu antworten; da näherte er sein Gesicht dem meinigen, ließ den Klemmer auf die Nasenspitze vorrutschen und fragte:
»Was schaut Ihr mich so an, Charley? Sollte ich mich etwa getäuscht haben?«
»Ihr meint, daß ich erfolgreich gewesen bin?«
»Yes. Wenigstens glaubte ich das aus den Worten schließen zu können, die Ihr zu dem Chinesen sagtet.«
»Well! Ihr seht also nun wohl ein, daß Ihr Eure Wette verloren hättet?«
»Laßt mich mit der Wette in Ruh, und sagt mir lieber, wie es steht!«
»Schön! Ich weiß, wo die Tigerbrücke zu suchen ist, Sir.«
»Ach! Wo?«
»An der Südwestküste von Sumatra, bei der Mansillar-Insel in der Tapanuli-Bai.«
»Das ist ja wohl gegenüber der großen Insel Pulo Niha oder auch Nias genannt?«
»Nordöstlich davon, zwischen ihr und dem Festlande.«
»Ihr irrt Euch nicht?«
»Nein.«
»Habt Euch nicht etwas weismachen lassen?«
»Ist mir nicht eingefallen!«
»So seid Ihr ein tüchtiger Kerl und habt Eure Sache gut gemacht. Hätte wirklich fast nicht geglaubt, daß es Euch gelingen würde, diesem Chinesen sein Geheimnis zu entlocken! Nun Ihr dies aber fertig gebracht habt, wollen wir unsere kostbare Zeit ja nicht hier auf Tillangdschong versäumen. Wir schaffen den Chinesen nach Kamorta und liefern ihn aus. Was dann hier geschehen soll, das ist Sache der Kolonieverwaltung. Wir warten nicht, sondern dampfen nach Sumatra.«
»Hm! Wird das möglich sein?«
»Warum nicht?«
»Habt Ihr genug Kohlen?«
»Nein; habe aber schon daran gedacht. Werde auf Kamorta einen tüchtigen Vorrat Holz einnehmen; es sind ja genug Gefangene dort, welche diese Arbeit verrichten können.«
jetzt kam der Anker in die Höhe, und die Jacht wendete sich um die Nordwestecke der Insel nach Süd, wobei wir bemerkten, daß Ta-ki wieder zu sich kam. Sein Kopf schmerzte ihn, und er wollte mit den Händen nach demselben greifen, was er aber nicht konnte, weil er gefesselt war. Das brachte ihn ganz zur Besinnung. Er stieß einen Ruf des Grimmes aus und ließ seine Augen zwischen mir und dem Lord hin und her rollen.
»Schuft! Verräter!« knirschte er mich an. »Ich nahm dich in Schutz, und du hast mich dafür so elend verraten!«
»Du irrst dich,« antwortete ich ihm lächelnd. »Ich kam nicht zu dir, um Schutz bei dir zu suchen, denn ich war kein entflohener Verbrecher.«
»Was dann?«
»Ich gehöre zu dieser Jacht und war dabei, als wir den Haiang-dze erwischten. Der Kapitän ist bestraft mit allen seinen Leuten; du wirst deinen Lohn ebenso finden, und so war nur noch Ling-tao auf der Tigerbrücke zu suchen. Wo diese liegt, das wußten wir nicht und so kamen wir zu dir, um dir dieses Geheimnis zu entlocken.«
Er stieß einen Fluch aus und schloß die Augen, ob aus Scham oder um uns seine Verachtung zu zeigen, das war mir sehr gleichgültig.
Mahaba war, als ich mit Ta-ki nach der Insel ruderte, am Ufer zurückgeblieben, aber sogleich auf einem zweiten Boote nachgekommen, als er sah, daß der Chinese niedergeschlagen wurde. Diese beiden Boote wurden auf meinen Vorschlag an Bord gehißt, denn es kam mir der Gedanke, daß wir sie später wohl gebrauchen könnten.
Als wir dann wieder vor Kamorta Anker warfen, gab der Lord das Zeichen, daß wir den Kommandanten zu sprechen wünschten. Er kam und zeigte sich über unsern Erfolg erfreut. Nachdem er meine ganze Unterredung mit Ta-ki zu Protokoll genommen hatte, versprach er uns, uns so viel Holz, wie wir nur fassen konnten, zu senden, und ruderte mit dem Gefangenen nach dem Lande zurück. Bald darauf wurde uns das versprochene Feuermaterial gebracht, und zwar so viel, daß es bis zur halben Nacht dauerte, ehe es an Bord geschafft worden war. Es war mehr als zureichend, den Kessel bis Sumatra zu speisen. Als der Tag zu grauen begann, dampften wir aus dem Hafen von Kamorta hinaus und der rätselhaften Tigerbrücke entgegen.
Also in der Tapanuli-Bai sollte die Hu-Kiao zu suchen sein! Wäre ich nicht fest überzeugt gewesen, daß der Chinese mir die Wahrheit gesagt hatte, so hätte ich irre werden können oder vielmehr irre werden müssen, denn diese Bai bietet die geräumigsten und sichersten Ankerplätze der ganzen Insel, und darum herrscht hier ein so reger Verkehr, daß das Vorhandensein eines Schlupfwinkels für Seeräuber eigentlich unglaublich erscheinen müßte. Trotzdem hielt ich an meiner Ueberzeugung fest; dagegen waren die Zweifel des Lords erwacht; sie wuchsen immer mehr, je näher wir dem Ziele kamen, und als wir endlich Pulo si Malu zur Linken hatten und bald über Back nach der Tapanuli-Bai wenden konnten, musterte er die Fahrzeuge verschiedener Größe, welche die Scene belebten, und fragte mich in bedenklichem Tone:
»Charley, wollen wir wetten?«
»Worüber?«
»Daß wir unverrichteter Sache von hier fortdampfen werden? Ich bin nämlich überzeugt davon.«
»Und ich sage, daß wir unsern Zweck ganz gewiß erreichen werden.«
»Well! Wollen wir also wetten?«
»Ja.«
Das war das erste Mal, daß ich ja sagte. Er that beinahe einen Luftsprung, starrte mich höchst erstaunt an, ließ den Klemmer auf die Nasenspitze avancieren und rief aus:
»Wirklich? Ihr wollt wirklich wetten?«
»Ja.«
»Das ist ein Wunder, ein ungeheuer großes Wundert Aber ich freue mich darüber, denn nun kann ich Hoffnung haben, daß mit der Zeit doch noch ein wirklicher Gentleman aus Euch wird. Also ich behaupte, daß wir umsonst hierhergekommen sind. Und Ihr?«
»Ich behaupte, daß wir unsere Absichten erreichen und ausführen werden.«
»So wollen wir setzen?,«
»Ja.«
»Wieviel?«
»Wieviel denkt ihr wohl?«
»Hundert Pfund?«
»Das ist zu wenig.«
»Was? Wie? Zu wenig? Wie hoch denn?«
»Tausend Pfund.«
»Tau – – – tau – – – tau – – – –«
Er brachte bloß diese eine Silbe über die Lippen und riß die Augen fast noch weiter auf als den Mund. So etwas Unbegreifliches war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.
»Ja, tausend Pfund,« nickte ich mit einer Miene, als ob es sich um ein Drei- oder Fünfmarkstück handle.
»Aber, seid Ihr denn des Teufels, Charley?!«
»Nein; ich weiß ganz genau, was ich sage.«
»Tausend Pfund! Tausend Pfund! Das ist doch für Euch kein Pappenstiel!«
»Allerdings nicht.«
»Dieser sonst so sparsame und vorsichtige Mensch will tausend Pfund setzen! Geradezu unbegreiflich! Habt Ihr denn soviel bei Euch?«
»Nein.«
»Nicht? Good god! Und wollt doch diese Summe setzen?«
»Versteht sich!«
»Wie ist das möglich?«
»Ihr borgt mir die tausend Pfund.«
»Ich borge – – borge – – borge Euch – –«
Er blieb wieder mitten in der Rede stecken und betrachtete mich wie ein Geheimnis, welches nicht zu ergründen ist. Ich erklärte ihm in leichtem Tone:
»Ihr habt mich so oft vergeblich zum Wetten aufgefordert und mir so oft dabei gesagt, daß Ihr mir den Betrag leihen wollt. Könnt Ihr Euch da wundern, daß ich endlich einmal von diesem Anerbieten Gebrauch mache?«
Da lachte er lustig auf und rief:
»Ah so! Ich soll gefangen werden; aber das wird Euch nicht gelingen, denn ich weiß, daß ich diese Wette gewinnen muß. Also gut, ich leihe Euch die tausend Pfund, und zwar gern, von Herzen gern, und damit Ihr seht, daß ich meiner Sache vollständig sicher bin, setze ich das Doppelte, also zweitausend Pfund, dagegen. Einverstanden?«
»Nein.«
»Nicht? All devils! Ihr werdet mir immer rätselhafter! Was könnt Ihr denn dagegen haben, daß ich das Doppelte setze?«
»Eigentlich nichts; aber ich will kein Geld gewinnen.«
»Was denn?«
»Einen Gegenstand, den ich gern haben möchte. Wollt Ihr ihn gegen meine tausend Pfund setzen?«
»Welcher Gegenstand soll das sein?«
»Eure Chair-and-umbrella-pipe, Sir.«
Ich sagte das in einem so gleichgültigen Tone, als ob es sich um etwas ganz Geringfügiges, Wertloses handle; Raffley aber machte jetzt wirklich einen Luftsprung, spreizte alle zehn Finger abwehrend gegen mich aus und schrie:
»Meine Chair-and-umbrella-pipe! Zounds! Seid Ihr verrückt, Charley? Was fällt Euch denn plötzlich ein. Die soll ich setzen und riskieren, die?«
»Warum denn nicht?«
»Warum nicht? Welch eine Frage! So einen Unverstand habe ich Euch nie zugetraut, nie!«
»Sehr aufrichtig, Sir, sehr!«
»Ja, was wollt Ihr denn sonst hören? Was soll ich Euch denn anderes sagen? Ich gebe Euch hiermit mein heiliges Wort, daß mir in meinem ganzen Leben noch niemals eine so starke Zumutung gestellt worden ist!«
»Das ist Eure Ansicht, Sir, aber nicht die meinige. Ihr thatet ja, als ob Ihr vollständig überzeugt wäret, die Wette zu gewinnen.«
»Das war ich, und das bin ich auch noch jetzt.«
»Aber warum entsetzt Ihr Euch da so? Warum regt Ihr Euch da in so hohem Grade auf? Wenn Ihr gewinnen müßt, giebt's ja gar kein Risiko!«
»Unsinn! Risiko oder nicht Risiko, meine Chair-and-umbrella-pipe setze ich keiner Chance aus.«
»Aber Ihr seid ja überzeugt, alle Chancen für Euch zu haben, Sir John Raffley!«
»Wenn auch! Dieses großartige Unikum ist mir vom Traveller-Club, London, Near-Street 47, als Souvenir verehrt worden. Was würde man dort sagen, wenn man erführe, daß ich die Rücksichtslosigkeit gehabt habe, die Pipe auf das Spiel zu setzen! Nein, nein, darauf gehe ich nicht ein. Ich setze zweitausend Pfund.«
»Und ich setze nur gegen Eure Pipe.«
»Dann kann aus der Wette nichts werden.«
»Wirklich nicht? Ist das Euer Ernst?«
»Ja, mein vollster Ernst.«
»O weh! Das thut mir leid, sehr leid um Euch!«
»Leid? Warum denn?« horchte er auf.
»Weil ich Euch bisher für einen echten, wahren Gentleman gehalten habe.«
»Bisher? Nur bisher, Charley?«
»Ja.«
»Zweifelt Ihr etwa daran, daß ich es noch bin?«
»Ich muß ja.«
»Thunder-storm! Das ist viel gesagt; das ist sogar eine Beleidigung!«
»Wenn es eine ist, so habe ich sie aus Eurem Munde oft hören müssen. Ihr habt mir wiederholt gesagt, daß derjenige, der eine angebotene Wette zurückweist, kein wahrer Gentleman sei.«
»Aber ich weise diese Wette ja gar nicht zurück; nur will ich meine Chair-and-umbrella-pipe nicht setzen; das kann und darf ich nicht.«
»Da ist Wortklauberei. Ihr wollt sie nicht setzen, folglich wetten wir nicht, und daran seid Ihr schuld. So ist die Sache. Oder ist sie etwa anders?«
Er zog ein außerordentlich verlegenes Gesicht, rieb sich ratlos die Hände und murmelte:
»Verteufelt fatale Angelegenheit, ganz und gar fatal! Weiß mir wirklich keinen Rat!«
Damit drehte er sich scharf um und ging. Er lief eine Zeit lang an der Steuerbordreiling hin und her, nickte vor sich hin, schüttelte den Kopf, gestikulierte mit den Händen und machte allerhand andere sonderbare Bewegungen; dann kehrte er wieder zu mir zurück, legte mir die beiden Hände auf die Achseln und fragte:
»Charley, Ihr wollt mit mir wetten?«
»Ja.«
»Tausend Pfund gegen meine zweitausend?«
»Nein.«
»Aber Eure tausend Pfund gegen meine kostbare Chair-and-umbrella-pipe?«
»Ja.«
»So sei mir der Himmel gnädig! Es ist richtig, und Ihr habt recht: Als Gentleman muß ich die Wette annehmen; aber wenn ich sie verliere, so muß ich aus dem Klub treten und darf mich nie wieder bei meinen Freunden sehen lassen. Ihr seid ein schauderhafter Kerl!«
»Aber doch endlich ein vollständiger Gentleman, der weiß, was eine Wette zu bedeuten hat!«
»Hm, ja! Aber ich will Euch aufrichtig sagen, daß Ihr mir vorher als halber Gentleman lieber waret, viel, viel lieber; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«
Er ging betrübt nach dem Hinterteile des Schiffes. Natürlich war es nicht im mindesten meine Absicht, ihn um seine geliebte Pipe zu bringen; die Verlegenheit, in der er sich jetzt befand, sollte ihm eine Lehre sein und die Veranlassung werden, nicht wieder so absprechend über jemanden zu urteilen, dessen Grundsatz es nicht ist, auf jede Wette einzugehen.
Inzwischen hatten wir die Insel Pulo si Malu hinter uns gelegt und einen südöstlichen Kurs genommen. Links, weit vor uns, erschienen die Baniakinseln, und zu unserer Rechten tauchten in der Ferne die kleinen Eilande auf, welche der Nordküste von Pulo Niha vorliegen: Wir dampften der Tapanuli-Bai entgegen.
Für einen Fremden ist es nicht leicht, zwischen den Inseln Baniak und Pulo Niha hindurchzukommen, denn von der einen zur andern ziehen sich eine Menge kleiner Eilande, welche das Fahrwasser unsicher machen; man thut daher gut, sich einen Piloten zu nehmen, obgleich es hier keinen Lotsenzwang giebt. Wir kamen da freilich nicht in Verlegenheit, denn wir hatten noch nicht Pulo Tupach doubliert, so schossen mehrere Boote auf uns zu, welche die Lotsenflagge führten. Demjenigen, welches uns zuerst erreichte, wurde ein Tau zugeworfen, und der Insasse kletterte an Bord.
Es war ein Vollblutmalaye, doch zeigte es sich, daß er sowohl niederländisch als auch englisch verstand; er wurde mit dem Lord schnell über das Pilotengeld einig und übernahm dann den Befehl über die Jacht; das heißt, er stieg mit Raffley hinauf zum Steuermann und zeigte diesem, wie das Rad zu handhaben sei.
Ich ging ganz vor an den Bug, weil sich mir von dort aus die beste Aussicht bot. Diese war geradezu prächtig, ja einzig in ihrer Art. Je mehr wir uns der Bai näherten, desto deutlicher stieg die hohe Küste von Sumatra vor uns auf. Welche Vegetation war da zu sehen! Die Pflanzenwelt von Sumatra bietet schon an und für sich die großartigste Fülle, Schönheit und Mannigfaltigkeit; wir kamen von der hohen See und dampften zwischen malerischen Inseln einem Lande entgegen, welches wie eine grünschillernde, duftende Fee in den saphirglänzenden Fluten lag; da fühlte sich das entzückte Auge so beschäftigt und gefangen, daß es wirklich kein Wunder war, wenn ich nur Sinn für diesen Anblick hatte und für das, was hinter mir auf dem Deck geschah, keine Aufmerksamkeit besaß.
Es kam mir alles in den Sinn, was ich über Sumatra gelesen hatte, und besonders dachte ich an die jagdbaren Tiere, welche es auf dieser Insel in Menge giebt: den Orang-Utang, den Elefanten, die zwei Nashornarten, den Tapir, den Nebelpanther und besonders an den Königstiger, der hier ebenso stark, gefährlich und gefürchtet ist, wie sein indischer Anverwandter. Ob ich wohl hier Gelegenheit zu einem Jagdausfluge finden würde?
jetzt befanden wir uns in der Bai, in welcher zufälligerweise kein einziges europäisches Fahrzeug ankerte; desto mehr aber wurde sie von malayischen Prauen und Booten belebt. Die Jacht beschrieb einen Bogen und ging nicht an dem Festlande, sondern an der der Bai vorliegenden Mansillarinsel vor Anker, worüber ich mich nicht wunderte, weil ich die hiesigen Verhältnisse nicht kannte.
Es wurde Abend; die Sonne wollte grad verschwinden, als der Lotse sich in sein Boot hinabließ und davonruderte. Der Lord kam vom Steuerdeck herabgestiegen und zu mir. Seit er die Wette mit mir hatte eingehen müssen, war er sehr ernst, ja fast niedergeschlagen gewesen, jetzt aber hatte sich sein Gesicht erheitert, als er mit wichtiger Miene zu mir sagte:
»Wollen wir wetten, Charley?«
»Worüber?«
»Daß Ihr Eure Wette und die tausend Pfund verliert.«
»Fällt mir nicht ein. Es ist genug, daß ich Euch die Pipe abnehme; mehr will ich nicht haben.«
»Unsinn! Ihr bekommt sie nicht.«
»Sie wird mein!«
»Nein; ich weiß es ganz genau.«
»Ach? – Woher?«
»Es giebt hier gar keine Hu-Kiao, also keine Tigerbrücke. Verstanden?«
»Hm!«
»Brummt nur immer! Es giebt nämlich auch keinen Chinesen, der hier wohnt und Ling-tao heißt.«
»Wie könnt Ihr das wissen, Sir?«
»Ich habe mich erkundigt.«
»Bei wem?« fragte ich schnell und fast bestürzt.
»Bei dem Lotsen.«
Ich fuhr um zwei Schritte zurück, und es entfuhr mir in einem Tone, als ob ich einen Schulknaben zur Rede zu stellen hätte:
»Den habt Ihr gefragt, den?!«
»Ja, natürlich den! Er kennt ja die ganze Gegend und alle hiesigen Verhältnisse. Was macht Ihr denn für ein Gesicht? Habt Ihr vielleicht etwas dagegen?«
»Ob ich etwas dagegen habe! Und auch noch vielleicht! Ich sage Euch, Ihr habt da einen Pudel geschossen, der gar nicht größer sein kann!«
»Einen Pudel?«
»Ja, einen Pudel! Meinetwegen auch einen Affenpintscher, wenn Euch das geläufiger ist!«
»Hört, werdet nicht grob, Charley! Ihr wißt, ich bin ein seelenguter Kerl, aber wenn –---«
»Aber wenn Euch ein Pudel in den Weg kommt, so müßt Ihr ihn schießen,« fiel ich ihm in die Rede. »Wenn mein Ton ein rascherer und lauterer als gewöhnlich ist, so müßt Ihr schon verzeihen, denn es ist sehr leicht möglich, daß Ihr, noch ehe wir hier Anker warfen, schon alles, alles verdorben habt.«
»Beweise!«
»Ach Beweise! Wie soll ich das jetzt beweisen können! Wollen es aber abwarten! Wir suchen hier einen Verbrecher, der kein gewöhnlicher Mensch ist und nach allem, was wir über ihn wissen, weite Verbindungen und großen Einfluß besitzt. Sein ganzes Thun und Treiben ist ein heimliches, und wer ihn fassen und packen will, darf auch nur heimlich handeln. Wir haben allen unsern Scharfsinn und alle unsere List zusammenzunehmen; niemand darf ahnen, was wir hier wollen, und noch hat unser Anker nicht den Grund erreicht, da plaudert Ihr diesem Piloten unser Geheimnis aus!«
»Ich habe nicht geplaudert und nichts gesagt, sondern bloß nach den beiden Namen gefragt.«
»Das ist aber genug, vollständig genug!«
»Wieso?«
»Wenn Ling-tao wirklich hier wohnt und die Fahrten seiner Dschunken von hier aus leitet, so muß er hier eine Menge Verbündete, ja Vertraute besitzen, und vor allen Dingen sind es da ganz selbstverständlicherweise die Lotsen, die mit ihm unter einer Decke stecken. Seht Ihr das nicht ein, Sir John?«
»Hrrrmmm!« räusperte er sich, indem er die Hand an den Mund legte und hustete.
»Antwortet deutlicher, Sir! Gebt Ihr mir recht, oder meint Ihr, daß ich mich irre?«
Er kratzte sich hinter dem rechten Ohre und meinte, indem ihm der Klemmer ganz von der Nase fiel:
»Verteufelte Geschichte!«
»Nicht wahr!«
»Habe es aber gut gemeint!«
»Daran zweifle ich gar nicht; nur wäre es mir sehr lieb, wenn Ihr in dieser so wichtigen Angelegenheit nichts thätet, ohne mich vorher zu fragen.«
»Ihr habt recht, Charley, vollständig recht; es ist ein Pudel, den ich geschossen habe.«
»Nehmen wir an, daß der Lotse ein Vertrauter des Chinesen ist, so geht er jetzt eilig zu ihm, um ihm zu sagen, daß eine Dampfjacht angekommen ist, deren Besitzer die beiden Namen Hu-Kiao und Ling-tao kennt und nach ihnen gefragt hat; dieser Besitzer aber ist ein Engländer. Was wird der Chinese thun?«
»Hm! Das weiß ich nicht.«
»Aber ich weiß es.«
»Nun, was?«
»Mag er ahnen oder nicht ahnen, was wir eigentlich wollen, so wird er uns auf alle Fälle einen großen Strich durch unsere Rechnung machen.«
»Vielleicht uns gar nach dem Leben trachten?«
»Das ist sehr wahrscheinlich. Darum wollen wir für heut abend und die Nacht ja an Bord bleiben. Morgen früh machen wir dann eine Rundfahrt um die Bai.«
»Wozu?«
»Um die Tigerbrücke zu entdecken. Quimbo ist ja da gewesen; er muß sie kennen.«
»Mag sein. Aber das ist auch ein gefährliches Ding.«
»Warum?«
»Weil wir die Bai nicht kennen und also zu der Rundfahrt auch wieder einen Lotsen brauchen, der ebensogut ein Vertrauter des Chinesen sein kann.«
»Wir nehmen keinen Lotsen, sondern irgend einen andern Menschen, der das Fahrwasser kennt. Dafür laßt mich sorgen,«
Es wurde sehr schnell Abend, doch stand der Mond am Himmel, und die Sterne spiegelten im Wasser. Wir konnten weit sehen und bemerkten nichts Auffälliges. Obgleich der Tag vorüber war, kamen Handelsboote an die Jacht. Es wurden uns Früchte, andere Nahrungsmittel und allerlei Kaufgegenstände angeboten. Wir kauften einige Eßwaren, ließen aber niemand an Bord, sondern zogen das Gekaufte in Körben herauf, in welche wir vorher die Bezahlung legten,
Während der Nacht wurde eine Wache ausgestellt, welche jede Annäherung zu melden hatte; es wurde aber Tag, ohne daß eine solche Meldung nötig gewesen war. Bevor wir die Rundfahrt antreten konnten, wollte der Lord an das Land gehen, um in Beziehung auf unsere Legitimation den nötigen Formalitäten zu genügen; sonderbarer oder vielmehr eigentümlicher Weise aber kam schon kurz nach Tagesanbruch der betreffende niederländische Hafenbeamte an Bord, um sich unsere Papiere vorlegen zu lassen. Seine Ruderer blieben im Boote unten, und er brachte nur einen Mann mit sich, dessen Gesichtszüge chinesische waren, was gar nicht auffallen konnte, weil es auf den Sunda-Inseln Chinesen in Menge giebt. Dieser Sohn der Mitte war, wie wir gleich hörten, der Schreiber des Beamten.
Gewohnt, stets, und besonders in Lagen, wie die gegenwärtige war, aufmerksam und vorsichtig zu sein, beobachtete ich jede Bewegung und jeden Blick der beiden Männer; ich konnte nichts Auffälliges bemerken. Nur einmal schien es mir, als ob über das Gesicht des Chinesen ein plötzliches Zucken ginge; das war in dem Augenblicke, als er Quimbo sah, der aus der Vorderluke kam; dieses Zucken war aber sehr leicht durch das auffällige Aussehen des Kaffern zu erklären, und so machte ich mir keine Gedanken darüber.
Die revidierenden Personen fanden alles in Ordnung und verließen nach erfüllten Formalitäten das Schiff. Hierauf wurde auf meinen Wunsch eines der Andamanenboote niedergelassen, in welches ich stieg, um einen Führer zu suchen. Von allen, die mir in ihren kleinen Fahrzeugen begegneten, hatte ich das reinste Zutrauen zu einem alten Fischer, den ich nach seinem Tagewerk fragte. Er versicherte, die ganze Küste von Kap Riah bis nach Padang genau zu kennen, und sein Gesicht strahlte vor Freude, als ich ihm nach unsern Verhältnissen eine Kleinigkeit bot, wenn er für den Vormittag unser Pilot sein wolle. Er ging mit an Bord, und die Rundfahrt, auf die ich so große Hoffnung setzen mußte, begann.
Ich saß mit dem Lord im Vorderteile des Schiffes, und Quimbo stand bei uns; er sollte die Küste genau und scharf beobachten, um die Tigerbrücke zu entdecken. Leider erwies sich der »schön', gut', tapfer Basuto« als ein höchst unzuverlässiger Patron. Wohl hundertmal rief er, auf einen Punkt, dem wir uns näherten, deutend: »Das bin Tigerbrücke, ja das bin sie; Quimbo weiß genau!« Aber sobald wir näher kamen, widerrief er seine Worte. Wir beschränkten uns nicht auf die Bai, sondern dampften bis hinauf nach Tapus und bis hinab nach Batu Mundan, doch vergeblich; Quimbo konnte die gesuchte Oertlichkeit nicht entdecken, und auch wir sahen keine Stelle, welche auch nur annähernd ein Recht besessen hätte, den Namen Tigerbrücke zu tragen.
»Glaubt Ihr nun bald daran, daß ich die Wette gewinnen werde?« fragte mich der Lord. »Ta-ki hat Euch belogen.«
»Das glaube ich nicht; eher nehme ich an, daß Quimbos Gedächtnis nicht stark genug ist, einen Punkt so lange festzuhalten.«
»Mag sein. Aber auch, wenn dies der Fall wäre, liegt es auf der Hand, daß wir vergeblich nach dieser schönen Insel gekommen sind. Wir haben ja die ganze Küste abgesucht, ohne etwas zu entdecken. Wo soll die Tigerbrücke stecken?«
»Ihr irrt Euch. Alles haben wir noch nicht abgesucht.«
»Was denn noch nicht?«
»Die Flußufer.«
»Hm!« brummte er wegwerfend.
»Bis jetzt sind wir nur der Meeresküste gefolgt. Habt Ihr nicht gesehen, wie breit der Fluß in die Bai mündet?«
»Ziemlich breit; aber was soll das nützen?«
»Quimbo macht vielleicht keinen Unterschied zwischen Fluß- und Meeresufer; sein Ortsgedächtnis scheint überhaupt sehr schwach zu sein. Wie leicht kann die Halbinsel, die wir suchen, im Flusse liegen.«
»Ihr meint also, daß wir diesen aufwärts dampfen?«
»Nein, das meine ich nicht, denn dies wäre eine große Unvorsichtigkeit. Unsere Jacht im Flusse, wie müßte das auffallen! Und wir müssen doch so heimlich wie möglich thun. Nein, ich mach' diese Fahrt in einem Boote und nehme nur Quimbo mit, der sich allerdings möglichst wenig sehen lassen darf, weil er dem Chinesen und seinen Leuten bekannt ist.«
»Ich soll nicht mit?«
»Nein.«
»Warum nicht? Soll aller Ruhm auf Euch allein fallen, Charley? Soll es heißen, daß Ihr alle Gefahr auf Euch allein genommen habt?«
»Unsinn! Was frage ich nach solchem Ruhme! Es handelt sich darum, ein Geheimnis auszukundschaften, und ich glaube, da geübter zu sein als Ihr. Und Ihr seid auf der Jacht nötig, Bedenkt, daß sie jedenfalls sehr scharf beobachtet wird! ja, es ist sogar möglich, daß man einen Angriff auf sie richtet.«
»Well, muß mich zufrieden geben. Macht was Ihr wollt!«
Er sagte das in verdrießlichem Tone; er war unternehmend und ohne Furcht, ja sogar kühn; er besaß zuviel Stolz, Selbstlosigkeit und Edelmut, um neidisch zu sein; aber bei allem, was wir bisher gethan und erlebt hatten, war mir das Glück günstiger gewesen als ihm, und so verstand und begriff ich es gar wohl, daß es ihn drängte, nun auch einmal ›in der Vorhand zu sein‹, wie man sich auszudrücken pflegt. Hier jedoch handelte es sich um ein Unternehmen, von dem alles abhing, und da traute ich mir nun einmal mehr als jedem andern; ich konnte auf seinen Mißmut keine Rücksicht nehmen.
Wir hatten die Bai noch nicht ganz erreicht, da dampften wir an einer Praue vorüber, welche nach dortiger Weise einen ambulanten Kram- und Kleiderladen bildete. Ich ließ sofort beidrehen und die Praue bei uns anlegen, um mir einen Sarong zu kaufen und einen malayischen, trichterförmigen Hut aus Strohgeflecht. Ich that das, um, wenigstens von weitem, für einen Eingeborenen gehalten zu werden. Die Praue fuhr dann weiter; wir aber blieben beigedreht, denn ich wollte lieber hier die Jacht mit Quimbo verlassen als später in der Bai, wo dies beobachtet werden konnte.
Der alte Fischer, unser Pilot, ließ sich bereitfinden, mir sein Boot abzutreten, und als ich den Sarong angezogen und den Hut aufgesetzt hatte, bestiegen wir es und stießen von dem Dampfer ab, welcher nun die Fahrt fortsetzte, um seinen Ankerplatz wieder aufzusuchen. Die in dem Boote befindlichen Netze wurden so gelegt und arrangiert, daß sich Quimbo unter oder hinter ihnen verbergen konnte. Ich ruderte.
Diese mit uns vorgenommene Veränderung hatte keine fremden Zeugen gehabt, und so hoffte ich, während unserer Rekognoscierung unerkannt und ungestört zu bleiben.
Als wir die Bai erreichten, war dieselbe außerordentlich belebt, doch glitten wir zwischen all diesen Kähnen und Booten dahin, ohne beachtet zu werden. In der Mündung des Flusses angekommen, wollte ich Quimbo auffordern, nun ja recht aufmerksam zu sein; aber er kam mir zuvor und sagte in erregtem Tone, indem er nach dem linken Ufer zeigte:
»0, Mynheer, lieb, gut Mynheer, hier bin bald bei Tigerbrücke. Hier hab liegen Dschunke vor Anker, wo muß Quimbo mit fahr nach Ceyloninsel!«
Wie freute ich mich! Ich mußte mich zwingen, ruhig zu fragen:
»Wie weit von hier liegt die Brücke aufwärts?«
»Schön, tapfer Quimbo das nicht wissen; lieb Deutschland ruder weiter; Quimbo werd sagen.«
Natürlich folgte ich dieser Aufforderung. Die Ufer waren rechts und links mit Bauwerken und Hütten von den sonderbarsten Formen besetzt. Es verging eine halbe Stunde; die Hütten verschwanden; die Ufer waren nun unbewacht und mit Gebüsch und Bambus besetzt. Noch eine Viertelstunde. Schon wollte mir die Zeit zu lang werden, da sah ich eine Insel mitten im Flusse liegen. Der Strom zwischen ihr und dem rechten Ufer war frei, nicht aber auf der andern Seite, denn dort war sie durch eine Brücke mit dem linken Ufer verbunden.
Ob es eine steinerne oder hölzerne Brücke war, das konnte ich nicht sehen, denn sie war ganz mit grüner, üppiger Vegetation bedeckt. Dieser Pflanzenwuchs war auf chinesische Weise beschnitten und bildete zwei mächtige Tigergestalten, welche einander mit den Köpfen gegenüber lagen. Quimbo streckte beide Hände aus und rief erregt:
»Hier, hier bin Tigerbrücke! Hier bin Wohnung von Räuber, wo 'fangen bin Quimbo und wo –--«
»Leise, leise, still!« unterbrach ich ihn. »Kein Mensch darf hören, was wir miteinander sprechen. Bist du auf der Insel gewesen?«
»Ja, Quimbo hinwesen.«
»Steht ein Haus, eine Hütte dort?«
»Nein, bin bloß Baum und Strauch und Bambus.«
»Wo liegt die Wohnung des Chinesen?«
»Wohnung bin am Ufer.«
»Man sieht ja nichts davon! Es giebt nur dichten Wald und noch dichteres Bambusgestrüpp.«
»Von Insel geh Weg über Brück' nach Haus.«
»In das Dickicht hinein?«
»Ja.«
»Aus was ist das Haus gebaut?«
»Bin baut aus Bambus.«
»Führt kein anderer Weg dorthin als nur der über die Brücke von der Insel aus?«
»Quimbo nicht weiß ander Weg.«
»Jetzt still! Leg dich unter die Netze!«
Wir waren jetzt nämlich der Insel nahe gekommen. Ich wollte und mußte das Haus sehen und also an der Insel vorüber. Ich fuhr nicht unter der Brücke hindurch, sondern wählte die andere Seite, wo der Fluß offen war. Als ich dort an der Insel vorüberruderte, sah ich eine lichte Stelle im Inselgestrüpp mit einigen in das Wasser führenden Stufen, dort war ein Boot angebunden. Das war der Landeplatz für die Bewohner dieses Ortes; sie landeten nicht am Ufer, sondern an der Insel und gingen von dieser über die Brücke nach ihrem Hause; warum, das konnte ich nicht wissen.
Ich ruderte uns noch eine Strecke aufwärts, bis der Fluß eine Krümmung machte und wir von der Insel und der Brücke aus nicht gesehen werden konnten; dann legte ich am linken Ufer an. Wir zogen das leichte Boot auf dasselbe hinauf, versteckten es unter den Schlingpflanzen, und ich forderte Quimbo auf, hier auf mich zu warten.
»Nein, schön', gut Quimbo nicht hier warten, denn hier werd fressen von Tiger.«
»Giebt's hier Tiger?«
»O, hier bin viel, viel Tiger. Quimbo hab hör brüllen all' ganz' Nacht bis früh.«
»So komm mit; aber sprich kein Wort!«
Tiger hier, das war gefährlich, denn ich hatte nur die Revolver und das Messer bei mir; aber es mußte gewagt werden. Wir mußten den Weg, den wir von der Insel flußaufwärts gerudert waren, am Ufer wieder abwärts machen. Ich ging voran und drängte mich, so gut es ging, durch das Dickicht; das war nicht leicht, weil meine Kleidung nur aus dem Sarong bestand; Quimbo hatte es hinter mir besser, weil ich ihm Bahn brach.
Doch schon nach kurzer Zeit stieß ich auf einen zwar schmalen aber doch ausgetretenen, von Menschen ausgetretenen Weg, dem wir folgten, weil er genau in unserer Richtung lag. Zuweilen ging ein ähnlicher Pfad von ihm aus nach der Seite ab. Das Dickicht war also nicht so ungangbar, wie ich gedacht hatte.
Wir gingen natürlich nur langsam und höchst vorsichtig weiter, und als ich glaubte, die Nähe der Brücke erreicht zu haben, verdoppelte ich die Vorsicht. Plötzlich blieb ich stehen, denn vor mir lag ein großer . Platz, auf welchem ich die gesuchte Wohnung des Chinesen vor mir hatte. Ich sah die Tigerbrücke, welche rechts, vom Flusse her, auf den Platz mündete. Jenseits stand ein ziemlich großes, nur aus Bambus errichtetes Haus, neben dem es drei kleinere Gebäude gab. Links erblickte ich eine palissadenartige, runde Umzäunung, welche aus sehr starken und wohl aus sechs Ellen hohen Bambuspfählen bestand, die eng nebeneinander in die Erde gerammt waren. Im Mittelpunkte dieser gab es eine zweite Umzäunung, welche noch höher war. Welchen Zweck mochte es haben?
Ich war hinter das Dickicht zurückgetreten, um nicht gesehen zu werden. Quimbo stand neben mir, deutete auf eines der kleineren Gebäude und flüsterte mir zu:
»Dort bin wesen fang' schön', tapfer Quimbo. Hab steh und lieg anbinden so fest, daß kann nicht fliehen.«
In diesem Augenblicke hörten wir das Schmerzgeheul eines Menschen. Es erscholl aus dem großen Hause.
»Das bin Wärter, der paß auf und gab Essen arm' Quimbo,« erklärte der Kaffer.
»Warum schreit er?« fragte ich.
»Weil er bekomm Prügel von Ling-tao.«
Ich wollte weiter fragen, that dies aber nicht, denn aus der uns gegenüberliegenden Thür kamen drei Männer. Der eine von ihnen war – – unser Lotse von gestern, der zweite auch ein Malaye; sie blieben stehen. Der dritte war ein Chinese. Er ging auf die erwähnten Palissaden zu und öffnete ein in denselben befindliches schmales Thor. Sofort erscholl das Gebrüll eines Raubtieres. Der Chinese trat in die äußere Umzäunung und machte die Thür hinter sich zu; aber ehe er dies vollständig thun konnte, sah ich das Raubtier, welches gebrüllt hatte, einen Nebelpanther von ungewöhnlicher Größe, welcher jedenfalls gezähmt war, wenigstens so weit, daß er dem Chinesen nichts that.
Zehn Minuten später kam dieser wieder aus den Palissaden heraus und ging zu den beiden Malayen.
»Das bin Ling-tao,« flüsterte Quimbo fast zitternd.
»Weißt du, warum der Panther dort steckt?«
»Quimbo nicht weiß, aber ihn hör brüllen stets ganz' Nacht bis früh.«
Es kam mir ein Gedanke, dem ich aber nicht folgen konnte, denn von der Insel her erklangen die Töne eines Gong, worauf der Chinese mit den beiden Malayen über die Brücke eilten. Als sie nach einiger Zeit zurückkehrten, war ein Vierter bei ihnen, nämlich der Schreiber des Hafenbeamten. Sie brachten einen gefesselten und höchst wahrscheinlich auch geknebelten Menschen getragen, welcher malayisch gekleidet war. Er wurde nach der Palissade geschafft, deren Thür Ling-tao wieder öffnete. Wieder sah und hörte ich den Panther, welcher brüllend herbeigesprungen kam, aber auf den Befehl seines Herrn zurückwich. Dieser nahm mit Hilfe des Lotsen den Gefesselten wieder auf und trug ihn hinein. Die Thür wurde nur zu drei Vierteilen zugemacht; der Schreiber und der Malaye standen bei derselben, um den andern nachzuschauen; daher kam es, daß auch wir durch die Lücke sehen konnten. Der Panther lag fauchend zur Seite; der Chinese erreichte mit dem Lotsen die innere Umzäunung; sie öffneten dieselbe, schafften den Gefangenen hinein und zogen die Thür hinter sich zu. Sie blieben wohl eine Viertelstunde darin; dann kehrten sie zurück. Nachdem sie die innere und dann die äußere Palissade wieder verschlossen hatten, gingen sie zu vieren über die Brücke nach der Insel.
Wer war der Gefangene? Warum hatte man ihn gebunden und in die Umzäunung geschleppt? Wurden diese Palissaden überhaupt als Gefängnis gebraucht? Und war der Panther da, um die Gefangenen zu bewachen? Steckte Bontwerker, den wir suchten, etwa auch da drin?
Diese Fragen legte ich mir vor; ich konnte sie nicht beantworten, aber der heutige Abend mußte Aufklärung bringen, denn in mir stand es fest, nach eingetretener Dunkelheit hierher zurückzukehren und das ganze Nest zu beschleichen. Jetzt mußte ich fort, denn es gab hier jedenfalls mehr Menschen, als sich sehen ließen, und ich hatte erreicht, was ich hatte erreichen wollen die Entdeckung der Tigerbrücke.
Dennoch blieb ich noch eine Weile liegen, denn ich hätte doch gar zu gern erfahren, ob noch mehr Leute sich hier befanden; es wollte sich aber keiner sehen lassen. Nun dachte ich, daß es mir für heute abend sehr nützlich sein würde, die Insel und die Brücke zu kennen; darum schickte ich Quimbo eine Strecke zurück und schlich mich unter dem Schutze der Pflanzen über die Brücke hinüber. Kaum war ich auf der Insel angekommen, so hörte ich Stimmen hinter mir. Ich fand gerade noch Zeit, hinter ein Zweiggewirr zu kriechen, da kam Ling-tao mit dem Lotsen. Sie gingen nach dem erwähnten Landeplatze und blieben dort stehen. ich hörte deutlich, daß Ling-tao fragte:
»Wirst du es fertigbringen?«
»Ich hoffe es,« antwortete der andere.
»Du hast ja Zeit, dir etwas Gutes auszusinnen. Die Jacht muß unser werden. Wie gut können wir sie brauchen! Wir könnten es hier machen, wenn wir mehr Leute wären. Ich habe aber nur euch drei und den Wärter, den ich wieder einmal prügeln mußte, weil er dem Holländer zu viel Essen giebt. Die andern sind auf hoher See und kommen erst nach Wochen wieder. Wenn es dir gelingt, die Jacht nach Padang zu schaffen, so wird sie unser. Du brauchst dich dort nur an meinen Bruder Hi-ßen zu wenden.«
»Ich hoffe, daß es mir gelingen wird; es muß mir unterwegs ein Grund einfallen.«
»So benachrichtige mich, ehe die Fahrt beginnt!«
Er ging über die Brücke in das Haus zurück; der Lotse stieg in ein Boot und ruderte davon.
Nun wußte ich, wer da war, nämlich Ling-tao, der Schreiber, der Malaye und der gezüchtigte Wärter. Vor diesen vieren fürchtete ich mich nicht. Sollte ich die Gefangenen gleich jetzt befreien? Aber der Panther! Was war ein Revolver gegen so ein Tier! Und die Hauptsache: Man hatte einen Streich gegen unsere Yacht verabredet; der Lotse sollte ihn ausführen, und ich mußte mich sehr beeilen, dies zu verhindern. Ich schlich mich also wieder über die Brücke hinüber, suchte Quimbo auf, welcher mit Schmerzen auf mich gewartet hatte, und ging mit ihm nach unserm Boote. Wir schafften es wieder in das Wasser und stiegen ein. Quimbo versteckte sich unter die Netze, und ich ruderte aus Leibeskräften stromabwärts. Es ging sehr schnell; trotzdem bekamen wir den Lotsen nicht eher zu sehen, als bis wir uns in der Flußmündung befanden. Er ruderte sich an der Küste hin, jedenfalls um sein Lotsenboot zu holen, und wir hielten auf unsere Jacht zu. Kaum war ich an Bord gesprungen, so rief mir der Steuermann zu:
»Ihr kommt allein, Sir! Bringt Ihr nicht seine Lordschaft mit?«
»Ist Sir John denn nicht hier?«, gegenfragte ich.
»Nein; er ist längst fort, mit dem chinesischen Schreiber.«
»Ah! Wohin?«
»Euch nach.«
»Welch eine – – –!«
Fast hätte ich ›Dummheit‹ gesagt! Ich erfuhr nun folgendes: Es war dem Lord doch nicht gleichgültig gewesen, daß ich mich ohne ihn auf die Suche begeben hatte. Darum hatte er es nicht ungern gesehen, daß der Hafenschreiber wiedergekommen war, um einer Differenz wegen des Ankergeldes willen. Er hatte ihn gefragt, ob er Zeit habe und die Flußufer genau kenne; es handle sich nämlich darum, einen Ort ausfindig zu machen, welcher die Tigerbrücke heiße. Er hatte diesen Namen trotz meiner Warnung ausgesprochen, weil er den Schreiber für einen Beamten und also für vertrauenswürdig hielt. Dieser aber, im Gegenteile ein Vertrauter des Chinesen, ging auf den Vorschlag sofort ein, um den Lord in die Hände Ling-taos zu führen.
Jetzt wußte ich, wer der Gefesselte war, denn der Schreiber hatte dem Lord auch einen Sarong und einen Hut besorgen müssen. Die ganze Schiffsbemannung stand dabei, als ich mit dem Steuermann sprach. Ich sagte ihnen, was ich gesehen und gehört hatte, da wollten sie alle augenblicklich fort, um ihren Lord zu holen; ich mußte Einhalt thun:
»Nicht so schnell! Wir können die Jacht doch nicht ohne Waffen lassen, und es sind überhaupt nicht so viele Leute nötig, Uebrigens schaut, dort kommt der Lotse angesegelt. Wollen doch hören, was er vorbringen wird!«
Als der Kerl sein Segel fallen ließ, warfen wir ihm ein Tau zu, und er stieg an Bord. Er grüßte, kam auf mich zu und sagte:
»Sahib, ich habe dir eine wichtige Botschaft zu überbringen. Der Herr dieses Schiffes ist fort, um die Tigerbrücke zu suchen?«
»Ja.«
»Die befindet sich nicht hier, sondern in Padang. Er ist mit dem Schreiber nach dort unterwegs und läßt euch durch mich sagen, daß ihr schnell nachkommen und ihn an Bord holen sollt.«
»Schön! Zunächst aber haben wir dich an Bord und werden dich nach Padang bringen, nachdem wir den Lord von der Tigerinsel geholt haben. Bindet ihn!«
Er wurde von zehn kräftigen Fäusten niedergerissen, gebunden und hinunter in den Raum geschafft. Dann befahl ich unsere Gig in das Wasser, bemannte sie außer mir mit vier wohlbewaffneten Ruderern und nahm, als ich einstieg, den Bärentöter für den Panther mit. Wie mit Dampf ging es über die Bai hinüber und die Flußmündung hinein.
Ich hatte mit Quimbo über drei Viertelstunden gebraucht, um die Tigerbrücke zu erreichen; jetzt war kaum halb so viel Zeit dazu nötig. Die Jungens legten sich wie die Teufel in die Riemen, um ihren Lord möglichst schnell herauszuholen. Wir fuhren natürlich nicht weiter als bis zur Insel und legten am Landeplatze an. Die Matrosen versteckten sich und ich suchte nach dem Gong. Er hing an einem Baumstamme, und ich schlug dreimal sehr laut an. Ling-tao kam schnell aus dem Hause und nach der Insel. Er war höchst betroffen, als er mich erblickte.
»Wer bist du und was willst du hier?« fragte er mich in strengem Tone.
»Ich will mit Mynheer Bontwerker und dem englischen Lord sprechen, den du hier eingesperrt hast.«
Er schluckte und schluckte vor Schreck und antwortete dann:
»Ich verstehe dich nicht.«
»Wie ist dein Name?«
»Ich heiße Hing-ßen.«
»Schön! Hier aber wirst du Ling-tao genannt. Ich gehöre zur Jacht, deren Besitzer du eingesperrt hast. Wir haben deinen Haiang-dze erobert und die Bemannung aufgehängt, dann haben wir Ta-ki auf Tillangdschong gefangen, und jetzt sind wir gekommen, um mit dir und deinem Bruder Hi-ßeng in Padang abzurechnen.«
»Ich verstehe dich noch immer nicht,« stammelte er.
»So will ich es dir deutlicher sagen. Hier!«
Ich gab ihm einen Jagdhieb gegen die Schläfe, daß er niederstürzte. Die Matrosen verließen ihre Verstecke, um ihn zu binden. Da sah ich den Schreiber, den Malayen und einen kleinen, krummbeinigen Chinesen, welcher der Wärter sein mußte, aus dem Hause kommen. Sie wollten auch wissen, wer geläutet hatte. Was waren diese Kerls gegen uns! Eine Minute später waren auch sie gefesselt. Diese Halunken wurden über die Brücke nach dem freien Platze geschleift und dort niedergeworfen. Dann begaben wir uns nach der Thür der äußeren Palissaden.
Ich nahm den Bärentöter zur Hand, und einer der Matrosen öffnete leise, leise. Aber die Bestie hatte uns doch gehört. Ich sah durch die schmale Lücke der Thür, daß sie, die Lichter auf uns gerichtet, sprungfertig an der Erde lag. Ich legte an, zielte kurz und schoß; das Tier wurde durch den Schuß ins Auge fast kerzengerade ernporgerissen und fiel dann fast genau auf dieselbe Stelle nieder, wo es vorher gelegen hatte. Die Matrosen wollten schnell hinein; ich hielt sie aber zurück, denn es konnten auch zwei Panther dagewesen sein, obgleich ich vorhin nur einen gesehen hatte. Ich lud also den abgeschossenen Lauf wieder und trat in die Umzäunung. Es war kein zweiter da. Nun wollten meine Begleiter jubilierend nach der Innenpalissade rennen, die einen kleinen, runden Raum abschloß; ich winkte sie aber zurück und schlich mich vor ihnen leise hin. Ich sah die Thür und horchte an derselben. Zwei Männer sprachen drin.
»Dieser Schuß war von ihm,« hörte ich den Lord sagen. »So kann nur seine alte, fürchterliche Büchse knallen.«
»Ihr glaubt wirklich, Mylord, daß dieser Deutsche kommen wird?«
»Der kommt; der läßt mich ganz gewiß nicht stecken; ich kenne ihn genau.«
»Wenn er aber selbst auch gefangen ist?«
»Der! O, der ist nicht so dumm wie ich, daß er sich an der eigenen Nase hierher ziehen läßt. Den fängt so ein Chinese nicht, denn er ist –--«
Er hielt inne und horchte, denn ich hatte geklopft.
»Ist jemand draußen?« fragte er dann laut.
»Ja,« antwortete ich.
»Wer?«
»Einer, der mit Euch wetten möchte.«
»Um was?«
»Um Eure Chair-and-umbrella-pipe.«
»Charley, Charley, Ihr seid es, Ihr wirklich! Macht auf, macht schnell auf!«
ich öffnete; er konnte nicht heraus, denn er lag gefesselt an der Erde, neben ihm, auch gefesselt, ein anderer, dem man es ansah, daß er sich lange Zeit an diesem traurigen Orte befunden hatte.
»Macht mich los, Charley, nur schnell los, damit ich Euch umarmen und die Hände drücken kann!«
»Ist das Mynheer Bontwerker?« fragte ich.
»Yes, yes! Doch redet nicht ewig, sondern schneidet uns die Stricke entzwei, damit wir loskommen!«
Das geschah natürlich auf das schnellste. Der Lord sprang auf, riß mich an sein Herz und drückte mich, daß ich hätte schreien mögen. Dabei nannte er sich wohl zehnmal den dümmsten Menschen, den es nur geben könne, und forderte mich auf, zu erzählen, wie es mir gelungen war, in sein Gefängnis zu gelangen.
Was ihn selbst betraf, so war er ganz einfach von dem Schreiber nach der Insel gerudert und nach dem Aussteigen dort hinterrücks niedergeschlagen, gebunden und dem Chinesen überliefert worden.
Dem Niederländer brauchte ich nichts zu erklären, denn er hatte schon von dem Lord, seinem früheren Bekannten von Kapstadt her, erfahren, wie und wo wir von ihm gehört hatten und daß wir dann auf den Gedanken gekommen waren, ihn aus seiner mißlichen Lage zu befreien. Um alles zu wissen, bedurfte er nur noch des Berichtes über meine heutige Rekognoscierung, den ich ihm denn auch in kurzen Worten lieferte.
Mit welcher Freude begrüßten die Matrosen ihren lieben Lord! Sie verlangten stürmisch die Erlaubnis, Ling-tao die neunschwänzige Katze geben zu dürfen, was ihnen allerdings verweigert wurde. Wir nahmen unsere Gefangenen ins Verhör, konnten ihnen aber kein Wort entlocken; sie antworteten nicht.
Als wir die Gebäude untersuchten, fanden wir die Räume von einer solchen Einfachheit, daß wir uns darüber wunderten. Der Seeraub mußte doch Unsummen eingebracht haben! Wo steckten diese? Bontwerker hatte einen Brief um Geld nach Tjelatjap schreiben müssen, war aber so klug gewesen, eine fingierte Adresse anzugeben. War doch schon die Summe, die ihm bei dem Ueberfalle abgenommen worden war, mehr als groß genug! Wo war dieses Geld? Auch darüber erhielten wir keine Auskunft. War es verteilt worden? In diesem wie in allen anderen Fällen hatte Ling-tao als Anführer jedenfalls den Löwenanteil erhalten. Wir durchsuchten alle Räume und die ganze Umgebung der Gebäude, fanden aber nichts als einige kleine Münzen.
Da aber erhielten wir über diesen Punkt ganz unerwartet Aufschluß. Es erschien nämlich der alter Fischer, unser heutiger Pilot, mit Quimbo am Platze. Bei meiner Rückkehr nach der Jacht hatte ich nicht Zeit gefunden, an den Alten zu denken und war wieder fortgerudert, ohne mit ihm zu sprechen, der mir doch sein Boot geborgt hatte. Da kam er mit Quimbo zu sprechen, welcher wußte, daß ich fort war, um außer dem Lord auch seinen früheren Herrn, Mynheer Bontwerker, zu befreien. Wie gern wäre er dabei gewesen! Indem sie dies einander sagten, kamen sie zu dem Entschlusse, nach der Tigerbrücke zu rudern. Nun waren sie da.
Als der alte Fischer hörte, daß wir vergeblich nach Geld und Wertsachen suchten, sagte er zu mir.
»Sahib, hier wirst du auch nichts finden, denn der Reichtum dieses Hing-Sen liegt nicht hier, sondern anderswo.«
»Weißt du, wo?«
»Ja, nämlich in Pandang. Hier ist seine eigentliche Wohnung gar nicht. Er kommt nur zu gewissen Zeiten hierher, weshalb, das habe ich nicht gewußt, weiß es aber jetzt. Er wohnt in der Hauptstadt Padang.«
»Was treibt er dort?«
»Er hat mit seinem Bruder ein großes Geldgeschäft in Compagnie.«
»Ah, Bankier also! Da kann sich Mynheer Bontwerker freuen, denn wenn es so steht, wird ihm sein Verlust vollständig vergütet werden.«
Als der Chinese dies hörte, sprach er sein erstes Wort; es war ein Fluch, den er mir entgegenknirschte. Aber dies war nicht sein letztes Wort; er sprach noch einmal, nämlich als der Kaffer vor ihn hintrat, ihm einen Fußtritt versetzte und ihn anfuhr:
»Hab du Augen? Seh du hier schön', gut', tapfer Quimbo? Du hab nehm fangen Quimbo, und arm Quimbo muß hab viel schlecht Hunger bei dir. Nun du selbst bin fangen und werd hab Hunger. Du bin schlecht Mensch, schlecht Kerl und miserabel Halunk!«
»Pack dich fort, Kröte!« schrie der Chinese. »Ich sehe, daß du an allem schuld bist. Hätte ich das geahnt, so ständest du jetzt nicht lebendig hier!«
Ich ging hinter die Palissaden, um dem Panther das Fell zu nehmen; es sollte eine Erinnerung an das heutige Abenteuer sein. Ob ich das Recht hatte, es als mein Eigentum zu betrachten, danach fragte ich nicht. Quimbo erklärte sich bereit, es für mich auf kaffrische Art zu gerben und zuzurichten.
Nun galt es, zu besprechen, was mit den Gefangenen geschehen sollte. Der hiesigen Behörde war nicht zu trauen. Wenigstens stand sehr wahrscheinlich ein großer Teil der Einwohner mit Ling-tao im Bunde. Darum schlug ich vor, ihn und seine Spießgesellen nach der Hauptstadt zu schaffen und dort dem Gouverneur zu übergeben; dieser würde gewiß eine sehr strenge Untersuchung verfügen und ein Exempel statuieren. Die andern erklärten sich einverstanden.
Was mit den Gebäuden an der Tigerbrücke und ihrem Inhalte geschah, das konnte uns gleichgültig sein. Wir vergriffen uns nicht daran und ruderten bald mit unsern Gefangenen von dieser Stätte des Verbrechens fort. Von uns allen der froheste war Mynheer Bontwerker, der seinen treuen Quimbo kaum aus den Augen ließ, denn diesem hatte er es ja doch zu verdanken, daß sein Schicksal heut einen so glücklichen Umschwung genommen hatte.
Als wir auf dem Schiffe ankamen, wurde sofort Feuer unter dem Kessel gemacht. Aber noch ehe wir den Anker lichten konnten, waren wir von einer Unzahl von Booten umgeben, deren Insassen an Bord wollten, um Näheres von uns zu erfahren. Am lautesten waren die Organe der hiesigen Behörde, welche, zuletzt gar unter Drohungen, die Auslieferung der Gefangenen verlangten. Wir hörten nicht darauf, und als sie gar mit Gewalt das Schiff ersteigen wollten, hatten wir gerade Dampf genug, uns in Bewegung zu setzen; da mußten sie von uns ablassen.
Padang, die Hauptstadt des Gouvernements der Westküste, ist ein wohlgebauter, hübscher Ort mit reger Schiffahrt und bedeutendem Handel, da die Ausfuhr der reichen Produkte der westlichen Hälfte von Sumatra hauptsächlich über diese Stadt erfolgt. Sie hatte damals schon über zwanzigtausend Einwohner und dabei so geordnete Rechtsverhältnisse, daß wir über die gerechte Bestrafung des Chinesen und seiner Rotte nicht im Zweifel sein konnten.
Man hatte von dort aus schon lange Zeit auf die Seeräuber gefahndet, doch war alle Mühe vergeblich gewesen, und es läßt sich also denken, wie willkommen wir waren, als wir kamen, um unsere saubern Unterdecksgäste abzuliefern. Die gerichtliche Untersuchung wurde schon am nächsten Morgen eröffnet, wo wir als Zeugen vernommen wurden. Man behandelte uns außerordentlich entgegenkommend, und als Mynheer Bontwerker die Summe angab, die ihm geraubt worden war, zeigte man sich sofort bereit, das zu konfiszierende Vermögen der beiden Brüder zum Ersatze heranzuziehen, denn Hi-ßen, der Bruder des Chinesen, war natürlich auch arretiert worden, und eine ganze Anzahl von Bewohnern von Padang erlitt das gleiche Schicksal.
Glücklicherweise war die Summe, die dem Mynheer bei dem Ueberfalle abgenommen worden war, nur ein kleiner Teil dessen gewesen, was er von seinem Bruder in Tjelatjap geerbt hatte; der größere Teil war einen andern, sicheren Weg gegangen.
Wir blieben zwei Wochen in Padang und brachten den Mynheer dann nach Colombo, von wo aus er mit einer andern Gelegenheit nach der Kapstadt gehen wollte. Da er sich entschlossen hatte, seinen treuen Quimbo für immer bei sich zu behalten, so sah dieser sich gezwungen, von uns Abschied zu nehmen. Er that dies in seiner drastischen Weise, die aber diesmal nicht von uns belächelt wurde. Mir reichte er zuletzt seine Hand.
»Weiß lieb', gut' Deutschland noch, wie find schön', tapfer Quimbo unten in Sand von Schiff?« fragte er mich.
»Ich weiß es gar wohl,« antwortete ich, »du warst für ein Gespenst gehalten worden.«
»O, Quimbo bin nicht Gespenst, sondern Quimbo bin schön', tapfer Quimbo. Aber wenn gut Deutschland nicht find Quimbo in Dschunke, so werd Quimbo auch aufhangen als Seeräuber, obgleich bin sehr unschuldig. Darum Quimbo niemals vergess' sein Mynheer Deutschland und sprech aus jetzt eine Frag.«
»Nun, was willst du fragen?«
»Wenn Quimbo einmal komm fahr' auf Reis' nach Deutschland, er darf besuch' sein gut Mynheer dort?«
»Natürlich, natürlich! Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn du einmal kämst.«
»So komm schön', tapfer Quimbo ganz gewiß; aber er erst mach' vorher ein viel mehr schön Frisur in Haar. Bin in Deutschland auch jung, schön Fräulein, was Mietje heißt?«
»Ja, es giebt dort viel junge Mädchen, welche diesen Namen haben.«
»O, dann mach Quimbo sein' Frisur so wundervoll, daß zusammenlauf'um ihn viel hundert Mietie auf einmal!«
Sein Mund öffnete sich vor Entzücken von einem Ohre bis zum andern, und er schüttelte mir die Hände noch einmal unter der sehr ernst gemeinten Versicherung:
»Wenn Mynheer Deutschland ihm heb dort viel Mietje auf, so komm schön', tapfer Quimbo ganz gewiß, ja ganz gewiß!«
Leider aber ist der wackere Kaffer bis heute noch nicht gekommen, und so hat also der ›Zusammenlauf‹ der vielen ›jung', schön' Fräulein Mietje‹ noch nicht stattfinden können. Ich weiß nicht recht, ob ich das bedauern soll oder nicht.
Wohl ein ganzes Jahr später schickte der Lord mir zwei Zeitungen von altem Datum, nämlich ein Exemplar des in Soerabaya erscheinenden ›Bin-tang-timor‹ und ein Exemplar des in Padang gedruckten ›Sumatra-Courant‹. Beide Blätter erzählten die Gefangennahme des Chinesen Ling-tao an der Tigerbrücke und fügten dann das Weitere hinzu. Man hatte herausbekommen, daß es außer dem Haiang-dze noch zwei Dschunken gab, die auf Rechnung dieses schlauen Mannes und seiner Genossen Seeraub trieben, und ihnen eifrig nachgestellt. Beide waren nach der Bai von Tapanuli gekommen und dort so empfangen worden, daß es keinem einzigen Mann gelungen war zu entkommen. Hierauf sind so viele Piraten an den Raaen emporgezogen worden, daß man dort selten mehr über die Unsicherheit der Schiffahrt noch zu klagen hat. – – –