Karl May
Am Stillen Ocean
Karl May

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Zweites Kapitel

Ta-ki

Die Eilandsgruppe der Nikobaren liegt ungefähr auf dem 112. Längengrade östlich von Ferro, südlich von den Andamaninseln und nordwestlich von Sumatra. Ihr Klima ist ein tropisches, wird aber durch die Seewinde und häufigen Regen abgekühlt; dennoch ist der Aufenthalt dort ein höchst ungesunder, weil die während der Ebbe bloßgelegten Strandmoräste und Mangrovendickichte ein Fieber ausbrüten, von welchem selbst die Eingeborenen nicht verschont werden. Ja, das Nikobarenfieber ergreift sogar die Tierwelt, und es ist nichts Seltenes, daß man Schweine und Hühner unter starken Fieberanfällen hin und her taumeln sieht.

Aus diesem Grunde hat man mit den wiederholten Versuchen, diesen Archipel zu kolonisieren, keine Erfolge gehabt, und zuletzt nahmen die Engländer im Jahre 1869 von den Inseln nur zu dem Zwecke Besitz, hier eine Verbrecher-Kolonie anzulegen, welche unter der Verwaltung des Gouverneurs der Andamangruppe steht.

Die hierher deportierten Verbrecher sind meist indische Sepoys und gehören allen Völkerschaften an, welche in Hindostan und dem Dekan wohnen.

Wenn ich früher von der Pflanzenpracht Ceylons mit Bewunderung gesprochen habe, so muß diese doch zurückstehen vor der unvergleichlichen Vegetation der Nikobaren. Während auf Ceylon die Kokospalme dominiert, streitet diese auf den Nikobaren mit der Arekapalme und dem prächtigen Pandanus um den Vorrang, wozu sich eine Menge anderer, tropischer Baumarten gesellt, bei deren Anblick man sich in eine Märchenwelt versetzt fühlen möchte. Auf Ceylon läßt sich trotz der ausgedehnten Tropenwälder der Einfluß der Menschenhand nicht verkennen; die Nikobaren aber bieten den unberührten, jungfräulichen Urwald des Südens, dessen grandiose Herrlichkeit jeder Beschreibung spottet. Da giebt es Dschungeln, welche noch nie der Fuß eines Europäers betreten hat; da entsprossen dem Boden Millionen fruchtbarer Keime, welche sich zu den phantastischesten Pflanzenformen entwickeln, und über diesem Gewimmel anstaunenswerter Bäume und Gewächse ragen, einen Wald über dem Walde bildend, die unvergleichlichen Kronen der Palmen hoch empor. Kein Mensch, und sei er ein noch so großer Meister der Feder oder des Pinsels, vermag es, dieses Bild nur annähernd wiederzugeben. Die Großartigkeit dieser Schöpfung läßt sich weder auf das Papier noch auf die Leinwand bringen.

Von den unzähligen Pflanzenindividuen ist der Pandanus wohl das sonderbarste zu nennen; er gehört nächst den Palmen zu den imposantesten Formen der monokotylen Gewächse. Fast möchte man annehmen, daß er aus einer frühern Schöpfungsperiode stamme. Auf einem Gerüste von Stütz- oder Luftwurzeln, welches einem konisch zusammengestellten Baue von dicken Pfählen gleicht, erheben sich ein oder mehrere schlanke Schäfte, welche hoch oben ein höchst seltsames Zweigwerk mit eigentümlichen, lanzettförmigen Blättern und großen, tannenzapfenartigen Früchten tragen. Die Stützwurzeln sind oft über zwanzig Fuß hoch, und der Baum gewährt einen so fremdartigen Anblick, daß man ihn einen wunderlichen, närrischen Einfall der Natur nennen möchte.

Dieser Tropenwald ist an der Küste von einem Gürtel von Mangroven umgeben, welche nur da gedeihen, wo das Meer während der Flut ihre Wurzeln bespült, um sie bei der Ebbe wieder bloßzulegen. Zwischen diesen Wurzeln brütet, wenn das Wasser sich von ihnen zurückgezogen hat, die glühende Sonne die Fieber aus, welche den Eingeborenen und den Fremden gleich gefährlich werden.

Und draußen, im Wasser, zieht sich um diese Inseln noch ein weiterer Kranz von pflanzenähnlichen Gebilden, nämlich Korallen, welche in allen Formen und Farben aus der Tiefe schimmern und das Auge des Europäers stundenlang beschäftigen.

Da in die dichten Dschungeln nur sehr schwer einzudringen ist und jede gelichtete Stelle im Innern der Inseln sich schnell wieder mit einem üppigen Pflanzenwuchse bedecken würde, befinden sich die Wohnungen der Eingeborenen, gleichviel, ob sie einzeln stehen oder zusammenhängende Dörfer bilden, meist in der unmittelbaren Nähe der Küste. Sie sind auf Pfählen errichtet, was nicht nur Schutz gegen die Überschwemmungen des Meeres und etwaige feindliche Angriffe bietet, sondern auch den freien Zutritt der Luft zum Podium des Hauses bietet und also die Schädlichkeit der Fieberdünste mildert.

Die Verbrecherkolonie der Nikobaren besteht aus einigen hundert Individuen und ist auf der Insel Kamorta untergebracht. Die meisten von ihnen sind für lebenslänglich, die übrigen ausnahmslos zu langen Freiheitsstrafen verurteilt, denn es werden nur schwere Verbrecher hierhergeschickt. Aber die einen haben vor den andern nicht viel voraus, denn die mörderischen Fieber machen jede längere Detention zu einer lebenslänglichen; sie raffen nach verhältnismäßig kurzer Zeit den stärksten Mann dahin. Es ist darum kein Wunder, daß das Sinnen und Trachten dieser Gefangenen fortwährend auf die Flucht gerichtet ist.

Bei der Entfernung der Inselgruppe von dem Festlande und bei dem Umstande, daß nur selten ein Schiff hier anlegt, sollte man ein Entkommen fast für unmöglich halten, aber es hat doch Fälle gegeben, in denen die Flucht gelungen ist. –

Wie schon erwähnt, hatte Mynheer Bontwerker den ihm abgezwungenen Brief nach Tjelatjap auf der Insel Java adressieren müssen, und ich hielt es für gar nicht schwer, den Adressaten dort zu ermitteln und von ihm zu erfahren, wohin die Antwort verlangt worden sei. Von dem betreffenden Orte aus mußte dann der Weg nach der ›Tigerbrücke‹ zu finden sein. Seit uns aber Quimbo von Ta-ki erzählt hatte und daß dieser an der Insel Tillangdschong das Raubschiff verlassen hatte, hielten wir es für besser, nach diesem Eilande zu dampfen anstatt nach Tjelatjap. Ta-ki kannte die Tigerbrücke, und wir konnten also von ihm erfahren, wo sie lag.

Wie aber war es anzufangen, ihn zu bewegen, es uns zu verraten? Selbstverständlich hatte List viel mehr Aussicht auf Erfolg als Gewalt; aber welche List war anzuwenden? Wir sannen und sannen und kamen zu keinem Plane. Schon näherten wir uns dem Zehn-Grad-Kanale, welcher die Nikobaren von den Andamanen trennt, und noch waren wir auf keinen Gedanken gekommen, dessen Ausführung ein Gelingen verhieß.

»Hab es gewußt,« meinte der Lord. »Wollte ja gleich mit euch wetten, daß wir von diesem Kerl auf Tillangdschong nichts erfahren werden. Keiner von uns ist imstande, eine pfiffige Idee zu finden. Und mit Prügeln holen wir auch nichts aus ihm heraus.«

»Allerdings nicht, nämlich wenn er ebenso verschwiegen ist wie seine Genossen, welche sich aufknüpfen ließen, ohne ein Wort zu sagen,« antwortete ich.

»Was also thun? Es wird nämlich Zeit. Es ist jetzt fast Mittag, und gegen Abend liegen wir vor Tillangdschong.«

»Es bleibt nichts übrig, als es dem Zufalle zu überlassen. Mir fällt nichts ein.«

»Mir auch nicht. Mein Kopf ist so gedankenleer wie ein ausgetrunkener Flaschenkürbis. Und wenn ich bedenke, welche Schwierigkeiten uns die Sprache verursachen kann, so will ich die Hoffnung immer – –«

»Die Sprache? Wieso?« fiel ich ihm in die Rede. »Ta-ki ist Chinese.«

»Ihr wollt sagen, daß Ihr in seiner Muttersprache mit ihm reden könnt? Das weiß ich wohl! Aber denkt Ihr etwa, daß Ihr ihn nur aufzusuchen und vor ihn hinzutreten braucht, um ihn aushorchen zu können? Das bildet Euch ja nicht ein!«

»Diese Einbildung habe ich nicht. Er kann sich doch nicht allein auf der Insel befinden. Die Leute, welche dort wohnen, sind---«

»Wahrscheinlich Nikobaresen,« unterbrach er mich. »Versteht Ihr deren Sprache?«

»Hm! Sie sind ein Mischvolk von Malayen und Burmehsen, und es ist möglich, daß ich da mit meinem bißchen Malayisch und Hindustani auskommen werde.«

»Das wäre gut, denn ich verstehe davon ebenso viel wie Ihr; aber vielleicht können wir uns da auf unsern Mahaba verlassen. Werde ihn einmal fragen.«

Mahaba war nämlich ein Bekannter unseres früheren Genossen Kaladi, auf dessen Hochzeit wir ihn kennen gelernt hatten. Lange Jahre Matrose gewesen, hatte er das indische und chinesische Meer nach allen Richtungen befahren, kannte sämtliche indischen Inseln und hatte sich einen Sprachschatz angeeignet, der uns allerdings zu statten kommen konnte. Der Lord hatte ihn kurz vor unserer Abfahrt von Ceylon an Kaladis Stelle engagiert und, ganz so wie ich, in ihm einen ebenso brauchbaren wie zuverlässigen Menschen kennen gelernt, dem wir unser Vertrauen schenken konnten. Von Raffley befragt, erklärte der Singhalese, daß er die Insel Tillangdschong ziemlich genau kenne; mit etwas Malayisch und ebenso viel Hindustani komme man bei den wenigen Leuten, welche dort wohnten, recht gut aus.

Noch sprachen wir mit ihm, da richtete er sein Auge über Backbord hinüber auf einen Punkt der See, stieß einen Ruf des Erstaunens aus und sagte:

»Sahib, dort schwimmt etwas. Wenn ich mich nicht irre, so ist es ein Boot.«

»Was für eins?« fragte der Lord.

»Ein Andamanenboot.«

»Wird sich an einer Insel losgerissen haben.«

»Nein. Der Bug steht südwärts auf uns; das wäre bei einem leeren Fahrzeuge und dem jetzigen Winde nicht möglich. Es wird gerudert.«

»Hm! Wollen einmal sehen!«

Raffley holte sein Fernrohr, sah nur kurze Zeit hindurch und erklärte dann.

»Es sind zwei schmale Boote, längsseits aneinander gebunden; drin sitzen Männer, welche rudern.«

»Zwei Boote? Aneinander gebunden, Sahib?« fragte Mahaba in einem uns auffallenden Tone.

»Ja. Jetzt wenden sie. Sie scheinen von uns abkommen zu wollen.«

»Laßt sie abkommen, laßt sie abkommen, Sahib! Sie gehen uns nichts an!«

»Warum nicht? Zwei zusammengebundene Boote auf hoher See, das ist auffällig. Habe große Lust, sie anzudampfen und anzureden.«

»Laßt sie, Sahib, laßt sie!«

»Hm! Du scheinst dich ungeheuer für sie zu interessieren. Welchen Grund hat das?«

»Es sind arme Teufel, die um ihre Freiheit rudern.«

»Verstehe dich nicht.«

Ich verstand, was Mahaba meinte, und erklärte dem Englishman:

»Wahrscheinlich sind es flüchtige Deportierte.«

»Ah! Wie? Was? Fliehende Verbrecher? Die kommen doch von den Andamanen!«

»Allerdings«

»Und scheinen nach den Nikobaren zu wollen!«

»Denke es auch.«

»Dann sind es keine Flüchtlinge.«

»Wieso?«

»Weil sie da aus dem Regen in die Traufe kämen. Auf den Nikobaren würde man sie ergreifen. Wer von den Andamanen flieht, der flieht nordwärts, dem Festlande zu; das müßt Ihr doch auch sagen, Charley?«

»Nein.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Nordwärts durch die so belebten Preparis-Kanäle, das wäre für flüchtige Verbrecher ein höchst gefährlicher Weg. Günstiger ist es für solche Leute, über die Nikobaren hin die Nordspitze von Sumatra zu erreichen.«

»Da werden sie auf den Nikobaren ergriffen!«

»Nein, wenn sie klug und vorsichtig sind. Beamte giebt es doch nur auf Kamorta. Wenn die Flüchtlinge diese Insel vermeiden, ist ihr Entkommen fast gewiß.«

»Denkt ihr? Hm! ja, ihr könnt recht haben. Flüchtige Verbrecher! Ich bin Englishman, und es ist meine Pflicht, auf diese Kerls zu fahnden. Meint Ihr nicht?«

»Ich habe kein persönliches Interesse dabei, meine aber auch, daß die Strafen für begangene Verbrechen nicht verhängt werden, um unausgeführt zu bleiben.«

»Well; nehmen wir die Kerls also an Bord, wenn sie wirklich das sind, wofür wir sie halten!«

Auf seinen Befehl ließ der Steuermann die Jacht nach Backbord abfallen und hielt grad auf die Boote zu, deren Insassen die Ruder einzogen, als sie sahen, daß sie unmöglich entkommen konnten. In ihrer Nähe wurde gestoppt. Die Jacht ging noch zwei Schiffslängen bis ganz an die Boote heran und wurde dann nur noch von dem Wellengange bewegt. Wir sahen von oben in die Boote. Die zwei Ruderer saßen in dem einen und hatten, nur daß dasselbe nicht kentern könne, ein zweites daran gebunden. Ihre ganze Bekleidung bestand aus einer Art von Hemde, welches bis auf die Knöchel herabreichte und an den Ärmeln einige mir unbekannte Zeichen hatte.

»Ach, Verbrecherhemden!« sagte der Lord. »Sogar Abteilung Viperinsel, wohin nur ganz gefährliche Kerle kommen. Werde mich ihrer freundlich annehmen.«

Er bog sich über die Reiling hinab und fragte die beiden, welche in ängstlicher Erwartung zu uns emporblickten, in englischer Sprache:

»Woher Kinder, heh?«

»Von Klein-Andaman,« antwortete der eine in derselben Sprache.

»Und wohin?«

»Nach Kamorta.«

»Welcher Zweck?«

»Besuch.«

»Bei wem?«

»Bei Verwandten, zu einem Begräbnisse.«

»Schön, meine Kinder! Habt tüchtig arbeiten müssen bei diesem Seegange; sollt mit uns fahren. Wir gehen nämlich auch nach Kamorta. Steigt an Bord!«

»Das können wir nicht, Sahib.«

»Warum nicht?«

»Wir sind geringe Leute, die nicht zu so großen und vornehmen Maharadschas passen.«

»Thut nichts; das wird passend gemacht. Kommt nur, Kinder, kommt getrost herauf!«

Er sagte das in väterlich freundlicher Weise, und sein Gesicht strahlte dabei so vor Vergnügen, als ob es ihn ganz glücklich mache, zwei arme Menschen bei sich aufzunehmen. Trotzdem lautete die Antwort von unten herauf-

»Verzeiht, Sahib! Wir rudern gern und befürchten, Euch durch unsere einfache Gegenwart zu beleidigen.«

»Das befürchtet ja nicht, Kinder! Ihr würdet mich vielmehr beleidigen, wenn ihr nicht kämt. Ich bin ein Englishman, der für jede abgeschlagene Einladung eine Kugel giebt.«

Das klang schon etwas ernster. Sie sahen einander fragend an, und dann erklärte der bisherige Sprecher:

»Wir dürfen nicht, Sahib. Schont unsere Kaste!«

Da ließ der Lord seinen Klemmer auf die Nasenspitze vorrutschen und donnerte hinab:

»Eure Kaste schonen? Soll ich euch etwa für Braminen halten, denen mein Schiff nicht gut genug ist? Wenn ihr nicht augenblicklich an Bord kommt, gebe ich wieder Dampf und fahre euch und eure Nußschalen mitten auseinander! Also herauf mit euch!«

Sie wechselten einige leise Worte miteinander und dann hörten wir die Ausrede:

»Wir wollen ja gar nicht nach Kamorta; ich habe mich vorhin versprochen.«

»Wohin denn?«

»Nach Tillangdschong.«

Als ich diesen Namen hörte, rief ich an des Lords Stelle hinab:

»Zu wem? Wenn wir euch glauben sollen, so sagt die Wahrheit! Wir sind dort bekannt.«

Erst nach einigem Zögern und Ueberlegen erhielt ich die Auskunft-

»Zu Ta-ki, dem Chinesen, dem vornehmsten Manne auf der ganzen Insel.«

»Und der soll euer Verwandter sein? ist er es etwa, der begraben werden soll?«

»Nein. Wir werden bei ihm wohnen, um uns nicht bei unsern toten Verwandten zu verunreinigen.«

»Gut, so bringen wir euch nach Tillangdschong. lhr seid nun einmal eingeladen; da ist nichts zu ändern. Also herauf mit euch, wenn ihr nicht überfahren sein wollt!«

Da die Jacht kein Kriegsschiff war, hatten sie wahrscheinlich geglaubt, die Sträflingskleidung sei uns unbekannt und wir würden sie fortlassen; jetzt aber sahen sie ein, daß sie sich fügen mußten, zumal unsere Leute ihre Gewehre geholt hatten und damit drohten. Sie verließen also ihre Boote, in denen wir einen Vorrat von Kokosnüssen erblickten, die auf der Flucht ihren einzigen Proviant gebildet hatten. Da sahen wir, daß dem einen eine eiserne Kette an den beiden Fußknöcheln hing; er war also jedenfalls ein renitenter Bösewicht. Angesichts dieses Schmuckstückes konnten sie nicht leugnen, wer und was sie waren. Waffen hatten sie nicht; sie ergaben sich ohne Widerstand in ihr Schicksal; ihre Boote wurden an das Schlepptau genommen, und dann dampften wir weiter.

»Sonderbar, daß sie nach Tillangdschong wollen!« meinte Raffley zu mir.

»Und zwar zu dem Chinesen!« stimmte ich bei.

»Das ist wirklich auffällig. Nicht?«

Aa, es läßt sich daran ein Gedankengang knüpfen, den ich nicht von mir weisen möchte.«

»Welcher, Charley?«

»Sie kennen ihn; er ist ein Verbrecher, und sie sind nichts anderes. Sie suchen bei ihm Unterstützung und Fortkommen; wahrscheinlich gehen sie unter die Seeräuber. Sollte es sein Geschäft sein, flüchtige Verbrecher für seine Dschonken zu engagieren?«

»Leicht möglich, denn diesen Kerls ist es ganz gleichgültig, was sie dann werden, wenn sie nur die verlorene Freiheit wiedererhalten.«

»Wenn das so ist, dann muß der Chinese in der Verbrecherkolonie als derjenige bekannt sein, an den man sich im Falle einer Flucht zu wenden hat.«

»Wahrscheinlich. Werde gleich einmal danach fragen.«

»Halt! Wo wollt Ihr hin?« erkundigte ich mich, indem ich ihn zurückhielt, als er sich schnell entfernen wollte.

»Natürlich zu den Gefangenen,« antwortete er.

»Um diese Frage an sie zu richten?«

»Ja.«

»Das thun wir nicht!«

»Warum nicht?«

»Es würde ein Fehler sein, denn sie würden Euch doch keine Aufklärung geben.«

»Oho! Ich laß sie hauen, bis sie sprechen!«

»Warum eine solche Grausamkeit, wenn wir auf eine leichtere und humanere Weise unsern Zweck erreichen können? Man prügelt doch selbst solche Leute nicht gern.«

»Würde ihnen aber gar nichts schaden. Welche humanere Weise meint Ihr denn, Charley?«

»Ich belausche sie.«

»Pshaw! Anschleichen und belauschen, das thut Ihr doch gar zu gern! Bedenkt doch, daß Ihr Euch hier weder im Urwalde noch auf der Prairie befindet!«

»Was thut das? Kann man nicht auch hier lauschen?«

»Well; aber man erfährt nichts dabei.«

»Man erfährt alles, was man will!«

»Möchte wissen, wie Ihr das anfangen wollt!«

»Sehr einfach. Seht die beiden Kerls dort beim Schornsteine! Sie möchten natürlich herzlich gern über das, was jetzt geschehen ist und was ihnen bevorsteht, miteinander sprechen. Meint Ihr nicht, Sir?«

»Natürlich! Man sieht es ja deutlich, daß es ihnen das Herz abdrückt.«

»Sie können aber nicht heimlich sprechen, weil Mahaba als Wache bei ihnen steht. Er hat zwar vorhin, als er die Boote sah, Mitleid verraten; nun sie aber unsere Gefangenen sind, giebt er sicher ganz genau acht auf sie. Laßt sie also hinunter in den Raum schaffen und dort anbinden; dort werden sie, wenn sie allein sind, sofort miteinander reden.«

»Das steht allerdings zu erwarten. Und da, wenn sie sprechen, wollt Ihr sie belauschen?«

»Ja.«

»Würde es nicht besser sein, Mahaba zu diesem Zwecke hinunter zu schicken?«

»Ihr meint, er versteht sie besser als ich?«

»Das denke ich.«

»Ich zwar auch; aber dieser Vorteil würde wahrscheinlich mit einem Nachteile verbunden sein.«

»Mit welchem?«

»Es handelt sich nicht nur darum, sie richtig zu verstehen, sondern man muß auch kombinieren können; das heißt, man muß aus dem, was man hört, sofort die richtigen Schlüsse zu ziehen verstehen.«

»Hm! Yes! Und dazu wird Mahaba wohl das nötige Geschick nicht besitzen. Es ist also besser, Ihr steigt selbst hinunter. Aber wohin, Charley?«

»Laßt sie hinter den Tanks anbinden. Ich steige, ohne daß sie es bemerken, vorher hinab und verstecke mich zwischen den Behältern, Es versteht sich da ganz von selbst, daß kein Licht bei ihnen gelassen wird.«

»Well, so mag es geschehen. Macht Euch also hinunter; wir werden gleich nachkommen. Bin wirklich neugierig, ob es Euch gelingt, etwas zu erfahren.«

Die beiden Gefangenen standen in der Nähe des Schornsteines und beobachteten uns. Der Lord ging zu ihnen und unterzog sie einem scheinbaren Verhöre, wodurch er ihre Aufmerksamkeit von mir ab- und auf sich lenkte. Dabei stellte er sich so, daß sie ihre Stellung ändern und mir den Rücken zukehren mußten. Dadurch bekam ich die Gelegenheit, in der nächsten Luke zu verschwinden, ohne daß dies von ihnen bemerkt wurde.

Ich stieg zu den Tanks hinab, wie die großen Trinkwasserbehälter genannt werden, legte mich da nieder und schob mich zwischen zwei derselben so hinein, daß mich die Flüchtlinge, wenn sie gebracht wurden, nicht sehen konnten. Nach wenigen Minuten kamen sie, von einigen Matrosen geführt; der Lord war dabei. Bei den Tanks angekommen, ließ er sie streng fesseln und anbinden und kehrte dann mit den Matrosen nach oben zurück. Es war vollständig dunkel um mich her. Noch während die Treppenstufen unter den schweren Schritten der Matrosen knarrten, und ich also nicht gehört werden konnte, schob ich mich weiter vor, bis mein Kopf den Gefangenen so nahe lag, daß ich sie selbst für den Fall, daß sie leise sprachen, verstehen konnte. Die Hauptfrage war freilich, welcher Sprache sie sich bedienen würden.

In dieser Beziehung war mir das Glück günstig, denn sie unterhielten sich in jenem Laskarenmischmasch, den dort jeder Seemann kennt und der mit der Lingua franca der Mittelmeerhäfen zu vergleichen ist. Ich verstand fast jedes Wort, welches ich hörte.

»Ob wir wohl allein hier sind?« fragte der eine leise.

»Es ist niemand da,« antwortete der andere lauter.

»Weißt du das gewiß?«

»Ja. Ich habe in alle Ecken geschaut, während das Licht hier brannte.«

»Ich auch, und niemand war zu sehen außer denen, die uns herunterbrachten und wieder hinaufgegangen sind.«

»Wir können also reden; es hört uns kein Mensch.«

»Was nützt uns das? Vom Reden werden wir nicht frei.«

»Nein; aber wir können doch darüber sprechen, ob es nicht einen Weg zur Freiheit giebt.«

»Es giebt keinen; wir sind verloren.«

»Ich habe noch Hoffnung!«

»Wirklich?« erklang die schnelle Frage.

»Ja. Diese englischen Hunde schaffen uns sicher nach Kamorta, um uns dort abzuliefern. Wahrscheinlich kommen wir dort an, wenn es schon dunkel geworden ist; da springen wir über Bord und retten uns durch Schwimmen.«

»Schwimmen? In diesen Fesseln?«

»Fesseln!« sagte der vorige mit einem verächtlich zischenden Lachen. »Ja, wenn sie von Eisen wären! Aber es sind Riemen, und du kennst meine Zähne. Ich zernage die deinigen, und dann knüpfest du mich los.«

»Ja, das geht, das geht, das geht! Wir springen dann über Bord! Aber – – –« fügte er in viel weniger zuversichtlichem Tone zu –-- »wir haben die Kette an meinen Füßen vergessen; die hindert mich im Schwimmen.«

»Ich helfe dir. Wir kommen in der Dunkelheit ganz gewiß an das Ufer, wo wir Kähne finden, so viel wir wollen; dann rudern wir in der Nacht nach Tillangdschong. Erreichen wir diese Insel glücklich, so sind wir geborgen, denn Ta-ki wird uns so gut verstecken, daß uns kein Verfolger finden kann.«

»Hat er wirklich so gute Verstecke?«

»Ja. Es ist noch nie ein Flüchtling auf Tillangdschong entdeckt worden.«

»Und dann. Was geschieht dann mit uns?«

»Das habe ich dir ja bereits gesagt. Wir gehen unter die Seeräuber.«

»Wird man uns aufnehmen?«

»Unbedingt.«

»Aber ich verstehe vom Seewesen nichts.«

»Das schadet nichts; das lernt sich alles. Ta-ki rettet überhaupt keinen Flüchtling, als nur unter der Bedingung, daß er unter die Räuber geht. Oder graut es dir etwa davor?«

»Unsinn! Meine Freiheit will ich haben; für sie thue ich alles, was von mir verlangt wird. Aber weißt du auch gewiß, wo man Ta-ki auf der Insel trifft?«

»Ja, bei den drei verschiedenen Masten. Die Bewohner der Nikobaren pflegen nämlich jede Stelle, wo gelandet werden kann, mit hohen Bambusmasten zu bezeichnen, an deren Spitzen Büschel von getrockneten Kokospalmenwedeln angebracht sind. Diese Masten sind wohl an Zahl, selten aber in Beziehung auf die Höhe verschieden. Davon hat Ta-ki eine Ausnahme gemacht, damit seine Landestelle leichter erkannt werden möge. Sie liegt auf der Ostseite von Tillangdschong; rudert man an derselben hin und sieht drei Masten von verschiedener Höhe zwischen den Korallen stehen, so ist das der Ort, an dem man landen muß. Jetzt aber wollen wir nicht mehr sprechen, sondern handeln. Die Riemen sind fest, und ehe man sie durchbeißen kann, müssen Stunden vergehen.«

Aus diesen Worten schloß ich, daß nun nichts mehr zu erfahren war, und zog mich langsam und leise zwischen den Tanks zurück. Dann schlich ich mich zur Treppe und kroch diese so vorsichtig hinauf, daß auch nicht das geringste Knarren zu hören war. Als Raffley mich sah, kam er mir schnell und neugierig entgegen und fragte:

»Nun, wie ist's gegangen? Habt Ihr Glück gehabt und etwas gehört?«

»Ja.«

»Was?«

»Sagt vorerst einmal, Sir John, habt Ihr eiserne Fesseln?«

»Yes. Man ist unterwegs zuweilen gezwungen, mit dem Personale zu wechseln, und die Kerls, welche man hier in diesen Gegenden bekommt, taugen meist nichts. Jeder Kapitän, der sich mit Laskaren abgeben muß, hat eisernes Schließzeug bei sich.«

»So fesselt die beiden Gefangenen mit Eisen. Sie wollen ihre Riemen zerbeißen.«

»Ah! Diese Sorte hat allerdings die richtigen Dolchzähne. Werde ihnen aber etwas umbinden, was sie wohl nicht zerbeißen können.«

Als die eisernen Hand- und Fußringe gebracht wurden, nahm Quimbo sie schnell an sich und sagte mit einem Lachen, welches von dem rechten Ohre bis zum linken ging:

»Geb' Eisen an gut', schön', tapfer Quimbo! Quimbo will mach' so fest Eisen, daß Räuber beiß aus all' Zähne und doch nicht werd frei.«

Als wir unten ankamen, um die ledernen Riemen mit den metallenen Fesseln zu vertauschen, blitzten uns die beiden Kerls aus glühenden Augen wütend an. Ich hielt ihnen den schon halb durchnagten Riemen hin und sagte zu dem, der sich seiner Zähne gerühmt hatte.

»Ich kenne deine Zähne, und ich kenne auch eure Gedanken und Absichten. ihr wolltet heut abend in die See springen.«

»Das ist Lüge! Das kann uns nicht einfallen!« rief der eine mir zornig zu.

»O, es ist euch sogar noch mehr eingefallen. Ihr wolltet in Kamorta an das Land schwimmen und ein Boot stehlen, um nach Tillangdschong zu fahren.«

»Zu wem?« hohnlachte er.

»Zu Ta-ki.«

»Das sagst du, weil du weißt, daß wir von ihm gesprochen haben!«

»Nein, sondern weil ich weiß, daß er euch helfen soll, unter die Seeräuber zu gehen. Wir werden euch in Kamorta abliefern; vorher aber werdet ihr die Güte haben, mir eure Hemden zu borgen.«

Sie schwiegen; dafür fragte mich der Lord erstaunt:

»Diese Hemden borgen? Redet Ihr im Ernste?«

»Ja.«

»Für wen denn?«

»Für mich und Mahaba.«

»Wollt Ihr sie etwa anziehen?«

»Ja.«

»Ihr redet irre, Charley!«

»O, ich habe im Gegenteile alle meine Sinne und Gedanken sehr gut beisammen.«

»Das muß ich außerordentlich bezweifeln. Welcher Gentleman zieht solche Hemden an –-- brrrrrr!«

»Derjenige Gentleman, welcher die Absicht hegt, einen gewissen Ta-ki zu fangen.«

Da ließ er den Klemmer vor auf die Nasenspitze rutschen, starrte mir über die Gläser hinweg in das Gesicht und wiederholte langsam:

»Einen – – gewissen – – Ta-ki – – zu – fangen – – – ! Es ist wirklich Euer Ernst?«

»Yes!«

»So sagt mir um des Himmels willen, was diese vor Schmutz und Ungeziefer starrenden Hemden dabei zu thun haben? Es ist ja geradezu ein Selbstmord – – –«

»Abwarten!« fiel ich ihm in die Rede. »Hier ist nicht der Ort, davon zu sprechen. Gehen wir aufs Deck oder in Eure Kajüte, Sir!«

»Well! Soll mich verlangen, was Ihr wieder einmal für eine bunte Raupe im Kopfe habt!«

Wir steigen nach der Kajüte empor. Natürlich durfte ich die Hemden da nicht mit hineinnehmen; ich überließ sie vielmehr Quimbo, indem ich ihm erklärte, wie er sie zu reinigen hatte. Der Lord warf sich auf einen Stuhl, legte die Beine übereinander und fragte mich:

»Charley, wollen wir wetten?«

»Worüber?«

»Daß das, was Ihr jetzt vorhabt, eine riesenhafte Dummheit ist.«

»Ich wette nicht mit.«

»Warum nicht?«

»Weil ich die Ueberzeugung habe, daß Ihr verlieren würdet, und wo diese Ueberzeugung da ist, da hört die Wette auf, Wette zu sein.«

»Unsinn! Wette hört nie auf, Wette zu sein. Ihr seid aber einmal so ein unverbesserlicher Querkopf, der sich nie dazu verstehen will, vollständig gentlemanlike zu sein. Sagt mir doch einmal um aller Welt willen, was habt Ihr denn eigentlich mit diesen Hemden vor?«

»Anziehen wollen wir sie.«

»Also wirklich – wirklich?«

»Yes

»Da hört aber doch alles auf! Und diese Tollheit soll auf Ta-ki Bezug haben?«

»Yes

»Inwiefern denn?«

»Sagt mir vorher, Sir, ob Ihr vielleicht alte Korkstöpsel habt?«

Er machte eins seiner dümmsten Gesichter und fragte:

»Korkstöpsel? Habe ich recht gehört?«

»Sehr richtig!«

»Aber wozu wollt Ihr sie? Korkstöpsel und alte Züchtlingshemden! Ich werde ganz irr an Euch!«

»Es handelt sich um eine Art von Maskerade. Die Korkstöpsel sollen angebrannt oder vielmehr angeräuchert werden, damit ich mir mit ihnen die Haut einreiben kann.«

»Die Haut einreiben? Haut einreiben! Mit angeräucherten Korkstöpseln! Es wird wirklich immer toller! Seid Ihr denn so unzufrieden mit Eurer bisherigen Haut?«

»Das nicht; aber wenn ich nichts trage als das Züchtlingshemde, so kommen doch zuweilen die Arme, die Unterschenkel, auch die Brust zum Vorscheine, und da versteht es sich ganz von selbst, daß ich diese Körperteile dunkel färben muß.«

»Dunkel färben! Wozu denn aber?«

»Damit Ta-ki nicht sieht, daß ich ein Europäer bin. Meine weiße Haut würde das verraten.«

»Hm! Die Finsternis beginnt, sich zu lichten. Ihr wollt zu Ta-ki?«

»Ja.«

»Nach Tillangdschong?«

»Ja.«

»An Stelle der beiden Gefangenen?«

»Ja.«

»Euch für einen entflohenen Verbrecher ausgeben?«

»Ja.«

»Um ihn auszuhorchen?«

»Ja.«

Da stampfte er wütend mit dem Fuße auf und schrie mich an:

»Ja, ja, ja, und immer wieder nur ja! Sprecht Euch doch deutlicher und ausführlicher aus! Wie kommt Ihr denn auf die sonderbare und dabei höchst gefährliche Idee, diesen Ta-ki in der Gestalt eines flüchtigen Deportierten aufzusuchen?«

ich erzählte ihm, was ich unten erlauscht hatte.

»Hm!« brummte er. »Daraus folgt noch gar nicht, daß Ihr Euch in eine so augenscheinliche Lebensgefahr begeben müßt.«

»Es ist gar keine Gefahr dabei.«

»Das versteht Ihr nicht!«

»Ah! Wirklich?«

»Oder Ihr achtet es nicht,« lenkte er ein. »Ihr seid eben so ein Hallodri, dem es gar nicht gefällt, wenn es nicht so ein bißchen um die Gesundheit und um das Leben geht. Ich begreife nicht, warum grad dieses Wagnis notwendig sein soll.«

»Desto besser begreife ich es.«

»Das ist Einbildung. Ich will Euch sagen, wie es gemacht wird, und wenn Ihr mich angehört habt, werdet Ihr mir recht geben.«

»Nun, wie?«

»Wir dampfen nach Tillangdschong – –«

»Well!«

»Ankern da, wo drei verschiedene Bambusmasten zu sehen sind – – –«

»Well!«

»Gehen da ans Land – –«

»Well!«

»Suchen diesen Ta-ki auf – –«

»Well!«

»Schweigt mit Eurem impertinenten Well! Ihr wollt Euch über mich lustig machen und das dulde ich nicht!«

»Fällt mir gar nicht ein,« lächelte ich.

»O, Euch kennt man schon! Also wir suchen diesen Ta-ki auf und zwingen ihn, uns zu sagen, wo die Tigerbrücke zu suchen ist.«

»Wie wollt Ihr ihn zwingen?«

»Erst versuche ich es mit Güte, und wenn das nicht hilft, so bekommt er Prügel.«

»Hm! hm!«

»Was sind das für zwei Hms? Soll das heißen, daß Ihr nicht einverstanden seid?«

»Ja!«

»Warum nicht?«

»Habt Ihr nicht schon wiederholt gesagt, selbst heut noch, daß aus diesem Chinesen nichts herauszubringen sein wird? Habt Ihr nicht sogar wetten wollen?«

»Hm! Das ist richtig. Hm!«

»Ja, nun hmt Ihr selber, Sir John. Wenn wir es so machen, wie Ihr wollt, erfahren wir nicht das Geringste von diesem Menschen.«

»Wenn Ihr aber Euern Plan ausführt, so – – ?«

»So bin ich überzeugt, daß er sich auf das glanzvollste übertölpeln läßt.«

»Wäre freilich nicht übel, gar nicht übel!«

»Denke es auch.«

»Aber die Gefahr?«

»Ich sage ja, daß gar keine Gefahr dabei ist.«

»Oho! Wenn er Euch nun durchschaut?«

»Da müßte ich die Sache sehr dumm anfangen.«

»Das ist nichts gesagt; man kann so klug sein wie nur möglich und doch von dem geringsten Zufall über den Haufen geworfen werden.«

»Wenn man sich werfen läßt! Wer eben klug handelt, der zieht den Zufall auch mit in Berechnung.«

»Mag sein. Ihr habt in solchen Pfiffigkeiten mehr Erfahrung und Uebung als ich. Aber ich bleibe dennoch bei meiner Warnung: Wenn er Euch durchschaut, so seid Ihr verloren.«

»Oho!«

»Ihr habt gehört, was für ein Riese er ist!«

»Und Ihr habt darauf selbst gesagt, daß körperliche Hünen oft gar keinen Mut haben.«

»Da kommt Ihr mir schon wieder in die Quere! Wenn Ihr Euch etwas eingebildet habt, so bringen Euch zehn Pferde nicht von der Stelle. Ich werde Euch sehr wahrscheinlich noch einmal als Leiche kennen lernen. Dann nehmt es mir aber nicht übel, wenn ich meine Hände in Unschuld wasche. Jetzt gehe ich. Ich will mir die Sache noch überlegen.«

Er entfernte sich ärgerlich, und ich konnte ihm nicht bös darüber sein; es war ja doch nur die Zuneigung, die Liebe zu mir, die aus ihm sprach. Er war besorgt um mich und wollte nicht haben, daß ich mich in Gefahr begab.

Als ich an Deck kam, sah ich ihn da mit langen Schritten hin und her gehen. Das that er wohl eine Stunde lang, ohne mich zu beachten; dann stand er plötzlich vor mir, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte:

»Charley!«

»Sir John!«

»Glaubt Ihr wirklich, daß Ihr's übersteht?«

»Was?«

»Die Maskerade mit dem Gefängnishemde?«

»Ja.«

»Quimbo hat die Gewänder erst übers Feuer gehalten und dann in kochendes Wasser gesteckt; anziehen also könntet Ihr sie; aber der Chinese – der Chinese!«

»Der macht mir gar nicht bange.«

»Und Mahaba soll mit?«

»Ja.«

»Das macht mir das Herz leichter, denn er ist ein zuverlässiger Kerl. So folgt also Eurem Kopfe; ich will nichts dagegen haben. Aber wehe dem Chinesen, wenn er Euch nur ein einziges Haar krümmt! Ich reiß ihn in Stücke! Welche Gelegenheit wollt Ihr denn benutzen?«

»Die beiden Boote der Flüchtlinge.«

»Well; das ist das beste. Wann?«

»Morgen früh, sobald es Tag wird.«

»Wo bleiben wir da heut?«

»Auf Kamorta.«

»Wo wir die Flüchtlinge abgeben?«

»Ja.«

»Da müssen wir auch ihre Hemden hergeben.«

»Der Beamte wird sie uns lassen, wenn er erfährt, wozu wir sie brauchen.«

»Hm! Da befürchte ich noch etwas anderes.«

»Was?«

»Daß dieser Mann Euch einen Strich durch die Rechnung macht.«

»Wieso?«

»Er geht vor uns und selbst nach Tillangdschong, um Ta-ki wegen Beihilfe zur Flucht zu verhaften.«

»Wenn er das je wollte, würde ich es ihm sehr leicht ausreden. Er wird es viel lieber sehen, daß wir den Chinesen festnehmen und er sich also gar nicht in Gefahr zu begeben braucht.«

»Wie? Ihr meint, daß wir Ta-ki festnehmen?,«

»Ja.«

»Das ist ja gar nicht nötig, wenn Ihr ihn mit List ausholen wollt!«

»Aber wir müssen ihn doch unschädlich machen!«

»Warum? Wenn er uns gesagt hat, wo die Tigerbrücke zu finden ist, kann er uns doch nicht mehr schaden.«

»Sogar sehr!«

»Wieso?«

»Nehmen wir an, er sagt mir alles; dann plötzlich verschwinde ich auf Euer Schiff; muß er da nicht einsehen, daß ich ihn betrogen habe?«

»Natürlich.«

»Wird er da nicht alles mögliche thun, unsere Absichten zu vereiteln?«

»Das kann er nicht.«

»Wirklich nicht?«

»Nein. Was will er thun, was will er anfangen? Kann er uns nachsegeln oder gar nachdampfen? Kann er uns überholen, um die Bewohner der Tigerbrücke zu warnen?«

»Das wohl schwerlich; aber wir kennen die Verhältnisse nicht. Diese Bande hat sich jedenfalls mit Vorsichtsmaßregeln und Heimlichkeiten so umgeben, daß man niemals sagen kann, ob irgend etwas möglich sei oder nicht. Nein, Ta-ki muß unschädlich gemacht werden.«

»Wodurch?«

»Dadurch, daß wir ihn entweder als Gefangenen hier an Bord behalten oder ihn dem Verwalter von Kamorta übergeben.«

»Was haltet Ihr für besser?«

»Das letztere.«

»Well, so werden wir es thun. Also braucht Ihr wohl meine Jacht gar nicht?«

»Sogar sehr. Ich rudere mit Mahaba früh nach Tillangdschong hinüber, und Ihr kommt nach einigen Stunden nach.«

»Wohin?«

»Nach der Ostküste, wo ihr drei verschieden hohe Bambusmasten stehen seht.«

»Sollen wir Anker werfen?«

»Ja.«

»Und an Land kommen?«

»Nein.«

»Aber ich denke, wir wollen den Chinesen fangen!«

»Allerdings.«

»Wie sollen wir das fertig bringen, wenn wir an Bord bleiben?«

»Nichts leichter als das, denn ich bringe ihn an Bord.«

»Was? Wie? Ihr wollt ihn bringen?«

»Ja.«

»Das ist ja unmöglich!«

»Ich mache es!«

»So wäre es ein Meisterstück!«

»Wenn jedes Meisterstück so wenig erforderte wie dies, so wäre es außerordentlich leicht, Meister zu werden. Kurz und gut, ich bringe ihn an Bord, und wir dampfen mit ihm ab, um ihn in Kamorta der strafenden Hand zu übergeben.«

»Wenn alles so glatt und so gut geht, wie Ihr es jetzt denkt, so will ich es loben. Also alte Flaschenkorke giebt es. Wann soll die Malerei beginnen?«

»Das hat Zeit bis gegen Abend; die Kette lege ich erst morgen früh an.«

»Welche Kette?«

»Die der eine Gefangene an den Füßen trägt.«

»All devils! Die wollt Ihr Euch doch nicht etwa an die Beine hängen?«

»Warum nicht?«

»Ihr seid doch kein Spitzbube, Dieb und Einbrecher?«

»Man soll mich aber für einen halten. ihr könnt Euch darauf verlassen, daß der Chinese mir leichter Vertrauen schenkt, wenn ich mit dieser Kette vor ihn hintrete.«

»Will's glauben. Macht, was Ihr wollt; ich habe nichts dagegen, wenn man Euch für einen Hauptzuchthäusler hält.«

Damit war die Sache für ihn abgemacht. Nun nahm ich Mahaba vor und freute mich über die Bereitwilligkeit, mit welcher er auf meinen Wunsch, mich zu begleiten, einging. Ich instruierte ihn, soweit dies möglich war, da ich ja selbst noch nicht wußte, wie alles kommen werde, und war überzeugt, in ihm einen Kameraden zu haben, auf den ich mich verlassen konnte.

Es war noch nicht Abend, als wir Kamorta vor uns liegen sahen, eine hügelige Insel, welche mit der üppigsten Vegetation bedeckt und von Korallenriffen umgeben war, durch welche die Annäherung sehr erschwert wurde. Als wir in den Hafen dampften, umgab uns tiefe Stille, ganz im Gegensatze zu dem regen, südlichen Leben, welches in den anderen Häfen des indischen Oceans herrscht. Am Lande sahen wir einige runde, kugelförmig bedachte Pfahlhütten der Nikobaresen liegen, und dann erblickten wir einige Häuser der Strafkolonie. Einige Gruppen von Neugierigen standen fern am Ufer, dem wir uns nicht nähern konnten, denn es war die Zeit der Ebbe, und die See hatte ihre Wasser so weit zurückgezogen, daß uns ein breiter Schlick- und Schlammgürtel von der Küste trennte.

Wir warfen Anker und sahen Leute, welche durch den tiefen Schlick gestiegen kamen, indem sie ein leichtes Boot und einen Mann trugen. Als sie das Wasser erreichten, ließen sie das Boot nieder, setzten den Mann hinein, stiegen ihm nach und kamen auf uns zugerudert. Dieser Mann kam an Bord; er war ein Europäer, ein Engländer, der Kommandant der hiesigen Strafkolonie, welcher sich nach unserm Gesundheitszustand erkundigen und erfahren wollte, wie lange wir hier zu bleiben beabsichtigten. Seine Ruderer waren Strafkolonisten. Als er hörte, daß sich kein Kranker unter uns befand, erteilte er uns die Erlaubnis, an das Land zu gehen, und war enttäuscht, als wir darauf verzichteten. Er hätte uns sehr gern gastlich bei sich aufgenornmen; wir aber wußten, daß uns eine einzige Nacht am Lande das Nikobarenfieber bringen konnte, und so zogen wir vor, an Bord zu bleiben.

Natürlich aber erfuhr er, welcher Zweck uns hergeführt hatte, und war augenblicklich bereit, die beiden Gefangenen von Bord holen zu lassen. Als wir uns erkundigten, ob er einen Chinesen Namens Ta-ki kenne, antwortete er:

»Natürlich kenne ich ihn. Er wohnt auf Tillangdschong und ist der einzige Händler, der sich auf den Nikobaren niedergelassen hat. Indem er uns mit Gegenständen versorgt, welche wir hier sonst nicht bekommen würden, haben wir ihm manche Erleichterung zu verdanken.«

»Ist er ein ehrlicher Mann?« fragte ich.

»Unbedingt, soweit man nämlich bei einem chinesischen Händler von Ehrlichkeit sprechen kann.«

»An welcher Stelle der Insel wohnt er?«

»An der Nordwestspitze. Wenn man sich dieser Spitze nähert, sieht man seine Hütten schon von fern.«

»An der Ostküste hat er keine Hütte?«

»Nein. Da giebt es nur einen einzigen, kleinen Pfahlbau, der einem alten Eingeborenen gehört.«

»Stehen drei Masten von verschiedener Größe da?«

»Ja. Ich höre, daß Ihr diese Hütte kennt?«

»Allerdings.«

»So seid Ihr früher schon einmal hier gewesen?«

»Nein. Ich kenne die Oertlichkeit durch die Beschreibung, welche mir die beiden Gefangenen ohne ihre Absicht geliefert haben. Euer Chinese ist nämlich kein ehrlicher Mann, wie Ihr meint, Sir, sondern ein Schuft, der Euch an der Nase führt.«

»Das ist ein Irrtum, Sir!«

»Nein. Ich kann es Euch beweisen.«

Erst jetzt teilte ich ihm mit, welches Gewerbe Ta-ki eigentlich trieb. Der Beamte hörte mir erstaunt zu, schenkte mir aber Glauben und wollte in übermäßigem Eifer sofort mit einigen Booten voll Sepoys nach Tillangdschong rudern, um den Chinesen festzunehmen. Wir rieten natürlich ab, indem wir erklärten, daß wir diese Arbeit für ihn unternehmen und ihm Ta-ki ausliefern würden. Er war sofort damit einverstanden, denn das Ergreifen eines kühnen Seeräubers ist immerhin eine gefährliche Sache, bei der man leicht zu Schaden kommen kann und die man daher gern anderen überläßt, die sich dazu melden.

Er ließ sich wieder nach dem Lande zurückrudern und schickte dann ein größeres Boot, welches uns köstliche Früchte brachte und dafür die Gefangenen von uns ausgeliefert bekam. Von diesen Früchten waren uns die Kokosnüsse wegen ihrer Milch am liebsten, doch gehört eine gewisse Geschicklichkeit dazu, sie zu öffnen, ohne die Milch zu verschütten. Man bedient sich hier dazu eines schweren, aus Birma stammenden Eisenmessers, Tahu genannt. Der Ungeübte zerschlägt die Nuß gar zu leicht und verspritzt den köstlichen Saft dabei; der Geschickte aber entfernt mit kecken Schlägen die Spitze ohne die Hülle der Innenhöhle. Ist diese Höhle, das ölhaltige Mark der Nüsse, freigelegt, dann macht er darin ein Loch und ist nun leicht im stande, die Nuß auszutrinken.

Als es Abend geworden war, ging ich daran, mich an Armen, Beinen und der Brust mit angeräuchertem Korke färben zu lassen; ich hatte mich für diesen Farbstoff entschieden, weil jeder andere nicht so leicht wieder weggegangen wäre. Dieses Geschäft besorgte mein tapferer Quimbo mit großem Vergnügen und noch größerer Hingebung. Es war wirklich eine Wonne, zuzuschauen, wie er im Schweiße seines Angesichtes rieb und arbeitete, und welch außerordentliche Gesichter er dabei schnitt. Seine Züge wurden verklärter und immer verklärter; schließlich bearbeitete er mir auch noch das Gesicht, obgleich dies sonnverbrannt genug war, sprang dann auf, trat einige Schritte zurück, um mich, wie ein Maler sein Meisterwerk, zu betrachten, und rief dann wonnevoll jubilierend:

»O, wie schön bin gut', brav Deutschland worden, wie schön, wie schön! Bin worden beinah so schön wie Quimbo und Basutokaffer!«

»Wirklich so schön?« fragte ich, über diese großartige Schmeichelei entzückt.

»Ja, so schön! Gut', tapfer Quimbo bin nur ein ganz klein wenig mehr schön, weil Farbe fest auf Haut; bei Mynheer Deutschland aber nicht so fest; Quimbo kann nicht wisch' wieder fort. O, wenn gut' Deutschland jetzt bin wär in Land, wo wohn' Basutokaffer!«

»Warum?«

»Mynheer Deutschland bin so schön, daß bekomm gleich ein, zwei, fünf, zehn Basutofrau! Und wer hab Deutschland mach so schön?«

»Du, nur du allein hast das gekonnt, lieber Quimbo.«

»Ja,« rief er stolz aus, »schön', gut', tapfer Quimbo bin es Wesen, der mach aus Mynheer Deutschland ein so wunderbar Basutokaffer. 0, Quimbo bin klug; Quimbo hab Geschick und Talent; Quimbo sein eben Quimbo, und nichts geh über Quimbo!«

Die Wonne, welche er empfand, erlitt nur eine Einbuße durch den Gedanken, daß er es nicht war, der mich begleiten sollte; er wäre gar zu gern mit mir nach Tillangdschong gefahren, aber einesteils war Mahaba überhaupt geeigneter dazu, und andernteils durfte ich gar nicht daran denken, den Kaffer mitzunehmen, weil der Chinese ihn ja kannte, da sie sich beide auf der Seeräuberdschonke befunden hatten.

Der nächste Morgen begann zu grauen, als die Jacht die Anker lichtete, um den Hafen von Kamorta zu verlassen und die hohe See zu gewinnen. Mit den beiden zusammengebundenen Andamanbooten von dem Hafen aus den Weg nach der Ostküste von Tillangdschong zu machen, wäre für mich und Mahaba zu beschwerlich gewesen. Wozu diese unnötige Anstrengung, wenn wir es leichter haben konnten? Wir dampften also nach Nordwesten, und erst als wir in die Strömung von Batti Malve kamen, sprangen wir in die Boote hinab, deren Tau gelöst wurde.

»Good result!« rief der Lord uns zu; dann ruderten wir mit der Strömung südöstlich davon.

Da wir von dem Beamten gehört hatten, daß die eigentliche Besitzung des Chinesen auf der Nordwestspitze von Tillangdschong lag, war unser ursprünglicher Plan geändert worden. Die Jacht sollte uns nämlich nicht direkt nach der Ostküste folgen und dort bei den drei Masten Anker werfen; das hätte Ta-ki auffallen müssen, sondern sie sollte an der erwähnten Spitze anlegen, scheinbar um mit dem Chinesen ein Geschäft zu machen, vorher jedoch einmal rund um die Insel dampfen und nach mir und Mahaba ausschauen. Nur in dem Falle, daß wir durch die Fernrohre bei den drei Masten erblickt würden, sollte der Lord dort beidrehen oder Anker werfen.

Die Strömung führte uns so schnell in der beabsichtigten Richtung fort, daß wir fast gar nicht zu rudern brauchten. Ich verwendete meinen Riemen als Steuer. Mahaba betrachtete mich dabei lächelnd und sagte:

»Sahib, Ihr seid ein echter Singhalese geworden; dazu die Kette an den Füßen; der Chinese wird keinen Augenblick daran zweifeln, daß wir flüchtige Verbrecher sind.«

»Kein Singhalese, sondern ein arabischer Seemann bin ich, wie wir besprochen haben; das vergiß ja nicht!«

Nach kaum einer Stunde kam uns die Nordwestspitze von Tillangdschong zu Gesicht; wir sahen die Hütten liegen und trieben vorüber. Am Ufer standen einige Menschen, welche uns bemerkten; sie beobachteten uns kurze Zeit, und dann rannte einer fort; er schien ein Mensch von ungewöhnlicher Höhe und Stärke zu sein.

»Ob das vielleicht der Chinese ist?« fragte Mahaba.

»Sehr wahrscheinlich,« antwortete ich. »Er hat bemerkt, daß wir nach der Ostküste wollen, und muß annehmen, daß wir Flüchtlinge sind. Nun eilt er fort, um uns bei den drei Masten zu empfangen.«

»Man sieht, daß er ein Riese ist. Werden wir vielleicht mit ihm kämpfen müssen?«

»Wahrscheinlich nicht, wenigstens du nicht. Sei ohne Sorge!«

Für den Fall eines Kampfes besaß ich keine Waffe als nur mein Bowiemesser, welches in dem Baststricke steckte, der mir als Gürtel diente; eine andere Wehr hatte ich natürlich nicht mitnehmen dürfen.

Bald kamen wir aus der günstigen Strömung heraus, und wir mußten rudern; das verlangsamte die Fahrt bedeutend, so daß Ta-ki uns wohl zu Lande vorauskommen konnte. Wir hatten das Ostufer jetzt zu unserer Rechten und paßten scharf auf. Endlich erblickten wir drei Masten von verschiedener Höhe, welche in der Nähe der Küste aus dem Wasser ragten. Am Lande lag eine Pfahlbauhütte, bei welcher zwei Männer standen, die uns entgegenblickten; der eine hatte gewöhnliche Größe, der andere war hoch und breit gebaut.

»Der Chinese und der alte Nikobarese, dem die Hütte gehören soll,« sagte ich; »halten wir auf sie zu!«

Dies hatte keine Schwierigkeiten, denn es war die Zeit der Flut, welche uns der Küste entgegentrieb. Die beiden Männer kamen nicht nur nahe an das Wasser heran, sondern wateten uns sogar in demselben entgegen, um unsere Boote festzuhalten, als dieselben auf den Grund stießen. Mahaba sprang schnell heraus; bei mir ging es wegen der Kette und auch absichtlich langsamer.

Der Chinese war wirklich ein Goliath mit roh zugehackten Gesichtszügen und einem Schnurrbarte, der hüben und drüben fadendünn bis auf die Brust herunterhing. Wir grüßten ihn wie in banger Ungewißheit; er musterte uns einige Augenblicke, nahm uns dann hüben und drüben bei den Händen, zog uns an das trockene Land und sagte dann:

»Ich bin Ta-ki. Ihr wollt zu mir?«

»Ja. Schütze uns!« antwortete ich.

»Gern, denn ich sehe, ihr seid von der Viperinsel entflohen, von woher unsere besten Leute kommen. Wann seid ihr dort fort?«

»Gestern früh.«

»Habt ihr Verfolger hinter euch?«

»Nein.«

»Seid ihr von wem gesehen worden?«

»Auch nicht.«

»Das ist gut; da brauche ich euch nicht gleich zu verstecken. Kommt mit!«

Der alte Eingeborene ging in seine Hütte; Ta-ki aber führte uns an derselben vorüber zum hohen Ufer hinauf und dann eine Strecke in die Dschungel hinein. Vor einem Passiflorendickichte, welches den Boden wie ein Teppich bedeckte, blieb er stehen, hob den Rand desselben in die Höhe und gebot uns, ihm zu folgen. Wir sahen Stufen, welche wir hinunterstiegen. Wir befanden uns in einer großen, viereckigen, tiefen Grube, welche durch Bambuswände in mehrere Abteilungen geteilt wurde. An den Stellen, wo es über uns keine Decke gab, drang durch die Passifloren ein Dämmerschein herab, welcher uns erkennen ließ, daß die Wände aus Muschelschalen aufgemauert waren; infolgedessen besaßen die Räume eine viel größere Trockenheit, als bei dem hiesigen Klima sonst der Fall gewesen wäre.

Ta-ki verschwand in einem hintern Raume und brachte uns Kleidungsstücke, welche wir an Stelle der Hemden anlegen mußten. Dann holte er einen eisernen Schraubenschlüssel, mit Hilfe dessen er mich von der Kette befreite; er schien auf alles vorbereitet zu sein. Nun erst fragte er nach unsern Namen und unserer Vergangenheit.

Mahaba gab sich für einen Sepoy aus, der wegen Totschlages deportiert worden sei. Ich war der Besitzer einer arabischen Dhau, hatte Sklavenhandel getrieben und war bei demselben erwischt und nach den Andamanen geschafft worden. Der Chinese glaubte uns aufs Wort, gab uns zu essen und brachte sogar eine Flasche Rum, bei dessen Genusse er uns die Freuden des Seeräuberlebens beschrieb. Er fragte uns gar nicht nach unsern Absichten und unserm Willen, sondern er schien es als unumstößlich sicher anzunehmen, daß wir uns mit seiner Hilfe diesem schönen Berufe widmen werden.

»Besonders du kannst es weit dabei bringen,« sagte er zu mir. »Du hast eine Dhau kommandiert, bist also Seemann und verstehst ein Schiff selbständig zu führen. Es wird nicht lange dauern, so wird Ling-tao dir eine Dschonke übergeben.«

»Ling-tao? Wer ist das?« fragte ich.

»Unser Admiral und oberster Gebieter.«

»Kommandiert er selbst auch Schiffe?«

»Jetzt nicht mehr. Er residiert an der Hu-Kiao.«

Ah! Da hatte ich ja den Namen: Hu-Kiao, die Tigerbrücke! jetzt schnell eine weitere Frage; ich mußte mir Mühe geben, Gleichgültigkeit zu heucheln, als ich sie aussprach:

»Hu-Kiao? Was ist das für ein Ort? Wo liegt diese Tigerbrücke?«

Ich senkte den Blick erwartungsvoll. Würde ich die für uns so wichtige Antwort bekommen?

»Sie liegt gegenüber der Insel Mansillar in der Tapanuli-Bai.«

Gott sei Dank; es war gelungen! Trotz meiner großen Freude erkundigte ich mich ruhig weiter:

»Die Tapanuli-Bai? Liegt die nicht an der Südwestküste von Sumatra?«

»Ja. Ich sehe, daß du ein guter Seemann bist. Dich hat dein Glück zu uns geführt. Wenn der ›Haiang-dze‹ auf seiner Rückfahrt hier anlegt, wird er euch mit nach der Tigerbrücke nehmen, wo ihr von dem großen Ling-tao eure Anstellung bekommen werdet.«

»Der Haiang-dze?« fragte ich, indem ich mich sehr überrascht stellte.

»Ja.«

»Die chinesische Dschonke, welche man den Girl-Robber nannte? Meinst du die?«

»Ja.«

»Die wird nicht zurückkommen.«

»Nicht? Warum?«

»Die ist von einem Engländer genommen worden, und alle ihre Mannen samt dem Kapitän sind an den Raaen aufgeknüpft worden.«

»Wo?« fragte Ta-ki, mich vor Schreck anstarrend.

»In Point de Galle auf Ceylon.«

»Dahin wollte er, ja dahin! Ist es wahr, was du sagst, ist es wahr?«

Er war aufgesprungen und schien mich mit seinen vor Entsetzen funkelnden Augen verschlingen zu wollen.

»Es ist wahr; ich habe es mit diesen meinen eigenen Augen gesehen,« antwortete ich.

»Du? Du? Ich denke, du bist auf den Andamanen, auf der Viperinsel gewesen!«

»Nur zwei Tage; dann entflohen wir gestern. Ich wurde von Point de Galle aus nach den Andamanen transportiert; dort habe ich alles gesehen und gehört!«

»Es waren große Kriegsschiffe, welche den Haiang-dze kaperten?«

»Nein, sondern es war eine kleine Dampfjacht, welche einem englischen Lord gehört.«

Ich erzählte den Hergang genau so, wie er sich ereignet hatte; die Wut des Chinesen wuchs von Minute zu Minute; er fluchte und schlug um sich wie ein Verrückter. Sein Grimm war besonders deshalb so groß, weil es ein so kleines Privatschiff gewesen war, welches den großen Girl-Robber bewältigt hatte.

»Und sie sind alle getötet worden, alle?« fragte er, vor Aufregung zitternd.

»Alle, einen Kaffer ausgenommen, welcher Quimbo heißt; dem schenkte man das Leben.«

»Quimbo, der verrückte Schwarze! Das stimmt; nun giebt es keinen Zweifel mehr, daß es unser Haiang-dze wirklich gewesen ist. Hätte ich diesen Hund, diesen englischen Lord, hier! Wollte diese Jacht doch einmal hier ankern!«

»Was würdest du thun?«

»Uns rächen, uns fürchterlich, entsetzlich rächen!«

»Könntest du das? Du bist allein. Was könntest du gegen die Bemannung eines Schiffes unternehmen?«

»Allein?« hohnlachte er. »Sei nur noch einen Tag hier, dann wirst du bemerken, daß ich nicht so allein bin, wie du denkst. Ich brauche nur – – –«

Er wurde unterbrochen. Der alte Nikobarese, dessen Hütte am Strande stand, war gekommen, hob die Passiflorendecke empor und rief herab:

»Ta-ki, komm herauf! Es ist ein kleiner Dampfer zu sehen, der um die Insel fährt.«

Der Chinese eilte hinauf und hatte nichts dagegen, daß wir ihm folgten. Wir liefen durch die Dschungel nach der Küste zurück. Am Rande des Dickichts blieb ich stehen, stieß einen Ruf der Ueberraschung aus und sagte, nach der Jacht zeigend:

»Sieh das Schiff, Ta-ki! Ich kenne es. Es ist der Engländer, welcher den Haiang-dze genommen hat.«

Er blieb stehen, funkelte mich mit den Augen an und fragte:

»Ist das wahr? Irrst du dich nicht?«

»Ich weiß es genau. Diese Jacht werde ich nie vergessen.«

Er richtete den Blick auf den Dampfer und beobachtete schweigend eine ganze Weile den Lauf desselben; dann kam es knirschend zwischen seinen Zähnen hervor:

»Hätte ich einen Mann, der dieses Schiff regieren kann! O, dann, dann, dann!«

»Was würdest du da thun?« fragte ich.

»Ich erwürgte alle Menschen, welche sich darauf befinden, und brächte den Dampfer zum Ling-tao nach der Tigerbrücke. Wie könnten wir ein solches Fahrzeug gebrauchen!«

»So nimm den Dampfer weg, wenn du kannst! Ich verstehe es, mit solchen Maschinen umzugehen.«

»Du, du, wirklich?« fragte er fast jauchzend.

»Ja.«

»Könntest du diesen Dampfer nach der Tigerbrücke bringen?«

»Mit Leichtigkeit.«

»So kommt, kommt, kommt! Er geht um die Insel, und ich denke, er wird da oben an meiner Spitze halten. Ich werde ihn durch List so weit bringen, während der Nacht vor Anker zu bleiben. Wenn es dunkel geworden ist, hole ich alle meine Leute, und wir steigen an Bord.«

Er eilte fort, der Nordwestspitze zu, und wir folgten ihm. Die Hütten, welche dort standen, enthielten große Vorräte von Früchten und allerlei Handels- und Tauschartikel. Nach einiger Zeit kam die Jacht an der Westküste herauf und ließ an der Spitze den Anker fallen.

»Das Schiff bleibt; es bleibt!« jubelte der Chinese. »Ich werde hinausrudern und ihm Früchte anbieten.«

»So nimm mich mit!« forderte ich ihn auf.

»Dich? Was willst du dabei?«

»Ich muß das Schiff betrachten; ich muß auch die Maschine sehen, um zu erfahren, ob es eine solche ist, die ich regieren kann.«

»So komm mit! Dieser Hund von Engländer wird uns wohl erlauben, an Bord zu gehen.«

Es wurden zwei Körbe mit Früchten in ein Boot geschafft; dann stiegen wir ein und ruderten gegen die Flut der Jacht entgegen. Als wir zum Anrufen nahe gekommen waren, bog sich der Lord über die Reiling herüber und fragte:

»Boot ahoi! Was bringt ihr?«

»Früchte,« antwortete Ta-ki, »Früchte, frische Früchte gegen das Fieber.«

»Kommt damit an Bord!«

Das Gesicht Raffleys strahlte vor Vergnügen. Der Chinese bemerkte dies nicht. Er freute sich über die Aufforderung, an Bord zu kommen, und fing die zugeworfene Leine auf, um das Boot daran festzubinden. Die Körbe wurden an Tauen emporgezogen und wir gingen nach.

Der Lord war bedachtsamerweise von dem Schiffsrande nach der Mitte des Deckes zurückgetreten; der Chinese folgte ihm, um ihn höflichst zu begrüßen und ihm seine Früchte anzubieten. Wie staunte er aber, als Raffley den Gruß gar nicht erwiderte, sondern ihn in strengem Tone frug:

»Du heißest Ta-ki?«

»Ja,« antwortete der Gefragte befremdet.

»Und wirst Tsu genannt?«

»Tsu?« wiederholte der Chinese, dessen Befremdung sich in Betroffenheit verwandelte.

»Ja, Tsu. So wurdest du doch auf dem Haiang-dze genannt. Oder nicht?«

»Ich weiß nicht, was du mit Haiang-dze meinst!«

»Nicht? Hm! So weißt du wohl auch nicht, wer euer Lingtao ist?«

»Nein.«

»Und wo sich die Tigerbrücke befindet?«

»Auch nicht. Ich verstehe Euch nicht. Was wollt Ihr von mir? Warum bringt Ihr Worte und Namen, die ich gar nicht kenne? Oh – – oh – – Quimbo!!!«

Der gut', schön', tapfere Basutokaffer war unten im Raume gewesen und kam jetzt durch die Luke gestiegen. Er hörte seinen Namen rufen, sah den Chinesen, sprang auf ihn zu und schrie ihn an:

»Da bin ja Ta-ki, der groß mächtig Räuber von China! Und hier bin tapfer Quimbo. Kenn' du noch Quimbo, he, he?«

Der Chinese sah sich verraten; seine Geistesgegenwart verließ ihn; er starrte den Kaffer mit großen Augen und offenem Munde an.

»Kenn du noch schön', gut', tapfer Quimbo?« wiederholte der Kaffer, indem er eine Handspeiche aufhob, die zufälligerweise neben ihm lag.

Der Gefragte antwortete noch immer nicht.

»Warum du sperr Maul auf und doch nicht reden? Quimbo dir geb Klapps auf Kopf, daß Maul fall wieder zu.«

Ein gewaltiger Hieb mit der Speiche auf den Kopf des Chinesen und dieser brach wie ein lebloser Klotz zusammen. Er, der die Bemannung der Jacht hatte ermorden wollen, war von der Hand des verachteten Basuto niedergestreckt worden. – – – –


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