Karl May
Der beiden Quitzows letzte Fahrten
Karl May

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Der beiden Quitzows letzte Fahrten.

Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern von Karl MayDen von allen Seiten auf uns eindringenden Wünschen unserer verehrten Abonnenten zufolge beginnen wir schon mit der heutigen Nummer diese in No. 49 des »deutschen Familienblattes« angekündigte Fortsetzung des Friedrich Axmann'schen Romanes »Fürst und Junker.« Wir erfüllen unser Versprechen in der Überzeugung, daß die »letzten Fahrten« in jeder Beziehung sich des Beifalles der Leser erfreuen werden.

Die Redaction.

1.
Suteminn

Westlich von dem kleinen Ländchen Bellin lag der Zotzen. Es war das ein Wald, welcher zu der Zeit, von der wir erzählen, alle Erscheinungen eines nur wenig begangenen Urwaldes bot. Im Sommer, wenn die Strahlen der Sonne ihren Weg durch das dichte Laubwerk nahmen und von den golden und purpurn umsäumten Blättern zitternde Reflexe wie sprühende Karfunkel um die riesigen Stämme und das knorrige Geäste blitzten, herrschte hier ein gar reges, thierisches Leben, denn Bären, Wölfe, Luchse, Schweine, Hirsche, Rehe, Füchse, wilde Katzen und anderes Wild trieb zwischen den umgestürzten und modernden Bäumen oder in den von Besinggesträuch und Farrenkräutern verdeckten Vertiefungen sein Wesen, giftige Schlangen lauerten im tiefen, feuchten Moose, und es bedurfte wohl eines nicht gewöhnlichen Muthes, in diesen wilden Gründen dem edlen Waidwerke obzuliegen. Jetzt aber war es Winter; die mächtigen Eichen, Buchen und Rüstern streckten ihre Zweige entblättert in die Luft, und wenn auch eine Decke dichtliegenden Schnee's sich über die kahlen Wipfel und den hartgefrorenen Boden legte, konnte man doch leichter als zur schönen Jahreszeit den Wald passiren, da das dicht verschlungene Gewirr der Gesträuche der unerbittlichen Kälte hatte weichen müssen.

Trat man auf der östlichen Seite aus dem Walde heraus, so gelangte man nach einer kurzen Wanderung über den Bruchboden nach dem Dorfe Dechtow, dessen Häuser mit ihrem halbverwitterten und vom Alter dunklen Lehmwerke wenig einladend von der weißen Schneefläche abstachen.

Es war Abend; der Mond warf seinen ruhig leuchtenden Schimmer zur Erde; ein leiser Lufthauch bewegte die Atmosphäre, und tiefer Frieden lag über die weite Gegend ausgebreitet. Im Dorfe schien Alles schon schlafen gegangen zu sein, denn keines der kleinen Fenster erglänzte von dem flackernden Feuer eines qualmenden Kienspans. Aber doch – dort im Kruge herrschte noch Leben, und zwar ungewöhnlich reges Leben; an der Rückseite desselben standen in einem halb offenen Stalle eine Reihe aufgezäumter Pferde, und durch die geschlossenen Läden konnte man ein lautes Durcheinander von kräftigen Stimmen vernehmen.

Auch das Dorf herab ertönten jetzt die nahenden Hufschläge eines Pferdes, und bald war ein einzelner Reiter, ein sogenannter Einspänner zu sehen, welcher, vorsichtig Umschau haltend, sich dem Kruge näherte. Es war eine kolossale Gestalt auf einem ebenso gewaltigen Streitrosse. In der Rechten hielt er eine baumstarke Lanze, unter deren Spitze ein kleines Fähnlein flatterte, dessen Farbe aber bei dem ungewissen Lichte grad so wenig zu erkennen war, wie das Zeichen, welches den mächtigen Schild schmückte, der seine linke Seite bedeckte. Ein ungewöhnlich langes und breites Schwert hing ihm von der Hüfte nieder, und ein doppelschneidiges Messer, wegen seiner Gefährlichkeit »Gnadegott« geheißen, war in lederner Scheide durch eine Kette an den starken Leibgurt befestigt.

Mit einem raschen Sprunge war er vom Pferde, einem Falben von außerordentlich kräftigem Gliederbaue, und trat lauschend an einen der Läden.

»Das sind Kriegsgurgeln, die sich da drin hören lassen! Sicherlich ist kein Ritter dabei, sonst wäre nach löblichem Schick und Brauch eine Wache ausgestellt. Ich muß doch sehen, was für eine Farbe sie tragen. Babieca, bleib fein ruhig stehen; ich will meine Lanze an dich lehnen!«

Als hätte das Thier ihn verstanden, streckte es die Glieder in eine bequeme Stellung und wandte nur leicht den Kopf, um ihm bei seinem Eintritte in den Hausflur nachzublicken. Er öffnete die Thür und erblickte nun eine Anzahl reisiger Knechte, welche sämmtliche Tische besetzt hielten, um sich bei einem Schlucke gütlich zu thun. Inder hinteren Ecke erhob sich die knochige hagere Gestalt eines alten Wachtmeisters, welcher ihm entgegentrat:

»Mit Verlaub, Herr Ritter, wollt Ihr uns wohl Euren Namen sagen? Wir haben Euch nicht kommen hören, und es sind gar schlimme Zeiten!«

Wirklich trug der Eingetretene keine Farben, an denen er zu erkennen gewesen wäre, aber seine aus blau angelaufenem Stahle gefertigte Rüstung war von so eigenthümlicher und zugleich vorzüglicher Arbeit, daß sie recht gut als Merkzeichen dienen konnte, und als ihr Träger statt aller Antwort den Schild erhob, welcher einen Amor mit gespanntem Bogen zeigte, trat der Frager mit einer Ehrerbietung zurück, wie man sie sonst nur hervorragenden Persönlichkeiten zu erweisen pflegt, und der Wirth, dies bemerkend, öffnete die Thür zu einem besonderen Nebengemach, in welches er den Fremden einzutreten lud.

»Das sind ja Leute des Ritters Nymand von Löben! Was thun sie hier hinter dem Zotzen?«

»Sie kehren von einem Streifzuge heim und wollen noch heut in das Lager vor Friesack zurück,« antwortete der Wirth.

»So ist es also wahr, daß der Markgraf vor Friesack liegt, wie ich hörte?«

»Ihr müßt hier sehr fremd sein oder sehr weit herkommen, wenn Ihr von dieser Fehde nicht längst schon wißt!«

»Ich komme aus dem Lande Preußen, wo das schwarze Kreuz des deutschen Ritterordens starker Arme bedarf. Doch, gebt mir einen Trunk, aber einen guten, wie es nach löblichem Schick und Brauch sich geziemet, und dann führet mein Roß Babieca in den Stall; das edle Thier bedarf der Pflege und Erholung!«

Der Wirth that, wie ihm geheißen war. Unterdessen saßen die Reisigen in dem räucherigen Schenkzimmer und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen über den fremden Rittersmann.

»Und ihr wißt wirklich nicht, wer er ist?« fragte der Wachtmeister, »trotzdem Ihr den nackten Buben mit dem Pfeile gesehen habt, der auf seinen Schild gemalt ist!«

»Wir kennen hier nicht jeden Rittersmann, dieweilen wir aus dem Lande Schwaben sind,« entschuldigte sich einer der Angeredeten.

»Das ist wahr. Aber wenn Ihr ihn auch noch nicht gesehen habt, so kennt Ihr doch ganz gewißlich seinen Namen, denn der ist bekannt fast über die ganze Erde und noch drei Meilen darüber hinaus. Er heißt Suteminn.«

»Suteminn?« riefs überrascht im Kreise. »Wohl haben wir von dem gewaltigen Kämpen gehört, dem Keiner gleichen soll, so Viele sich auch mit ihm gemessen haben! Erzähle uns von ihm!«

»Ja, von dem, was hier zu Lande gethan, läßt sich wohl viel erzählen, nicht aber von seiner Abstammung und seinen Abenteuern in fernen Ländern. Er war bei den Russen und Normannen, bei den Dänen und Friesen, im Lande der Franken und Welschen, ja sogar bei den Türken und Tataren soll er gewesen sein, doch von seinen Thaten weiß man nichts, denn er zieht stets einspännig aus, und Keiner hat ihn jemals in Begleitung eines Knappen gesehen.«

»Sie werden seine Burg bewachen sollen.«

»Seine Burg? Er hat keine. Er wohnt zu Tangermünde in einem kleinen Häuschen, welches ringsum von einer Mauer umgeben ist, so daß kein Auge sehen kann, was in seinem Hausfrieden vor sich geht; aber wunderbare Dinge mögen das wohl sein, denn des Nachts steigen feurige Gluthen aus dem alten Schornsteine, und oft kommen seltsame, glühende Gestalten geflogen und tanzen um das baufällige Dach. Dann erhebt sich hinter der Mauer ein Lärm, als ob ganze Heere Gewappneter mit einander kämpften; mächtige Fußtritte stampfen die Erde, Schwerter klirren und klingen, Panzer rasseln, Pferde wiehern, Hunde heulen und bellen, und Jedermann flieht das Haus, in welchem die höllischen Geister ihr Wesen treiben. Aber er hegt nicht die schwarze, sondern die weiße Kunst, und – –«

»Die weiße? Was ist das für eine Kunst?«

»Bei der schwarzen Kunst gehört die Seele dem Teufel, welcher dafür eine bestimmte Zeit lang in allem Schlimmen dienstbar sein muß; bei der weißen Kunst aber wird er gezwungen, Gutes auszuführen, und weil er dafür nichts bekommt, so könnt Ihr Euch denken, daß er mit seinen Gesellen sich ganz gewaltig dagegen sträubt und des Nachts einen solchen Heidenspectakel vollführt. Wer die weiße Kunst versteht, der hat Macht über alle guten und bösen Geister, über Leben und Tod, über Hab und Gut und kann Alles vollbringen, was Gott und den heiligen Engeln wohlgefällig ist. Deshalb ist Suteminn ein so gewaltiger Ritter und zugleich ein Gelehrter, dem nichts verborgen ist in den sieben Reichen der Unterwelt. Er kann das Wetter machen und den Sonnenschein, die giftigen Dünste vertreiben und alle Krankheiten heilen; er fängt den Bären mit der bloßen Hand und spaltet einem Gewappneten den Kopf bis herunter auf die Brust und auch noch weiter, wenn er will; seine Haut ist fest wie Eisen, denn er hat sie mit Drachenblut bestrichen, und durch seine Rüstung dringt weder Schwert noch Dolch, weil sie von den guten Zwergen geschmiedet worden ist. Er ist keinem Menschen unterthan und Niemand, kein Herzog und kein Fürst, darf ihn zu einem Heereszuge entbieten; er kommt von selbst, und die Seite, auf welche er sich stellt, gewinnt den Sieg.«

»Aber wer bewacht sein Haus, wenn er auf Fahrten ausgezogen ist?«

»Es wird behütet von seinen Geistern, die in allerlei menschlichen und thierischen Gestalten um dasselbe streifen oder über die Mauer lugen. Bald hinkt ein altes, triefäugiges Weib aus dem kleinen Thore hervor, bald erblickt der kühne Lauscher ein herrlich gebildetes Weib, welches sich aber sofort in einen riesigen Köder verwandelt und mit gefletschten Zähnen auf ihn losstürzt; bald tritt ein schöner Jüngling durch die Pforte, um im nächsten Augenblicke spurlos zu verschwinden, bald erblickt man ein runzelvolles Greisenangesicht in der Mauerscharte; aber wehe dem, der nicht schleunigst umkehrt und flieht: er würde in ein Thier verwandelt werden, um seine Neugierde zu büßen!«

In diesem Augenblicke wurde der abergläubische Erzähler von einer Hand unterbrochen, welche mit kräftigen Schlägen von Außen an den Laden klopfte. Eine tiefe, volltönende Stimme rief nach dem Krugwirthe, und dieser eilte hinaus, um die Wünsche des nächtlichen Gastes zu erfragen.

»Wer ist's?« begehrte der Wachtmeister zu wissen, als er wieder in die Stube trat.

»Ein Rittersmann,« antwortete der Gefragte, »der es sehr eilig hat. Er will seinen Durst löschen und dann weiter reiten.«

»Hast Du ihn erkannt?«

»Er hat sich tief verhüllt; fast scheint es mir Einer von den Quitzow'schen zu sein!«

»Von den Quitzow'schen? Dann ist er geflohen oder bei dem heutigen Kampfe entkommen. Macht Euch in die Höhe, Ihr Mannen! Ich will mir den Patron einmal besehen, und wenn es einer der Feinde ist, so werde ich Euch rufen. Geht durch die Hinterpforte leise zu Euren Pferden; zu Fuß ist einem Berittenen nur schwerlich beizukommen!«

Er steckte einen der vorhandenen Kienspäne in Brand und trat mit demselben vor die Thür, um dem ungewissen Lichte des Mondes möglichst nachzuhelfen. Mit der einen Hand den Zügel des Pferdes erfassend, leuchtete er mit der andern empor, und kaum hatte er das Gesicht des Reiters erblickt, so warf er die Leuchte von sich und riß das Schwert aus der Scheide.

»Grüß Euch Gott, Ritter Dietrich! Was habt Ihr von Friesack hier zu schaffen?«

Aber schon blitzte das Schwert des Angeredeten durch die Luft und hätte sicher den Kopf des Wachtmeisters gespalten, wenn derselbe nicht schnell bei Seite getreten wäre und durch einen Ruck an den Zügeln das Pferd zum Bäumen gebracht und somit den Hieb unsicher gemacht hätte.

»Herbei, herbei, Ihr Leute!« rief er dabei mit lautschallender Stimme. »Ritter Dietrich von Quitzow ist zu fangen!«

Er bezahlte diesen Ruf mit dem Leben, denn ein zweiter Hieb Dietrichs traf besser und streckte ihn lautlos in den Schnee. Aber schon waren die Andern herbeigeeilt und hieben, den Ritter umzingelnd, auf ihn ein.

»Ergebt Euch!« wurde ihm zugerufen. »Ihr seht, daß der Unsrigen zu viele sind!«

»Ergeben?« lachte er grimmig, riß sein Pferd empor und warf es, mit mächtigen Schlägen sich vertheidigend, im Kreise herum. »Da habt Ihr meine Antwort, und fahrt zur Hölle, Ihr feilen Knechte!«

Einer nach dem Andern sank unter seinen wuchtigen Hieben vom Pferde, während es Keinem von Ihnen gelang, ihm eine Wunde beizubringen, und eben wandten die beiden Letzten ihre Thiere, um sich dem Unwiderstehlichen durch die Flucht zu entziehen, als ein neuer Streiter auf dem Platze erschien.

Es war Suteminn. Er hatte in seinem Stübchen den lauten Ruf des Wachtmeisters vernommen und war zu seinem Pferde geeilt, um sich an dem Kampfe zu betheiligen. Um die Ecke des Hauses biegend, bemerkte er, daß Dietrich ganz allein und ohne Begleitung sei.

»Holla!« rief er; »hat sich der Fuchs aus seinem Bau gewagt? Hier ist Einer, mit dem er sich wohl messen mag! – Ihr seid ohne Lanze, Ritter? Gut, fechten wir nach ritterlichem Schick und Brauch!«

Er warf die seinige von sich, riß das Schwert heraus und drängte seinen Falben an Dietrichs Rappen.

»Suteminn!« rief dieser, und der Ton seiner Stimme verrieth nichts weniger als Freude über das Erscheinen dieses Feindes.

»Ja, Suteminn, der heut beginnen will, Rechnung von Dir zu fordern, Diez!«

Dietrich drängte sein Pferd zurück.

»Halt ein, Otto; ich kreuze mein Schwert nicht mit dem Deinigen!«

»Fürchtest Du Dich? Steh' fest und wehre Dich!«

»Nein! Ich mag Dein Leben nicht!«

»So, magst Du's nicht? Es ist Dir wohl Nichts werth, weil Du mir schon alles Andere nahmst? Doch tröste Dich, Du wirst's auch nicht bekommen. Ich sage: wehre Dich, sonst schlage ich Dich nieder!«

Dietrich parirte einen furchtbaren Hieb seines Gegners und rief:

»Warum begannst Du nicht früher Dein Rachewerk? Wußtest Du mich nicht zu finden?«

»Du hattest der Feinde genug, die Dich mir festhielten. Jetzt, wo Du entrinnen willst, ist meine Zeit gekommen, und ich trete in die Lücke. Wehre Dich, Mann; es ist nicht Scherz gemeint!«

»Gut, so fahre hin. Du willst es nicht anders!«

Sich in den Bügeln empor richtend, ergriff er das Schwert mit beiden Händen und schwang es zu einem vernichtenden Streiche auf Suteminn. Dieser aber fing den Schlag mit seinem Schilde auf, als sei er von einem schwachen Knaben geführt worden und schlug im nächsten Augenblicke Dietrich die Waffe aus der Hand, so daß sie weit über das Feld hin flog.

»Hier siehst Du Deinen Meister. Ergieb Dich oder stirb!«

»Keins von beiden. Komm, fahre hin!«

Er hatte den Gnadegott aus dem Gürtel gerissen und stieß ihn mit kräftiger Faust dem Feinde nach der Brust. Dort aber prallte die Klinge von der festen Rüstung ab und zersplitterte wie Glas unter dem mächtigen Stoße.

»Das war gut gemeint, Diez; hier hast Du meinen Dank!« rief Suteminn; er ließ das Schwert sinken, zog den zweischneidigen Dolch aus der Scheide und wollte damit auf Quitzow eindringen, als dieser, aller Waffen beraubt, seinen Rappen wandte und die Flucht ergriff.

»Halloh, Ritter Dietrich von Quitzow, fest gestanden, wie sich's geziemet nach altem Schick und Brauch!« rief Suteminn, indem er sich vom Pferde schwang, um die weggeworfene Lanze zu ergreifen. Wieder aufgestiegen, stemmte er dieselbe in die Seite und stürmte wie ein Rachegeist dem Davonstiebenden im Fluge nach.

»Halt, Verräther, Mörder, Frauenräuber!« klang es mit donnernder Stimme hinter dem herabgeschlagenen Visire des Verfolgenden hervor. Mit Anstrengung aller Kräfte flog der Rappe über den aufwirbelnden Schnee dahin; Dietrich von Quitzow kannte seinen Gegner und wußte, daß er verloren sei, wenn er eingeholt werde; mit Schmeichelworten und ermunternden Zurufen suchte er sein treues Roß zur Ausdauer zu bewegen und warf sogar, um die Last zu verringern, den bis jetzt festgehaltenen Schild von sich. Aber stetig und unerbittlich rückte ihm der Verfolger näher; der Falbe war dem Rappen überlegen; die starken Glieder trugen den langgestreckten und fast den Boden berührenden Leib wie im Spiele dahin; die einzelnen Bäume und Sträucher schwanden wie Schattenbilder hinter den beiden Reitern, die jetzt lautlos, aber mit Aufbietung aller Kunst und Geschicklichkeit dahinstoben; jetzt tauchte zu beiden Seiten des Weges der Hochwald auf; knolliges Wurzelwerk durchbrach den Boden und machte den Ritt mit jeder Sekunde lebensgefährlicher; aber unaufhaltsam ging es vorwärts, voran der Fliehende, hinter ihm her der Verfolger; immer kleiner wurde der Raum zwischen ihnen, immer kürzer die Sprünge des Rappen, immer weiter die mächtigen Sätze des Falben, dessen Sehnen aus Stahl geformt zu sein schienen. Das brave Thier schien zu wissen, daß es sich um Ungewöhnliches handle; der Grimm, welcher die Muskeln seines Herrn spannte, funkelte auch aus seinen großen, dunklen Augen, und die tiefen Laute, welche seinen dampfenden Nüstern entstiegen, waren nicht Zeichen der Ermüdung, sondern der Begeisterung, mit welcher das edle Thier dem Schenkeldrucke seines Reiters gehorchte.

So ging es fort über Stock und Stein, weiter, nur weiter, immer weiter, bis endlich Dietrich spürte, daß die Kräfte seines Pferdes auf der Neige seien. Jetzt gab es nur noch einen Weg zur Rettung: die Flucht zu Fuße durch das Dickicht, und schon war er im Begriffe, den Zügel seitwärts anzuziehen, als hinter ihm ein Ruf ertönte, der ihn freudig aufjauchzen ließ.

»Hie Quitzow!« erscholl es aus einem Dutzend kräftiger Kehlen, und ebenso viele Reiter drängten sich aus dem dunklen Unterholze heraus zwischen ihn und seinen Gegner, welcher, keinen Augenblick stutzend, mit eingelegter Lanze mitten unter sie hineinfuhr und sich im nächsten Augenblicke im Handgemenge mit ihnen befand.

»Ha, seid Ihr Mannen Holtzendorffs? Herr Werner wird die Zeche zahlen müssen!« rief er, mit dem Schwerte unter ihnen aufräumend, so daß Einer nach dem Andern vom Gaule stürzte. Es war wirklich, als hätten die Waffen der Andern keine Macht über ihn und als wüchse seine Kraft mit jedem Schlage, den er austheilte. Aber trotz alledem sah er nur zu gut, daß Dietrich ihm entgangen sei, denn dieser war schon längst mit einem der Reiter verschwunden, und dieser war Werner von Holtzendorff selbst, welcher die Nacht hatte benutzen wollen, um sich mittelst eines Streifzuges von der Lage Friesacks zu überzeugen, und bei dieser Gelegenheit auf seinen Freund Dietrich gestoßen war.

Er hatte das Nahen der Reiter bemerkt und sich mit den Seinen hinter die Büsche zurückgezogen. Trotz der Schnelligkeit des Rittes und der nichts weniger als rühmlichen Lage, in welcher erden Ritter von Quitzow als Fliehenden noch nie gesehen hatte, war dieser doch sofort von ihm erkannt worden, und schnell hatte er seinen Reisigen Befehl ertheilt, sich zwischen die Beiden zu werfen. Auf diese Weise war es ihm gelungen, Ritter Dietrich von seinem Bedränger zu erlösen, und jetzt trabte er nun wohlgemuth mit ihm über Kremmen auf Schloß Bötzow zu, wo er durch eine offen gelassene Seitenpforte, unbemerkt von dem Gesinde, mit ihm anlangte.

Unterdessen war auch der Kampf zwischen Suteminn und den Knechten Werners von Holtzendorff beendet. Sobald diese bemerkten, daß ihr Herr mit dem Ritter in Sicherheit sei, gaben sie den höchst ungleichen, aber für sie trotzdem gefährlichen Kampf auf und zogen sich fliehend zurück, um die verwundeten Ihrigen auf dem Kampfplatze erst dann aufzusuchen, wenn der gewaltige Kämpe, dem ihre Ueberzahl Nichts hatte anhaben können, denselben verlassen habe. –

Sie brauchten nicht lange zu warten. Suteminn, wohl einsehend, daß eine Verfolgung zu Nichts führen könne, entschloß sich, umzukehren. Langsamen Schrittes ritt er zurück. War ihm der Quitzower auch heut entgangen, so wußte er doch, daß er ihn später wieder treffen werde, und dann, das nahm er sich vor, sollte ihm ein Entkommen nicht zum zweiten Male gelingen.

Es war schon gegen Morgen, als er Dechtow wieder erreichte. Der Wirth hatte sich der Todten und Verwundeten wohl angenommen, und Suteminn versprach ihm, vom Lager des Markgrafen aus ihm Hülfe zu senden. Sodann ritt er, die Richtung nach dem Zotzen einschlagend, auf Friesack zu.

Dort angekommen, bemerkte er unter den Kriegsvölkern eine lebhafte, freudige Bewegung und erfuhr auf sein Befragen, daß das Schloß durch einen unterirdischen Gang diese Nacht überrumpelt und genommen worden sei. Es war sofort besetzt und der Frau Elisabeth mit ihren Kindern und all' ihrem Eigenthume freier Abzug bewilligt worden. Auch die Leute Dietrichs konnten abziehen mit dem, was sie auf dem Leibe trugen, und vorher wurde ihnen auch noch ihr Sold ausgezahlt.

Eben jetzt öffnete sich das Thor, und die Zugbrücke fiel nieder. Langsam und traurig, gleich einem Leichenzuge, bewegten sich die Abziehenden den Schloßberg herab. Voran fuhren zwei Wagen; der eine war mit dem Eigenthum der unglücklichen Frau beladen; auf dem anderen befand sie sich selbst mit den Ihrigen, und hinter ihnen folgten betrübt und niedergeschlagen die waffenlosen Knechte. Der Zug ging zwischen den versammelten Heerführern und den aufgestellten Kolonnen der Feinde hindurch. Die Ersteren grüßten die Frau des einst so mächtigen Anführers der märkischen Ritterschaft achtungsvoll, als sie an ihnen vorüberzog, aber die rohen Kriegsleute sandten ihr manches schimpfende Wort, manche Spottrede nach, durch welche ihr die traurige Lage, in welcher sie sich befand, noch schwerer und fühlbarer gemacht wurde. Nahe am Wege, auf dem Windmühlenberge, stand die große Donnerbüchse, welcher ganz vorzugsweise der Fall Friesacks, wie auch der übrigen eroberten Burgen zu verdanken war; Elisabeth wandte sich, mit Thränen in dem verschleierten Auge, von der furchtbaren Kriegsmaschine ab.

Oben auf dem Berge angekommen aber, sandte sie in tiefster Trauer und bitterster Wehmuth noch den letzten, Abschied nehmenden Blick zurück nach dem gewaltigen, jetzt halb in Trümmern liegenden Baue des Schlosses, in welchem sie die glücklichsten Jahre ihres Lebens verlebt hatte. In blauen Nebel gehüllt und nur noch in blassen

Umrissen erkennbar, lag es wie eine Erinnerung an längst verschwundene, schöne Zeiten vor ihrem Auge. Mit stillem Ingrimme standen ihre beiden Söhne an ihrer Seite, und auch mancher der Kriegsknechte ballte die harte, knochige Faust und warf den Arm drohend zurück auf die fröhlich im Lager sich tummelnden Sieger.

Da der Weg sich jetzt abwärts senkte, war die Stätte ihrer letzten Leiden bald ihrem Auge entschwunden, und nun ließ sie abermals halten, um sich von den einstigen Untergebenen ihres ritterlichen Gemahls zu verabschieden. Es wurde nicht viel gesprochen, aber die blitzenden Augen und finsteren Mienen der Scheidenden sprachen ebenso deutlich als Worte, als sie der Herrin, die sich in Begleitung von vier markgräflichen Reitern nach Burg Taupitz begab, wehmüthig nachblickten. Sie selbst zerstreuten sich nun in alle Welt, aber in dem Herzen eines Jeden von ihnen lebte die frohe Hoffnung, daß Ritter Dietrich gar bald wieder zu Kräften kommen und ihres Armes bedürfen werde, und dann, ja dann wollten sie all den Schimpf mit dreifachen Zinsen wieder heimzahlen. – – –

Suteminn hatte, an einer einsamen Stelle sein Roß haltend, dem Schauspiele zugesehen, und bog jetzt nach der Gegend ein, in welcher er das Zelt des Grafen Ulrich von Lindow, welcher die Belagerung geleitet hatte, erblickte. Mancher frohe Ruf, mancher stumme, aber achtungsvolle und ehrerbietige Gruß wurde ihm auf seinem Ritte durch die langen Reihen der Zelte zu Theil, und als er vor demjenigen des Grafen anlangte, trat derselbe eben zwischen einer Oeffnung der Leinwand hervor und stieß, ihn erblickend, einen Ruf der freudigsten Ueberraschung aus.

»Suteminn, Ihr kommt zur glücklichen Stunde! Steigt ab und tretet näher. Unser gnädigster Herr ist heut selbst gegenwärtig und gab mir soeben den Auftrag, den Tapfersten und Zuverlässigsten aus der Schaar unserer Ritter auszuwählen, um ihm die Ausführung eines sehr wichtigen Auftrages anzuvertrauen. Keiner von Allen aber ist so werth und würdig wie Ihr, das Vertrauen Sr. Gnaden zu genießen, und so bitte ich Euch, einzutreten, um den hohen Herrn zu begrüßen!«

Suteminn stieg ab; aber sein Angesicht blieb ernst, und keine seiner Mienen verrieth, daß er sich von der höflichen Rede des Grafen geschmeichelt fühle.

»Wohl, es sei! Ich will dem Herrn Markgrafen meinen ehrerbietigen Gruß bringen, aber ob ich meinen Arm zu seinen Diensten stelle, das vermag ich noch nicht zu sagen!«

Er folgte dem Grafen in das Zelt.

Daselbst saß auf einem Feldstuhle Markgraf Friedrich, den Rücken dem Eingange zugekehrt; in den Händen hielt er einen Brief, welchen er soeben gelesen zu haben schien, und in seinen Zügen war deutlich die Freude zu lesen, welche ihm der Inhalt desselben verursacht hatte. Bei dem Eintreten der beiden Männer wandte er sich um und sprang, Suteminn erblickend, überrascht empor.

»Willkommen, Ritter, hier im Lager!« rief er, dem Angeredeten mit gewinnender Herzlichkeit die Hand entgegenstreckend. »Eure Gegenwart will Uns mit froher Hoffnung erfüllen, daß ein schwieriges Werk gelingen werde, für dessen Ausführung Unser lieber Graf Lindow Uns den passenden Mann suchen sollte. Doch sagt, wo kommt Ihr her? Es ist wohl eine sehr geraume Zeit, daß Wir Euch nicht gesehen haben!«

Es entspann sich zwischen den drei Männern ein Gespräch, dessen Inhalt von Wichtigkeit sein mußte, wie auch der leise Ton bewies, in welchem es geführt wurde. Am Ende desselben erhob sich der Markgraf von Neuem:

»Jetzt wißt Ihr Alles, Ritter, und nun laßt es uns hören, ob Ihr Uns die Ausführung Unsers wichtigen Vorhabens zusagen wollt!«

Der Gefragte streckte dem Fürsten die Rechte entgegen.

»Hier meine Hand, Fürst, daß ichs thue, und was ein Mann vermag, das soll geschehen!«

»Und habt Ihr einen Helfer, dem Ihr vertrauen dürft?«

»Ich habe ihn. Zwar ist's kein Mann, sondern ein Jüngling erst, der noch niemals seinen Fuß hinausgesetzt hat in das gefahrvolle Leben, aber er ist unter meinen Augen emporgewachsen, hat ein Herz, so rein und treu wie Gold, und einen Arm, dessen Stärke selbst ich zu fürchten hätte, wenn er mir im Kampfe gegenüber stünde.«

»Wohl, thut Alles, was Ihr wollt; den Ritter Dietrich aber überlaßt für jetzt Uns selbst! Vor Allem mache ich Euch auf Schloß Garlosen und die Ritter von dem Kruge aufmerksam; es sind unruhvolle Geister, die Uns noch oft zu schaffen machen werden. Jetzt aber geht und ruht Euch aus; der Graf wird für Euch Sorge tragen!«

In Begleitung des Genannten verließ Suteminn das markgräfliche Quartier, und bald war auch für ihn ein Zelt errichtet, in welchem er sich ausruhen konnte von dem Abenteuer der letztvergangenen Nacht. –

2.
Lockere Gesellen

An dem Zusammenflusse der Elde und des Mayen an der Mecklenburgisch-Priegnitzischen Grenze, anderthalb Meilen nördlich von Lenzen an der Elbe, lag das feste Schloß Garlosen, später Gorlosen genannt. Es hatte von je her das Schicksal gehabt, unruhigen Geistern, die entweder dem Landesherrn oder den Landstraßen gefährlich wurden, zum Aufenthalte zu dienen und wurde jetzt besessen von vier Männern, die ihr Schwert gut zu führen verstanden und am liebsten den Wein tranken, den Andre bezahlt hatten. Es waren dies der alte und der junge Boldewin von dem Kruge, ihr Vetter Thomas von dem Kruge und der tapfere Claus von Quitzow, zu Stavenow wohnhaft.

Die vier wackern Degen kamen des Morgens auf Garlosen zusammen, erzählten sich von ihren Fehden und Kriegsthaten oder sannen auf neuen Ruhm und tranken dazu mit einer Ausdauer, daß Cuno, der alte Kellermeister, gar öfters sich auf eine der Stufen setzte, um von dem ununterbrochenen Auf- und Absteigen ein wenig zu verschnaufen. Wenn dann der Abend hereingebrochen war und das edle Naß nicht mehr recht durch die rauben Gurgeln wollte, so ließ Der von Quitzow sich von seinen zwei Knappen auf das Roß heben, um, hüben und drüben gehalten, heimwärts zu reiten, während die Drei von dem Kruge nach dem gemeinschaftlichen Schlafgemache taumelten und sich mit den unmöglichsten Abenteuern anlogen, bis

Einer nach dem Andern die Sprache verlor und ein dreifaches Schnarchen bewies, daß die Recken nun ernstlich begonnen hatten, von ihrem schweren Tagewerke auszuruhen.

Anders freilich verlief der Tag, wenn eine Fehde auszufechten war oder sich ein Zug mit Kaufmannsgütern nahete; da erhob sich ein gar kriegerisches und lebhaftes Treiben zwischen den Mauern des Schloßhofes, und wenn das Thor sich öffnete, um die Schaar der Gewappneten zu entlassen, so kehrten sie gewiß nicht anders denn als Sieger wieder, denn die vier Herren zeigten sich zwar täglich vom Trinken ermüdet, waren aber noch niemals vom Dreinschlagen matt geworden.

Es war an einem kalten Februartage, als auf der Straße von Lenzen nach Grabow ein Ritter wohlgemuth dahintrabte. Der Gaul, auf welchem er saß, zeigte zwar wenig überflüssiges Fleisch, hatte aber desto stärkere Knochen, und die Art und Weise, wie er ausschritt, ließ kaum eine Art von Schwäche vermuthen. Auch die lange, hagere Gestalt des Reiters saß so stramm im Sattel, als seien erst zwanzig Sommer über sie dahin gegangen, und doch zeigte das Grau von Bart und Haupthaar und der Faltenreichthum des wetterharten Gesichts alle Spuren jenes Alters, in welchem man den warmen Ofen allen Schönheiten eines wintersstarren Waldes vorzieht.

»Ist das eine Dummheit,« sprach er vor sich hin, »ein Schloß so weit in's Land hinein zu bauen, wo auf der Elbe so reicher Fang zu machen ist! Da reite ich nun – aber halt, wer ist der Mann, der da vorn so langsam dahinschlendert, als ginge er zur Sommerszeit spazieren? Muß ihn 'mal fragen, wo der Weg nach Garlosen mündet!«

Er gab dem Pferde die Sporen zu kosten und befand sich bald an der Seite des Fußwanderers, welcher, ohne den Ritter groß zu beachten, langsam seines Weges fürbaß schritt. Er war eine gewaltige Figur mit mächtigen und muskulösen Gliedern. Aus dem verwitterten Gesichte ragte ein mit Pech zusammengedrehter Schnauzbart zu beiden Seiten der Nase um eine Handlänge in die Luft hinaus und gab der Physiognomie einen grimmigen Ausdruck. Die Tracht des Mannes war aus ungegerbtem Leder gefertigt und bestand aus hohen Stiefeln, unsauberen Elennhosen, einem abgenutzten Wamms und einem schäbigen Hute, der so breite Ränder hatte, daß man aus der Ferne recht wohl annehmen konnte, der kräftige Patron trage einen Mühlstein auf dem Kopfe. Von dem Hute wallten mehrere rothe Hahnenfedern zur Seite herab, und an einem ebenso rothen Gurte hing ein ungeheurer, langer Raufdegen. –

»Heda, alter Bursche,« rief ihm der Ritter zu, »woher des Wegs und wohin willst Du?«

»Alter Pursche!« antwortete der Gefragte. »Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper der Deiwel soll Den anplasen, der da behaupten thut, daß ich alt pin! Woher ich komme und wohin ich gehe, das ist nur meinen eigenen Peinen ihre Sache; ich bin Wachtmeister und heiße Kaspar Liepenow, und wer mich noch einmal einen alten Purschen nennt, Mordelement, den zerhacke ich, pis er in Fetzen davonreitet!«

Unser guter Kaspar Liebenow, den wir noch von »Fürst und Junker« her kennen, fühlte sich jedenfalls durch die Anrede an seiner persönlichen Ehre gekränkt; seine Augen funkelten, und seine Hand legte sich drohend um den Griff des Schwertes. Doch schien der Ritter diese Zornesäußerungen gar nicht zu bemerken; er fuhr in dem vorigen Tone fort:

»Also Kaspar Liebenow heißest Du und Wachtmeister bist Du? Wohl bei den Rittern von dem Kruge?«

»Peim Kruge, ja, da pin ich stets Wachtmeister, so lange als ein Tropfen zu sehen pleipt, aper pei den Rittern vom Kruge – nein, da will ich plos 'mal nachfragen, op Herr Dietrich von – na, das ist auch wieder Sache für meine eigenen Peine!«

»Bleibe mir mit Deinen Beinen vom Halse,« lachte der Reiter, »und behalte Deine Weisheit meinetwegen so lange Du nur immer willst, für Dich! Aber sage mir, wie lange ich noch bis Burg Garlosen zu reiten habe.«

»Pis Purg Garlosen? Nicht weiter, als pis Ihr d'ran seid, Mordelement, Gott straf mich, wenn's nicht wahr ist! Den Weg weiß ich selper nicht; aber er wird pald zu finden sein. – Ich will zu Herrn Claus nach Stapenow und zuvor nachfragen, op er vielleicht bei den Poldewins zu treffen ist,« setzte er hinzu, vertraulicher gemacht durch die Mittheilung des Ritters, daß dieser nach Garlosen wollte.

»Meinst Du den Claus von Quitzow?«

»Denselpen!«

»Du sprachst vorhin von Herrn Dietrich! Bist Du vielleicht Einer von den Quitzow'schen auf Friesack?«

»Das ist schon wieder Sache für meine eigenen Peine; aper Ihr sollt es wissen, wenn Ihr mir vorher sagt, wer Ihr seid. Ich hape Euch noch nie gesehen und kenne Eure Farpen nicht.«

»Hast Du noch Nichts gehört von dem Heyso von Steinfurth auf Alvensleben?«

»Heyso von Steinfurth? Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper der Heyso ist ein Kerl, vor dem ich Respect hape! Er ist reich wie ein Prinz, denn er hat mehr als zwanzig Purgen und Dörfer, und haut eine Klinge, pesser als der Deiwel selper. Den – den kenne ich wohl, opgleich ich ihn noch nicht gesehen hape. Er war mit Herrn Hanns von Quitzow gegen den Prandenpurger und sitzt dem Krämervolke immer tapfer auf dem Nacken. Seid Ihr es denn vielleicht selper?«

Der Ritter nickte und Liebenow fuhr fort:

»Da prauche ich vor Euch keine Angst zu hapen und kann Euch sagen, wer ich pin, denn Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, Ihr werdet meinen Herrn, den Ritter Dietrich von Quitzow nicht verrathen, wenn Ihr ihn etwa auf Garlosen findet!«

»Dachte mir's – denn nur ein Mann Dietrichs wagt es, mit einem Ritter so zu reden. Ich habe Euer Unglück vernommen und auch gehört, daß Herr Dietrich entkommen sei. Denkst Du, ihn auf Garlosen zu finden?«

»Nein, aper der Claus sitzt den ganzen Tag pei den Poldewins, und von ihm kann ich erfahren, ob sich Herr Dietrich vielleicht bei ihm verporgen hält. Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, ich will auf der ganzen Welt weiter Nichts hapen, als nur meinen Herrn, und nachher wollen wir den Nürnperger Purggrafen zusammenfuchteln, daß er all' sein Leptage daran denken soll!«

Während dieser geharnischten Rede waren auf einem Waldwege seitwärts aus den Büschen zwei Reiter hervorgekommen, welche auf den ersten Blick die Aufmerksamkeit der Beiden in Anspruch nahmen. Der Vorderste war von einem ungeheuren Leibesumfange und saß auf einem ebenso dicken Schimmel, so daß seine kurzen Beine kaum über den halben Leib des Thieres herabreichten; aus dem vollen, runden Gesichte ragte eine Nase hervor, welche, hochroth gefärbt, fast die knorrige Gestalt einer ungeheuren Kartoffel hatte und an ihrer Spitze in allen Nuancen der blauen Farbe erglänzte; die kleinen, listigen Aeuglein waren kaum im Stande, über die mit Fett gepolsterten Backen hinweg zu sehen; die Zügel hingen lose über dem Halse des Thieres und die beiden Hände des Reiters hatten sich in sorgloser Beschaulichkeit über den Bauch gefaltet, als könne es dem Schimmel im ganzen Leben nicht einfallen, einen ordnungswidrigen Schritt zu thun. Und wirklich arbeitete der corpulente Gaul seine schwere Körpermasse mit einer Behaglichkeit weiter, die auf eine wahre Engelsfrömmigkeit schließen ließ und höchstens die Gefahr besorgen ließ, daß er einmal in seinem eignen Fette stecken bleiben könne.

Hinter diesem wohlgenährten Bilde der Gemüthlichkeit schaukelte mit steifen Beinen sich eine Rosinante vorwärts, deren mattgelb durchschimmernde Knochen nur durch eine Haut zusammengehalten wurden, auf welcher es nur nach angestrengtem Suchen möglich war, ein vereinsamtes Haar zu entdecken; auf dem grad emporstehenden, kahlen Schwanzstummel wiegte sich ein Etwas, dessen Aehnlichkeit mit einem von den Motten zerfressenen Borstenwische unverkennbar war; die beiden Ohren gaben sich alle erdenkliche Mühe, eine aufwärts gerichtete Stellung einzunehmen, fielen aber immer wieder ermüdet auf den schwindsüchtigen Hals herab, und die Lippen des wackern Vierfüßlers hatten jene in sich gekehrte und Mitleid erregende Haltung eingenommen, welche ein Zeichen von der vollkommenen Unschädlichkeit des Gebisses ist. Auf dem scharfkantigen Rücken balancirte sich eine Gestalt, deren lange, spindeldürre Beine fast bis herab zur Erde reichten, während die spitzen Ellbogen fast eine halbe Pferdeslänge über den Rücken ihres Besitzers hinausragten; eine fürchterliche Stößernase sprang aus dem schmalen, blassen Gesichte hervor, und über die schmalen Lippen hingen hüben und drüben zwei oder drei Haare herab, welche als Stellvertreter des Schnurrbartes zu dienen hatten. Und das Ganze krönte ein Ding, welches, halb Hut, halb Helm, halb Sturmhaube, selbst nicht zu wissen schien, weshalb es eigentlich da oben auf dem Schädel sitze. –

Als die beiden Neuangekommenen unsre zwei Bekannten erblickten, hielten sie an, um die fremden Erscheinungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen. Der Schimmel spreizte, um das sicherste Gleichgewicht zu erhalten, die Beine so weit wie möglich auseinander, und sein magerer College verdrehte die Augen vor Betrübniß darüber, daß es hier auf der Straße keinen Nagel gab, an dem er einstweilen seinen müden Kopf aufhängen könnte.

Endlich schien der Dicke zu einem Entschlusse gekommen zu sein. Er versuchte, durch bittende Worte und ermahnende Püffe sein Pferd zum Weitergehen zu bewegen, und als ihm dies endlich gelungen war, hielt er grad' auf Heyso zu, räusperte sich nachdrücklich und begann:

»Hrrr! Hm! Woher des Weges, Ritter? Hrrr! Hm!«

»Von daher!« lachte der von Steinfurth, indem er nach rückwärts zeigte.

»Hrrr! Hm! Und wohin des Weges? Hrrr! Hm!«

»Dahin!« antwortete Heyso, noch lauter lachend, indem er nach vorwärts zeigte.

»Hrrr! Hm!« räusperte sich weiter der Dicke, indem er seine über dem Bauche gefalteten Hände löste und die Rechte nach hinten streckte. »Balthasar, mein Schwert!«

Der Knappe ergriff den verlangten Gegenstand, welcher bisher quer über seinen beiden Knieen gelegen hatte, und reichte ihn seinem Herrn hin, indem er zugleich nach seinem eigenen Schwerte griff.

»Hrrr! Hm! Wollt Ihr mir nun wirklich sagen, woher Ihr des Weges kommt – hrrr! hm! – und wohin des Weges Ihr wollt, Ritter?«

Es war eigenthümlich, was für eine Veränderung mit den vier zwei- und vierbeinigen Wesen in dem Augenblicke vorging, in welchem der Sprecher nach der mächtigen, zweischneidigen Waffe griff. Er selbst schien mehrere Zoll größer geworden zu sein, seine Aeuglein blitzten höchst unerschrocken unter den überhängenden Brauen hervor, und die ganze Gestalt zuckte in eine Haltung empor, die augenblicklichen Respect einflößte. Ebenso ging es mit Balthasar, dem Knappen, dem man es sehr deutlich ansah, daß jetzt mit ihm nicht sehr zu spaßen sei; der Schimmel begann vor Vergnügen zu tänzeln und schnaubte muthig durch die Nüstern, und der magere Fuchs stieß gar ein helles, trompetenartiges Wiehern aus und sprang vor Vergnügen mit allen Vieren zugleich in die Luft.

»Was soll das heißen?« frug Heyso jetzt ernst.

»Hrrr! Hm! Das soll heißen, daß der Ritter Claus von Quitzow auf Stavenow sich die schuldige Antwort mit dem Schwerte holt, wenn er sie nicht freiwillig bekommt. – Hrrr! Hm! Zieht blank, Ritter, ich werde Euch die Lippen öffnen!«

»Herr Claus von Quitzow?« rief Heyso, halb erfreut, halb betroffen, denn der Ruf des Muthes und der Tapferkeit, in welchem Claus stand, machte ihn doch an dem Eindrucke, welchen die äußere Erscheinung desselben auf ihn hervorgebracht hatte, ein wenig irre. »Verzeiht, Ritter, das habe ich nicht gewußt! Gebt Euer Schwert immerhin wieder zurück. Ich bin der Steinfurth auf Alvensleben und gedachte, Euch auf Garlosen bei den Baldewins zu treffen.«

»Der Ritter Heyso? Hrrr! Hm! Das läßt sich hören. Balthasar, hier hast Du das alte Eisen wieder.«

Der Knecht folgte dem Rufe, und während die beiden Herren neben einander voranritten, lenkte er seinen Fuchs an die Seite des Wachtmeisters, um mit ihm nachzufolgen.

»So, also!« schnarrte er, »zum Heyso von Steinfurth gehörst Du? Bei dem giebt es ein lustiges Leben, keine Sorge, keine Noth, Schlägerei und Wein die Hülle und die Fülle. Verdammtes Leben dagegen auf Garlosen und Stavenow! Wein genug, aber keine Fehde, keinen ehrlichen Kampf die ganze ewige Winterszeit. Bin in die Haut gerostet wie eine alte, verschimmelte Schlackwurst und sehne mich einmal nach einem guten, richtigen Degenstoß!«


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