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»Wer ist es?«
»Es ist ein Geistlicher.«
»Hängt ihn an die Raae. Das fromme Gesindel ist noch keinem Menschen von Nutzen gewesen!«
»Er behauptet, eine wichtige Botschaft für Euch zu haben.«
»Hängt ihn, sage ich! Dann mag er seine Botschaft bringen, wem er will.
»Er hat das Zeichen!«
»Das Zeichen? Wer wagt es, mein Zeichen einem Pfaffen anzuvertrauen!«
»Er kommt aus Hamburg.«
»Aus Hamburg? Dann muß die Botschaft wichtig sein. Der Senator ist treu und vorsichtig; er geizt mit unserem Zeichen. Schickt den Mann herab!«
Der Schiffer entfernte sich und nach kurzer Zeit trat Pater Eusebius in die Cajüte. Er kannte den Ruf des Mannes, vor welchem er stand und hatte sich auf einen liebenswürdigen Empfang auch gar nicht vorbereitet, aber als er dieses große, volle, packende Auge durchbohrend auf sich gerichtet sah, da wollte es ihn kalt überlaufen und die vorher wohlüberlegte Redensart blieb ihm im Munde stecken.
»Nun?« fragte Rolf kurz und streng, indem er mit dem Messer spielte, welches an seinem Gürtel hing.
»Erlaubt, gestrenger Herr, daß ich, ein Diener der heiligen Religion, Euch Gnade wünsche von – – –«
»Macht's kurz, sonst lasse ich Euch aufknüpfen!« klang es in einem Tone, der den Pater erbeben machte. Hätte er nicht schon hart an der Thüre gestanden, so wäre er vor Schreck zurückgefahren; er wußte vor Angst kein Wort mehr von dem, was er hatte sagen wollen, und langte schweigend unter die Kutte, aus welcher er ein mit Wachs verschlossenes Schreiben hervorzog. Der Capitän griff nach demselben, öffnete es und las es aufmerksam durch; dann faltete er es wieder zusammen und legte es auf ein Becken mit glühenden Holzkohlen, welches zur Erwärmung des Raumes diente. In wenigen Augenblicken war es verbrannt.
Bis dahin hatte das Auge Vendaskiold's in die Flamme gestarrt; jetzt richtete es sich mit einem höchst zweifelhaften Ausdrucke wieder auf den Boten.
»Euer Name?«
»Eusebius.«
»Von wannen seid Ihr?«
»Erlaubt, daß ich über diese Dinge schweige, denn –«
Der Capitän machte eine ungeduldige Bewegung, die ihn sofort verstummen ließ.
»Ich frage, und Ihr habt zu antworten. Beliebt es Euch aber, zu schweigen, so bekommt Ihr nie wieder Gelegenheit, zu sprechen. Also, von wannen seid Ihr?«
»Von Garlosen.«
»So seid Ihr also der Caplan der Ritter, welche den Beuteantheil verlangen?«
»Dreier von ihnen.«
»Haben sie Euch zu mir geschickt?«
»Nein. Sie gaben mir die Erlaubniß, nach eigenem Ermessen zu handeln.«
»Was that Euch der Markgraf?«
»Nichts.«
»Und der Engländer?«
»Nichts.«
»Wer verrieth Euch die Sache?«
»Das weiß ich nicht. Ich erfuhr sie erst von den Rittern.«
»Ihr seid fertig mit Eurer Botschaft und habt mir blos noch zu sagen, wie der Engländer heißt, welches Schiff er benutzt und zu welcher Zeit er kommt.«
»Erlaubt, gestrenger Herr, daß ich dieses nicht eher sagen kann, als bis Ihr unsere Bedingungen angenommen habt.«
»Bedingungen? Ihr mir?! Glaubt Ihr, daß der Rolf Vendaskiold der Mann ist, der mit Euren Strauchrittern überhaupt verkehrt? Und Bedingungen wollt Ihr mir machen?«
»Es sind hohe Summen, um welche es sich handelt, und mein Geheimniß ist also kostbar. Wenn ich schweige, so werden Euch die Schätze entgehen.«
»Du wirst überhaupt gar nicht schweigen! Siehe diesen Sand im Glase; wenn er abgeronnen ist, muß ich hören, was ich wissen will, sonst lasse ich Dich hängen!«
Es befand sich des Sandes so wenig in der Uhr, daß er in höchstens zwei Minuten abgelaufen sein mußte und der Capitän hatte schon die Hand an der Schnur, um den Vollstrecker seines Willens herbei zu rufen. Der Pater verwünschte den Augenblick, welcher ihn auf den »Wiking« gebracht hatte. Wollte er sein Leben retten, so mußte er sein köstliches Geheimniß preisgeben, ohne für sich und seine Ritter auch nur den kleinsten Vortheil zu erlangen. Er zögerte bis zum letzten Augenblicke, dann aber öffnete ihm, als er die Unwiderruflichkeit des ausgesprochenen Urtheils in den Zügen des Capitäns las, die Todesangst den Mund.
»Die Zeit ist um! Nun?«
»Der Engländer ist der Graf von Warwick, welcher kommen wollte, sobald das Wasser vom Eise frei sei; den Namen des Schiffes kenne ich nicht.«
»Gut. Dein Leben hing an einem Haare. Jetzt kenne ich Dich zur Genüge. Du wirst Deinen Lohn finden!«
Er zog an der Schnur und bald stand einer seiner Leute unter der Thür.
»Dieser Mann ist gefangen. Schicke den Schiffer herab!«
Pater Eusebius wollte in eine Klage ausbrechen, der Mann aber ergriff ihn beim Schopfe und verschwand mit ihm. Als der Schiffer eintrat, frug Rolf:
»Wie weit seid Ihr mit der Galeote?«
»Die Mannschaft ist herüber und die Ladung zum größten Theile durchgesehen.«
»Worin besteht sie?«
»Es ist nicht Handelswaare. Der Däne ist in Holstein eingefallen und hat geplündert. Was ihm gut erschien, das hat er mitgenommen.«
»Untersucht das Fahrzeug genau und bestimmt den Werth desselben sammt der Ladung. Es ist ein schlechter Segler und darum für uns nicht zu gebrauchen. Wir verkaufen es daher mit Allem, was er enthält.«
»Und die Mannschaft?«
»Werden später sehen. Hört, was ich Euch noch sage! Ein Graf von Warwick geht von England nach Hamburg. Ich muß den Mann haben. Wir nehmen also Gegencours nach dem Canal hin und lassen uns kein Schiff, welches aus England kommt, entgehen. Andere Nationen werden nur ausgesucht, die Engländer aber springen über die Klinge. So! Meldet mir das Ergebniß, wenn Ihr mit der Galeote fertig seid!«
Der Schiffer ging; der Capitän fiel von Neuem in tiefes Sinnen. Vergangene Zeiten zogen an ihm vorüber mit ihren lichten und dunklen Gestalten; Personen und Thatsachen, die er längst vergessen gewähnt hatte, traten klar und deutlich aus seinem Gedächtnisse hervor und längst verhallte Stimmen ließen sich aus den Tiefen seines Herzens hören. Solche Stunden der Erinnerung sind heilige Momente im menschlichen Leben; sie lehren die Ohnmächtigkeit des Menschen und die Unwiderstehlichkeit eines göttlichen Waltens erkennen. Man giebt sich ihnen hin unwillkürlich und vollständig, und ihr Segen legt sich weich und beruhigend um das erregte Gemüth, es stimmend zur milden Versöhnlichkeit.
»Capitän!«
Er blickte auf. Er hatte die Wiederkehr des Schiffers gar nicht bemerkt.
»Was bringt Ihr?«
»Es ist ein Gefangener auf der Galeote gefunden worden, ein Herr von Dönaborg, den die Dänen aus irgend einem Grunde mit sich fortgeschleppt haben. Er wünscht Euch zu sprechen.«
»Von Dönaborg? Ist es der Graf oder ein bloßer Edler dieses Namens?«
»Kann es nicht sagen. Er ist alt und leidend; letzteres vielleicht nur in Folge der erlittenen Unbill.«
»Führt ihn zu mir!«
»Er steht schon vor der Thür.«
»So laßt ihn eintreten.«
Der Schiffer öffnete und ließ, sich entfernend, den Angemeldeten eintreten. Rolf verharrte ruhig in seiner Stellung; sein Auge glitt forschend und wie nach einem Anhalte suchend, über die bleichen Züge des Eingetretenen.
»Ihr seid?« frug er in seiner kurzen Weise.
»Mein Name ist Dönaborg.«
»Vollständig!«
»Graf Gert von Dönaborg.«
»Wie kommt Ihr nach Holstein, da Ihr dort doch kein Heimwesen habt?«
Der Gefragte blickte rasch empor.
»Kennt Ihr mich?«
»Setzt Euch, Herr! Der Name Dönaborg hat einen guten Klang in meinem Ohre!«
»Sagt, woher stammt dieser Klang?«
»Das sollt Ihr wohl gleich sehen!«
Er griff in das Ebenholzkästchen, nahm eine ähnliche Elfenbeinplatte, wie die vorhin erwähnte, heraus und reichte sie dem Grafen dar. Derselbe warf einen Blick auf das Bild und sprang dann überrascht empor.
»Herr, wie kommt dieses Conterfey auf den »Wiking« und in Eure Hände? Es ist das Bild des besten und treuesten meiner Freunde. O sagt, wem Ihr es abgenommen habt! Ich habe nach den Söhnen dieses Mannes geforscht bis auf den heutigen Tag und doch niemals Etwas über sie vernehmen können.«
»Sie sind verschollen und verschwunden, spurlos, ohne Wiederkehr; Ihr dürft nicht nach ihnen fragen, denn es würde Euch keine Antwort werden; Ihr dürft nicht nach ihnen suchen, denn all' Eure Mühe würde doch vergebens sein. Ihre Jugend ist gestorben, ihr Glück begraben, ihre Ehre vernichtet und ihr Name vergessen!«
»Vergessen? Wenn Alle ihn vergessen haben, bei mir ist er wohl aufgehoben. Das Geschlecht derer von Moltke – – –«
»Halt! Sprecht dieses Wort nicht zum zweiten Male aus; ich mag es nimmer hören!«
»So haßt Ihr diesen Namen? Hat einer von Denen, die ihn trugen, Euch so schwer beleidigt und gekränkt, daß Ihr ihn nicht ohne Zorn hören könnt?«
»Nein, o nein, sondern ich bin es gewesen, der sich an ihm versündigt und ihn um Alles gebracht hat, was ihm werth und theuer war. Kennt Ihr auch dieses Bild?«
Er reichte ihm das weibliche Portrait hin.
»Walda von Löwenholm, die Geliebte der beiden Brüder. Herr, Ihr macht mich staunen! Wollt mir doch erzählen, wie Ihr zu diesen Bildern gekommen seid!«
»Jetzt nicht, vielleicht erfahrt Ihr es später. Jetzt sollt Ihr mir vielmehr von Euch erzählen und wie Ihr auf die Galeote gekommen seid.«
»Ich wurde von Schweden nach Rendsburg zum Herzog Heinrich von Holstein gesandt, welchem der Dänenkönig Erik des Vaters Lehen nehmen will, und hatte dabei ein Weniges im Süd-Ditmarschen zu thun, wo ich bei dem nächtlichen Ueberfall der Dänen erkannt und gefangen genommen wurde. Man wollte mich zu Erik bringen, wo ich als Feind des Reiches einen sichern Tod gefunden hätte.«
»Das wolle Gott verhüten! Ist Euer Werk in Rendsburg schon gethan?«
»Nein; der Herzog wird mich schwer vermissen, da er nebst der Hansa auf Schwedens Hülfe rechnen muß.«
»Welch' ein Gefängniß habt Ihr auf dem Fahrzeuge gehabt?«
»Ich lag in einem Loche am vordern Maste, kaum groß genug, daß ein zehnjähriger Bube darin zu sitzen vermag. Meine Speise während dreier Tage war Wasser, und die einzige Beachtung, welche meine Bitte um ein besseres Gefängniß fand, bestand in Fußtritten, mit denen man mich in das Loch zurückstieß.«
Die Stirn Rolfs legte sich in Falten.
»Wie war das Treiben der Dänen auf dem Lande während des Ueberfalles?«
»Sie haben gesengt und gebrennt nach Herzenslust und dabei auch der Menschen Leben nicht geschont. Als man mich gebunden durch den brennenden Ort führte, sah ich der Leichen mehrere liegen.«
Der Capitain machte keine Bemerkung zu dieser Mittheilung, aber der Blick seines Auges verkündete nichts Gutes.
»Was dachtet Ihr, als man Euch nach dem »Wiking« brachte?« frug er nach einer kleinen Pause.
»Ich erschrak,« antwortete er zögernd.
Jetzt lächelte Rolf.
»Ich glaube es Euch! Wer Ursache dazu hat, der mag nur immerhin vor mir zittern. Gerechtigkeit ist eine schwere Tugend, und wer sie übt, hat öfterer zu strafen als zu lohnen. Ihr sollt ein Beispiel von beidem sehen. Kommt mit nach oben, Graf!«
Er erhob sich, um sich mit Dönaborg auf das Deck zu begeben. Droben angekommen, winkte er den Schiffer zu sich.
»Bringt die Dänen!«
Die Lücke, welche in den Raum hinabführte, der zur Aufbewahrung der Gefangenen diente, wurde geöffnet, und bald standen die Letzteren in einer langen Reihe vor dem Mittelmaste. Diejenigen Männer des »Wiking«, welche sich nicht im Dienste befanden, drängten sich herbei, um zu hören, was der Capitain über sie befehlen werde. Dieser trat mit dem Grafen vor die Gefangenen. Sein Auge bohrte sich in das Angesicht eines jeden Einzelnen von ihnen und haftete zuletzt mit vernichtendem Ausdrucke auf dem Anführer.
»Du wirst sterben!«
Er sprach nur diese drei Worte. Die Untersuchung war beendet und das Urtheil gefällt.
»Herr,« rief der Mann bittend, »was habe ich denn Euch gethan, daß – – –«
»Still! Ihr habt das Blut friedlicher Leute vergossen und ihre Wohnungen mit Feuer vernichtet. Sie hatten Euch auch nichts gethan. Fort mit ihm!«
Er wurde gepackt und trotz allen Streubens nach vorn geschafft.
»Welche unter Euch sind es, die sich des Mordes schuldig machten?«
Tiefes Schweigen folgte dieser bedrohlichen Frage.
»Gut, so waret Ihr es alle. Fort mit ihnen an die Raae!«
Dieser Befehl löste sofort die Zungen, und bald waren die Verbrecher herausgefunden. Sie wurden abgeführt.
»Herr, schont des Menschenlebens! Die Leute haben doch nur – –« wollte der Graf bittend einwenden, der Capitain aber brachte ihn durch eine einzige abwehrende Bewegung seiner Hand zum Schweigen.
»Ich sprach zu Euch von Gerechtigkeit! Schiffer, wie weit seid Ihr mit der Galeote?«
»Noch nicht ganz zu Ende, Capitain.«
»So laßt die Arbeit ruhen. Hochbootsmann Clas!«
»Herr!«
»Du gehst mit Deinen Mannen auf die Galeote und führst dieselbe nach Meldorf in Süd-Ditmarschen. Dort giebst Du sie mit ihrer vollständigen Ladung diesem Herrn, dem Grafen von Dönaborg über, welcher als Eigner des Fahrzeuges mit Dir geht, und wendest Dich sodann mit den Deinen nach Helgoland, wo Du meine Rückkehr erwartest!«
»Ich, der Eigner der Galeote? Was soll ich in Meldorf mit ihr thun?« frug der Graf.
»Ihr werdet vielleicht die Güte haben, dafür zu sorgen, daß die Beraubten ihr Eigenthum zurück erhalten. Ich schlage mich für Holstein und werde den Angehörigen dieses Landes nicht das vorenthalten, was ihnen gehört. In Meldorf verkauft Ihr das Fahrzeug und verwendet den Erlös als Schadenersatz für diejenigen, denen nichts zurückerstattet werden kann.«
»Ja,« rief Dönaborg freudig, »das will ich gern und willig thun. Eure Gerechtigkeit ist streng nach allen Seiten, und ich wünsche nur, Ihr wirktet in einem anderen Lebenskreise und ich könnte stets in Eurer Nähe weilen!«
Ueber das Angesicht des Capitains flog ein trübes, bitteres Lächeln, eine Antwort aber gab er nicht. –
Als einige Zeit später der Graf sich auf die Galeote begab, begleitete er ihn bis zum Fallreep.
»Ich sollte Euch vorhin sagen wie ich zu den Bildern gekommen bin. Ihr habt Olaf Moltke gekannt und seine beiden Söhne oft auf Euren Knieen geschaukelt, Ihr werdet also nicht reden, wo ich zur Schweigsamkeit verurtheilt bin. Habt Dank für all' Eure Liebe, die Ihr für uns hattet und für die Treue und Sorgsamkeit, mit welcher Ihr uns in Schutz nahmt, als Alle uns verließen! Der eine der Knaben war ich; Gott gebe, daß der andere nicht verloren sei!«
Das Boot stieß ab. Rolf blickte ihm nach; in dem Winkel seines Auges glänzte es hell und feucht. Der starke, feste, wetterharte Mann weinte. Dann aber schüttelte er trotzig die heißen Thränen aus dem Auge.
»Vorwärts, nur immer vorwärts! Rückwärts geht kein guter Weg. Halloh, Schiffer, laßt alle Segel beisetzen; es giebt eine Jagd auf die Inselmänner, und da giebt es eine lustige Fahrt!« – –
Die Stadt Angermünde, früher gewöhnlich Neu- oder Ketzerangermünde genannt, zum Unterschiede von Tangermünde, welches auch Alt-Angermünde hieß, lag am südwestlichen Ufer des Mündesee's und war in der sonst gewohnten Weise befestigt. Durch die rund um die Stadt gehende Mauer führten vier Thore, deren eins nach dem See ging. In der Stadt befand sich ein Augustiner-Mönchskloster, dessen Kirche noch heut vorhanden ist, die St. Marienkirche mit einem hohen Thurme und die St. Gertrautskirche mit einem Hospitale. An die Stadtmauer nach dem See hin lagerte sich ein festes Schloß, auf welchem der pommersche Hauptmann Johann von Briesen befehligte.
Von Neustadt-Eberswalde zog sich eine vielbesuchte Straße nach Angermünde, welche dem Reisenden alle nur irgend gewohnten Bequemlichkeiten bot. Daher war es billig zu verwundern, wenn irgend Jemand die schlechten Waldpfade benutzte, welche über Werbellin-Golzow und Ziethen führten, und doch gab es heut zwei Reiterpaare, welche diese einsamen Gegenden benutzten, um aus dem Brandenburgischen auf pommersches Gebiet zu kommen.
Zur Morgenzeit ritt ein Mann aus Werbellin, dessen finsteres Wesen jedem Begegnenden auffallen mußte, und sein Aeußeres war ganz darnach beschaffen, jede unberufene Annäherung abzuwehren. Er trug die Kleidung eines gewöhnlichen Knechtes, aber seine Haltung und Bewegungsweise wollte mit dem unscheinbaren und vielfach defecten Gewande nicht gut harmoniren. Von ihm am Zügel geführt, trollte neben ihm ein kleiner, magerer Klepper her, auf welchem ein Jüngling saß, dessen trübe Gesichtszüge von einer tiefen Herzenstrauer zeugten. Er trug eine vormals schmucke Panzerkleidung, welche jetzt aber sehr beschädigt erschien, und hielt den müden Blick starr auf den Hals des Pferdes gesenkt, eine Theilnahmlosigkeit zeigend, wie sie den Jahren seiner Jugend sonst nicht eigen zu sein pflegt. Endlich hob er den schönen Kopf ein wenig in die Höhe und blickte seinen Begleiter verstohlen von der Seite an.
»Herr Dietrich!« klang es zögernd aus seinem Munde.
Der Andere wandte sich zu ihm und blickte ihm fragend in das Gesicht.
»Hat unsere Reise noch nicht bald ihr Ende erreicht?«
»Warum?«
»Ich bin des ungewohnten Irrens müde.«
Es erfolgte keine Antwort. Dietrich von Quitzow, welchen wir in dem Einen erkannt haben, war mit seinen eigenen Gedanken und Plänen zu sehr beschäftigt, als daß er die Klage des jungen Mannes viel hätte beachten mögen.
»Warum steht Ihr mir nicht Rede und Antwort?« fragte dieser nach einer Weile mit sichtbarem Unmuthe. »Ich bin es nicht gewohnt, daß meine Worte beharrlich überhört werden.«
Ein verächtlicher Seitenblick streifte den Sprecher.
»Und ich bin nicht gewohnt, mich zu unnützen Plaudereien bewegen zu lassen. Was wollt Ihr?«
»Warum gebt Ihr mir nicht Speise und Trank und eine ordentliche Herberge des Nachts? Ich habe Euch ja mein Wort gegeben, Euch nicht zu verrathen, sondern Euch vielmehr freiwillig zu folgen, wohin Ihr mich führt. Glaubt Ihr, daß ich es brechen werde?«
Wieder verging eine Weile; dann klang es kurz:
»Wartet noch bis morgen, dann hat alle Mühsal ihr Ende erreicht. Herr Johann von Briesen wird uns Alles geben, dessen wir zu unserem Wohlbefinden bedürfen.«
»Johann von Briesen? Der ist doch Hauptmann in Angermünde! So wollet Ihr mich nach Pommern führen?«
Statt der erhofften Antwort wurde ihm neues Schweigen zu Theil. Er senkte traurig den Kopf und versank wieder in das vorige trübe Sinnen. –
Zu derselben Zeit verließen zwei andere Reiter Ziethen; auch hier war der Eine alt und der Andere jung, aber ihre Mienen drückten ganz andere Gefühle aus, und das lebhafte Gespräch, welches sie mit einander führten, zeugte von dem guten Einvernehmen, in welchem sie mit einander standen.
»Nun ist das Ziel unserer Reise in kurzer Zeit erreicht,« sprach der Aeltere, »und ich werde Euch gar bald verabschieden müssen. Doch einige Tage müßt Ihr in Angermünde noch bei mir verweilen, Detlev!«
»Verzeiht, Herr Fürst, daß ich Euch dieses abschlagen muß. Mein Vater wird Euch mit Schmerzen erwarten und Ihr habt Eure Kräfte wieder erlangt, so daß Ihr nun des Beistandes nicht mehr bedürft.«
»Das ist wohl wahr, allein diese Begleitung ist mir nun fast lieb und theuer geworden, so daß ich gern so spät wie möglich auf sie verzichten möchte.«
»Ich danke Euch; aber ich denke, daß ich nicht für immer von Euch scheiden werde, sondern daß mir das Glück zu Theil werden wird, Euch wieder zu sehen. Möchten nur Eure Bestrebungen bei den Herzögen von Pommern einen guten Erfolg haben! Ich bin ein unerfahrener Jüngling, der von der Kunst des Regierens noch nicht gar viel zu hören bekommen hat, jedoch denke ich immer, daß es den Pommern und Mecklenburgern niemals gelingen werde, ihren feindseligen Stand gegen unseren erlauchten Herrn, den Markgrafen, festzuhalten. Vielmehr scheint es mir, daß er diejenige Kraft und Klugheit besitze, welche durch Güte oder ernsten Zwang die Anschläge der Feinde zu nichte zu machen versteht.«
»Das mag ein wahres Wort sein. Ich habe meinen Vettern, den Fürsten Balthasar, Johann und Wilhelm von Wenden stets mit solchem Rathe gedient, aber sie wollen mich nicht hören. Da zog ich zu dem Markgrafen, um mit ihm über diese Sachen zu verkehren. Ich nahm keine Diener mit, um unerkannt zu bleiben und mein Vorhaben geheim zu halten, und wurde auf dem Rückwege überfallen und nach Garlosen geschleppt, wo ich ein Lösegeld zahlen sollte. Auch wollte man daselbst wissen, wer ich sei, und als ich mich weigerte, dies zu sagen, warf man mich in jenes Verließ, aus dem Ihr Beide mich befreiet habt. Da ich nun einmal länger, als ich es mir vorgenommen hatte, von Waren weggeblieben war, so setzte ich noch etwelche Tage hinzu, um mit den Fürsten von Pommern zu sprechen. Denn sobald diese sich bewegen lassen, der Klugheit Gehör zu schenken und die Feindschaft mit den Marken aufzuheben, so werden sich auch meine Vettern bewegen, oder gezwungen sehen, ein Gleiches zu thun. Das Gefängniß hatte meine Kräfte so geschwächt, daß ich diese Reise nicht allein machen konnte, und so war es mir lieb, daß Herr Bismarck sich entschloß, auf seine bisherige Begleitung zu verzichten.«
Jetzt lenkten sie nach Herzsprung ein und kamen auf die Eberswalder Heerstraße, wo es der Wanderer so viele zu sehen gab, daß die Unterhaltung stockte und sie ihren Augen ungehinderte Beschäftigung gaben. In Angermünde angekommen, verzichteten sie, in einer Herberge einzukehren, und ritten nach dem Schlosse, wo der Fürst den Hauptmann Johann von Briesen aufsuchen wollte.
Er fand in demselben einen verständigen Mann, welcher seine Ansichten theilte und ihm zu seinem Vorhaben ein gutes Gelingen wünschte. Währenddessen ging Detlev durch die Straßen und Gassen der Stadt, um dieselbe so genau als möglich kennen zu lernen. Seine Gedanken schweiften dabei in die Zukunft und ließen ihm Dinge voraussehen, welche seinem natürlichen Scharfblicke nicht verborgen bleiben konnten.
»Es wird die Zeit kommen,« dachte er, »in welcher die Entscheidung zwischen Brandenburg und Pommern in und um Angermünde toben und das Blut in Strömen fließen wird. Ich liebe den kräftigen Streit, welcher offen und ehrlich den Gegner sucht, aber die List hat auch ihre gute und volle Berechtigung, und wenn der Menschen und ihrer Güter geschont werden kann, so muß die Klugheit dem blanken Schwerte vorgezogen werden. Ich will mir die Befestigungen genau anschauen; vielleicht, daß es mir in späterer Zeit von Nutzen ist.«
Indem er so dahinwanderte und mit Aufmerksamkeit alle Baulichkeiten betrachtete, kam er in eine Gasse, welche durch eine ungewöhnliche Anzahl von Menschen gesperrt wurde, die sich vor einem Hause zusammengefunden hatten. Vor der Thür desselben waren eine Menge Gegenstände aufgestellt, wie sie zu einem gewöhnlichen bürgerlichen Hausrathe gehören; an einem alten Tische saß ein Rathsbeamter, und neben ihm stand der Büttel, welcher den versammelten Leuten die Wirthschaftsgeräthe vorzuzeigen und überhaupt das laute Wort zu führen hatte. Es war eine Auction, welche soeben beginnen sollte. Da trat eine kleine, dünne, bewegliche Gestalt aus der Thür, warf einen zornigen Blick über die Menge und sprang auf einen Stuhl.
»Hört Ihr Leutchen,« rief der Mann, in welchem wir den Berlinischen Gewandschneider Zademack, einen alten Bekannten aus »Fürst und Junker« erkennen, »laßt Euch einmal Etwas sagen!«
»Er hat hier gar nichts zu sagen,« gebot ihm der Beamte. »Steige Er vom Stuhle herab! Wir brauchen Seine Rede nicht!«
»Das Stühlchen ist jetzt noch mein und ich kann mich darauf stellen, bis es an die Reihe kommt!« entgegnete der Schneider. »Und das Reden kann mir Niemand verbieten, so lange ich kein Wörtchen sage, wodurch sich die Väterchen der Stadt und die Herrchen vom Rathe beleidigt fühlen.«
»Aber Er hält die Versteigerung auf und das darf ich nicht leiden!«
»Das wird so arg nicht sein, denn ich bin in einem kleinen Minutchen fertig. Also, hört Ihr Leutchen! Wir, als die Innungen der Schneider, Schuster und Kürschner, sind, wie Jedermann weiß, beflissen, den Menschen zu verschönern und die Ungerechtigkeiten des Körpers zu verdecken. Darum wäre es billig und lobenswerth, wenn die Männer und Weibchens, denen wir Gutes erweisen, sich uns auch dankbar zeigten. Aber da ist der lüderliche Borg eingerissen und wir Innungen und Gilden müssen arbeiten, ohne daß wir ein ordentliches Geldchen zu sehen bekommen.«
»Hört, hört, das Schneiderlein will auf uns schimpfen!« rief es unter den Zuhörern.
»Nein, das will ich nicht. Aber ich habe mein liebes Berlinchen und Weib und Kindchens verlassen und bin nach Angermünde gekommen, weil hier kein Mann war, der ein ordentliches Gewandchen fertig bringen konnte. Und nun ich Euch herausstaffiret habe mit allem Fleiß und manchen Stich gethan, damit Ihr Euch in Ehren und mit Vergnügen sehen lassen könnt unter den Leutchen, nun kann ich nicht bekommen, was mir für meine Arbeit gebührt, und die Herrchen vom Rathe wollen mir meine Sachen nehmen, weil ich Zinsen und Gebühr für das Quartalchen nicht zusammengebracht habe. Nun wird man mich mit Schimpf und Schande wieder nach Berlin gehen heißen, wohin ich als ein Bettler komme, während meine Schuldner sich hier in das Fäustchen lachen. Darum wollte ich – – –«
»Ist Er noch nicht bald fertig?« unterbrach ihn der Beamte. »Mit Seiner Predigt ändert er nichts und bringt sich nur in die Gefahr, in das Loch gesponnen zu werden. Steigt vom Stuhle! Wir können nicht länger warten und müssen unseres löblichen Amtes pflegen!«
»Gebt mir nur noch ein einziges Augenblickchen Zeit! Ich bin ja noch gar nicht mit der Vorrede zu Ende und die Leutchen müssen doch wissen, was ich ihnen sagen will!«
»Sage Er es ihnen später. Vorwärts, springe Er vom Stuhle, sonst muß ich mir mein Recht verschaffen!«
Der Schneider mußte dieser im strengsten Ton ausgesprochenen Aufforderung Folge leisten und überblickte mit betrübtem Angesichte die Sachen, welche man ihm jetzt nehmen wollte. Die Auction begann und der Büttel griff zuerst nach einer Truhe, die ihrer Alterthümlichkeit nach ein altes Erbstück zu sein schien. Zademack hielt ihn zurück.
»Laßt diese Truhe bis zuletzt,« bat er; »sie stammt von meinen Voreltern und ist mir lieb und werth.«
»Lasse Er uns in Ruhe mit seinem alten Kasten! Seine Voreltern werden nicht darinnen stecken!«
Da trat Detlev hinzu. Er fühlte Mitleid mit dem armen Manne und außerdem war ihm ein Gedanke gekommen.
»Welches ist die Summe, wegen der Ihr hier gepfändet habt?« frug er den Beamten.
»Es sind fast fünfzig Prager Groschen,« erwiderte der Gefragte, ihn mit einem neugierigen Blicke messend.
Detlev zog das Lederbeutelchen unter seinem Gürtel hervor und öffnete es.
»Hier nehmt das Geld und laßt ihm seine Sachen!«
»Ihr wollt die Schuld bezahlen?«
»Wie Ihr gehört habt.«
»So ist das noch nicht genug. Der hohe Rath muß die Kosten seines Pfandverfahrens vergütet haben, wenn er auf dasselbe weiter verzichten soll.«
»So nennt mir diese Kosten.«
Der Beamte gab die Summe an und Detlev bezahlte sie. Der Schneider war hoch erfreut, solchen Wohlthäter gefunden zu haben und brach in die beredtesten Dankesworte aus.
»Wie kann ich Euch diese Eure Güte jemals vergelten, Herr?« rief er. »Ihr erlöset mich aus bitterer Noth und Sorge, denn wenn man mir mein Habchen genommen hätte, so würden wir Nichts gehabt haben, um unser Haupt darauf zu legen. Nun?« fuhr er, zudem Beamten gewendet, fort, »macht Euch von dannen! Ihr seid bezahlt und habt hier nichts mehr zu suchen. Oder wollt Ihr etwa warten, bis ich Euch hier auf dem Stühlchen ein Redchen halten werde? – Nein, Herr Junker, schickt Euch nicht jetzt schon zum Gehen an, sondern wollet die Gnade haben, in meine arme Wohnung einzutreten, damit mein Weib sammt den Kinderchen Euch auch danken können!«
Detlev zögerte, auf diese Bitte einzugehen, aber Zademack ließ nicht ab, bis er ihm in das Haus folgte. Es war ein enges, dunkles Gebäude, von dessen Flur eine Stiege nach oben führte. Dort angekommen, bemerkte er, daß es sich an die Stadtmauer lehnte, über welche sein hinterer Giebel um ein Beträchtliches emporragte.
In dem Stübchen, dessen Thüre der Schneider öffnete, saß eine weinende Frau in der Mitte mehrerer Kinder, die sich zärtlich an die betrübte Mutter schmiegten.
»Weine nicht,« tröstete Zademack; »sie werden uns nichts nehmen, gar nichts, denn dieser Junker hier hat Alles bezahlt, was wir schuldig waren.«
Sie erhob sich und trocknete sich die feuchten Augen.
»Ist es wahr, was Du hier sagst? Unsere Schulden sind bezahlt und wir werden unsere Sachen behalten?«
»Alles, alles werden wir behalten und nichts, gar nichts können sie uns nehmen! Und das haben wir diesem gütigen Herrn zu verdanken. Kommt, Kinderchens, gebt ihm Eure Händchen!«
Es begann jetzt zwischen den Gliedern der armen Familie ein Wettspiel des Dankes, dem sich der Wohlthäter nicht entziehen konnte.
»Könnte ich Euch Eure Güte doch nur um ein Weniges vergelten!« rief Zademack. »Ich habe in Berlin gar viel Noth und Sorge erlebt und immer geglaubt, es müsse hier besser werden. Aber ich täuschte mich, denn ich kam immer tiefer in das Unglück hinein. O, mein Berlin, wäre ich doch dort geblieben! Ich war immer unzufrieden und wollte es besser haben als ich es hatte. Bei den Pommern sollte gute Zeit sein, und ich ging zu ihnen; aber ich lobe mir die Mark, mein Vaterland, welches ich frevlerweise verlassen habe. Ich wünsche nichts mehr, als daß ich in Ehren zurückkehren könnte!«
»Vielleicht ist Euch dieses möglich. Vergeßt mein nicht. Wenn ich wieder nach Angermünde komme, werde ich Euch aufsuchen.«
»Ja, Herr, das werde ich auch thun, immer an Euch denken. Und könnte ich Euch jemals ein Dienstchen erweisen, so würde ich es Euch nicht versagen, sondern froh darüber sein. Vergeßt mein nicht, wenn Euer Weg Euch wieder nach Angermünde führt. Ihr seid ein Brandenburger, und ich halte auf Alles, was aus den Marken kommt, gar große Stücke!«
Detlev ging. Er hatte die Ueberzeugung, eine gute That vollbracht und sich einen Freund erworben zu haben, dessen Hülfe ihm später einmal von Nutzen sein konnte. Als er nach dem Schlosse zurückkehrte, kam der Fürst soeben von dem Hauptmann zurück und wiederholte seinen Wunsch, ihn noch länger bei sich zu haben. Doch blieb er bei dem einmal gefaßten Vorsatze, sich nicht in Angermünde zu verweilen, nahm Abschied von dem bisherigen Begleiter und ritt noch desselben Tages davon.
Der Weg, welchen er eingeschlagen hatte, führte ihn über Ziethen, Golzow und Werbellin zurück. Ziethen hatte er noch vor Abend erreicht, und da ihm sein jugendliches Ungestüm nicht rasten ließ, so beschloß er, für heut noch eine Strecke zurückzulegen und in einer Herberge, die man ihm bezeichnete, bis zum nächsten Morgen zu bleiben.
Einsam und allein seinen Weg verfolgend, sah er es nach und nach dunkler um sich werden, und es stellte sich jene Empfänglichkeit für die Bilder der Erinnerung bei ihm ein, welche sich in der Stunde der Dämmerung vorzugsweise geltend zu machen pflegt. Es war so still und ruhig um ihn her; kein Wanderer ließ sich sehen, und die Vögel des Waldes, sonst immer bis zum hereinbrechenden Abend laut und munter, waren nach dem Süden gezogen, um den Härten und Rauhheiten des nordischen Winters zu entgehen. So störte kein Laut, kein Gruß die Beschaulichkeit, die ihm sein vergangenes Leben vorführte und ihn ganz besonders mit den Begebenheiten der letzten Zeit sich beschäftigen ließ.
Auf Garlosen hatte er seine erste ritterliche That vollbracht. Ihr Schauplatz war nicht das offene Schlachtfeld, sondern die Verborgenheit unterirdischer Gänge und Gewölbe gewesen, und es hatte zu ihr vielleicht mehr Muth und Verwegenheit gehört als zu einem Kampfe im hellen Lichte des Tages. Der Preis war ihm auch sofort geworden in der Freundschaft des fürstlichen Gefangenen, dessen Kerker er geöffnet hatte. Der hohe Mann hatte seinen Stand den Boldewins gegenüber beharrlich verschwiegen gehabt und ihn erst den Befreiern genannt, als es an das Scheiden gegangen war. Zu angegriffen von den zerstörenden Einflüssen der Gefangenschaft, fürchtete er, eine weite Reise, die immerhin mit den verschiedensten Gefahren verknüpft war, nicht allein unternehmen zu können und hatte deshalb Detlev vermocht, mit ihm zu gehen.
Der Abschied von den Anderen war ihm nicht so leicht geworden, als man es vielleicht hätte meinen sollen. Herr Bismarck hatte ihn nur ungern ziehen lassen, und die Juden waren dem jungen Mann so dankbarlich gewogen, daß sie in die bittersten Klagen über seine Entfernung ausgebrochen waren. Vor allen Dingen aber hatte die Tochter Itzigs sein Gehen mit Betrübniß aufgenommen.
Es war am Abende vor der beabsichtigten Trennung gewesen, wo sie sich allein getroffen hatten. Das Mädchen war leise und still an ihn herangetreten und hatte seine
Hand erfaßt. Lange hatte sie so neben ihm gestanden, ohne ein Wort zu sagen, als ihr endlich doch das tiefe Schweigen beängstigend vorgekommen war.
»Ihr wollt von uns scheiden?« fragte sie zagend.
»Ja, es ist so beschlossen worden.«
»Und Ihr fragt nicht darnach, ob dies Scheiden Jemandem wehe thut!«
»Wehe? Wem soll mein Gehen Schmerzen bereiten? Ich bin fremd in der Fremde.«
»Fremd? O nein, Herr! Habt Ihr uns nicht erlöst aus schwerer Noth und Drangsal, so daß wir Euch lieben und Euch Dank zollen möchten fürs ganze Leben? Nein, fremd seid Ihr nicht, aber die arme, niedrige Tochter Israels darf nicht wagen, ihr Herz frei und ungehindert schlagen zu lassen!«
»Warum nicht?« frug er, sich zu ihr niederbeugend. Der weiche warme Druck ihres kleinen Händchens, der Klang ihrer süßen Stimme und der Inhalt ihrer zögernd gesprochenen Worte übten einen ganz eigenthümlichen Einfluß auf ihn aus. Dieselben unbekannten Regungen, wie bei dem Austritte aus dem unterirdischen Gange, machten sich in seinem Innern geltend; das Herz ward ihm so groß und doch zu eng für die Gefühle, die jetzt durch dasselbe flutheten, und am liebsten hätte er das herrliche, verlockende Wesen in seine Arme genommen und innig, innig an die Brust gedrückt. Sie schlug das große, dunkle Auge zu ihm empor, und ihr warmer Athem strich über sein zu ihr gebeugtes Angesicht.
»Es hat bisher geklopft nur für den Vater und die Mutter,« erwiderte sie. »Darf es denn auch für Andere schlagen?«
»Wer sind diese Anderen?« frug er mit jenem einschmeichelnden Tone der Stimme, welcher bestrickend auf die Sinne wirkt.
»Es ist nur Einer, und den darf ich Euch nicht nennen!«
»Warum nicht?«
»Weil Ihr mir dann zornig sein würdet.«
»Dir? So bin ich selbst wohl dieser Eine?«
Sie blieb ihm die Antwort schuldig, aber ihre Hand führte die Seinige an das Herz; er fühlte das Wogen des vollen, weichen Busens, hörte den leisen, verlangenden Hauch ihres Odems und legte den Arm um sie.
»Sprich!« bat er, sie an sich ziehend.
»Was soll ich Euch sagen?«
»Daß Du mich lieb hast!«
»Darf ich dies denn sagen?«
»Ja, das darfst Du, Du liebes, holdes Wesen,« flüsterte er. Ihre Lippen brannten zusammen zum ersten heißen Kusse und lange, lange währte es, ehe sie zurückkehrten zur Gesellschaft der Uebrigen.
An diese Augenblicke dachte jetzt Detlev, aber es war nicht ein Gefühl des Glückes und der Wonne, welches er dabei empfand, sondern es wollte ihm scheinen, als habe er an jenem Abende nicht recht gethan, als habe er nicht so gehandelt, wie er hätte handeln sollen, um sich von späteren Vorwürfen fern zu halten. Er war mit sich unzufrieden, obgleich er lebhaft fühlte, daß das Bild des schönen Mädchens noch immer unverwischt in seinem Herzen wohne.
Mittlerweile war es vollständig Nacht geworden, und es erschien ihm daher willkommen, als er ein Licht bemerkte, welches in der Ferne auftauchte. Es kam aus einem Fenster der Herberge, in welche er einzukehren beschlossen hatte. Als er dieselbe erreicht hatte, übergab er das Pferd einem Knechte, welcher ihm entgegentrat, und begab sich dann in das Zimmer. Es war leer, da sich außer der alten Wirthin kein Gast in demselben befand. Es war so räucherig und schwül in dem niedrigen Gemache, so daß er nicht lange in demselben verweilte, sondern sich in das Kämmerlein begab, welches ihm für die Nacht angewiesen worden war.
Er hatte sich noch nicht lange zur Ruhe begeben, so hörte er den Hufschlag von Pferden, welche vor dem Häuschen hielten. Die Neuangekommenen traten in das Haus und kamen nach einiger Zeit nach oben. Sie traten in ein Gelaß, welches neben demjenigen lag, in dem sich Detlev befand. Es mußten zwei Personen, eine ältere und eine jüngere sein, wie er aus den Stimmen vernahm.
»Ihr sagtet, daß unsere Wanderung morgen ihr Ende erreicht haben würde?« hörte er fragen.
»Für einstweilen.«
»So gehen wir später noch weiter fort?«
»Das wird sich morgen entscheiden.«
»Und wenn ich Euch nun sage, daß ich Euch nicht weiter folge?«
»Das ändert nichts. Ihr habt mir Euer Wort gegeben, Prinz, daß Ihr mir ohne Widerstand folgen wollt, wohin ich Euch führe!«
»Ich glaubte nicht, daß Euer Weg ein so weiter sei; vielmehr dachte ich, Ihr würdet mich auf irgend ein festes Schloß bringen, um dann mit dem Vater über meine Lösung zu verhandeln.«
»Das wird jedenfalls auch geschehen; doch scheint Ihr mir im Auslande besser aufgehoben zu sein, als in einer Burg, welche Euer Vater berennen lassen würde, um Euch zu befreien. Nun seht Ihr wohl ein, weshalb mein Weg mit Euch ein so weiter ist.«
»Gut, bis jetzt bin ich Euch ohne Sträuben gefolgt, weil ich Euch mein Wort darauf verpfändet habe. Sobald Ihr mich aber noch weiter mit Euch zwingen wollt, werde ich dasselbe zurücknehmen.«
»Das steht Euch unbenommen, doch setzt Ihr Euch dadurch strengeren Maßregeln aus, als ich bisher gegen Euch angewendet habe. Uebrigens kommen wir schon morgen nach Angermünde, wo ich mit dem Hauptmann Johann von Briesen über Euch sprechen werde. Ich hoffe, daß Ihr bei ihm eine gute Aufnahme finden und da bleiben werdet, bis der Markgraf meine Bedingungen erfüllt.«
»Das lasse ich gelten.«
»Aber Euer Wort habt Ihr zurückgenommen?«
»That ich das? Oder sprach ich nicht vielmehr nur für den Fall, daß Ihr mich weiter führen würdet? Doch, da es einmal geschehen ist, so mag es auch so bleiben!«
»Ganz wie es Euch beliebt! Ich werde also die Thür verschließen und strenge Wache über Euch halten. Verlautet Ihr Euch aber gegen einen Dritten nur mit einem Worte, so schlage ich Euch mit Eurem eignen Schwerte nieder, welches ich zum Andenken an unseren ersten Ritt in meiner Hand behalten habe. Es ist gut und wird in meiner Hand seinen Mann niemals verfehlen. Jetzt sucht Euer Lager; wir werden früh aufbrechen!«