Karl May
Der beiden Quitzows letzte Fahrten
Karl May

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»Aber ich möchte doch gleich wissen, was d'rin steht, damit ich den Männern Bescheid sagen kann.«

Da drängte der Falkenier sein Pferd herbei.

»Erlaubt, Herr Ritter, daß ich Euch die Schrift verdeutsche!

»Bist Du denn auch geschickt in so gelehrten Dingen?«

»Ein frommer und kluger Einsiedler hat mich darinnen unterrichtet.«

»So nimm und siehe, wie weit Du kommst!«

Friedländer ergriff das Schreiben und las den Inhalt desselben vor:

»Den Rittern und Herren Simon von Güntersberg,
Erasmus von Wedel und Janeke von Stegelitz, verzeichnet und geschrieben für sie und alle ihre Gesellen.

Nachdem wir vernommen haben, daß die Herren, Mannen und Leute des Ordens der deutschen Ritter gegen uns begehren und uns mit Krieg und Plage heimsuchen wollen, indem wir ihnen weder Böses noch Unritterliches gethan haben, so erfahren wir, daß die Herren Simon, Erasmus und Janeke von Güntersberg, Wedel und Stegelitz sich unterwinden, dem Orden gegen unser Hab und Gut als auch Leib und Leben beizuspringen, dahero wir in Anbetracht gestellt haben, daß uns damit ein großer Schade geschehe.

Also erfordert es die schuldige Pflicht und Ehre, uns der Unbilden kräftig zu wehren, zumalen wir nicht gesonnen sind, zu warten, bis man über uns herfalle, dieweil dies eine Thorheit wäre. Darum thun wir Euch hiermit zu wissen, daß wir von jetziger Stunde an Euch feindlich ansehen werden und all' Eurem Beginnen begegnen mit der Schärfe des Schwertes und Euch absagen alle Liebe und Freundschaft so lange, bis Ihr daran genug erfahren habt!

    Gegeben zu Kremzow und unterschrieben mit Kraft und Vorbedacht.

Henning von Wedel.
Friedrich von Wedel.
Heinrich von Bork.
Henning von Kremzow.

 ;
Auch zu gedenken aller Anderen von Wedel, Bork, Kremzow und Vieler aus dem Lande Stolpe.«

Noch hatte der Vorleser nicht vollständig geendet, so erhob Janeke den Arm und schlug einem der Botschafter mit der geballten Faust in das Gesicht.

»Hier hast Du unsere Antwort; bringe sie nach Kremzow, und vergiß nicht, sie gehörig auszurichten. Und nun macht, daß Ihr von hinnen kommt, es juckt mir in den Armen!«

Er griff nach dem Schwerte; sie aber waren klug genug, nicht auf das Folgende zu warten, sondern wandten ihre Pferde und ritten schneller davon als sie gekommen waren.

Trotz dieser unerwarteten und unliebsamen Unterbrechung wurde der Jagdzug fortgesetzt, denn es war eine so schleunige Verfolgung der Fehde, daß man hätte zurückkehren müssen, nicht im Mindesten zu erwarten. Die Cavalcade setzte sich in der vorigen Ordnung wieder in Bewegung; die Ritter vorn an der Spitze besprachen die zu ergreifenden Maßregeln; die Knechte gaben ihre Freude darüber kund, daß ein fröhlicher Strauß in Aussicht stehe, und der Wachtmeister Elias Siebenhaut konnte das bis jetzt beobachtete Schweigen nicht länger halten, zumal sich ihm eine treffliche Gelegenheit geboten hatte, mit höflicher Manier zu beginnen:

»Du kannst sogar lesen, wie ich höre?« frug er den in tiefen Gedanken neben ihm hinreitenden Falkenmeister. Leider erfolgte keine Antwort.

»Von einem frommen Einsiedler hast Du es gelernt, wie ich höre?«

Dieselbe Stille. Wieder keine Antwort.

»Du bist ein geschickter Kriegsmann und fast gelehrter, als der fette Bischof von Stettin!«

Vergebliche Mühe! Friedländer war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, als daß ihm an einem Gespräche mit dem schwatzhaften Wachtmeister viel hätte gelegen sein sollen.

»Wenn Du nicht antworten willst, so lässest Du es bleiben, wie ich höre! Aber ich sollte meinen, daß auf so höfliche Worte, wie ich sie gesagt habe, auch eine Gegenrede geleistet werden könnte. Wenn Du zu stolz bist auf Deine Gelehrsamkeit, um mit mir zu sprechen, so habe ich nichts dagegen, aber es wäre doch wohl besser gewesen, wenn wir gute Freunde geworden wären!«

Diese Strafpredigt erreichte ihren Zweck. Friedländer fuhr sich mit der Hand über die Stirn und meinte:

»Es war nicht bös gemeint, Elias, nur hatte ich Allerlei zu sinnen, mit dem ich erst fertig werden mußte!«

»So, dann will ich meine Rede zurücknehmen! Hier hast Du meine Hand. Mir ist es ganz so, als ob ich Dich lieb gewinnen könnte, und darum wollen wir alle Zeit gute Kameradschaft halten! Das ist jetzt noch mehr nothwendig als sonst, da wir nun gegen die Wedels und ihre Sippe zusammenzuhalten haben. Was mich betrifft, so fürchte ich mich nicht vor ihnen, wie ich höre, denn wir verstehen mit dem Schwerte umzugehen, und unter ihnen giebt es nur Einen, vor dem mir bange sein könnte. Das ist der alte Henning von Wedel auf Friedland.«

»Kennst Du ihn?«

»Habe ihn oft gesehen, wie ich höre. Der hat den Teufel im Leibe und fürchtet sich nicht, mutterseelenallein sich durch einen ganzen feindlichen Heereshaufen hindurch zu schlagen. Er hat schon oft mit dem deutschen Orden angebunden und stets den Sieg davongetragen, nur vor kurzer Zeit ist er einmal in Unglück gerathen und gefangen genommen worden, wie ich höre. Freilich ist es gar bös hergegangen, ehe sie ihn bekommen haben, und lange haben sie ihn auch nicht behalten mögen, sondern ihn gegen das Gelöbniß eines Lösegeldes frei gelassen. Hätten sie das nicht gethan, so wäre er ihnen eines schönen Tages davongegangen und sie hätten den Aerger und das Nachsehen gehabt, wie ich höre.«

»Davon habe ich auch vernommen. So ist er also wieder in Friedland?«

»Ja, heut aber in Kremzow, wie Du ja selbst vorgelesen hast. Er hat doch das Instrument mit unterschrieben, wie ich höre. Der ist ein gar kluger und unternehmender Patron. Erst hat er ein Lösegeld versprochen, und nun sagt er die Fehde an; er holt sich also vorher bei Denen, denen er es nachher bezahlt. Ist dies nicht ein gescheidter Einfall, wie ich höre?«

»Das gebe ich zu,« antwortete der Falkenmeister mit einem eigenthümlichen Lächeln.

»Eigentlich ist es doch sonderbar, daß Du nach Güntersberg gerathen bist und nicht nach Altenwedel, wo Dich der Weg durchgeführt hat. Auch Dein Name würde zu den Wedels passen. Sie haben zwei Hennings, den jungen und den alten, und Du heißest auch so; diese beiden Hennings wohnen auf Friedland, und Dein Name ist Friedländer. Ist das nicht eigenthümlich, wie ich höre?«

»Allerdings. Der Zufall ist oft ein wunderbarer Kauz, und in Altenwedel bin ich nicht eingekehrt, weil ich vernahm, daß man dort schon genugsam mit trefflichen Falken versehen sei. Kennst Du den jungen Henning?«

»Nein. Man hat ihn hier in dieser Gegend gar nicht viel zu sehen bekommen; aber was man über ihn vernimmt, das ist nur lob- und tugendsam. – Was giebt es? Soll die Jagd beginnen?«

»Meine Vögel werden unruhig; trotz der Kappe riechen sie, daß sie sich nun auf dem Jagdgebiete befinden. Halte Dich von jetzt an an meiner Seite!« rief er dem Knechte zu, welcher die Cage trug.

Jetzt parirte Brunhilde ihren Zelter und blickte zurück.

»Haltet Euch bereit,« rief sie dem Falkenmeister zu, »es beginnt die Gegend, in welcher wir jagen werden!«

»Wollt Ihr eins der Thiere zu Euch nehmen, Jungfrau?« frug er zurück.

»Gebt her! Ich will es versuchen.«

Er löste einen schlanken Blaufuß von der Cage und setzte ihn ihr auf die kleine, mit einem starken Handschuh versehene Hand.

»Laßt ihn nicht eher gehen, als bis ich Euch das Zeichen gebe!«

Er setzte sich jetzt mit dem Cageträger an die Spitze des Zuges und richtete sein helles, scharfes Auge forschend auf die Umgebung. Da plötzlich griff er, ohne daß Jemand von den Anderen ein Wild bemerkt hatte, in die Cage, riemte einen starken Isländer los, zog ihm die Haube vom Kopfe und warf ihn mit kräftigem Schwunge gegen den Wind in die Luft.

Das Thier stieg in die Höhe und zog einen weiten Kreis, der sich spiralförmig immer mehr verengerte. Es war ein Hase, der durch die Moorgräser brach. Die Angst vor dem Raubvogel, welcher über ihm schwebte, ließ ihn die Jagdgesellschaft gar nicht beachten, so daß er grad' auf dieselbe zurannte und sich eben anschickte, über die Straße zu springen, als der Falke herabstieß, ihn mit seinen Fängen packte und mit einigen Schnabelhieben auf den Kopf tödtete.

»Sagt Jungfrau,« frug Friedländer, »soll der Vogel den Hasen haben oder das Falkenrecht?«

»Er hat ihn gar wohl verdient, aber ich kann das häßliche Zerreißen nicht sehen. Gebt ihm sein Recht!«

Er rief den Falken mit einem kurzen »Hilo!« wieder zu sich und gab ihm anstatt der Beute ein Stück Fleisches, welches einer der Knechte in einer dazu bestimmten Büchse bei sich führte. Man nannte diese Belohnung für den gelungenen Fang »das Falkenrecht«.

Nachdem der Hase aufgenommen war, setzte sich der Zug von Neuem in Bewegung, und Jedermann hielt fleißige Umschau, ob irgendwo ein Wild zu erblicken sei. Keinem wollte das gelingen, und doch rief der Falkenmeister jetzt, zu Brunhilde sich umwendend:

»Wollet doch jetzt Euren Vogel werfen! Es giebt jetzt eine edlere Jagd!«

»Ich sehe doch kein Wild?«

»Werft ihn nur! Das kleine dunkle Fleckchen dort grad über uns ist ein rother Milan, auch Gabelweihe genannt, ein gar trefflicher Flieger, den Euer Blaufuß herunterholen soll.«

Sie warf den Letzteren, nachdem sie ihn abgehäubt hatte, empor; das schöne, schlanke Thier stieg in einer weiten, raschen Schneckenlinie zur Höhe. Der Milan erkannte den gefährlichen Feind und schoß, ohne sich zu erheben oder zu senken, in grader Richtung auf und davon, und es schien ganz so, als ob er ihm entgehen werde, denn als sich Beide in einer und derselben Höhe befanden, war das Raubwild schon soweit von seinem Verfolger entfernt, daß es gar nicht mehr zu erkennen war. Der Letztere stieg immer noch und schwebte dann wie bewegungslos hoch oben in der Luft. Jetzt aber mußte er seinen Feind gesehen haben, denn er stieß plötzlich mit einer solchen Schnelligkeit in der Richtung von dannen, welche dieser eingeschlagen hatte, daß auch von ihm bald gar nichts mehr zu sehen war.

»Sie werden uns entgehen,« rief die schöne Jägerin, »und wohl alle beide! Wir müssen ihnen nachfolgen!«

»Wollet nur immer hier bleiben! Der Blaufuß hält seine Jagd nur so, daß wir sie sehen können.«

Wirklich sollte dieses Wort auch sofort in Erfüllung gehen, denn es erschien am Himmel ein Punkt, welchem ein anderer, seitwärts über ihm stehender folgte. So oft der Eine eine abgehende Richtung einschlagen wollte, legte der Andere sich ihm in den Weg und zwang ihn so, sich nach der Gesellschaft hinzubewegen. Es war die Gabelweihe, getrieben und gehetzt von dem Blaufuß. Als Beide sich so ziemlich über der Jagdcavalcade befanden, stieg der Letztere ein wenig höher und stieß dann mit solcher Kraft auf seinen geängsteten Flüchtling, daß er, diesen in den Fängen, mit ihm fast bis herab zur Erde schoß. In geringer Höhe machte er ihm den Garaus und kehrte sodann auf die ausgestreckte Hand der Jungfrau zurück. Auch er erhielt sein wohlverdientes Falkenrecht.

Durch diese beiden glücklichen Erfolge wurde die Passion der Jäger lebhaft angeregt; die Gegend war reich an Wild und so kam es, daß man eine Beute machte wie fast nie zuvor. Man vergaß ganz, auf Pfad und Weg zu achten und befand sich zuletzt auf einer Waldblöße, die Keiner kannte; man hatte sich verirrt, und vielleicht gar auf fremdes Gebiet. Das war eine gar unangenehme Sache; der Grund und Boden, auf welchem man sich befand, konnte leicht einem der Männer gehören, welche den Absagebrief geschrieben hatten, und wurde man mit all' den Jagdvorrichtungen angetroffen, welche man bei sich führte, so stand vielleicht noch Schlimmeres zu erwarten, als eine bloße Zurechtweisung.

»Darüber mögt Ihr Euch nicht kränken,« meinte Herr Janeke von Stegelitz. »Wir stellen die Beitze ein und kehren ruhig nach Güntersberg zurück. Da links steht die Sonne, rechts geht es also zurück, wir werden wohl bald in eine Gegend gelangen, wo uns der Weg bekannt ist. Und werden wir ja von irgend einem Ueblen betroffen, so sind wir Mannes genug, uns unserer Haut zu wehren.«

»Ja, wenn wir zu einem ernsten Kampfe ausgerüstet wären und nicht zu einem leichten Jagdritte, wie ich höre,« brummte der Wachtmeister Elias Siebenhaut in den Bart. »Wenn ich nicht ganz und gar irre, so befinden wir uns hier auf Sukower oder gar Kremzower Gebiete, denn wir sind ein Weniges sehr weit nach Abend zu geritten, wie ich höre. Ich fürchte mich vor Niemandem, aber doch wollte ich, wir säßen auf Güntersberg bei unserm Dünnebiere! Greift in die Zügel, Ihr Leute, damit wir von hier fortkommen! Ihr seht, die beiden Ritter sind schon voran; auch sie scheinen ganz besondere Eile zu haben, wie ich höre!«

Er trabte mit seinen Knechten den Herren nach, welche Brunhilde wieder in ihre Mitte genommen hatten. Der Falkenmeister folgte zuletzt und ganz allein. So ritten sie, ohne es zu wissen, zwischen dem Flüßchen Ihna und der Stargard-zachaner Straße dahin und kamen eben über ein Stück offenen Bruchlandes, als eine Schaar Reiter aus dem jenseitigen Waldesrande hervorbrechen wollte, sich aber bei dem Anblicke der Jagdgesellschaft sofort wieder hinter die Bäume zurückzog. Wenige Sekunden später entfernte sich auf Befehl des Anführers ein Theil derselben nach der Seite hin, um den Nichtsahnenden in den Rücken zu kommen. Diese hatten jetzt den Bruch überschritten und schickten sich an, in einen Waldweg einzubiegen, als sie einen Reiter erblickten, welcher ihnen langsam auf demselben entgegenkam. Die beiden Ritter stutzten, als sie den ihnen Wohlbekannten erblickten, und Elias Siebenhaut murmelte ebenso überrascht:

»Das ist bei Gott Herr Friedrich von Wedel, wie ich höre, der den Fehdebrief heut mit unterschrieben hat.« Dann setzte er halblaut hinzu: »Macht die Klingen blank, Ihr Leute, es ist jetzt Krieg, und wir werden den Mann gefangen nehmen, der uns so glücklich in den Weg läuft!«

Dieser aber schien so Etwas gar nicht zu befürchten, denn mit der ruhigsten Miene von der Welt hielt er sein Pferd an und rief ihnen entgegen:

»Gott zum Gruß, Ihr liebewerthen Herren von Güntersberg und Stegelitz! Wenn ich nicht mit diesen meinen eigenen Ohren vernommen hätte, wie schön Ihr unser Schreiben dem Boten mit der Faust vergolten habt, so würde ich glauben, daß unsere Absage noch gar nicht zu Euch gelanget sei. Es will mich baß verwundern, daß Ihr unter diesen Umständen auf dem Grunde und Boden meines Freundes und Verbündeten, des Edlen von Kremzow, der Beitze pflegt und ihm das Wild wegnehmt, welches ihm allein gehört. Darum muß ich Euch bitten, mit nach Kremzow zu kommen, wo Ihr Euer Thun verantworten möget!«

»Nach Kremzow, Ritter? Ihr seid wohl nicht recht bei Sinnen?« antwortete Janeke von Stegelitz. »Ihr habt Euch doch wohl nur versprochen und meint, daß Ihr mit nach Güntersberg wollt, um an dem Mahle Theil zu nehmen, welches wir noch ungebraten in unseren Taschen bei uns führen!«

»Meint Ihr? Es ist seit langen Zeiten kein so schmuckes Jüngferlein auf Kremzow eingekehrt, darum will ich meinem alten Henning die Freude machen, sie ihm zuzuführen.«

»Wagt es, sie anzutasten!« rief jetzt Simon von Güntersberg, indem er das Schwert entblößte und gegen Friedrich von Wedel anritt.

Dieser war ein schlauer Kopf; er wollte die Feinde gern in die Mitte des Bruches zurück haben, um sie besser umzingeln zu können, und that daher jetzt, als wolle er vor Simon die Flucht ergreifen. Dieser folgte ihm mit Janeke und den Knechten, aber noch waren sie kaum einige Pferdelängen geritten, so brachen ringsumher die Reisigen Friedrichs aus den Büschen und schlossen die unbedachtsamen

Männer in ihre Mitte. Sofort entspann sich ein Kampf, der mit der Ueberwindung und Gefangennahme der Letzteren geendet hätte, wenn ihnen nicht ein eigenthümliches Ereigniß zu Hülfe gekommen wäre.

Der Falkenmeister nämlich war ein Weniges zurückgeblieben und aus diesem Grunde bei dem Angriffe nicht beachtet worden. Sobald er die Reiter herbeieilen sah, verdüsterten sich seine Mienen und die Stirn zog sich in zornige Falten.

»Das ist ein unglückseliges Ereigniß, welches mich verrathen kann,« sprach er vor sich hin, indem sein Auge Brunhilde suchte, welche am Waldesrande zitternd auf dem Pferde hielt und nicht wußte, ob sie fliehen oder bleiben solle. »Sie ist ungefährdet und soll auch den Vater behalten!«

Bei den letzten Worten zog er den Degen, stürmte auf die Kämpfenden zu und drängte sein Pferd zwischen Friedrich von Wedel und Simon von Güntersberg, deren Klingen sich gar lustig kreuzten. Mit einigen kräftigen, aber vorsichtigen Hieben schlug er Friedrich zurück, trennte ihn von dem Knäuel, den die Anderen bildeten, ab und raunte ihm dann heftig zu:

»Kennt Ihr mich noch, Vetter?«

»Bei allen Heiligen, bist Du es, Henning?«

»Schlagt zu, schlagt nur immer d'rauf los, als ob wir Feinde wären!«

»Warum denn? Was machst Du bei den Güntersbergern?«

»Das werde ich Euch später erzählen. Sagt dem Vater noch nicht, daß ich zurückgekehrt bin! Ich war nur erst auf Altenwedel, und der Ohm weiß, weshalb ich bei dem Simon bin. Ihr dürft heut' Niemand gefangen nehmen; begnügt Euch mit dem Gelöbnisse eines Lösegeldes!«

»Wenn Du es willst, so mag es sein! Du wirst wohl gute und ehrbare Gründe haben!«

»Bei Gott, das sind sie!«

»Nun wohl. Laß ab von mir!«

Dieses kurz abgerissene Gespräch wurde während eines heftigen Scheinkampfes geführt. Als die Beiden sich den Anderen wieder zuwandten, stieg Simon eben vom Pferde; er hatte sich der Uebermacht nicht länger erwehren können und beabsichtigte, dem Anführer sein Schwert zu übergeben. Dieser aber wies mit einem Winke der Hand das Ansinnen zurück. –

»Ihr habt Euch tapfer gewehrt, Ritter, und darum sollt Ihr Euren Degen behalten. Ich sehe gar wohl, daß Ihr nicht in feindseliger Absicht hierher gekommen seid, und darum will ich Euch nicht Eurer Freiheit berauben, trotzdem es mir und den Meinen großen Schaden bringen wird, wenn ich Euch ungehindert von hinnen gehen lasse. Die einzige Sühne, welche ich Euch für die Wunden, welche Ihr hier meinen Knechten geschlagen habt, auferlege, ist die, daß Ihr mir bis zum Tage des heiligen Johannes fünfzig Schock böhmischer Groschen zahlt. Versprecht Ihr mir das, so könnt Ihr mit den Euren gehen, wohin es Euch beliebt.«

»Das will ich gar wohl versprechen!« rief Simon von Güntersberg, erstaunt über die billige Bedingung, welche ihm ganz wider Erwarten gemacht wurde. »Aber sagt, woher es kommt, daß Ihr Euren Sieg um einen solchen Preis verkauft?«

»Das sollt Ihr wohl erfahren! Dieser Mann, welcher Euer Falkenmeister ist, wie ich aus seiner Kleidung ersehe, ist mir einst im fremden Lande begegnet und hat mir einen großen Dienst geleistet, den ich ihm noch schuldig bin. Er soll auch Euch zu gute kommen.«

»Welcher Dienst war dies?«

»Laßt es Euch von ihm selbst erzählen; aber haltet ihn in Ehren, denn Ihr bekommt keinen Andern wieder, der sich in allen ritterlichen Künsten mit ihm messen könnte, und ihm allein habt Ihr es zu verdanken, daß Ihr so glimpflich aus dem heutigen Treffen davonkommt. – Doch das betrifft blos Euch und die Eurigen,« fügte er hinzu, indem er sich nun mit finsterer Miene zu Janeke von Stegelitz wandte. »Ihr, Herr Janeke, habt unsern Boten mit Schimpf und Schande behandelt, ihn mit der Faust in das Gesicht geschlagen und ihm anbefohlen, diese Antwort, also den Faustschlag, uns zu bringen. Das ist eine schwere und bittere Beleidigung für uns und zugleich ein Thun, wie es sich nicht für einen Ritter ziemt, sondern nur bei gemeinen Knechten in Gebrauch zu sein pflegt. Dennoch will ich auch Eurer nach besten Kräften schonen um des Mannes willen, in dessen Nähe ich Euch getroffen habe. Ihr versprecht, mir bis zu demselben Tage Johannes des Täufers zweihundert Schock böhmischer Groschen ohne Einwand, Abzug und sonstige Verminderung zu zahlen, dann könnt Ihr meinetwegen fröhlich von hinnen reiten; weigert ihr Euch aber dieses Versprechens, so nehme ich Euch mit mir, und meine Verbündeten mögen dann bestimmen, gegen welche Buße Ihr freigelassen werdet.«

Das klang jetzt allerdings schärfer als vorhin, aber er mußte froh sein, überhaupt Bedingungen zur sofortigen Befreiung gemacht zu bekommen, denn eigentlich war mit seiner und der Gefangennahme Simons die Fehde schon vor ihrem ernsteren Beginne fast so gut wie beendet, da mit dem Ergreifen der Anführer der schlimmste Streich ausgeführt worden war, der überhaupt befürchtet werden konnte. Der Dienst, welchen der Falkenmeister Herrn Friedrich geleistet hatte, mußte ein sehr großer und bedeutender sein, wenn ihm solche Vortheile geopfert wurden, und so milde Gesinnungen durften nicht unbenutzt vorüber gelassen werden. Janeke nahm die Bedingung an und gelobte ehrliche und anstandslose Zahlung des Geldes. Nun wandte sich der nachsichtige Sieger zu Brunhilde, welche es während der letzten Verhandlung gewagt hatte, näher zu kommen.

»Gern hätte ich Euch, edle Jungfrau, mit nach Kremzow genommen, in dessen finstern Räumen das Weilen eines holden Wesens Licht und Freude ausgebreitet hätte, Euer Falkenmeister aber hat mich gebeten, Euch und die Euren nicht von der werthen Heimath zu trennen, und ich habe seinen Wunsch erfüllt, weil ich ihm ebenso, wie jetzt auch Ihr, zu großem Danke verpflichtet bin. Vergeßt dieses Dankes nicht, schöne Dame, und vertraut Euch seiner Obhut immer an, Ihr werdet wohlverwahret sein!«

Mit anstandsvollem Gruße verneigte er sich, winkte seinen Knechten und ritt davon. Der Jagdtrupp hielt noch eine Weile auf der Stelle. Man mußte über das Geschehene erst zur richtigen Besinnung und Ruhe kommen. Fragen und Antworten drängten sich hin und her, und ganz besonders war es Henning Friedländer, welcher Rede stehen sollte. Dieser aber wies die Neugierigen mit den Worten ab:

»Laßt diese Sache jetzt ruhen, Ihr Herren! Später werdet Ihr es ja erfahren, wogegen hier nicht der Ort zu langen Erzählungen ist. Noch sind wir nicht auf Güntersberger Flur und müssen vor allen Dingen darnach trachten, uns in Sicherheit zu bringen.«

Die Wahrheit, welche diese Weisung enthielt, war nicht in Abrede zu stellen; darum wurde sie auch befolgt und man ritt davon. Der Weg führte in vielen Windungen durch den Wald und mündete endlich auf die Straße, wo nun kein Verirren mehr zu befürchten war. Sie standen eben im Begriffe, den Forst zu verlassen, als um eine Krümmung der Straße herum zwei Reiter kamen, deren Kleinode an Panzer, Helm und Schild in den Strahlen der untergehenden Sonne erglänzten. Der Eine war von hoher, breiter und gebieterischer Gestalt, ein wahrer Enackssohn, für den jede einzelne Panzerschiene jedenfalls besonders zugeschmiedet werden mußte; der Andere zeigte eine kräftig untersetzte, gedrungene Figur, die nicht minder geeignet war, Respect einzuflößen. Sie waren in ein lebhaftes Gespräch vertieft und hatten die Güntersberger nicht bemerkt.

»Das ist der Henning von Wedel auf Friedland,« meinte Stegelitz. »Jetzt können wir uns unser Lösegeld verdienen grad' so, wie er es zu machen gedenkt! Wer mag der Andre sein, Vetter?«

»Kenne ihn nicht. Scheint auch nicht viel Spaß zu verstehen!«

»Nein, Spaß versteht der nicht, Herr Ritter,« berichtete der Wachtmeister Elias Siebenhaut. »Es ist nämlich der Heinrich von Bork auf Labasa, dem ich vor Euch einige Jahre gedient habe, wie ich höre, ein gar strenger und unbeugsamer Gast, der einen Ochsen bei den Hörnern faßt und ihn auf die Seite wirft wie eine alte, lebenssatte Milchziege. Die haben ganz sicher einen Spazierritt gemacht und kehren nach Kremzow zurück, wenn nicht etwas Anderes und Schlimmeres dahintersteckt, wie ich höre. Denn im vollen Harnisch reitet man blos dann aus, wenn man einen fröhlichen Tanz vor sich hat.«

»Der Henning und der Bork,« rief Stegelitz. »Das darf uns gar schön passen! Wenn wir sie gefangen nehmen, so haben wir den ganzen Kriegszug gewonnen. Drauf Ihr Leute; wir sind unserer genug, um sie niederzuschlagen!«

»Herr Ritter,« bat jetzt der Falkenmeister, »wenn es wirklich Herr Henning auf Friedland ist, so sind unserer nicht zur Hälfte genug, um ihn müde zu machen. Begebt Euch nicht in neue Gefahr, sondern laßt die Ritter ruhig vorüberziehen. Ihr könntet es sonst bitter bereuen!«

»Was sagst Du? Wie magst Du als ein Knecht es wagen, mir gute Lehren zu geben? Wenn Du Dein Maul noch einmal öffnest, so schlage ich Dich nieder! Wenn Niemand mitgeht, so werde ich mich ihnen allein entgegenstellen.«

Die Augen Friedländers warfen einen Blitz auf den Sprecher, welcher diesen aufmerksam gemacht hätte, wenn er weniger zornig gewesen wäre.

»Ob Ihr mich zu Boden schlagt, Herr Janeke, das würde sich zeigen. Ich sage Euch, zwanzig Männer wie Ihr würden bei mir keine Schiene brechen, und der Henning allein nimmt ihrer dreißig. Wenn Ihr wollt, so versucht Euer Heil, aber auf mich dürft Ihr Euch nicht zum zweiten Male verlassen. Ich bin nicht für den offenen Kampf, sondern nur zu Diensten für unsere Jungfrau gedungen und kann diesen Dienst nicht besser leisten, als daß ich Euch warne, denn Ihr bringt das edle Fräulein in eine Gefahr, aus welcher Ihr sie nicht wieder zu retten vermögt.«

Simon von Güntersberg sah die Wahrheit dieser Worte wohl ein, aber er durfte unmöglich zugeben, daß sein Knecht in dieser Weise mit seinem Freunde und Waffenbruder rede.

»Du wirst wohl schweigen,« gebot er, »und erst dann zu sprechen beginnen, wenn ich es von Dir fordere!« Und sich zu Janeke von Stegelitz wendend, fügte er hinzu:

»Es will mir allerdings erscheinen, daß es besser sei, wenn wir sie unbehelligt vorüberziehen lassen. Wir tragen nur unsere Wämser, sie aber ihre Schlachtgewänder, und dabei ist immer noch zu befürchten, daß der Friedrich von Wedel oder ein Anderer noch in der Nähe weilt und uns ein schlimmes Salz in die Suppe wirft.«

»Thut, was Ihr wollt, Vetter, aber ich sage Euch, wir können hier zu viel gewinnen, als daß wir nicht auch etwas wagen sollten, und wenn Ihr diese treffliche Gelegenheit unbenutzt vorüber laßt, so mögt Ihr Euch nur immerhin nach einem andern Bundesgenossen umsehen. Kann ich die Fehde mit einem Schlage beendigen, so werde ich sie nicht weiter führen, wenn Ihr mich an diesem Streiche hindert.«

»Aber meine Tochter?«

»Nun, es ist Euch ja genugsam gesagt worden, daß sie unter einem guten Schutze stehe. Laßt sie doch bei ihm zurück, bei Eurem Knechte, der sich weigert, für Euch das Schwert zu ziehen! Jetzt aber entschließt Euch; sie sind schon nahe genug!«

»Nun wohl, so mag es sein; ich will es mit Euch wagen. Legt das Jagdzeug weg und nehmt die Schwerter zur Hand. – Dir aber,« sprach er, zu Friedländer gewendet, »übergebe ich die Jungfrau. Sorge dafür, daß sie für alle Fälle sicher ist.«

»Ich wollte, er übergäb mich Dir auch,« meinte Elias leise zu dem Falkenmeister; »die Risse und Schmarren sind gar nicht zu zählen, welche wir da bekommen werden, wie ich höre. Wir haben sie gewarnt und ich werde das Meinige, so lange ich es erträglich finde, thun, dann aber – – na, wir werden es ja sehen, wie ich höre!«

Der Angeredete antwortete nicht. Er half, das Jagdzeug schnell in das Dickicht zu verbergen und nahm dann, abseits von den Anderen, am Waldesrande Platz, wo er bleichen Angesichtes zwischen einigen engverwachsenen Stämmen hindurchlugte.

Die beiden Ritter wurden vorübergelassen und dann mit stürmischer Hast von hinten angefallen. Bei dem ersten Geräusch, welches die Huftritte der Pferde hervorbrachten, wandten sie sich um.

»Das sind Güntersberger,« rief Henning von Wedel; »wie kommen die hierher? Schlag fein sanfte zu, Bruder Heinrich, sonst zerspringen sie in Scherben. Nur immer leise, leise!«

Dabei richtete er seine stolze, herkulische Gestalt hoch im Sattel empor, ballte die gewappnete Faust und schlug damit den Wachtmeister, welcher mit einigen Knechten von der einen Seite herandrängte, während Simon die andere zu gewinnen suchte, so aufs Haupt, daß er vom Pferde sank; die Knechte folgten, ehe sie sich zur Flucht besinnen konnten, und dann erst griff er zum Schwerte, indem er Simon von Güntersberg, dessen Hiebe er bisher gleichgültig hingenommen hatte, zurief:

»So macht man es mit den Knechten; der Ritter aber soll auch ritterlich bedient werden!«

Gleich mit dem ersten Streiche schlug er ihm den Degen in Stücke, dann faßte er ihn beim Wamms, riß ihn mit der Linken herüber, so daß er nur mit einem Fuße im Bügel hing, und erhob die Waffe zum tödtlichen Stoße.

»Gnade oder nicht?!« frug er kurz und gebieterisch.

»Gnade!« bat der so hart Bedrängte.

»So soll sie Euch werden gegen die schuldige Sühne!«

»Auch schon fertig?« rief in diesem Augenblicke lachend Heinrich von Bork, indem er auf Janeke von Stegelitz deutete, welcher abgestiegen war und blutend an seinem Pferde lehnte.

»Bei solchen Streitern ist des Vergnügens zu wenig und des Jammers zu viel. Ein einziger Schwerthieb bringt einen gefangenen Ritter und drei Knechte an den Boden. Und dazu kommt dort noch der Kremzow hinter uns her mit seinem Haufen. Die können nur immer umkehren, denn nun wir die Herren haben, brauchen wir den Dörfern nichts zu thun!«

Wirklich nahte ein Haufen Reisiger, an deren Spitze Henning von Kremzow ritt. Sie hatte im Begriffe gestanden, einen Streifzug auf das Güntersbergische zu machen und wunderten sich nicht wenig, die beiden vornehmsten ihrer Gegner hier so plötzlich und unerwartet gefangen zu sehen. Diese wurden ihrer Waffen entledigt und in die Mitte genommen.

»Ihr befandet Euch auf der Jagd, wie ich aus Eurer Ausrüstung sehe. Wo habt Ihr Euer Geräthe und Diejenigen, welche bei ihm wachen müssen?« frug Henning von Wedel. Aber er erhielt keine Antwort, und nur nach langem Drängen rief Simon von Güntersberg erbost:

»Sucht selbst, ich mache Euern Fanghund nicht!«

»Gut, vielleicht waren die Herren auf der Beitze, und dann führten sie wohl auch das »Röslein von Güntersberg« mit, wie Eure Tochter ihrer Lieblichkeit wegen genannt wird. Ich kenne sie nicht und habe sie schon längst gern sehen mögen.«

Die Unruhe, welche sich bei diesen Worten in den Zügen Simons nicht verkennen ließ, bestätigte sein Vermuthen, und so gab er den Befehl, daß die Gegend sofort und treulich abgesucht werden solle; er selbst werde dabei helfen.

»Ihr wißt, Herr Simon, daß wir einst gute Freunde waren, ehe Der von Stegelitz Euch den Kopf verdrehte. Damals hat Euer Töchterlein oft mit meinem Buben gespielt, und ich habe es auf meinen Knieen geschaukelt. Der Bube ist in die Fremde, aber er kehrt bald wieder, und da wäre es doch schön, wenn er die Gespielin wiederfände. Ich werde sie für ihn suchen!«

Diese scharf gesprochenen Worte, scheinbar eine Freundlichkeit enthaltend, erfüllten den Vater mit bitteren Befürchtungen. Er mußte den Knechten folgen, welche ihn davonführten, und die einzige Hoffnung, welche ihm blieb, war diejenige auf die Umsicht und Treue des Falkenmeisters, dem er sein Kind anvertraut hatte. Mit stillem Grimme dachte er an die Unvorsichtigkeit, mit welcher er, der Mahnung desselben entgegen, dem Willen Dessen von Stegelitz nachgegeben hatte, nachdem ihnen doch gleich vorher durch Friedrich von Wedel eine ernste Lehre geworden war. Er selbst konnte möglicherweise, von einem günstigen Umstande unterstützt, sich seiner jetzigen Lage noch entziehen; wurde aber auch Brunhilde gefangen, so wurde die Lösung schwieriger und mit größeren Opfern verbunden. Darum gelobte er sich, Friedländer stets in hohen Ehren zu halten, wenn es diesem gelänge, das Mädchen glücklich nach Güntersberg zu geleiten. –

9.
Unter den Vitalienbrüdern

Im Norden der germanischen Länder vermählt sich der atlantische Ocean durch das deutsche Meer und die Ostsee mit den niedrigen Küsten, welche weich und niedrig in die Fluthen steigen, um sich in dem »Millionentropfen« zu baden, wie eine alte scandinavische Heldensage das Meer benennt.

Die ausgedehnte Wasserstrecke des Nordostens gehört dem fast abgeschlossenen und beschränkten Binnenmeere der Ostsee an, welche von kalten, meist ziemlich unfruchtbaren, schwachbevölkerten und nur langsam civilisirten Landesgrenzen umschlossen wird. Dort waren die wechselvollen Winde und der kurze, krause Wellenschlag von jeher keineswegs geeignet, zu weiten Schifffahrtsversuchen mit gebrechlichen Fahrzeugen zu ermuthigen. Dazu kam, daß die einspringenden Buchten des baltischen Meeres oft erst im späten April von den Eisdecken des langen Winters befreit wurden, die Küsten wenig natürliche Anlage zur Hafenbildung zeigten, lange Strecken derselben durch einen seltsamen Dünenkranz gesperrt waren und die Verbindung des Binnenlandes mit der hohen See durch die Seichtigkeit der kleineren Flüsse ebenso bedroht wurde wie durch die unaufhaltsame Versandung der Mündungen der größeren Stromgewässer.

Auch die Nordsee, oder wie sie richtiger heißt, das deutsche Meer hat noch viel von der Lage eines Binnenmeeres. Sein kürzester Weg von Deutschland aus in den freien Ocean führt durch die enge Straße von Calais, die eben so leicht durch fremde Seemächte versperrt werden, wie durch ihre gefahrvollen Strömungen abschrecken konnte. Auch die langgestreckten Küsten dieses aufgeregtesten aller Meere leiden einen empfindlichen Mangel an geschirmten Häfen und Schiffsstationen, an sicherem Fahrwasser und windstillen, bergenden Golfen. Ueberdies sind sie zu jeder Zeit ungeheuren Veränderungen und Verheerungen durch furchtbare Sturmfluthen ausgesetzt gewesen, welche von Nordwesten über das Land hereinbrachen und mit ihren Wogenkrallen ganze Landestheile in den nimmersatten Schlund des Meeres rissen. Aber der dort wohnende Volksstamm der Friesen und Sachsen hat es jederzeit verstanden, dem Elemente zu trotzen, das Küstenland durch kostspielige Dämme und Deiche zu schützen und im Kampfe mit dem Meere demselben immer wieder neuen Boden abzugewinnen, und seine Angehörigen sind es gewesen, welche sich seit uralten Zeiten mit nie gebrochenem Muthe auf die trügerischen Wogen hinausgewagt haben.

Ja, es gab eine Zeit, in welcher Deutschland auf den beiden nordischen Gewässern und weit über sie hinaus eine weltgeschichtliche Bedeutung erlangte. Dies war die Glanzperiode der deutschen Hansa. Dieser ursprünglich von Hamburg und Lübeck abgeschlossene Handelsbund umfaßte nach und nach über achtzig Städte, hatte mehrere ausländische Kolonien und zeichnete sich durch merkwürdige, fast klösterliche Einrichtungen aus. Damals fehlte für die nordischen Seen noch die Weltverbindung durch die Oceane; der Verkehr war meist nur auf die angrenzenden Meerbusen und Binnengewässer beschränkt; die an der Nord- und Ostsee wohnenden außer-deutschen Völker hatten jene hohe und geordnete Kraftentwicklung auf der See noch nicht begonnen, durch welche sie den Deutschen später einen so gewaltigen Vorsprung abgewannen, und es wurde die Hansa ganz unberufen des Reiches Seemacht, welche mit Klugheit, Muth und zäher Ausdauer alle Vortheile benutzte, sich zur kräftigsten und ausgedehntesten Geltung zu bringen. Die Entdeckung und kaufmännische Belebung ferner Straßen und Länder, die Weiterverpflanzung des Christenthumes, die Erziehung der Marine und des Handels von Großbritannien, die Bändigung der ungezähmten Normannen, die Niederhaltung der dänischen Herrschaft, die Entscheidung über die Besetzung des schwedischen Thrones, die Befreiung der Meere vom Raubgesindel, welches dieselben unsicher machte, eine weit verzweigte Colonisation an und auf dem baltischen Meere und die Sicherung ihrer Freiheit gegen Vergewaltigung durch äußere Feinde, das alles war das Werk ihres kräftigen und nachdrucksvollen Handelns. Ein ganzes Heer von wohlbewaffneten Söldnern stand in ihrem lohnenden Dienste, um ihre Karawanen gegen das verwegene Raubritterthum zu schützen; ihre Gesandten und Bevollmächtigten standen in hoher Geltung bei allen Fürsten und Höfen; ihre Gelder thaten Wunder; ihre Protection galt oft mehr als die Freundschaft eines Königs, und ihre Schiffe durchfurchten den Ocean nach allen Richtungen, in denen es möglich war, Macht und Ansehen zu vergrößern und den Reichthum zu vermehren.

Wie zu Lande, gab es damals auch zur See eine Menge Leute, welche ernteten, da sie nicht gesäet hatten und am liebsten nach dem griffen, was ihnen nicht gehörte. Ein wohlbemanntes und gutgebautes Fahrzeug auf offenem Meere bildete gewissermaßen einen kleinen souveränen Staat, der sich keiner fremden Macht unterwarf, seine eigenen Gesetze und Bestimmungen hatte und nur dann einmal sich in fremden Dienst stellte, wenn er seinen Vortheil dabei fand. Diese Art Leute führten ein freies, ungebundenes, Wechsel- und abenteuervolles Leben, und es war daher nicht zu verwundern, daß grad' die unruhigsten und unternehmendsten Character die Planken eines Kapers suchten und fast täglich Thaten verrichtet wurden, welche des Heldenthums würdig gewesen wären, wenn sie einen edleren Zweck gehabt hätten.

Eine Gesellschaft besonders war es, welche zwar nicht unter sich geschlossen, aber doch zusammenhängend und vielfach in ihren einzelnen Gliedern verbunden, das Handwerk der »freien See« im ausgedehntesten Maßstäbe betrieb und eine solche Macht bildete, daß selbst Fürsten nach ihrem Beistande strebten. Es waren die Vitalienbrüder, unter welche uns jetzt der Gang unserer Erzählung führt. –

Wenn man von Hamburg aus die Elbe abwärts fährt, so gelangt man an die Insel Neuwerk, welche in der Mündung des Stromes liegt und aus einem öden, flachen Marschlande besteht.

Es war ein unfreundlicher Abend, an welchem es sich bei dem flackernden Heerdfeuer besser saß als draußen im Freien. Ein hohler Nordwest strich pfeifend über das vollständig im Dunkeln liegende Eiland und peitschte die großen, schweren Regentropfen gegen die geschlossenen Läden einer armseligen Hütte, welche einige Hundert Schritte entfernt vom Rande lag. Da öffnete sich die Thür; ein heller, schmaler Lichtstreifen fiel durch dieselbe in die Nacht hinaus und beleuchtete eine kleine, verschobene Männergestalt, welche, die Augen mit beiden Händen gegen das Wetter schützend, das Dunkel zu durchdringen strebte.

»Mach' die Thür zu, Heinrich,« rief hinter ihm eine tiefe, rauhe Weiberstimme; »der Regen schlägt herein, und der Wind bläst mir das Feuer durch die Esse! Auch ist es Mitternacht, und die ist keines Menschen Freund. In der Weidenbucht hat es gestern wieder einmal so sonderbar gepurzelt; das kostet ein Menschenleben, und der alte Willrich hat mir erst heut erzählt, daß sich das schwarze Schiff im Flusse sehen läßt; das giebt wieder Blutvergießen, wie damals im Herbste, als es dreimal hinter einander gesehen wurde und gleich darauf die vielen Leichen angeschwommen kamen. Man hat sie aufgefischt, aber nie erfahren können, woher sie stammten.«

»Und das ist ganz gut, denn sonst hättest Du Dir über jede einzelne eine Gespenstergeschichte ausgesonnen, die ich täglich zehnmal anzuhören bekäme.«

»Eine Gespenstergeschichte? Denkst Du etwa, daß ich abergläubisch bin? Noch lange nicht so, wie die Rieke Hannecken, nein, gar nicht so, sage ich Dir, aber es giebt doch zwischen Himmel und Erde Dinge, die man nicht verstehen kann; und was von der Erde fort ist und nicht in den Himmel darf, wo soll denn das anders zu finden sein, als in der Luft und auf dem Wasser! Die Rieke Hannecken hat mir erst vorhin gesagt, daß – –«

»Sei still mit Deiner Rieke Hannecken,« gebot der Kleine, indem er die Thür wieder schloß und sich zurück an das Feuer setzte; »ich mag von dem Weibe nichts wissen!«

»Das weiß ich wohl. Du magst von gar Niemanden mehr etwas wissen, auch von mir nicht. Alle Tage bist Du fort, und kommst Du des Abends ja nach Hause, so bleibt das Lager leer und Du gehst bei Wind und Wetter am Strande draußen spazieren. Ich habe es bisher gelitten und mir im Stillen den Kopf darüber zerbrochen, was Du nur immer auswärts zu suchen hast.«

»Laß das nur unterbleiben; es hilft Dir doch nichts!«

»So? Ich als Frau soll Dich täglich fortlassen, ohne einmal nachdenken zu dürfen, wo Du hingehst? Und mein Sinnen hilft mir doch nichts? Hältst Du Dich wirklich für so klug, daß ich nicht erfahren sollte, was Du treibst und was Dir anliegt? Liebesgedanken sind es, Liebesgedanken, denen Du nachhängst, die Rieke Hannecken hat es mir gesagt! Ein Mann, der mit seiner Frau nicht spricht, immer ohne ihren Willen fortgeht, sich schlaflos auf dem Lager herumwälzt und sich keine Rede und Antwort abkaufen läßt, der ist verliebt, hat sie gesagt. Es ist auch vor kurzer Zeit Eine bei Ihr gewesen, der hat sie eine Latwerge von Salbey, Beifuß und Gänsekropf machen müssen, und das ist ein Trank, der auch den treuesten Ehemann von Sinnen bringt, wenn er zur guten Zeit und im richtigen Tempo gebraut wird. Besinne Dich, wo Du so etwas getrunken hast!«


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