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»O mein Gott, wo bin ich? Wo hat mich der Bösewicht jetzt hingebracht? Ja, es ist nicht anders, er will mich ermorden! Meine lieben, guten Kinder, wo seid Ihr? Hat man Euch auch schon um's Leben gebracht? Werde ich Euch nicht mehr wiedersehen?«
Die Worte verschwammen allmälig in einem dumpfen Jammern, und Suteminn trat rasch zu der Thüre des kleinen Gemach's, öffnete sie und stand einer großen, schlanken Frau gegenüber, deren von jahrelangem Gram durchfurchte Züge auch jetzt noch Spuren einstiger hoher Schönheit trugen.
Das große, dunkle Auge auf den Ritter gerichtet, stand sie einen Augenblick stumm da; Suteminn begegnete diesem Blick zwar fest, doch aber mit Milde, und war eben im Begriff, die Frau anzusprechen, als sie in einem Ausbruch der Verzweiflung oder auch unter dem überwältigenden Gefühl einer momentanen lichten Eingebung mit dem gellend hervorgestoßenen Schrei in die Kniee sank:
»Rette mich! – Gieb mir meine Kinder wieder!«
Der Ritter hob die Frau empor, führte sie zu einem in der Nähe stehenden Stuhl und redete ihr mit allen im Augenblicke ihm zustehenden Trostesworten sanft zu.
Sichtlich glaubte er selbst nicht an eine Wirkung seiner Trostesworte, denn er rief Detlev herbei und beauftragte ihn, so lange bei der Frau zu bleiben, bis er wiederkommen würde.
Wenige Minuten vergingen nur, als er bereits zurückkehrte; aus einem Fläschchen goß er einige Tropfen in einen Löffel und flößte diese der sich gewaltig sträubenden Frau ein.
Bald versank diese hierauf wieder in einen festen Schlummer, und befriedigt verließ er das Stübchen. Noch einige Male im Laufe des Tages besuchte er die noch immer nicht aus ihrem Schlafe erwachte Frau, und als er gegen Abend wieder bei ihr gewesen war, rief er Detlev in sein Arbeitszimmer.
»Ich werde in der Nacht noch aufbrechen, um morgen in Potsdam mit einem Bekannten eine Unterredung pflegen zu können, und vor morgen Abend nicht zurückkehren. Sobald die Frau erwacht sein wird, gieb ihr von diesen Tropfen eine hier am Glase selbst bezeichnete Quantität. Ich verstehe, was Du sagen willst,« fuhr er fort, als er bemerkte, daß Detlev eine Einwendung beabsichtigte; »die Frau wird nach meiner Ueberzeugung sich nicht mehr sträuben, die Medicin einzunehmen. Ich hoffe auf ihre vollständige Wiederherstellung.
»Hast Du Jobst seine Beschäftigung angewiesen?«
»Ja, und mir scheint, der Bursche ist brauchbar!«
»Hm, die Furcht vor den beiden Wächtern wird ihm wohl den Gehorsam und die Willfährigkeit beigebracht haben. Der Bursche war ein Quitzower, und den Leuten kann ich nicht ohne Weiteres Vertrauen schenken!«
Detlev verließ das Arbeitszimmer des Ritters, und dieser schritt nun in Gedanken versunken auf und ab.
»Ist denn,« murmelte er, »mein Gedächtniß wirklich so schwach geworden, daß ich mich nicht zu entsinnen vermag, wo ich die unglückliche Frau bereits gesehen habe? Und ich muß sie gesehen haben, ich muß sie kennen – doch warten wir es ab! – Dietz, Deine Schuld wächst furchtbar!«
Der Ritter verließ, wie verabredet, in der Nacht noch sein Haus und kehrte zur bestimmten Zeit wieder zurück.
Zu seiner Freude nahm er die täglich fortschreitende Besserung der Kranken wahr, und nach Verlauf von wenig Wochen war diese bereits so weit hergestellt, daß Suteminn es glaubte wagen zu dürfen, im Gespräch auf ihre Vergangenheit anzuspielen.
Leider blieben diese Versuche noch vergebens. Das Gedächtniß des Aermsten schien vollständig geschwunden zu sein. Das Niederdrückende dieser Wahrnehmung wurde zu gleicher Zeit aber nahezu aufgehoben durch eine Beobachtung, welche einen so tiefen Eindruck auf ihn machte, daß er im ersten Augenblick sich nur mit Mühe beherrschen konnte, seiner Ueberraschung nicht lauten Ausdruck zu geben.
Hocherregt sprang er vom Stuhle auf, und verließ das Zimmer.
Ganz unbemerkt war seine Erregung jedoch nicht geblieben, denn unmittelbar hinter ihm trat die Alte in sein Zimmer.
»Verzeiht, edler Herr, daß ich wage, Euch hier zu stören!«
»Es muß gewiß etwas Wichtiges sein, was Du mir erzählen willst!« rief der Ritter halb spöttisch, halb unwillig.
»Gewiß, edler Herr. Wenn ich mich nicht sehr getäuscht habe, ist Euch heute etwas aufgefallen, was mich schon längst in Gedanken beschäftigt hat!«
»Nun?«
»Es ist dies die große Aehnlichkeit zwischen Marie und der unglücklichen Frau!«
»Du hast scharfe Augen, Alte! Hast Du weiter nichts gesehen?«
»Nein, edler Herr, was denn?«
»Dann schaffe Dir noch schärfere Augen an. Mir aber muthe nicht zu, daß ich Deine Neugierde befriedigen soll. Entferne Dich!«
Die Alte kannte den Ritter zu genau, um nicht zu wissen, daß selbst der geringste Widerspruch Gefahren für sie herbeiziehen könnte; sie entfernte sich deshalb eiligst, nicht ohne jedoch den festen Vorsatz gefaßt zu haben, das hier obwaltende Geheimniß um jeden Preis zu ergründen.
Gelegenheit hierzu schien sich ihr recht bald zu bieten.
Der Ritter rüstete sich zu einem, den Vorbereitungen zufolge, sicher längere Zeit beanspruchenden Ausfluge, und auch Detlev ließ hie und da Andeutungen hören, er werde dem Ritter möglicherweise folgen.
Der Tag der Abreise des Ritters kam heran und Suteminn hatte nur noch eine längere Unterredung mit Detlev.
»Meine ursprüngliche, Dir bekannte Absicht, Herrn Hans von Uchtenhagen selbst noch einmal zu besuchen, habe ich nicht ausführen können, ich werde deshalb Dich zu ihm senden, und thue dies um so lieber, als Du Gelegenheit haben wirst, mit einem Ritter persönlich bekannt zu werden, dem ich volle Achtung zolle. Du wirst deshalb morgen Herrn Hans von Uchtenhagen aufsuchen und ihm dieses Schreiben hier übergeben!«
Detlev versprach pünktliche Erfüllung des erhaltenen Auftrags und der Ritter verließ nach einem warmen Abschiede das Haus und ritt in nördlicher Richtung fort.
»Ich muß also zu Haus bleiben?« murmelte Detlev unzufrieden vor sich hin, als er in den Hof zurücktrat. »Schlimm! Sehr traurig!«
Dietz und Kuno von Quitzow weilten beide noch auf dem festen Sitze derer von Uchtenhagen.
In Hinblick auf die längere Zeit dauernde Abwesenheit des Markgrafen von Potsdam und die Unmöglichkeit, den eigentlichen Zweck der beabsichtigten Reise nach der genannten Stadt unter diesen Umständen erreichen zu können, hatten sie die freundliche Einladung der beiden Brüder um so bereitwilliger angenommen, als sie weder von ihrem Vetter Claus von Quitzow, noch von den Herren von dem Kruge oder einem Verwandten oder anderen früheren Bekannten viel wissen oder bei ihrer Mittellosigkeit vielleicht gar abhängig sein wollten.
Hans von Uchtenhagen hatte ihnen bereits wiederholt von einem Unternehmen erzählt, das nicht nur mit vielen Gefahren verbunden sein, sondern auch viel Anerkennung zur Folge haben werde, und sie zur Theilnahme eingeladen.
Mit Freuden hatten Dietz wie Kuno sich dazu bereit erklärt.
Eines Tages saßen sie im Saale und besprachen wieder vereint dasselbe Thema, als der Thorwart das Herannahen eines Herrn meldete.
Herr Hans von Uchtenhagen trat an das Fenster und rief, als er den Ankommenden erblickte, überrascht:
»Welche Hünengestalt naht sich uns dort?«
Diese Frage wurde bald durch den rasch eintretenden Fremden selbst gelöst, welcher sich als Junker Detlev, der Abgesandte des Ritters Suteminn, der besten Aufnahme zu erfreuen hatte.
Wohl zog Detlev die Stirn einen Moment kraus, als er hörte, daß die beiden fremden Junker, die ihm ebenfalls in liebenswürdigster Weise entgegen kamen, zwei Quitzow's seien; doch beherrschte er sich soweit, daß er ihnen seine Abneigung gegen alle Träger des Namens Quitzow nicht deutlicher zu erkennen gab.
Als er vor seinem Weggange mit Herrn Hans von Uchtenhagen und den Junkern über den Schloßhof schritt, erscholl plötzlich hinter ihm eine barsche Stimme:
»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche; ist denn der Herr dort nicht der Riese, welcher den Ritter Henning von Pismarck an dem Apende pegleitete, an dem der Ritter mir mit seinem Eisen derart üper den Schädel fuhr, daß mein alter Gehirnskasten noch acht Tage lang wie eine Pasgeige prummte und ich heut noch ein Loch im Kopfe hape?«
Erstaunt wandte Detlev sich um und erkannte auch sofort den Mann wieder, welchen Herr von Bismarck im Walde in dem Augenblicke niedergeschlagen hatte, als er die unglückliche Frau, welche jetzt bei seiner Schwester weilte, zum Weitergehen zwingen wollte.
»Donnerwetter, Kerl,« rief er verwundert, »Dein Schädel muß eine außerordentliche Stärke besitzen, daß Du nach einem so gewaltigen Schlage, wie der Ritter ihn an jenem Abende gegen Dich ausführte, noch umherlaufen kannst!«
»Ja, es war ein deiwelmäßiger Hiep und ich hape lange Zeit pewußtlos im Schnee gelegen, mich dann aper, als ich wieder zu denken vermochte, aufgerichtet und pin hierher gegangen, um die Junker zu suchen. Den Hiep werde ich pei dem nächsten Strauß einigen Hallunken weitergepen, die mir gewiß in die Hände laufen werden!«
Herr Hans von Uchtenhagen hatte diesem kurzen Zwiegespräch mit wachsendem Erstaunen zugehört und der Junker Dietz von Quitzow war rasch nähergetreten.
»Ihr seid also,« fragte der Erstere, »der Begleiter des Herrn Henning von Bismarck an jenem Abend gewesen, an welchem der treue Knappe des Junkers Dietz beinahe ein Opfer seiner Vorsicht geworden wäre?«
Noch ehe Detlev zu antworten vermochte, rief Junker Dietz hastig:
»Theilt mir zu meiner Beruhigung doch mit, was mit der Frau geschehen ist, die Liebenow damals zu mir führen sollte?«
»Jobst scheint also doch die Wahrheit berichtet zu haben!« murmelte Detlev und erzählte dann in gedrängter Kürze die bereits bekannten Vorgänge. »Nach den Mittheilungen, die ich durch Jobst erhalten,« schloß er, zu dem Junker gewandt, »kann ich Euch Eurer Unerschrockenheit wegen nur meine ungetheilte Bewunderung aussprechen. Es gehört in der That ein hoher Grad von Muth dazu, einem zahlreichen Haufen Räuber und Mörder gegenüberzutreten!«
»Ich theile ganz Eure Meinung,« bemerkte hier der Ritter, »und bin dem Junker, der mir ja das Leben gerettet hat, zu hohem, zu lebenslänglichem Danke verpflichtet. Hat Jobst Euch von den, auch mich direct berührenden Vorgängen an jenem unvergeßlichen Abende eingehender gesprochen?«
Auf Detlev's Erwiderung, daß er außer dem bereits Erzählten nichts wisse, unterrichtete er ihn nun von seiner Gefangennahme und dem Aufenthalt in der Höhle der Räuber und von dem, was Junker Dietz für ihn und die übrigen Gefangenen der Bande gethan, sowie davon, daß er entschlossen gewesen, für die unglückliche Frau, deren Geist sich in Folge der erlittenen Qualen während ihrer Kerkerhaft umnachtet, zu sorgen, an der Bethätigung dieses Entschlusses aber durch das Ausbleiben des Knappen, welchem die Führung der Befreiten bis zu der ihm genau bezeichneten und auch bekannten Stelle übertragen, verhindert worden sei.
»Wir vermochten uns,« meinte er hierbei, »diese Unpünktlichkeit des dem Junker mit Leib und Seele ergebenen Knappen nicht anders zu erklären, als, er sei das Opfer einer blutigen Begegnung geworden und waren froh überrascht, als wir ihn am folgenden Tage gegen Abend hier ankommen sahen!«
Detlev schien inzwischen seine Gesinnung gegen die Junker Dietz und Cuno von Quitzow vollständig geändert zu haben, denn er reichte ihnen die Hand und sprach in warmem Tone:
»Vergebt, daß ich einen Augenblick einen, wie ich jetzt wohl einsehe, falschen Verdacht gehegt habe. Verhältnisse, die Euch nicht bekannt sein werden, bewogen mich, als ich Euren Namen hörte, eher an alles Andere, als an eine so heldenmüthige That, an eine so hochherzige Beweisführung Eurer edlen Gesinnung zu denken, und ich glaubte, offen gestanden, daß der Unglücklichen erst in dem Augenblicke zur Freiheit verholfen worden sei, als Euer Knappe niedergeschlagen worden. Heut' denke ich freilich anders und wünsche näher mit Euch bekannt zu werden!«
Das Auge Dietz's verdunkelte sich anfangs; der ziemlich klare Hinweis Detlev's auf eine durch einen Quitzow erlittene Unbill ließ ihn in keinem Zweifel darüber, daß ein naher Verwandter, ja vielleicht der Vater selbst in das Leben des Junkers hindernd eingegriffen haben müsse. Die Schlußworte des Letzteren gaben ihm indeß die beruhigende Gewißheit, daß Junker Detlev weder von blinder Rachgier beseelt werde, noch auch der Unversöhnlichkeit zuneige.
Nur wenige Worte wechselten sie noch, Beide waren aber in dem Momente überzeugt, daß sie Freunde werden würden.
Bald darauf trat er, unzufrieden mit dem Befehle seines Pflegevaters, während seiner Abwesenheit zum Schutze der Frauen und des Hauses in Tangermünde zu bleiben, den Rückweg an. Wie gern wäre er in Begleitung Hans von Uchtenhagens und der Junker von Quitzow, von denen besonders der Aeltere, Dietz, seine volle Zuneigung gewonnen, zum Kampfe ausgezogen – die strenge Weisung des Ritters bannte ihn aber in die Räume des sogenannten Zauberhauses; er mußte gehorchen!
Unmittelbar nach der Abreise Detlev's leitete Herr Hans von Uchtenhagen die nöthigen Vorbereitungen zum sofortigen Aufbruch ein und Junker Dietz rief Caspar Liebenow zu sich:
»Caspar, wir werden nach Hamburg gehen und von dort einen Transport nach den Marken zurückbegleiten!«
»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche,« rief Liebenow erfreut und erstaunt, »pis nach Hampurg? Das ist ja verteufelt weit! Na, ich will nur wünschen, daß sich uns irgend ein Strauchdiep zu nahen wagt. Es thut Noth, daß ich wieder einmal d'reinschlagen kann, sonst verrostet mein Schwert, ehe ich die vom Herrn Ritter von Pißmarck erhaltenen Hiepe weiter zu gepen vermocht hape!«
Heiter gestimmt durch die eigenthümliche Aeußerung der Freude seines treuen Knappen, erwiderte der Junker freundlich:
»In diesem Falle wirst Du meiner festen Ueberzeugung nach allerdings nicht zögern, den Strauchdieben die Lust zum Stehlen auszutreiben. Vielleicht gereicht es Dir weiter noch zur Freude, wenn ich Dir mittheile, daß der Ritter Dich morgen vor dem Aufbruch noch in Deine seitherige Würde als Wachtmeister wieder einsetzen wird!«
Der alte Haudegen stand, als er diese Worte hörte, erst einen Augenblick unbeweglich, dann aber fing er an, seiner freudigen Ueberraschung so lauten Ausdruck zu geben, daß der Junker erstaunt ausrief:
»Caspar, treue Seele, bist Du toll geworden?«
»Gott straf mich, wenn ich fluche, Herr Junker,« erwiderte Liebenow, »ich freue mich ja nur, wieder Wachtmeister zu sein! Hurrah, nun kann's losgehen!«
Lachend entfernte sich der Junker.
Es war aber ungewiß, ob dieses Lachen nur der Freude seines Knappen gelte oder ob irgend ein im Augenblick in ihm aufgestiegener Gedanke, der indessen mit der Reise in Verbindung stehen mußte, ihn zu dieser Heiterkeit bewege. Der von einem leichten Kopfschütteln begleitete, halb ironische Blick, welchen der Junker auf seinen rauflustigen Diener richtete, schien für die letztere Annahme zu sprechen.
Ohne Aufenthalt oder irgend welche Begegnung gehabt zu haben, kamen sie in Lauenberg an, wo mehrere Knechte zurückgelassen wurden mit dem strengen Auftrage, jedem nach dem Zweck ihres Aufenthalts an diesem Orte Fragenden zu erzählen, daß sie den Ritter Heinrich von Strantz und dessen Leute erwarten und dann einen Waarentransport zurückbegleiten würden.
Wie diese Knechte ihrer Aufgabe Genüge leisteten, ist den Lesern bereits bekannt.
Hans von Uchtenhagen zog mit seiner Begleitung und den anderen Knechten dann bis Hamburg, brachte diese erst in Gasthäusern unter und begab sich dann an den Hafen. Noch hatte er diesen nicht vollständig erreicht, daß er plötzlich seinen Namen nennen hörte.
Rasch wandte er sich um und blieb mit einem lauten Ausruf der Freude stehen.
Aus der zunächst gelegenen Seitengasse trat soeben der Ritter Suteminn hervor. Neben ihm schritt ein hochgewachsener, stattlicher Herr, in welchem er sofort einen Engländer erkannte.
Im Augenblick schwebte ihm die Frage auf den Lippen, ob dieser Fremde nicht etwa der Leiter des von England angekommenen Transportes, der Graf Warwick, sei, und Suteminn zögerte auch nicht, sich die Gewißheit zu verschaffen, daß seine Annahme richtig sei.
Kaum waren die gegenseitigen Begrüßungen vorüber, als Suteminn zu Hans von Uchtenhagen gewandt entrüstet ausrief:
»Die an der Nordgrenze der Marken und jenseits der Elbe ihr Unwesen treibenden Raubritter scheinen in Potsdam und wohl auch in Brandenburg recht gute Freunde zu besitzen, denn nicht nur die Geldangelegenheit, sondern auch die Zeit der Ankunft des Schiffes ist ihnen verrathen worden!«
»Ah!« rief der Uchtenhagener, »dann werden wir also wirklich einen Strauß zu bestehen haben! Nun, ich bin darauf vorbereitet und begierig, bei der Gelegenheit zu erfahren, wem danach gelüstet, die Schärfe unserer Klingen zu erproben!«
»Die Betreffenden sind schlauer gewesen, als wir geahnt haben,« bemerkte Suteminn spöttisch lachend. »Zum Glück ist es dem Herrn Grafen Warwick aber gelungen, dem Rolf Vendaskiold ein Schnippchen zu schlagen!«
»Rolf Vendaskiold? Dem gefürchteten Piraten im nordischen Meere? O bitte, erzählt mir Näheres!«
»Ich bin gern bereit, Eurem Wunsch zu entsprechen,« nahm nun Graf Warwick das Wort. »Wie Euch vielleicht bekannt geworden, habe ich vor einigen Wochen bereits einen sicheren Boten von England herübergesandt, welcher den Tag meiner Ankunft hier in Hamburg anzeigen sollte.
Dieser Mann ist auf seiner Rückkehr hier einem früheren Bekannten begegnet, dessen Bruder mit dem Vendaskiold in irgend welcher, keinesfalls jedoch achtungswerthen Verbindung steht und durch Zufall Kenntniß erhalten hat von dem Befehle des Kapitäns auf dem »Wiking«, fortan jedes Schiff anzuhalten, die Besatzung eines jeden aus England kommenden Schiffes aber über die Klinge springen zu lassen.
Mein Bote, dessen Argwohn hierdurch erregt worden, hat Alles aufgeboten, Näheres über die Beweggründe zu diesem Befehle zu erhalten, und ist denn auch so glücklich gewesen, auf demselben Wege zu erfahren, daß aus England ein Schiff erwartet werde, dessen Ladung Gold und dessen Befehlshaber ein Graf sei.
Er hat sich sofort gesagt, daß dieses Schiff nur die »Schwalbe« sein könne, mit Hülfe der Geldmittel, mit denen ich ihn vor seiner Abreise von England reichlich ausstattete, ein Fahrzeug gemiethet und die »Schwalbe« glücklich rechtzeitig erreicht.
Dank der nun verdoppelten Vorsicht und der Schnelligkeit meines Schiffes gelang es mir, um mich kurz zu fassen, der Gefahr einer Begegnung mit Rolf Vendaskiold zu entgehen und unbehelligt im Hafen von Hamburg ankommen zu können!«
Als der Graf jetzt schwieg, fuhr Suteminn fort:
»Für die sichere Ueberführung des Geldes bis Potsdam werden wir nun die Sorge übernehmen! Hoffentlich kommt auch Herr Ritter von Bismarck noch rechtzeitig hier an!«
Hans von Uchtenhagen hatte schweigend zugehört. Nun endlich bemerkte er:
»Ihr spracht die Absicht aus, die Biedermänner, welche Wegelagerei treiben und sich des Geldes bemächtigen wollen, das für den Markgrafen bestimmt ist, seien an der Nordgrenze der Marken zu suchen. Habt Ihr irgend einen Ritter bestimmt in Verdacht? Wohl kenne ich mehrere, die einer derartigen verächtlichen Handlungsweise fähig sind, doch glaube ich, von ihnen in diesem Falle absehen zu können. Die Herren von dem Kruge haben schwerlich Freunde in Potsdam!«
»Desto eher aber Claus von Quitzow!« entgegnete Suteminn scharf. »Claus von Quitzow besitzt, trotzdem er nicht ohne Grund des Straßenraubes und sogar der Theilnahme an den Verbrechen beschuldigt wird, deren sich der »schwarze Dietrich« schuldig gemacht hat, doch in den Marken noch so viele offene und geheime Freunde, daß es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich sein dürfte, Herrn Claus bei unserer Rückkehr hinter irgend einem Busch plötzlich hervorbrechen zu sehen!«
»Hm! Hm!« machte der Uchtenhagen zweifelnd.
Suteminn fuhr aber, unbeirrt hierdurch, ruhig fort:
»Was Claus von Quitzow erfährt und weiß, das bleibt auch seinen guten Freunden auf Garlosen nicht verborgen. Diese edlen Gesinnungsgenossen vermögen, wie Ihr mir gewiß zugeben werdet, eine namhafte Anzahl Knechte in's Feld zu schicken und wagen das Aeußerste, einen guten Fang zu machen!«
»Ihr könnt wohl Recht haben und ich will Euch nicht verhehlen, daß ich die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs erst im Auge gehabt habe und noch habe, doch glaubte ich seither, die Gefahr von einer anderen Seite erwarten zu dürfen!«
»Wenn Ihr Garlosen außer Acht laßt, weiß ich in der That nicht, von woher wir Grund zu einer Besorgniß erhalten könnten?«
Die drei Herren waren mittlerweile am Hafen angelangt und Graf Warwick ersuchte die beiden Ritter, ihn auf die »Schwalbe« zu begleiten, dort könne das Erforderliche ruhiger und bequemer besprochen werden, als während des Spazierganges oder gar in einem Gasthause.
Dieser Vorschlag wurde bereitwilligst angenommen und nicht lange darauf befanden sie sich an Bord des Schiffes und in der luxuriös ausgestatteten Kabine des Grafen.
»Welche Besorgniß also,« fing Suteminn jetzt, nachdem sie Platz genommen, von Neuem an, »hegt Ihr? Ihr habt ohne Zweifel einen bestimmten Vorfall, oder eine Wahrnehmung vor Augen!«
»Allerdings! Herr Heyso von Steinfurth auf Alvensleben ist vor einigen Tagen mit seinen Mannen aufgebrochen und hat die Richtung nach der Elbe eingeschlagen. Seine Leute haben, wie ich bestimmt erfahren, offen erzählt, daß der Zug der lohnendste sein werde, den sie seit langer Zeit gemacht, und die Ueberzeugung ausgesprochen, daß ein blutiger, hartnäckiger Kampf bevorstehe. Da ich nun weiß, daß Heyso von Steinfurth entsetzlich habgierig ist und niemals etwas davon hat hören wollen, Wegelagerei mit einem Gesinnungsgenossen zusammen zu treiben, aus dem einfachen Grunde, weil ihm das dann nothwendig werdende Theilungsgeschäft zuwider war, so ist kaum anzunehmen, daß er die drei Herren auf Garlosen zur Theilnahme eingeladen haben wird. Je länger ich jedoch das überlege, was Ihr über Claus von Quitzow bemerktet, desto wahrscheinlicher wird mir, daß der ehrenwerthe Herr nicht allzufern von der Straße sein wird, die wir ziehen müssen!«
»Nun? und was meint Ihr weiter?«
»Die Möglichkeit eines Zusammentreffens mit Verächtlichen habe ich also längst vorausgesehen und demzufolge vorläufig in Lauenberg einige Knechte mit der Weisung zurückgelassen, etwa dort Nachfragenden unbedenklich zu erzählen, daß sie nach der Ankunft des Herrn Heinrich von Strantz uns von Hamburg aus mit einer kostbaren Ladung erwarten sollen. –«
»Alle Wetter, das ist kühn!« rief Suteminn erstaunt und seine Miene drückte nicht undeutlich die Mißbilligung dieses Vorgehens aus.
Hans von Uchtenhagen bemerkte dies und fuhr fort:
»Hört nun weiter, in welcher Weise ich geglaubt habe, jeder Gefährdung des Transportes selbst vorzubeugen. Wenn Ihr dann meinen Plan mißbilligt, ist es ja immer noch Zeit genug, einen anderen und zweckmäßigeren festzustellen.
Sobald der Ritter von Strantz hier angekommen, kaufen wir zwei Wagen und beladen diese mit Tönnchen in derselben Größe wie die Geldfäßchen sind, füllen diese Fäßchen mit Sand oder irgend einer anderen recht schweren Masse und ich breche dann mit Herrn von Strantz und der Mehrzahl unserer beiderseitigen Mannen als Begleitung oder richtiger Bedeckung dieser Wagenladungen auf. Ihr aber behaltet den Ritter von Bismarck, der sicher noch nachkommen wird, und die beiden Junker von Quitzow. –«
»Wen?« unterbrach ihn Suteminn hastig.
»- und die Junker Dietz und Kuno von Quitzow,« fuhr Hans von Uchtenhagen ruhig fort, »welche mich, wie Ihr bald erfahren sollt, zur höchsten Dankbarkeit verpflichtet haben und die wegen ihres edlen Characters und wegen ihrer Tapferkeit und Furchtlosigkeit der ungetheilten Hochachtung würdig sind, behaltet Ihr mit den besten meiner Leute hier und folgt mit dem eigentlichen Transport einen halben Tag später.«
»Ha! Ha! Ha!« rief Suteminn lachend, »ich fange an, Euren Plan zu verstehen!«
Auch Graf Warwick, welcher aufmerksam zugehört hatte, lächelte.
Hans von Uchtenhagen erzählte weiter:
»Die Wegelagerer werden nun in dem Glauben, wir, das heißt Strantz und ich, seien die eigentlichen Wächter des Schatzes, uns angreifen.
Erfolgt dieser Angriff, dann dürften die Gegner uns an Zahl sicher zum mindesten gleich stehen, wenn nicht, was wahrscheinlicher ist, uns überlegen sein.
In jedem Falle werden wir uns verzweifelt wehren, jedoch nur so lange, bis wir, falls ein Zurückschlagen der Angreifenden nicht vorher möglich, Beide oder auch nur Einer von uns Beiden verwundet ist. Dann aber werden wir auf ein den Leuten vorher bekannt zu gebendes Zeichen mit diesen, soweit sie noch kampffähig sind, die Flucht ergreifen; die Wagenpferde müssen während des Kampfes bereits abgesträngt werden, damit sie an der allgemeinen Flucht theilnehmen können. Die Wagen selbst aber mit den Fäßchen sollen den den Kampfplatz behauptenden Gegnern als Beute überlassen werden!«
»Bis hierher ist Euer Plan vorzüglich,« meinte Suteminn, »wie aber stellt Ihr Euch den weiteren Verlauf der Angelegenheit vor?«
»Die siegreichen Wegelagerer dürften durch unsere plötzliche Flucht zu dem Glauben verleitet werden, wir wollten Hülfe herbeiholen, und schleunigst dafür Sorge tragen, daß der Kampfplatz gesäubert und die Wagen mit ihrer kostbaren Ladung in Sicherheit gebracht werden.
Weit kann die Reise der Räuber auf dem Wege selbst nicht fortgehen, ich werde deshalb in gewissen Entfernungen Leute, hinter den Bäumen versteckt, zurücklassen, die beim Herannahen und dann beim Abbiegen von dem Wege ein noch zu bestimmendes Signal geben, das uns, die wir eine kurze Strecke hinter dem letzten der Posten, in der Nähe des Weges im Walde anhalten wollen, als Zeichen dienen soll, daß der Weg frei geworden sei, worauf wir den Weg zurückreiten und Euch erreichen wollen!«
»Der Plan ist vortrefflich, bis auf einen Punkt: welche Vorsorge wollt Ihr treffen, wenn die Räuber die entgegengesetzte Richtung des Weges einschlagen, uns also direct entgegenkommen?«
»Das ist, so weit ich die zu beiden Seiten des Weges in der Richtung nach Lauenberg sich hinziehenden Waldungen kenne, nicht anzunehmen. Ein Abbiegen von dem Wege nach der rechten Seite verbietet sich in Rücksicht auf die nahe Elbe von sich selbst; nach der linken Seite aber würde dies, wenn anders die Räuber nicht etwa vorziehen, bis Lauenberg selbst zu kommen, der vielen Teiche, Sümpfe und Meere wegen, welche die Waldungen durchziehen, ebensowenig angehen. Es bleibt ihnen, da eine Fahrt nach Lauenberg doch mehr als gefährlich für sie werden könnte, nichts Anderes übrig, als nach der entgegengesetzten Richtung weiter zu fahren.«
»Ihr kennt,« bemerkte Suteminn jetzt, »die Gegend, welche wir zumeist im Auge behalten müssen, recht genau und ich erkläre mich mit Eurem Plane vollkommen einverstanden!«
Suteminn und Hans von Uchtenhagen schritten nun ohne Zögern an die Einleitung der erforderlichen Vorbereitungen, um am andern Tage nach der noch abzuwartenden Ankunft des Ritters Heinrich von Strantz mit der Ladung der Wagen für den ersten Transport vorzugehen.
Am Abende endlich kamen die drei Herren, denen sich nun auch die beiden Junker von Quitzow zugesellten, in einem Gasthause zusammen, und Graf Warwick, welcher mit Suteminn eine mehrstündige geheime Unterhaltung pflog, wurde gegen seine ursprüngliche Absicht veranlaßt, im Gasthause in Gesellschaft der Ritter die Nacht über zu bleiben.
»Meinem Capitän,« meinte er, nachdem er sich zum Bleiben entschlossen, »werde ich doch noch Nachricht geben müssen. Er weiß, daß ich am Abende noch zurückkehren wollte und würde in dem Glauben, mir sei ein Unfall begegnet, Schritte zu meiner Auffindung thun, die ich vermieden wissen will!«
Ein Bote wurde aus dem Gasthause nach dem Hafen abgeschickt, um dem Capitän der »Schwalbe« diesen Entschluß des Grafen mitzutheilen.
Nahezu zwei Stunden vergingen, ohne daß dieser Bote zurückkehrte, und der Graf ließ nun, hierdurch in ihm unerklärlicher Weise beunruhigt, den Besitzer des Gasthofes rufen, um diesen zur Anstellung von Nachforschungen nach dem Boten zu veranlassen.
Der Wirth, selbst erstaunt über die Nachlässigkeit des Boten, welcher seither sich stets als pünktlich und zuverlässig erwiesen hatte, versprach das Verlangen des Grafen sofort erfüllen zu lassen, kehrte aber nach Verlauf einer weiteren Stunde mit dem ebenso kurzen als inhaltschweren Bescheide zurück:
»Der Bote ist verschwunden und die »Schwalbe« hat vor einer Stunde den Hafen verlassen!«
Die Ritter sprangen entsetzt auf, der Graf aber starrte den Gastwirth einen Augenblick sprachlos an, als vermöge er die Worte des Mannes nicht zu fassen, dann schnellte er von seinem Sitze empor.
»Was sagt Ihr? Die »Schwalbe« sei fort? Ihr seid wahnsinnig!«
»Ueberzeugt Euch selbst davon!« brummte der Gastwirth unwirsch und wollte das Zimmer verlassen.
Der Graf rief ihn jedoch zurück.
»Wo ist der Bote, welcher diese Meldung brachte?«
»Ich war selbst am Hafen!«
»Unbegreiflich!«
Hocherregt schritt der Graf einigemal im Zimmer auf und ab, dann blieb er vor dem in der Nähe der Thür wartenden Gastwirth stehen.
»So unwahrscheinlich die Nachricht klingt, daß mein Schiff vor einer Stunde den Hafen verlassen habe, will ich Euch doch glauben. Seid Ihr mit dem Capitän eines der im Hafen ankernden Schiffe bekannt?«
»Gewiß!«
»Wollt Ihr mich sofort zu ihm begleiten?«
»Meinetwegen!«
»Gut denn, gehen wir! Wollt Ihr mich begleiten?« wandte der Graf sich zu den Herren.
Alle waren sofort bereit dazu, Suteminn aber fügte seiner Erklärung, dem Grafen folgen zu wollen, die Frage an:
»Ihr wollt ohne Zweifel die »Schwalbe« verfolgen? Würde es für alle Fälle nicht gerathener sein, noch einige der stärksten und gewandtesten Knechte des Herrn Ritters von Uchtenhagen mitzunehmen?«
Der Graf hatte kaum seine Zustimmung zu diesem Vorschlage gegeben, als Uchtenhagen schon zur Thüre hinausstürmte, um die furchtlosesten und kräftigsten seiner Leute zu holen.
»Wir erwarten Euch am Hafen!« rief ihm Suteminn zwar noch nach, es blieb aber ungewiß, ob er die Worte verstanden hatte, so eilig verließ er das Haus.
Als die Herren, vom Gastwirth geführt, am Hafen ankamen, rief der Wirth einen ihm begegnenden Bootsmann an:
»He, Clas, wo ist Euer Capitän?«
»Dann kommt nur mit! Ein paar Schritte von hier findet Ihr ihn in einer Weinstube!«
»Ich werde ihn bald mitbringen, habt nur einen Augenblick Geduld!«
Mit diesen an den Grafen gerichteten Worten eilte der Wirth mit dem Bootsmann fort.
Noch war er nicht zurück, als Herr Hans von Uchtenhagen mit mehreren Mannen eilig daherkam. Es war zu dunkel, um zu erkennen, welche Auswahl er getroffen, doch erkannte Junker Dietz von Quitzow sofort den schimpfenden Wachtmeister an seiner trolligen Ausdrucksweise.
»Wer aber folgte keuchend und pustend dem Ritter?«
»Kein Zweifel,« rief Suteminn, der den Nachzügler schärfer in's Auge faßte, als dieser näher herankam, »Herr Henning von Bismarck!«
»Wie er leibt und lebt!« erwiderte dieser außer Athem; »sagt nur, weshalb ich, eben erst in Hamburg angekommen, schon wieder wie toll herumspringen muß?«
Bald war er von dem Vorgefallenen unterrichtet und, nachdem auch er dem Grafen seine Bereitwilligkeit erklärt hatte, ihm nach Kräften beistehen zu wollen zur Wiedererlangung des auf räthselhafte Weise abhanden gekommenen Fahrzeuges, erzählte er unaufgefordert:
»Ich wurde durch einen mißlichen Fall in Brandenburg aufgehalten, rechtzeitig an der besprochenen Stelle einzutreffen und bin deshalb, so schnell mein Pferd es aushielt, auf geradestem Wege hierhergeeilt. In Lauenberg theilten mir Eure Knechte, Herr von Uchtenhagen, mit, daß auch Herr von Strantz bereits angekommen, und ich glaubte oder vielmehr fürchtete, nun gleich auf dem Pferde sitzen bleiben zu müssen, als ich in dem Gasthause, wo ich die Knechte wußte, erfuhr, Ihr hättet mit dem Verladen noch nicht angefangen und wohntet in einem Gasthofe, dessen Namen ich übrigens schon wieder vergessen habe. Eben wollte ich die mühselige Fußwanderung dahin antreten, als Herr von Uchtenhagen mir entgegenkam und ohne weitere Erklärungen mich im Sturmschritt hierher führte. Wo –«
In diesem Augenblick kam der Gastwirth mit dem Capitän daher und Herr von Bismarck hielt in seiner Erzählung inne, denn die Aufmerksamkeit der Herren richtete sich nun auf die Zwiesprache des Grafen mit dem Capitän.
Wenige Worte und der Hinweis auf eine glänzende Belohnung genügten, eine Einigung zwischen den beiden Unterhandelnden herbeizuführen, und eine halbe Stunde später war das Schiff des Capitäns zur Abfahrt bereit.
Der Graf stand mit dem Capitän auf dem Quarterdeck und unterrichtete ihn, soweit er dies erforderlich erachtete, und der Capitän ging mit Freuden auf das Ansinnen des Grafen, die Schwalbe zu suchen und in jedem Falle anzugreifen, ein.
»Meine Jungens sind tüchtig und Ihr habt, wie ich sehe, auch eine Anzahl Männer bei Euch, die zu schlagen verstehen. Ich denke, das Einnehmen der »Schwalbe« wird nicht schwer werden, wenn wir sie nur erst in Sicht hätten!«
Das Schiff setzte sich in Bewegung und die Matrosen hatten, als die Schwankungen des Fahrzeuges stärker wurden, ihre helle Freude an den Versuchen der »Landratten«, sich aufrecht zu erhalten.
Der Wachtmeister war der Erste, welcher das Gleichgewicht verlor und die Länge des Schiffes maß.
»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche,« schrie er, als er stürzte; »auf dem vermaledeiten Kasten kann man ja nicht einmal stehen; den elenden Schuften, die uns durch ihre Spitzpüperei auf das Wasser gelockt hapen, will ich es aper einpläuen; in Kochstücken zerhacke ich sie!«
»Das ist brav!« erwiderte ihm ein Matrose, der den Bemühungen des Wachtmeisters, sich wieder aufzurichten, lachend zusah, »weshalb aber so viel Mühe aufwenden? Hängen wir sie doch lieber an den Mast oder werfen wir sie in's Wasser!«
»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche! Wenn ich auf den heillosen Prettern nur erst stehen könnte. Hört denn das gottvergessene Schwanken nicht pald auf? Ich werde ja duselig und dann falle ich am Ende gar noch in die Pfütze!«
Endlich gelang es ihm, sich aufzurichten; auf seinen langen Raufdegen gestützt, hielt er sich nun aufrecht, bot dabei aber ein so komisches Bild, daß selbst die Ritter sich eines Lächelns nicht erwehren konnten.
Lange Zeit waren sie bereits gefahren und der Capitän flüsterte dem unbeweglich auf dem Vordertheil des Schiffes stehenden und scharf auslugenden Grafen eben zu:
»Der dunkle Punkt da vorn, welcher sich rasch vergrößert, ist die Insel Neuwerk, ein mir längst höchst verdächtig gewordenes Stückchen Land!«
Als der Graf, dessen Augen dem Wink des Capitäns folgten, plötzlich ausrief:
»Was ist das dort?«
Die Umrisse der Insel ließen sich jetzt schon ziemlich deutlich erkennen und namentlich ein auf der Oberfläche des Wassers fort bis zu der Insel gleitender Blick vermochte von Minute zu Minute immer unzweifelhafter die Zickzacklinien des Ufers selbst zu unterscheiden.
An der Seite nun, welche der links an der Insel vorüberführenden Fahrstraße gegenüber liegt, war dicht am Ufer ein anscheinend nicht zur Insel gehörender, von ihr getrennter Gegenstand zu erkennen.
Der Capitän sah ein paar Augenblicke scharf aus nach diesem das Interesse des Grafen erregenden Punkte und flüsterte dann:
»Ein Schiff! Seit wann ankern Fahrzeuge an dieser Stelle? Es ist doch nicht etwa –?«
»Vermögt Ihr noch nichts Näheres an dem Schiffe zu unterscheiden?« fragte der Graf hastig, erregt.
»Hm! Die Masten sind auffallend klein und das Schiff selbst scheint außergewöhnlich lang und schmal zu sein. Doch werde ich mich in diesem Punkte wohl täuschen, denn das würde ja der Beschreibung ohngefähr entsprechen, die Ihr mir von der »Schwalbe« gegeben habt. Es wäre mehr als verwegen, wenn die kecken Räuber hier schon angelegt hätten!«
»Nein, nein, Capitän,« fiel ihm der Graf, welcher das vermeintliche Schiff inzwischen scharf im Auge behalten, in's Wort; »ich glaube fest, daß wir auf der richtigen Fährte sind. – Kein Zweifel, jetzt bin ich meiner Sache sogar gewiß!« fügte er nach kurzem Schweigen in festem Tone hinzu.
Im Augenblicke waren diese Worte des Grafen den Rittern, Mannen und den Matrosen bekannt und der Capitän murmelte zufrieden vor sich hin:
»In einer halben Stunde wird die Schwalbe unser und ein Vermögen verdient sein. Diese Nacht wird die schönste seit langen Jahren!«
Vorsichtig wurde die Insel umfahren und bei der stetig zunehmenden Helle waren bereits Gegenstände in weiterer Entfernung erkennbar.
Mit wachsender Ungeduld sahen die Ritter wie die Matrosen dem Ende der langgedehnten Insel entgegen, um die »Schwalbe« in Sicht zu erhalten.
Endlich war die Spitze von Neuwerk erreicht, das Schiff bog links ab und –
»Ha,« rief der Graf in dem Moment, »schneller, schneller, die Schurken rüsten sich eben zur Abfahrt!«
Matrosen hißten soeben die Segel und die »Schwalbe« setzte sich in dem Moment in Bewegung, als die Verfolger sie erreichten. Durch eine geschickt ausgeführte Wendung gelangte das Schiff der Letzteren in den Lee der »Schwalbe«, auf welcher inzwischen und in sicherer Voraussicht eines unvermeidlichen Kampfes der Befehl ertheilt worden sein mußte, einige Reffs fallen zu lassen und nothgedrungen beizudrehen. Bald befanden die beiden Fahrzeuge sich Planke an Planke. Die Enterhaken flogen und in demselben Augenblicke waren die Matrosen schon im wüthendsten Kampfe mit der Bemannung der »Schwalbe«.
»Wo sind meine Leute?« rief der Graf, welcher mit Suteminn, dessen Sicherheit auf dem Verdeck des schwankenden Schiffes längst die Bewunderung der übrigen Herren erregt hatte, zu gleicher Zeit die »Schwalbe« betrat. »Ich sehe hier nur fremde Gesichter!«
»Das werden wir bald erfahren!« rief ihm Suteminn zu und drang gegen die Vertheidiger der Schwalbe vor. Mit unwiderstehlicher Gewalt handhabte er sein Schwert und die Kraft, Gewandtheit und Schnelligkeit, mit welcher er gegen die verwegenen Gesellen vorging, die sich ihm entgegenstellten, brachten es bald dahin, daß diese scheu zu weichen begannen.
Noch ehe die Knechte vermocht hatten, am Kampfe sich nachdrücklich zu betheiligen, war dieser, dank der Thätigkeit des Grafen, Suteminn's, der übrigen Herren, von denen Herr von Bismarck sich besonders durch seine Stärke und Gewandtheit bemerkbar machte, und der kampflustigen Matrosen bereits entschieden. Letztere waren sogar schon beschäftigt, die noch lebenden Ueberwundenen, welche ohne Ausnahme sämmtlich verwundet und kampfunfähig geworden waren, zu binden, als der Graf hastig rief:
»Die unteren Räume müssen untersucht werden!« und der Treppe zueilte.