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Wir hatten das Gebiet der Teufelskanzel verlassen und waren nach den Mugworthills unterwegs. Aus meinem Buch ›Winnetou‹ Band III ist zu ersehn, daß diese Mugworthills dieselbe Berggruppe sind, die von Winnetou und seinem Vater mit dem Namen Nugget Tsil bezeichnet worden war. Die beiden Brüder Enters wollten auch dorthin. Ich hatte den Weg, der ihnen vorgeschrieben worden war, erlauscht, kannte ihn also. Es gab noch einen kürzeren, den ich ebenso wußte. Den schlugen wir ein. Auf diese Weise gewannen wir soviel Zeit, daß wir ihnen vorauskamen, obgleich wir die Teufelskanzel viel später als sie verlassen hatten. Wir brauchten die zwei also nicht mühsam einzuholen, sondern konnten nun, wann und wo es uns beliebte, auf sie warten, um sie zu uns stoßen zu lassen. Der Augenblick hierzu war am günstigsten, als wir den Canadianfluß erreichten, und zwar an der Stelle, wo ich damals nach Winnetous Tod auf Gates, Clay und Summer gestoßen war. Dort gab es Wasser zum Trinken, Gras für die Pferde und ein weit ausgedehntes, dichtes Gebüsch, wohin wir uns zurückziehn konnten, um von Vorüberziehenden nicht eher bemerkt zu werden, als bis wir gesehn sein wollten. Inmitten dieses Gesträuchs lag eine kleine, lichte Stelle, wo früher einmal ein Lagerfeuer gebrannt hatte. Der hierdurch vernichtete Pflanzenwuchs hatte sich noch nicht wieder erneuert. Da wurde das Zelt aufgeschlagen.
Während wir das taten, bereitete meine Frau das Mittagsmahl. Der Bär reichte noch für lange Zeit. Außerdem hatten wir unterwegs eine Turkeyhenne und mehrere Präriehühner geschossen. Wir waren also reichlich eingedeckt und brauchten nicht erst hier auf Beute auszugehn. Nach dem Essen ruhten wir, obgleich wir nicht ermüdet waren. Aber umherzustreifen, wäre gefährlich gewesen; wir befanden uns ja im Gebiet der Komantschen und Kiowas und mußten alles vermeiden, was geeignet war, unsre Anwesenheit zu verraten.
Es war gegen Abend, als wir dort, woher wir die Enters erwarteten, zwei Reiter erscheinen sahen. Sie näherten sich langsam. Ihre Pferde waren ermüdet. Als sie das Gebüsch beinahe erreicht hatten, erkannten wir das Brüderpaar. Sie waren beide in der bereits beschriebenen Weise mit Büchse, Revolver und Messer bewaffnet. Da wir nicht aus derselben Richtung gekommen waren, bemerkten sie unsre Spuren nicht. Sie stiegen draußen vor den Büschen ab, ließen ihre Pferde trinken und suchten dürres Holz zu einem Feuer zusammen. Dieses Feuer wurde nicht hinter dem deckenden Gesträuch, sondern davor im Freien abgebrannt, so daß es dann, wenn es vollständig dunkel wurde, weithin leuchten mußte. Das unsre war schon längst wieder erloschen. Da nicht nur sie, sondern auch wir durch ihr Feuer verraten werden konnten, stand ich auf, um sie zu warnen. Da fragte Dick Hammerdull:
»Darf ich mit? Möchte gern ihre Gesichter sehn, wenn sie Euch erkennen!«
»So kommt!«
Vorsichtig krochen wir durch das Strauchwerk. Hinter dem letzten dichten Geäst blieb ich stehn, um zunächst Hammerdull allein zu ihnen zu schicken. Er trat von rückwärts an sie heran und grüßte.
» Good day, Mesch'schurs! Darf ich euch vielleicht fragen, ob ihr sofort skalpiert werden wollt oder es vorzieht, erst morgen oder übermorgen am Marterpfahl zu sterben?«
Sie sprangen beide erschrocken auf.
»Skalpiert? Von wem? Warum?« fragte Sebulon.
»Am Marterpfahl sterben?« fragte Hariman. »Durch wen? – Weshalb?«
»Durch die Komantschen und Kiowas, die behaupten, daß ihnen diese Gegend gehöre«, antwortete der Westmann. »Ihr brennt ja ein Feuer, als ob es ausgerechnet eure Absicht sei, euch diese Halunken auf den Hals zu locken! Warum habt ihr euch nicht damit hinter die Büsche versteckt?«
»Weil wir weder die Komantschen noch die Kiowas zu fürchten brauchen«, gab Sebulon Auskunft.
»So seid ihr befreundet mit ihnen?«
»Wir sind Freunde aller Menschen, die uns begegnen.«
» Well! Demnach seid ihr auch die meinigen! Ich habe die Angewohnheit, die Namen meiner Freunde wissen zu wollen. Darf ich bitten?«
»Wir heißen Enters. Ich Sebulon Enters und mein Bruder Hariman Enters.«
»Danke! Aber weiter: Woher und wohin?«
»Wir kommen von Kansas City herüber, haben aber erst einen Abstecher westlich nach Trinidad gemacht und wollen nun nach dem Unterlauf des Rio Grande del Norte. Wer aber seid Ihr?«
»Ich heiße Dick Hammerdull und komme auch aus Trinidad. Wohin ich will, weiß ich selber noch nicht.«
Da machten beide eine Bewegung der Überraschung, und Sebulon sagte schnell:
»Dick Hammerdull! Wie sich das trifft! Wir waren in Euerm Hotel, wo wir uns mit jemand verabredet hatten. Leider waren die Gesuchten nicht mehr da. Auch Ihr wart abgereist, und wir konnten daher die gewünschte Auskunft nicht erlangen. Vielleicht können wir von Euch erfahren, was wir wissen wollen.«
»Ob Ihr es erfahrt oder nicht, das bleibt sich gleich. Aber worum handelt es sich denn?«
»Um ein Ehepaar Burton, das nach Trinidad ging. Es wohnte in Euerm Hotel, wo es uns beide eigentlich erwarten wollte. Wißt Ihr vielleicht etwas hierüber?«
»Hm! Ob ich etwas weiß? Ihr seid mit Eurer Frage grad an den richtigen Mann gekommen.«
»Oh! Das ist uns sehr lieb! Also, wenn Ihr der richtige Mann seid, so sagt uns schnell, ob ...«
Da unterbrach ihn Tick.
»Ich der richtige Mann? Ich bin er nicht.«
»Ihr nicht, wer denn sonst?«
»Dieser da!«
Er deutete auf mich, der ich jetzt hinter dem Gesträuch hervortrat, um diese Einleitung zu beenden, weil Hammerdull leicht etwas sagen konnte, was die Brüder nicht zu wissen brauchten. Meine Anwesenheit überraschte sie sehr, doch nicht unangenehm. Sie freuten sich, mich getroffen zu haben, mochten die Ursachen dieser Freude nun lauter sein oder nicht. Ich forderte sie auf, ihr Feuer augenblicklich auszulöschen und mit ihren Pferden zu uns ins Gebüsch zu kommen. Sie taten das. Meine Frau wurde von ihnen mit einer Höflichkeit begrüßt, die von Hartman wahrscheinlich wohlgemeint war, von Sebulon aber wohl kaum. Er gab sich zwar alle Mühe, einen guten Eindruck zu machen, doch sein Auge hatte, wenn er sich unbeobachtet wähnte, etwas Lauerndes, etwas zuwartend Drohendes, was meiner Frau und mir unmöglich entgehn konnte. Warum wir uns nicht, wie sie annehmen mußten, in Begleitung der Sioux-Squaws vom Kanubisee befanden, danach zu forschen wagten sie nicht, um sich nicht zu verraten. Andres aber wollten sie wissen; vor allem, warum wir nicht in Trinidad gewartet hätten. Darauf gab ich zur Antwort:
»Weil ich Veranlassung fand, auf eure Gesellschaft zu verzichten. Habe euch das auch geschrieben. Ist der Brief in eure Hände gekommen?«
»Ja; man händigte ihn uns aus, als wir unsre Namen nannten«, erwiderte Sebulon. »Ihr bezeichnet in diesem Brief Wycliffe und Howe als unsre Freunde. Wir weisen das entschieden zurück. Wir haben als Pferdehändler geschäftlich mit ihnen zu tun gehabt, sie aber sofort fallengelassen, als wir sie näher kennenlernten; sie sind nicht ehrlich. Darf ich fragen, wohin Ihr Euch von Trinidad aus gewendet habt?«
Da fiel meine Frau schnell ein:
»Auf die Bärenjagd!«
Das war eine ebenso kurze wie vortreffliche Antwort, durch die wir allen Fragen in Beziehung auf die Teufelskanzel entgingen.
»War sie von Erfolg?« erkundigte er sich.
»Ja«, entgegnete ich. »Es gibt bei uns nun Bärenschinken. Die Tatzen werden aber erst am Tavuntsits-payavh angeschnitten.«
»Am Tavuntsits-payavh?« fragte er rasch, indem er seinem Bruder einen befriedigten Blick zuwarf. »Kennt Ihr den?«
»Ja. Von früher her.«
»Wir wollen auch dorthin!«
»Auch ihr? Weshalb?«
»Auf Wunsch der Sioux- und Utahhäuptlinge.«
»Ah! So habt ihr sie getroffen?«
»Ja. An der Teufelskanzel. Schade, daß Ihr fort wart! Wir hätten Euch so gern mitgenommen!«
»Es ist nicht schade darum. Ich hätte mich doch nicht sehn lassen dürfen!«
»Aber es wäre Euch möglich gewesen, die Sache von fern mit anzusehn oder vielleicht einiges zu erlauschen.«
»Wozu das? Ich hoffe, jetzt von Euch zu erfahren, was sich dort zugetragen hat und was alles besprochen worden ist.«
»Soll ich erzählen?«
»Ich bitte darum.«
Er begann seinen Bericht. Er nannte uns die Namen der beiden Oberhäuptlinge und machte aus den achtzig Indianern, die es gewesen waren, volle vierhundert. Er verwandelte die wenigen Stunden ihres Aufenthalts in drei Tage und sprach von außerordentlich wichtigen Verhandlungen, denen er mit seinem Bruder beigewohnt habe. Und er stellte das alles so dar, als ob sie beide die Hauptpersonen gewesen und mit ganz erheblichen Ehren überhäuft worden seien. Besonders ihren Abschied von den Roten schilderte er als einen sehr freundschaftlichen. Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch seien, als sie fortritten, zwei-, dreimal wieder umgekehrt, um ihnen nochmals die Hand zu drücken.
»Also verließen die Roten den Ort eher als ihr?« fragte ich. »Wohin zogen sie?«
»Das ist ein tiefes Geheimnis, das wir um keinen Preis verraten sollen. Euch aber will ich es sagen, damit Ihr erkennt, wie ehrlich wir es mit Euch meinen. Sie sind nach einer Gegend, die sie Wiconte-mini nennen. Ist sie Euch bekannt?«
»Ja. Es ist ein Wasser. Oder nicht?«
»Doch. Man hat uns den Weg dahin genau beschrieben.«
»Demnach sollt auch ihr dorthin?«
»Allerdings. Wir sollen dort den ganzen Feldzugsplan gegen die Apatschen und ihre Verbündeten erfahren. Ihr seht, wie wichtig das für Euch ist. Wünscht Ihr, daß wir Euch das, was wir dabei erfahren, mitteilen?«
»Wir sind bereit, es zu tun, und hoffen dabei auf Eure Dankbarkeit.«
»Ihr werdet ernten, was ihr säet.«
»Ist dieses Wiconte-mini, dieses Wasser des Todes, sehr weit entfernt von dem Dunklen Wasser, in dem unser Vater starb?«
»Wenn ich mich recht erinnere, liegen beide nicht weit voneinander. Sobald ich hinkomme, werde ich es besser wissen als jetzt.«
Es wäre nicht klug gewesen, ihm zu verraten, daß unter den beiden verschiednen Namen ein und derselbe See zu verstehn war.
»Ah! Ihr habt also die Absicht, selber auch mit hinzukommen?« fragte er.
»Gewiß. Oder ist euch das nicht recht?«
Der Blick, den er jetzt seinem Bruder zuwarf, war voll Siegesgewißheit. Er war entzückt darüber, daß ich seinen Plänen scheinbar so ahnungslos entgegenkam, während doch er es war, der in eine Falle ging.
»Uns nicht recht?« rief er aus. »Welchen Grund hätten wir dazu? Wir sind Eure Freunde und nehmen Euch sehr gern mit nach dem Wasser des Todes. Doch setzen wir voraus, daß Ihr uns dafür den Nugget Tsil und das Dunkle Wasser zeigt.«
»Das werde ich tun. Wie aber kommt es, daß Kiktahan Schonka euch nicht gleich nach Süden mitgenommen hat? Weshalb schickt er euch erst östlich nach dem Tavuntsits-payavh?«
»Weil wir die Squaws der Sioux beobachten sollen, die dorthin geritten sind. Er erwartet dann unsern Bericht hierüber. Nach seiner Wegbeschreibung können es von hier aus nur noch zwei Tage sein.«
»Das stimmt. Und nun bitte ich nur noch um eins; dann bin ich zufriedengestellt. Es ist doch eigentlich sehr auffällig, daß ihr euch an mich gewandt habt, zu erfahren, wo der Nugget Tsil und das Dunkle Wasser liegen. Es erscheint fast unglaublich, daß ihr diese beiden Orte nicht schon längst gefunden habt. Ihr brauchtet euch wegen des Nugget Tsil nur bei den Kiowas zu erkundigen, bei ihrem Häuptling Tangua und seinem Sohn Pida. Und wegen des Dunklen Wassers war es wohl nicht unmöglich, einen der Apatschen zu finden, die damals mit mir dort gewesen sind.«
»Das scheint nur so leicht, ist es aber nicht«, entgegnete er. »Ich bin bei den Kiowas gewesen, hatte aber das Pech, grad auf den jungen Häuptling Pida zu stoßen, der mich unglaublich kurz und barsch abfertigte. Und unter all den Apatschen, die ich nach dem Dunklen Wasser fragte, hat es keinen einzigen gegeben, der mich nicht sofort als Feind betrachtete und mit Mißtrauen von sich wies. Sie sind sehr vorsichtig, diese Halunken!«
»Diese Halunken sind meine Freunde, Mr. Enters! Beliebt es Euch, nur noch ein einziges Mal ein solches Wort zu gebrauchen, so sind wir geschiedne Leute! – Meine Frau mag jetzt das Abendessen bereiten. Dann legen wir uns schlafen. Und morgen früh bei Tagesanbruch machen wir uns sogleich auf nach dem Tavuntsits-payavh. Ist Euch das recht?«
»Ja. Doch werden wir unser Lager nicht hier, sondern ein wenig abseits suchen. Wir sind arge Schnarcher, und es ist eine Lady hier, die wir nicht belästigen wollen.«
Das war eine sehr durchsichtige Ausrede. Sie wollten allein sein, um ungestört sprechen zu können. Sogleich kam mir der Gedanke, sie dabei zu belauschen; aber ich verzichtete darauf, weil mir die beiden Enters mit ihren plumpen Machenschaften eine solche Mühe nicht wert schienen. Was ich von ihnen wissen wollte, konnte ich bestimmt leichter und bequemer erfahren.
Die soeben berichtete Unterhaltung war mir zwischen mir und Sebulon Enters geführt worden. Sein Bruder Hariman hatte kein Wort dazu beigetragen. Es schien, als ob die beiden miteinander uneinig seien.
Ebenso still hatte sich auch der Junge Adler verhalten. Er tat so, als ob die Brüder gar nicht anwesend seien. Das eröffnete keine allzu freundliche Aussicht auf unser Beisammensein mit ihnen. Sie sonderten sich, wie Sebulon gesagt hatte, nach dem Abendessen von uns ab und kamen erst am frühen Morgen wieder, als das Knistern des Feuers ihnen verriet, daß auch wir schon munter waren. Als die Sonne erschien, war das Zelt abgebrochen, und der Weiterritt konnte beginnen. Hierbei fiel uns erst auf, daß jeder von ihnen einen sogenannten Stockspaten am Sattel hängen hatte. Am Abend, im Halbdunkel, war uns das entgangen. Als Dick Hammerdull sah, daß meine Augen verwundert an diesen Werkzeugen hingen, fragte er die Brüder:
»Ihr habt euch mit Spaten versehn. Wollt ihr Schätze graben?«
»Vielleicht«, antwortete Sebulon mit einer Betonung, die Pfiffigkeit andeuten sollte.
»Was für welche?«
»Weiß ich noch nicht. Jedenfalls haben wir Werkzeuge zum Graben, wenn wir sie brauchen sollten. Kiktahan Schonka hat uns kein Geld versprochen, sondern Beute, Waren, Pferde und ähnliche Dinge. Auch Metalle, also Silber, Kupfer oder gar Gold. Daß es sich da um Bonanzen oder Diggings handelt, die wir erst untersuchen müssen, ist wahrscheinlich. Darum haben wir die Spaten mit.«
Dieser Mann trug sich offenbar mit den verstiegensten Gedanken und Plänen. Und bei all seiner Einbildung kam ihm gar nicht der Einfall, daß er selber nur ein Werkzeug war, das später, wenn man es nicht mehr brauchte, weggeworfen werden sollte.
Wir ritten auch jetzt genau denselben Weg weiter, den ich damals mit Gates, Clay und Summer genommen hatte. Und am Abend lagerten wir an der gleichen Stelle der offnen Prärie, wo wir damals schliefen. Wir machten kein Feuer. Am andern Morgen erwähnte ich so nebenbei, daß wir gegen Mittag den Tavuntsits-Payavh erreichen würden. Den Namen Mugworthill auszusprechen, hütete ich mich. Er steht in meiner Schilderung, die sie gelesen hatten. Sie kannten ihn also und hätten sofort gewußt, daß es sich um den Nugget Tsil handle. Das aber sollten sie vorher noch nicht erfahren. Zu meiner Verwunderung wurde ich von Sebulon gefragt:
»Kennt Ihr diesen Berg nur vom Hörensagen, Mr. Burton, oder seid Ihr selber schon dort gewesen?«
»Schon wiederholt war ich da«, erwiderte ich, meine Worte sorgsam berechnend. »Es sind zwei Gräber oben auf dem Gipfel. Ist Euch das bekannt?«
»Wir hörten davon. Einige Häuptlinge der Kiowas sollen da begraben sein.«
»So, so!«
»Ja. Das wurde uns von einem erzählt, der auch schon öfters dort gewesen ist.«
»Wir werden an den beiden Gräbern, die ich erwähnte, lagern. Es ist der geeignetste Platz dazu. Das weiß ich von früher her.«
Während dieses Vormittags wurde zwischen meiner Frau und mir wenig gesprochen. Wir ritten einem Ort entgegen, der für mich umwoben war von herber Erinnerung. Das wurde jetzt alles in mir aufgewühlt. Klara aber eilte wohl mit ihren Gedanken voraus nach der Stätte, wo sie im Geist schon oft verweilt hatte.
Auch der Junge Adler schien sich ernsten Betrachtungen hinzugeben. Er sah mich bisweilen versonnen von der Seite an, senkte aber schnell den Blick wenn ihm der meinige begegnete. Nur die Enters schwatzten hinter uns und wandten sich bisweilen mit Fragen an Hammerdull und Holbers, bekamen aber auch nur einsilbige Antworten.
Es war noch nicht Mittag, als die Berge im Süden auftauchten. Aus ihrer höchsten, bewaldeten Kuppe stand noch immer jener Baum, der über alle andern emporragte.
Wir umritten die dunklen Höhen auf ihrer westlichen Seite und bogen dann im Süden nach links ein, um an das tief einschneidende Tal zu kommen, das meine Leser alle kennen. Diesem folgten wir bis an jene Seitenschlucht, die uns weiter hinaufleitete und sich dann teilte. Da stiegen wir ab und kletterten, die Pferde an den Zügeln führend zu der scharfkantigen Höhe empor, hinter der sich das Gelände wieder senkte. Dann ging es jenseits hinab und in grader Richtung durch den Wald, bis wir unser Ziel erreichten. Da standen sie beide, das Grabmal, worin Intschu tschuna, der Vater meines Winnetou, hoch auf dem Rücken seines Pferdes saß, und die Steinpyramide, woraus der Baum zur Höhe stieg, an dessen Stamm Nscho-tschi zur Ruhe bestattet worden war. Ich hielt an. Es überkam mich ein Gefühl, als ob ich erst gestern zum letztenmal hier gewesen sei. Die Bäume waren höher geworden und das Unterholz etwas dichter. Sonst aber schien es, als ob die tiefe, ergreifende Ruhe dieser Stätte jahrzehntelang von keinem Windhauch gestört worden sei.
»Da liegen die Häuptlinge der Kiowas«, sagte Sebulon Enters. »Wir sind also an Ort und Stelle. Bleiben wir heut hier?«
»Ja. Vielleicht auch morgen noch«, entgegnete ich.
»Schaff die beiden wenigstens einstweilen fort!« bat meine Frau leise. »Sie sollen mir die erste Stunde an diesem Ort nicht verderben!«
Schon wollte ich ihren Wunsch erfüllen, da kam mir Sebulon zuvor:
»Soll ich vielleicht mit meinem Bruder gehn, um einen frischen Braten zu schießen? Oder gibt es gleich jetzt die versprochnen Bärentatzen?«
»Ja, geht und versucht, ob ihr irgend etwas vor das Rohr bekommt!« fiel Klara schnell ein. »Ihr habt mehrere Stunden Zeit. Wir essen erst am Nachmittag.«
Sie entfernten sich. Ich schlug mit Hilfe der beiden Jäger das Zelt auf. Sie vermieden dabei, so gut es ging, jedes Geräusch, denn sie sahen, daß meine Frau andächtig am Grab der Schwester Winnetous stand. Dann kam sie zum Grab des Häuptlings. An dessen Fuß, genau an der Westseite, gab es eine kleine, etwas eingesunkene Stelle, die wie ihre Umgebung mit moosigem Gras überwachsen war.
»Hier hast du wohl damals gegraben?« fragte sie.
»Ja«, antwortete ich. »Ich habe das Loch zwar sorgfältig wieder geschlossen, aber die Erde wohl nicht genügend festgestampft. Sie hat sich im Lauf der Zeit gesetzt. Daher diese Vertiefung.«
»Die aber auch andre auf den Gedanken bringen kann, hier nachzugraben!«
»Mögen sie es tun! Ich weiß genau, daß sie nichts finden würden.«
»Sag das nicht so bestimmt!«
»Warum nicht?«
»Weil ich so meine besonderen Gedanken habe.«
»Gedanken? Wegen des zugeschütteten Loches da?«
»Gewiß. Hör mich an! Je näher wir heut diesen Bergen kamen, desto deutlicher und zusammenhängender trat alles, was du von ihnen erzählt hast, vor mich hin. Und dabei kam mir ein Wort in den Sinn, das Winnetou zu dir gesagt hat, und zwar wiederholt. Weißt du noch, wie er das Gold, die Nuggets, zu nennen pflegte?«
»Meinst du etwa deadly dust Tödlicher Staub?«
»Ja, deadly dust. Noch kurz vor seinem Tod, als er mit dir von seinem Testament sprach, hat er zu dir gesagt, daß du zu Besserem bestimmt seist, als nur dazu, Gold zu besitzen. Und dennoch grubst du hier am Grab seines Vaters nur nach Gold. War das nicht ein Fehler?«
»Ich glaube nicht. Das Gold, dessen Versteck in dem hier vergrabnen Testament näher bezeichnet wurde, war nicht für mich, sondern sehr wahrscheinlich für wohltätige, edle Zwecke.«
»Das mag schon stimmen. Aber dein Einwand beseitigt meine Bedenken nicht. Überlege einmal! Sollte es in dem Versteck des Testaments wirklich gar nichts gegeben haben, was persönlich für dich, Winnetous besten Freund und Bruder, bestimmt war? Sollte der weitblickende, hochgesinnte Apatsche in seinem letzten Willen nur an sein Gold gedacht haben? Mir will das nicht in den Sinn.«
»Hm! Hm, Herzle, was du da sagst, ist richtig. Ich kann zwar zu meiner Rechtfertigung darauf hinweisen, daß ich damals nur unter Lebensgefahr und in größter Eile nachsuchen durfte, aber ich muß zugeben, daß ich später jahrelang Zeit hatte, das Versäumte nachzuholen. Daran habe ich aber gar nicht gedacht – niemals.«
»Und nun?«
»Was soll diese Frage?«
»Willst du mir einen Wunsch erfüllen?«
»Wenn es mir möglich ist, gern.«
»Grabe doch noch einmal sorgfältig nach, und zwar tiefer als damals!«
»Das will ich tun.«
»Ich glaube fest, wir finden noch etwas, und zwar die Hauptsache. Die Mitteilung von dem Goldversteck lag nur zum Schutz des wirklichen Schatzes oben drauf!«
»Wie du das sagst! Als ob du es genau wüßtest!«
»Ich weiß es nicht, aber ich fühle es. Winnetou war abgeklärter und größer, als du ahntest, lieber Mann. Er war nur wenig älter als du, aber ruhiger und in sich reifer. Wir müssen doppelt nachgraben, erst hier, an der Gruft seines Vaters, und dann ebenso in deiner Erinnerung. Dabei werden wir gewiß keinen deadly dust finden, wohl aber Perlen und Edelsteine, die aus tiefen, seelischen Bonanzen stammen. Wollen wir nicht gleich beginnen? Es paßt so gut, weil die beiden Enters abwesend sind.«
»Dieser Grund ist nicht stichhaltig genug, denn die Spuren sind nicht so leicht zu verwischen. Kämen die Brüder unerwartet schnell zurück, würden sie sofort merken, was während ihrer Abwesenheit hier vorgenommen wurde. Sind mehr als dreißig Jahre darüber verflossen, ohne daß etwas geschah, so werden einige wenige Stunden Aufschub nichts schaden. Vergiß nicht, daß ich von Tatellah-Satah an die mittelste der fünf großen Blaufichten gewiesen bin. Er schreibt: ›Ihre Stimme sei Dir wie die Stimme Manitous, des großen, ewigen und alliebenden Geistes!‹ Das ist so wichtig und so eilig, daß es allem andern vorgeht.«
»Ganz gewiß! – Aber wo sind diese blauen Fichten? Wo stehn sie?«
»Gar nicht weit von hier. Komm!«
Ich führte sie nach einer Stelle des Waldes, wo sich aus dem Boden mehrere Felsen schoben, an deren Fuß ein Wassertümpel lag. Dort standen die erwähnten Blaufichten, die Tatellah-Satah meinte. Sie waren bis herunter auf den Boden beästet. Unter diesen Ästen gab es einige wenige dürre. Kaum war mein Blick auf den mittelsten dieser Bäume gefallen, so wußte ich, woran ich war. Klara aber stand da, schaute die Bäume ratlos an, schlug die Hände zusammen und seufzte:
»Da sieht eine genau wie die andre aus, nur daß die mittlere ihre Schwestern um ein gutes Stück überragt! Auch ist ein Ast genau wie der andre! So gedrungen, so reich und dicht benadelt! Und dieser Baum da, diese Fichte, soll zu dir sprechen? Wie ist das gemeint?«
»Schau sie dir doch einmal sorgfältig an!«
»Ich sehe nichts Auffälliges daran«, erklärte sie nach einer Weile kopfschüttelnd.
»Bist halt kein geübter Westmann!« lachte ich. »Du kennst doch den Unterschied zwischen einer Fichte und einer Tanne. Betrachte nun daraufhin nochmals die mittlere Fichte! Daran sind unten einige dürre Zweige mit nur noch wenigen Nadeln. Bitte, zähle sie! Von unten herauf! Und zeige dabei mit dem Finger hin!«
»Eins, zwei, drei«, zählte sie. »Vier, fünf, sechs ...«
»Halt!« unterbrach ich sie. »Sieh dir diesen sechsten dürren Zweig an! Ist das auch Fichte?«
»Nein, Tanne«, staunte sie.
»Merkst du nun, daß der Baum zu reden beginnt?«
»Ah! Auf diese Weise!«
»Ja, so! Kann dieser Tannenzweig an der Fichte gewachsen sein? Natürlich nicht! Man hat also den richtigen entfernt und den falschen an seine Stelle gebracht. Zieh doch einmal diesen Zweig heraus!«
»Du meinst, man hat ihn einfach in den Stamm gesteckt?«
»Versuch's nur!« ermunterte ich sie.
Ich hatte richtig gesehn. An Stelle des ursprünglichen Asts war ein Loch gebohrt und der Tannenzweig dann eingesetzt worden. Dieses Loch war jetzt zu sehn; aber es hatte nur der Zweig darin gesteckt; es war leer. Nun untersuchte ich den Stamm in der Nähe des Bohrloches. Richtig! Man hatte die Rinde in Form einer Klappe losgelöst und dann mit dem Ast wieder fest angeklemmt. Als ich diese Klappe öffnete, fiel ein weißes Papier heraus. Klara griff eiligst zu und rief freudig:
»Das ist die ›Stimme des Baumes‹! Das ist sie! Was für ein scharfsinniger und gescheiter Mensch doch so ein Indianer ist!«
»Nun«, lächelte ich, »um auf einen solchen Trick zu verfallen, braucht man schließlich nicht gerade ein Indianer zu sein. Derartige kleine Kniffe kennt man anderorts auch noch.«
»Wie du redest! Für dich ist das alles natürlich weiter nichts. Ich aber bin ein Neuling in Wildwest. Mir gefällt dieser Tatellah-Satah schon im voraus ganz gewaltig.«
Inzwischen versuchte sie bereits, die seltsame Botschaft zu entziffern, brach aber enttäuscht ab.
»O weh! Hier verlassen mich meine Kenntnisse!«
»Wohl indianische Bilderschrift?«
»Nein. Es sind lateinische Buchstaben: aber eine indianische Sprache, die mir noch zu fremd ist.«
»Zeig her!«
»Setzen wir uns dazu! Im Stehn begreift man schwerer.«
Lachend setzte sie sich nieder und klopfte mit der Hand auf den Boden. Ich ließ mich neben ihr nieder und las die Zeilen vor. Sie waren im Apatsche von derselben geübten Hand auf dasselbe gute Papier geschrieben wie der Brief, den ich daheim von Tatellah-Satah erhalten hatte. Die Übersetzung lautete:
»Warum forschtest du nur nach deadly dust? Nach tödlichem, goldnem Staub?
Glaubtest du wirklich, Winnetou, der überschwänglich Reiche, könne seinen Erben nichts Besseres hinterlassen?
War Winnetou, den du doch kennen mußtest, so oberflächlich, daß du es verschmähen durftest, in größerer Tiefe zu suchen?
Nun weißt du, warum ich dir zürnte.
Der Bewahrer der großen Medizin.«
Das war der Brief des alten ›Tausend-Jahr‹. Ich faltete das Papier zusammen und steckte es ein. Wir sahen einander an.
»Ist das nicht sonderbar?« fragte das Herzle.
»Höchst sonderbar!« nickte ich. »Er schreibt fast dasselbe, was du gesagt hast. Ich bin beschämt!«
»So sehr brauchst du dir diese Sache wohl nicht zu Herzen zu nehmen.«
»O doch! Ich sehe ein, daß ich wahrhaftig zu wenig nachgedacht habe über Winnetou. Jetzt bin auch ich überzeugt, daß wir bei erneutem Nachgraben noch viel Wichtigeres finden werden als damals.«
»Weil der alte Tatellah-Satah es sagt?«
»Nicht nur deshalb! Ich stelle eben jetzt erst Winnetous Wesen richtig in Rechnung. Er würde zu meinem Irrtum gütig lächeln; ich aber lächle nicht. Bedenke, daß über dreißig Jahre unnütz vergangen sind! Ein volles Menschenalter! Komm, Herzle, wir müssen graben!«
»Ja, solange die Enters fort sind«, stimmte sie bei.
»Mir ist es jetzt gleich, ob sie da sind oder nicht. Horch! Ich höre ihre Stimmen. Sie sprechen mit Hammerdull. Sie sind also schon zurück.«
Ja, sie waren wieder da, und zwar mit einem Präriehasen, der sich in die Berge verlaufen hatte. Sebulon tat, als sei das eine besondre Leistung von ihnen.
»Legt das Häslein her!« unterbrach ich seinen Wortschwall. »Es gibt jetzt Wichtigeres zu tun.«
Ich hatte die Absicht gehabt, ihnen erst nach unserm Weggang von hier Aufschluß über den Berg und die Gräber zu geben, denn ich fürchtete den Einfluß dieses Orts und seiner Erinnerungen auf ihren Seelenzustand. Nun aber veranlaßten mich ganz andre Gründe, diese Rücksicht fallen zu lassen, und ich fuhr fort:
»Ich habe euch eine Mitteilung zu machen, die ich eigentlich für später aufheben wollte. Ihr befindet euch über diesen Ort, wo wir uns jetzt aufhalten, im Irrtum. Hier liegen nicht Kiowahäuptlinge begraben, sondern – der Vater und die Schwester meines Winnetou. Der Tavuntsits-payavh ist unser Nugget Tsil.«
Der Eindruck dieser Worte war gewaltig. Die Brüder standen still und wortlos vor mir.
»Habt ihr mich verstanden?« fragte ich.
Da glitt Hariman schwer auf den Boden nieder, schlug die Hände vors Gesicht und begann laut und bitterlich zu weinen. Sebulon hob seinen finstern, flackernden Blick zu mir empor.
»Ist das wahr, was Ihr sagt?«
»Was für einen Grund könnte ich haben, euch zu belügen?«
» Well! Wir glauben Euch! Das sind also die Gräber von Intschu tschuna und Nscho-tschi?«
»Ja.«
»Ich muß mir diese Stätten betrachten.«
Er ging zunächst zum Hügel des Häuptlings und dann zu dem seiner Tochter. Er nahm sie sehr eingehend in Augenschein. Dabei schien er äußerlich gefaßt; aber ich sah, daß sein Gang unsicher war vor innerer Erregung. Langsam schritt er wieder dahin zurück, wo der Hase lag. Er stieß ihn mit dem Fuß an, indem er leise knirschte:
»Auch nur so ein armes Häschen! Grad wie damals Gates und Clay. Ihr seht, Mr. Burton, daß ich alles gelesen und mir alles gemerkt habe, sogar das mit dem Hasen und den alten Tauben, die niemand genießen konnte. Ich möchte Euch bitten, uns einen Liebesdienst zu erweisen.«
»Bitte?«
»Macht uns die Vergangenheit dieses Orts wieder lebendig! Laßt vor uns die zwei wichtigsten Bilder aus jener Zeit aufleben. Versteht Ihr mich?«
»Ich verstehe. Ihr wünscht, daß wir uns jetzt auf die Pferde setzen und ich euch zu den ereignisschweren Orten führe, wo einst Intschu tschuna mit seiner Tochter erschossen wurde, und wo zum andern euer Vater mir das Testament entriß?«
»Ja, das meine ich.«
»Das beabsichtigte ich ohnehin, um meiner Frau diese Stätten zu zeigen. Wollt ihr uns begleiten, so habe ich nichts dagegen. Lediglich Mr. Holbers bleibt als Wache hier.«
»Sehr gern!« nickte der Alte. »Habe nicht die geringste Lust, mich um derartige alte Stapfen zu kümmern.«
Er hätte sich wohl gern noch kräftiger ausgedrückt, denn er mochte die Brüder nicht leiden; doch ließ er es bei dieser Andeutung bewenden. Wir andern konnten gleich wieder aufsteigen, da die Pferde noch nicht abgesattelt waren. Es ging den Weg wieder zurück, den wir gekommen waren, und dann südwärts bis zu der Quelle, an der ich damals mit Winnetou, Intschu tschuna, Nscho-tschi, Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und den dreißig Apatschen gelagert hatte. Das ist in ›Winnetou‹ Band I zu lesen. Von dort aus bewegten wir uns so, wie ich dann teils gegangen, teils geritten war, bis die Schüsse fielen, von denen Vater und Tochter getroffen wurden. Hierdurch gewannen meine Frau und die Brüder ein klares Bild von der Ermordung derer, die mir so lieb gewesen waren. Hierbei kamen wir schließlich zu unserm Zelt zurück, wo ich dann gleich an Ort und Stelle erzählen und erklären konnte, wie es bei dem Raub des Testaments zugegangen war. Hariman Enters hatte während dieses ganzen Rittes kein einziges Wort gesprochen und mich kein einziges Mal angesehn. Er tat mir leid. Seine Wangen glühten zuweilen; oft wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er fieberte. Ganz anders sein Bruder. Dieser schien völlig unberührt. Er zeigte eine Ruhe, die selbst ein guter Menschenkenner für echt gehalten hätte. Aber seine Augen – seine Augen! Die verrieten alles! Er war wütend darüber, daß die Streiche seines Vaters nicht so geglückt waren, wie es in dessen Absicht gelegen hatte. Er haßte mich wahrscheinlich noch glühender, als jener mich gehaßt hatte. Dieser Santer-Sohn war eines jeden Verbrechens, sogar des Mordes fähig. Und doch brauchte ich ihn nicht zu fürchten, wenigstens jetzt noch nicht, weil er mich Kiktahan Schonka ausliefern sollte, und zwar lebendig und unversehrt.
Auch er bemerkte jetzt die kleine Bodenvertiefung am Häuptlingsgrab. Er betrachtete sie, sann nach und fragte mich dann:
»Hier habt Ihr wohl damals gegraben?«
»Ja«, nickte ich.
»Da lag das Testament?«
»Ja. Und nicht nur das.«
»Was noch?«
»Das weiß ich nicht; aber wir werden es gleich erfahren. Ich bitte euch, mir eure Spaten zu borgen. Will noch einmal hier nachgraben.«
»So glaubt Ihr, daß damals nicht alles herausgenommen wurde?«
»Ich bin überzeugt davon.«
Da leuchteten seine Augen glühend auf, und seine Stimme klang vor Erregung heiser.
»Und dazu sollen wir Euch unsre Geräte borgen! Fällt uns nicht ein! Wir graben selber, mein Bruder und ich!«
Er rannte dorthin, wo die Spaten lagen, holte sie und hielt seinem Bruder einen hin.
»Steh auf und heul nicht, alte Memme! Du hörst es ja: Das Nest ist nicht ganz ausgenommen worden. Es gibt noch was zu holen. Wahrscheinlich sehr viel! Steh auf! Arbeiten heißt es jetzt, arbeiten!«
Hariman hatte sich wieder niedergesetzt und den Kopf gesenkt. Er stieß den ihm angebotnen Spaten von sich.
»Laß mich! Ich rühre keine Hand! Verflucht sei all das Gold und deine Sucht, es andern zu entreißen! Du wirst daran zugrunde gehn, genau wie – er!«
»So willst du nicht?«
»Nein! Gib dir keine Mühe! Ich habe genug!«
»Feigling! Verdammte Memme!« zischte ihn Sebulon verächtlich an.
Da erhob sich Hariman mit einem schnellen Ruck, trat hart an ihn heran und fragte zornig:
»Wer ist die Memme? Du oder ich? Ich habe den Mut zu kämpfen, du aber nicht. Ich will frei sein von diesem Teufel, der uns besessen hat und auch heut noch besitzt. Er ist ohne Gnade und ohne Erbarmen. Er gebietet uns, ihm zu gehorchen oder zugrundezugehn. Er fordert von uns das Verbrechen oder den Sühnetod für den Vater. Dir fehlt der Mut, gegen ihn zu kämpfen; darum wählst du das Verbrechen; ich aber wähle – den Tod. Wer ist also die Memme? Du oder ich?«
»Ich wähle nicht das Verbrechen, sondern ich wähle das Gold! Und wenn du nicht hilfst, so nehme ich es mir allein.«
Er warf den einen Spaten hin und begann mit dem andern zu graben. Hariman setzte sich wieder nieder. Da trat Dick Hammerdull herbei und griff nach dem am Boden liegenden Gerät.
»Ich helfe mit. Zwei fördern mehr als einer.«
Sebulon aber fuhr ihn schnell an:
»Fort mit Euch! Ihr habt hier nichts zu suchen! Ich dulde hier keinen andern!«
»Ob Ihr es duldet oder nicht, das bleibt sich gleich. Wer wenn es Euch nicht paßt, will ich mich nicht aufdrängen.«
Er ließ den Spaten wieder fallen. Sebulon aber arbeitete mit einer Hast, als sei er von Sinnen. Er tat Stich um Stich, und zwar mit einem Übermaß von Kraft und Eile, als sei keine Minute zu verlieren, als handle es sich um Leben und Seligkeit. Das Loch wurde rasch tiefer. Er starrte nur immer hinein. Er sah weder nach rechts noch nach links. Der Schweiß lief ihm von der Stirn über die Wangen herunter.
»Das ist offenbarer Wahnsinn!« flüsterte meine Frau mir zu. »Er tut, als gehörte alles ihm! Was soll daraus werden?«
»Keine Bange!« beruhigte ich sie ebenso leise.
»Aber wenn er etwas findet – was dann?«
»Wenn es kein Gold oder Geldeswert ist, wird er es verschmähn.«
»Und wenn es etwas ist, was ihm doch zusagt? Dann kommt es zum Kampf zwischen dir und ihm!«
»Laß mich nur machen und hab keine Sorge! Es handelt sich hier um ...«
»Horch!« unterbrach sie mich. »Was schrie er da?«
Sebulon hatte einen Jubelruf ausgestoßen und verdoppelte jetzt seine Anstrengungen. Die Erde flog hoch aus dem Loch heraus. Ich trat hin und schaute hinab.
»Fort, fort!« brüllte er mich an.
»Ich will nur einen Blick hinuntertun«, erklärte ich ihm ruhig.
»Auch das nicht! Fort, oder ich schlag zu!«
Damit hob er auch schon den Spaten und sah mich mit drohenden Augen an. Ich trat zurück und fuhr beruhigend fort:
»Darf man denn nicht einmal fragen, warum Ihr jetzt gerufen habt?«
»Das will ich Euch wohl sagen: Ich bin auf Gold gestoßen.«
»Auf Gold?«
»Ja – auf etwas Hartes, Breites. Das Loch ist zu schmal. Ich muß es größer machen. Aber ich allein! Wer mir zu nahe kommt, den schlag ich nieder.«
Er arbeitete weiter; ich aber kehrte an meinen Platz zurück.
»Siehst du, daß ich recht habe?« begann meine Frau ihre Warnungen aufs neue. »Er wollte dich erschlagen!«
»Wird es aber nicht tun. Bitte, erschwere mir die Lage nicht durch deine Angst! Du hast gar keinen Grund, dich zu sorgen!«
Da beruhigte sie sich, obgleich der Eindruck, den Sebulon machte, keineswegs geeignet war, Beruhigung aufkommen zu lassen. Bisher hatte er sich den Schweiß von Zeit zu Zeit abgewischt; nun tat er das nicht mehr. Die Nässe rann in großen, schweren Tropfen herunter. Das Gesicht erschien geschwollen; die Augen traten mehr und mehr hervor. Er ächzte und stöhnte fast bei jedem Spatenstich. Ermüdet mußte er dann und wann innehalten, um Atem zu holen. Seine Arme begannen zu zittern, und seine Bewegungen wurden unsicher. Sein Anblick ließ uns innerlich erschauern. Sebulon glich einem bösen Geist. Es gehörte Überwindung dazu, seinem Treiben geduldig zuzusehn.
Da – wieder ein Freudenschrei! Und abermals einer!
»Vater, Vater, du bist hier! Du hilfst mir! Ich weiß es; ich fühle es! Ich danke dir!«
Nach diesen wilden Ausrufen des Entzückens wandte er sein verzerrtes Gesicht uns zu und drohte:
»Keiner darf heran, keiner! Wer es wagt, diese Schätze zu berühren, den schlag ich tot! Merkt euch das!«
Das Loch war breit und tief geworden. Er stieg hinein. Die Seitenwände reichten ihm bis an den Gürtel. Er bückte sich, hob etwas empor und legte es auf den Rand. Es war ein tönernes Gefäß. Er brachte noch eins zum Vorschein und noch eins. Hierauf grub er noch eine Weile tiefer, stieg sodann heraus und tat einen langen, schweren Atemzug.
»Fertig! Das ist alles! Weiter gibt es nichts!«
Hariman hatte von ihm abgewendet gesessen. Jetzt drehte er sich um, sah die Gefäße, stand auf und näherte sich seinem Bruder.
»Ah, da kommst du doch!« höhnte Sebulon. »Aber glaube ja nicht, daß du etwas davon erhältst! Es ist mein, alles mein!«
»Nichts ist dein!« fuhr ihn Hariman an.
»Wem sonst?«
»Es gehört Mr. Burton. Winnetou hat es für ihn vergraben, für ihn allein!«
»Beweis, Beweis!« lachte Sebulon. »Dieser Mr. Burton hat sich vor dreißig Jahren geholt, was ihm gehörte. Das Testament. Alles andre ließ er liegen; es war nicht sein! Heute bin ich der Glückliche, und es ist ein regelrechter Präriefund. Nach dem Gesetz des Westens gehört er mir!«
»Falsch!« widersprach Hariman. »Was wußtest du von diesem Schatz? Mr. Burton aber kannte ihn. Er wollte ihn holen, wollte graben. Deshalb bat er um unsre Spaten. Du hast ihm nicht nur deinen Spaten, sondern auch deine Arme, deine Arbeitskraft geliehen. Du grubst in seinem Namen. So steht es.«
»So?« zischte Sebulon. »Das sagst du, mein eigner Bruder! Woher weißt du, daß ich für ihn gegraben habe und nicht für mich? Er hat ruhig zugesehn, als ich arbeitete, und nicht gesagt, daß es für ihn sein soll. Und als er an das Loch kam, um hinabzuschauen, und ich ihn fortwies, hat er sich entfernt, ohne auch nur den geringsten Anspruch auf das zu erheben, was sich darin befand. Verstanden? Diese drei Schatzgefäße sind also mein Eigentum. Und ich will den sehn, der den Mut besitzt, sie mir streitig zu machen. Jetzt hilf! Ich will sie öffnen!«
Meine Frau sah mich besorgt und fragend an. Ich flüsterte ihr unauffällig zu:
»Warten wir ab, was sich drin befindet! Auf keinen Fall ist es Gold.«
»Woraus schließt du das?«
»Ich habe aufgepaßt. Für Gold war es nicht schwer genug. – Nur Geduld!«
Die Tongefäße waren von quadratischer Gestalt, von blaubrauner Farbe und mit indianischen Figuren verziert. Man erkannte sie sofort als gebrannte Töpferarbeiten aus einem Moqui- oder Zuni-Dorf. Sie waren aus einem obern und einem untern Teil zusammengesetzt, der eine auf den andern gestülpt, die Verbindungslinie mit einem Kitt überzogen, der keine Feuchtigkeit durchließ. Außerdem waren sie noch mit starken, geölten Bastschnüren umwickelt. Ich vermutete auch aus diesem Grund, daß der Inhalt kein Metall, sondern irgendein Gegenstand sei, der vor allen Dingen vor Feuchtigkeit geschützt werden mußte.
»Also komm und hilf!« forderte Sebulon seinen Bruder nochmals auf. »Aber nimm dich in acht, daß wir nichts zerbrechen!«
Sie setzten sich miteinander zu den Gefäßen nieder und begannen zunächst die Umschnürung zu entfernen. Hariman tat dies ruhig und bedächtig, Sebulon aber hastig und ohne Geduld. Wie vorhin seine Arme gezittert hatten, so bebten jetzt seine Hände und Finger.
»Die verwünschten vielen Knoten!« klagte er. »Es geht so langsam. Mach schnell! Aber zerbrich nichts; es darf kein einziger Bruch, kein Riß entstehn!«
Als die Schnüre von den ersten zwei Gefäßen gelöst waren, machten sich die beiden daran, den Kitt mit den Messern abzukratzen. Das war eine zeitraubende Arbeit, weil er sich im Verlauf der Zeit in Stein verwandelt hatte. Dabei sprach Sebulon in einem fort auf seinen Bruder ein, von Silber, von Gold, von Perlen, von alten, mexikanischen, toltekischen, aztekischen oder gar altperuanischen Schmucksachen und Geschmeiden. Er bildete sich das Teuerste, das Köstlichste ein, was es gibt. Das artete nach und nach in hirnverbranntes, verrücktes Schwatzen aus. Sie hielten gleichen Schritt in ihrer Arbeit. Als der eine fertig war, war es auch der andre. Jeder konnte nun sein Gefäß öffnen, tat es aber noch nicht. Die Spannung war zu groß. Man holte erst Atem.
»Rate! Was ist drin?« rief Sebulon mit zuckenden Lippen. »Gold? Diamanten ...?«
»Ich rate nicht«, antwortete Hariman. »Machen wir auf!«
»Gut! Ich zähle! Eins ... zwei ... drrrrrrrei ...!«
Die beiden Deckel flogen zu gleicher Zeit auf. Jeder schaute in sein Gefäß. Jeder griff hinein, um den Inhalt herauszunehmen. Dann verblüfftes Schweigen. Vergebens warteten wir auf einen Ruf der Überraschung oder der Freude. Sie betrachteten, was sie in den Händen hielten.
»Ein Lederpaket!« sagte endlich Sebulon.
»Ja, ein Lederpaket«, stimmte Hariman bei.
»Etwa mit Gold?«
»Nein. Dazu ist es zu leicht.«
»Diamanten? Geschmeide?«
»Auch zu leicht.«
Sebulons Augen blitzten wieder auf. Drei solche Pakete mit Banknoten! Welch ein Vermögen!
»Auf, auf! Schneiden wir auf, schnell!« rief er aus.
Die Riemen wurden zerschnitten und die Lederteile auseinandergeschlagen.
»Bücher!« sagte Hariman enttäuscht.
»Bücher! Tod und Teufel! Nur Bücher!« brüllte Sebulon. »Weg mit ihnen, weg!«
Er schleuderte sie fort.
»Aber was für Bücher?« warnte Hariman. »Schau doch erst nach! Es kann ja Geld drin liegen.«
Sofort holte Sebulon das Weggeworfne wieder her, um es zu prüfen, schleuderte es aber sehr bald noch weiter von sich als vorher.
»Beschriebne Seiten, lauter beschriebne Seiten!« wütete er. »Mit nichtssagenden Überschriften und mit dem geliebten Namen Winnetou!« setzte er höhnisch hinzu.
»Bei mir hier auch«, erklärte Hariman, der sein Paket inzwischen ebenfalls untersucht hatte.
»Dann weg damit, immer weg! Und dafür das letzte her! Ich hoffe, daß es Besseres enthält!«
Man kann sich denken, daß ich den Verlauf dieser Szene nicht so gleichgültig verfolgte, wie ich mir den Anschein gab. Hier war mir jedes einzelne Blatt, jedes Stückchen Leder oder Bastschnur heilig. Ich ließ die beiden gewähren, weil ich einen Auftritt möglichst vermeiden wollte. Aber verletzen oder gar verderben durften sie mir nichts; das stand für mich fest. Jetzt, als sie das dritte Gefäß hernahmen, ging das Öffnen dem ungeduldigen Sebulon nicht schnell genug. Er schnitt und riß die Umschnürung in bebender Eile herunter.
»Das geht alles viel zu langsam! Der Kitt wird nicht wieder aufgekratzt, denn das erfordert zu viel Zeit. Ich schlage das Gefäß einfach entzwei.«
Nun ging ich schnell zu ihnen hin.
»Entzweigeschlagen wird hier nichts! Diese Gefäße enthalten das Vermächtnis eines großen, edlen Verstorbnen. Sie haben für mich einen höheren Wert als Gold und Edelsteine. Ich dulde nicht, daß man sie zerbricht!«
Im Nu stellte Sebulon das Gefäß neben sich hin, griff zum Spaten und sah mich drohend an.
»Und wenn ich das Ding dennoch zerbreche, was dann?«
» Pshaw! Ihr kommt gar nicht dazu! Ich schlage Euch nieder, daß Ihr Euch umlegt wie ein Sack!«
»Ah!« höhnte er. »Versucht das doch einmal! Merkt aber vorher auf, was ich Euch sage: Ihr seht den Spaten in meiner Hand. Damit zerschlage ich zunächst das Gefäß, und dann, sobald Ihr nur die geringste Bewegung gegen mich wagt, zerschmettre ich Euch damit den Schädel! Nun tut, was Ihr wollt!«
Er hob den Spaten hoch, um seine Drohung auszuführen, und ich ballte schon die Faust zum angekündigten Hieb; da mischte sich Hariman ein.
»Bist du toll? Tu das Grabscheit weg!«
Sebulon stierte ihn an wie einer, der aus einem langen, schweren Traum erwacht und nur langsam die Dinge um sich her begreift. Er senkte den Spaten. Seine Lippen bewegten sich.
»Warum fällst du mir in den Arm?« murmelte er. »Du Narr, begreifst du nicht, daß ich das Erbe unsres Vaters verteidigen muß?«
Hariman maß ihn mit einem seltsamen Blick.
»Das Erbe unsres Vaters«, wiederholte er. »Gut, daß du das Wort gebrauchst. Weißt du, was er uns vererbt hat? Weißt du es?«
»Das Anrecht auf das Gold!« trotzte Sebulon.
Der andere aber lachte bitter auf.
»Gold, Gold und immer wieder Gold!« höhnte er grimmig. »Ich sage dir, wir gewinnen hier nicht ein armseliges Nugget. Unser Vatererbe ist der Fluch, zerstören und töten zu müssen. Andere und uns! Fremdes Glück und eigenes! Alles – alles!«
Sebulon antwortete nicht mehr. Wie ein Irrer maß er den Sprecher mit einem fremden Blick. Da legte ihm meine Frau die Hand auf die Schulter.
»Euer Bruder hat die Wahrheit gesagt. Mäßigt Euch! Es ist zu Euerm Besten.«
Er zuckte zusammen und wich zurück.
»Laßt mich!« Aber das klang nicht zornig, sondern bittend. Es war etwas wie Furcht in seinem Gebaren. »Seht mich nicht so an! Ich kann den Blick Eurer Augen nicht ertragen.«
Dann war es als trügen ihn seine Beine nicht länger. Er knickte schwerfällig zusammen. So kauerte er nun am Boden und starrte vor sich hin ins Leere.
Meine Frau setzte sich neben ihn und sprach freundlich auf ihn ein.
»Seht, ich schaue Euch nicht an, wenn Euch das lästig ist! Aber sprechen darf ich doch? Ihr nickt? Das ist recht. Ich meine es ja nur gut. Nehmt das Gefäß wieder zur Hand und öffnet es vorsichtig!«
Langsam griff er zu. Dann saß er wieder unbeweglich. Fast schien es, als horchte er in sich hinein. Endlich wendete er sich an seinen Bruder Hariman.
»Also, beginnen wir! Aber behutsam, damit nichts zerbricht! Verstanden?«
Er nahm, als sei nichts vorgefallen, die mühsame Arbeit von neuem auf. Und er tat sie so sorgfältig und bedächtig, daß ich mich im stillen wunderte. Meine Frau aber lächelte. Zwar kehrte die frühere Hast bei Sebulon nach und nach zurück; aber er widerstrebte ihr; es gelang ihm, sich zu beherrschen, wenigstens bis zu dem Augenblick, wo er so weit war, das Tongefäß öffnen zu können. Da holte er tief Atem und rief:
»Mrs. Burton! Wenn es wieder nur Bücher sind, so sollen sie Euer sein! Wenn es aber Gold oder Ähnliches ist, so gebe ich es nicht her! Um keinen Preis! Jetzt schau ich nach!«
Sie nickte ihm aufmunternd zu.
Er entfernte den Deckel und sah hinein.
»Ganz dasselbe Lederpaket!« stöhnte er.
Er nahm es heraus, öffnete und durchsuchte es.
»Wieder nur geschriebene Zeilen, weiter nichts! Es ist eine Schande!«
Sein Bruder schwieg. Er spielte wie gedankenlos mit den zerschnittenen Riemen der ersten beiden Pakete. Dabei waren Harimans Züge starr und ausdruckslos. Man konnte es ihm nicht ansehn, ob er enttäuscht oder nur gleichgültig war.
Sebulon fand diese Ruhe offenbar unerträglich. Er faßte den Bruder bei den Schultern und rüttelte ihn.
»Du! Sag doch auch ein Wort!«
»Was soll ich sagen?«
»Irgend etwas! Nur nicht so still dasitzen, als hätte uns der Teufel eben nicht wieder einen Streich gespielt. Oh, es ist zum Verzweifeln! Verrückt, verrückt könnte einer darum werden!«
Er sprang auf und lief erregt hin und her. Wir ordneten inzwischen die Hefte, die er achtlos beiseitegeworfen hatte. Da setzte er sich wieder zu uns, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Seine Brust arbeitete krampfhaft. Wir andern verhielten uns still. Nach einer Weile stand er plötzlich auf, sah sich um, als erwache er aus einem Traum, und rief in zornigem Ton:
»Wie habe ich gesagt? Er sei da, unser Vater? Verrückter Kerl, der ich bin! Von dem alten Lumpen ist längst keine Faser, kein Stäubchen mehr übrig! Nur die Schande hat er uns gelassen, die Schande! Und den Trieb zum Bösen hat er uns vererbt, den Drang zum Mord, zur Selbstvernichtung! Das ist alles, was wir ihm zu verdanken haben. Alles! Und das will ein Vater gewesen sein! Pfui!«
Er spuckte aus und entfernte sich. Aber schon nach wenigen Schritten blieb er stehn und drehte sich nach uns um.
»Mrs. Burton, ich verzichte auf die Schreibereien: Ich schenke sie Euch, hört Ihr es, nur Euch! Sie sind Euer Eigentum. Macht damit, was Euch beliebt!«
Hierauf wandte er sich wieder von uns ab und schritt davon, in den Wald hinein, hinter dessen Bäumen er verschwand.
»Törichter Mensch!« murrte sein Bruder, der ihm, ebenso wie wir, nachgeschaut hatte. Weiter sagte er nichts.
Klara mußte nun eigentlich an ihre Pflichten denken; sie tat es jedoch nicht. Sie wollte zunächst wissen, was für ein Schatz es war, den wir ausgegraben hatten. Ich aber bat vorerst einmal Hammerdull, für alle Fälle noch ein wenig tiefer zu graben, damit nicht etwa auch heut wieder etwas liegenblieb. Holbers erbot sich sofort, ihm dabei zu helfen. Sie gingen noch ganze zwei Fuß tiefer, fanden aber nichts mehr und schütteten dann die Bodenöffnung wieder vollständig zu. Inzwischen untersuchte ich mit meiner Frau den Inhalt sämtlicher drei Gefäße.
Es waren lauter zusammengebundene Hefte, geschrieben von Winnetous eigner, mir wohlbekannter Hand. Man kann sich wohl denken, welchen Eindruck diese nicht eigentlich schönen, aber ausgeprägten Schriftzüge auf mich machten. Die Buchstaben hatten peinlich genau dieselbe Lage und Länge. Die Schrift war klar und ebenmäßig, wie die Seele dessen, von dessen Hand sie stammte. Er hatte mehr gezeichnet und gemalt als geschrieben. Kein einziger Fleck, keine Spur irgendeiner Unsauberkeit war zu sehn. Und das waren nicht etwa nur zwanzig, dreißig, fünfzig Seiten, sondern noch sehr viel mehr! Wo hatte er sie geschrieben? Auf den Umschlägen einiger Hefte war es zu sehn. Da stand: ›Geschrieben am Nugget Tsil‹ – – ›Geschrieben am Grab meines Vaters‹ – – ›Geschrieben am Grab Klekih-petras‹ – – ›Geschrieben in Old Shatterhands Wohnung am Rio Pecos‹ – – ›Geschrieben bei Tatellah-Satah‹ – – ›Geschrieben für meine roten Brüder‹ – – ›Geschrieben für meine weißen Brüder‹ – – ›Geschrieben für alle Menschen auf Erden‹. Viele der Hefte aber waren ohne solch eine Überschrift. Die Sprache war englisch. Wo ihr der richtige, treffende Ausdruck fehlte, traten die bezeichnenderen indianischen Worte an ihre Stelle. Er hatte von mir so manchen deutschen Ausdruck gehört und im Gedächtnis festgehalten – nun war es rührend zu sehn, wie sehr er sich in diesen Blättern befleißigt hatte, an geeigneten Orten diese Ausdrücke anzuwenden.
Am Schluß des letzten Hefts fand ich einen an mich gerichteten Brief. Er lautete folgendermaßen:
»Mein lieber, guter Bruder,
ich bete zum großen, allgütigen Manitou, daß Du kommst, Dir diese Bücher zu holen. Und wenn Du sie beim erstenmal Nachgraben doch verfehlen solltest, so ist es eben noch nicht an der Zeit, daß sie in Deine Hände gelangen. Dann werde ich dort oben nicht eher nachlassen im Gebet, bis Du endlich doch noch einmal forscht und sie findest. Denn sie sind nur für Dich bestimmt.
Ich habe mein Vermächtnis nicht bei Tatellah-Satah niedergelegt, weil er Dich nicht liebt. Aber auch hier sind seine Gründe edel, wie immer. Und ich habe es auch keinem andern anvertraut, weil mein Vertrauen zum allmächtigen und allweisen Vater der Welten größer ist als zu den Menschen. Ich grabe diese Bücher tief in die Erde, denn sie sind wichtig. Weiter oben liegt ein zweites Testament, dieses hier zu verbergen und zu beschützen. Ich werde Dir nur von diesem oberen sagen, damit das untere liegenbleibt, bis seine Zeit gekommen ist. Tatellah-Satah aber weiß von beiden Vermächtnissen, die für Dich hier liegen, damit sie, falls Du ja nicht kommen solltest, trotzdem nicht verlorengehn.
Und nun öffne mir Dein Herz und vernimm, was ich Dir sage!
Ich bin Dein Bruder. Ich will es sein und bleiben. Auch dann, wenn die Trauerkunde durch die Stämme der Apatschen geht: ›Winnetou, unser Häuptling, ist tot!‹ Du hast mich gelehrt, daß der Tod die größte aller Erdenlügen sei. Ich möchte Dir beweisen, daß dieses köstliche Geschenk, das Du mir brachtest, die Wahrheit enthält. Ich will, wenn man von mir sagt, ich sei gestorben, die Hände ebenso über Dich breiten, wie ich sie über Dich breitete, als ich noch lebte. Ich will Dich schützen, mein Freund, mein lieber Bruder.
Der große, gute Manitou führte uns zusammen. Wir sind nicht zwei Wesen, sondern eins. Wir werden es bleiben. Es gibt keine Macht auf Erden, die stark genug ist, das zu ändern. Auch das Grab gähnt nicht zwischen uns. Ich werde seine Tiefe überwinden, indem ich in meinem Vermächtnis zu Dir komme und für immer bei Dir bleibe.
Du bist, seit ich Dich kenne, mein Schutzengel gewesen, und ich war in gleicher Weise der Deine. Du standest mir höher als jeder andre, den ich liebte. Ich eiferte Dir nach in allen Dingen. Du gabst mir viel. Du brachtest mir Schätze für Geist und Seele, und ich versuchte, sie festzuhalten und mir anzueignen. Ich bin Dein Schuldner; aber ich bin es gern, denn diese Schuld ist nicht drückend, sondern erhebend. Konnten die Bleichgesichter nicht alle so zu uns kommen, wie Du zu mir kamst? Ich sage Dir, alle meine roten Brüder wären ebenso gern ihre Schuldner geworden, wie ich der Deine wurde. Der Dank der roten Rasse an die weiße wäre ebenso aufrichtig gewesen wie der Deines Winnetou an Dich. Und wo Millionen danken, da wird die Erde zum Himmel.
Aber Du hast noch mehr getan als das. Du hast Dich nicht nur Deines roten Freundes, sondern auch seiner ganzen verachteten, verfolgten Rasse angenommen, obgleich Du ebenso weißt wie ich, daß man Dich vielfach dafür verhöhnt und verlacht. Doch zage nicht, mein Freund; ich werde immer bei Dir sein. Was man Dir, dem Lebenden, nicht glaubt, das wird man mir, dem Toten, glauben müssen. Und wenn man das, was Du schreibst, nicht begreifen will, so gib ihnen zu lesen, was ich niederschrieb. Ich bin überzeugt, es war gewiß die gewagteste, aber wohl auch die beste Tat Deines Winnetou, daß er in stillen, heiligen Stunden das Gewehr zur Seite legte und für Dich zur Feder griff. Dieses Beginnen ist mir schwer geworden, der Feder wegen, die sich sträubte, mir, der Rothaut, zu gehorchen. Und doch auch leicht, des Herzens wegen, dessen Stimme aus jeder Zeile spricht, die ich den Menschen hinterlasse.
So wird Dein Winnetou auch noch im Tod an Deiner Seite stehn, denn meine Liebe lebt. So wird er für Dich kämpfen, indem er für sich selber und seine Rasse kämpft. So habe ich mich zu Deinem Schutz zu Dir emporgehoben. Laß Dir den Schutz des Toten gefallen! Dann wird auch ebenso mein Volk sich zu dem Deinigen erheben, und alle Leiden meines Volks sind ausgelöscht, wenn nicht aus der Geschichte, so doch vor Manitou.
Du weißt, ich bin bei Dir, wenn Deine Augen diese Zeilen lesen werden, und Du wirst meine Gegenwart spüren in der warmen Beseelung, die in Deinem Herzen lebt. Könnte diese Beseelung doch in der ganzen Menschheit lebendig sein!
Hoffe ich zuviel, da ich dieses schreibe? Ich grüße Dich! Was Du von mir noch alles hören möchtest, wirst Du in diesen Blättern finden. Ich brachte sie zum Nugget Tsil. Das Grab meines Vaters ist bereits geöffnet, sie aufzunehmen. Ich bin ganz allein! – Wie habe ich Dich immer lieb gehabt! Du warst mir Geist und Seele, Herz und Wille. Was ich Dir bin, das wurde ich durch Dich. Es gibt so viele, die ganz dasselbe werden möchten, für Euch – für Euch!
Dein Winnetou.«
Meine Frau saß dicht neben mir. Ich hatte ihr mit halblauter Stimme vorgelesen. Als ich fertig war, sagte sie nichts. Sie schlang ihre Arme um mich, lehnte ihren Kopf an meine Schulter und weinte. Auch ich war ergriffen. So verharrten wir lange Zeit. Still packten wir dann die Hefte wieder in die Tongefäße und trugen sie ins Zelt. Den Brief aber behielt ich bei mir.
»Wirst du ihn dem Jungen Adler zeigen?« fragte sie mich.
»Ja, er soll ihn lesen«, antwortete ich. »Ich hatte gerade den gleichen Gedanken.«
Wir gingen zu ihm hin. Es schien, als hätte er sich nicht um uns gekümmert. Als ich ihm aber den Brief mit einigen erklärenden Worten zum Lesen überreichte, glitt es wie heller Sonnenschein über sein Gesicht. Er sprang auf und griff nach dem Schreiben.
»Ich danke Euch, Mr. Burton! Glaubt mir, ich weiß genau, was es heißt, einen solchen Brief aus solcher Hand zu bekommen!«
»Ich zeige ihn Euch in ganz besonderer Absicht«, erwiderte ich. »Ich stelle dieses Vermächtnis meines Winnetou ausdrücklich unter Euern Schutz. Ich kann nicht stets in der Nähe des Zelts sein und bitte in diesen Fällen um Eure erhöhte Wachsamkeit. Jetzt gehe ich, nach Sebulon Enters zu sehn.«
»Und ich werde inzwischen für des Leibes Nahrung sorgen«, erklärte meine Frau. »Ich mache wahr, was du ihm und seinem Bruder versprochen hast – die Bärentatzen. Ich hoffe, daß mir das mit Mr. Hammerdulls Hilfe gelingen wird.«
Der Grund, nach Sebulon auszuschauen, lag nicht nur in der Besorgnis um unser aller Sicherheit, sondern es drängte mich vielmehr das Mitleid, ihn jetzt nicht für längere Zeit aus den Augen zu lassen. Ich wollte auch ihn retten, nachdem sein Bruder so ziemlich als gerettet gelten konnte. Aufmerksam folgte ich seinen Spuren. Sie führten in die Tiefe des Waldes, nicht in grader Linie wie die Stapfen eines Menschen, der weiß, wohin er will, sondern bald nach rechts und bald nach links, bald vorwärts und bald wieder zurück, als ob er in der Irre sei und nicht wisse, wo aus noch ein. Zuweilen war er stehngeblieben und hatte sich nach allen Seiten gewendet, als fühlte er sich rundum von unsichtbaren Wesen bedroht, gegen die er sich hätte wehren müssen.
Durch diese Beobachtungen aufgehalten, kam ich nur langsam vorwärts. Endlich aber hörte ich ihn. Er sprach laut mit sich selber. Ich folgte der Richtung, die mir der Schall verriet. Er stand unter einer hohen Buche, an ihren Stamm gelehnt. Nahe dabei gab es dichtes Unterholz, hinter dem ich Deckung fand. Sebulon sprach, als hätte er greifbare Gestalten vor sich. Er nickte ihnen zu und fuchtelte mit den Armen umher. Ich hörte folgendes:
»Ihr alle seid schon tot, ihr alle! Nur wir zwei sind noch übrig! Müssen auch wir noch fort? Hariman will sterben; ich aber will leben. Ich will den Willen des Vaters tun, damit er nicht auch noch mich, den letzten, ermordet! Ich will ihm diesen Old Shatterhand ans Messer liefern, ich will, ich will! Ich will den ärgsten Feind der Familie Santer vernichten, damit ich selber am Leben bleibe. Aber kann ich – kann ich?«
Er bewegte bei dieser Frage den Kopf so, als hätte er einen Halbkreis von Zuhörern vor sich. Er lauschte, als würde ihm von dorther geantwortet. Dann fuhr er fort:
»Diese Frau ist schuld! Diese Frau mit den blauen Augen, deren Blick ich nicht ertragen kann! Die stellt sich mir wie eine lebendige Warnung in den Weg!«
Er legte die beiden hohlen Hände wie ein Schallrohr an den Mund und erklärte geheimnisvoll:
»Das sind die blauen Augen unsrer Mutter. Diese lieben, blauen Augen, die so oft weinten, bis sie vor Herzeleid brachen und sich für immer schlossen! Habt ihr diese Ähnlichkeit auch bemerkt? – – – Sollen diese Augen sich mit Tränen füllen, meinetwegen? Soll so viel Güte vernichtet werden? In Haß, in Rache verwandelt? Kann ich das? Darf ich das? Eines Schurken wegen? Eines Schurken –?«
Er neigte den Kopf zur Seite, als lausche er auf etwas, was ihm zugerufen würde, und machte dann eine Bewegung zornigen Widerspruchs.
»Nein! Der Vater hat mich betrogen, elend betrogen! Es war kein Gold; es war nur Papier. Will er mich mit Kiktahan Schonka etwa ähnlich betrügen? Er hat sein Leben lang alle Welt betrogen. Nun er tot ist, kann er nur uns noch betrügen. Aber betrogen muß sein, immer betrogen! Soll ich mir das gefallen lassen? Ich habe große Lust, ihm das zurückzugeben, ihn so zu betrügen, wie er mich betrügt, ihn mit diesem Old Shatterhand zu betrügen. Vielleicht tue ich's. Sogar wahrscheinlich! Ich will endlich einmal nach freiem Willen handeln. Ich will einmal –«
Er wurde unterbrochen. Sein Bruder erschien jenseits der Buche und rief, indem er sich ihm näherte:
»Still, Unvorsichtiger! Dein einfältiges Schreien und Klagen wird uns noch beide verderben!«
»Sie waren alle da, alle!« entschuldigte sich Sebulon.
»Unsinn! Niemand ist da! Aber einer kann kommen, jeden Augenblick. Und wenn der hört, was du da den Bäumen erzählst, ist alles entdeckt, was du doch sonst so sorgsam verschweigst!«
»Wen meinst du?«
»Old Shatterhand. Er ging in den Wald, und zwar genau in der Richtung, wohin du verschwandest. Ich kenne den Geist, der dich zwingt, so laute Reden zu halten. Darum bin ich schnell hinter dir her, um dich zu warnen. Aber ich wußte nicht, wo du warst. Es dauerte lange, bis ich dich fand. Endlich hörte ich dich schreien.«
»So ist dieses Schreien doch zu etwas gut gewesen. Du hättest mich sonst nicht gefunden.«
»Rede doch nicht so lächerlich! Man wird in kurzer Zeit zum Essen rufen. Komm!«
Sie gingen miteinander fort. Ich beeilte mich, sie unbemerkt seitlich zu überholen. Als sie den Lagerplatz erreichten, saß ich schon dort an der Seite des Jungen Adlers, als wäre ich schon vor längerer Zeit zurückgekehrt.
Die Bärentatzen waren mit Wacholderbeeren, Pilzen und Beifuß gut zubereitet; aber nach einigen Tagen wären sie wohl noch besser gewesen.
Nach der Mahlzeit unternahmen meine Frau und ich einen Ritt zu dem schon erwähnten Aussichtsbaum auf der Berghöhe. Es kam mir darauf an, eine weite Umschau zu halten. Die Squaws der Sioux hatten nach dem Nugget Tsil gewollt. Sie hätten schon lange vor uns hier eintreffen müssen, und noch war keine Spur von ihnen zu entdecken. Wir hatten überhaupt weder die Fährte noch die Stapfen eines einzigen Menschen zu sehn bekommen. Darum ritt ich jetzt nach der beherrschenden Kuppe, um von dort aus Umschau zu halten.
Da oben gab es eine schöne, klare, den Blick weithintragende Luft. Ich stieg auf den Baum, soweit die Stärke seiner Zweige es erlaubte. Die Berggruppe des Nugget Tsil lag unter mir. Jenseits dieser dicht bewachsenen Waldfläche breitete sich die von mir schon früher geschilderte, spärliche grüne Prärie aus. Ich hatte mein Fernglas mitgenommen und suchte damit die ganze Gegend ab. Keine Spur eines lebenden Wesens. Wir konnten sicher sein, heut nicht gestört zu werden. So ritten wir denn wieder nach unserm Lager hinab, wo wir bei hereinbrechender Dunkelheit eintrafen.
Dick und Pitt hatten für trocknes Brennholz gesorgt, das für die ganze Nacht reichte. Es lag vor dem Zelteingang aufgeschichtet, und Hammerdull hatte die Aufgabe übernommen, dafür zu sorgen, daß das Feuer nicht ausging. Der Junge Adler saß in der Nähe der beiden Freunde. Die Brüder Enters hockten am Feuer und brieten ihren Hasen. Sie teilten davon später auch an uns aus, und wir weigerten uns nicht, kameradschaftlich mitzuessen. Sie kamen uns verändert vor und erschienen uns unbefangener als sonst. Sie nahmen an unserm Gespräch bescheiden, aber doch in einer Weise teil, als ob nichts zwischen uns und ihnen läge. Wie kam das? Waren ihre Absichten jetzt weniger feindlich als vorher? Wahrscheinlich. Und das galt auch für Sebulon, der sich so ruhig und vernünftig benahm, als sei die häßliche Schatzgräberszene völlig aus seinem Gedächtnis entschwunden.