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Sechzehntes Kapitel.
»Wir sprechen zu Männern.«

Diesmal fiel die Verkündigung in Ohren, die sie das erste Mal nicht gehört hatten, und zwar in die Ohren einer alten Frau, die sich auf dem Weg nach ihrer dürftigen Behausung mühsam Bahn durch die Menge brach. Es war ihr eben gelungen, den freien Raum zu erreichen, als sie die Worte des Herolds vernahm und mit ihrem dumpfen, alten Gehirn sich nach und nach deren Bedeutung klar machte. Wild und verstört schaute sie um sich und erblickte Villon, der in voller Rüstung dastand und doch ein Gefangener war. Ohne weiter zu überlegen, ließ sie ihren Krückstock fallen und humpelte auf die Estrade zu, vor der sie mit flehend erhobenen Händen in die Kniee sank.

»Majestät, Majestät, ich will für ihn sterben!«

Bis in den Hals hinauf pochte Villons Herz, als er sie sah.

»Mutti, Mutti, geh fort!« rief er und machte einen vergeblichen Versuch, auf seine Mutter loszustürzen. Doch er wurde durch die vor ihm gekreuzten Waffen seiner Wächter zurückgehalten. Im nämlichen Augenblick trat auch Katharine von Vaucelles aus der Kirche. Sie zögerte einen Augenblick beim Anblick der dichtgedrängten Menschenmenge und dieser Szene, deren Bedeutung sie nicht sofort zu erfassen vermochte.

»Wer ist dies Weib?« fragte Ludwig und blickte auf die alte Frau nieder, die flehend zu seinen Füßen lag. Olivier flüsterte ihm zu: »Die Mutter des Halunken, Majestät.«

Ein ganz klein bißchen Milde trat in Ludwigs Auge, ein ganz klein bißchen Milde zitterte um seinen Mund.

»Weib, Wir können Euch nicht erhören,« sagte er. »Nach göttlichem Gesetz habt Ihr ihm einmal das Leben gegeben, nach meinem Gesetz sollt Ihr ihm das Leben nicht noch einmal geben.«

»Majestät, ich beschwöre Euch!« flehte Mutter Villon noch einmal, aber so billig war das Mitleid des Königs nicht zu erregen.

»Schafft sie fort, aber seid mild gegen sie!« befahl er.

Noel le Jolys wollte des Königs Befehl ausführen, aber sie erhob sich allein und wies ihn zornig zurück.

»Nein, nein,« rief sie, »ich will meinen Sohn nicht verlassen!« Damit stürzte sie mit ihrem alten, schwachen Körper leidenschaftlich auf ihr Kind zu und schlang ihre hageren Arme um die gepanzerte Brust des Mannes. Ludwig hieß Montjoye zum dritten und letzten Male seinen Aufruf erlassen, und wieder schmetterten die Trompeten, und noch einmal verkündigte die kalte, ruhige Stimme Montjoyes die grausame Bedingung, unter der die Gnade des Königs zu erlangen war.

Die darauf folgende Stille wurde durch eine helle, süße Mädchenstimme unterbrochen.

»Ich will es,« erklärte Katharine von Vaucelles von der Kirchentreppe aus, wo sie stehen geblieben war, und aller Augen wendeten sich dem bleichen Mädchen zu, das dort mit kraftlos herabgesunkenen Armen stand. Langsam schritt sie die Stufen hinab und blieb erst vor des Königs Thronsitz stehen.

»Ich will für ihn sterben, Majestät,« wiederholte sie ruhig.

Ein wilder Schrei drängte sich von Villons Lippen. »Katharine!« tönte es über den Platz. Des Königs bleiche Wangen färbten sich rot.

»Herrin, Wir sprechen zu Männern,« sagte er.

Tristan preßte seine großen Hände fest gegeneinander. »Bei Sankt Denisius,« brummte er, »unsre Weiber scheinen die besten Männer zu sein!«

In stolzer Größe stand Katharine da und blickte dem König fest ins Gesicht. Mutter Villon, tief erschüttert von diesem himmlischen Eingreifen, ließ ihren Sohn los, sank zu den Füßen der engelgleichen Dame nieder und küßte den Saum ihres Gewandes.

Katharine erklärte mutig: »Majestät, ich liebe diesen Mann und wäre stolz darauf, für ihn zu sterben. Es mag Euch Vergnügen bereiten, ihn hängen zu sehen, aber es verträgt sich nicht mit Eurer Ehre, mir nicht zu willfahren. Euer Wort ist gegeben, und ein Königswort muß gehalten werden.«

Der König machte eine ungeduldige Bewegung: »Wir sprechen zu Männern.«

Villon erfaßte dies Wort.

»Und ich spreche zu einem Weib,« rief er und ließ seine Augen voll leidenschaftlicher Liebe auf ihr ruhen. »Katharine,« rief er ihr zu, »meine Katharine, der Tod ist leicht zu überwinden, denn die Liebe ist unsterblich, und du hast mir mehr geschenkt als das Leben.«

Mit ungerührter Stimme beharrte Katharine: »Majestät, ich fordere die Erfüllung Eures Versprechens.«

Wieder wies Ludwig sie zurück: »Wir sprechen zu Männern. Tristan, tue deine Pflicht!«

In diesem Augenblick änderte sich die Szene. Villon hatte sich unversehens losgerissen und stürzte auf Katharine zu. Dies entfachte neuen Mut und neues Mitgefühl in den Herzen seiner Anhänger, und sofort war er von einer Menge bewaffneter, entschlossener Männer umringt, die die schottischen Armbrustschützen zurücktrieben. Villon riß René von Montigny das blanke Schwert aus der Hand, schwang es hoch und rief: »Nein, bei Christi Kreuz, noch ist die Kerze nicht herabgebrannt. Ihr Bürger von Paris! Soll ich nicht mit meiner Geliebten reden dürfen, ehe daß ich sterbe?«

Der ganze Platz glich einem Irrenhause. Wildes Rufen und Schreien und Drohungen hallten durcheinander. Die Schützen wagten keinen Versuch, den Gefangenen wieder in ihre Gewalt zu bekommen, hielten aber auf ihrem Posten stand. Mit gezogenem Schwert stand Villon an Katharines Seite, bereit, die Männer hinter ihm auf seine Gegner losstürmen zu lassen. Trotz alledem blieb der König so ruhig, als sähe er einem Puppenspiel zu. Mit seiner dünnen, eintönigen Stimme befahl er: »Du magst mit ihr sprechen, so lange die Kerze brennt, keine Sekunde länger!«

Sofort traten Villons Verteidiger zurück, und nun stand er mit Katharine allein auf dem freien Raum.

Katharine flüsterte ihm zu: »François, willst du dein Leben nicht aus meinen Händen nehmen?«

Zärtlich erwiderte er: »Geliebtes Kind, glaubst du, ich hätte dich auch nur um einer Sekunde Dauer überlebt, wenn dich der gekrönte Judas dort beim Wort genommen hätte?«

»Bist du fest entschlossen?« fragte sie.

Lächelnd gab er zurück: »Nichts kann meinen Willen beugen.«

Schaudernd warf sie einen Blick über ihre Schulter. »Geliebter, die Kerze flackert im Winde. In deinem Gürtel steckt ein Dolch. Töte mich und dich.«

»Ist dies dein Ernst?« stöhnte er.

»Bei der Mutter Gottes und Gottes Sohn.«

Ein rettender, wunderbarer Gedanke fuhr Villon durch den Sinn. Er hatte Liebe gewonnen und konnte nicht hoffen, auch das Leben zu gewinnen, aber er konnte es möglich machen, den Tod des Kriegers und nicht den eines Schurken zu sterben.

Hastig flüsterte er ihr zu: »Dann wollen wir dem alten Ludwig den Spaß doch noch verderben. Geliebte, bist du bereit, hier am Fuße des Galgens mein Weib zu werden?«

»Von Herzen gern.«

Sofort ließ er sie allein stehen und trat vor den Thron.

»König, mag ich Eure Geduld auch übermäßig in Anspruch nehmen, aber die Vollstreckung Eures Urteils muß hinausgeschoben werden, denn ich begehre, diese Dame zu heiraten.«

Ludwig lächelte höhnisch.

»Es ist zu spät, Freund! Sing noch ein Hängelied, und dann mache Schluß, denn deine Schlinge ist zu weit für einen Ehering.«

Villon gab Lächeln für Lächeln zurück.

»Majestät,« sagte er, »ich bin Magister der schönen Künste an der Universität von Paris und habe als solcher das Recht, in extremis jedes Sakrament der Kirche zu verlangen. Bisher habe ich als Junggeselle gelebt, jetzt aber will ich meinen Stand verändern. Laßt mir einen Priester holen, König Ludwig.«

Olivier flüsterte dem König zu: »Er spricht die Wahrheit. Er kann dies Recht beanspruchen.«

Voll Interesse beugte sich der König vor: »Was hoffst du dadurch zu gewinnen?«

Gelassen erwiderte Villon: »Das Recht, wie ein Krieger durch das Schwert, nicht wie ein Verbrecher durch den Strick zu sterben.«

Beifälliges Gemurmel lief durch die schweigende Menge, aber es erstarb, als Katharine plötzlich vortrat und die weiße Gestalt, schön wie eine Lilie, zwischen dem König und Villon stand: »O nein, du gewinnst noch viel mehr! Ich bin die edle Dame Katharine von Vaucelles, Verwandte des königlichen Hauses, Herrin von hundert Gütern, Großseneschallin von Gascogne, Gebieterin des Bezirkes von Poitou. In meinem eigenen Gebiet aber übe ich eigene Gerichtsbarkeit über Leben und Tod. Dieser Mann ist von niederer Geburt, und wenn ich ihn heirate, wird er mein Vasall. Über meine Vasallen aber steht nur mir das Urteil über Leben und Tod zu.«

Villon sank neben seiner Dame auf die Kniee. Vergnügt wie ein Mann, der einer guten Theateraufführung Beifall spendet, klatschte Ludwig in die Hände.

»Ihr seid ein kühnes Liebchen und habt scharfen Verstand und raschen Witz. Aber wenn Ihr diesen Mann ehelicht, steigt Ihr zu seinem Stand herab. Ihr verliert Eure hohen Titel, Eure großen Besitzungen fallen der Krone zu und ihr müßt miteinander in die Verbannung ziehen – das Bettelweib mit dem Bettelmann.«

Katharine wendete sich Villon zu, der noch immer neben ihr kniete: »Das ist ein geringer Preis für den Mann meiner Liebe.«

Villon sah ihr in die Augen und fragte: »Hältst du mich dessen für wert, Käthe? Es ist ein großer Preis für einen so armseligen Menschen.«

Sie wiederholte ihre vorigen Worte: »Es ist ein geringer Preis für den Mann meiner Liebe.«

Unbeachtet hatte sich unterdessen ein Soldat bis an die Estrade durchgedrängt, der nun Noel le Jolys einige Worte ins Ohr sagte, der diese an Olivier weitergab. Als Olivier die Nachricht vernahm, wurde er wachsbleich. Villon faßte Katharine bei der Hand: »Nein, Käthe, nein! Die Welt ist weit, unsre Herzen sind leicht. Denn mir ist ein Stern vom Himmel gefallen, der die Erde mit seinem Glanz erfüllt!«

Diese Worte wirkten auf den König wie ein Orakelspruch. Regungslos, mit zitternden Fingern blieb er stehen und wiederholte stammelnd diese Worte.

Olivier zog ihn am Mantel und flüsterte ihm mit bebenden Lippen zu: »Allergnädigster Herr, diese Geschichte verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch ganz Paris, und jede Gasse speit neue Massen aufrührerischen Gesindels aus.«

Ludwig schob ihn beiseite. »Reibe deine bleichen Backen wieder rot,« sagte er, »denn es ist alles gut. Das Schicksal selbst hat gesprochen.«

Dann beugte er sich über das Geländer vor, streckte seine Hand nach der Menge aus und rief: »Bürger von Paris, diesem Mann ist sein Leben, dieser Dame ihr Geliebter geschenkt. Ich habe eines Mannes Herz geprüft und es als echtes Gold erfunden; ich habe eines Weibes Seele geprüft und sie engelhaft gefunden. Echter Mann und echtes Weib, umarmt euch!«

Und Katharine und Villon taten nach des Königs Gebot.


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