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Als Rousseau den Salon verlassen hatte, blieb die Marquise einen Augenblick in Gedanken versunken stehen, – es herrschte ein beklommenes Stillschweigen. Sonst steigen wohl die Geister der abgeschiedenen Vergangenheit aus den Tiefen versunkener Zeiten herauf zum Schrecken der Lebenden, – hier schien es, als sei ein Gespenst der Zukunft vorübergeschritten und als ziehe der dunkle Schatten der kommenden Tage hinter ihm her.
»Welch' ein abscheulicher Mensch!« rief die Gräfin Rochefort endlich, indem sie lebhaft den Kopf schüttelte, als wolle sie einen Bann brechen, der schwer auf ihr lastete, – »ich begann schon Sympathie für ihn zu empfinden, was er sagte, klang so edel, gut und schön, – und doch weist er aus starrem Eigensinn die Gnade des Königs zurück, verurtheilt seine Geliebte zu Sorge und Noth – und – sendet seine Kinder, seine armen Kinder, in das Findelhaus! Wenn das die Tugend ist, die er mit so schönen Worten lehrt, dann will ich doch wahrlich lieber bleiben wie ich bin und mir im eigenen Lebensgenuß auch ein fühlendes Herz für Andere erhalten.«
Die Marquise trat langsam zum Chevalier heran und sprach:
»Sie hatten Recht, Chevalier, – ich war zu arm oder zu reich, um diesen Mann zu gewinnen! – Sie kannten ihn?« fragte sie schnell, als wolle sie dem jungen Manne nicht zugestehen, daß er ihr gegenüber Recht gehabt.
»Ich habe ihn heute zum ersten Male gesehen, Marquise,« erwiederte der Chevalier bescheiden, – »und ich danke Ihnen, daß Sie mir Gelegenheit dazu gegeben, aber ich kannte seine Eigentümlichkeiten, – ich hatte seine Werke studirt und kannte seinen Geist –«
»Der Geist eines Eremiten,« rief die Marquise unmuthig, – »der ihn von der ganzen Welt isoliren wird!«
Die feinen, bleichen Züge des kleinen Chevalier belebten sich, rasch schlug er sein dunkles, geistvolles Auge zu der Frau auf, die ihm eine Laufbahn öffnen sollte, von deren Fürwort er seine Zukunft erwartete, und sprach mit dem festen Tone der Ueberzeugung:
»Ich glaube das nicht, Marquise, – es wird eine Zeit kommen, und sie ist vielleicht nicht fern, in welcher der Geist, der heut in sonderbarer und excentrischer Weise aus diesem Manne spricht, alle Welt erfüllen und beherrschen wird – alle Welt, Marquise – nicht bloß das Volk, dessen Rechte er vertritt, – nein, auch der Hof, der Adel, Alle – Alle werden sich zu den Grundsätzen dieses Rousseau bekennen.«
»So halten Sie auch wohl die Zeit für nahe,« sagte die Marquise, etwas spöttisch lächelnd, »in welcher, wie Herr Rousseau sagt, der letzte König von seinem Throne steigen und mit Freudenthränen in die Arme seines Volkes sinken wird?«
»Das nicht, Marquise,« erwiederte der Chevalier ernst, – »das gehört zu den Traumvisionen der Phantasie, an welchen Herr Rousseau, obgleich er die Illusionen verurtheilt, so reich ist, – aber es könnte etwas Anderes geschehen, – das erwachende Volk könnte mit seiner gewaltigen Titanenkraft den Thron zerschmettern, – wenn der König nicht der erste Vertreter – der treueste Freund dieses Volkes wird.«
»Und wollen Sie behaupten, Chevalier,« sagte die Marquise erstaunt, mit strengem Tone, »daß der König nicht der Freund seines Volkes wäre?«
»Bei Gott nicht, Marquise,« rief der Chevalier, – »ich bin ein loyaler Edelmann und zu jeder Stunde bereit, für den König Blut und Leben zu lassen. – Aber was weiß der König auf seiner unnahbaren Höhe von des Volkes Leben und Leiden? Was Alles liegt nicht zwischen dem König und dem Volk? – Die privilegirten Stände beuten des Volkes Arbeit aus und dem König und dem Lande kommt die Frucht dieser Arbeit nicht zu gut. – Und dann, Marquise,« fuhr er fort, immer mehr sich erwärmend, immer mehr hingerissen von seinem Gefühl, und den Ort vergessend, an dem er sprach, – »blicken Sie auf Frankreich, zieht sich nicht über das ganze Land hin jene unsichtbare, geheimnißvolle, furchtbare Gewalt, welche von Rom aus ihre finsteren Fäden über die ganze Welt spinnt, jene Gewalt, welche der vorige König, in seinen glänzenden Jahren, mächtig in ihre Schranken zurückwies, welche aber jetzt, trotzend auf die Unentschlossenheit der Regierung, ihr Haupt von Neuem erhebt! Ist nicht das ganze Land übersponnen von den Netzen jenes Ordens, der sich nach dem heiligen Namen des Erlösers nennt und doch die Erlösung von der Knechtschaft des tödtenden Buchstabens mit allen Mitteln der List und Gewalt bekämpft?«
Die Marquise schien ergriffen von der freien und warmen Offenheit und von der muthigen Sicherheit, mit welcher dieser junge Mann, den sie fast für ein Kind gehalten, zu ihr sprach.
»Der Orden ist mir nicht günstig,« erwiederte sie mit freundlicher Herzlichkeit, als spräche sie zu einem alten Bekannten, – »ich sehe wohl seine Herrschsucht und habe ihn zuweilen auch meinen Einfluß empfinden lassen, – vor Allem haßt er Choiseuil, der mein Freund ist, – aber er ist mächtig, sehr mächtig – und man hat mir gerathen, mich mit ihm zu versöhnen« – fuhr sie etwas zögernd und fast verlegen fort, – »einen Beichtvater aus seinen Mitgliedern zu wählen, – es ist besser, ihn zum Freund, als zum Feinde zu haben, – ich habe bei dem Pater de Sacy deßhalb anfragen lassen, – er soll ein so vortrefflicher, würdiger Mann sein –«
»O Marquise,« rief der Chevalier, sie hastig unterbrechend, indem er lebhaft ihre Hand ergriff, – «dann ist Frankreich verloren, – und Sie auch – oder Sie müssen sich zum willenlosen Werkzeug jener Priester machen!«
Die Gräfin stand erstaunt zur Seite.
»Welche Sprache,« flüsterte sie, das flammende Antlitz des Chevalier betrachtend, »welche feurige Begeisterung, – so habe ich ihn nie gesehen!«
Auch die Marquise schien betroffen von der heftigen Aufwallung des schüchternen jungen Mannes, aber wohlgefällig ruhte ihr Blick auf ihm, – der Chevalier besann sich und trat, die Hand der Marquise loslassend, einen Schritt zurück, aber ohne Befangenheit fuhr er fort:
»Marquise – Sie halten in Ihren Händen das Schicksal einer großen, edlen Nation, – lassen Sie mich vergessen, daß Sie eine Frau sind, eine Frau, von deren Launen meine Freiheit abhängt, – lassen Sie mich zu Ihnen sprechen, wie man zu einem Manne spricht, zu einem Manne, der die Zügel der Regierung eines großen Volkes in Händen hat.«
»Sprechen Sie, Chevalier,« sagte die Marquise, indem sie sich in einen Fauteuil niederließ.
»Alle Geister Frankreichs ringen nach Freiheit,« fuhr der Chevalier mit freiem, edlem Anstand fort, – »nach Freiheit nicht von der Herrschaft des Königs, der Fleisch und Blut der Nation ist, der mit der Nation Freude und Leid, Größe und Erniedrigung theilen muß, wie das Haupt nicht von den Gliedern sich trennen läßt – aber nach Freiheit von der Herrschaft jener Macht in Rom, die keines Königs, keines Staates, keines Volkes Rechte anerkennt, die den Erdball in Provinzen theilt, in denen das Gebot ihrer Willkür allein befehlen soll.«
»So glauben Sie,« fragte die Marquise, »daß der Staat bestehen kann ohne die Religion, – ohne die Kirche?«
»Die Religion? – Die Kirche?« erwiederte der Chevalier. »Ich bin ein gläubiger Christ, Marquise, und ich verehre und achte die Kirche als die äußere, nothwendige und ehrwürdige Form des Gottesdienstes, – aber kann denn ein großes, mächtiges Volk, wie wir es sind, Marquise, nicht seine Kirche haben, in welcher es zu Gott betet, ohne daß ein fremder Priester die Schlüssel dieser Kirche in seinen Händen hält, ein fremder Priester, der kein Gefühl hat für Frankreichs Glück und Größe, in dessen Adern kein Tropfen französischen Blutes fließt! Würde der König einem Fremden seine Armeen, die Verwaltung seines Schatzes, – das Richteramt über seine Unterthanen anvertrauen? Und doch hält jener fremde Oberpriester in Rom, – der so oft mit den Todfeinden Frankreichs sich verbündete, die wahre Macht der Nation, welche noch schwerer wiegt als ihre Heere, gefangen, – den Geist, – doch verschließt er in finsterem, unnahbarem Gewölbe des Volkes köstlichsten Schatz – seine Freiheit, – doch ist er Richter über des Volkes heiligstes Eigenthum – sein Gewissen und seinen Glauben! Und wodurch herrscht dieser Fremde, dieser Feind Frankreichs in dem Lande der Enkel Heinrich IV.? Nicht durch die Bischöfe, nicht durch die Priester der Kirche des Landes, – sie sind Franzosen, sie haben Gefühl und Empfindung für die Größe und das Wohl des Vaterlandes, mit ihnen würde der Geist und das Gewissen des Volkes sich versöhnen, – aber auch sie sind nicht frei, sie sind umgarnt und gefesselt von der alle Fugen des öffentlichen Lebens durchdringenden Macht jenes Ordens der Gesellschaft Jesu, der wie eine kalte Schlange den Staat und die Kirche umwindet und sie festhält in der Knechtschaft Roms, damit der dreifach gekrönte Nachfolger des armen, demüthigen Apostels mit den Völkern der Erde nach seiner Willkür wie mit den Figuren eines Schachbretts spielen könne.«
Die Marquise hatte, den Kopf leicht in die Hand gestützt, mit tiefer Aufmerksamkeit zugehört.
»Und wenn es so ist, Chevalier,« sagte sie, – »ich habe zuweilen wohl Aehnliches gedacht, – wo ist das Mittel zur Aenderung – zur Besserung?«
»Wo die Mittel zu allem Großen und Guten sind, Marquise,« rief der Chevalier, – »in dem festen Willen, dem kühnen Entschluß, – dem stolzen Muth. Die Freiheit der Geister ist gefesselt von jenen leise fassenden, aber mit eisernen Klammern festhaltenden Soldaten der römischen Allgewalt, – wenn der König sich von diesen befreit, welche Fremde in Frankreich sind, ob sie auch auf Frankreichs Erde geboren wurden, – dann wird der König und das Volk sich wieder finden, – dann wird Frankreich groß und glücklich werden und jene Macht des freien nationalen Geistes, welche man heute fürchtet, wird die mächtigste Stütze des Thrones sein. Das, Marquise, zu erreichen,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »ist in Ihre Hand gelegt, – fachen Sie die Flamme des Entschlusses, des Muthes im Herzen des Königs an, lassen Sie ihn das große Machtwort sprechen, welches den Orden der Gesellschaft Jesu aus den Grenzen Frankreichs verweist, – welches den Geistern und den Gewissen die Freiheit gibt, dann wird alles Uebrige von selbst sich lösen, die edelsten Geister des Volkes werden sich wieder um den Thron schaaren, – der König wird wahrhaft König sein – und Frankreich wird Ihnen danken, Marquise.«
Er schwieg und verneigte sich tief, als erwarte er mit Resignation, was die Folge seiner Offenheit sein werde.
Die Marquise erhob sich und trat zu ihm heran.
»Sie haben Worte gesprochen, Chevalier,« sagte sie ernst, »nach denen ich Ihnen die Bastille öffnen muß – oder,« fügte sie lächelnd hinzu, »Sie bitten, mein Freund zu sein! Der Kampf, den Sie von mir verlangen, ist schwer und gefahrvoll, – wollen Sie mir zur Seite stehen, – mein Rathgeber, – mein Verbündeter sein?«
Sie reichte ihm mit anmuthiger Freundlichkeit die Hand.
»In diesem Kampf, Marquise,« rief der Chevalier feurig, indem er seine Lippen auf diese so zarte und so mächtige Hand drückte, – »werden die Besten der Nation zu Ihnen stehen, – gebieten Sie über mich!«
»Also auf Wiedersehen, Chevalier,« sagte die Marquise, – »in einer Stunde beim Könige! Apropos,« fügte sie hinzu, vor der Thür zu ihren inneren Gemächern nochmals stehen bleibend, – »heut Abend ist Maskenball bei mir, der König wird erscheinen, – ich hoffe auch Sie zu sehen. Sie werden Gelegenheit finden, den Hof zu beobachten und sich auf dem Terrain zu orientiren, auf welchem Sie bald zu handeln berufen sind.«
Und mit freundlichem Kopfneigen die tiefe Verbeugung des Chevalier erwiedernd, verschwand sie unter den schweren Falten der Portiere.
Der Chevalier blickte im Zimmer umher, als erwache er aus einem Traum.
Die Gräfin trat zu ihm heran und sprach mit herzlichem Ton:
»Ich wünsche Ihnen Glück, Chevalier, – Sie fangen Ihre Carrière an diesem Hofe vortrefflich an und in meinen Augen beginnen Sie schon ein wenig über alle diese großen – diese großen und langen Herren hervorzuragen.«
»O Gräfin,« rief der Chevalier ganz entzückt, – »Sie machen mich glücklich, – dieser freundliche Blick, diese gütigen Worte –«
Sein hervorbrechendes Gefühl nahm ihm die Sicherheit, – er stockte verlegen und erröthend, – die Gräfin fand schnell ihre muthwillige Laune wieder.
»Und für den Maskenball der Marquise, Chevalier,« fragte sie neckisch, – »darf ich Ihnen eines meiner Kostüme leihen? – Die Täuschung würde vollkommen sein – und Sie würden Gelegenheit zu reizenden Intriguen haben, – meine Garderobe steht zu Ihrer Verfügung!«
Sie verbeugte sich laut lachend und eilte der Marquise nach. Der Chevalier blickte ihr schmerzlich enttäuscht und zornig nach. Doch wunderbarerweise empfand er den Spott Derjenigen, die er liebte, nicht mehr so tief und bitter als früher, – er hatte der Marquise gegenüber die Macht und den Erfolg des Geistes empfunden, das gab ihm Muth und Hoffnung und entzündete den in seiner Brust glühenden Ehrgeiz zu helleren Flammen.
»Der Gedanke ist gut,« sagte er spöttisch lächelnd, – »ich will, wie einst die Geusen, aus dem Hohn Ernst machen, vielleicht kann ich aus dieser zarten weibischen Gestalt, die mir so verhängnißvoll war, auch einmal Vortheil ziehen, – die Gräfin hat Recht, das kann zu reizenden Intriguen führen und mir vielleicht diese Welt, in der ich meinen Weg machen will, von neuen Seiten zeigen.«
Und in tiefem Sinnen seine Gedanken weiter verfolgend, schritt er durch die Galerieen, alle die großen Herren und die schönen Damen wenig beachtend, um sich in die Vorgemächer des Königs zu begeben und dort den Herzog von Choiseuil zu erwarten.
Seine Majestät pflegte hier bei dem Heraustreten zum Gange nach der Kapelle, wo er die Messe hörte, den Hof zu begrüßen, und die Menge der zudrängenden Höflinge war sehr groß, da hier auch Diejenigen erscheinen durften, denen das Recht der Entrees in die inneren Gemächer nicht zustand.
Dieß Recht aber hatte der kleine Chevalier, der unbedeutende Parlamentsadvokat nicht, – er stellte sich still in eine Fensternische und fast wollte ihn sein Muth wieder verlassen unter dieser glänzenden auf und ab wogenden Menge, durch deren Strom es so schwer war, zur Oberfläche hinaufzudringen.
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