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Siebentes Kapitel.

An demselben Morgen, an welchem der Chevalier d'Éon nach Versailles gefahren war und im Salon der Marquise von Pompadour mit so unerwartet günstigem Erfolg seinen ersten Schritt auf dem Parket des Hofes gemacht hatte, befand sich Seine allerchristlichste Majestät Ludwig XV. König von Frankreich und Navarra allein mit seinem vertrauten Kammerdiener Lebel in seinem Zimmer neben den großen Empfangsräumen des gewaltigen Schlosses, welches Ludwig XIV. zum Wohnsitz des unnahbaren, Alles überragenden Königthums geschaffen. Die alte Etikette des großen Königs bestand zwar noch, aber Ludwig XV., dem die fortwährende große Repräsentation lästig war, hatte sie so viel als möglich eingeschränkt, soweit sie unmittelbar seine Person betraf; so fanden auch die großen Levers, welche zur Zeit seines Vorgängers den ganzen Morgen des Königs in Anspruch nahmen und selbst seine intimste Toilette zu einer Art von Staatsaktion machten, nicht mehr in der Ausdehnung wie früher und nicht im Schlafzimmer des Königs statt und nur wenigen vertrauten Personen stand der Eintritt in die inneren Appartements frei.

Der König hatte das erste kleinere Lever überstanden und erholte sich nun von der Ermüdung desselben bis zu der Stunde der Messe, wo er in der Galerie vor seinen Gemächern den ganzen Hof zu empfangen pflegte.

Ludwig XV. war damals etwa achtundvierzig Jahre alt, seine Haltung hatte noch die elastische Geschmeidigkeit der Jugend und, wenn er wollte, eine unnachahmliche königliche Würde. Sein langes, schmales Gesicht hatte regelmäßige, edle Züge und wäre wahrhaft schön gewesen, wenn auf demselben nicht eine gewisse welke Gleichgültigkeit gelegen hätte. Seinen großen, stolz blickenden Augen sah man an, daß sie sich niemals vor irgend Jemandem niederzusenken gewohnt waren, aber es lag in ihnen eine starre Empfindungslosigkeit und nur selten belebte sich dieser kalte Blick durch den Strahl eines erregten Gefühls, welches dann aber auch dem ganzen Gesicht einen höchst sympathischen Reiz verlieh.

Der König war wie immer mit besonderer Sorgfalt und Eleganz gekleidet, er trug einen Rock von blauem Sammet mit rothem Kragen, rothen Aufschlägen und silbernen Litzen, welcher, ohne eine bestimmte Uniform zu sein, dennoch militärischen Schnitt hatte, darüber das blaue Band und den Stern des Ordens vom heiligen Geist auf der Brust, daneben das Ludwigskreuz, den Militärorden der alten Monarchie, und um den Hals am rothen Bande das goldene Vließ, ohne welches man den König niemals sah.

Er saß in einem weiten Lehnstuhl von weißlakirtem und vergoldetem Schnitzwerk mit hellgrünen Seidenpolstern, – neben ihm auf einem Tisch, dessen Marmorplatte auf Löwenfüßen von Goldbronze ruhte, stand eine zierliche silberne Kaffeemaschine, unter der eine helle Spiritusflamme brannte, und der König war beschäftigt, den Siedeprozeß seines Kaffees mit der höchsten Aufmerksamkeit zu verfolgen, um genau im richtigen Moment die Flamme mit einem kleinen silbernen Deckel an einem Griff von Ebenholz, den er in der Hand hielt, auslöschen zu können. Ludwig XV. hielt sich für den ersten Koch in Europa und die richtige Bereitung des Kaffees war in seinen Augen der Kulminationspunkt der Kochkunst, – er ließ es sich daher niemals nehmen, die Taffe Kaffee, die er Morgens zu sich nahm, höchst eigenhändig herzustellen, und der Eifer, welchen er diesem Geschäft zuwendete, ließ sein Gesicht belebter als sonst erscheinen.

Sein Kammerdiener Lebel, eine magere Gestalt mit glattem, fast ausdruckslosem Gesicht und kleinen scharfblickenden Augen, welche die Eigentümlichkeit zu haben schienen, nach allen Seiten zugleich blicken zu können, stand in dem dunklen Dienstanzug der königlichen Kammerdiener einen Schritt hinter seinem Herrn, eine Serviette über dem Arm und eine silberne Platte mit einer Taffe von Sèvres-Porzellan und einer Krystallschale mit Zucker in der Hand, halb gebückt und ebenso eifrig wie der König das Werk der Kaffeebereitung verfolgend.

Endlich stieg die zischende Flüssigkeit in der Maschine empor, während sich auf ihrer Oberfläche ein weißgelblicher Schaum bildete, und der aromatische Duft des levantinischen Getränkes verbreitete sich in dem Zimmer. Schnell löschte der König die Flamme aus und beobachtete dann das allmälige Sinken der Flüssigkeit. Auf einen kaum bemerkbaren Wink trat Lebel heran, füllte vorsichtig die Tasse und stellte dieselbe neben den König; dieser ließ langsam ein Stück Zucker in den Kaffee sinken und schlürfte dann prüfend den ersten Schluck des mit so viel Aufmerksamkeit bereiteten Getränks, – er schien mit demselben zufrieden und lehnte sich behaglich in seinen Sessel zurück. Aber trotz des belebenden Aromas, das er so sehr liebte, nahmen seine Züge bald wieder ihren schlaffen, müden Ausdruck an, und seufzend sprach er mit seiner wohlklingenden, aber zu leisem Ton gedämpften Stimme:

»Ich langweile mich, Lebel! – Das Lever habe ich überstanden, – ich habe sie alle wiedergesehen, diese Gesichter, aus denen ich jeden Zug, jede Falte kenne, von denen ich genau weiß, wie sie sich lächelnd verneigen und wie sie unter einander sich Blicke voll Haß und Neid zuwerfen, wenn ich mit dem Einen ein Wort mehr spreche als mit dem Andern!

Und nun wird Choiseuil kommen und mir von der Politik sprechen, von dieser Politik, welche immer darauf hinausläuft, Kriege zu führen, in denen das Blut der Armen vergossen wird, die nicht wissen und nicht begreifen, wofür sie kämpfen! – Es ist ein ödes, ermattendes Leben, ein ewiges Einerlei, das Körper und Geist lahm und stumpf macht.«

»Eure Majestät sollten eine Jagd befehlen,« sagte Lebel, »eine Partie nach Marly vielleicht –«

»Marly, Trianon – Trianon, Marly,« sagte der König, leicht gähnend, »das sind die immer gleichen Endpunkte des goldenen Gefängnisses, in welchem ich mich bewege! – Und dabei fühle ich,« fuhr er traurig fort, »daß nicht Alles ist wie es sein sollte, – meine Finanzen sind erschöpft, – meine Armeen werden geschlagen, – aber wie, – wie soll ich helfen?«

Lebel stand in seiner demüthig gebückten Stellung schweigend da, – er war an solche Anwandlungen von Ueberdruß und Verstimmung bei seinem Herrn gewöhnt und hatte, sobald der König dabei das Gebiet der Politik berührte, den Grundsatz, schweigend zuzuhören, da er sich zur festen Regel gemacht, dieß gefährliche Gebiet auf das Sorgfältigste zu vermeiden.

»Zuweilen,« sprach der König weiter, »tauchen wohl große Ideen in mir auf, wie sie viele meiner Vorfahren auf dem Throne von Frankreich in sich trugen und durchführten, – aber ach – das ist hier ja Alles so geordnet und festgestellt, – das bewegt sich in so geraden, scharf vorgezeichneten Linien vorwärts, daß ich nichts thun kann, als Alles gehen lassen, wie es eben geht! Der große König, der mir den Thron hinterließ, da ich noch ein unmündiges Kind war, hat diesen Thron umgeben mit jenem gleichmäßig und unabänderlich sich bewegenden Räderwerk der Etikette, in dessen Mitte ich dastehe, getrennt von der Welt, ohnmächtig, den Bann zu brechen, der mich einschließt, – von Marionetten umgeben, statt von Menschen! O ich bin müde – müde – sehr müde!«

Lebel stand immer schweigend und unbeweglich da, nur legte er sein Gesicht in die Falten, welche ihm zu der Stimmung des Königs zu passen schienen.

Der König leerte seine Tasse.

»Nimm das fort, Lebel,« sagte er, – »die Stunde der Vorträge ist da,« fügte er seufzend hinzu.

Lebel nahm schnell die Maschine und die Tasse und verschwand leise, wie ein Schatten über das Parket hingleitend.

Der König stand auf und ging mit großen Schritten auf und nieder.

»Choiseuil!« sagte er, – »er ist nicht ganz wie die Anderen, – er hat Gefühl für Frankreichs Größe, – er hat Gedanken, die in meinem Geiste Wiederhall finden, – aber er ist der Gegner Roms, – er will Frankreich loslösen von der Herrschaft der Kurie, ich verstehe das wohl und mein Gefühl gibt ihm Recht, – aber mein Beichtvater sagt mir und beweist mir mit Geist und Scharfsinn, daß die Zügel dieser römischen Herrschaft allein das Volk zurückhalten können von aufrührerischer Erhebung gegen den Thron, – und möchte ich dem Einen folgen, so kann ich doch auch des Andern Gründe nicht widerlegen! Und dann,« sagte er leise, zusammenschaudernd, – »ich habe viel gesündigt, – alle Menschen sündigen, – wenn die Kirche die Macht hat, die ewigen Strafen zu mildern, – der Tod – die Ewigkeit, – entsetzliche Worte, die mich so eisig anwehen mit ihrem kalten Hauch –«

Er starrte düster vor sich nieder.

»Ich bin allein –« sagte er, – »immer allein, – ich sterbe ab in dieser Einsamkeit wie ein verdorrender Baum, ohne Blüte und Frucht! – Die Marquise, – sie unterhält mich, – sie ist mir eine angenehme Gesellschaft, – aber liebt sie mich? – Würde sie mich lieben, wenn ich nicht der König wäre? – Liebt mich irgend Jemand? – O mein Gott,« rief er im Ton inbrünstiger Bitte, – »gib mir einen Menschen, einen freien Geist, ein starkes, muthiges Herz, und sollte ich meine königliche Macht mit ihm theilen, wie mein Ahnherr Ludwig mit seinem großen Minister, – gib mir einen Richelieu!«

»Der Herzog von Richelieu!« rief der Huissier, die Thür des königlichen Zimmers öffnend, und der Marschall, ganz lächelnd, die Augen funkelnd von Lebenslust und Bosheit, näherte sich mit tiefer Verbeugung dem König, der bei der Nennung dieses Namens, der so merkwürdig mit seinen Gedanken zusammenfiel, betroffen stehen blieb und leise zu sich selber sprach:

»Ist das die Stimme des Schicksals? Sollte Dieser mir werden können, was der große Kardinal meinem Ahnherrn war?«

Er neigte leicht den Kopf gegen den Herzog und setzte sich wieder in seinen Lehnstuhl, indem er im Tone freundlicher Vertraulichkeit sagte:

»Guten Morgen, Richelieu! – Ich habe Dich heute noch nicht gesehen – Du versäumst mein Lever? – Willst Du Einsiedler oder Philosoph werden?«

»Noch nicht, Sire,« erwiederte Richelieu lachend, – »noch bin ich nicht alt genug dazu, – nur um für meinen König zu wirken, seine Wünsche zu erfüllen, habe ich mich seines Anblickes beraubt, – doch Eure Majestät scheinen verstimmt – traurig – darf ich fragen, welche Wolke die Blicke verdunkelt, aus denen Frankreich Sonnenschein und Licht empfängt?«

»Ich langweile mich, Richelieu,« sagte der König gähnend, – »ich langweile mich entsetzlich – und das macht mich traurig, – sehr traurig! Ist man darum König von Frankreich, um sich zu langweilen, – um in trostlosem, vegetirendem Dasein hinzusiechen? – O, dann möchte ich lieber ein armer Edelmann sein, dem das erwachende Licht des Tages eine Hoffnung, einen Wunsch in's Herz leuchtet, und den die Nacht freundlich umfängt mit dem süßen Gefühl, eine Arbeit gethan, ein Ziel erreicht zu haben! Mich umgibt die graue, kalte Dämmerung des ewigen Einerleis! – O Richelieu, es war doch besser, – viel besser und schöner, als wir jung waren, – als Du noch Fronsac warst und noch nicht Marschall und Pair von Frankreich, – damals lebten wir noch, – wir hofften und träumten, – wünschten und strebten –«

»Und liebten, Sire,« fiel Richelieu ein, – »die Liebe umfaßt Hoffnung und Traum – Wunsch und Streben, – sie bringt ewig neuen Reiz in das Leben und erfüllt das graue Einerlei der Tage mit goldenem Licht und süßer Wärme –«

»Ja, ja, Richelieu,« seufzte der König, – »das ist wahr, – die Liebe war es, die uns frisch und heiter machte, – aber das ist vorbei, – lange vorbei, – die Asche brennt nicht mehr, – und wenn sie zuweilen erglüht, so entsteigt ihr doch nimmermehr die fröhliche, Helle Flamme mit ihrem reinen, heitern Spiel.«

»Vielleicht, Sire,« sagte Richelieu, sich auf die Lehne des königlichen Sessels stützend, »weil sich die richtige Hand nicht fand, um diese Flamme zu entzünden. Die Fackel des lieblichen Gottes brennt nicht in jeder Hand in ihrem reizenden Zauberlicht! – Fast schien es mir vor einigen Tagen, als hätten die Grazien ihren holdesten Zauber über ein Wesen ausgegossen, um ihm die Macht zu geben, das schöne Feuer von Neuem in Eurer Majestät Herz zu ergießen – wie einst in den vergangenen Tagen – als ich noch Fronsac war – und als der König von Frankreich sich noch nicht langweilte.«

»Was meinst Du, Richelieu?« fragte der König aufhorchend.

Ein Blitz des Triumphs sprühte in den listigen Blicken des Herzogs auf, und sich näher zum Ohr des Königs herabbeugend, sagte er:

»Eure Majestät sprachen in so entzückten Ausdrücken von dem Fräulein von Beaumont, der jungen Nichte der alten Herzogin von Guéménée, – und ich sah in Ihren Augen, Sire, etwas von jener Flamme leuchten, die einst das Herz der Gräfin von Mailly und der Herzogin von Chateauroux entzündete, – von jener Flamme, die aus keiner Asche emporsteigen kann, – mir wollte es scheinen, daß in Eurer Majestät Brust noch nicht Alles Asche sei –«

»Nicht wahr, Richelieu,« rief der König lebhaft, »sie ist sehr schön, – diese kleine Louise –«

»Ah – er sagt Louise,« flüsterte Richelieu.

»Sie ist so frisch und duftig,« fuhr der König fort, »wie eine Blume des Waldes, – so anders wie diese Damen des Hofes, – ja, als ich sie sah, als ich den Ton ihrer reinen Stimme hörte, da durchschauerte es mich einen Augenblick wie ein Hauch der Jugend, – so muß dem winterlich entlaubten Stamm zu Muthe sein, wenn ein Sonnenstrahl über ihn hingleitet und tief durch sein erstarrtes Mark einen Traum zittern läßt von grünen Blättern, von Knospen und Blüten,« – er seufzte tief und sank abgespannt in seinen Stuhl zurück, – »aber, – mein Gott, das war eben ein Traum, – lassen wir das, – die Zeit ist vorbei, in der solche Träume Wirklichkeit wurden, – wenn wir auch noch zuweilen lieben möchten, Richelieu, – man liebt uns nicht mehr –«

»Verzeihen Eure Majestät,« fiel Richelieu ein, – »fast möchte ich lachen, – dieß Wort im Munde des Königs von Frankreich, – des ritterlichsten und liebenswürdigsten Kavaliers seines Reiches –«

»Du bleibst immer jung, Richelieu,« sagte der König traurig, »aber ich werde alt, – sehr alt –«

»Das findet Fräulein von Beaumont nicht,« bemerkte Richelieu in trockenem Tone.

»Du hast sie gesehen?« rief der König, sich lebhaft aufrichtend und den Kopf nach dem Herzog umwendend, – »sie hat von mir gesprochen?«

»Ich bin ein alter Freund der Herzogin von Guéménée,« erwiederte Richelieu langsam und ruhig, indem er den König von der Seite beobachtete, »ich kultivire immer ein wenig die alten Damen des Hofes, wie die Egypter die giftigen Schlangen anbeteten, – und Fräulein von Beaumont hat großes Vertrauen zu mir –«

»Und sie hat von mir gesprochen?« unterbrach ihn der König ungeduldig.

»Ich wollte, daß Eure Majestät sie hätten hören können, so voll Entzücken, voll Begeisterung strömten die Worte von den Lippen dieses sonst so schüchternen, zurückhaltenden Kindes, – Eure Majestät haben Fräulein von Beaumont mit einer Blume des Waldes verglichen, – nun, Sire, – diese verborgene Blüte, im schattigen Dunkel erwachsen, öffnet ihren Kelch mit süßem, berauschendem Duft dem Flammenstrahl der Sonne, der sie getroffen hat.«

Der König stand schnell auf und ergriff Richelieu's Hand: »Erzähle, Armand, erzähle mir, was sie gesagt, – wie sie es gesagt –«

»Ludwig von Frankreich,« sagte Richelieu halb ehrerbietig, halb spöttisch, »war es sonst nicht gewohnt, solche Worte durch Vermittlung eines Dritten zu hören, – sprechen Sie selbst mit ihr, Sire, – sie ist freilich sehr schüchtern, – sie will den Hof fliehen, – vielleicht fürchtet sie ihr eigenes Herz und will sich vor sich selber schützen, – aber Eurer Majestät Gegenwart – Ihr Blick, Ihre Worte – diesen Strahlen wird die süße Blume nicht widerstehen!«

»Du glaubst also,« rief der König, zitternd vor Erregung, – »Du glaubst wirklich, daß sie mich lieben könnte, – lieben, wie man« – seufzte er – »einst uns liebte, – daß sie mich lieben könnte, nicht weil ich der König bin, weil ich Gold und Juwelen über sie ausschütten kann –«

»Ich glaube, daß sie Eure Majestät liebt,« sagte Richelieu zuversichtlich, – »und daß es nur an Ihnen ist, Sire, ihr das holde Geständniß zu entreißen –«

»O, Richelieu, ich werde wieder jung, – das Leben erglüht noch einmal in meiner Brust, – wir werden wieder wünschen und hoffen wie einst, – ich werde mich nicht mehr langweilen, – ah, ich wußte, daß Du mir etwas Gutes bringen würdest! – Aber, – wie soll ich mich, ihr nahen? – ich sehe sie fast nie, – die Herzogin, ihre Tante, hält sich zurück, sie erscheint nur bei Hof, wenn sie es nicht vermeiden kann –«

»Die Herzogin haßt die Marquise,« fiel Richelieu ein, – »den Herzog von Choiseuil,« fuhr er seufzend fort, »wie so viele treu ergebene Diener Eurer Majestät, – wenn sie nicht befürchtete, stets die Marquise und den Herzog von Choiseuil am Hofe zu begegnen, so würden Eure Majestät sie öfter sehen, – die Herzogin ist eine Freundin des Pater Linière, des frommen Beichtvaters Eurer Majestät, – der ebenfalls die Marquise nicht liebt und Choiseuil für das Unglück Frankreichs hält –«

»Richelieu, – Richelieu,« sagte der König verstimmt, »Du sprichst von Politik, – während Du doch die Zeiten der Liebe wieder heraufbeschwören wolltest, – die rosige Lichtwolke verfliegt – und der graue Nebel steigt wieder auf–«

»Gott bewahre, Sire,« rief Richelieu ganz heiter und lächelnd, – »ich denke nicht an die Politik und will ihr fern bleiben, – wenn ich sie erwähnte, so geschah das nur, weil diese traurige Politik von dem Herzen meines Königs das Glück fern hält –«

»Du glaubst also, Armand, – Du glaubst, daß die Herzogin, – daß die kleine Louise – die Marquise nicht liebt – «

»Die Marquise, Sire,« sagte Richelieu gleichgültig, – »oder Choiseuil, – oder die Politik, welche die Marquise befiehlt, – und welche Choiseuil ausführt –«

»Ich befehle die Politik,« rief der König, sich mit Hoheit aufrichtend, – »ich bin Frankreich, – und ich kann sie ausführen lassen, von wem ich will, – von jedem Andern, – von Dir, Richelieu, so gut wie von Choiseuil; was würdest Du mir rathen? – man drängt mich –«

»Ich beschwöre Eure Majestät,« rief Richelieu abwehrend, – »lassen wir die Politik, – verscheuchen Sie nicht selbst die goldene Wolke, welche sich auf Ihr Haupt herabsenkt; – bei den großen Entrées vor der Messe wird die Herzogin erscheinen, – die Herzogin mit ihrer Nichte –«

»Sie wird kommen, Richelieu,« sagte der König entzückt, – »ich werde sie sehen? – o ich bin unruhig, – bewegt, – wie seit lange nicht, – ich langweile mich nicht mehr –«

Der Huissier öffnete die Thür mit den Worten:

»Der Pater Linière!«

Der Beichtvater des Königs in der einfachen schwarzen Tracht des Ordens der Gesellschaft Jesu näherte sich mit langsamen, gemessenen Schritten, das Haupt leicht geneigt, und verbeugte sich ruhig und würdevoll vor dem König.

Er mochte fünfzig Jahre alt sein, sein Gesicht war bleich, streng und ernst und erinnerte an die alten Porträts der Ordensgenerale, alle Leidenschaften hatten diesem Gesicht ihre Züge eingegraben, aber man sah, daß sie alle gebändigt waren unter der Herrschaft eines ehernen Willens. Die dunklen Augen blickten, trotz der demüthigen Haltung des Paters, frei, kühn und gebietend, und die Stirn erhob sich, wie aus Marmor gemeißelt, hoch gewölbt unter kurzen dunklen Haaren. Nachdem er sich vor dem König verneigt, begrüßte er Richelieu mit einem Blick, in dem eine Frage zu liegen schien, der Herzog neigte leicht den Kopf wie zum Zeichen zustimmender Bejahung.

Der König hatte noch einen Augenblick wie träumend dagestanden, dann wendete er sich zu seinem Beichtvater:

»Ah, sieh' da, mein ehrwürdiger Pater, – ich habe soeben Richelieu erzählt, wie ich mich entsetzlich gelangweilt, meine Seele und mein Gewissen befinden sich also gewiß sehr wohl, denn die Langeweile ist ein Schlaf der Seele, – und wer schläft, der sündigt nicht.«

»Der Ton,« erwiederte der Pater ernst und ruhig, »in welchem Eure Majestät von dem Heil Ihrer Seele und von der Ruhe Ihres Gewissens sprechen, beweist mir, daß Ihre Seele und Ihr Gewissen krank sind, – wie das zu meiner tiefen Betrübniß auch nicht anders sein kann –«

»Aber ich sage Ihnen, Pater, daß ich mich gelangweilt habe, immer gelangweilt habe, – wo bliebe mir da die Zeit zur Sünde!«

»Und ist es nicht eine Sünde,« sprach der Pater streng, »wenn der König von Frankreich sich langweilt? – der König von Frankreich, der tausend Pflichten zu erfüllen hat, – ist es nicht eine Sünde, wenn er die Sorge für die Größe seines Reiches und das Wohl seiner Unterthanen anderen Händen überläßt, – Händen, die –«

»Immer wieder dieselben Ermahnungen,« unterbrach ihn der König mit leichter Ungeduld, – »was hat Ihnen die Marquise gethan, Pater? – sie ist eine gute Katholikin, – sie will sich mit Ihrem Orden aussöhnen – sie will den Pater de Sacy zu ihrem Beichtvater wählen –«

»Der erste Schritt zum Heil,« sagte der Pater kalt, »den die Marquise thun kann, Sire, muß der sein, daß sie sich von diesem Hofe zurückzieht, an welchem sie aller Welt ein Aergerniß gibt, an welchem sie einen Platz einnimmt, der ihr nicht gebührt, – daß sie von Eurer Majestät sich trennt –«

»Aber mein Gott, Pater, – die Marquise liebt mich, – sie ist meine aufrichtige, meine treue Freundin, – Sie wissen, daß die Königin mich kalt zurückstieß, – soll ich verurtheilt sein, einsam, ohne Freundschaft, ohne Liebe durch das Leben zu gehen?«

»Die Kirche,« sagte der Pater, »hat Milde und Verzeihung für die Verirrungen des Herzens, wenn das irrende Herz sich demüthig beugt und die Gnade und Vergebung anruft, – wie es einst die fromme Herzogin von Lavallière that, – aber diese Marquise thut das nicht, sie geht stolzen, übermüthig erhobenen Hauptes, einher, – sie begnügt sich nicht, dem Herzen Eurer Majestät eine liebevolle Freundin zu sein, – sie streckt ihre Hand aus nach der Krone und dem Szepter, – sie will Frankreich regieren – sie will das Reich des ältesten Sohnes der Kirche dem Geiste dieser dem Abgrund entstiegenen Philosophie überliefern, sie schützt diesen Choiseuil, der die Macht des weltlichen Staates der heiligen Herrschaft der Kirche entgegenstellt, – das, Sire, ist die Sünde, welche dieser Frau nicht verziehen werden kann, – die Sünde, an welcher Eure Majestät Theil haben und gegen welche mein mahnendes Wort zu erheben ich niemals müde werden darf.«

»Sie sind streng, Pater!« sagte der König, der einen Augenblick sinnend geschwiegen hatte. – »Und wenn ich nun eine Freundin fände, – wie es die Lavallière meinem Großvater war, eine Blume, die mein Leben verschönte, die süß und still an meinem Herzen blühte, die ihren zarten Kelch nicht erhöbe in jene Regionen der brennenden, versengenden Strahlen der Politik, – würden Sie dann ebenso streng sein, – oder würden Sie meinem Herzen sein stilles, duftiges Glück gönnen?«

»Der gebeugten Stirn, Sire,« sprach der Pater in milderem Ton, »spendet die Hand der Kirche nur Gnade, Duldung und Verzeihung, – auf den stolz erhobenen Scheitel aber schleudert sie den Strahl der Strafe und Verdammniß.«

»Du hörst es, Richelieu!« sagte der König leise zu Richelieu.

»Ich höre, Sire,« flüsterte Richelieu, – »das Glück, – die Jugend – und die Absolution der Kirche!«

»Eure Majestät haben mich streng genannt,« fuhr der Pater fort, – »und doch bin ich es noch nicht so, wie ich es sein sollte, – noch nicht so, wie viele andere fromme und Eurer Majestät treu ergebene Personen, die es tief und schmerzlich empfinden, daß diese aus dem Nichts emporgestiegene Marquise Frankreich beherrscht und hochmüthig herabblickt auf den alten Adel dieses Landes. Heute noch hörte ich die schmerzlichen Klagen einer alten Dame, die ich hoch verehre –«

»Glauben Sie, Pater,« fiel der König lachend ein, »daß Frankreich besser regiert werden würde, wenn sich die alten Damen um meine Angelegenheiten kümmern?«

»Die Herzogin von Guéménée,« fuhr der Pater ruhig weiter sprechend fort, »der ihr Name und die Geschichte ihres Geschlechts wohl das Recht gibt, über das Schicksal Frankreichs, zu sprechen, hat mir unter bitteren Thränen ihren Schmerz geklagt über den tiefen Verfall Frankreichs, den die Herrschaft der Marquise und ihres Ministers immer schneller und schneller herbeiführt –«

»Noch herrsche ich in Frankreich, Herr Pater,« rief der König, ihn unterbrechend, »und ernenne meine Minister! – ich werde darüber nachdenken, was Sie mir gesagt, – ich werde prüfen –«

»Der Herr Herzog von Choiseuil!« meldete der Huissier, die Thür öffnend.

*


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