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Gaston war allein in der Galerie zurückgeblieben und dachte traurig über die plötzliche Kälte der Marquise nach, die sonst so voll Wohlwollen und Güte für ihn gewesen, die ihm heute noch eine Einladung zu ihrem Maskenfest geschickt hatte, eine für den jungen Musketier ganz außergewöhnliche Auszeichnung – und die jetzt seine Bitte so sichtlich unfreundlich aufgenommen, während deren Erfüllung sie doch nur ein Wort kosten würde.
Ein leichter Schritt, das Rauschen eines seidenen Gewandes weckte ihn aus seinem träumerischen Nachdenken.
Er blickte auf und sah Louise erröthend und ängstlich umherspähend vor sich stehen.
»Ich habe es gewagt,« sagte sie athemlos, »mich einen Augenblick zu entfernen, – die Herzogin ist in Anspruch genommen, – man umringt sie, man macht ihr den Hof, – der König war so gnädig gegen sie, daß alle Welt es bemerkt hat, – ich mußte Sie einen Augenblick sehen, Gaston, – Ihnen erzählen, – Sie fragen – Sie haben lange mit der Marquise gesprochen –«
Gaston schüttelte traurig den Kopf.
»Meine Hoffnungen sind zu Boden gesunken, Louise,« sagte er, – »meine Bitte muß die Marquise verletzt haben, – sie wendete sich kalt ab, – sie wolle darüber nachdenken, sagte sie, – o ich weiß, was es am Hofe heißt, wenn die großen Herren und Damen sagen: Ich will darüber nachdenken!«
»Ich will darüber nachdenken,« wiederholte Louise betroffen, – »wie sonderbar! – dasselbe sagte mir der König – «
»Der König?« rief Gaston erschrocken. »Sie haben sich lange mit Seiner Majestät unterhalten!«
»Er war voll Huld und Freundlichkeit,« erwiederte Louise unbefangen, »gegen die Herzogin und gegen mich, – ich wagte es, ihn um seinen Schutz für unsere Liebe, um seine Genehmigung zu unserer Verbindung zu bitten, da wurde er plötzlich schweigsam und kalt – und sagte, er wolle darüber nachdenken.«
»Aber warum?« fragte Gaston unruhig. »Mein Gott, sollte es möglich sein, – Louise – was hat der König Ihnen sonst gesagt? –«
»Nichts von Bedeutung, – viel Freundliches und Schmeichelhaftes – für meine Tante und für mich – doch still – man kommt –«
In der That kam der Chevalier d'Éon langsam durch die Galerie zurück, finster und niedergeschlagen, er bemerkte Gaston und Louise erst, als er dicht vor ihnen stand, und sagte spöttisch, mit bitterem Lachen:
»Ah, meine Cousine Louise, – ich bitte Sie, Cousine, wollen Sie nicht ein gutes Wort für mich einlegen – bei der Herzogin, bei dieser vortrefflichen, würdigen Dame, die so hoch in der Gnade Seiner Majestät steht.«
»Spotten Sie nicht, Vetter, – ich bin nicht zum Scherzen gestimmt,« sagte Louise traurig, – »ich möchte Sie um Ihren Beistand bitten, – Herr Gaston von Aurigny,« fuhr sie erröthend fort, die beiden Herren einander vorstellend, – »der Chevalier d'Éon de Beaumont, mein Vetter –«
»Ich liebe Fräulein Louise,« sprach der junge Musketier mit Offenheit, indem er dem Chevalier die Hand reichte, »und bin glücklich, einen ihrer Verwandten zu begrüßen –«
»Sie haben so viel Geist,« fiel Louise bittend ein, – »Sie wissen so vortrefflich zu sprechen, – Ihr Fürwort bei der Tante –«
»Mein Fürwort!« rief der Chevalier mit höhnischem Lachen, – »ich bin auch so mächtig und einflußreich an diesem Hofe, daß mein Fürwort schwer in's Gewicht fällt!«
Bevor Louise antworten konnte, trat die Gräfin Rochefort zu ihnen, welche der Marquise folgte, die sich durch einen Seitengang in ihre Gemächer zurückgezogen hatte.
»Sie noch hier, Chevalier?« sagte die schöne Frau muthwillig, »ich glaubte, Sie wären schon hinausgeeilt im Thatendrang der neuen großen Laufbahn, die sich Ihnen heute eröffnet.«
»Ich habe keine Waffe gegen Ihren Spott, Gräfin,« antwortete der arme Chevalier mit schmerzlicher Resignation, – »ich kann nichts thun als warten, bis es mir gelungen sein wird, so hoch zu steigen, daß Sie zu mir heraufblicken müssen.«
Der Gräfin schien es eine übermüthige Freude zu machen, ihn zu quälen.
»Warten Sie, Chevalier,« spottete sie, – »warten Sie, – Sie sind ja noch jung, – so sehr jung, daß Sie volle Zeit haben, Ihre künftige Größe zu erwarten!«
Der Chevalier wendete sich unwillig ab.
Die Gräfin fuhr fort:
»Aber bis jene Zeit kommt, Chevalier, bis Sie – älter geworden sind, rathe ich Ihnen doch, den Vorschlag, den ich Ihnen heute gemacht, anzunehmen, und da es mit der männlichen Würde nicht recht vorwärts gehen will, es mit der weiblichen List zu versuchen, für welche die Natur Sie bestimmt zu haben scheint. Ich stelle Ihnen nochmals meine Garderobe zur Verfügung.«
Sie machte ihm eine tiefe Verbeugung und eilte lachend nach der Seitengalerie, welche zur Wohnung der Marquise von Pompadour führte.
»Helfen soll ich Ihnen?« sagte der Chevalier zu Louise. – »Sie sehen, wie hoch man meine Macht schätzt, wie wirksam meine Hülfe sein würde – doch –« er richtete sich hoch auf und trat mit dem Fuß auf den Boden, »soll ich vom Spott mich beugen lassen? – Nimmermehr! Der männliche Wille, der männliche Muth wohnt in meiner Brust! Ja, ich will es versuchen, ihm die weibliche List als Waffe zu geben. Ich will Ihnen helfen, Louise, – ich verspreche Ihnen, Ihre Sache zu führen und mit der Herzogin für Sie zu sprechen. Aber Sie müssen mir auch eine Gefälligkeit erweisen.«
»Schnell, sprechen Sie, – Alles, was Sie wollen.«
»Leihen Sie mir für heut Abend einen Domino, um das Fest der Marquise zu besuchen.«
»Einen Damendomino für Sie?« fragte Louise erstaunt, – »Sie wollen –«
»Sie haben gehört,« erwiederte der Chevalier bitter, »daß die Gräfin Rochefort ein solches Kostüm für mich sehr passend findet. Ich will ihrem Rath folgen und verspreche Ihnen, in meiner Maske auch für Sie zu sorgen.«
»Welch' toller Einfall,« sagte Louise kopfschüttelnd, – »doch ich stehe Ihnen gern zu Diensten.«
»Ich werde in einer Stunde aus meinem Gasthof zu Ihnen senden, um das Kostüm holen zu lassen.«
»Und Sie, Louise,« fragte Gaston mit gepreßter Stimme, »Sie werden das Fest der Marquise besuchen? – Der König hat die Herzogin und Sie besonders eingeladen, die Herzogin hat es zugesagt –« fügte er hinzu, indem eine düstere Wolke über seine Stirn zog.
»Ich muß mit der Tante hingehen,« sagte Louise unbefangen, – »und,« fügte sie mit einem reizenden Lächeln hinzu, – »ist das nicht eine herrliche Gelegenheit, sich unbeobachtet zu sehen und zu sprechen? Sagen Sie mir, woran kann ich Sie erkennen?«
Die Wolken auf Gaston's Stirn verschwanden vor dem sonnigen Lächeln des geliebten Mädchens, – er küßte ihr die Hand und erwiederte:
»Ein blauer Domino mit weißen Federn, – und Sie, Louise – unter welcher Maske werde ich mein süßes Glück zu suchen haben?«
»Ich kann keine große Toilette mehr herstellen,« sagte Louise, – »dieselben Farben denn, – ein blauer Domino und weiße Schleife, – doch ich muß fort,« rief sie schnell, als erschräke sie selbst über diese Verabredung, – »die Herzogin könnte mich vermissen –« und Gaston mit einem lieblichen Erröthen grüßend, flog sie wie ein aufgescheuchter Vogel dahin.
Sie streifte fast einen großen und schönen jungen Mann in derselben Uniform wie Gaston, der zu diesem herantrat und mit militärischem Gruß zu ihm sprach:
»Ich komme, Sie abzulösen, Herr von Aurigny, und Ihnen den Befehl zu bringen, sich sogleich nach dem Hotel des Marschalls von Richelieu zu begeben, den Sie dort zu erwarten haben und der Ihnen einen Auftrag ertheilen wird.«
»Und wer, Herr von Chamillard, hat Ihnen diesen Befehl ertheilt?« fragte Gaston ganz bestürzt.
»Der Herr Marschall von Richelieu im Namen des Königs.«
»Im Namen des Königs? – Was kann das sein?«
»Etwas Böses gewiß nicht, Herr von Aurigny,« erwiderte der zur Ablösung befohlene Musketier, »der Herr Marschall war von der liebenswürdigsten Freundlichkeit und trug mir noch besonders auf, Sie zu bitten, daß Sie sich beeilen möchten, – es gelte einen wichtigen und ehrenvollen Auftrag. Ich wünsche Ihnen Glück, Herr von Aurigny!«
Gaston schien weniger erfreut über den erhaltenen Befehl, – er war dem Marschall von Richelieu an diesem Morgen erst flüchtig vorgestellt, – die Unterhaltung des Königs mit Louise, die unerwartete Einladung der Herzogin zu dem Fest der Marquise, – das Alles erfüllte ihn mit einer dumpfen, unruhigen Furcht, welcher er keine klare Gestalt zu geben vermochte. Doch drückte er Herrn von Chamillard, der seinen Posten an der Thür des Königs einnahm, schweigend die Hand, grüßte den Chevalier und eilte davon.
Unmittelbar darauf kam der Herzog von Choiseuil von der Seite der Kapelle her, um sich nach seinem Hotel zurück zu begeben.
Er bemerkte den Chevalier und winkte ihn zu sich heran.
»Warum so niedergeschlagen?« fragte er den jungen Mann, dessen traurige Miene ihm auffiel, »nachdem das Ziel Ihrer Wünsche erreicht ist und der König Ihre Anstellung befohlen hat?«
»Der König,« erwiederte der Chevalier mit bitterer Ironie, »hat mich so jung gefunden, daß ich fürchten muß, Seine Majestät möchte auf den Gedanken kommen, mir eine Anstellung als Page zu geben.«
»Sie sind empfindlich in diesem Punkt, Chevalier,« sagte Choiseuil lächelnd, – »seien Sie ruhig, die Jugend ist ein Fehler, von dem man sicher und nur zu früh befreit wird. – Uebrigens werde ich Ihnen Gelegenheit geben, zu beweisen, daß Ihr Geist älter ist als Ihre Gestalt – wir leben in einer Zeit harten Kampfes und Sie sollen Ihren Antheil an demselben haben.«
»Dank, Herr Herzog,« rief der Chevalier, dessen elastische Natur bei den freundlichen Worten des Ministers schnell ihre Spannkraft wieder fand, »Sie sollen mich auf dem Platz finden. Zeigen Sie mir die Gegner und diese wenigstens, das verspreche ich Ihnen, werden mich nicht für ein Kind halten!«
»Die Gegner?« sagte Choiseuil. – »Da ist der gefährlichste von ihnen, dem ich noch eine Lektion zu geben habe.«
Er deutete auf den Pater Linière, der langsam, die Hände gefaltet, den Kopf auf die Brust geneigt, durch die Galerie einherschritt, um den König an der Thür seines Zimmers zu erwarten. Der Pater grüßte den Herzog kalt mit kaum merklichem Kopfnicken und wollte an ihm vorüberschreiten, doch Choiseuil trat rasch zu ihm heran und sprach mit leichter Ironie:
»So in Gedanken versunken, Herr Pater? Macht Ihnen das Wohl des Königs und des Landes, das Ihrer geistlichen Obhut anvertraut ist, so viel Sorgen?« fügte er mit scharfer Betonung hinzu. »Sie werden Ihre Last erleichtern, wenn Sie die Dinge der Welt den Händen überlassen, die zu deren Führung berufen sind, und sich auf die Sorge für die Gewissen der Gläubigen beschränken.«
»Ich bedaure, Herr Herzog,« erwiederte der Pater Linière kalt und ruhig, »daß Sie die Führung der weltlichen Dinge von dem Gewissen und dem Glauben zu trennen scheinen.«
»Nicht doch, Herr Pater,« sagte Choiseuil, – »ich suche stets den Weg zu verfolgen, den mein Gewissen mir als den richtigen zeigt, zum Wohl und zur Größe meines Landes, – doch dulde ich keine fremde Leitung meines Gewissens –«
»Die Kirche,« entgegnete der Pater Linière ebenso ruhig wie vorhin, »ist die Leiterin und Führerin der Gewissen, – wie Gott der Lenker der Völkerschicksale.«
»Gewiß, Herr Pater,« sagte Choiseuil gereizt, – »aber nicht jeder Priester trägt das unfehlbare Urtheil der Kirche auf seinen Lippen und die Gewalt Gottes in seiner Hand.«
»Ebensowenig wie ein Minister, Herr Herzog!« sprach der Pater Linière, das Haupt erhebend. »Jeder Priester aber ist erleuchtet und durchdrungen von dem Geist der ewigen Wahrheit – hinter ihm steht die Kirche, und die Kirche ist ewig wie die Gewalt Gottes, sie wird bestehen und ihre Diener schützen, wenn die Macht der stolzen Großen der Erde wie Spreu verflogen sein wird vor dem Hauch der Zeit.«
»Trotzen Sie nicht zu sehr, Herr Pater,« erwiederte Choiseuil, – »Sie und die Ihrigen sind nicht die Kirche – und bei Denjenigen, welche die Kirche zu leiten und zu vertreten haben, möchte vielleicht die Macht Frankreichs schwerer in's Gewicht fallen als die – Autorität des Herrn Paters Linière!« Er richtete sich hoch und stolz auf und fuhr fort: »Hüten Sie sich, Herr Pater, meine Wege zu durchkreuzen – ich bin ein schlimmer Gegner und setze Alles gegen Alles. Ihr Orden wagt es, sich über des Staates Recht und Gesetz zu erheben, ja er beugt sich kaum noch dem Gesetz der Kirche – und auch in Rom selbst beginnt man seine Anmaßung zu fühlen. Wagen Sie den Kampf nicht zu weit zu treiben, – die Welt fängt an, den Bannstrahl der Kirche nicht mehr zu fürchten, – aber wenn einst ein Bannstrahl, am Lichte der Freiheit und Wahrheit entzündet, auf Ihr Haupt niederfahren sollte, – dann werden alle Völker ihn jubelnd begrüßen als den Blitz gerechter Vergeltung. Sie haben gute und treue Bürger um ihres Glaubens willen vertrieben, fremde Länder genießen die Früchte des Fleißes der Verbannten, – und Frankreich schaut seinen vertriebenen Söhnen noch heute thränenden Blickes nach, – glauben Sie mir, – wenn der Geist der erwachenden Freiheit das Verbannungsurtheil über Sie aussprechen sollte, – dann wird Ihnen keine Thräne fließen und das Volk wird aufathmen in Freude und Dankbarkeit. Das merken Sie sich, Herr Pater – und hüten Sie sich, meinen Weg zu durchkreuzen! – Kommen Sie, Chevalier!«
Er schritt, ohne eine Antwort abzuwarten, schnell davon, der Chevalier folgte ihm.
Der Pater sah ihm finster nach.
»Deinen Weg durchkreuzen?« sprach er leise mit ingrimmigem Ton. – »Nein, wahrlich, das werde ich nicht, – denn dieser Weg führt Dich sicher und schnell hinab von der Höhe der Macht zur Tiefe der dunklen Vergessenheit! – Und schnell – schnell muß er hinabstürzen in das Nichts der Ohnmacht, dieser Verwegene, der es wagt, uns den Krieg zu erklären, – denn er hat Recht,« sagte er nachdenklich, – »es ist in Rom nicht Alles, wie es sein sollte; – unter den Kardinälen machen sich bedenkliche Strömungen bemerkbar, – es könnte geschehen, daß ein Papst den Stuhl Petri bestiege, der daran denken möchte, sich unserer leitenden Hand zu entziehen und sein Ohr unseren Feinden zu öffnen! – Nun – wenn wir Frankreich beherrschen – dann werden solche Neigungen in Rom verschwinden und auch der Statthalter Christi wird mit uns rechnen müssen!«
Ein älterer Geistlicher in der Ordenstracht der Jesuiten kam eilig auf ihn zu. Es war der Pater de Sacy, einer der mildesten Priester des streitbaren Ordens, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, von etwas gebückter Haltung, mit geistvollen, aber weichen Gesichtszügen und leicht ergrauendem, schlicht an den Schläfen herabhängendem Haar, in dem priesterlich demüthigen Ausdruck seiner Erscheinung ganz das Gegentheil des Paters Linière.
»Ich suchte Euch, ehrwürdiger Bruder,« sagte er eifrig, – »ich habe Euch gute Nachrichten mitzutheilen.«
Der Pater Linière entfernte sich aus der Gehörweite des Herrn von Chamillard, der ruhig, ohne die Beiden zu beachten, neben der Thür des königlichen Zimmers stand.
»Sprecht, mein Bruder,« sagte er dann, »wir bedürfen der guten Nachrichten, denn die letzte Zeit hat uns viel Böses gebracht und unsere Feinde mächtig werden lassen!«
»Die Marquise von Pompadour,« sagte der Pater de Sacy, »hat mich bitten lassen, ihr Beichtvater zu sein, – welch' eine günstige Wendung, – sie, die unsere Feinde unterstützte, sie, die wahre Trägerin der Herrschaft, gibt sich in unsere Hände, – wir werden durch sie über alle unsere Gegner triumphiren, – ich eile zu ihr, – wir werden dann weiter überlegen –«
»Halt, mein Bruder,« fiel der Pater Linière ein, – »Ihr werdet nicht zu der Marquise gehen, – es ist ein Glück, daß ich Euch noch zur rechten Zeit getroffen, – Ihr müßt ihr schreiben –«
»Schreiben? – und was? –«
»Ihr müßt ihr schreiben, daß Ihr die Sorge für ihr Seelenheil nicht früher übernehmen könnt, bevor sie nicht zu ihrem Gemahl, dem Herrn von Etiolles, zurückgekehrt sei und sich durch diese Sühne ihrer Sünden der Verzeihung des Himmels würdig gemacht habe.«
»Welcher Gedanke, mein Bruder!« rief der Pater de Sacy erschrocken. »Das hieße die Marquise auf den Tod beleidigen, das hieße ihre ganze Macht, ihren ganzen Einfluß unseren Feinden zu Gebot stellen –«
»Ihre Macht, ihren Einfluß?« unterbrach ihn der Pater Linière. – »Nun, mein Bruder, – dieser Einfluß, diese Macht, sie werden uns in Zukunft weder schaden noch nützen, – in wenigen Tagen wird die Marquise, diese Freundin Choiseuil's, diese Beschützerin der Philosophen, vom Hofe verschwinden, sie wird in den Staub zurücksinken, aus dem sie sich erhoben.«
»Ich erstaune, ehrwürdiger Bruder,« sagte der Pater de Sacy, – »welch' eine Wandlung aller Verhältnisse! – und seid Ihr Eurer Sache gewiß? –«
»Ganz gewiß!« erwiederte der Pater Linière zuversichtlich. »Die Marquise wird verschwinden und dieser kühne, hochmüthige Choiseuil wird fallen.«
»Choiseuil fallen, mein Bruder?« fragte der Pater de Sacy ungläubig. – »Und das könnt Ihr wünschen, – in diesem Augenblick wünschen? Ihr wißt, wie dringend unsere Brüder in Wien uns bitten, Alles aufzubieten, um das Bündniß herzustellen, welches der Kaiserin durch die Hülfe Frankreichs endlich den Sieg bringen soll über diesen König von Preußen, dessen gottloser Spott selbst den heiligen Vater in Rom nicht verschont. Ihr wißt auch, wie mächtige Parteien am Hofe, wie die öffentliche Meinung in ganz Frankreich dem neuen Bündniß mit Oesterreich feindlich sind, – Choiseuil allein ist es und die Marquise von Pompadour, welche dieß Bündniß vertheidigen und im Stande sind, es zur Ausführung zu bringen, – was würden unsere Brüder in Wien, was würde man in Rom sagen, wenn ich in diesem entscheidenden Augenblick die Marquise tödtlich beleidigte, – wenn Choiseuil fiele, – mit unserem Wissen, – vielleicht durch unsere Mitwirkung fiele? Verzeiht, ehrwürdiger Bruder, ich kann Euren Rath nicht befolgen, – ich muß die Meinung unserer Oberen –«
»Ich habe Euch keinen Rath zu geben,« sagte der Pater Linière kalt und streng, »sondern einen Befehl zu ertheilen, – und Diejenigen, welche äußerlich unsere Oberen sind, können Euch von der Pflicht des Gehorsams gegen diesen Befehl nicht entbinden. – Hier die Vollmacht des Generals.«
Er zog ein Papier aus seinem Gewand und reichte es dem Pater de Sacy.
Dieser las die Schrift und reichte sie mit ehrerbietiger Verbeugung zurück.
»Ich werde gehorchen und der Marquise schreiben, wie Ihr angegeben, ehrwürdigster Bruder,« sagte er demüthig, – »aber ich verstehe nicht –«
»Das Verständniß,« sprach der Pater Linière würdevoll, »ist keine Bedingung des Gehorsams! Doch, mein Bruder, ein so treuer und ergebener Diener unserer heiligen Sache, wie Ihr, wird besser und wirksamer handeln, wenn ihm Grund und Zweck seiner Handlungen bewußt sind. Höret mich an.«
»Ich höre, ehrwürdigster Bruder, und bin begierig, zu erkennen und zu begreifen, was noch dunkel vor meinem Blicke liegt.«
»Unsere Brüder in Wien,« fuhr der Pater Linière fort, »sehen nur auf das, was heute vor ihnen liegt; was heute unsere Macht zu verstärken scheint, das suchen sie zu erreichen, ohne die einander folgenden und aus einander sich entwickelnden Ereignisse in ihrem innern Zusammenhange zu erfassen, der die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet und sich nur dem Blick der höhern Erleuchtung zeigt. Sie sehen nur die Kaiserin Maria Theresia, die in gläubiger Frömmigkeit der Leitung der Kirche folgt, – sie wünschen um jeden Preis ihr die Hülfe Frankreichs zu schaffen, damit sie endlich Siegerin über den ketzerischen König von Preußen werde; – aber, mein Bruder, – sie bedenken nicht, daß hinter der Kaiserin bereits ihr Sohn Joseph sich aufrichtet, der schlimmer und gefährlicher ist als der König Friedrich, weil er leidenschaftlicher und eifriger auf dem Weg der Neuerungen vordrängen, und weil er, der katholische Fürst, den vertrauenden katholischen Völkern ein verderblicheres Beispiel geben wird. Wenn wir Oesterreich zum Siege helfen, wenn wir diesen vom Geiste der Philosophie angesteckten Joseph zum wirklichen Kaiser und alleinigen Herrn von Deutschland machen, von Deutschland, dessen stolze Bischöfe schon viel zu mächtig ihr Haupt erheben, dann wird unsere Macht schweren Schaden leiden, und kaum möchten wir im Stande sein, dort unsere Herrschaft zu behaupten. – Nein, mein Bruder, – Oesterreich muß unserer bedürfen im Kampfe gegen die unbotmäßigen Fürsten des Reiches, die Uneinigkeit der weltlichen Mächte ist die Quelle unserer Macht, – als streitende Kirche werden wir herrschen, indem wir die streitenden Mächte lenken nach unserem Willen.«
»Aber, ehrwürdigster Bruder,« warf der Pater de Sacy zögernd ein, »sollte nicht die Allianz und der Sieg der katholischen Mächte eine festere Grundlage der Herrschaft der Kirche sein, als der Streit, der die Gemüther in Unruhe erhält und sie immer mehr der Leitung der Kirche entzieht?«
»Eure Worte,« sprach der Pater Linière mit Ueberlegenheit, »haben den Schein der Wahrheit, mein Bruder, – und doch werden sie durch die Thatsachen der Geschichte widerlegt. Unser Orden ist entstanden aus dem Bedürfniß, das verderbliche Werk der Ketzerei, das sie Reformation und Protestantismus nennen, zu bekämpfen. In diesem Kampf hat sich unsere Macht gestärkt und ausgedehnt, die langen Kriege des vorigen Jahrhunderts haben sie auf den Gipfel gehoben und uns den Triumph gewährt, die protestantischen Fürsten im Bunde mit dem Kardinal von Richelieu und dem katholischen Frankreich zu sehen und sie so zu Werkzeugen unseres Willens zu machen. Nur die streitende Kirche ist mächtig, wachsam und einig, mein Bruder, – nur die streitende Kirche bedarf der Soldaten, bedarf unseres Ordens als ihrer starken, wohldisziplinirten Armee. Ein Bündniß Frankreichs und Oesterreichs, das die katholischen Mächte vielleicht zum Siege führte, würde bald die Erschlaffung zur Folge haben, – und Rom selbst möchte die streitbare Armee lästig finden, wenn man dort glaubte, ihrer nicht mehr zu bedürfen. Nur der höhern leitenden Einsicht aber eröffnen sich diese Gesichtspunkte, – kraft meiner Vollmacht weihe ich Euch in dieselben ein, mein Bruder, da Ihr zum Verständniß befähigt und zur Mitwirkung berufen seid, – denkt darüber nach und Ihr werdet nicht bloß in pflichtmäßigem Gehorsam, sondern in lebendiger, freudiger Thätigkeit mitarbeiten an der Erreichung unseres letzten und höchsten Zieles, – das ist die immer wachsende Macht und Herrschaft der streitbaren Kirche auf Erden.«
Der Pater de Sacy erwiederte ehrerbietig:
»Ich bewundere die weiten und hohen Gedanken, ehrwürdigster Bruder, welche Ihr mir erschließt, – ich werde streben, mich ganz mit denselben zu durchdringen und sie zum lichten Leitstern meines Handelns zu machen. Eurem Befehl gemäß werde ich an die Marquise schreiben, – der Tadel der Oberen wird mich dafür treffen –«
»Ueber den sichtbaren Oberen,« fiel der Pater Linière ein, »schwebt die unsichtbare Leitung – aber, mein Bruder, in wenig Zeit werden auch die Nichteingeweihten Eure Weisheit und Voraussicht preisen – wenn diese Marquise und dieser übermüthige Choiseuil in die Dunkelheit und Ohnmacht zurückgesunken sein werden –«
»Und Ihr seid dessen gewiß, ehrwürdiger Bruder?« fragte der Pater de Sacy nochmals, mit einem Rest von Zweifel.
»So gewiß,« sagte der Pater Linière mit dem vollen Ton der Ueberzeugung, »als die Strahlen der Sonne, diese Pfeile und Wurfgeschosse des heiligen Lichtes im geschaffenen Raum, die dunklen Nebelwolken besiegen, welche über die Erde dahinziehen. Unsere Feinde werden verschwinden wie diese Wolken, und unsere Macht wird in neuem Glanz emporsteigen, wenn wir nicht ermüden in Wachsamkeit und kampfesfreudigem Eifer! Mögen sie sich die Allmächtigen wähnen, die Kaiser und Könige der Erde, – wir lenken sie an unsichtbaren Fäden und führen Alles hinaus im Geiste des großen Stifters unseres Ordens – ad maiorem Dei gloriam!«
Er richtete sich stolz auf und erhob die Hand wie zur Bekräftigung dessen, was er aus voller Ueberzeugung seiner Seele gesprochen.
›Ad maiorem Dei gloriam!‹ wiederholte leise der Pater de Sacy, sich tief verneigend und die Hände über der Brust kreuzend.
Laute Stimmen ertönten aus der Tiefe der Galerie.
Seine Majestät kehrte aus der Messe zurück und der ganze Hof folgte ihm.
Mit jenem Instinkt der Höflinge, welchen Richelieu wie Niemand besaß, erschien er genau in dem richtigen Augenblick aus einer der ihm so gut bekannten Seitenthüren und befand sich vor der Thür des königlichen Zimmers, als Seine Majestät dort erschien.
Der König grüßte den Hof und winkte dem Marschall, der ihm in die inneren Gemächer folgte.
Der ganze glänzende Schwarm der Höflinge zerstob nach allen Seiten, sie fühlten, daß irgend ein Gewitter in der Luft schwebte, dessen Zug sie noch nicht erkennen konnten, und Jeder suchte eifrig Nachrichten einzuziehen oder sich unter den Schutz eines Größern und Mächtigern zu stellen, – die Klügsten verschwanden und zogen sich in die Verborgenheit zurück, bis die herabhängenden Wolkenschleier sich gelichtet haben würden.
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