Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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II. Die Schwangerschaft und der Stand der Gnade.

Wir sagten: die Frau ist wahrhaft das fruchtbare Leben. Was sie denkt, ist ein lebendiges Wesen; ihre Idee ist ein Kind.

Wir wissen jetzt, warum diese Worte sie so kalt fanden, jene so voller Leben. Sie ist nur zugänglich, empfänglich für die Idee, welche zu Fleisch und Blut werden kann. Die ergreift sie, macht sie zur ihrigen, vertieft sie, wie einen Traum, begabt sie mit ihrem Verlangen. Nun braucht nur ein Hauch der Liebe ihn zu berühren, so gewinnt dieser Traum einen Körper, wird ein Kind.

Aus dem Abstrakten, dem Allgemeinen, dem Kollektiven, das du ihr gabst, macht sie ein Individuum. Du sprachst zu ihr von dem Vaterlande, von der freien, heroischen Republik. Sie hat den Heros geträumt.

Den Heros der Tat, der Kunst, der Wissenschaft, den Neuerer, den Schöpfer, von mächtigem Arm und segensreicher Hand, der dem menschlichen Geschlechte unsägliche Wohltaten spenden wird. Das alles freilich dunkel und verwirrt. Sie weiß es selbst nicht so ganz, was sie will; sie verläßt sich auf die Vorsehung. Gott wird wissen, was zu tun ist; aber der Mutter genügt es, und sie ist beinahe überzeugt davon: das Kind ist ein Wunder, ein Retter, ein Messias.

*

Sie wagte niemals, davon zu sprechen, nicht einmal auf dem Lager, nicht einmal zur ermutigenden Stunde, wo die holde Nacht alles einhüllt und so vieles zu sagen verstattet. Sie wagte es nicht. Denn, wenn er gelacht hätte! Welch grausamer Mißton in ihrem schönen Traum! ... Nein, diese erhabene Hoffnung ist das einzige, was die Frau dem Geliebten nicht zu sagen wagt. Sie schämt sich ein wenig ihres göttlichen Romans.

Ich will es euch im Vertrauen sagen: das war es, was sie an jenem Tage bewegte, als ihr Gatte vor der Zeit nach Hause kam, sie ernst und aufgeregt fand, als ob sie bei etwas ertappt wäre, was sie gern verheimlicht hätte. Er forschte, er hätte es gern gewußt, aber sie umarmte ihn schweigend.

Sie, die so verständig, so weise ist, sie ist selbst erstaunt über den unwillkürlichen Schwung, den ihre Einbildungskraft erhalten hat. Sie weiß nicht, daß diese Torheit die größte Weisheit ist. Ist es doch dieser heilige Wahnsinn der Mutter, ihr Wille, das Kind zu einem Gott zu machen, was uns zu dem Wenigen macht, das wir sind. Das Beste, was wir in uns fühlen, hat sie durch diesen Traum in uns gelegt. Und wer immer stark auf Erden ist, wurde es, weil sie ihn im Himmel empfangen hat.

*

Das war, wenn ich es sagen darf, die geheime Konzeption der Frau, solange sie noch frei und leicht die Herrin ihres Gedankens war, vor der Nacht, wo der starke Gott, der allmächtige Verwirklicher, sie in ihrem Himmelstraum ergriff und mit seinem Sturm sie niederbeugte. Plötzlich ist sie eine andere. Sie fühlt eine drückende Hitze und dann wieder Frost, ein Schauder erfaßt sie. Ihr schöner Hals schwillt; ihr Busen ist bewegt, er wallt, aber diesmal flutet die Woge nicht wieder zurück; die Brüste runden sich, und tiefer zeichnet sich ein Schatten – eine geheimnisvolle Rundung.

Ein schmerzliches Geschwollensein macht sie schwerfällig. Das Gehirn selbst wird ein wenig geschwächt; diese ätherische Seele wird einen Augenblick durch den Körper entkräftet und herabgezogen. Sie hat nicht mehr die vollkommene Herrschaft über ihre Bewegungen. Sie schwankt, sie taumelt, sie schwimmt ... Kann das überraschen? ... Er selbst, der blinde Urheber dieses Wunders, ist beinahe nicht weniger verwirrt. Er ist bewegt, entzückt und doch voller Unruhe, wie er sie so auf das große Meer, wohin er ihr nicht mehr folgen kann, hinausfahren sieht. Er kann sie nicht mehr schützen, kann nichts mehr für sie tun ... Wie entsetzlich für den, welcher liebt! ... Da sieht er sie nun vor sich, wie sie Tag für Tag der Vollendung dieses Mysteriums näher rückt. Er kann nur Wünsche hegen, beten, die Hände falten, wie der Gläubige vor dem Altar. Eine grenzenlose Ehrfurcht vor diesem lebendigen Tempel hat ihn erfaßt. Vor dieser göttlichen Hülle, die eine unbekannte Welt birgt, träumt er schweigend; und wenn er lächelt, so ist es ein Lächeln unter Thränen.

Keiner wird ihn der Schwäche zeihen. Wenn man je eine religiöse Stimmung ehren muß, so ist es gewiß in diesem Falle. Hier stehen wir wirklich vor dem größten Wunder, einem unbestreitbaren Wunder, einem Wunder, das durchaus nicht absurd und darum nicht weniger dunkel ist. Jedes Wesen ist ein solches, von unübersteiglichen Schranken umgebenes Wunder. Und doch ist diese Schranke überstiegen. Und wenn die Geburt des Kindes ein Wunder ist, so ist es die Umwandlung der Mutter nicht minder. Die Gattin, die empfangen hat, macht aus sich einen Mann. Überwältigt von der männlichen Kraft, die sie einmal gepackt hat, wird sie ihr mehr und mehr nachgeben. Der Mann wird sie erobern, durchdringen; sie wird mehr und mehr er werden.

Ein, zwei Jahre werden genügen, um auf ihre Lippe einen leichten, reizenden Flaum zu hauchen, wie die Blüte der Kornähre. Auch ihre Stimme wird sich verändern. Oft verliert sie die hohen Töne, oft bekommt sie dafür tiefe (aber von welcher Weichheit!). Und wie viele andere Veränderungen. In ihrem Wesen, in ihren Bewegungen manifestiert sich, ihr selbst unbewußt, die unfreiwillige Nachahmung dessen, den sie im Herzen ihres Herzens trägt. Ihr braucht sie gar nicht zu kennen, wenn ihr sie nur gehen, sprechen, lachen seht, werdet ihr (trotz der Zartheit und der größeren Schüchternheit der Formen) sagen: »Ich erkenne ihn in seiner Frau wieder; sie ist er.«

*

Tiefe, wunderbare Vereinigung! Besonders in den ersten Monaten der Schwangerschaft, wo das neue Leben, das sich in ihr entwickelt, sich für sie nur erst durch die dumpfe Aufregung einer großen Fluktuation manifestiert, bringt sie alles mit dem in Bezug, der sie verwundet hat, durch den sie leidet, und den sie nur um desto mehr liebt. Drinnen fühlt sie ihn, wie er brennt, wie er sich regt; draußen erfaßt sie ihn als ihre einzige Stütze, sie lehnt sich auf ihn, beklagt sich bei ihm, ist wie an ihn gefesselt. Sie will (und er will es noch mehr als sie), daß er sie beklage, daß er sie verziehe, mit der zärtlichsten Sorgfalt umgebe. Dafür giebt sie sich ihm ganz hin, ist sie ganz und gar ein gutes, gehorsames Mädchen. Sie wird sein Töchterlein, sie läßt sich verziehen wie ein kleines Kind. Wenn sie sich auch im Anfang etwas dagegen sträubt, wenn es ein wenig gegen ihren Willen geschieht, was läßt sich dabei thun? Sie hat weder die Kraft, noch den Willen, sich zu weigern; sie unterwirft sich, weil er es doch am Ende selbst verlangt, und sie thut es ohne große Mühe; denn sie findet es im Grunde sehr süß.

Während die Ankunft des Kindes erwartet wird, kann sie es ja wohl an seiner Seite sein. Und, seltsam, sie, die noch eben so ernst gestimmt war, sie gefällt sich ganz wohl in dieser neuen Rolle. Sie weiß, daß der Geliebte die Freiheiten, welche die Frau an ihrem unschuldigen Kleinen reizend finden wird, bei der Geliebten köstlich findet. Sie weiß, daß alles von ihr entzückt, daß er so glücklich ist über das dolce far niente, in welchem ihr Leben verfließt; und sie schließt die Augen, um ihm dies Glück ungestört zu lassen.

Zu den Sonderbarkeiten, die den Frauen dann natürlich sind, gehört auch die, daß sie sich zu Zeiten gern isolieren, verstecken, um sich selbst den Beweis zu liefern, daß sie durchaus unabhängig sind, und der geliebte Tyrann, der ihnen überall mit dem Herzen folgt, sie nicht zu sehr fesselt. Er gehorcht, er entfernt sich und lächelt höchstens. Sie, ihrerseits, weiß wohl, daß er alles sieht, in dem er nichts zu sehen scheint. Was thut es? sie weiß ihm Dank, daß er so gut, so bescheiden ist. Reizendes, unschuldiges Spiel, wo keiner den andern täuscht. Ist es lächerlich? o nein! laßt ihnen diese Kindschaft des Standes der Gnade.

*

Um dir die Wahrheit zu sagen, liebes junges Weib, so thut dieser Mann, wenn er dich verzieht, eben nichts Besonderes, denn wir sind alle wie er. Wir alle (ich meine nicht die Freunde, sondern die Vorübergehenden, die Menschen, alle Kreaturen, die ganze Natur) stimmen darin überein, dich mit Liebe zu empfangen, mit Segenswünschen zu begleiten. Wo du auch eintreten mögest, du bist in deinem Hause. Nimm die Früchte, die Blumen, wozu immer deine Neigung dich treibt. Es wird uns Glück bringen und wir werden dessen froh sein.

Geh nicht weiter, liebes junges Weib, sprich bei mir vor, ich bitte dich. Bestiehl mich, gieb mir den Vorzug ... Ich weiß nicht, welcher alte Brauch den schwangeren Frauen verstattete, drei Äpfel oder drei Birnen zu nehmen. Das ist zu wenig, bitte, den ganzen Garten, nimm!

Aber ich Ungeschickter, was habe ich gesagt? ...

Ich habe alles verdorben. Sie trat herein, und siehe, jetzt schämt sie sich, will nichts mehr, wendet sich ab ... Ihr allerliebstes Schmollen will sagen: »Aber er durfte nichts sehen.«

Ich bin ärgerlich auf mich ... sie hört mich nicht mehr an; sie geht, geht fort, errötend und die Augen niederschlagend.

*

Das Verstohlene bei der Sache war es, was sie reizte. Sie weiß ja, daß alles ihr gehört, daß sie alles thun kann, was sie will, und daß alles gut und schön ist. Sie bringt unendlich mehr, als sie mit fortnehmen kann; sie bringt Frieden und Liebe, einen Hauch der Glückseligkeit. Man kann sie nicht ansehen, ohne zu lächeln, aber es ist ein seliges Lächeln; denn man hat las Glück selbst gesehen und fühlt sich den ganzen Tag glücklich.

Wo sie den Fuß hinzusetzen würdigt, weicht ihr das Gesetz. Und das Gesetz bittet, sie möge nur befehlen. Ihre Laune ist Gesetz, ihre Phantasie Weisheit, ihre Thorheit Vernunft.

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Wenn sie sündigte (aber sie kann es nicht!), diese unschuldige Tochter Gottes, so wäre für unsere zur Milde gestimmten Herzen ihr Fehltritt nur ein Reiz mehr. Ihr einziger kleiner Fehler, den man wohl rügen müßte, besteht darin, daß sie, im Innern von einem so kleinen, aber so gierigen Wesen geplagt, selbst gierig ist, und wenn sie sich selbst vertraute, wenn sie es wagte, so würde sie diesem blinden Triebe folgen. Man freut sich, sie viel, stets, oft heimlich essen zu sehen. Nicht ganz mit Recht, denn es könnte ihr schaden. Ihr Gatte sollte sie bitten, sich ein wenig in acht zu nehmen. Er giebt sich der Lust, ihr Leben bereichert, ihre Schönheit sich köstlich entfalten zu sehen, zu sehr hin. Denn nicht nur ihre Taille rundet sich. Ihre schönen Arme, ihre weißen Schultern, ihr Busen, alles schwillt in üppigen Linien, ihr ganzes Wesen steht in Blüte.

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»Es war am St. Jakobstage, im Jahre 1825, glaube ich, zu St. Cloud, bei einer alten Freundin, der ich einen Besuch abstattete. Die Gattin des liebenswürdigen Malers, Frau B., die in der Nachbarschaft wohnte und wie ein Kind des Hauses war, trat, ohne sich anmelden zu lassen, ein. Als die Thür sich schnell öffnete, schien mir plötzlich das ganze Zimmer von Licht und Blumen angefüllt. Sie legte ihren Strohhut ab und einen mächtigen Blumenstrauß, den sie draußen gesammelt hatte. Obgleich sie sehr merkbar schwanger war, hatte sie das alles in einem Augenblick mit der Lebhaftigkeit eines jungen Mädchens und eines verzogenen Kindes, das sicher ist, von allen gelobt zu werden, gethan.«

»Sie war von sehr hohem Wuchs, stark und in der Fülle des Lebens. Die mächtige Elektricität, die von ihr aus alles überströmte, verhinderte mich, zu hören, was sie sagte. Was ich am besten verstand, war ein Strahl von Leben, Glück und Güte, der ihr aus den Augen leuchtete.«

»Ich senkte die meinigen und fühlte mich traurig. Dennoch hob ich sie wieder und betrachtete sie noch einmal. Dann, mir wieder Herz fassend, nahm ich Abschied und machte mich zu Fuß nach Paris auf den Weg ...«

»Jener Hymnus des Orients, der wahre Gesang des Unendlichen, rauschte durch den Sturm meiner Seele. »Ich hatte ein Gesicht Gottes gehabt ...«

»O Sonne, o Meer, o Rose ...«

»Der Kreis des Daseins erfüllt sich und schließt sich in dir.«

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