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Ich ging vor dem Diner mit Triceps im Parke spazieren. Wir begegneten einer Dame, welche viel, viel zu elegant aussah, als sie die Trinkhalle verließ. Sie lächelte Triceps zu und sagte:
– Guten Abend, altes Haus ...
– Guten Abend, mein Kätzchen, antwortete Triceps.
Dann ging sie, in eine Wolke von Parfum gehüllt, vorüber.
– Das ist Boule-de-Neige (Schneeball) ... setzte mir Triceps auseinander ... die frühere Maitresse des alten Baron Kropp ... Du weißt doch ... der voriges Jahr starb ... des alten Baron Kropp ... wie? Nun natürlich! ... Ach, mein Lieber, man möchte gar nicht glauben, daß es solche Männer gibt ... Hör' nur mal ...
Und Triceps, sehr zufrieden darüber, eine Geschichte loswerden zu können, erzählte mir, indem er seinen Arm unter den meinen gleiten ließ:
– Eines Morgens kam der alte Baron zu mir. Und ohne Umschweife fragte er mich:
– Ist es wahr, Doktor, daß es Eisen im Blute gibt?
– Ja, das ist wahr.
– So, so! ... Ich wollte es nicht glauben. Nein, wie verwickelt die Natur doch ist!
Die Lippen des alten Barons zitterten und waren leicht mit Schaum bedeckt. Seine Augen erschienen fast erstorben. Die Haut seines Halses nahm sich unter dem Kinn wie eine schlappe Kravate aus weichem Fleische aus.
Er dachte einen Augenblick lang nach, dann forschte er weiter:
– Gibt es viel Eisen im Blut ... sehr viel?
– Alle Wetter! antwortete ich. Selbstverständlich kein Bergwerk.
– Was verstehen Sie darunter?
– Ich will damit sagen, daß man dem Blute eines Menschen nicht genug Eisen entnehmen könnte, um – wie soll ich Ihnen das erklären? – um zum Beispiel einen zweiten Eiffelthurm zu bauen ... Verstehen Sie?
– Ja, ja! Gewiß doch! Ja, ja.
Und der alte Baron begleitete jedes dieser »Ja« mit beistimmendem, entmuthigtem Kopfnicken. Er bemerkte noch:
– Übrigens verlange ich gar nicht so viel ...
Dann, nach einer kurzen Pause, fragte er:
– Sie glauben also, man könnte Eisen ... ein wenig Eisen ... aus meinem Blute ziehen? ... aus meinem Blute?
– Hehe, natürlich! Warum nicht?
Der Baron lächelte und fragte mich noch:
– Glauben Sie auch, daß es Gold im Blute gibt?
– Ach nein! Das gerade nicht ... Sie sind wahrhaftig anspruchsvoll, mein lieber Baron. Gold gibt es nur in Zähnen ... in kranken Zähnen.
– Ach, Doktor, leider habe ich keine Zähne mehr. Selbst keine kranken! stöhnte der Greis. Und wenn ich noch meine Zähne hätte und Gold in den Zähnen, so wäre das stets doch nur fremdes Gold, kurz Gold, das ich nicht selber hervorgebracht habe, mit einem Worte Gold, das nicht aus meiner Substanz herrührt. Wozu dann also? Sie sind demnach Ihrer Sache sicher, daß in meinem Blute kein Gold enthalten sei?
– Vollkommen sicher.
– Das ist sehr ärgerlich. Und wahrhaftig, ich bedauere es ... Sehen Sie, weil ich Gold dem Eisen für meinen Ring vorgezogen hätte ...
Ich drang nicht weiter in den Baron, da ich wußte, daß er schon etwas blöde geworden war. Er begann von neuem, indem er seine Zunge auf der speichelfeuchten Lippe schnalzen ließ:
– Sie wissen nämlich nicht, wie ich Boule-de-Neige liebe. Ich habe ihr Alles gegeben ... Häuser, Pferde, Schmuck, Liebhaber, die sie vor Wonne aufschreien lassen ... Sie hat Kleiderstoffe, die fünfzigtausend Francs kosten. Sie hat Alles, was ein Weib besitzen und erträumen kann ... Nun denn, ich möchte ihr etwas geben, was noch nie ein anderes Weib besessen hat ... Ja, ich möchte ihr mit einem Male und in greifbarer, körperlicher Form all' das geben, was mir noch an Hirn und Blut geblieben. Meine ganze Substanz mit einem Wort, eingeschlossen in einen Reif, den die schönsten Diamanten der Welt schmücken sollen ... Was thut's, wenn ich daran sterbe ... Ja, aber, werde ich genug Blut dazu haben?
– Man hat dazu immer noch genug Blut, antwortete ich nachlässig. Übrigens, ... Man thut, was man kann ...
– Ach, Doktor! ... Ich fühle mich unwohl ...
Erschöpft von alledem, was dieser greisenhafte Wunsch an machtlosen Anstrengungen vorstellte, fiel der alte Baron, der todtenbleich geworden, in Ohnmacht. Ich bettete ihn auf ein Sopha, die Füße hochgestellt, ließ ihn scharfriechende Salze einathmen, schlug ihn mit einem feuchten Tuche ins Gesicht. Die Ohnmacht dauerte einige Minuten lang an. Dann, als er wieder zu sich gekommen war, befahl ich, daß man ihn, indem zwei Diener ihn unter den Achselhöhlen stützen, bis zu seinem Wagen, der auf der Straße hielt, geleite ... Er stammelte, während seine Lippen sich kaum schließen konnten:
– Ach! ... Boule-de-Neige! ... Boule-de-Neige! ... Ich schenke Dir ... Und auf den Polstern zusammengesunken, die Beine zusammenknickend, den Kopf auf die Brust herabhängen lassend, lallte der alte Baron halsstarrig weiter:
– Ja ... so soll's sein ... meine ganze Substanz ... Ich schenke Dir ... meine ganze Subst…
Am nächsten Morgen begab er sich zu einem Chemiker, dessen Gelehrsamkeit weit berühmt war.
– Ich möchte, sagte er zu ihm, Sie sollen mir ausreichend Blut abzapfen, um ihm fünfunddreißig Gramm Eisen entnehmen zu können.
– Fünfunddreißig Gramm? ... rief der Chemiker, der seiner Verblüffung schwer Herr werden konnte ... Donnerwetter!
– Ist das so viel? fragte der Baron voller Unruhe ...
– Es ist viel ...
– Ich werde Ihnen dafür bezahlen, was Sie verlangen. Und wenn Sie all' mein Blut brauchen, nehmen Sie es! ...
– Ich meine nur, wandte der Chemiker ein, Sie sind recht bejahrt ...
– Wenn ich jung wäre, erwiderte der Baron, würde ich nicht mein Blut meiner angebeteten Boule-de-Neige geben ... das wäre etwas Anderes ...
Nach Verlauf von zwei Monaten hatte der Chemiker dem Baron ein kleines Stück Eisen geliefert.
– Es wiegt nur dreißig Gramm ... sagte er zu ihm.
– Wie klein das ist! ... murmelte der Baron, dessen Stimme nur noch ein Hauch war und dessen Gesicht bleicher als ein Leichentuch aussah ...
– Alle Wetter, ja! Herr Baron ... Eisen ist schwer und nimmt nicht viel Platz ein.
– Wie klein das ist! ... Wie klein das ist!
Und indem er das winzige Metallstück, das er in seinen zitternden Fingern hielt, betrachtete, seufzte er:
– Also das ist meine ganze Substanz! ... Das ist nicht schön ... Und doch ist in diesem schwarzen Korn die ganze Unermeßlichkeit meiner Liebe enthalten ... Wie stolz wird Boule-de-Neige darüber sein, daß sie ein solches Schmuckstück besitzt ... ein Schmuckstück, das aus Hirn besteht ... das aus Blut besteht ... das aus Leben besteht! ... Und wie wird sie mich lieben! ... Und wie wird sie vor Liebe weinen!
Er flüsterte die letzten Worte, da er nicht mehr die Kraft hatte, sie mit lauter Stimme zu sprechen ...
Und nachdem er in seinem Innern wiederholt hatte: Das ist ganz klein ... und dennoch gibt es, gab es nie auf Erden, weder an einem Frauenhals, noch an dem kleinen Finger eines Weibes ein so riesiges Schmuckstück ... versank er in einen unruhigen, von schweren Träumen bewegten Schlaf ...
Einige Tage nachher lag der Baron im Todeskampf. Boule-de-Neige war an seinem Bett und betrachtete die Dinge um sich herum mit gelangweiltem Blicke, mit einem Blicke, der bedeutete: »Der Alte ödet mich an ... Er kann nicht fertigsterben ... Ich möchte gern wo anders sein ...«
Ein Diener brachte ein Etui.
– Was gibts? ... fragte der Baron mit stockender Stimme ...
– Es ist der Ring ... Herr Baron.
Bei diesen Worten trat ein Lächeln auf die Lippen des Sterbenden, in seinen Augen leuchtete es auf ...
– Gib' her ... Und Du, Boule-de-Neige, komm hierher, ganz nahe zu mir heran ... und höre mich an ...
Mit Mühe öffnete er das Etui, steckte den Ring an einen Finger von Boule-de-Neige und sagte mit von Röcheln und Pfeifen unterbrochener Stimme:
– Boule-de-Neige ... sieh' diesen Ring an ... Was Du da siehst, ist Eisen ... Es ist Eisen, das mein ganzes Blut vorstellt. Man hat mir die Adern geöffnet und durchwühlt, um es daraus zu ziehen. Ich habe mich getödtet, damit Du einen Ring erhältst, wie einen solchen noch kein Weib besessen hat ... Bist Du glücklich?
Boule-de-Neige betrachtete den Ring mit von Verachtung gemengtem Erstaunen und sagte einfach:
– Ach, ja, altes Haus ... aber, weißt Du, eine Pendeluhr wäre mir lieber gewesen ...
Und Triceps beendete seine Erzählung mit lautem Lachen.
– Nein ... diese Boule-de-Neige ist ulkig. Ein Kapital-Luder!