Balduin Möllhausen
Die beiden Jachten
Balduin Möllhausen

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Viertes Kapitel.

Im Buknfjord. Das Heim der Larsen. Karen Sture.

Der südlichste der das westliche Norwegen charakterisierenden Fjorde ist der Buknfjord mit der im geschützten Winkel sich erhebenden, altehrwürdigen Stadt Stavanger. Sehr umfangreich und weitverzweigt, schneidet er tief in das Festland ein. Seewärts wie in dem Fjord selbst tauchen nach allen Richtungen größere und kleinere Inseln und Schärenfelsen in den wunderlichsten Formen auf. Erstere sind die Heimat eines Menschenschlages, den man als die Kinder des Ozeans bezeichnen möchte. Aus ihm gehen die verwegensten Fischer und Seefahrer hervor, vor allem aber Lotsen, die, seit frühester Jugend an den Kampf mit den Elementen, Untiefen, Klippen und gefährlichen Brandungen gewöhnt, von denen keiner anderen Nation übertroffen werden. Gewissermaßen als südlicher Eckpfeiler der breiten Einfahrt in den Buknfjord, entsteigt dem Meere die Insel Utstejn mit einem Örtchen gleichen Namens.

Der Buknfjord lag verhältnismäßig still, während draußen der Ozean von einer scharfen Südwestkühle seine schaumgekrönten Dünungen unablässig auf die granitene Schärenumpanzerung, strichweise auch auf das Festland selbst, einwälzte. In die breite Einfahrt drängten sich ebenfalls brausende Seen, um, allmählich ermattend, sich nach allen Richtungen hin zu verlaufen. Ein trüber nordischer Himmel verlieh, soweit das Auge reichte, der Szenerie einen melancholischen, träumerischen Charakter. Obgleich Ende des Sommers, war die Luft doch kühl, wenigstens kühl genug, um bei dem herrschenden rauhen Winde den Aufenthalt zwischen den vier Pfählen dem im Freien vorzuziehen. So auch in einer auf hohen Balkenfüßen errichteten Hütte, die von dem Örtchen aus in etwa zehn Minuten erreichbar war. Ein ähnlich erbauter Stall nebst daranstoßendem Gärtchen vervollständigte das bescheidene norwegische Heim, dessen von Verwitterung zeugende bläuliche Farbe das Alter von mindestens zwei Generationen zur Schau trug.

Bild: Max Vogel

Wie draußen der Einfluß der Atmosphäre dem Holzwerk das Gepräge eines verflossenen halben Jahrhunderts verlieh, so hatte im Inneren der Hütte der Rauch langer Zeiträume Balkenwände und Decke geschwärzt. Neben dem Kaminherd, über dessen haushälterisch genährtem Feuer von einem langhalsigen Drachenkopf der mit Wasser gefüllte Kessel niederhing, saß die Besitzerin des anspruchslosen Heimwesens, eine ins Greisenalter getretene Frau, auf einem einfach hergestellten Armstuhl. Vor sich das schnurrende Spinnrad, schien sie nur Sinn für den sich zwischen ihren hageren Fingern hervorwindenden Faden zu besitzen. Sauber gekleidet und mit dem um das ergraute Haar geschlungenen weißen Tuch bot sie das freundliche Bild des noch von körperlichen Gebrechen verschont gebliebenen hohen Alters. Gutmütigkeit wohnte auf den gewelkten, bleichen Zügen, zugleich aber machte sich in ihrem gelegentlichen Mienenspiel eine seltsame, ängstliche Erwartung geltend. Eine kräftig gebaute Frau von etwa fünfundvierzig Jahren beschäftigte sich vor dem Herd mit dem Säubern der zum Frühmahl benutzten Gefäße. Auch ihr war ein durchaus Vertrauen erweckendes Äußere eigen. Beide waren Witwen, die alte Mutter Larsen und ihre Tochter Christine Knudson, kein Wunder, daß ihre ganze Liebe sich auf der letzteren Sohn Niels übertrug.

Dieser, ein vierundzwanzigjähriger Bursche von ungewöhnlich kräftigem Körperbau, saß in der Nähe des einzigen Fensters, zwischen den Händen ein weitmaschiges Netz, an dem er Schäden ausbesserte. Sein rundes, hübsches Gesicht schmückten die Farben der Gesundheit und ein noch jugendlich weicher, rötlich-blonder Vollbart. Gelbblondes Lockenhaar wogte auf seinem Haupte und verschleierte, indem er im Eifer sich der Arbeit zuneigte, seine Stirn. Sah er aber auf, dann blickten zwei fröhliche, trotzige Augen auf Mutter und Großmutter.

»Die See geht hoch heute,« bemerkte die alte Frau, »ich möchte wissen, ob mein armer Erich dem Winde seine Heimatsgrüße anvertraut. Ist mir doch, als hörte ich seine Stimme. ›Gott segne dich, herzliebe Mutter! Bald bin ich wieder bei dir,‹ klingt's mir in den Ohren.«

Christine Knudson warf einen warnenden Blick auf ihren Sohn und erwiderte beschwichtigend: »Wer weiß, wohin der Wind weht, der ihm um die Ohren bläst. Kluge Seefahrer behaupten, daß auf dem Weltmeer die Stürme zu gleicher Zeit nach verschiedenen Richtungen fegen.«

»Wie lange mag er schon fort sein?« fuhr die Alte etwas lebhafter fort.

»Ich kann's nicht berechnen,« hieß es zurück, »sind doch so viele Jahre verstrichen, seitdem er in die Welt ging.«

»Viele Jahre, Christine. Unser Niels stolperte damals noch nicht lange in seinen ersten Schuhen herum. Wenn er nur ein einzig Mal geschrieben hätte. Aber er kommt, ich weiß es gewiß, er kommt, und wär's nur, um sich meinen Segen zu holen und mir die Augen zuzudrücken.«

»Gewiß, Großmutter, er kommt,« warf Niels nunmehr zuversichtlich ein, denn er wußte, daß seine Worte der Greisin als Wahrspruch galten, »er kommt sicher, wenn auch nicht heut oder morgen; dann ist er ein berühmter Mann und hat viel zu erzählen.«

»Wenn du es behauptest, muß es wahr sein,« versetzte die Greisin sichtbar beruhigt, »denn du bist des Erich sprechendes Ebenbild, und über seine Lippen kam kein falsches Wort. Aber es wird Zeit mit ihm, damit die Leinwand, die ich spann, sich nicht verliegt. Vier Dutzend Hemden laß ich ihm anfertigen; so viele nennt manch vornehmer Herr nicht sein eigen.«

Der junge Mann knüpfte eifriger an dem Netz. Seine Mutter warf einen trüben Blick auf die Alte. So wie heute hatte sie gesprochen viele, viele Jahre, bis ihr vergebliches Wünschen und Hoffen allmählich in heilige Überzeugung übergegangen war. Das Mutterherz konnte sich nicht von einer Zuversicht lossagen, die gleichbedeutend mit dem eigenen Leben war. Manches schwere Leid war auf sie hereingebrochen: den Gatten hatte sie in die Erde gebettet und dann den Schwiegersohn. Sie hatte getrauert, aber ihren Schmerz überlebt. Der Gedanke dagegen, daß ihr Sohn gestorben sein könne, erschien ihr so ungeheuerlich, so unfaßbar, daß sie selbst in ihren nächtlichen Träumen nicht davon heimgesucht wurde. Und so war ihr als fast einziger, letzter Lebensgenuß geblieben, den längst Verschollenen mit mütterlicher Zärtlichkeit zu erwarten, von ihm immer und immer wieder, wie von einem des Sonnenlichtes sich noch Erfreuenden zu reden, die Wochen und Monate zu zählen, nach deren Ablauf sie ihn wieder in die Arme schließen würde. Ob ihr Haar bleichte, ihr Rücken sich krümmte: für die Vergangenheit besaß sie keine Berechnung. Wie Tage erschienen ihr die Jahre, die seit dem letzten Abschied ihres Lieblings entschwanden; so jung und blühend, so verwegen und lebensfroh wie damals, schwebte er ihr auch heute noch vor.

»Mutter, man sollte meinen, der Sommer sei vor der Zeit vom Herbst verdrängt, worden,« suchte Christine Knudson das Gespräch in andere Bahnen zu lenken, »draußen weht's wieder, als möchte es alle Schären über den Haufen werfen, und der Himmel schaut so düster darein, wie im November.«

»Laß es wehen,« meinte die Alte unbefangen, »die Schären stehen fest, und nach 'nem braven Seemann strecken die Seen ihre Arme vergeblich aus.«

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, doch nur so weit, daß ein von starken blonden Flechten umkränzter Mädchenkopf sich durch die Spalte schieben konnte; dann tönte es von zwei blühenden Lippen, während die blauen Augen in heller Lust dazu lachten: »Niels, der Vater schickt mich, sonst wäre ich nicht hierhergelaufen. Er läßt dir sagen, du möchtest schnell kommen, die Reihe sei an dir. Draußen viert ein Schiff gegen den Wind. Es signalisiert um einen Lotsen. Es wäre ihm sonst nichts an dir gelegen, meinte der Vater, allein die anderen kreuzten weiter nördlich, wo Schiffe in Sicht sind, die im Karmssund Schutz suchen möchten.«

Beim ersten Ton der hellen Mädchenstimme hatte Niels das Netz zur Erde fallen lassen. Aufspringend betrachtete er mit freudigem Erstaunen das liebliche, jugendfrische Antlitz, das wie zwischen Tür und Pfosten eingeklemmt erschien. Seine gebräunten Wangen erglühten in ungestümer Begeisterung; kaum aber hatte das junge Mädchen geendigt, als er triumphierend ausrief: »Karen – du selber? Ob dein Vater dich schickt oder dein eigener guter Wille dich treibt: wenn du nur da bist. Aber tritt näher, Karen. Während ich mich fertig mache, erzähle, welche Sorte von Kraft in Not ist um 'nen Lotsen. Hernach gehen wir mitsammen.«

Spott leuchtete aus den fröhlichen blauen Augen, die schwellenden Lippen kräuselten sich, und ohne ihre Stellung zu verändern, antwortete Karen: »Wirst deinen Weg wohl ohne mich finden, und rede ich mit dir, hindert's nicht, wenn die Tür zwischen uns beiden ist.« Sie gewahrte, daß des jungen Mannes Gesicht tiefer erglühte, und mit einem unzweideutigen Ausdruck innerer Befriedigung fuhr sie fort: »Eine Lustjacht ist's mit Schonertakelung, ich sah's selber vom Dache unseres Hauses aus. Vielleicht wieder ein englischer Lord; da wird wohl bald ein Dutzend Silberkronen in deine Tasche gleiten. Solche Lords besitzen Gold, daß man eine Kuffe damit bis zum Sinken beladen könnte.«

»Zum Teufel mit den Lords samt ihren Lustjachten,« erwiderte Niels noch unter dem vollen Eindruck der erfahrenen spöttischen Abweisung, »die sollten bleiben, wo sie hingehören, anstatt dutzendweise herüberzukommen, um unsere Seen und Elvs leer zu fischen, unsere Renntiere auszurotten und uns selber sich dienstbar zu machen.«

»Meinst du?« fragte das Mädchen boshaft. »Du redest wohl nicht, wie du denkst, oder du vergißt, daß die Englischen unserem Lande Geld zutragen, und ohne Geld ist der beste Mann nicht mehr wert, als eine leere Heringstonne.«

Sie entdeckte, daß bei dieser letzten Bemerkung Niels' Züge sich noch mehr verfinsterten und er, seinen Anzug vervollständigend, den gefirnißten Südwester auf seinem Haupt befestigte. Lachend den Kopf zurückziehend, schmetterte sie die Tür zu, daß der Fallriegel klirrte, und gleich darauf ertönte der helle Gesang, mit dem sie ihre schnellen Schritte begleitete.

»Gesundes Blut in dem Dinge,« meinte die Großmutter, die, an die wunderliche Weise des Mädchens gewöhnt, durchaus nichts Befremdendes darin fand, daß es den ihm erteilten Auftrag erfüllte, ohne den übrigen Anwesenden auch nur ein Wort des Grußes zu schenken.

»Gesundes Blut mag drin stecken,« versetzte Christine Knudson beinahe rauh, denn sie fühlte sich durch Karens Spott in der Seele ihres Sohnes gekränkt, »aber es gibt an unserem Fjord gesunde Dinger die schwere Menge und darunter solche, die den Wert des Mannes nicht nach seinem Gelde abschätzen. Laß du daher von ihr, Niels, ich rate es dir als Mutter. Selbst wenn Karen mit dir einverstanden wäre, würde ihr Vater nie in eine Heirat zwischen euch beiden willigen. Denn er meint, daß er mit seinem eigenen Lotsenkutter und den mit Kronen gefüllten Säcken wie ein König unter uns dastehe. Von ihm aber hat's das Mädchen, daß es sich besser dünkt, als alle Weiber weit und breit. Auch kann er's nicht vergessen, daß deiner Mutter Bruder mit seiner Frau versprochen gewesen und die nur ungern sich ihm zu eigen gab. Sieht er dich aber, der seinem Onkel rein aus den Augen geschnitten ist, wurmt's ihn doppelt, daß seine Frau dir zugetan ist. Denn auch die ist nicht blind und mag bei deinem Anblick in Trauer ihres alten Schatzes gedenken. Ich rate daher nochmals, laß ab von dem Mädchen; einen rechten Segen würdest du in des Sture Familie nie finden; es gibt allerwegs Frauenzimmer, die weniger hoffärtig von sich denken.«

»Mutter,« erwiderte Niels unwirsch, »gibt's allerwärts ebenso gute Frauenzimmer, so ist Karen wenigstens nicht schlechter als andere. Hat sie ihre eigene Art des Redens, so kann's ihr keiner austreiben. Hab' übrigens nie ernstlich daran gedacht, um sie zu freien. Auf dem Tanzplatz ist sie eine ganz andere; da gibt's keinen zweiten, von dem sie sich lieber im Kreise herumschwingen ließe, als von mir. Ich hörte es aus ihrem eigenen Munde.«

»Um deiner Tanzfertigkeit willen geschieht's,« erklärte die Mutter geringschätzig, »und nicht aus Liebe zu dir. Die Karen hat nämlich Augen wie 'ne hungrige Möve, die nach 'nem fetten Brocken späht. Sie sieht auf den ersten Blick, daß du die Füße zum Tanze stellst, als hättest du es auf einer hohen Schule gelernt.«

»Mit mir mag's nicht anders sein, als mit ihr,« versetzte Niels mißmutig, indem er sich der Tür zukehrte, »höre ich Geige und Langeleike erklingen, fährt's mir in den Kopf, daß ich nicht recht um mich weiß.«

Die zärtlichen Warnungen und Bitten, vorsichtig in Ausübung seines Gewerbes zu sein, die ihm nachgerufen wurden, hörte er nur halb, so schnell hatte er die Tür hinter sich zugezogen. Mit einem Sprunge überwand er die Stufen, die von der Schwelle niederführten, und als er sich der Kolonie zuwendete, vor der des reichen Sture Kutter sicher verankert lag, wurde er Karens ansichtig.

In mäßiger Entfernung stand sie auf einem Felsblock, anscheinend mit Eifer westlich spähend, wo sie über die in Schaum gehüllten Klippen und niedrigen Schäreninseln hinweg die Mastspitzen eines noch in sicherem Fahrwasser einherschießenden Schiffes zu unterscheiden vermochte.

Niels atmete tief auf und beschleunigte seine Schritte. In der Hoffnung, daß Karen einen Blick rückwärts nach seiner Heimstätte senden würde, sah er sich indessen getäuscht. Und doch entsagte er ungern dem Gedanken, daß sie ihn erwarte, um den Rest des Weges in seiner Gesellschaft zurückzulegen. Sogar als er vor dem Stein eingetroffen war, rief es noch immer den Eindruck hervor, als ob sie seine Nähe nicht ahne, nur allein das ferne Schiff ihre Aufmerksamkeit fessele.

Bild: Max Vogel

Niels fühlte sich beleidigt. Es offenbarte sich im Ton seiner Stimme, indem er nach dem Felsblock hinauffragte: »Soll ich für dich etwas an deine Leute bestellen, so sprich es aus; es soll pünktlich ausgerichtet werden.«

Mit erheucheltem Erstaunen sah Karen von ihrem hohen Standpunkte zu ihm nieder.

»Hast du mich erschreckt,« rief sie aus, »ich dachte gar nicht mehr an dich, hatte ganz vergessen, weshalb ich hierhergegangen war, und da stehst du plötzlich vor mir. Du solltest dich indessen beeilen, denn der Vater wartet. Er könnte wohl einen anderen mitnehmen, aber er meinte, wozu du auf fremden Schiffen dein Englisch gelernt hättest, wenn es nicht nach Gebühr ausgenutzt werden sollte.«

»So? Hm. Nun ja, alle Menschen können nicht gleich viel gelernt haben,« versetzte Niels achselzuckend, und die Hände in die Taschen seiner weiten Ölbeinkleider schiebend, entfernte er sich mit nachlässigen Bewegungen. Er versuchte sogar, ein lustiges Stückchen zu pfeifen, allein es gelang ihm nicht.

Jetzt erst, da es unbemerkt geschehen konnte, blickte Karen ihm nach. Auf ihrem blühenden Antlitz spielte es wie Trotz, dann wie Hohn, um endlich durch einen eigentümlichen Ausdruck des Bedauerns verdrängt zu werden. Einige Sekunden sann sie nach, und sich einen leichten Schwung gebend, gelangte sie zur Erde, wo sie ihm mit etwas beschleunigten Schritten nachfolgte. Zugleich hob sie wieder zu singen an. Obwohl Niels aus ihrer Stimme heraushörte, daß sie sich näherte, wandelte er unbeirrt weiter. Wie kurz zuvor das Mädchen, schien jetzt er selber dessen Nähe nicht zu ahnen.

Endlich befand Karen sich an seiner Seite. Das Singen hatte sie eingestellt. Eine kurze Strecke gingen sie noch schweigend nebeneinander, und mit einem verstohlenen Blick auf Niels, der sich nicht einmal die Mühe gab, ihr sein Antlitz zuzukehren, hob sie völlig unbefangen, sogar heiter an: »Höre, Niels, eigentlich bist du ein guter Junge.«

»Ich wüßte nicht, weshalb,« hieß es gleichgültig zurück.

Karen preßte die Lippen flüchtig aufeinander. Ihre Brauen runzelten sich leicht; doch schon in der nächsten Sekunde war ihr fröhlicher Gleichmut zurückgekehrt. Um ihre Lippen zuckte verhaltener Mutwille, und glockenrein ertönte ihre Stimme, indem sie versetzte: »Brauchst es auch nicht zu wissen; trotzdem will ich es dir verraten. Erstens gefällt mir's, daß du so treulich zu Mutter und Großmutter hältst und Brot für euch alle erwirbst, und dann stehst du in dem Ruf des besten Tänzers weit und breit. Wenn's dich nicht hoffärtig macht, will ich dir sogar gern zum hundertstenmal wiederholen, daß ich mit keinem lieber tanze, als mit dir. Ich könnte dir ordentlich gut sein,« sie gewahrte, daß Niels sich ihr hastig zukehrte, und fügte, in eine andere Richtung schauend, nachlässig hinzu: »wenn ich nur wüßte, wie das gemacht wird.«

»Da ergeht es dir nicht anders, als mir,« versetzte Niels, und er fühlte, wie bei dieser neuen Kränkung ihm das Blut in die wettergebräunten Wangen stieg.

Wiederum schritten sie eine Weile schweigend dahin, Niels, als ob er die Steine auf dem Wege zählte, Karen anscheinend mit großer Vertiefung in den Flug der sich jagenden Wolken. So gelangten sie bis in die Nachbarschaft von Stures Gehöft. Der Kutter befand sich in ihrem Gesichtskreise, und beide wendeten nun ihre Aufmerksamkeit den Männern zu, die auf dem Fahrzeug mit den letzten Vorbereitungen zum Aufbruch beschäftigt waren.

Wie dadurch in ihrem Gedankengange beeinflußt, bemerkte Karen: »Es ist schon mancher Lotse beim Ersteigen eines Schiffes auf hoher See verunglückt.«

»Einen Tod kann man nur sterben,« erklärte Niels.

»Was du sagst, Niels! Es ging mir nur durch den Kopf, daß, wenn du verunglücktest, du eine rechte Feindschaft gegen mich mit in die Tiefe nehmen würdest.«

»Du weißt so gut, wie ich selber, daß ich meine Hand nur auf eine Leine zu legen brauche, stark genug, einen Mann zu tragen, um mich an Bord des größten Vollschiffes zu schwingen. Und Feindschaft meinst du? O, ich könnte dir solchen Glauben bald genug austreiben, aber es lohnt sich nicht. Ich kenne keine Feindschaft, am wenigsten gegen dich.«

»Auch nicht, weil ich dich zuweilen ärgere?«

»Solch' Ärgern läßt sich schon ertragen. Es geht nicht ins Blut über. Nebenbei ist's dankenswert, weil's mir den Kopf klar erhält und mich vor Dummheiten bewahrt.«

»Ich verstehe dich nicht recht.«

»Ist auch nicht nötig. Und doch müßtest du weniger scharfe Augen besitzen, als die Leute sie dir zuschreiben, hättest du mir nicht bis mitten ins Herz hinein gesehen.«

»Du traust mir viel zu,« versetzte Karen, wie beiläufig, »aber da sind wir.« Sie trat einige Schritte von Niels fort, und ihr Antlitz ihm voll zukehrend, betrachtete sie ihn mit Blicken, von denen er nicht wußte, wie er sie deuten sollte, die aber einen Zauber auf ihn ausübten, dessen er sich mit äußerster Willenskraft nicht zu erwehren vermochte. »Höre, Niels,« fuhr sie ernst fort, und die letzte Spur von Spott und Schadenfreude wich von ihren plötzlich in milder Glut schwimmenden Zügen, »ich wiederhol's: bei solchem Wetter an Bord einer wie wahnwitzig schlingernden und stampfenden Kraft zu steigen, ist immerhin ein Wagnis. Denke also an Mutter und Großmutter, wenn denen der Ernährer entrissen würde, und sei vorsichtig. Sie wären doppelt elend, kehrtest du einmal von einer solchen Fahrt nicht heim.«

»Und du?« nahm Niels sich ein Herz, zu fragen, und seine Stimme erstickte fast unter dem Einfluß der ihn durchschauernden Erregung.

»Ich?« fragte Karen unter der Herrschaft einer neu erwachenden Laune gedehnt zurück. Dann lachte sie wieder, wenn auch etwas erzwungen, und in einem Tone, der ebensogut als ein Ausfluß versteckten Spottes wie aufrichtiger Teilnahme gelten konnte, sprach sie weiter: »Kehrtest du nicht heim, so weinte ich mir die Augen aus dem Kopfe.« Sie entdeckte, daß es in Niels' Augen hell aufleuchtete, und stets im Widerspruch mit sich selbst und ihrer unbesiegbaren Neigung zum Quälen und Martern nachgebend, fügte sie mit einer gewissen Innigkeit hinzu: »Ja, Niels, erlebte ich, daß deine Mutter in einen ähnlichen Gram gestürzt würde, wie einst deine Großmutter, die heute noch zuversichtlich auf die Heimkehr ihres Sohnes wartet, da müßte ich keine Christin sein, würden mir nicht die Augen im Jammer übergehen.«

Sie blieb nicht, um zu sehen, wie es bei dieser unerwarteten Wendung auf dem Antlitz des jungen Mannes wirkte; wie er die Zähne knirschend aufeinander rieb und aus seinen Augen, die eben noch im Feuer überschwänglicher Hoffnungen glühten, Erbitterung hervorlugte; sondern sich umkehrend, flüchtete sie nach der offenen Tür ihres elterlichen Hauses hinüber, in der sie alsbald verschwand. Wohl aber hörte er noch, daß sie verstohlen lachte, wie sich nachträglich ergötzend, ihn abermals durch eine mutwillige Redewendung in die Irre geführt zu haben.

Ingrimmig starrte er noch auf die offene Haustür, als von dem Kutter her der Ruf an ihn erging, daß alles bereit sei, wenn er überhaupt seinen Dienst verrichten wolle. Hastig kehrte er sich um, und gleich darauf befand er sich in dem Boot, das ihn schnell nach dem Kutter hinübertrug.

Als er an Bord stieg, ruhten des alten Sture, einer behäbigen, vierschrötigen Schiffergestalt, kleine Augen mit einer Schärfe auf ihm, als hätte er ihn bis in die verborgensten Falten seines Herzens hinein durchschauen wollen. Ein zum Verwechseln ähnliches Gesicht hatte er früher gesehen; das war an die dreiundzwanzig Jahre her, und doch konnte er es nicht mehr aus dem Gedächtnis streichen. Mittelbar und unmittelbar wurde er immer wieder an jemand erinnert, der ihm lange im Wege stand und sogar aus seinem Grabe noch das Einvernehmen mit der fast gewaltsam zum Altar geführten Gattin störte. Ob auch der vertrauliche Verkehr aller jungen Leute zur Volkssitte gehörte, so schien der zwischen Niels und seiner Tochter in dem mißtrauischen Alten doch einen peinigenden Argwohn angeregt zu haben. Dieser beschwichtigte sich indessen, sobald der junge Mann mit kräftigen Armen in die Arbeiten eingriff und der Kutter binnen wenigen Minuten mit vollen Segeln seinen Ankerplatz verließ.

Karen stand um diese Zeit noch immer an dem Fenster, wohin sie nach ihrer Trennung von Niels geflüchtet war. Ihre Augen hingen an dem Fahrzeug, auf dem er bald hier, bald dort mit der Kraft und Gewandtheit der Jugend sich zu schaffen machte.

»Sendest ihm wohl ein Gebetlein nach?« ertönte hinter ihr eine freundliche Stimme.

Hastig fuhr sie herum. Sengende Glut bedeckte ihre Wangen, als sie eine ältere Frau vor sich stehen sah, auf deren ursprünglich schönem Antlitz heimlich getragener Gram tiefere Spuren zurückgelassen hatte, als die Zahl der Jahre.

»Brauchst dich dessen nicht zu schämen,« fuhr die Frau schwermütig fort, »denn der Niels verdient's, daß man ihm einen guten Gedanken nachträgt. Ist er doch der verwegenste und gewandteste Lotse im Buknfjord; man möchte ihn sonst nicht jedesmal aufsuchen, wenn's draußen 'nem Werk auf Leben und Tod gilt.«

»Ich dachte nicht an ihn, Mutter,« versetzte Karen, die Achseln zuckend, und doch entging der alten Frau nicht, daß bei ihrer letzten Bemerkung die Glut auf des Mädchens Wangen jäh erlosch; »schicke ich dem Kutter einen herzlichen Wunsch nach, so kommt's allen an Bord zugute.«

»Ich wiederhol's,« erklärte Frau Sture zärtlich, »brauchst dich dessen nicht zu schämen; ich seh' dir bis in dein junges Herz hinein. War ich doch selber einmal jung und weiß, was es bedeutet, wenn sich das Herz an einen gehangen hat, mag immerhin das Schicksal die Menschen nicht viel um ihren Willen befragen.«

»An den Niels möcht' ich mich am wenigsten hängen,« erwiderte Karen trotzig, »aber auch an keinen anderen. Hab' nicht Lust, mich in Sorgen zu stürzen Tag und Nacht –« sie wollte noch etwas hinzufügen, schwankte einige Sekunden, und wie in Furcht vor den traurigen Blicken der Mutter, eilte sie aus dem Zimmer.

»Und doch hängst du an ihm mit ganzer Seele,« flüsterte die Mutter trübe vor sich hin, »möchte es dir doch gesegnet sein, besser gesegnet, als mir –«

 


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