Balduin Möllhausen
Die beiden Jachten
Balduin Möllhausen

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Vierzehntes Kapitel.

Ein unruhiges Gewissen. Die Terrasse. Unverhofftes Wiedersehen

Mehrere Tage waren verstrichen, und die Pandora ankerte noch immer auf ihrer alten Stelle, wo sie durch den regen Hafenverkehr nicht gehindert wurde. Wie überall, wo nur immer sie anlief, blieb sie auch hier die Heimstätte der Schiffsherrin und ihrer Umgebung. Eine Abweichung von ihrer langjährigen Gewohnheit war nur insoweit eingetreten, als sie für sich selbst in einem Hotel mehrere Zimmer gemietet hatte. Dort weilte sie zeitweise, um den von ihr beabsichtigten Nachforschungen und der Erledigung von Geschäftsangelegenheiten ungestört sich widmen zu können. Doch auch Maud und Sunbeam war eine größere Freiheit der Bewegung eingeräumt worden. Sie nutzten diese nach besten Kräften aus, indem sie in der mit vier Ruderern bemannten Jolle Ausflüge nach allen Richtungen unternahmen oder in sicherer Begleitung die Stadt durchstreiften. Als Bedingung war ihnen nur aufgegeben worden, jedesmal vor Einbruch der Nacht an Bord zurückzukehren.

Obwohl im Verkehr mit den beiden jugendlichen Gefährtinnen stets heimliches Wohlwollen verratend, war die Gräfin doch noch schweigsamer geworden, und ihre Verschlossenheit gipfelte darin, daß sie alle ihre Pläne und Maßnahmen vor den jungen Damen unabänderlich in tiefes Geheimnis hüllte. So auch am dritten Morgen nach jenem Abend, an dem Galbrett seine Kinder der Obhut des Gauklerchefs anvertraute. Schon in aller Frühe hatte sie sich nur in Simpsons Begleitung zu der alten Holiday begeben. Bei ihr eintretend, fanden sie die Frau neben dem Fenster sitzend. Als sie die Fremden wiedererkannte, glitt ein sprechender Ausdruck von Verlegenheit über ihre gerunzelten Züge, und des zweimaligen Grußes der Gräfin bedurfte es, bevor sie hinreichend Fassung gesammelt hatte, diesen zu erwidern.

»Ich habe meine Vorbereitungen getroffen, Ihre Enkel sogleich mit fortnehmen zu können,« erklärte die Gräfin ohne Säumen. »Ist es Ihnen gelungen, den Vater für meine Pläne zu gewinnen?«

»Der ist nicht zu Hause,« umging die Alte zögernd eine offene Antwort, »er geht und kommt, wie es ihm gefällt, ich kann ihn nicht halten,« und argwöhnisch spähte sie nach dem Nebenraum hinüber.

In erwachendem Mißtrauen sah die Gräfin durchdringend auf die Alte nieder. Erst nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Seine Abwesenheit stört nicht, wenn die Kinder mich jetzt begleiten. Vielleicht ist er sogar froh, von einer Last befreit zu werden.«

Die Alte wiegte das Haupt zweifelnd. Eine Weile sann sie nach, bevor sie hervorstieß: »Ich hab's mit ihm versucht, allein er besteht auf seinem Kopf. Er meinte, er wäre nicht Vater seiner Kinder, um sich von ihnen loszusagen. Er brauche keine fremden Menschen, die für sie sorgten. Schon vor Tagen hat er sie ausgetan zu anderen Leuten.«

Wie ihren Sinnen nicht trauend, sah die Gräfin auf die Alte nieder. Herbe Enttäuschung spiegelte sich in ihren Zügen; wachsende Erbitterung webte in ihren Augen. Unter dem Einfluß solcher Empfindungen ihre Entrüstung schwer bekämpfend, sagte sie schneidend: »So werden Sie, als die leibliche Großmutter, wenigstens sagen können, wohin man sie schleppte?«

»Wenn ich das wüßte!« hieß es wieder kläglich zurück; »er ging mit ihnen fort, ich meinte zu sündhaftem Gauklerspiel, und ohne sie kehrte er nachts heim. Als ich ihn um seine Kinder befragte, fuhr er mich an mit harten Worten; ja, hart bedrohte er mich,« schrie sie gehässig nach der Kammer hinüber, »und fürchterliche Eide schwor er darauf, weder ich noch ein anderer habe sich um seine Familie zu kümmern, und damit mußte ich mich zufrieden geben.«

Die Gräfin suchte Simpsons Augen. Dieser zuckte die Achseln und bemerkte: »Bei derartig scharf ausgeprägten, feindseligen Gesinnungen würde es vergebliche Mühe sein, an dieser Stelle noch etwas ausrichten zu wollen.«

»Wir werden uns wiedersehen,« kehrte die Gräfin sich finster der Alten zu. »Ich gehe jetzt. Sagen Sie indessen Ihrem Schwiegersohn, ich sei zur Zahlung eines hohen Abstandsgeldes bereit, sicher die beste Bürgschaft für eine freundliche Zukunft seiner Kinder, wenn er diese mir anvertraue. Ebenso fest entschlossen sei ich aber auch, sollte er störrisch auf seinem Willen beharren, die Aufmerksamkeit der Behörden auf ihn hinzulenken. Jemand, der so eifrig darauf bedacht ist, die eigenen Kinder zu verheimlichen, kann sich unmöglich mit einem guten Gewissen tragen. Das heben Sie ausdrücklich hervor. In den nächsten Tagen komme ich, um mir seine Entscheidung zu holen. Wie auch immer sie lauten mag, ich werde meine Maßregeln darnach treffen,« und ohne von der Alten eine Erwiderung abzuwarten, verließ sie das Gemach und die Hütte.

Eine Strecke legte sie an Simpsons Seite schweigend zurück. Erst als sie in die Hauptstraße einbogen, bemerkte sie: »Es ist wunderbar, in dem gleichen Maße, in dem der Widerstand gegen meinen guten Willen sich mehrt, wächst meine Teilnahme für die beklagenswerten Geschöpfe. Ich kann von dem Versuch nicht abstehen, sie dennoch ihrer traurigen Lage zu entreißen. Mir ist, als könnte ich die Enkel des ehrlichen Schiffskochs nicht entbehren, um die in mir festgewurzelten, vielleicht zu verwegenen Pläne ihrer endlichen Erfüllung entgegenzuführen. Ich wiederhole daher: Weder Ruhe noch Rast gönne ich mir, bevor ich deren Versteck auskundschaftete, gleichviel, ob mit List oder Gewalt, und müßte ich mein Leben daransetzen.«

Simpson beobachtete die Gräfin mit heimlicher Besorgnis. In dem Zunehmen ihrer gewaltsam gezügelten Erregtheit glaubte er eine böse Gefahr zu entdecken, und so sagte er beschwichtigend: »Ich fürchte, mit Gewalt richten wir ebensowenig aus, wie mit List. Die Stadt ist groß, überall findet der unnatürliche Vater Gesinnungsgenossen, die gern bereit sind, ihm bei seinem verbrecherischen Treiben hilfreiche Hand zu leisten. Bieten Sie ihm aber Geld, so steht dem gegenüber, daß er in seinen Kindern die Quelle eines bequemen Wohlstandes erblickt, die ihm nicht leicht durch andere Vorteile ersetzt werden kann.«

»Was nicht hindert, unsere Nachforschungen unermüdlich fortzusetzen,« entgegnete die Gräfin. »Nicht Zirkus noch Volkskneipe, nicht Theater, noch Schaubude darf unserer Aufmerksamkeit entzogen bleiben, wo auch nur die entfernte Möglichkeit vorhanden ist, daß die unschuldigen Opfer dort zur Ausübung ihres aufreibenden Gewerbes angehalten werden.«

Bei diesen unzweideutigen Merkmalen eines starren Willens gab Simpson es auf, das Gespräch in abratendem Sinne fortzusetzen. Erst als sie wieder in dem Boot saßen und vor den Ruderschlägen eines halben Dutzends Matrosen stromabwärts trieben, entspann sich eine neue Unterhaltung über gleichgültige Dinge zwischen ihnen. Was hinter ihnen lag, schien sie nicht weiter zu kümmern; noch weniger achteten sie der Fahrzeuge, die den gleichen Kurs mit ihnen hielten oder ihnen folgten. Und doch hätte Simpson nur etwas schärfer rückwärts zu spähen brauchen, um ein von einem einzelnen Manne gerudertes leichtes Boot zu entdecken, und in jenem den Vater der verschwundenen Kinder zu erkennen. –

Die Gräfin und ihr Begleiter hatten nämlich kaum die Wohnung der Witwe Holiday verlassen, als aus dem finsteren Nebenraume Galbrett bei dieser eintrat. Sein Antlitz war totenbleich. Um die Wirkung zu verheimlichen, die das erlauschte Gespräch auf ihn ausübte, zwang er sich zu einem tückischen Grinsen, und durch das Fenster den Scheidenden nachsehend, bemerkte er ingrimmig: »Böten sie mir Berge Goldes, so wüßte ich die Kinder lieber auf dem Grunde des Stromes als in ihren Händen. Was wollen sie mit der Brut? Doch nur die Früchte ernten, die ich mühsam säte. Mögen sie verdammt sein und du mit ihnen für deine Komplimente. Zum Henker mit solchen Spionen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, in anderer Leute Vergangenheit nach 'ner Gelegenheit zu suchen, ihnen 'nen Daumen aufs Auge zu drücken –«

Er verstummte jählings. Scheu um sich blickend, schien er zu erwägen, ob er nicht zu viel und zu laut gesprochen habe. Argwöhnisch betrachtete er die alte Frau, die in Furcht vor ihm sich tiefer über ihre Handarbeit beugte. Sich dem Fenster wieder zuwendend, streifte sein Blick die Gräfin und Simpson, wie sie eben in der Hohlgasse hinter den Stallgebäuden verschwanden.

»In der Hölle Namen!« preßte er zwischen den fest aufeinander ruhenden Zähnen hervor, »ich will wenigstens wissen, wer ein Gewerbe daraus macht, mir nachzuspionieren.«

Damit griff er nach seinem Hut, und hinauseilend, schickte er sich an, den beiden Fremden, deren ganzes Wesen ihm augenscheinlich tiefes Mißtrauen einflößte, unbemerkt zu folgen.

Sobald er inne wurde, daß sie die Richtung zum Strome hinunter einschlugen, wählte er einen Weg, auf dem er, seine Schritte beschleunigend, vor ihnen dort eintraf. Ein bemanntes Boot, das auf jemand zu warten schien, erregte seine Aufmerksamkeit. Nicht in Zweifel über dessen Bestimmung, eilte er eine Strecke stromaufwärts, und ein leeres, leichtes Boot besteigend, entfernte er sich so weit vom Ufer, daß ein dort ankerndes Kohlenschiff ihn verbarg. Um dieses herumlugend, gewahrte er nach wenigen Minuten, daß die Gräfin und Simpson das zuvor beobachtete Boot bestiegen und von ihm stromabwärts getragen wurden. Bild: Max Vogel Nachdem das Boot einen mäßigen Vorsprung gewonnen hatte, kostete es ihn kaum Mühe, wenig auffällig in dessen Kielwasser zu folgen. So gelangte er allmählich in den belebteren Teil des Hafens. Anstatt aber, wie er voraussetzte, zu landen, glitt das Boot auf einen abgesondert ankernden Schoner zu, der sich für ein kundiges Auge leicht als Lustjacht kennzeichnete. Mit Rudern innehaltend, überzeugte er sich, daß die Gräfin an Bord stieg und das Boot in üblicher Weise zum Dienst bereit festgelegt wurde.

»Also da wohnt ihr?« zischelte er im Übermaß seiner von heimlicher Besorgnis geschürten Wut. »Da möchte euch freilich der Satan die Brut abjagen, wenn sie erst ihren Weg an Bord einer segelfertigen Jacht fand – und binnen wenigen Stunden das offene Meer – die Hölle über das Meer,« unterbrach er sich zähneknirschend, und als hätte der Gedanke an den ewigen Ozean schon allein für ihn Schrecken in sich geborgen, warf er sein Boot herum. Bald darauf landete er wieder, und sein nächster Weg führte nach der Stätte, auf der er seine Kinder sicher untergebracht zu haben glaubte. Eine seltsame Unruhe folterte ihn. Wie ein drohendes Gespenst schwebte das Bild der Gräfin mit ihren eisig kalt und doch durchdringend blickenden Augen ihm vor. Ihm war, als hätten sie bis in die verborgensten Winkel seines Gewissens hineingereicht. Erst dann atmete er erleichtert auf, als er das Gauklerzelt mit den dazu gehörigen Wagen vor sich sah.

Kurze Zeit weilte er im Verkehr mit dem Direktor, dessen umsichtigerer Hälfte und Jannock. Nur lange genug, um sie über seine Entdeckung zu unterrichten und vor Unvorsichtigkeiten zu warnen. Bedachtsam schilderte er das Äußere der Gräfin und ihres Begleiters so genau, daß sie sogar bei einer zufälligen Begegnung nicht verkannt werden konnten. Nach seinen Kindern fragte er nicht. Es gewann sogar den Anschein, als hätte es ihm widerstrebt, gerade jetzt mit ihnen zusammenzutreffen. Eine kleine Anzahlung, die ihm mit verstecktem Triumph verabreicht wurde, überzeugte ihn, daß sie bereits ihre Zugkraft bewiesen hatten, aber auch, daß man es ehrlich mit ihm meinte.

—   —   —   —   —

Am gleichen Morgen – das die Gräfin und Simpson tragende Boot war noch nicht lange außer Sicht getrieben – rüsteten auch Maud und die junge Hindu sich zu einem Ausfluge. Es lockte sie das glatte Hafenbecken mit seinen vom Ozean hereindringenden sanften Dünungen, wie der klare blaue Himmel und der goldene Morgensonnenschein; es lockte sie vor allem das stets wechselnde Bild einlaufender und auslaufender Schiffe jeder Art und Größe. Die wie immer von vier Matrosen geruderte Jolle hatte auf ihren Wunsch den Kurs eingeschlagen, der sie dem gedrängteren Verkehrsleben des Hafens entzog und dem offenen Meere näher brachte. Hinter ihnen zurück blieben die sich weithin erstreckenden Vorstädte. An deren Stelle traten freundliche Landschaften, reich geschmückt mit kleineren und größeren Landhäusern, Gärten, Hainen und Bauten, die kaum einem anderen Zweck dienten, als das Tuskulum irgend eines über Viel gebietenden Handelsherrn zu zieren. Auch Schiffe ankerten vereinzelt hier und da, um entweder das Aufspringen einer ihre Fahrt seewärts begünstigenden Luftströmung zu erwarten, oder von einem Schleppdampfer in den Hafen bugsiert zu werden.

Eine Stunde und darüber war vergangen, seitdem die beiden Freundinnen die Pandora verließen. Sie dachten bereits daran, den Rückweg einzuschlagen, als sie einer dem Wasser entsteigenden Mauer sich näherten, die durch eine dem öffentlichen Verkehr eingeräumte Terrasse gekrönt wurde. Auf ein Wort Mauds lenkten die Ruderer auf diese zu, und bald darauf befanden die Gefährtinnen sich auf dem Wege, der sanft ansteigend sie an ihr Ziel führte. Indem sie, gemächlich einherschreitend, nach einem in mäßiger Entfernung ankernden Ostindienfahrer hinüberblickten, schob ein kleines Fahrzeug mit Schonertakelung sich allmählich hinter diesem hervor. Achtlos schweiften ihre Blicke darüber hinweg. Ein kundiger Seemann würde dagegen sofort erkannt haben, daß der Schoner vor kurzem erst Anker geworfen hatte und seine Segel zu längerem Aufenthalt befestigt wurden. Ein leichtes Boot schoß zwischen den beiden Schiffen hervor und verfolgte einen Kurs, der es so weit östlich von dem Aussichtspunkt brachte, wie die Jolle der Pandora westlich lag. Erst nachdem die jungen Damen auf einer der auf der Terrasse umherstehenden Bänke Platz genommen hatten und der Schoner, der Ebbeströmung folgend, so weit herumgeschwungen war, daß er ihnen die Breitseite zukehrte, wurden sie aufmerksamer auf ihn.

Bild: Max Vogel

Plötzlich hob Sunbeam den Arm, und auf das zierlich gebaute Fahrzeug weisend, sprach sie leise, wie in Scheu vor Zeugen, den Namen Eremit aus.

Maud antwortete nicht. Schärfer sah sie nach der Jacht hinüber. Ihr liebliches Antlitz, eben noch blühend in den Farben der holdesten Jugend und frischer Gesundheit, war erbleicht. Erst nach einer längeren Pause erwiderte sie zögernd: »Ja, der Eremit. Jetzt erkenne ich ihn. Wie kommt er hierher und was bezweckt er?« Sie mochte sich die Stunde vergegenwärtigen, in der die Gräfin das Geschütz auf ihn richten ließ, denn der Hindu Hand ergreifend und krampfhaft drückend, fuhr sie ängstlich fort: »Wer von seinem Deck aus zu uns herüberspäht, muß uns erkennen und die Nähe der Pandora erraten. Wie gelangen wir unentdeckt aus seinem Gesichtskreise? Treffen die beiden Jachten wieder aufeinander, so steht das Ärgste zu befürchten; zu tief gewurzelt ist der Haß der Gräfin gegen die auf dem Eremit Befindlichen. Der unermüdliche Eifer dagegen, mit dem diese wieder die Pandora verfolgen, beweist, daß auch sie von bitterer Feindseligkeit in ihrem Tun gelenkt werden.«

»Oder von Sehnsucht,« meinte die junge Hindu, und voll richtete sie die großen dunklen Augen auf Mauds Antlitz; »Kapitän Peldram weilt auf dem Eremit –«

»Nein, nein,« unterbrach Maud sie tief errötend, »er kann die Triebfeder nicht sein, daß unsere Ruhe immer wieder durch den Anblick der Jacht seines Onkels gestört wird. Andere Ursachen müssen walten, Ursachen von den weitesttragenden Folgen, die sich sogar unseren Mutmaßungen entziehen und dennoch tief in das Gemütsleben der Gräfin einschneiden. Wäre es anders, so möchte sie uns gegenüber schwerlich so undurchdringlich verschlossen geblieben sein. Bedenke, seitdem wir Norwegen verließen, kam keine Silbe über ihre Lippen, die auch nur entfernt an den Eremit, Lowcastle oder Peldram erinnert hätte –«

Das Geräusch schneller, die nach der Terrasse führenden Stufen heraufkommender Schritte schreckte sie auf. Ein Mann betrat den knirschenden Kies auf der Plattform, und sich nach ihm umkehrend, erblickten sie Peldram, der, wie einst im Buknfjord auf der Pandora, ihnen die Hände zum Gruß entgegenstreckte.

»Maud! Sunbeam! Teuerste Maud!« rief er jubelnd aus, »ich ahnte, ich wußte, daß ich Sie wiedersehen würde; nie aber hätte ich geglaubt, daß ein guter Stern mich schon jetzt mit Ihnen zusammenführen könne.«

Beim ersten Anblick Peldrams war Maud aufgesprungen, sank aber, wie entkräftet, auf die Bank zurück. Tiefe Glut hatte sich über ihr holdes Antlitz ausgebreitet; aus ihren guten Augen leuchtete, durch die Überraschung entfesselt, eine überschwengliche Freude, die von dem Kapitän nicht mißverstanden werden konnte. Machtlos duldete sie, daß er ihre Hand an seine Lippen hob und mit Küssen bedeckte. Erst als er sich neben ihr niederließ, kehrte ihre Selbstbeherrschung zurück. Seinen heißen Blicken ausweichend, entzog sie ihm sanft die Hand. Worte standen ihr immer noch nicht zu Gebote, doch tiefer, holder noch errötete sie, als Peldram, unbekümmert um Sunbeam, in gedämpftem Schmeichelton fortfuhr: »Soll ich nicht glauben, daß es mehr als Zufall, nicht wähnen, daß es eine gütige Fügung des Geschickes ist, die Sie gerade jetzt hierherführte, nachdem erst Augenblicke verronnen sind, seitdem der Eremit da drüben Anker warf? Soll ich es nicht als eine Glück verheißende Vorbedeutung preisen, beim Betreten eines anderen Weltteils vor allen anderen Menschen gerade mit Ihnen zusammenzutreffen?«

»Keine besondere Schicksalsfügung,« erwiderte Maud in der dumpfen Absicht, den Eindruck abzuschwächen, den sie in der ersten Überraschung vielleicht bei ihm erzeugte. »Unsere Begegnung ist eine natürliche Folge der einfachsten Umstände. Drüben ankert die Pandora, und wie mehrfach in den jüngsten Tagen, benutzten wir auch heute den stillen, sonnigen Morgen zu einem Ausfluge. Was heute nicht stattgefunden hätte, wäre morgen oder übermorgen geschehen. Dadurch wird die Begegnung des Wunderbaren entkleidet. Befremdend erscheint dagegen, daß Sie uns aus der Ferne schon erkannten.«

»Auch das ist leicht,« versetzte Peldram lebhaft, und abermals ergriff er Mauds Hand mit innigem Druck, »die rote Flagge auf dem Spiegel Ihrer Jolle erregte meine Aufmerksamkeit; da bedurfte es nur kurzen Spähens durch das Fernrohr, um auf dem sich zeitweise entfaltenden Tuch das Bildnis einer Frau zu erkennen. Das weitere besagten die beiden blauen Schleier.«

»So könnte nur noch als Zufall gelten, daß der Eremit ebenfalls New York als Ziel wählte,« bemerkte Maud mit einer gewissen Hast, um einer neuen peinlichen Wendung des Gesprächs zuvorzukommen.

»Nichts weniger als Zufall,« antwortete Peldram eifrig, »denn aus der Quelle, aus der die Nachricht von Ihrer Reise nach Norwegen geschöpft wurde, erfuhren wir auch die Richtung der Fortsetzung Ihrer Fahrt. Uns den Mast abzuschießen – nebenbei ein Meisterschuß –, um uns abzuschütteln, war also überflüssige Mühe; uns aber zum zweitenmal einen derartigen Gruß zuzusenden, dürften wir der Gräfin schwerlich wieder Gelegenheit bieten.«

»So folgten Sie uns, um sie für die immerhin – nun – für die gesetzwidrige Handlung zur Rechenschaft ziehen zu lassen?« fragte Maud ängstlich.

Peldram lachte herzlich.

»Nichts liegt meinem ehrenwerten Onkel Lowcastle ferner,« erklärte er überzeugend, »trüge er sich dagegen in der Tat mit solchem Plan, so würde ich schon allein um Ihretwillen, teuerste Maud, meinen ganzen Einfluß aufbieten, ihm den zu verleiden.«

»So wurde niemand verwundet?« fragte Maud aufatmend; »damals glaubte ich, vor Entsetzen sterben zu müssen. Schreckliche Möglichkeiten schwebten mir vor. Keine ruhige Stunde ließ es mir seit jenem Ereignis. Sogar die Gräfin, die doch meine Wohltäterin ist, konnte ich nicht ansehen, ohne mit Grauen der möglichen Folgen ihres Verfahrens zu gedenken.«

Peldram sah in die besorgt schauenden guten Augen, bis abermals jungfräuliche Glut sich über das holde Antlitz ergoß, dann erwiderte er herzlich: »Sie allein trugen in Ihrer ungerechtfertigten Angst den Nachteil davon; im übrigen beschränkte der Schaden sich auf die zerschossenen Spieren und den Zeitverlust, den die Rückkehr nach Haugesund und die Ausbesserung der Havarie bedingten.«

»Beabsichtigt man, uns noch weiter zu verfolgen?«

»Unbedingt. Darin liegt die einzige Möglichkeit, eine Zusammenkunft zwischen der Gräfin und Lowcastle zu vermitteln.«

»Aber was will Lowcastle von ihr, nachdem ihm die unzweideutigsten Beweise geworden sind, daß sie eine Begegnung mit ihm unter allen Umständen zu vermeiden wünscht?«

»Die eigentlichen Gründe kenne ich nicht. Wohl aber gewann ich den Eindruck, daß es sich um Wichtiges handelt. Nebenbei mag das seltsame Treiben der Gräfin Veranlassung gegeben haben, daß man sie zu überwachen wünscht.«

»Mit anderen Worten, man hält sie für unzurechnungsfähig?« fuhr Maud entrüstet auf. »Sie deuteten dergleichen bereits früher an.«

»Ich will aufrichtig sein, teuerste Maud,« versetzte Peldram, und vergeblich suchte er die Hand wieder zu ergreifen, die Maud ihm eben entzogen hatte, »ja, man glaubt, daß das Exzentrische in ihrem Wesen zuweilen die Grenzen des Vernünftigen überschreitet, daß in Anwandlung einer üblen Laune sie eines Tages mit derselben Kaltblütigkeit die Pandora samt allen an Bord in die Luft sprengt, mit der sie dem Eremit die Vollkugeln zusandte.«

»Das ist nicht wahr,« eiferte Maud, nunmehr im Zorne errötend, »ich kenne die Gräfin genau genug, um das behaupten zu dürfen. Seltsam mag sie erscheinen, ich räume es ein; aber wenn je ein Mensch hinter schroffen Außenseiten – zu denen sie ohne Zweifel berechtigt ist – Wohlwollen und endlose Herzensgüte barg, so ist sie es. Ich bitte Sie daher dringend, klären Sie Lowcastle über das Irrtümliche seines Argwohns auf; beschwören Sie ihn, von seinen Verfolgungen abzustehen, die so ungerecht, so himmelschreiend sind, daß es der Gräfin kaum verdacht werden kann, wenn sie vielleicht zu ungehörigen Mitteln greift, sich den heillosen Belästigungen zu entziehen.«

»Wollte ich Ihren Auftrag erfüllen,« erwiderte Peldram wie mit Widerstreben, »so würde ich Unglauben begegnen, die Gegensätze anstatt sie auszugleichen, noch verschärfen. Dagegen hege ich die zuversichtliche Hoffnung, daß im persönlichen Verkehr die Schatten leichter beseitigt werden, die jetzt noch zwischen den beiden Parteien schweben. Doch ich wiederhole: Wie Sie, teuerste Maud, von der Gräfin nicht ins Vertrauen gezogen werden, schenkt Lowcastle mir das seinige ebenfalls nur bis zu einer bestimmten Grenze. Ich befinde mich als Gast an Bord des Eremit, und als solcher widerstrebt es meinem ganzen Inneren, von der Verfolgung der Pandora abzuraten. Nein, innig geliebte Maud – ich kann nicht anders, ich muß Sie so nennen – ich gewinne es nicht über mich, der letzten Gelegenheit zu entsagen, wenn auch in längeren Zwischenräumen, und wäre es aus der Ferne, Sie wiederzusehen. Lassen wir daher ruhen, was entfremdend zwischen anderen schwebt und sich unserer Beurteilung entzieht. Mir aber gönnen Sie die einzige Genugtuung, die einzige, mein ganzes Sein erfüllende Lebensfreude, auch fernerhin den beglückenden Hoffnungen nachhängen zu dürfen, die mich auf Ihre Spuren trieben und mich zwangen, unbekümmert um Zeit und Entfernungen, Ihnen rastlos zu folgen.«

Bei diesen nicht mißzuverstehenden Andeutungen erbleichte Maud. Sie rang sichtbar nach Worten, dann entwand sich wie mit Widerstreben ihren Lippen: »Wir müssen fort. Schon zu lange weilten wir hier. Die Gräfin wird in Unruhe um uns sein –«

In diesem Augenblick erhob sich die junge Hindu. Scharfsinnig war sie dem Gespräch mit vollem Verständnis gefolgt.

»Ich will die Jolle zum Aufbruch herrichten lassen,« sprach sie im Davonschreiten.

»Sunbeam, bleib' – Sunbeam, Sunbeam!« rief Maud ihr bestürzt nach. Doch als wäre sie von der sanften Luftströmung getragen worden, schwebte die geschmeidige Gestalt die Treppe hinunter, und gleich darauf war sie Mauds Blicken entschwunden. In der Verwirrung wollte diese ihr folgen, als Peldram abermals ihre Hand ergriff und sie sanft zurückhielt.

»Nur eine Minute noch, bat er innig,« und vergeblich suchte er die Augen des tief atmenden Mädchens, »nur lange genug, um darauf hinzuweisen, daß es in unserer beiderseitigen Gewalt liegt, uns von allem loszusagen, was einer ehernen Fessel vergleichbar ist, ich meine Ihre Abhängigkeit von der Gräfin, und die meinige von Lowcastle. Ist das aber geschehen, dann gibt es nichts, was mich hindern könnte, Sie anzuflehen, Ihre ganze Zukunft vertrauensvoll in meine Hände zu legen, auf meine unergründliche, heiße Liebe zu bauen –«

Mit einer hastigen Bewegung erhob sich Maud. Peldram anzublicken wagte sie nicht. Ihre Lippen bebten. Erst nach einigen tieferen Atemzügen sprach sie mit seltsam gepreßter Stimme: »Kapitän Peldram, folgte ich Ihrem Rat, so würde ich mich der unerhörtesten Undankbarkeit gegen meine Wohltäterin schuldig machen, und das von mir vorauszusetzen, kann unmöglich Ihr Ernst gewesen sein. Zu meiner wohlwollenden mütterlichen Freundin gehöre ich und stehe ich, und um so inniger, je mehr sie Ursache findet, über rätselhafte Nachstellungen sich zu verbittern. Doch ich will gehen – die Leute warten aus mich –«

»Nur noch ein Wort, Maud,« fiel Peldram leidenschaftlich ein, »ein letztes Wort, und dann mögen Sie entscheiden, ob ich fernerhin einem mir vorschwebenden lieblichen Traumgebilde nachjagen darf, oder ob ich heute noch von dem Eremit und allem, was mich an den heimatlichen Erdteil fesselt, mich trennen soll. Ja, Maud, nur noch ein letztes Wort. Sagen Sie mir, ob Ihr eben ausgesprochener Wille unwandelbar, ob Sie auch dann noch unzertrennlich zu der Gräfin gehören, wenn diese selbst nicht ernstlich darauf dringt. Und es liegt ja im Bereich der Möglichkeit, daß die Wolken, die heute noch zwischen uns hängen, sich zerstreuen, Ihre Wohltäterin aufhört, mich, weil ich Lowcastle näher stehe, als einen ihr feindlich Gesinnten zu betrachten –«

»Ich muß fort – ich muß fort –« unterbrach ihn Maud nunmehr, und sie suchte ihre Hand von seinem Griff zu befreien, »ich weiß nicht, was ich antworten soll –«

»Sind die Bilder, die ich vor Sie hinbeschwor, denn so entsetzlich?« fragte Peldram zaghaft, »oder darf es mir als Fehl ausgelegt werden, wenn ich mit aller Kraft der Seele und dem Mute einer heiligen Zuneigung kämpfe und ringe, um das höchste irdische Glück für mich zu gewinnen?«

»Nein, nein!« rief Maud weinend aus, indem sie ihre Hand jäh zurückzog. Einige Sekunden standen beide wie gebannt. Heftiges Zittern durchlief Mauds schlanke Gestalt. Wie von einer unsichtbaren Macht gedrängt, neigte sie sich nach vorne, und bevor Peldram ihre wahre Absicht erriet, fühlte er ihre Lippen auf den seinigen, um sie im nächsten Augenblick, beide Hände auf die Schläfen gepreßt, entfliehen zu sehen.

»Maud – Maud!« rief er ihr gedämpft nach; doch wie in Todesangst vor sich selbst, eilte die Geängstigte zum Strande hinunter. Kein einziges Mal sah sie zurück.

Bild: Max Vogel

Peldram war an die Brüstung der Terrasse getreten und spähte der die Fluten eilig durchschneidenden Jolle sinnend nach. Er schien das Erlebte nicht zu begreifen. Einem Rausch ähnlich legte es sich um seine Sinne. Überschwengliche Hoffnungen reiften in ihm, ohne sich indessen schnell in bestimmte Formen zu fügen. Die Jolle war längst in der Ferne seinen Blicken entschwunden, da stand er noch immer auf seiner einsamen Warte.

Als eine Stunde später die beiden Freundinnen die Pandora erstiegen, war die Gräfin längst von ihrem Ausfluge zurückgekehrt. In der oberen Kajüte weilte sie, nachlässig in einem Buche blätternd. Das ungestüme Eintreten Mauds veranlaßte sie, einen durchdringenden Blick auf deren Antlitz zu werfen. Sie entdeckte die Merkmale einer heftigen Erregung; doch bevor sie, von heimlicher Besorgnis ergriffen, eine Frage zu stellen vermochte, erklärte Maud in fliegender Hast: »Ich fürchte, eine unwillkommene Nachricht zu bringen. Draußen in der Hafeneinfahrt ankert der Eremit.«

Die Gräfin erhob sich mit etwas lebhafterer Bewegung, das einzige äußere Zeichen der durch die unerwartete Kunde angeregten peinlichen Empfindungen. Flüchtig nagte sie auf den Lippen, worauf sie anscheinend gleichmütig bemerkte: »Du täuschtest dich. Es gibt viele Schiffe, die dem Eremit so ähnlich sind, daß für ein ungeübtes Auge ein Irrtum nahe liegt.«

»In diesem Falle ist er unmöglich,« beteuerte Maud, verstummte aber vor dem forschenden Ausdruck, mit dem die großen blauen Augen auf ihr ruhten.

»Du sahst Peldram, du sprachst ihn?« nahm die Gräfin wieder das Wort.

»Der Zufall führte mich mit ihm zusammen,« antwortete Maud in tödlicher Verlegenheit, »ich konnte nicht ahnen« – weiter kam sie nicht. Die Arme weit ausbreitend, umschlang sie den Hals der Gräfin, und ihr Haupt an deren Brust bergend, schluchzte sie krampfhaft.

Das Antlitz der Gräfin hatte sich leicht entfärbt. Herber noch schienen ihre Züge geworden zu sein. Erst allmählich blickten ihre Augen milder über das weinende Mädchen hin, bis sie endlich den rechten Arm hob und sanft um dessen Schultern legte.

»Was gibt es da zu weinen?« fragte sie beschwichtigend, und Wehmut klang aus ihrer Stimme hervor. »Ist es dem Eremit gelungen, unsere Fährte ausfindig zu machen, so kann niemand das ändern. Wir dürfen ihm nicht einmal wehren, wenn es ihm gefallen sollte, sich in nächster Nachbarschaft von uns festzulegen. Beruhige dich daher, meine arme, ängstliche Taube. Wen oder was auch immer du fürchten magst: vergiß nie, du befindest dich unter meinem Schutz, die ich nur allein auf deine Wohlfahrt bedacht bin. Was dein Herz beirrt oder deinen heiteren Seelenfrieden zu stören droht, scheide von dir aus, gleichviel ob mit Gewalt oder auf dem Wege verständiger Betrachtungen. Baue in allen Lebenslagen auf meine Umsicht, diese Frucht vieljähriger Erfahrungen, und du fährst nicht schlecht dabei. – Doch komm hinaus. Wir wollen nach unten steigen. Es sollte mich kaum überraschen, wäre der Tisch schon gedeckt. Ziehe den Schleier vor. Die Leute brauchen nicht zu sehen, daß an Bord der Pandora Tränen vergossen werden können.«

In Mauds Begleitung vor die Tür tretend, rief sie nach Simpson.

Bild: Max Vogel

»Ich erfuhr eben, daß der Eremit in der Hafeneinfahrt ankert,« sprach sie so gleichmütig zu ihm, als hätte es sich um ein zerrissenes Segel gehandelt. »Sollte er sich hier bemerklich machen wollen, so bitte ich, ihn keiner Beachtung zu würdigen. Was ich früher anriet, gilt auch heute: wer auch immer von dort her einen Besuch auf der Pandora abzustatten gedenkt, wird mit kurzen Worten abgefertigt.«

Flüchtig streifte ihr Blick Maud. Diese hatte unter dem Schleier ihr Haupt ein wenig tiefer geneigt. Ihr voraus stieg sie die Treppe hinunter.

 


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