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Buch VII
Dsin Sin

Abschnitt A

1. Der Mensch und sein Schicksal. I

Mong Dsï sprach: »Wer seiner Seele auf den Grund kommt, der erkennt sein eigentliches Wesen. Erkenntnis dieses eigentlichen Wesens ist Gotteserkenntnis. Wer seine Seele bewahrt, der nährt sein eigentliches Wesen und dient dadurch Gott. Früher Tod oder langes Leben machen für ihn keinen Unterschied. Er veredelt sein Leben und erwartet, was kommt. Dadurch verwirklicht er das ihm bestimmte Geschick.« Man vergleiche zu diesem Abschnitt die entsprechenden Stücke in Da Hüo und Dschung Yung. Mong Dsï geht in diesem und den folgenden Abschnitten, die er in seinem höheren Alter gleichsam als Nachtrag verfaßt haben soll, mehr in die Tiefe der Kontemplation als sonst. »Seele« (wörtlich: Herz), »eigentliches Wesen« (wörtlich: Natur) und »Gott« (wörtlich: Himmel) gehören zusammen. »Seele« ist soviel wie das bewußte Geistesleben, das »eigentliche Wesen« ist das zugrunde liegende, nicht in die Erscheinung tretende, aber das ganze Leben gesetzmäßig bestimmende »Ding an sich« des Menschen. Mit Beziehung auf den Menschen heißt es »sing« Natur, mit Beziehung auf Gott »ming« Befehl, Wille Gottes. Vgl. die folgenden Abschnitte. Der erste Satz handelt vom Erkennen, der zweite vom Handeln.

2. Der Mensch und sein Schicksal. II

Mong Dsï sprach: »Alles ist Gottes Wille. Man soll gehorsam entgegennehmen, was für einen recht ist. Wer Gottes Willen kennt, der wird sich nicht mutwillig unter eine dem Einsturz nahe Mauer stellen. Daß der Mensch seinen Weg vollendet und dann stirbt, das ist der ihm bestimmte Wille Gottes. Daß aber einer in Fesseln und Banden stirbt, das ist nicht der ihm bestimmte Wille Gottes.« Hier ist ein Versuch gemacht, die Allmacht und Allwissenheit Gottes mit der menschlichen Freiheit zu versöhnen. Alles ist Bestimmung, aber es gibt direkte und indirekte Vorsehung. Direkt von Gott bestimmt ist nur, was der Mensch in Verfolgung seiner ihm vorgezeichneten Laufbahn erfährt. Was ihn trifft, wenn er von dieser Bahn abweicht, ist zwar auch nach göttlichen Gesetzen, aber nicht direkt (dschong) von Gott so geordnet.

3. Das rechte Suchen

Mong Dsï sprach: »›Suchet, so werdet ihr finden; lasset ab, so werdet ihr verlieren!‹ Das Suchen nützt also etwas zum Finden: wenn wir in uns selber suchen.

›Das Suchen geht seinen Weg, das Finden aber ist vom Geschick bestimmt.‹ Das Suchen nützt also nichts zum Finden: wenn wir draußen suchen.« Zwei einander widersprechende Sprichwörter, die auf die Wirkung des Gebets und sonstiger Versuche, das Schicksal zu beeinflussen, sich beziehen, werden auf die Gebiete ihrer Geltung verteilt. Das zweite entspricht dem: »Der Mensch denkt und Gott lenkt«.

4. Warum in die Ferne schweifen

Mong Dsï sprach: »Alles ist in uns selbst vorhanden. Wenn wir in uns gehen und sind wahrhaftig: das ist die höchste Freude. Wenn wir stark sind in der Nächstenliebe und darnach handeln: das ist der nächste Weg zur Vollkommenheit.« Die erste Hälfte betont die Seligkeit des: »omnia mea mecum porto«, die stoische Selbstgenügsamkeit von der Seite des Erkennens, es ist das chinesische γνωϑισεαυτον, die zweite Hälfte bezieht sich wieder auf das Handeln.

5. Dumpfheit

Mong Dsï sprach: »Sie handeln und wissen nicht, was sie tun; sie haben ihre Gewohnheiten und wissen nicht, warum; sie wandeln ihr ganzes Leben lang und kennen doch nicht ihren Weg: so sind sie, die Leute der Masse.« Vgl. Lun Yü VIII, 9. Neuerdings erheben manche der europäisch gebildeten jungen Leute gegen den Konfuzianismus den Vorwurf, daß er volksverdummend wirke, eben auf grund jener Lun-Yü-Stelle. Wenn man den vorliegenden Abschnitt, wie man das muß, mit jener Stelle zusammennimmt, so zeigt es sich, wie unberechtigt jener Vorwurf ist.

6. Das Schamgefühl. I

Mong Dsï sprach: »Der Mensch kann nicht ohne Scham sein. Wer sich der Schamlosigkeit schämt, braucht sich nicht zu schämen.« Ein ähnliches Wortspiel wie im Taoteking Kap. 71.

7. Das Schamgefühl. II

Mong Dsï sprach: »Das Schamgefühl ist das wichtigste am Menschen. Wenn einer gewandt ist in allerhand Kniffen und Auskünften, der kommt ohne Schamgefühl aus. Wer sich aber durch Schamlosigkeit von den Menschen unterscheidet, was hat der noch mit den Menschen gemein?« Diese Warnung vor der Schamlosigkeit ist besonders an die Wanderphilosophen der Zeit gerichtet, die durch ihre List jede beschämende Situation zu überwinden verstanden. Ihre Abnormität bestand infolge davon in einer Atrophie des Schamgefühls, die zu den schlimmsten Verkümmerungen gehört, die einem Menschen zustoßen können.

8. Das Selbstgefühl der Alten

Mong Dsï sprach: »Die weisen Könige des Altertums liebten den Wert und vergaßen darüber den Rang. Und warum hätten die weisen Gelehrten es nicht auch so machen sollen? Sie freuten sich ihrer Grundsätze und vergaßen darüber den Rang der anderen Menschen. Darum wenn Könige und Fürsten ihnen nicht mit großer Achtung und äußerster Höflichkeit begegneten, so wurde es denselben nicht zu teil, sie öfters zu sehen. Nicht einmal jene Weisen öfter zu besuchen gelang ihnen, geschweige denn sie anzustellen.« Vgl. das Horazische: »Ich wickle mich in meine Tugend ein.«

9. Vom Wandern

Mong Dsï sagte zu Sung Gou-Tsiän: »Ihr liebt zu wandern? Ich will Euch sagen, wie man wandern muß: Wenn uns die Leute kennen, dann fröhlich seine Straße ziehen; wenn uns die Leute nicht kennen, dann ebenso fröhlich seine Straße ziehen.«

Jener sprach: »Wie kann man diese Fröhlichkeit erlangen?«

Mong Dsï sprach: »Tugend schätzen und sich der Gerechtigkeit freuen: so kann man diese Fröhlichkeit erlangen. Darum wenn der Gebildete Mißerfolg hat, so verliert er seine Gerechtigkeit nicht; hat er Erfolg, so weicht er nicht von seinem Weg. Wenn er im Mißerfolg nicht die Gerechtigkeit verliert, so bleibt er sich selber treu. Wenn er im Erfolg nicht von seinem Weg weicht, so enttäuscht er nicht die andern. Im Altertum machten es die Männer so, daß wenn sie ihr Ziel erreichten, sie dem ganzen Volke Segen spendeten; wenn sie ihr Ziel nicht erreichten, so veredelten sie ihr Leben, daß es auf Erden strahlte. Im Mißerfolg erhöhten sie nur ihr eigenes Leben; hatten sie Erfolg, so erhöhten sie gleichzeitig die ganze Welt.« Zu diesem Abschnitt über das Wandern vergleiche die ähnliche Umdeutung des Begriffs in Liä Dsï IV, 7 und das erste Buch des Dschuang Dsï, das den Titel trägt: »Wandern in Muße«. Sung Gou-Tsiän oder nach andern Gou Tsiän aus dem Staate Sung ist ein sonst nicht bekannter Wandersophist. Er war wohl nicht so schlimm wie die berüchtigten Wandersophisten, die sich an den Höfen eingenistet hatten.

10. Selbsttätigkeit

Mong Dsï sprach: »Die auf einen König Wen warten müssen, um sich zu Höherem zu erheben, das sind die Massenmenschen. Der höhere Mensch wird sich zu Höherem erheben auch ohne König Wen.« König Wen steht hier als Beispiel für einen Heiligen auf dem Thron. Wenn von oben her der Wind so weht, daß es Mode wird, sich für ideale Dinge zu interessieren, dann ist jedermann dabei. Der höhere Mensch aber findet die Kraft zu einer solchen Erhebung in sich selbst.

11. Verhalten zum Reichtum

Mong Dsï sprach: »Gib einem Menschen den Reichtum der Häuser Han und We. Wenn er trotzdem nicht eingebildet wird, dann ist er den andern Menschen weit voraus.« Han, We und Dschau waren die drei Adelsgeschlechter, in die der Staat Dsin sich auflöste und die für ihren Reichtum sprichwörtlich waren. Solch plötzliches Reichwerden, wie es hier vorausgesetzt ist, war erst seit der Zeit der Streitenden Mächte möglich. In früherer Zeit – noch zu Kung's Tagen – war die gesellschaftliche Struktur noch fester geordnet, so daß eine solche abenteuerliche Schicksalsänderung nicht vorkam.

12. Der Wert des Zwecks

Mong Dsï sprach: »Wer auf dem Weg zur Ruhe die Leute arbeiten läßt, dem werden sie nicht gram trotz aller Mühsal. Wenn man auf dem Weg des Lebens Menschen töten läßt, dann sterben sie, ohne daß sie murren gegen den, der sie tötet.« Der erste Absatz ist ohne weiteres verständlich. Der zweite Absatz wird darauf bezogen, daß um einer Abschreckung der andern willen Hinrichtungen stattfinden, daß aber selbst die Hingerichteten mit ihrem Los zufrieden sind, wenn die allgemeine Stimmung dem Herrscher mit überwältigender Mehrheit recht gibt.

13. Höchste Wirkung

Mong Dsï sprach: »In einem Militärstaat sind die Bürger stolz und hochgemut, im Staat eines wahren Herrschers sind die Bürger ruhig und zufrieden. Er mag sie töten, und sie murren nicht; er mag ihnen Vorteil bringen, und sie denken nicht an sein Verdienst; die Leute machen täglich Fortschritte im Guten und wissen nicht, wer sie dazu bringt. Der Herrscher wirkt, wo er vorüberkommt, schöpferisch, wo er weilt, göttlich; seine Wirkungen breiten sich aus nach allen Richtungen wie die der Natur. Wie kann man von ihm berichten, er habe da oder dort eine kleine Verbesserung eingeführt!« Der Unterschied zwischen den militärischen Bundeshäuptern (ba) und einem wahren Menschenkönig (wang) wird hier in Ausdrücken geschildert, die an die goldene Zeit, wie sie in Lau Dsï (Laotse), Liä Dsï und Dschuang Dsï vorkommt, erinnern. Der Militarismus bewirkt Patriotismus und stolzes Bewußtsein. Seine Wirkungen sind alle erkennbar und aufzählbar, wie das Begießen der trockenen Pflanzen bei trockenem Wetter, während die Wirkungen des Herrschers im höchsten Sinn naturartig sind, so daß sie den Leuten gar nicht ausdrücklich zu Bewußtsein kommen. Vgl. dazu das Liedchen der Bauern unter dem Herrscher Yau:
Die Sonne geht auf, und ich gehe an die Arbeit,
Die Sonne geht unter, und ich zur Ruhe.
Ich grabe meinen Brunnen und habe zu trinken,
Ich pflüge mein Feld und habe zu essen.
Des Herren Kraft – was ist sie mir?

14. Die Wirkung der Güte

Mong Dsï sprach: »Gütige Worte gehen den Menschen nicht so tief zu Herzen wie ein gütiger Ton. Eine geschickte Regierung gewinnt die Leute nicht so völlig wie eine geschickte Belehrung. Eine geschickte Regierung lehrt die Leute Furcht, eine geschickte Belehrung lehrt die Leute Liebe. Eine geschickte Regierung gewinnt das Geld der Leute, eine geschickte Belehrung gewinnt das Herz der Leute.« Statt »ein gütiger Ton« geben die alten Kommentare »ein gütiger Ruf«, so daß der Sinn wäre: »Mehr als gelegentliche freundliche Worte macht es Eindruck auf die Leute, wenn der Herrscher im Ruf eines gütigen Mannes steht.« Vgl. Lun Yü II, 3.

15. Allgemeinheit der guten Anlagen

Mong Dsï sprach: »Was die Menschen können, ohne es gelernt zu haben, das ist ihr eigentliches Können. Was die Menschen wissen, ohne sich darüber zu besinnen, das ist ihr eigentliches Wissen. Jedes Kind, das man auf den Arm nimmt, weiß seine Eltern zu lieben, und wenn es ein wenig größer ist, so weiß es seinen älteren Bruder zu achten. Anhänglichkeit an die Nächsten ist die Liebe, Achtung vor den Älteren ist die Pflicht. Es handelt sich um nichts anderes, als diese Gefühle auszudehnen auf die ganze Welt.« Das »eigentliche« Können ist das intuitive, von selbst vorhandene. Der letzte Satz wird auch anders erklärt: »Es gibt keinen andern Grund dafür, als daß diese Gefühle auf der ganzen Welt zu finden sind.« Wir haben uns im Text an Dschau Ki angeschlossen.

16. Schun in den Bergen

Mong Dsï sprach: »Als Schun in den tiefen Bergen weilte, da wohnte er zusammen mit Bäumen und Felsen, da ging er umher unter den Hirschen und Schweinen; wie klein war doch der Unterschied, der ihn von den wilden Menschen in jenen tiefen Bergen trennte! Aber wenn er ein einziges gutes Wort hörte, eine einzige gute Tat sah, da war er darauf aus wie ein Strom, der seinen Damm zerreißt und dahinströmt unaufhaltsam.« Die Sage von Schun in den Bergen bezieht sich wohl auf seinen Aufenthalt auf dem Li-Berge. Man könnte das Gleichnis mit derselben Berechtigung auch anwenden auf die ersten Menschen unter den Anthropoiden.

17. Autonomie

Mong Dsï sprach: »Tue nichts, was dir nicht entspricht zu tun; wünsche nichts, was dir nicht entspricht zu wünschen. Das ist es, worauf es allein ankommt.« Dschau Ki faßt den Sinn anders: »Laß keinen tun, was du nicht tust usw.« Doch scheint die Erklärung Dschu Hi's den Vorzug zu verdienen.

18. Die Frucht der Trübsal

Mong Dsï sprach: »Männer von Charakter, Scharfsinn, Klugheit und Weisheit haben in der Regel lange in Not und Elend gelebt. Da sind die verlassenen Diener ihres Herrn und die ungeliebten Söhne, die immer in ihrem Herzen auf der Hut sein müssen vor Gefahren und tief in Sorgen und Leid sind: darum bringen sie es zu etwas.« Vgl. VI. B, 15! »Not und Elend« wörtlich »Fieber und Krankheit«.

19. Verschiedene Art des Wirkens

Mong Dsï sprach: »Es gibt Fürstendiener Die Fürstendiener: die Übersetzung »sie freuen sich, wenn er sie freundlich ansieht« gibt die wahrscheinlichere Konstruktion wieder. Eine andere Erklärung ist: »sie handeln, damit der Fürst sie gnädig ansieht und sich ihrer freut.«: sie dienen einem einzelnen Fürsten und freuen sich, wenn er sie freundlich ansieht. Es gibt Staatsdiener Staatsdiener: wörtlich »Beamte der Erd- und Kornaltäre«. Der Altar für die Götter des Bodens (Schä) und Korns (Dsï) repräsentiert den Bestand des Staates.: sie freuen sich darüber, wenn es ihnen gelingt, einen Staat in Ruhe und Ordnung zu bringen.

Es gibt Männer Gottes, die wirken nicht eher, als bis sie gewiß sind, daß wenn sie Erfolg haben, ihr Wirken der ganzen Welt zugute kommen kann.

Endlich gibt es die ganz großen Männer, die selber recht sind und dadurch die andern recht machen.«

20. Die drei Freuden

Mong Dsï sprach: »Der Edle kennt drei Freuden, und die Herrschaft über die Welt ist nicht darunter. Wenn Vater und Mutter beide noch leben und er bei seinen Brüdern im Frieden wohnt; das ist die erste Freude. Wenn er zu Gott emporblicken kann mit gutem Gewissen und den Menschen ins Auge sehen kann, ohne erröten zu müssen: das ist die zweite Freude. Wenn er die bestbegabten Jünglinge auf Erden zum Unterricht und zur Belehrung anvertraut bekommt: das ist die dritte Freude. Der Edle kennt drei Freuden, und die Herrschaft über die Welt ist nicht darunter.« Vgl. dazu die Freuden des Kung Dsï in Lun Yü I, 1.

21. Das höchste Ziel

Mong Dsï sprach: »Ein großes Land und viele Untertanen: der Edle ließe sich's gefallen, aber seine Freude ist es nicht. Im Mittelpunkt der Welt zu stehen und alles Volk auf Erden zur Ruhe zu bringen: dem Edlen würde das Freude geben, aber sein eigentliches Wesen ist es nicht. Was der Edle als sein eigentliches Wesen erkennt, dem kann nichts hinzugefügt werden, auch wenn er noch so großen Erfolg hat; dem kann nichts entzogen werden, und wenn er auch in Armut und Mißerfolg lebt: denn es ist sein ihm bestimmtes Teil. Worin der Edle sein eigentliches Wesen sieht, das ist Liebe und Pflicht und Ordnung und Weisheit. Die wurzeln ihm im Herzen, und die Wirkungen, die sie nach außen hervorbringen, zeigen sich in der milden Heiterkeit seines Gesichts, in der Würde, die man ihm selbst von hinten ansieht, und der ganzen Art seiner Bewegungen. Er braucht seine Bewegungen nicht vorher einzuüben, und doch drücken sie sein Inneres aus.« Das erste Ziel ist ein Lehenstaat, das zweite die unbeschränkte Wirkungsmöglichkeit auf Erden, das dritte und höchste die eigene Vervollkommnung. Der Schluß heißt wörtlich: »Ihre äußere Erscheinung erscheint milde im Antlitz, strömt über im Rücken und wirkt auf die vier Glieder. Den vier Gliedern braucht nichts gesagt zu werden, und doch verstehen sie.«

22. Sorge für das Alter

Mong Dsï sprach: »Be-I war von Dschou-Sin gewichen und weilte am Strand des Nordmeers. Als er hörte, daß König Wen seine Wirksamkeit begonnen, erhob er sich und sprach: ›Warum nicht hingehen und ihm mich anschließen? Der Markgraf des Westens verstehe es ja, für die Alten zu sorgen.‹

Tai Gung war von Dschou-Sin gewichen und weilte am Strand des Ostmeers. Als er hörte, daß König Wen seine Wirksamkeit begonnen, erhob er sich und sprach: ›Warum nicht hingehen und ihm mich anschließen? Der Markgraf des Westens verstehe es ja, für die Alten zu sorgen.‹«

Wenn auf Erden es jemand versteht, für das Alter zu sorgen, so sind alle gütigen Männer bereit, ihm zuzufallen. Wenn bei jedem Hof von fünf Morgen an den Mauern Maulbeerbäume gepflanzt sind, auf denen die Bäuerin Seidenzucht treibt, so reicht es für die Alten, seidengefütterte Kleider zu tragen. Wenn fünf Hühner und zwei Mutterschweine da sind, denen man ihre Zeit läßt, so reicht es für die Alten, daß sie des Fleisches nicht entbehren. Ein Feld von hundert Morgen, das der Bauer pflügt, reicht aus, daß eine Familie von acht Köpfen nicht zu hungern braucht.

Wenn es hieß, der Markgraf des Westens verstehe es, die Alten zu pflegen, so war damit gemeint, daß er Feld und Hof seiner Leute in Ordnung brachte, daß er sie unterwies im Pflanzen und in der Viehzucht, daß er die Frauen und Kinder anhielt, für die Alten in ihrer Familie zu sorgen. Ein Fünfziger wird nicht warm, wenn er keine seidengefütterten Kleider hat, ein Siebziger wird nicht satt, wenn er kein Fleisch hat. Nicht warm und nicht satt sein heißt man frieren und hungern. Unter dem Volk des Königs Wen gab es keine frierenden und hungernden Greise. Vgl. dazu Buch I, A, 3 und Buch IV, A, 13, wo auch das Nähere über Be-I und Tai Gung zu finden ist. – Von den fünf Morgen, die zu einem Hof gehörten, waren zweieinhalb Gartenland und zweieinhalb für die Gebäude im Dorf bestimmt. Außerdem hatte jede Familie noch hundert Morgen Feld. – In alten Zeiten gab es in China noch keine Baumwolle. Sie ist erst unter der Yüandynastie aufgekommen. Im Sommer trug man leinene Kleider, im Winter trugen wenigstens die alten Leute, statt der jetzt üblichen wattierten, seidene, die mit Seidenwatte gefüttert waren.

23. Wohlstand und Sittlichkeit

Mong Dsï sprach: »Wenn man dafür sorgt, daß das Land gut bestellt wird und die Abgaben nicht zu schwer sind, so macht man, daß das Volk reich wird. Wenn man nur ißt, was an der Zeit ist, und nur aufwartet, was der Anstand erfordert, so werden die Güter unerschöpflich. Wasser und Feuer zum Beispiel sind unumgänglich nötige Lebensbedürfnisse. Aber wenn jemand noch spät am Abend seinem Nachbar an die Tür klopft und ihn um Wasser oder Feuer bittet, so wird keiner sie ihm versagen, weil ja im Überfluß davon vorhanden ist. Wenn ein berufener Heiliger den Erdkreis ordnet, so sorgt er dafür, daß die Nahrungsmittel ebenso reichlich vorhanden sind wie Wasser und Feuer. Wie sollte es da unter den Leuten noch Ungüte geben!« Der Weg, wie ein Herrscher nach Mong Dsï sein Volk bereichern kann, ist einfach genug. Er sorgt nur dafür, daß die Produktion ihren geordneten Gang geht und nicht durch Abgaben zu sehr belastet wird und daß die Konsumtion sich in den naturgemäßen Grenzen hält. Grade dem übertriebenen und geschmacklosen Luxus seiner Zeit gegenüber strebt Mong Dsï auf eine gewisse Einfachheit der Lebenshaltung hin, wie sie mit jeder wahren Kultur verbunden ist.

24. Die Wahrheit und der Weg zu ihr

Mong Dsï sprach: »Meister Kung stieg auf den Ostberg: da ward das Land Lu klein vor seinen Augen. Er stieg auf den Großen Berg: da ward der Erdkreis klein vor seinen Augen. So geht es dem, der das Meer ansieht: es wird ihm schwer, von andern Wassern noch etwas zu halten. Und dem, der mit den Heiligen verkehrt: es wird ihm schwer, von andern Worten noch etwas zu halten.

Es gibt ein Mittel zu erkennen, ob ein Wasser eine Quelle hat. Man muß auf sein Plätschern achten. Sonne und Mond haben eigenes Licht. Wo man ihren Schein hereinläßt, wird es hell.

Fließendes Wasser ist von besonderer Art. Ehe es eine Vertiefung ausgefüllt hat, geht es nicht weiter. Der Gebildete steckt sich dasselbe Ziel bei der Erkenntnis der Wahrheit. Ehe er auf einer Stufe volle Meisterschaft erreicht, geht er nicht weiter.« Der Abschnitt hat drei Teile. Erstens die unvergleichlich überragende Bedeutung der Wahrheit. Vgl. dazu das Gleichnis von der kostbaren Perle. Zweitens die Prüfung dieser Wahrheit. Vgl. dazu: »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«. Drittens der Weg zur Wahrheit ist stufenweiser Fortschritt. – Der Ostberg ein Hügel bei der Hauptstadt von Lu. Der Große Berg ist der Taischan, der berühmteste der Heiligen Berge Chinas. Die Taischanbesteigung des Konfuzius spielt in der späteren Sage eine große Rolle. – Vgl. übrigens zu dem Satz, daß wenn man das Meer gesehen, man nichts mehr von anderen Wassern hält, Dschuang Dsï Buch XVII.

25. Der Heilige und der Räuber

Mong Dsï sprach: »Wer beim Hahnenruf aufsteht und an nichts anderes denkt als an Gutestun, der ist ein Genosse des heiligen Schun. Wer beim Hahnenruf aufsteht und an nichts anderes denkt als an seinen Nutzen, der ist ein Genosse des Räubers Dschï. Wollt ihr den Unterschied zwischen dem heiligen Schun und dem Räuber Dschï wissen? Er liegt nirgends sonst als in dem Abstand zwischen gut und nützlich.« Der Räuber Dschï (Sohle) ist eine sagenhafte Gestalt, die auch bei Dschuang Dsï häufig erwähnt wird. Er ist in der chinesischen Literatur der Zeit so ungefähr der Schinderhannes. Er soll auf eine historische Gestalt aus dem Staate Tsin zurückgehen. Die Sagen, die ihn zum Bruder von Liu-Hia Hui und zum Bekannten von Kung Dsï machen, entbehren der historischen Begründung.

26. Einseitigkeiten

Mong Dsï sprach: »Yang Dschu war Egoist. Sich auch nur ein Härchen ausziehen, um der ganzen Welt zu nützen: selbst das hätte er nicht getan. Mo Di war Philanthrop. Sich von Kopf bis zu Fuß den ganzen Leib kahl scheuern, um der Welt zu nützen: auch dazu war er bereit. Dsï Mo hielt sich an den Mittelweg. Sich an den Mittelweg halten, kommt ja der Wahrheit näher. Aber wenn man sich nur an den Mittelweg hält ohne eigenes Urteil, so ist das auch Einseitigkeit. Warum ich die Einseitigkeit hasse, das ist, weil sie der Wahrheit Eintrag tut, indem sie einen einzelnen Punkt betont auf Kosten von hundert anderen.« Yang Dschu ist der in Liä Dsï VII und sonst oft genannte skeptische Pessimist. Mong Dsï hat ihm die Namen geprägt, unter denen er in der chinesischen Geschichte geht, ebenso wie seinem Antipoden Mo Di, dem Mann der allgemeinen gleichmäßigen Menschenliebe. Vgl. III, A, 5 und II, B, 9. Mo Di hatte sich den Großen Yü zum Vorbild genommen, von dem es hieß, daß er sich die Haare an den Beinen abgescheuert habe, während er die Wasserläufe geordnet – in ähnlicher Weise wie Mong Dsï in Schun sein Ideal verehrt. Über den dritten Philosophen Dsï Mo ist weiter nichts bekannt, als daß er aus Lu stammte. Er scheint eine Art eklektischer Vermittlungsphilosophie vertreten zu haben. Vielleicht zeigt sich nirgends besser als hier, wie weit der konfuzianische Weg von Maß und Mitte von einer bloß mechanischen bürgerlichen Mittelmäßigkeit entfernt ist. Der zentrale Punkt ist das Urteil, das immer das trifft, was unter Erwägung der Lage am Platz ist.

27. Der Hunger

Mong Dsï sprach: »Dem Hungrigen ist jede Speise recht, dem Durstigen ist jeder Trank recht. Aber sie kommen gar nicht zum rechten Geschmack an Speise und Trank, weil Hunger und Durst sie beeinträchtigen. Aber nicht nur Mund und Magen werden durch Hunger und Durst beeinträchtigt, auch das Herz der Menschen wird dadurch beeinträchtigt. Wenn jemand es fertig bringt, sein Herz frei zu halten von der Beeinträchtigung durch Hunger und Durst, so macht es ihm keinen Schmerz, wenn er es andern Menschen nicht gleichtun kann.« Wer frei werden kann von dem Durst nach Gütern, der erlangt Zufriedenheit und Freiheit, auch wenn er an Besitz andern Menschen nicht gleichkommt. Wer aber von der Gier verblendet ist, dem ist jedes Mittel recht, um Reichtum zu erraffen. Damit wird aber sein inneres Leben geschädigt, weil er die Fähigkeit zur Beurteilung seiner Handlungen verloren hat, wie der Hungrige die Fähigkeit zur Beurteilung der Speisen.

28. Unabhängigkeit

Mong Dsï sprach: »Liu-Hia Hui hätte nicht um der höchsten Ehrenämter willen seine Art zu leben aufgegeben.« Über Liu-Hia Hui vgl. II, A, 9; V, B, 6; VI, B, 6. Seine Haupteigenschaft war die Nachgiebigkeit. Hier ist darauf hingewiesen, wie er trotz dieser äußerlichen Anpassung innere Festigkeit besaß, sodaß er sich durch keine äußere Erwägung aus seiner Bahn bringen ließ. »Höchste Ehrenämter« wörtlich: »die drei Herzöge«; gemeint sind die höchsten Ministerposten am Kaiserhof.

29. Der Brunnen

Mong Dsï sprach: »Wenn's eine Tat zu vollbringen gilt, ist's wie beim Graben eines Brunnens. Hat man auch neun Klafter tief gegraben: wenn man nicht auf die Quelle kommt, so war die ganze Arbeit am Brunnen weggeworfen.« Klafter = 8 Fuß. Die Anwendung des Gleichnisses ergibt sich von selbst.

30. Verschiedene Arten des Besitzes

Mong Dsï sprach: »Yau und Schun besaßen's von Natur, die Könige Tang und Wu machten's sich zu eigen. Die Herrscher der Großmächte hatten's geborgt. Wenn jemand etwas lange geborgt hat und gibt es nicht zurück, wer merkt dann noch, daß es nicht sein Eigentum ist?« Das Gut, von dem die Rede ist, ist die zur Ausübung der Weltherrschaft nötige Gesinnung. Sie war angeboren bei den ganz großen Herrschern des Altertums, erworben bei den großen Herrschern des chinesischen Mittelalters und geborgt bei den fünf Bundeshäuptern. Doch wußten diese konsequent zu heucheln, so daß niemand hinter ihre Schliche kam.

31. Fürst und Diener

Gung-Sun Tschou sprach: »I-Yin soll gesagt haben: ›Ich halte es nicht aus mit einem so Widerspenstigen‹ und habe den Tai Gia nach Tung verbannt, und alles Volk sei sehr zufrieden gewesen. Als Tai Gia sich gebessert, habe er ihn zurückgerufen, und auch damit sei das Volk sehr zufrieden gewesen. Wenn ein Weiser im Dienst eines Herrschers steht und der Herrscher ist unwürdig, darf er ihn dann wirklich verbannen?«

Mong Dsï sprach: »Wenn einer I-Yins Zweck dabei verfolgt, so darf er es. Wenn er nicht I-Yins Zweck im Auge hat, so darf er es nicht.« Über I-Yin vgl. V, A, 6. Die Worte des I-Yin, die Gung-Sun Tschou hier zitiert, stammen aus dem Schu Ging IV, V, 1. 9.

32. Wohlverdientes Brot

Gung-Sun Tschou sprach: »Im Buch der Lieder heißt es Vgl. Schï Ging I, IX Ode 6. :

›Iß kein unverdientes Brot!‹

Wie ist es danach zu verstehen, daß die Gebildeten, ohne zu pflügen, ihre Nahrung finden?«

Mong Dsï sprach: »Wenn ein Gebildeter in einem Lande wohnt und der Fürst auf ihn hört, so kommt das Land zu Ruhe, Reichtum, Ehre, Ruhm. Wenn die jungen Leute ihm nachfolgen, so werden sie ehrfürchtig, bescheiden, gewissenhaft und zuverlässig. Wer handelt mehr nach dem Grundsatz: ›Iß kein unverdientes Brot!‹ als er?«

33.Die Arbeit des Gelehrten

Der Prinz Diän fragte den Mong Dsï und sprach: »Was haben die Gelehrten zu tun?«

Mong Dsï sprach: »Sich ein hohes Ziel zu stecken.«

Der Prinz sprach: »Was heißt das, sich ein hohes Ziel stecken?«

Mong Dsï sprach: »Nichts anderes als Liebe und Pflicht. Auch nur einen einzigen Unschuldigen zu töten, ist wider die Liebe; etwas, das nicht dein eigen ist, zu nehmen, ist wider die Pflicht. Wo ist unsere Heimat? In der Liebe. Was ist unser Weg? Die Pflicht. In der Liebe zu Hause sein und nach der Pflicht wandeln, das ist alles, was zu einem großen Manne gehört.« Ping Diän war ein Sohn des Königs von Tsi. Die Frage, die er stellt, kann wohl allgemein gemeint gewesen sein. Die Bevölkerung wird in China in vier Klassen geteilt: Gelehrte, Bauern, Handwerker, Kaufleute. Während bei den drei anderen ihr Beruf ohne weiteres klar war, konnte man bei den Gelehrten wirklich fragen, worin ihre eigentliche Aufgabe im Staate bestehe. Daß dabei der Blick auf die vielen wandernden Gelehrten der Frage noch einen besonderen Beigeschmack gegeben haben kann, ist leicht verständlich. Mong Dsï antwortet vom höchsten Standpunkt aus.

34. Kleine Vorzüge und große Fehler

Mong Dsï sprach: »Tschen Dschung Dsï hätte selbst den Besitz des Staates Tsi abgelehnt, wenn man ihn auf unrechtmäßige Weise ihm angeboten hätte. Darum genoß er allgemeines Vertrauen. Aber das Verdienst, das darin lag, ist nicht größer, als wenn er einen Korb Reis oder einen Teller Suppe abgelehnt hätte. Gegen die größten Pflichten der Menschen aber, die aus den Beziehungen zu den nächsten Verwandten, zwischen Fürst und Untertan, zwischen Hoch und Niedrig sich ergeben, hat er gesündigt. Einem um kleiner Vorzüge willen große Verfehlungen zu gute halten: wie ginge das an?« Tschen Dschung Dsï ist der wunderliche Heilige von III, B, 10, wo das Nähere über ihn zu finden ist. Die zweite Hälfte des Abschnittes wird grammatikalisch verschieden aufgefaßt. Wir haben den unzweifelhaften Sinn der Stelle wiedergegeben, ohne uns auf eine der beiden Auffassungen festzulegen.

35. Konflikt der Pflichten

Tau Ying Tau Ying ist ein Schüler des Mong Dsï, über den nichts Näheres bekannt ist. Der Pflichtenkonflikt zwischen der Stellung des Herrschers, der für unparteiische Durchführung des Rechts zu sorgen hat, und der Stellung des Sohns, der unter allen Umständen seinen Vater retten muß, ist von Mong Dsï hier nicht ohne Humor gelöst. Übrigens geht die Sohnespflicht korrekterweise allen anderen Pflichten vor, so daß von einer wirklichen Kollision der Pflichten nicht die Rede sein kann. Eine Folge dieser klar bestimmten Rangordnung der Pflichten ist es auch, daß dem chinesischen Leben die Tragik fremd ist. fragte den Mong Dsï und sprach: »Wenn zur Zeit als Schun Weltherrscher war und Gau Yau sein Strafrichter, Schun's Vater Gu Sou einen Menschen getötet hätte, wie hätte Gau Yau da handeln müssen?«

Mong Dsï sprach: »Er hätte ihn einfach festnehmen lassen müssen.«

Der Schüler fragte: »Ja, hätte Schun das nicht verhindert?«

Mong Dsï sprach: »Wie hätte Schun das verhindern können? Gau Yau war doch im Besitz einer ihm übertragenen Vollmacht.«

Der Schüler fragte: »Ja, was blieb für Schun da zu tun?«

Mong Dsï sprach: »In Schun's Augen war es nicht schwerer, das Weltreich wegzuwerfen als einen alten Schuh wegzuwerfen. Er hätte heimlich seinen Vater auf den Rücken genommen, wäre mit ihm entflohen und hätte sich mit ihm irgendwo am Strande des Ostmeers niedergelassen; da wäre er seiner Lebtage geblieben, heiter und fröhlich, und hätte das Weltreich vergessen.«

36a. Der Königssohn

Mong Dsï ging von Fan Fan ist ein Ort im Westen von Schantung. Nach Dschau Ki soll es eine Apanage der spätgeborenen Prinzen von Tsi gewesen sein. nach Tsi. Da sah er von weitem den Sohn des Königs von Tsi. Mit einem tiefen Seufzer sprach er: »Die Stellung hat denselben Einfluß auf die Seele wie die Nahrung auf den Leib! Sind wir denn nicht alle Menschenkinder?«

36b. Der Adel und sein Einfluß

Mong Dsï Dschu Hi nimmt diesen Abschnitt mit dem vorigen zusammen, dem er ja auch inhaltlich sehr nahe steht, und streicht infolge davon das »Mong Dsï sprach«. Wir haben den letzten Satz, das Beispiel von dem Fürsten von Lu, der dieselbe Stimme hatte wie der Fürst von Sung, vorausgesetzt, da er sonst nachhinkt. Die Nutzanwendung ist eine Anspielung auf III, B, 3. sprach: »Als der Fürst von Lu nach Sung kam, rief er am Hügelteichtor um Einlaß. Der Torwart sprach: ›Es ist nicht unser Fürst; wie kommt's, daß seine Stimme so der unseres Fürsten gleicht?‹

Das hatte keinen andern Grund als die Gemeinsamkeit der Stellung. Die Prinzen haben größtenteils dieselben Wohnungen, dieselben Kleider wie andere Leute. Und doch haben die Prinzen so etwas Besonderes an sich. Das kommt von der Stellung, in der sie weilen. Wie muß erst einer sich zeigen, der weilt in dem weiten Haus der Welt!«

37. Achtung ist wichtiger als Gaben

Mong Dsï sprach: »Einen füttern, ohne ihn zu lieben, das heißt, ihn wie ein Schwein behandeln. Einen lieben, ohne ihn zu ehren, das heißt, ihn wie ein Haustier halten. Ehrfurcht und Ächtung muß da sein, ehe man einem Geschenke darbringt. Wenn man einen nur mit den Zeichen der Ehrfurcht und Achtung abspeisen will, ohne daß sie wirklich vorhanden wären, so läßt sich ein anständiger Mensch dadurch nicht festhalten.« Wieder einer der Abschnitte, in denen sich Mong Dsï mit dem Verhältnis zu den Fürsten auseinandersetzt.

38. Der Leib

Mong Dsï sprach: »Auch der Leib ist uns von Gott verliehen, aber nur der vollkommene Mensch vermag seinen Leib zu verklären.« Über die Bedeutung dieses Abschnittes sind manche Ansichten unter den Kommentaren im Umlauf. Tschong Dsï sagt: Der Heilige erst ist ein völliger Mensch und vermag die leiblichen Anlagen zu erfüllen. Der Mensch entsteht aus der zentralen Kraft von Himmel und Erde und unterscheidet sich dadurch von den übrigen Geschöpfen. Wer Mensch ist, muß daher die menschliche Vernunft zur völligen Darstellung bringen Dann erst verdient er den Namen eines Menschen. Alle Menschen haben diese Anlagen, aber unbewußt. Die Weisen suchen sie zu verwirklichen, aber es gelingt ihnen nicht völlig. Erst der Heilige vermag seine Leiblichkeit zu voller Darstellung zu bringen.

39. Die Trauerzeit

Der König Süan von Tsi wollte die Trauerzeit abkürzen. Gung-Sun Tschou sprach: »Ist's nicht immer noch besser, ein Jahr lang zu trauern als gar nicht?«

Mong Dsï sprach: »Das wäre gerade, als wenn einer seinem älteren Bruder den Arm verrenkte und du würdest zu ihm sagen: ›Aber bitte, mach's wenigstens sachte!‹ Dem Mann muß man Ehrfurcht und Bescheidenheit beibringen, das ist alles!« –

Unter den Königssöhnen war einer, dessen Mutter gestorben war. Sein Lehrer bat für ihn um die Erlaubnis, wenigstens einige Monate trauern zu dürfen.

Gung-Sun Tschou sprach: »Was ist davon zu halten?«

Mong Dsï sprach: »Der hätte gerne die volle Zeit getrauert, aber es wurde ihm nicht erlaubt. In diesem Fall ist jeder Tag länger besser als gar nichts. Ich redete davon, wenn einer, ohne verhindert zu werden, die Trauer unterläßt.« Die vorgeschriebene Trauerzeit für Eltern waren 27 Monate. Eine Konzession war nicht möglich. Vgl. auch die Ansicht des Kung Dsï über die Sache in Lun Yü XVIII, 21. Daß Ausnahmen vorkommen konnten, wenn durch höhere Gewalt, wie z. B. den Willen des Vaters, eine Abkürzung der Trauerzeit nötig wurde, gibt Mong Dsï zu. In diesem Falle tut man eben soviel man kann. Dschu Hi nimmt an, daß der betreffende Prinz, der Sohn einer Nebenfrau, infolge der Eifersucht der Hauptfrau seine Sohnespflicht nicht habe gänzlich erfüllen können.

40. Fünffache Art der Belehrung

Mong Dsï sprach: »Auf fünf verschiedene Arten spendet der Edle Belehrung. Auf manche wirkt er befruchtend wie ein Regen, der zur Zeit fällt, manche vollendet er in ihrem Wesen, manche bildet er aus in ihren Fähigkeiten, manchen beantwortet er ihre Fragen, und für manche ist er ein Vorbild für einsame Nachfolge. Diese fünf Arten sind es, wie der Edle Belehrung spendet.« Die erste Art des Einflusses ist nach Dschu Hl die, wie Kung Dsï Auf seine Jünger Yän Hui und Dsong Schen, die zweite die, wie er auf Jan Nlu und Min Dsï Kiän, die dritte die, wie er auf Dsï Lu und Dsï Gung gewirkt hat. Die vierte Art findet ihr Beispiel in der Art, wie Kung dem Fan Tschi oder Mong Dsï dem Wan Dschang seine Fragen beantwortete, während für die fünfte, indirekte Art der Einwirkung das Verhältnis von Kung Dsï und Mong Dsï ein Beispiel ist.

41. Erziehungsgrundsätze

Gung-Sun Tschou sprach: »Die Wahrheit ist wohl hoch und schön, aber als ob man in den Himmel steigen müßte; sie erscheint unerreichbar. Wäre es nicht besser, man ließe die Leute erst das, was sie etwa fertig bringen können, tun und feuerte sie dann von Tag zu Tag an?«

Mong Dsï sprach: »Ein Handwerksmeister schafft nicht wegen eines ungeschickten Gesellen Lot und Richtlinie ab. Ein guter Schießmeister ändert nicht wegen eines ungeschickten Schützen die Regel des Bogenspannens. Der Meister spannt, aber er schießt nicht ab, er gibt nur sozusagen Anregungen. Er steht in der Mitte des Weges, und wer es vermag, der folgt ihm nach.« Gegen Konnivenz in moralischen Dingen. Der Schießmeister ist im Text als Schütze J bezeichnet, der eine sprichwörtliche Rolle spielte. Sehr gut ist die maieutische Art der Erziehung hier geschildert.

42. Die Wahrheit und ihr Jünger

Mong Dsï sprach: »Wenn Ordnung auf Erden ist, so steht die Wahrheit unserem Leben zur Verfügung. Wenn keine Ordnung auf Erden ist, so muß unser Leben der Wahrheit zur Verfügung stehen. Ich habe aber nie davon gehört, daß man die Wahrheit andern zur Verfügung stellen könne.« Das Wort, das mit »zur Verfügung stehen« wiedergegeben ist, heißt wörtlich »mit einem in den Tod gehen«. Der Sinn des Abschnittes ist, daß die Wahrheit, die Grundsätze, etwas Persönliches sind. Herrscht Ordnung, so kann man sie ohne weiteres durchführen. Herrscht keine Ordnung, sodaß man sie nicht durchführen kann, so darf man sie doch nicht aufgeben, sondern muß ihnen zuliebe in die Verborgenheit des Privatlebens sich zurückziehen. Daß man aber seine Grundsätze andern aufopfert und ihnen nachfolgt, das ist unwürdig.

43. Der eingebildete Jünger

Gung-Du Dsï sprach: »Als Prinz Gong von Tong Euern Unterricht besuchte, da schien es billig, ihm höflich zu begegnen, und doch habt Ihr ihm nicht geantwortet. Weshalb?«

Mong Dsï sprach: »Wenn einer beim Fragen sich auf seinen Stand etwas einbildet, wenn einer beim Fragen sich auf seine Weisheit etwas einbildet, wenn einer beim Fragen sich auf sein Alter etwas einbildet, wenn einer beim Fragen sich auf seine Verdienste etwas einbildet, so antworte ich ihm nicht. Zwei von diesen Dingen hatte Gong von Tong, auf die er sich etwas einbildete.« Gong von Tong war der Bruder des Fürsten von Tong und hatte sich auch herbeigelassen, bei Mong Dsï zu hören. Offenbar konnte er dabei aber nicht umhin, seinen hohen Stand und seine eigene Weisheit unausgesprochen geltend zu machen, weshalb denn Mong Dsï ihn auch nicht weiter beachtete. Vgl. VI, B, 2.

44. Fehler und ihre Folgen

Mong Dsï sprach: »Wer preisgibt, was man nicht preisgeben darf, der gibt alles preis. Wer Wichtiges unwichtig nimmt, für den gibt es nichts, das er nicht unwichtig nähme. Wer beim Vordringen allzu scharf ist, der ist beim Rückzug flink.« Drei Aphorismen über die üblen Folgen gewisser Fehler. Die beiden ersten Fehler sind negativer Art: das Sichgehenlassen und die Gleichgültigkeit. Der dritte Fehler ist positiver Art: Eiligkeit und Flüchtigkeit im Vordringen. Die beiden ersten Fehler sind Schwächen des Phlegmatikers, der dritte ist das Strohfeuer des Sanguinikers.

45. Stufen der Sympathie

Mong Dsï sprach: »Der Edle ist freundlich zu Tieren, aber er liebt sie nicht. Er liebt die Menschen, aber er ist nicht anhänglich an sie. An die Nächsten ist er anhänglich und liebt die Menschen. Er liebt die Menschen und ist freundlich zu den Tieren.« Die Abstufung der Sympathie. »Freundlich sein« (ai) ist die Äußerung der Liebe, »Liebe« (jen) ist die innere Empfindung (φιλια). Anhänglichkeit (tsin) ist die affektvolle Liebe. Diese Abstufungen macht Mong Dsï im Gegensatz zu Mo Di, in dessen allgemeinem Philanthropismus die feinen Unterschiede verschwanden, sodaß die Liebe ein allgemeiner aber dünner Schleier war, der sich über die Menschheit deckte.

46. Das Wichtigste

Mong Dsï sprach: »Der Weise macht mit seinem Wissen vor nichts halt; aber er wendet sich zunächst seinen Pflichten zu. Der Gütige macht mit seiner Liebe vor nichts halt; aber zunächst steht ihm die Anhänglichkeit an die Würdigen als Pflicht vor Äugen. Die Weisheit Yau's und Schun's selbst erstreckte sich nicht auf alle Dinge, aber sie taten zunächst ihre ersten Pflichten. Selbst die Güte eines Yau und Schun erstreckte sich nicht auf alle Menschen gleichmäßig, aber sie waren zunächst an die Würdigen anhänglich. Die dreijährige Trauerzeit nicht aushalten, aber genaue Untersuchungen über die Halbtrauer anstellen, die Suppe unmäßig hinunterschlürfen, aber sich überlegen, wann man das Fleisch nicht mit den Zähnen zerkleinern darf: das heißt Wichtiges und Unwichtiges nicht unterscheiden.« Dieser Abschnitt bezieht sich auf das »Mücken seihen und Kamele verschlucken«. Bei der Ausdehnung des Wissens und des Gefühls ist es von Schaden, wenn vager Dilettantismus an die Stelle einer sachgemäßen Reihenfolge tritt. Vgl. Lun Yü XII, 22. – Die Gleichnisse beziehen sich auf Trauerregeln und Eßregeln. Von den Trauerregeln war die wichtigste die der dreijährigen (genauer 27 Monate dauernden) Trauerzeit für die nächsten Angehörigen. Die »Halbtrauer« (siau gung, eine Trauerzeit von fünf Monaten, und si, eine Trauerzeit von drei Monaten) kam ihr gegenüber an Wichtigkeit nicht in Betracht. Ähnlich verhält es sich mit den Eßregeln, die in Li Gi I, I, 3 bezeichnet sind. Die erste ist eine allgemeine Anstandsregel, die gieriges Essen verbietet, die zweite eine Spezialregel, die sich darauf bezog, in welchen Fällen man das Fleisch mit den Händen, in welchen man es mit den Zähnen zerkleinerte.


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