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Im Pfarrhofe zu Karlsdorf war schlimme Zeit.
Der Pfarrer Horvat tobte und schrie schon seit ein paar Tagen. Der Kaplan war nächtlich durchgeprügelt worden, ohne daß er anzugeben wußte, von wem. Er lag zu Bett und wollte gar nicht, daß über die Sache weiter geredet werde. Aber konnte der Pfarrer das zugeben? Durfte er solch' einen Makel auf seiner Pfarre dulden? Jedenfalls mußte der Kaplan fort, das Maß war voll …
Aber das wäre noch zu ertragen gewesen. Was hingegen sollte er mit der Juliska machen? Die wollte zum Theater! Endlich kam es heraus, warum sie so leidenschaftlich gern nach Temesvar fuhr. Schon zu Neujahr hatte er der Klarinéni diese Fahrten eingestellt; er duldete nicht mehr, daß man ihn dreimal wöchentlich ganz allein ließ. Aber da trotzte die Juliska und wählte sich andere Begleiterinnen. Die Frau Halmos und die Frau Gergely wechselten ab in der Rolle der Gardedame, und die waren der Juliska auch lieber. Nun konnte sie sich ganz frei bewegen. Die hatten Bekannte in der Stadt, die schüttelte sie nach Belieben ab.
Unterricht hatte sie heimlich bei Pálkay Vidor genommen den ganzen Winter, und er war in das Hotel gezogen, in dem sie regelmäßig wohnte. Die Mama zahlte alles. Sie war im Einverständnis; sie schwärmte eigentlich mehr für den feisten Komödianten als die Juliska, und das gewitzte Kind wußte sie bei dieser Seite zu nehmen. Sie werde die Mutter einer berühmten Tochter werden. Und sie gebe auch dem Vidor Gelegenheit, sich bemerkbar zu machen durch ihre Ausbildung; er werde ihr gewiß einst dankbar sein, meinte die Juliska, die schon ein wenig an Größenwahn litt.
Und dieser Vidor hatte nicht gezögert, der noch immer begehrenswerten Klarinéni den Hof zu machen; er sparte nicht mit Händeküssen und all jenen kleinen Zärtlichkeitsbeweisen, für die alternde Frauen so dankbar sind.
Sie willigte ein. Ganz im geheimen sollte ihre Tochter ausgebildet werden.
Für Juliska aber lag ein unbeschreiblicher Zauber darin, direkt aus dem gestrengen Kloster der Schwestern vom Sacré Cœur, direkt aus dem Pfarrhause in die Welt des Theaters zu gelangen. Sie hielt diesen seltsamen Trieb, diese Lockung zum Ungewöhnlichen für ein Anzeichen echten Talentes. Wie wäre der Gedanke sonst in ihre junge Seele gekommen. Die Soeur Cecile hatte sie stets für das Klosterleben bereden wollen, aber die Mêre Gilm lächelte nur dazu. Die Juliska sei ein Weltkind, sagte sie, die werde einmal viel von sich reden machen. Noch war diese Prophezeiung ihr damals nur ein leerer Schall. Jetzt hatte er Inhalt bekommen; jetzt wußte die Juliska, was sie wollte. Seitdem ihr Vortrag dem Baron Simonyi so sehr gefallen hatte, bohrte der heimliche Gedanke in ihr, eine Sarah Bernhardt, eine Wolter, eine Jászay werden zu wollen. Oder eine Yvette Guilbert.
Doch wie den Weg dazu finden? Der Bácsi durfte um Gottes willen nichts davon erfahren, das ganze dumme Dorf nichts ahnen. Die Leute hätten sich ja bekreuzigt; der Bácsi hätte sich so sehr geschämt, daß er vielleicht in Pension gegangen wäre, weil er des Vertrauens seiner Pfarrkinder nicht mehr sicher war. Das konnte sie nicht brauchen und die Klarinéni schon gar nicht. Und so wurde auch vor den Begleiterinnen aus Karlsdorf der eigentliche Zweck dieser Fahrten lange nicht offenbart. Selbst vor diesen wollte die Juliska einstweilen lieber für die Geliebte des Pálkay Vidor gelten als für seine Schülerin. Ihre irregeleitete Klosterphantasie fand ein wonniges Behagen darin, so etwas wie die kleine Maitresse des berühmtesten ungarischen Provinzschauspielers vorzustellen. Demivierge! Juliska hatte schon im Kloster heimlich viel Verbotenes gelesen. Sie wußte viel, sie ahnte alles. Und darum vielleicht war sie, trotz ihrer erotischen Genäschigkeit, die Herrin ihrer selbst. Nur sehr teuer wollte sie sich einst verkaufen. Und sie sparte den Schatz ihrer Jungfräulichkeit mit klugem Sinn für den Unbekannten, dem sie einmal gehören wollte. Vielleicht kannte sie ihn auch schon. Er wollte sich nur nicht recht nähern. Wenn sie berühmt war, dann kam er gewiß …
Die Klarinéni hatte das saure Amt übernommen, alles zu vertuschen, alles zu bezahlen und den Bácsi langsam vorzubereiten auf die große Überraschung. Aber das hatte Zeit. Obwohl die Juliska an sich glaubte, mußte man doch erproben, ob sie echtes Talent hatte, ob sie Aussichten besaß auf eine große Karriere. Pálkay behauptete es. Er schwärmte für das Genie Juliskas und für sie selber nicht minder. Seine Komplimente nahm sie gern entgegen, sie schlürfte sie wie süßen Champagner; ihm selbst aber, dem Liebhaber Pálkay, wußte sie sich zu entziehen.
Zimmer an Zimmer wohnten sie häufig, und die Bedienung des Hauses glaubte augenscheinlich an ein galantes Verhältnis der beiden. Das belustigte Juliska, die so gerne mit dem Feuer spielte; es reizte sie, zu scheinen, was sie nicht war.
Pálkay hatte der Mutter hoch und teuer geloben müssen, »brav« zu sein, und er benahm sich in den ersten Stunden tadellos. Dann begann er damit, beim Unterricht zärtlich zu werden. Gern umfaßte seine Hand ihren schön gerundeten Oberarm, oder er umklammerte gleich beide Arme, um ihr blitzenden Auges etwas recht eindringlich vorzusprechen; bald wieder umfaßte er ihre Taille und ließ seine Hand wie absichtslos auf ihrer schlanken Hüfte ruhen, bis er ihre Körperwärme fühlte. Er lehrte sie diese und jene Pose. »Belieben Sie das so und so zu machen … Das liebe Gesichterl heller, heiterer; das schöne Goscherl halb offen – so – so – zum Küssen.« Er nahm ihren Kopf zärtlich in seine Hände und richtete ihn, lehrte sie gehen, stehen, knien auf dem Theater, sitzen und liegen und wurde immer dreister. Und sie wartete nur auf den Augenblick, wo er weiter gehen würde. Er kam. Pálkay wollte sie auch lehren, wie Theaterküsse gegeben werden, und wie man es mache, daß markierte Küsse noch besser aussehen wie die echten. Als er sie endlich in seinen Armen hatte, preßte er den saugenden Mund fest auf ihre Lippen, tat trunken und begann unartikulierte Laute zu stammeln.
Da sie längst gefaßt war auf diesen Augenblick, fand er sie völlig kalt. Sie stieß ihn mit höhnischer Miene so kräftig von sich, daß er taumelte. Dann aber wies sie ihm die Tür.
Er begriff seine völlige Niederlage und verschanzte sich flugs hinter einer Finte. »Das haben Sie genial gemacht!« rief er aus. »Endlich ist es mir gelungen, Sie herauszutreiben aus Ihrer kühlen Reserve … Ich war schon verzweifelt; habe Sie für ganz temperamentlos gehalten … Jetzt glaube ich wieder an Sie. Aber Sie haben mehr Talent für die Komödie als die Tragödie.«
So schwätzte er sich heraus, und sie ließ sich beinahe überzeugen. Aber sie war fortan auf ihrer Hut, und er merkte es. Nie wieder ließ er sich hinreißen; er änderte seinen Eroberungsplan völlig, unterminierte den Charakter seiner Schülerin mit lasziven Büchern, die er ihr lieh; durch Anekdoten, die er ihr erzählte, und für die er die Dosis immer stärker und stärker nahm. So wartete er geduldig, bis sie ihm als reife Frucht in den Schoß fallen würde. Er hatte das schon öfter erprobt. Durch nichts wird ein widerspenstiges Weib so leicht mürbe gemacht als durch diese fortgesetzten Aufstachelungen der Phantasie, diese Erregungen ihres ganzen Nervensystems. Das wußte er, darauf baute er. Bis dahin genügte ihm der Schein.
Und dieser war gegen Juliska. Ihre ständigen Fahrten zu allen Schauspielvorstellungen und ihr Zusammensein mit Pálkay Vidor im Speisesaal des Hotels verbreiteten einen verdächtigen Schimmer um sie, und für das Weitere sorgte die Roszika, die eifersüchtige Soubrette. Auch die wechselnden Gardedamen erhöhten das Zweideutige ihrer Lage, ohne daß sie es ahnte. An den Offizierstischen war sie das stete Gesprächsthema. Und die Kavallerieoffiziere aus Josefsfeld, die auch häufig zu den Theatervorstellungen nach Temesvar fuhren, machten gar nicht viel Umstände. Besonders Graf Rupert, der blonde Rittmeister, pirschte eifrig hinter ihr her, sie fuhren oft miteinander. Ein Abglanz dieses Verkehrs fiel auch auf die jeweilige Begleiterin, und die Frau von Gergely und die Frau Halmos rissen sich um die Ehre, die Juliska zu begleiten. In die Eintönigkeit ihres dörflichen Lebens kamen plötzlich ganz ungeahnte Ablenkungen und Anregungen, kam fortan ein erfrischender Zug von höherer Geselligkeit. Und den Schein von Wohlhabenheit, der um sie gebreitet wurde, bestritt knurrend die sonst so zinsenhungrige Klarinéni, die sich jeden Gulden, den sie auslieh, dreimal verschreiben ließ. Die Juliska aber war nicht knauserig. Es kam ihr auf einen neuen Hut oder eine Seidenbluse für ihre Begleiterin niemals an.
Sie schwelgte in diesem freien Leben und ließ sich von jedem jungen Stationschef, von jedem Leutnant den Hof machen, dem Herrn Rittmeister zum Trotz. Für jeden hatte sie ein Lächeln, jedem zeigte sie ihre blitzblanken Zähne und ihre eleganten Dessous. Ihre Augen aber versprachen immer mehr, als sie zu halten gesonnen war. Kühl und raffiniert war sie. Wie man neuestens das Kleid raffte, um das Profil der Reversseite ausdrucksvoll zur Geltung zu bringen, das verstand sie wie keine zweite Kleinstädterin.
So wurde Juliska eine bekannte Figur in der Provinzstadt und auf allen Wegen, die dahin führten. Kein Mann hielt sie mehr für die Unschuld, die sie war. Nur Pálkay Vidor, der Beneidete, wußte es besser. Und er bereitete einen Generalsturm vor auf sie. Nur bis zu Ostern hatte er noch Zeit, dann mußte er weiter wandern, und sie blieb wohl hier. Was er in diesen Wochen nicht erreichte, entschwand ihm vielleicht für immer. Und er bereitete sie jetzt, nachdem sie schon ein kleines Repertoire von Liebhaberinnen studiert hatte, vor für eine bestimmte Rolle; er wollte, daß sie spiele und sich dem Publikum zeige, ehe die Saison zu Ende ging. Vielleicht zu seinem Benefiz.
Mit stürmischer Freude ergriff Juliska diesen Plan, fast wäre sie ihm an den Hals geflogen. So nahe stand sie dem Ziel ihrer Wünsche? Das sollte möglich sein? Er behauptete es.
Und als sie heimkam, konnte sie nicht mehr an sich halten; sie warf sich dem Bácsi zu Füßen und gestand ihm alles.
Der Pfarrer war zu Tode erschrocken. Wie gelähmt saß er da. Dann aber, als er sich der ganzen Ungeheuerlichkeit bewußt wurde, die ihm da zugemutet wurde, brach es los in ihm wie ein Hagelwetter. Und das ging nun seit Tagen so fort. Er war ganz weltfremd gegenüber dieser Frage. Ihm galt das Theater stets als ein minderwertiges, sündhaftes Vergnügen müßiger Menschen, und er hatte niemanden, der ihm raten konnte. Seine Einwilligung gab er nicht. O nein! Sie könne es ja tun, aber sie möge dann nicht mehr auf ihn zählen! Dabei blieb er. Alle Schmeichelversuche Juliskas schlugen fehl, und die Mutter mußte ihr abraten, weiter in ihn zu dringen. Aber zu ihr stehen wollte sie unerschütterlich. Sie möge sich nur vorbereiten für ihre Aufgabe.
* * *
Während Juliska an der »Monna Vanna« studierte und öfter als je nach Temesvar fuhr, sogar allein und in Begleitung des Grafen Rupert, härmte sich der Bácsi ganz außerordentlich. Er schrieb an die Mêre Gilm nach Preßburg und beklagte sich über dieses Erziehungsresultat; er wendete sich brieflich an den Herrn Abgeordneten Baron Simonyi, den Weltmann, um Rat, und er ließ eines Tages den Herrn Jakob Jellinek, den Dorfjuden, zu sich kommen. Es ging die dunkle Sage, daß einer seiner Söhne auch beim Theater sein sollte. Vielleicht wußte der Mann einen Rat für ihn.
Der alte Jellinek war nicht wenig verwundert über die Ehre, mit der er empfangen wurde. Er hatte den besten Kaufmannsposten im Dorfe und war sehr beliebt bei den Bewohnern, aber die Klarinéni kaufte alles im großen ein in der Stadt und gab ihm nur höchst selten etwas zu verdienen. Der Herr Pfarrer hatte sein Geschäft noch nie betreten. Was konnte er von ihm wollen?
Die Klarinéni begrüßte Jellinek schon im Vorzimmer und flüsterte ihm zu, um was es sich handle. Er möge der Juliska ein bisserl helfen, bat sie rasch. Und da erschien auch schon der Pfarrer in der Tür und lud Herrn Jellinek jovial ein, in sein Zimmer zu kommen.
Ob er rauche? Ob er einen Süßen lieber trinke oder einen Kognak? fragte der Pfarrer und bot ihm seinen eigenen Stuhl an beim Schreibtisch, indessen er für sich selbst einen anderen herbeiholte.
Jellinek strich sich seinen weißen Bart mit der Linken und dankte. Er rauche nicht und trinke auch nicht. Das tauge nichts für einen Geschäftsmann, der immer einen klaren Kopf haben müsse. Auch habe er seinen sieben Söhnen nie ein solches Beispiel geben wollen.
»O, o, Herr Jellitnek!« rief lächelnd der Pfarrer. »So streng? Sie erblicken ein Laster im Rauchen? Meine Pfeife wird nie kalt.«
»Behüt' mich Gott, Hochwürden, vor so einer Meinung. Aber erstens schmeckt mer das Rauchen nicht, und zweitens war es mir immer zu teuer. Wenn ich und meine sieben Buben, hab' ich mer oft gesagt, rauchen täten, brauchet'n wir, gering gerechnet, siebenhundert Zigarren im Monat. Das macht so viel Geld im Jahr, daß mer sich ein Joch Feld kaufen kann dafür.«
Pfarrer Horvat zog die Brauen hoch und schaute den Mann überrascht an. »Sie denken sehr praktisch und nüchtern, Herr Jellinek. Wie kommt es, daß Sie, wie ich höre, einen Ihrer Söhne haben zum Theater gehen lassen?«
»Er hat mich nicht gefragt, Hochwürden. Sein Gymnasium hatte er mit Ach und Krach gemacht, zum Kaufmann war er verdorben, zum höheren Studium fehlte ihm die Passion. Tessék – was anfangen? Da brauchte man auf einmal viele ungarische Schauspieler, die Regierung hat sich damals angenommen um die nationale Kunst; überall, wo deutsche Theater waren, sollten jetzt madjarische entstehen. Ist mein Moriz mit beide Füß' in die Kunst gesprungen und hat gleich eine schöne Gage bekommen. Alle anderen Söhne haben mich noch viel Geld gekostet, er nicht ein' Kreuzer.«
»Aber die anderen sind gewiß geachtete Männer geworden?«
»Sind sie! Aber, bizony, so geehrt wie der Moriz ist keiner. Und verdienen tut auch keiner mehr.«
»Was Sie nicht sagen! Wieso? Zu meiner Studentenzeit war es noch keine Ehre, ein Schauspieler zu sein. Die ungarischen Schauspieler wurden vor vierzig Jahren noch so taxiert wie die Zigeuner.«
»Ja,« erwiderte lächelnd Herr Jellinek, »aber auch das musikalische Zigeunertum ist heute ein einträgliches Geschäft. Sehr beliebt bei noblen Damen.«
»Habe manchmal gelesen, ja … Also, Herr Jellinek, Ihnen erscheint das Theater, praktisch genommen und auch vom Standpunkt der bürgerlichen Ehre, als eine gute Sache?« sprach Pfarrer Horvat bedächtig, jedes Wort betonend.
»Das nicht, Hochwürden, das nicht. 's ist im Grunde ein faules Geschäft. Aber wer a Talent hat und a Glück, macht mit faule Sachen das beste Geschäft.«
»Verstehe, verstehe … Sie meinen also doch, daß der solide Grund fehle, die Zuverlässigkeit.«
»Ja. Die kleinste Hypothek ist besser.«
Der Pfarrer lächelte verlegen. Wie sollte er endlich sagen, um was es sich bei ihm handelte? Der gute Jellinek betrachtete die Sache am Ende doch zu kaufmännisch. Vielleicht sollte er überhaupt nicht gestehen, warum er den Dorfkrämer hatte kommen lassen. Aber das ging wohl nicht an. Geplauscht wurde ja doch schon.
»Und Töchter haben Sie meines Wissens keine, Herr Jellinek?« fragte er, obwohl er es ja genau wußte.
»Nein, Herr Pfarrer. Meine Frau hat eine Nichte ins Haus genommen, weil sie so allein war. Von den Söhnen ist nur der Géza hier geblieben; sind alle in der Welt draußen.«
»Ja, ja, meine Cousine hat mir erzählt. Nun, wir haben auch eine Nichte.«
»O! Das hochwohlgeborene Fräulein Juliska! Eine liebe, feine, junge Dame. So gebildet!«
»Und sie will fort von uns. Denken Sie, Herr Jellinek, sie will zum Theater. Kommt aus dem Kloster und will zum Theater! Verstehen Sie das?«
Herr Jellinek tat sehr überrascht.
»Sooo? Das gnädige Fräulein? … Faule Sache, Herr Pfarrer. Aber sie ist hübsch. Sie ist sehr hübsch. Hat sie a Talent auch?«
»Woher soll ich das wissen? Wer sagt mir das?« rief Horvat bekümmert.
»Wie schad', Hochwürden, daß mein Moriz ist jetzt in Berlin engagiert, sonst hätt' ich gesagt –«
»In Berlin?« fragte der Pfarrer verwundert und erfreut. »Es gibt also selbst dort schon ein ungarisches Theater?«
»Noch nicht,« erwiderte Jellinek verschmitzt, aber das kann noch werden. Ungarische Schauspieler wären dort schon genug, schreibt mein Moriz.«
»Was machen sie dort, wenn sie nicht spielen?«
»Sie spielen … Sie sind nämlich übergegangen zur deutschen Bühne, weil wir ja doch nur ein einziges Nationaltheater haben in Ungarn und lauter kleine Provinzbühnen. Bei uns ist nicht genug Platz für alle die, die a Talent haben und was verdienen möchten mit der Kunst.«
Pfarrer Horvat war aufgestanden. Er ging auf und nieder, bat seinen Gast aber, sitzen zu bleiben.
»Wir sind den Herren Komödianten also ein zu kleines Volk? Man macht als Deutscher eher sein Glück …« brummte er und paffte, um seine Meerschaumpfeife, die kalt geworden war, wieder in Zug zu bringen. »Sauberer Patriotismus!«
Jellinek zuckte die Achseln. »Meine sechs anderen Söhne sind Madjaren geworden; der Moriz wollte kein ungarischer Provinzhusar bleiben.«
»Verstehe, verstehe.«
»Darf ich mir erlauben eine Frage?« sprach Jellinek. »Hat das gnädige Fräulein einen Lehrer?«
»Freilich hat sie einen. In Temesvar!« erwiderte der Pfarrer verdrießlich. »Den Pálkay Vidor!«
Herr Jellinek kraute sich hinter dem linken Ohr. »Hochwürden, das tät' ich nicht erlauben. Pálkay? Hm, hm … Verdächtiger Lehrer … Wenn ich a faules Geschäft mach', verlang' ich Wucherzinsen; wenn ich mein Mädel – verzeihen Sie den Vergleich – zum Theater geb', verlang' ich a Karriere. A große Karriere! Sie muß berühmt werden oder ein' Grafen heiraten. Und das kann sie auf dem Weg nicht.«
»Und Sie meinen?«
»Fort in die große Welt. Nach Budapest! Oder nach Wien, zur deutschen Kunst.«
»Soha! Niemals!« rief der Pfarrer. »Juliska von Kerpely ist eine Madjarin. Entweder in der Heimat oder nirgends … Aber ich danke Ihnen sehr, Herr Jellinek, ich habe Ihre Zeit schon viel zu sehr in Anspruch genommen.«
Jellinek verstand und erhob sich.
»Sie haben mir viel gesagt, was mir neu war, und was uns nützlich sein wird. Ich sehe jetzt viel klarer als früher … Sie reden nicht weiter über die Sache, nicht wahr?«
»Kein Wort, Hochwürden. Das versteht ja doch niemand im Dorf.«
Schon im Gehen, fragte der Pfarrer: »Wie heißen denn Ihre fünf anderen Söhne, und wo sind sie alle? Den Géza kenne ich, vom Moriz haben Sie mir erzählt …«
»Die anderen leben in Budapest. Meine Frau hat ihre Namen aufgeschrieben, ich könnte sie wirklich nicht alle nennen …«
Horvat lachte. »Sie scherzen!«
Jellinek errötete ein wenig. »Nein, Herr Pfarrer, das ist nun einmal so bei uns. Keiner wollte meinen böhmischen Namen behalten. Der Moriz in Berlin heißt Madjar, der Árpád nennt sich Karolyfalvi Karlsdorfer, der Sándor heißt UjvidékiNeusatzer, weil er dort geboren ist, und der Feri, der Aladár und der Samu haben sich jeder einen anderen Namen gewählt. Einer heißt Deák, ich weiß aber nie, welcher. Nur der Géza heißt nach der Firma.« Jellinek zuckte wieder mit den Achseln. »Das ist Landesbrauch bei uns.«
Der Pfarrer hatte seinen Gast bis ins Vorzimmer geleitet während dieses Gespräches. Und er mußte unwillkürlich an die höhnischen Worte des Barons Simonyi denken, als er das anhörte. So also sieht die Mehrung des madjarischen Volkes aus … So wird die Unfruchtbarkeit unseres Stammes wettgemacht, sagte er sich. Aber sein nationaler Fanatismus ließ kein Bedenken aufkommen, und er gab seiner Genugtuung darüber Ausdruck, daß der Moriz, wenn er schon ein deutscher Schauspieler geworden sei, doch wenigstens einen ungarischen Namen mitgenommen habe in die Fremde.
Und mit einem warmen Händedruck verabschiedete er den Dorfkrämer.
Das Endergebnis dieser Unterredung für ihn selbst aber war: Niemals!