Adam Müller-Guttenbrunn
Die schöne Lotti und andere Damen
Adam Müller-Guttenbrunn

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Wohltätige Frauen

An die Wiener Theaterkreise war – es ist nun schon mehr als zwanzig Jahre – wieder einmal die Pflicht herangetreten, in irgendeiner Form einen Akt der Wohltätigkeit zu vollführen. Es handelte sich darum, eine ehemals sehr beliebte und durch langwierige Krankheit ins Elend geratene Künstlerin in ausgiebiger Weise zu unterstützen; denn ihr Arzt sagte, man könne ihr noch das Leben retten, wenn man ihr den Aufenthalt im Süden ermögliche. Es mußte rasch gehandelt werden und man wollte daher keine Zeit mit dem Entwerfen eines Programmes zu einer Wohltätigkeitsvorstellung verlieren, deren Ertrag am Ende doch zweifelhaft war. Ein guter Gedanke war in dieser Lage Goldes wert und er war plötzlich da, ohne daß man wußte, wer ihn zuerst ausgesprochen.

Die Künstlerinnen, die sich an dem Akte der Wohltätigkeit für ihre Genossin beteiligen sollten, wurden nicht dazu verpflichtet, ein Lied zu singen, ein Gedicht vorzutragen, eine Gavotte zu tanzen, Zigarren oder Blumen zu verkaufen, nein, sie brauchten nichts zu tun, als zu Hause zu bleiben und Besuche zu empfangen. Es war eine reizende Idee! Medea, Emilia Galotti, das Käthchen von Heilbronn, Brunhild und die Nachtwandlerin, die Elsa von Brabant, die Großherzogin von Gerolstein und die Gebildete Köchin, alle erklärten sie sich bereit, an zwei bestimmten Tagen zu einer bestimmten Stunde zu Hause zu sein und jeden bei sich empfangen zu wollen, der eine Spende – und sei sie auch noch so klein – für ihren Schützling bei ihnen abgeben wolle. Diese Spekulation auf die Neugierde des Publikums konnte nicht mißlingen. Überall hatte man diese und jene Künstlerin schon wohltätig wirken gesehen, in Konzerten, Akademien und Matinees, bei Basaren und Kostümfesten, selbst in Wärmestuben und Volksküchen, in Suppen- und Kleinkinderbewahranstalten – aber daheim, als Repräsentantin ihres Hauses, sah man noch keine. Das war neu, es bot einmal ein anderes gesellschaftliches Bild als das alltägliche Einerlei und es brachte eine gewisse Aufregung in die beteiligten Kreise.

Unter den Künstlerinnen des Laubeschen Wiener Stadttheaters, die bereit waren, zu wohltätigem Zwecke Leute zu empfangen, war eine, die sich erst kürzlich verheiratet hatte. Sie sträubte sich lange, denn sie wußte sehr wohl, daß eine Theaterdame in dem Augenblicke für große Kreise uninteressant wird, in dem sie sich für einen Mann entscheidet. Und als die Stunde kam, in der sie empfangen sollte, da zitterte sie vor dem möglichen Fiasko. Das Erträgnis, sagte sie sich, das jede einzelne erzielt, wird morgen in die Welt posaunt werden, und man wird nach diesem Maßstab auf die Beliebtheit schließen, die sie genießt, ja auf das Talent, das sie besitzt. Um wieviel lieber wäre es ihr, auf der Bühne stehen und handeln zu dürfen für diesen Zweck, für den sie heute still zu Hause sitzen und warten muß, ob von jenen Hunderten, die ihr sonst Beifall klatschen, jemand ihrer gedenkt. Sie hatte große Toilette gemacht und sie war schön. Das mußte sie sich selbst gestehen, als sie jetzt vor den Spiegel trat, um einen letzten prüfenden Blick in denselben zu werfen. Sie war wieder einmal viel schöner, als abends im Theater. Oft schon hatte man ihr dies zum Vorwurf gemacht, aber sie begriff es nie so ganz wie heute, und wenn sie jetzt ihr Direktor sähe, der brummige Direktor Laube . . .

Es klingelte. Endlich ein Wohltäter! – »Ach, Papa Laube, Sie sind es?« – »Na, was ist denn das für ein Empfang? Glauben Sie etwa, ich komme heute mit einer schlechten Rolle?« – »Nein, lieber Papa, ich glaube, Sie bringen mir Geld.« – »Meinen Sie?« Er sah sie an. »Sagen Sie mir, warum sehen Sie denn abends nie so hübsch aus?« Sie biß sich auf die Lippen und erwiderte: »Weil ich mich nicht schminken kann!« – »Hab' ich schon oft gesagt. Aber wer sich nicht schminken kann, der ist auch kein Schauspieler. Merken Sie sich übrigens den Ton, in dem Sie das gesagt haben. Er war ganz brauchbar für's Theater.«

Es klingelte wieder.

»Na, ich glaube, jetzt kommen die Wohltäter. Es soll mich wundern, wenn Sie mehr als die fünf Groschen, die ich Ihnen gebe, zusammenkriegen. Es werden gewiß lauter Frauenzimmer zu Ihnen kommen mit ersparten Küchengeldern. Ich habe Ihnen ja gesagt: Heiraten Sie nicht! am allerletzten einen Kavalier! Jetzt sind Sie für mein Herrenpublikum eine uninteressante Person geworden.« – »Aber Papa!« schmollte sie. – »Na, na, na!« sagte der brummige Alte und streichelte ihr begütigend die Wangen. »Sie werden ja sehen!« Dann griff er in die Tasche und legte eine große Note auf den Tisch.

Eine Dame trat ein. Mit der Rechten hielt sie den »Stecher« vor die Augen, um sich zurecht zu finden, die Linke streichelte ein zierliches kleines Hündchen, das sie stets in der Tasche ihres Kleides trägt.

»Guten Abend, Baronin«, schnarrte der Alte, während die Dame des Hauses der Eintretenden entgegenging und sie wie eine gute Bekannte begrüßte. Dieser Dame folgte bald eine zweite, eine dritte und vierte, sogar junge Mädchen kamen, öffneten schüchtern ihre Börschen und traten scheu beiseite, als sie den so unartig lachenden, berühmten alten Herrn erkannten, der sie mit seinen strahlenden blauen Augen verschlang. Endlich ging er fort, ohne daß sie begriffen hatten, warum er so gelacht.

Am nächsten Morgen bei der Probe fragte der Direktor die Künstlerin: »Na, wie war's?« Das Käthchen machte ein wahrhaft verzweifeltes Gesicht und schwieg, er aber fuhr unerbittlich fort: »Ja, man muß heiraten, sich mit Sorgen beladen und die Karriere verderben! Wenn ich noch einmal den Kontrakt einer ersten Liebhaberin unterzeichne, muß er die Klausel enthalten: Heirat ist Kontraktbruch! – Vorwärts!«

»Hans Fourchambault« wurde zu Ende probiert, der Direktor war sehr zufrieden und er sagte: »Es wird geh'n.« Das war sein höchstes Lob. Als er zum Abschied seinem Liebling die Hand reichte, fragte er: »Na, wann empfangen Sie wieder?« – »Am Neujahrstag.« – »Der Tag ist gut, aber das wird Ihnen nichts helfen.« – »Dann helfen Sie mir, lieber Doktor! Lassen Sie in die Zeitungen setzen, mein Mann sei nicht zu Hause, oder ich sei überhaupt nicht verheiratet.«

»So,« entgegnete er, »jetzt soll ich Sie wieder interessant machen? Nichts da. Das soll Ihr Mann besorgen.« Er zwinkerte mit den Augen und ging, sie schlug die ihren nieder und verzog den Mund.

Am Neujahrstag, nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr, entfaltete sich im Salon derselben Künstlerin ein ganz ähnliches Bild wie einige Tage vorher. Die schönsten Frauen Wiens kamen zu ihr, und doch wären die häßlichsten Männer vom Schottenring ihr lieber gewesen. Der Direktor schickte diesmal seine Gabe durch den Bedienten, und sie mußte sehr bedeutend gewesen sein, denn die Augen der schönen Frau leuchteten, als sie die Note sah.

Der Schwarm von Damen, der im Salon versammelt war, unterbrach plötzlich sein Geplauder. Ein Mann war eingetreten. Ein Mann! Er schien noch jung zu sein, doch waren seine Züge schlaff und müde, sein Haar hing ihm in langen Strähnen in den Nacken und sein bleiches Gesicht war ganz glatt rasiert. Das gab ihm etwas Gespenstisches und die junge Frau erschrak ein wenig, als sie ihn sah. Ihrer Einladung, Platz zu nehmen, war er nur zögernd gefolgt, die Möbel schienen ihm zu kostbar zu sein zum Daraufsitzen. Seine Kleidung war überaus schlicht, doch trug er eine weiße Binde. In der Hand hielt er eine Rolle.

Die Dame des Hauses war begierig, zu erfahren, was dieser Gast ihr bringe, und sie setzte sich zu ihm. Er nannte ihr erst jetzt seinen Namen und fuhr leise fort: »Ich bin Schriftsteller. Das heißt, ich gehöre zu jenen Parias des literarischen Lebens, die Kolportageromane schreiben, und so jung ich auch bin, ich habe doch heute schon mehr geschrieben als Lessing, Goethe und Schiller zusammen. Ich muß täglich fast zwei Druckbogen schreiben, wenn ich leben will, und ich arbeite oft an drei Romanen zu gleicher Zeit, von denen jeder unter einem anderen Autornamen und bei einem anderen Verleger erscheint. Sie lächeln, gnädige Frau? Ich erhalte von dieser Tätigkeit eine ganze Familie . . . Aber im letzten Jahre ging es mir gar nicht so schlecht. Ich habe einen Verleger gefunden, der mich etwas besser bezahlt, der mich für ein Talent hält, das sich noch emporarbeiten wird. Dieses Vertrauen hat mich begeistert und angeeifert und ich verwendete meine Feierstunden zu einer Arbeit, die meinen wahren Namen hinaustragen soll in die Welt. Es ist ein Lustspiel. Es enthält eine glänzende Rolle für Sie . . .«

»Haben Sie mich je gesehen?« fiel die Dame ihm ins Wort.

»Nein«, entgegnete er. »Den Besuch des Theaters trägt mir meine Tätigkeit nicht. Aber ich las so viel über Sie. Nehmen Sie sich meines Werkes an, gnädige Frau, ich widme meine Tantiemen der ersten zwei Vorstellungen Ihrem wohltätigen Zwecke. Und zweimal«, fügte er zaghaft hinzu, »wird ja jedes Stück gegeben.«

Sie nahm schweigend die Rolle in Empfang und er erhob sich. Als er ging, drückte sie ihm die Hand und versprach ihm, das Stück ihrem Direktor empfehlen zu wollen.

Die Empfangsstunde war schon fast abgelaufen, einige Damen erhoben sich und gingen, diese und jene hatte sich so gut amüsiert, daß sie vollständig vergaß, weshalb sie eigentlich gekommen war, und die Guldennoten auf der großen silbernen Tasse, die sich auf dem zierlichen Arbeitstischchen der Hausfrau breit machte, vermehrten sich nur langsam. Unter den bis zuletzt Gebliebenen war noch eine Frau, deren Name die Hausfrau nicht kannte, und es fiel ihr erst jetzt auf, daß jene gar so bescheiden in ihrer Ecke saß, sie hatte noch kein Wort mit ihr gesprochen, und doch fühlte sie die Augen dieses Gastes immer auf sich ruhen. Zuerst hielt sie die einfache junge Frau für die Begleiterin einer der anwesenden Damen, und sie fand es nicht für nötig, derselben ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Jetzt aber sah sie, daß dem nicht so war, und sie trat zu der Fremden, um sich neben ihr niederzulassen. Die Frau errötete tief und die Dame des Hauses vermutete, daß diese schlichte Wohltäterin wohl eine ähnliche Angelegenheit auf dem Herzen haben müsse, wie der arme literarische Taglöhner, der, um eine Wohltat ausüben zu können, erst selbst gefordert sein wollte. Doch die Künstlerin blieb nicht lange im Zweifel über die Absichten der Fremden, denn diese sprach: »Entschuldigen Sie, gnädige Frau, daß eine so einfache Frau wie ich Sie belästigt. Aber ich verehre Sie schon lange und ich wollte Sie einmal ganz in der Nähe sehen und sprechen hören. Und ich wollte Ihnen auch danken dafür, daß Sie sich für Ihre unglückliche Kollegin so warm angenommen haben.« – »Für wen?« – »Nun, für die arme Kranke, für die Sie sammeln.« Die Hausfrau schien sich nur mit Mühe daran erinnern zu können, für wen sie eigentlich sammle, und sie sagte gedehnt: »Ach so!« Dabei errötete sie flüchtig und es fiel ihr auf, daß bisher niemand ein Wort von der Kranken gesprochen hatte in ihrem Salon . . .

»Ich hab' die Arme sehr gut gekannt, als sie noch berühmt und glücklich war,« fuhr die schlichte Frau in unverkennbar wienerischer Tonart fort. »ich hab' zwei Jahre in ihren Diensten gestanden als Köchin. Sie hat ein gutes Herz und ich hätte sie sehr gerne aufgesucht, um ihr meine Hilfe anzubieten. Aber ich hätt' nicht viel tun können, denn die Zeiten sind schwer und wir haben vier kleine Kinder. Und wer weiß, ob es sie nicht beleidigt hätt', wenn ihre ehemalige Köchin . . . So wie Sie's gemacht haben, ist es viel besser! Aber Sie müssen mir auch erlauben, etwas für die Arme zu tun . . . Hier hab' ich einen Ring. Sie hat ihn mir, als sie noch berühmt und glücklich war, an meinem Hochzeitstage geschenkt. Ich hab' ihn bis heute in Ehren gehalten und wollte mich nie von ihm trennen, aber jetzt nehmen Sie ihn nur hin. Ich weiß nicht, was er wert ist. Verkaufen Sie ihn und legen Sie das Geld zu dem übrigen . . .«

Die Künstlerin nahm tief gerührt den Ring, sie küßte die einfache Frau aus dem Volke, die unter all den Damen, die sie an diesen zwei Tagen bei sich gesehen, das zarteste Herz betätigte.

Am nächsten Tage erzählte sie die Geschichte auf der Probe. Dann zeigte sie den Ring und bot ihn aus, doch als keine Steigerung mehr erreichbar war, da überbot sie selbst die Summe und behielt den Ring für sich. Er ist ihr ein wertvolles Andenken; und nur eines kränkt sie oft – daß sie jene einfache Frau mit dem goldenen Herzen nicht einmal um ihren Namen gefragt hat.


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