Hermann Oeser
Des Herrn Archemoros Gedanken über Irrende, Suchende und Selbstgewisse
Hermann Oeser

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3.
Auf der Straße.

A. Wie heißt doch der Herr, den du eben grüßtest?

B. Ah, das ist ein trefflicher Mann! Es ist der Kollaborator Peterlein.

A. Ein trefflicher Mann? Ich habe Ursache anders von ihm zu denken. Ich sah ihn zufällig – einmal da, einmal dort, in der Restauration, bei einem Festessen, da mußte ich auf ihn aufmerksam werden, und ich beobachtete mancherlei, das mich nötigt, deine Bezeichnung als eines trefflichen Mannes entschieden abzulehnen.

B. Nun, sehr genau, d. h. aus dauerndem persönlichen Umgange kenne ich ihn nicht; immerhin bin ich seit Jahren mit ihm bekannt. Er hat ausgezeichnete Grundsätze, und ich habe Äußerungen von so hohem ethischen Gehalte aus seinem Munde gehört, daß ich sagen muß, das waren Äußerungen eines geradezu bedeutenden Innenlebens.

A. Kennst du die Dame dort? – dort am Eck! Eben biegt sie in die nächste Straße ein. 26

B. Mein Auge reicht nicht so weit.

A. Das ist die vorzügliche Frau Präfekt.

B. Die »vorzügliche« Frau Präfekt, die stadtbekannte böse Zunge?

A. Ja, ja, eben diese! Sind nicht die Straußfedern auf ihrem Hute vorzüglich? Ist nicht der Stoff des seidenen Kleides, das sie heute trägt, vorzüglich? Ist sie nicht also eine vorzügliche Frau?

B. Ich verstehe, dir gelten die Grundsätze des Herrn Kollaborators soviel als die Straußfedern der Frau Präfekt! Nur daß man Grundsätze nicht zu kaufen bekommt wie einen Hutschmuck oder ein seidenes Kleid.

A. Da irrst du sehr!! Weißt du, warum die großen Männer, die wirklich großen, gelebt, gelitten und das tiefe, unendliche Wort gesprochen haben, das den Gewinn ihres Lebens in sich schloß? Weißt du es, warum die großen Dulder Dante, Michelangelo, Carlyle, Kierkegaard geschaffen wurden? Warum Shakespeare, warum Goethe das Menschendasein in allen seinen Seiten in sich darstellen mußten? Weißt du, warum einige außergewöhnliche Herzen sich quälen mußten? Damit Millionen gewöhnlicher Menschen sich mit dem Lebensergebnis jener Edlen drapieren könnten!! Der graziöse Lump, der dich am Ballabend mit einer überraschenden Wendung unterhält, hat sie dem Manne gestohlen, der in Kopenhagen als ein Spott der Gassenkinder dahinging, krank, ausgepfiffen und die Seele göttlicher Gedanken voll.

B. Du übertreibst! 27

A. Ich übertreibe? Ich sage dir, zehn haben als ganze Menschen edel gelebt, damit zehn Millionen Viertelsmenschen eine noble Gesinnung und effektreiche Gedanken sich leihen könnten. Die geistige Welt ist eine Leih- und Bestehlanstalt! Nur daß dem Verleiher das Herz blutet, während der Leihende sein Liedchen trällert!

B. Wenn es so ist, so preise Gott, daß er jene zehn schuf und in der Not ihres inneren Lebens die Perle entstehen ließ, mit welcher der am Geiste oder am Gemüte Arme nun sich selbstgefällig schmückt. Wie nackt und bloß wäre er ohne das!

A. Das ist eine Spitzbubenphilosophie, du freundlicher Erklärer! Aber ich will sie für heute gelten lassen. 28

 


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