Georges Ohnet
Der Hüttenbesitzer – Zweiter Band
Georges Ohnet

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Elftes Kapitel

Claire war allein in dem großen Schlafzimmer zurückgeblieben und ihre Augen irrten unstät in dem in ernstem Charakter gehaltenen Gemach umher. Die Lampen erhellten mit mildem, gedämpftem Lichte die alten Tapeten, welche die Wände bedeckten und auf denen die wunderbare Liebesgeschichte Rinaldos und der Armida dargestellt war. Unter einem Zelte aus Purpur und Gold, zu den Füßen der Zauberin liegend, lächelte der Ritter, indem er mit schlaffer Hand einen großen ciselierten Becher emporhielt. Weiterhin durchstreiften die zu seiner Befreiung herbeigeeilten Ritter den Wald, mit Hilfe ihres Zauberschildes die Ungeheuer verjagend, die ihnen den Weg zu versperren suchten; und zuletzt Armida, kämpfend in der Schlacht, die unter den Mauern Jerusalems zwischen den Christen und den Truppen des Kalifen stattfand. Weiße Einhorne zogen den zweirädrigen Wagen, in welchem Armida hoch aufgerichtet und zürnend die furchtbaren Geschosse ihres Köchers auf den mit dem Blute der Ungläubigen bedeckten Rinaldo schleuderte.

Eine wundervolle Truhe von Ebenholz aus der Renaissance, mit vielfarbigem Marmor eingelegt, stand dem sehr schönen aus Birnbaumholz geschnitzten Himmelbette gegenüber, dessen Vorhänge aus Genueser Samt mit großen Blumenbouquets auf maisgelbem Grunde geschmückt waren. Ein prächtiger Schubladenkasten im Stile Louis XIII. aus schwarzem Holz, mit Kupfer eingelegt, ersetzte die sonst übliche langweilige Kommode. Ein prachtvoller Spiegel, dessen Broncerahmen zierliches Laubwerk bildete, reflektierte die erlöschende Flamme des Feuers, das in dem hohen Sandsteinkamin allmählich verglimmte. Ueber demselben war ein herrliches Gemälde aus der spanischen Schule eingelassen: eine blonde Infantin, in steifem Kostüme, gezierter Haltung, das Kinn von breiten Spitzenkrausen umgeben, mit melancholischem Lächeln den Duft einer Rose einatmend. Wertvolle Broncen an den Wänden und ein vlämischer Lüster, der von der Kassettendecke herabhing, vervollständigten das einfache und reiche Mobiliar.

Claire, gleichgültig gegen ihre Umgebung, war in Nachdenken versunken. In fieberhafter Hast hatte sie diese Verbindung eingegangen, einzig von dem glühenden Wunsche beseelt, sich in den Augen der Welt von der Beleidigung zu reinigen, welche ihr der Herzog zugefügt. Ueber ihre Lage nach der Heirat hatte sie sich stets Illusionen hingegeben, und nun befand sie sich mit einemmal der brutalen Wirklichkeit gegenüber. Der Gedanke an das Sinnliche der Ehe überkam sie plötzlich beim Anblick dieses Zimmers, das sie von nun an mit ihrem Manne teilen sollte, der im Grunde doch fast ein Fremder für sie war.

Ihr jungfräuliches Gefühl empörte sich bei dieser Erwägung und sie wurde von einem Grauen vor Philipp und vor sich selbst erfaßt. Sie fand, daß es von ihrer Seite unsinnig gewesen, an eine solche Verbindung zu denken, und daß er hinwieder unwürdig gehandelt, indem er sich dazu hergegeben. Verzweifelte Gedanken durchzuckten wild ihr Gehirn. Sie trat ans Fenster und öffnete es und die Frische der Nacht gab ihr wieder etwas Ruhe.

Der Mond war hinter den Wolken vorgetreten und beleuchtete die hohen Bäume des Parkes, seine Scheibe spiegelte sich im Teiche wider und alles umher lag ruhig und still da. Claire fragte sich, ob es nicht besser wäre, in dieser reinen und tiefen Ruhe auf immer zu verschwinden, statt gegen die schimpflichen Widerwärtigkeiten des Lebens anzukämpfen, ja einen Moment dachte sie daran, hinabzusteigen an den Rand dieses stillen, glänzenden Wassers und wie die bleiche Verlobte Hamlets in der unbefleckten Jungfräulichkeit ihrer einzigen Liebe, demselben ihr Schicksal anzuvertrauen.

Doch die Sorge um die Meinung der Welt, der Gedanke daran, was man darüber sagen würde, der schon einmal einen so traurigen Einfluß auf ihre Entschließungen gehabt, hielt sie von der verzweifelten That zurück. Sie lächelte bitter bei dem Gedanken, daß Athénaïs verbreiten könnte, sie hätte sich aus Liebe zu dem Herzog getötet und sie fühlte einen tiefen Widerwillen gegen das Aufsehen, den dieses romantische Ende in der Umgebung verursachen müßte. Schließlich wollte sie auch die Ihrigen nicht so tief betrüben und ihnen das Entsetzliche dieses erniedrigenden Selbstmordes aufbürden. Noch einen letzten Freundesblick sendete sie den schlafenden, leuchtenden Gewässern zu, schloß dann das Fenster und kehrte an den Kamin zurück.

Es war geschehen, sie begriff es voll und ganz, und sie gehörte sich nicht mehr an. Sie mußte weiter leben, gefesselt an einen Mann, der, mit seinem Rechte bewaffnet, in wenigen Minuten zu ihr kommen und sagen konnte: »ich will«, zu ihr, die bis heute stets frei gewesen, die selbst immer Gehorsam gefunden. Sie empfand Furcht und Zorn zugleich, ihr Stolz empörte sich gegen diese ihr auferlegte Unterwerfung, sie beschloß, sich nicht zu ergeben und sann auf Mittel, wie sie von ihrem Manne die Freiheit wieder erlangen könnte.

Sie fing an, sich eine Art Eheverhältnis auszumalen, wobei beide Gatten das Recht hätten, frei über ihr Leben verfügen zu können. Ob Philipp ihr die Treue bewahre, darum wollte sie sich nicht kümmern, wenn er nur ergeben und ehrerbietig bliebe. Er sollte thun dürfen, was ihm beliebe, aber dafür müsse auch er sie frei schalten und walten lassen. Und würde es denn so schwer halten, von dem Hüttenbesitzer, der ohne Zweifel von ehrgeizigen Ideen beseelt war, zu erlangen, daß er etwas nachsichtig gegen eine Frau sei, die ihm ein so bedeutendes Vermögen ins Haus bringe und ihm den mächtigen Einfluß ihrer Familie zur Verfügung stelle. Er liebte sie zwar, das hatte sie wohl herausgefühlt, aber mit dem Despotismus einer Frau, die gewohnt ist, alles unter ihre Laune zu beugen, schob sie diese ihr unbequeme Liebe beiseite und war entschlossen, wenn Philipp sich anspruchsvoll zeigen sollte, ihm kühn die Stirne zu bieten. Mit ihrer Energie und ihrem Stolze fühlte sie sich wohl imstande, für ihren Willen zu kämpfen und denselben durchzusetzen. Sie zweifelte keinen Augenblick, jeden, selbst den ernstesten Widerstand besiegen zu können, und dachte in ihrem unversöhnlichen Egoismus kein einzigesmal an den Schmerz, den sie dem Manne, der sie anbetete, zufügen mußte.

Ein Geräusch von Schritten im Nebenzimmer machte sie plötzlich erbeben und alles Blut stieg ihr zu Gesicht. Unfähig, sitzen zu bleiben, stand sie auf, und sich fröstelnd an die hohe Kaminplatte lehnend, murmelte sie: »Er ist's!«

Nachdem Philipp sich von seinen Verwandten und Freunden verabschiedet und einer nach dem andern sich entfernt hatte, war er allein zurückgeblieben und fast unwillkürlich schritt er nach seinem Kabinette.

Das Zimmer, das er von nun an mit seiner jungen Frau bewohnen sollte, war das ehemalige Schlafgemach seiner Eltern. In wonniger Erregung dachte er, daß in nächster Nähe, bloß durch einige Thüren getrennt, die von ihm vergötterte Frau, in ihrem weißen Brautkleide, vielleicht noch bewegter als er selbst, sein Kommen erwartete. Gar oft hatte er mit bebendem Entzücken an die himmlische Stunde gedacht, die das schöne junge Mädchen in seine Arme führen sollte, aber zu seinem Erstaunen fand er nun seine Sinne eingeschlafen; kein Begehren bewegte seine Brust.

Er war ernst, nachdenklich und tief gerührt. Zu seiner Liebe zu Claire war noch eine Art väterlicher Zärtlichkeit, wie er sie einst für seine kleine, verwaiste Schwester empfunden, hinzugekommen, und er fühlte sich berufen, das schwache, verwundete Herz seiner Neuvermählten zu heilen. Im stillen dankte er der Vorsehung, die ihm den Besitz des heißbegehrten Weibes gewährt hatte, und er gelobte sich, dieser Gunst würdig zu bleiben, indem er das Glück Claires zu seiner Lebensaufgabe machen wollte. So seinen Träumen nachhängend überraschte er sich eine halbe Stunde nach dem Fortgehen der letzten Gäste auf seinem Zimmer, in einem Fauteuil sitzend. Er mußte lachen und kam sich ein wenig einfältig vor. Alsdann erhob er sich rasch und eilte in sein Toilettenkabinett.

Als er in dem großen Spiegel seines Schrankes seine hohe Gestalt noch in Hochzeitstoilette erblickte, dachte er, daß es höchst lächerlich sein müßte, sich im schwarzen Frack und weißer Krawatte seiner Neuvermählten vorzustellen, und er kleidete sich rasch in einen dunkelblauen Morgenanzug. Mit hochklopfendem Herzen, von unaussprechlicher Erregung erfaßt, ging er hierauf nach Claires Zimmer, und nachdem er den kleinen Salon durchschritten, klopfte er mit leichtem Finger an die Thür, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Da er indes glaubte, seine Anwesenheit genügend angekündigt zu haben, trat er ein.

Claire, noch in ihrem Hochzeitskleide, stand, den Ellbogen auf den hohen Kamin gestützt, stumm und ernst da, sah den Eintretenden nicht an, sondern neigte bloß leicht den Kopf, und Philipp konnte die dichten Flechten ihres blonden Haares auf ihrem weißen Nacken schimmern sehen. Er schritt langsam vorwärts.

»Wollen Sie mir erlauben, mich Ihnen zu nähern?« fragte er beklommen.

Claire machte mit der Hand eine Gebärde der Einwilligung.

Diese Erlaubnis benützend, ging er bis zur Chaiselongue, ließ sich fast zu den Füßen seiner jungen Frau nieder und blickte sie aufmerksam an. Ihre krampfhaft zusammengezogenen, harten Gesichtszüge überraschten ihn. Er kannte diesen wilden, drohenden Ausdruck, den er in jener entscheidenden Stunde an ihr gesehen hatte, als sie dem Herzog gegenüber gestanden. Es beunruhigte ihn, Claire so in sich selbst zurückgezogen und gleichsam kampfbereit zu finden. Die Absichten der jungen Frau konnte er zwar nicht erraten, aber instinktiv ahnte er einen geheimen Widerstand. Er wollte endlich in dies hartnäckig verschlossene Herz eindringen, den Schlüssel zur Lösung des Rätsels finden, und ebenso aufgeregt als er einen Augenblick zuvor gewesen, so kalt und ruhig wurde er nun.

Diese sichtliche Veränderung in Philipps Gemüt beunruhigte Claire in hohem Grade. Einen aufgeregten, widerstrebenden Gemahl hätte sie leicht zu besiegen vermocht, aber indem sie durch ihren abstoßenden Empfang einen leisen Argwohn in Philipp erregt hatte, gab sie ihm zugleich seinen ganzen Scharfsinn, um erraten, und seine volle Energie, um kämpfen zu können, wieder.

»Zum erstenmal sind wir allein,« begann Philipp mit leiser Stimme, »und ich habe so unendlich viel auf dem Herzen, das ich Ihnen sagen möchte. Bis heute habe ich nicht zu sprechen gewagt . . . Ich hätte meine Gefühle schlecht ausgedrückt . . . Fast mein ganzes Leben ist unter Mühe und Arbeit verflossen . . . Ich muß Sie deshalb bitten, nachsichtig zu sein . . . Das, was ich empfinde, glauben Sie es wohl, ist viel mehr wert, als was ich zu sagen vermag . . . Wie oft sahen Sie, daß ich mich Ihnen näherte, einige Worte stammelte und alsbald wieder in Schweigen verfiel. Ich fürchtete, in Ihren Augen zu kühn oder zu schüchtern zu erscheinen, und diese Furcht lähmte mich. Sodann begnügte ich mich, Ihnen zuzuhören, und Ihre Stimme klang meinem Ohr süß wie Musik. Ich verlor mich in Ihren Anblick und vergaß alles, durften meine Augen nur Ihrer Gestalt folgen, wenn Sie an einem sonnigen Tage auf der Terrasse lustwandelten. So sind Sie tief in meine Seele eingedrungen und ich betete Sie an, Sie wurden mein einziger Gedanke, meine Hoffnung, mein Leben. Beurteilen Sie nun meine Glückseligkeit, nun, da ich Sie hier sehe, mir so nahe, so ganz mein! . . .«

Und Claires Hand in die seine fassend, preßte er dieselbe leidenschaftlich an seine glühend heiße Stirne. Die junge Frau zog ihre Hand rasch zurück.

»Um des Himmels willen, mein Herr,« murmelte sie erschreckt.

Philipp erhob rasch den Kopf und indem er Claire voll Ueberraschung ansah, fragte er:

»Was haben Sie? Sollte ich so unglücklich sein, daß meine Worte Ihnen mißfallen?«

»Sagen Sie mir dieselben nicht in diesem Augenblicke,« antwortete Claire sanft . . . »Ich bitte Sie darum . . . Sie sehen, meine Verwirrung ist zu groß.«

Philipp war gerührt von dem schmerzlichen Tone dieser Antwort und, traurig den Kopf schüttelnd, bemerkte er:

»Jawohl, Sie sind bleich, zitternd . . . Bin ich etwa schuld daran?«

Claire wendete sich ab, um zwei Thränen zu verbergen, die langsam über ihre Wangen rollten, und erwiderte mit unsicherer Stimme:

»Ja.«

»Beruhigen Sie sich, ich beschwöre Sie,« fing Philipp wieder an. »Fühlen Sie denn nicht, daß es mein einziger Wunsch ist, Ihnen nur nicht zu mißfallen? Was soll ich thun? Fordern Sie. Alles wird mir leicht werden. Ich liebe Sie so sehr!«

Die junge Frau erbebte vor Freude, denn ein Hoffnungsschimmer leuchtete in der Dunkelheit auf, in der sie sich bewegte. Die leidenschaftliche Liebe ihres Gatten ließ sie erkennen, welch unbeschränkte Gewalt sie über ihn besitze, und ohne Mitleid beschloß sie, dieselbe zu mißbrauchen und Philipp zum erstenmal mit feinem koketten Lächeln anblickend, sagte sie:

»Wenn Sie mich lieben so . . .«

Sie vollendete nicht, machte aber dabei eine so gebietende Gebärde, daß Philipp sie sehr wohl verstand.

»Wünschen Sie, daß ich Sie allein lasse?« sagte er ergeben. »Ist dies die Probe, welche meine Liebe bestehen soll? Ich werde mich darein fügen, wenn es Ihr Wille ist.«

Claire atmete erleichtert auf. Sie fühlte sich unumschränkte Herrin dieses Mannes, der ihr noch soeben einen so großen Schrecken eingejagt. In einem Augenblicke veränderte sich der Ausdruck ihres Gesichtes und sie zeigte Philipp eine strahlende Stirn.

»Jawohl,« erwiderte sie, »ich werde Ihnen dafür Dank wissen. Die Aufregungen dieses Tages haben mich angegriffen und ich bedarf der Ruhe und Sammlung. Morgen, später einmal, wenn ich meiner Gefühle mehr Herrin, meiner selbst sicherer bin, werde ich Ihnen erklären . . .«

Philipp schwieg einen Moment. In Claires Antwort schienen ihm einige Worte falsch zu klingen; dieses verlegene Aufschiebenwollen war ihm verdächtig. Es lag hier offenbar noch ein Geheimnis vor, das er ans Licht bringen mußte.

»Was könnten Sie mir morgen, was später sagen, das ich nicht auch heute schon hören dürfte?« entgegnete er. »Ist mein Leben und das Ihrige von nun an nicht unzertrennlich? Unser Lebenspfad ist uns bestimmt vorgezeichnet. An Ihnen ist es, vertrauensvoll und aufrichtig, an mir, ergeben und geduldig zu sein. Ich bin dazu bereit, ich schwöre es Ihnen. Hegen Sie die gleichen Gesinnungen?«

Philipp hatte, während er seiner Frau voll ins Gesicht blickte, klar und bestimmt gesprochen. Diese fürchtete, zu rasch vorgegangen zu sein und wollte sich zurückziehen.

»Lassen Sie mich Ihnen sagen,« erwiderte sie ausweichend, »daß das Vertrauen sich nicht in einem Momente gewinnen läßt. Seit zwei Stunden erst bin ich verheiratet. Mein Leben, ach, ist nicht von gestern. Dieses Leben, wie glücklich machte man es mir! Ich hatte das Recht, zu denken wie ich wollte, konnte nach Belieben schweigen und war nie gezwungen, zu lügen. Meine Leiden, und ich hatte deren genug, Sie wissen es, wurden erraten. Man begriff, daß die Erinnerung nicht augenblicklich erlöschen könne. Ich wurde sehr verwöhnt . . . Man forderte nie ein Lächeln von mir, wenn mein Herz traurig war . . . Wenn ich an Ihrer Seite mich darein fügen muß, meinen Schmerz zu verhehlen, so lassen Sie mir wenigstens Zeit, mich an diesen Zwang zu gewöhnen.«

Claire hatte mit ungemeiner Geschicklichkeit die Frage umgangen, um sich die Antwort zu ersparen. Sie stellte sich als Opfer hin und Philipp konnte, ohne grausam zu erscheinen, nicht weiter in sie dringen, das fühlte er.

»Ich bitte Sie, kein Wort weiter,« rief er aus, um diesem Opfer vorzubeugen. »Sie thun mir Unrecht . . . Sie werden nie, niemals einen treueren und ergebeneren Freund finden, als mich. Indem ich Sie heiratete, übernahm ich einen Teil Ihres Kummers und damit die Verpflichtung, Sie denselben vergessen zu machen. Vertrauen Sie sich mir an, ich bin verantwortlich für Ihr Glück. Wenn die Vergangenheit Sie getäuscht, so hoffen Sie alles von der Zukunft. Fern ist mir der Gedanke, Ihnen meine Liebe aufnötigen zu wollen; was ich fordere, ist bloß, mich versuchen zu lassen, durch meine Liebe und Sorgfalt, sie mir zu erringen. Dies ist mein ganzer Ehrgeiz. Und da Sie nun Ruhe und Einsamkeit wünschen, bleiben Sie allein, frei und sicher, wie Sie es gestern waren. Ich ziehe mich zurück, denn das ist es doch, was Sie wünschen, nicht wahr? Ihr Wille geschehe!«

Die junge Frau wurde bei diesen Worten unruhig. Der Hüttenbesitzer zeigte sich so stolz und so groß, daß ihre im voraus aufgestellten Berechnungen kläglich zu scheitern drohten. Indem Philipp ihren Wünschen mit unerwarteter Güte zuvorkam, wie konnte sie es durchsetzen, von ihm getrennt zu leben? Er betete sie an und wollte sich bemühen, ihre Liebe zu gewinnen. Wie konnte sie, ohne ungerecht und grausam zu sein, einen so edlen und großmütigen Mann für immer zurückweisen? Die Güte und Zärtlichkeit ihres Gatten mußten ihr am nächsten Tage jeden Widerstand unmöglich machen, wenn sie nicht geradezu brutal erscheinen wollte. Sie begriff die ihr drohende Gefahr und gedachte ihr zu entgehen, indem sie entschlossen ein- für allemal jedes Band lösen wollte, das sie an ihren Mann knüpfte.

Als dieser sah, daß Claire unerschütterlich und schweigsam blieb, näherte er sich ihr, neigte den Kopf und sein Mund berührte die weiße Stirn der jungen Frau.

»Auf morgen,« sagte er.

Doch als Philipp den Duft dieses blonden Haares einsog, als seine Lippen das geliebte Wesen berührten, wurde er von plötzlicher Trunkenheit erfaßt. Er verlor die Herrschaft über sein Selbst, und sein Versprechen vergessend, dachte er nicht mehr an die Empfindlichkeit des gekränkten Herzens, das so nahe an dem seinigen schlug. Er sah nur eine heißgeliebte Frau, die ihm angehörte, und in einer unwiderstehlichen Aufwallung preßte er sie in seine Arme, indem er flüsterte:

»Wenn Sie wüßten, wie sehr ich Sie liebe!« Claire anfangs vor Ueberraschung wehrlos, wurde totenbleich, bog sich zurück, und ihre Hände gegen die Schultern ihres Gatten stemmend, bemühte sie sich, der ihr verhaßten Umarmung zu entfliehen.

»Lassen Sie mich los,« schrie sie zornig. Philipps Arme lösten sich, er wich zurück und sah die junge Frau an, die zitternd, mit vor Angst entstelltem Gesichte vor ihm stand.

»Wie,« sagte er mit unsicherer Stimme, »Sie wollen mir nicht einmal das Recht gewähren, Ihre Stirn mit meinen Lippen zu berühren? Sie weisen mich mit Heftigkeit, fast mit Widerwillen zurück! Was geht in Ihnen vor? Das ist nicht bloß mädchenhafte Schüchternheit! . . . Das ist Widerwillen! . . . Sie hassen mich also? . . . Und weshalb? Was habe ich Ihnen gethan? . . . Doch wie? Ihre Worte von vorhin kommen mir wieder in den Sinn und ich fürchte, Sie jetzt besser zu verstehen. Nach der Enttäuschung, die Sie erlitten, mag wohl mehr als Bitterkeit in Ihrem Herzen zurückgeblieben sein. Vielleicht Bedauern, vielleicht . . .«

»Mein Herr!« widersprach Claire.

Doch Philipp war zu aufgebracht. Der Zorn ließ das Blut in seine Wangen steigen und erregt hin- und hergehend, fuhr er fort:

»Madame, die leeren Reden sind uns jetzt vollkommen unnütz. Die Stunde der offenen Erklärung ist gekommen. Sie flößen mir durch Ihr Benehmen einen Verdacht ein, den Sie aufklären müssen. Eine Frau stößt ihren Mann nicht zurück, ohne einen wichtigen Grund dafür zu haben. Um mich zu behandeln, wie Sie es thun, muß man . . .« Philipp hielt inne, seine Stimme stockte, er war bleich geworden und seine Hände zitterten nervös. Er atmete schwer, und indem er sich völlig zu seiner Frau wendete, so daß ihm kein Zug ihres Gesichtes entgehen konnte, fragte er:

»Diesen Mann, der Sie auf so unwürdige Weise verlassen, lieben Sie ihn etwa noch? . . .«

Claire begriff, daß die Gelegenheit zu dem so sehr herbeigewünschten Bruche da sei, doch zauderte sie noch, dieselbe zu ergreifen, denn Philipp in seinem gewaltigen und gerechten Zorn flößte ihr Furcht ein. So stand sie vor ihm, mit zusammengezogenen Brauen, unentschlossen, mit hochklopfendem Herzen, wohl wissend, daß ihr Geschick an einem Faden hänge.

Ihr Schweigen brachte Philipp vollends außer sich, und jede Rücksicht vergessend, ergriff er heftig ihren Arm und rief ihr mit flammenden Augen zu: »Haben Sie mich verstanden? Antworten Sie mir! Es muß sein! Ich will es!«

Die Hand Philipps auf dem Arme Claires brachte dieselbe Wirkung hervor, wie ein Finger auf den Drücker einer Feuerwaffe; der Schuß ging los. Die stolze junge Frau, beleidigt und empört von dieser Keckheit, sah ihrem Gatten starr ins Gesicht:

»Nun gut! und wenn es so wäre?« antwortete sie mit trotziger Unerschrockenheit.

Kaum hatte sie jedoch diese Worte ausgesprochen, als sie dieselben auch schon bereute. Der Hüttenbesitzer war furchtbar geworden. Seine hohe Gestalt schien gewachsen zu sein, der Ausdruck seines Gesichtes war entsetzlich, die geballte Faust hielt er drohend erhoben, gleich einem seiner schweren Eisenhämmer.

»Unglückliche!« schrie er.

Claire wich keinen Schritt zurück. Sie neigte die Stirn und ließ ihre Hände ergeben niederfallen wie eine Märtyrerin, die bereit ist den Todesstoß zu empfangen. Philipp sah sie an, stieß einen Seufzer aus und taumelte zurück, indem er wütend seine rechte Faust in die linke preßte, als ob er sie zerbrechen wollte zur Strafe, daß sie sich drohend über dem Haupte der geliebten Frau erhoben. In einigen Augenblicken gewann er seine Fassung wieder und sagte mit trauriger Stimme:

»Ermessen Sie wohl die Bedeutung Ihrer Worte! . . . Das, was Sie mir eben gesagt haben, kann doch nicht wahr sein! . . . Es ist unmöglich! Ich träume, oder Sie wollten mich bloß auf die Probe stellen. So ist es, nicht wahr? O, fürchten Sie nicht, es mir zu gestehen, ich verzeihe Ihnen im voraus, obwohl Sie mir sehr weh gethan . . . Man soll ein Herz, wie das meinige, nicht mißbrauchen, Sie werden es eines Tages erfahren . . . Es ist ein grausames Spiel . . .«

Er bemühte sich, zu lächeln, doch seine Lippen waren krampfhaft zusammengepreßt. Claire blieb finster und fühllos, indem sie einen passiven Widerstand leistete gleich einem schweren Steinblock.

»So antworten Sie doch!« bat Philipp. »Sagen Sie mir ein Wort! Sie schweigen? . . . Es ist also wahr?«

Sie erwiderte kein Wort, sich still dem selbstgewollten Geschick überlassend. Zwar hatte sie eine unbestimmte Ahnung, daß sie ein Verbrechen begehe, aber in ihrem unversöhnlichen Stolz war sie fest entschlossen, bis ans Ziel zu gehen.

Philipp trat fast betäubt ans Fenster und seine brennende Stirn an die kühle Glasscheibe stützend, suchte er seine Kaltblütigkeit wieder zu gewinnen. Er begriff, daß die Erklärung, die er von seiner Frau verlangte, erst kommen sollte, und er wollte doch sehen, wie weit Claire in ihrem Trotz gehen würde. Er kam zu ihr zurück.

»So, also das Herz erfüllt von dem Bilde eines andern haben Sie eingewilligt, mich zu heiraten?« sagte er. »Trotz der Nichtswürdigkeit seines Benehmens, trotz dem Schimpfe, den er Ihnen angethan, lieben Sie ihn noch! Und Sie wagen es, mir dies zu gestehen! Sie versprachen, mir eine treue und ergebene Frau sein zu wollen. So halten Sie nun Ihr Wort! Und ohne zu erröten, legten Sie Ihre Hand in die meine! Bis zu welchem Grade moralischer Verkommenheit müssen Sie gesunken sein!«

»Ich verteidige mich nicht,« erwiderte Claire; »ist es großmütig, mich so leiden zu lassen?«

»Sie leiden?« rief Philipp. »Und ich, ich leide also nicht? Ich, der ich Sie von ganzer Seele liebe; ich, der um Ihnen zu gefallen, zu allem bereit war und der als Lohn dafür nur ein wenig Hingebung und Zuneigung forderte. Um Ihrem verletzten Stolze Genugthuung zu bieten, damit die Welt die Kränkung nicht ahne, welche Sie erlitten, haben Sie mich kalt geopfert, indem Sie auf mein Vertrauen spekulierten und vielleicht über meine Blindheit lachten. Wissen Sie denn nicht, welch eine entsetzliche Handlung Sie damit begangen haben?«

»Oh, haben Sie denn nicht gesehen, daß seit zwei Wochen mein Geist wie aus seinen Fugen gerückt ist,« schrie Claire ihre Zurückhaltung aufgebend. »Begreifen Sie denn nicht, daß ich mich in einem Zirkel bewege, aus dem ich keinen Ausweg finde? Ein unwiderstehliches Verhängnis riß mich zu dem hin, was ich gethan. Ich muß Ihnen als ein verächtliches Geschöpf erscheinen und doch werden Sie mich nie so hart beurteilen, als ich es selbst thue. Ich habe Ihren Zorn und Ihre Verachtung verdient. Aber hören Sie, nehmen Sie alles, was ich besitze, ausgenommen mein Selbst. Mein Vermögen soll Ihnen gehören . . . Möge es das Lösegeld für meine Freiheit sein! . . .«

»Ihr Vermögen? Das bieten Sie mir? . . . Mir . . .« rief Philipp bitter lachend aus.

Er war auf dem Punkte, zu sprechen und sie von ihrem Ruin in Kenntnis zu setzen, den er ihr mit soviel Zartgefühl und Sorgfalt verheimlicht hatte. Welche Rache konnte er damit an dieser hochfahrenden, stolzen Claire nehmen! Und wie sicher würde sie treffen, wie rasch und wie grausam! Doch sogleich stieß er diesen Gedanken, der ihm seiner unwürdig schien, weit von sich. Und vollständig beruhigt durch die tiefe Befriedigung, die er empfand, sich moralisch um soviel höher zu wissen, als die junge Frau, vermochte er, sie ohne Zorn anzublicken.

»Wirklich,« fuhr er kalt fort, »halten Sie mich demnach für einen Mann, der sich verkauft? Indem ich Sie heiratete, machte ich nach Ihrer Ansicht bloß eine Spekulation? Sie irren sich, Madame; Sie glauben noch den Herzog von Bligny vor sich zu haben.«

Der Stoß traf Claire unmittelbar und sie zuckte zusammen, als hätte man mit der Beleidigung des Herzogs sie selbst beleidigt.

»Mein Herr!« schrie sie, indem sie Philipp einen vernichtenden Blick zuwarf. Doch sogleich besann sie sich und, wie beschämt, schwieg sie.

»Nun, wohlan denn! Warum schweigen Sie?« versetzte der Hüttenbesitzer mit Bitterkeit. »Verteidigen Sie ihn doch! Es ist das wenigste, was Sie für ihn thun können . . . Sie sind ja durchaus imstande, ihn würdigen zu können, denn Ihr Betragen gleicht vollständig dem seinigen . . . Berechnung und Arglist, das ist Ihre Richtschnur, nicht wahr? Oh, nun sehe ich mit einemmal ganz klar. Sie wünschten zu Ihrem Gatten einen Mann, der von Ihnen abhängig sein sollte, und darum wählten Sie einen, der sehr verliebt und sehr vertrauensvoll war. Eine Verbindung mit mir war wohl eine Mesalliance, doch meine Fügsamkeit sollte Sie für die Niedrigkeit meiner Geburt entschädigen. Wenn ich zufällig je daran denken sollte, mich zu empören und meine Rechte geltend zu machen, nun – dann hatte man etwas, um mir den Mund zu stopfen . . . einen Sack voll Thaler! Und wirklich, was könnte ich auch sagen? Bin ich doch der Gemahl einer so vornehmen und reichen Frau! Ich ein so alltäglicher, geldgieriger Mensch! Das war es, was Sie sich ausgedacht haben. Und wann haben Sie mir dies gestanden? Wie es die Ehre sicherlich verlangt hätte, eine Stunde vor der Trauung? . . . Zeitig genug, um meine Freiheit noch bewahren zu können? . . . Nein! Sie lassen mich dies alles erst wissen, jetzt, da ich nicht mehr zurück kann, jetzt, wo alles beendigt, besiegelt, unwiderruflich geworden ist, wo ich ganz sicher Ihr Geprellter bin, wo Sie nicht mehr zu befürchten haben, daß ich Ihnen entschlüpfe! Und ich blinder Thor sah die Falle nicht, ahnte nicht diese pikante Intrigue! Ich, der eben noch mit hochklopfendem Herzen, bebend, hierher kam, um meine Liebeserklärung zu machen! War ich nicht mehr als unsinnig, mehr als lächerlich? War ich nicht cynisch und gemein? Denn schließlich, ich habe doch Ihr Vermögen, nicht wahr? Ich bin bezahlt, habe kein Recht, mich zu beklagen.«

Und Philipp in ein entsetzliches Lachen ausbrechend, fiel auf das Sofa nieder und verbarg das Gesicht in seine krampfhaft gerungenen Hände. Claire hatte, ohne zu widersprechen, diesen schrecklichen Ausbruch angehört. Sie war mehr beleidigt von den Vorwürfen ihres Gatten, als gerührt von seinem Schmerze. Sie hatte sich außerhalb des Rechtes gestellt und die Wahrheit erzürnte sie, ohne sie zu erleuchten. Sie hörte nicht auf den Schmerzensschrei ihres Mannes, sie vernahm nur die Ironie seiner Worte.

»Mein Herr,« sagte sie hoheitsvoll, »machen wir ein Ende, ersparen Sie mir diese unnützen Spöttereien.«

Philipp erhob lebhaft das Haupt und zeigte der jungen Frau ein von Thränen benetztes Antlitz.

»Ich spotte nicht,« erwiderte er, »ich weine, weine über meine getäuschten Hoffnungen, über mein verlornes Lebensglück. Doch genug der Schwäche. Sie wollten mir noch soeben Ihre Freiheit abkaufen. Nun, ich gebe sie Ihnen umsonst zurück. Seien Sie versichert, daß ich Sie niemals stören werde. Zwischen uns ist jedes Band gelöst und keine Gemeinschaft soll fortan zwischen uns bestehen. Eine öffentliche Trennung würde aber einen Skandal verursachen, den zu erleiden ich nicht verdiene, und ich ersuche Sie, mir denselben zu ersparen. Wir werden nebeneinander, aber ohne einander leben. Da ich jedoch keinerlei Mißverständnis zwischen uns lassen will, so merken Sie wohl, was ich Ihnen sage. Sie werden eines Tages die Wahrheit erfahren und wissen, daß Sie gegen mich noch mehr ungerecht als grausam waren, und dann wird Ihnen vielleicht der Gedanke kommen, Ihre heutige Handlung wieder gut machen zu wollen. Ich erkläre Ihnen jedoch, daß von heute ab dies vollkommen vergeblich sein wird. Ich könnte Sie zu meinen Füßen liegen und um Verzeihung flehen sehen und würde kein Wort des Mitleids für Sie haben. Gegen Ihren Zorn hätte ich nachsichtig sein können, doch Ihren Egoismus und Ihre Herzensarmut zu vergessen, wird mir unmöglich sein. Adieu, Madame, wir werden leben, wie Sie es gewollt. Hier ist Ihr Gemach, dort das meine. Von heute ab hören Sie auf, für mich zu existieren.«

Claire neigte, ohne ein Wort zu sprechen, den Kopf als Zeichen des Einverständnisses.

Mit gepreßtem Herzen warf Philipp einen letzten Blick auf die junge Frau, irgend einen Zufall, eine Umkehr, eine Ohnmacht erhoffend, welche sie ihm wiedergeben konnte in dem Momente, da er sie für immer zu verlieren glaubte. Doch er sah sie frostig und unbewegt dastehen, ihre Augen hatten keinen Blick, ihre Lippen kein einziges Wort für ihn.

Er durchschritt das Zimmer, öffnete langsam die Thür und schloß sie widerstrebend, hielt nochmals an, ob nicht vielleicht ein Schrei, ein Schluchzen, ein Seufzer nur, ihm, dem Gekränkten und Beleidigten zum Vorwand dienen könne, um als erster zurückzukehren und seine Verzeihung anzubieten, so lange es noch Zeit war. Er vernahm nichts.

Alsdann sich zur Thür wendend, hinter der die unversöhnliche Frau allein geblieben war, murmelte er:

»Hochmütiges Geschöpf, das sich nicht beugen will, ich werde dich brechen!«

Und auf demselben Wege, den er eine Stunde früher so hoffnungsvoll durchschritten, kehrte er in sein Junggesellenzimmer zurück.



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